Der Bestseller aus den Niederlanden: Inspirierende Philosophie für alle Lebenslagen
Wie schaffe ich es, jeden Tag so zu leben, als wäre er mein letzter? Wie finde ich auf der Arbeit die Freude wieder? Und wie werde ich weniger abhängig von meinem Smartphone? Leicht und charmant liefert der Philosoph Lammert Kamphuis Antworten auf die großen und kleinen Fragen. Mit Erasmus von Rotterdam lernen wir, wann wir unseren Liebsten die Wahrheit sagen sollten und wann nicht, mit John Rawls, wie wir empathischer werden und mit Aristoteles, wie wir nur noch Dinge tun, die wir mögen. Ein kluges, kurzweiliges Kompendium der Lebenskunst.
Über Lammert Kamphuis
Lammert Kamphuis, geboren 1983, ist Philosoph und Head of Faculty der School of Life, Amsterdam, die dem modernen Menschen helfen möchte, glücklich und kreativ zu werden. Seine »Kleine Schule des Lebens« erschien 2018 in den Niederlanden und wurde zum Bestseller.
Bärbel Jänicke, ist freiberufliche Übersetzerin literarischer Sachbücher aus dem Niederländischen. Sie studierte Philosophie, Kunstgeschichte und Archäologie in Frankfurt und Saarbrücken und lebt heute in Berlin.
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Kleine Schule des Lebens
Philosophie für jede Gelegenheit
Aus dem Niederländischen von Bärbel Jänicke
Inhaltsübersicht
Informationen zum Buch
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Prolog
Teil 1: Philosophie für das Verhältnis zur Welt
1. Ich arbeite, also bin ich – Über Arbeit
2. Die blinden Flecke der Rechenmaschine – Über Zahlen
3. 24 Sorten Marmelade – Über Freiheit
4. Krieg oder Frieden? – Über Den Menschen
5. Mystik und Therapie – Über Kunst
6. Die Kraft des Feuers – Über Das Smartphone
Teil II: Philosophie für die Beziehung zum anderen
1. Reden ist Silber, Schweigen ist… – Über Freundschaft
2. Was ist deine Grundstimmung? – Über Glauben
3. Just doubt it – Über Zweifel
4. Der Papst versus Kamasutra – Über Sex
5. Ein Hoch auf Diogenes – Über Nonkonformismus
6. So tun, als ob – Über Ethik
Teil III: Philosophie für die Verbindung mit sich selbst
1. Philosophie in Zeiten des Elends – Über Trost
2. …oder nicht? – Über Unruhe
3. Schau wieder in dein Herz – Über Zorn
4. Begierdemanagement – Über Unzufriedenheit
5. für Feiglinge und Schurken – Über Das Selbst
6. Leben in einer »Anti-Aging«-Kultur – Über Den Tod
Dank
Quellen
Impressum
Das Leben ist wie ein Erwachen auf einer Bühne. Das Theaterstück, in dem Sie sich wiederfinden, hat schon begonnen. Die anderen Spieler reagieren auf Sie. Aus dem Theatersaal beäugt man neugierig, welche Rolle Sie einnehmen werden. Wenn Ihnen dann schlagartig bewusst wird, dass dies kein Traum ist, schießen Ihnen alle möglichen Fragen durch den Kopf: Wo bin ich gelandet? Wer bin ich eigentlich? Wer sind die anderen hier? Warum starren mich all diese Menschen an und was denken sie über mich? Was wird von mir erwartet? Warum bin ich hier? Und kann mir bitte einer sagen, wann das wieder aufhört?
Der spanische Philosoph José Ortega y Gasset (1883–1955) verwendete einmal das Bild einer Bühne, um zu illustrieren, wie Menschen ihre Existenz erfahren. Mit seiner Geburt findet man sich unmittelbar in der einzigen Aufführung seines Lebens wieder. Man hat sich selbst nicht dafür entschieden, und man ist auch nicht darauf vorbereitet. Denn das Leben kennt keine Generalprobe. Es steht nur einmal auf dem Spielplan und kann nicht wiederholt werden. Es ist buchstäblich einzigartig, ein zweites seiner Art gibt es nicht.
Die oben gestellten Fragen sprechen die großen Themen des Lebens an, Themen, denen die Schule beispielsweise kaum Beachtung schenkt. Auch sonst gibt es in unserer Gesellschaft immer weniger Orte, die diesen Lebensfragen Raum bieten. Mehr noch, Menschen, die Fragen stellen und zweifeln, sind meist nicht gern gesehen; man sucht nach selbstsicheren Typen, die keine Probleme sehen, Chancen erkennen und jede Herausforderung proaktiv, begeistert und voller Elan angehen. Stellenangebote enthüllen untrüglich das gegenwärtige Ideal des zielgerichteten und unabhängigen Menschen. Die hohen Erwartungen, die damit einhergehen, sorgen für Stress: Können wir sie erfüllen? Online machen wir uns gegenseitig noch rastloser, indem wir zur Schau stellen, wie glücklich und gelungen unser Leben angeblich ist. Unterdessen finden wir kaum Zeit, uns zu fragen, was wir auf der Bühne unseres Lebens eigentlich gerade tun.
Ein jeder, der uns Ruhe verspricht, ist uns in dieser Situation willkommen. Meditations-, Yoga- und Mindfulness-Zentren schießen wie Pilze aus dem Boden. Freunde, die meditieren, erzählen mir, welche Ruhe sie in der Vorstellung finden, dass ihre Gedanken Wolken sind, die sie davontreiben lassen. Man werde ruhiger, wenn man gleichsam damit aufhöre, nachzudenken. Dass das in bestimmten Momenten angenehm ist, kann ich mir gut vorstellen. In der Philosophie jedoch läuft es genau umgekehrt.
Philosophieren ist ein Training in perspektivischer Gelenkigkeit. Bewusst oder unbewusst begegnen wir in unserem Leben immer wieder Ideen, die Einfluss darauf nehmen, wie wir uns selbst und andere sehen und wie wir unser Leben führen wollen. Diese Einflussnahme, die mit unserer Erziehung beginnt, setzt sich später in Gestalt von Werbung, Büchern, Freunden, Jobangeboten oder dem Jargon der Organisation, in der wir arbeiten, fort. Doch wie und wo befassen wir uns eigentlich mit der Sprache, die unser Leben prägt? Und wie erkennen wir, welche Ideen für uns förderlich sind und welche uns behindern?
Philosophie lädt uns dazu ein, scheinbar selbstverständliche Ideen und Handlungen kritisch zu betrachten. Philosophieren gibt uns die Möglichkeit, zwischen uns und unsere verkrusteten Denkstrukturen eine gesunde Distanz zu legen. Es macht uns gedanklich flexibler und lässt uns erkennen, dass unser Denken freier ist, als wir je geahnt haben. Nicht nur indem wir aufhören zu denken, finden wir Ruhe, sondern indem wir uns durch das Denken von jahrhundertealten und taufrischen philosophischen Ideen herausfordern und bereichern lassen. So lernen wir zu relativieren und die Welt, die anderen und uns selbst auf neue Weise zu sehen.
Die Philosophiegeschichte ist ein mehr als 2500 Jahre währendes Gespräch, eine Suche nach den richtigen Worten. Es ist ein beruhigender Gedanke, dass die Fragen, die wir uns selbst stellen, Philosophen schon seit Jahrhunderten den Schlaf rauben. Philosophie gibt keine einfachen Antworten, doch philosophierend können wir eine Sprache finden, die in uns eine Resonanz erzeugt, eine Sprache, in der wir uns heimisch fühlen.
Ich selbst bin streng protestantisch erzogen worden. Die Kirche war für mich lange Zeit der Ort innerhalb der Gesellschaft, der Raum für Lebensfragen bot. Doch in der Kirche meiner Jugendzeit fand ich vor allem in Beton gegossene Antworten. In der Sprache, die dort herrschte, fühlte ich mich im Laufe der Zeit immer weniger heimisch. Worte wie »Selbstverleugnung«, »Erbsünde« und »Urteil« engten die Grenzen meiner Welt zu sehr ein. Es bedeutete für mich eine Befreiung, in die Philosophie einzutauchen; sie spornte mich immer wieder aufs Neue dazu an, mich selbst und das Leben mit anderen Augen zu sehen. Nach und nach lernte ich durch Philosophie, Literatur und Poesie eine neue Sprache zu sprechen. Das gab mir ein Gefühl von Freiheit und Raum. Wie der österreichisch-britische Philosoph Wittgenstein (1889–1951) einmal sagte: »Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt.«
Ob man nun aus einem sektiererischen, atheistischen, linken, kapitalistischen, hedonistischen oder leistungsorientierten Milieu stammt – sich der Denkbilder, die sich im eigenen Geist festgesetzt haben, bewusst zu werden, ist für jeden von uns gesund. Durch das Philosophieren erfährt man, dass es immer mehr zu sehen und zu entdecken gibt, als man erwartet hat. Ich hoffe, dass sich durch dieses Buch auch die Grenzen Ihrer Welt erweitern.
Die Kapitel in diesem Band sind nach den drei großen Beziehungen eingeteilt, die wir als Menschen unterhalten: der Beziehung zu uns selbst, zu anderen und zur Welt. In unserer Kultur ist es selbstverständlich, bei der Beziehung zu sich selbst zu beginnen. Dahinter verbirgt sich die Idee, dass man im eigenen Leben zunächst erkennen sollte, wer man ist – unabhängig von anderen oder der Umgebung. In dieser Auffassung liegt jedoch ein Risiko; man vergisst dabei, dass Menschen in erster Linie soziale Wesen sind. »Ich bin, weil wir sind«, lautet das Motto der afrikanischen Ubuntu-Philosophie. Ob ein »Ich« unabhängig von den Menschen existiert, mit denen man sich umgibt, und den Dingen, die man tut, ist fraglich. Um diese übermächtige »Beginn-bei-dir-selbst«-Kultur zu kompensieren, folgt dieses Buch einem anderen Aufbau.
Im ersten Teil kommen Themen zur Sprache, die auf unser Verhältnis zur Welt eingehen. Indem wir die Welt auf eine untersuchende und philosophische Weise betrachten, eröffnen sich uns radikal neue Perspektiven auf das alltägliche Leben. Wir können beispielsweise entdecken, dass wir mindestens vier verschiedene Beziehungen zu unserem Smartphone haben, und dass uns Netflix-Serien lehren können, wie wir leben sollten. Wir sehen uns dazu ermutigt, am Arbeitsplatz mehr zu spielen und einen neuen Blick auf das zu wagen, was wir im Bett so treiben. Philosophierend entdecken wir überraschende Vorstellungen, mittels derer wir uns auf eine ungewohnte Weise zu alldem verhalten können.
Ein weiterer wesentlicher Vorteil des Philosophierens besteht darin, dass es uns in die Lage versetzt, andere besser zu verstehen. Wir lernen, eigene Überzeugungen in Zweifel zu ziehen und dadurch den Auffassungen anderer offener gegenüberzustehen. Im zweiten Teil wird unsere Beziehung zu den anderen auf unterschiedliche Weise untersucht. Sie werden lernen, Ihren Gesprächen an der Bar mehr philosophische Tiefe zu verleihen – gerade, wenn Sie mit Menschen über Politik, Ethik oder Glaube reden, die völlig anderer Meinung sind. Eine Gesprächsführung, die auch eine Übung darin darstellt, sich eine gehörige Portion Widerspenstigkeit zu bewahren.
Philosophieren ist von jeher eine Praxis der Selbstsorge gewesen. Philosophen haben ihre Aufgabe ursprünglich vor allem darin gesehen, Menschen dazu zu befähigen, sich selbst von ungesunden Ideen zu heilen. So schrieb der römische Philosoph Cicero (106–43 v. Chr.): »Es gibt nämlich ein Heilmittel für die Seele, die Philosophie. Damit sie hilft, muss man nicht wie bei den Krankheiten des Körpers auswärts suchen, sondern mit allen Mitteln und Kräften darauf hinarbeiten, dass wir uns selbst heilen können.« Philosophieren kann uns dabei helfen, Denkmuster bewusst zu machen, die uns im Wege stehen. In den Kapiteln des dritten Teils geht es darum, kreativ mit Gefühlen wie Unzufriedenheit, Wut und Unruhe umzugehen. Das letzte Kapitel ist eine Gedankenübung in Bezug auf den eigenen Tod.
Dieses Buch ist kein Zehn-Stufen-Plan für ein gelingendes Leben. Anders als es der Titel besagt, wird es in ihrem Leben auch einmal eine Situation geben, in der die Philosophie nicht weiterhilft. Philosophie kann Ihr Leben allerdings angenehmer machen. Sie kann Ihre Welt um ungewöhnliche Perspektiven bereichern, sie kann es Ihnen erleichtern, sich in andere hineinzuversetzen, kann Sie zu Experimenten mit neuen Formen des Denkens und Handelns inspirieren und Denkfertigkeiten lehren, mit denen Sie besser für sich sorgen können. Ich hoffe, dass es mir mit diesem Buch gelingt, Sie zu motivieren, die Philosophie in Ihr Leben zu lassen.
Genie hat einer in dem, woran er Lust hat.
ÜBER ARBEIT
»We work in jobs we hate, so we can buy shit we don’t need.« Das sagt Brad Pitt als Tyler Durden in einem seiner Monologe im Film Fight Club (1999). Durden hat einen Klub gegründet, in dem Männer ihre Wut, die aus Enttäuschungen in ihrer Karriere erwachsen ist, aneinander auslassen können. Das Zitat konfrontiert einen mit der Frage, wann man selbst es zum letzten Mal kaum abwarten konnte, sich an die Arbeit zu machen. Wie viel Lust verspüren Sie, auch noch die nächsten zehn, zwanzig, dreißig oder vierzig Jahre so weiterzuarbeiten wie bisher? Mit Arbeit und allem, was damit in Verbindung steht, sind hohe Erwartungen, aber mindestens ebenso tiefe Enttäuschungen verbunden.
In jener Zeit, als noch die Bibel für die Gestaltung unseres Lebens maßgeblich war, verbanden sich andere Erwartungen mit Arbeit. Jahrhundertelang hielt man es für eine Strafe Gottes, zum Überleben arbeiten zu müssen. Nachdem Adam und Eva die verbotene Frucht gegessen hatten, belegte Gott Adam mit einer schweren Sanktion:
So ist um deinetwillen der Erdboden verflucht. Mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll er dir tragen und das Kraut des Feldes sollst du essen. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zur Erde kehrst, von der du genommen bist.
Dieser Fluch sorgte dafür, dass man nicht allzu hohe Erwartungen an seine Arbeit hatte. Heute verhält sich das für viele von uns anders. Arbeit dient nicht nur dem Zweck, Geld zu verdienen; sie soll auch Herausforderung bieten und zu Selbstverwirklichung und Glück beitragen. Sie ist zu einem wichtigen Teil unserer Identität geworden. Wenn man sich jemandem vorstellt, nennt man für gewöhnlich zunächst seinen Namen, manchmal auch das Alter, skizziert die eigene Lebenssituation, und dann gibt man auch schon Auskunft über seinen Beruf. Niemand findet das seltsam. Aber wenn wir einmal gut darüber nachdenken, ist es merkwürdig, dass wir auf die Frage, »wer wir sind«, erklären, »was wir tun«. Es gibt Kulturen, in denen das höchst ungewöhnlich ist. Dort beantwortet man die Frage, indem man etwas über seine Vorfahren erzählt, über den Stamm, dem man angehört, oder über die Religion, der man sich zugehörig fühlt. Das lässt darauf schließen, dass Arbeit in unserer Zeit zu einem wesentlichen Bestandteil unserer Identität geworden ist. Entsprechend groß ist der Druck, im Berufsleben erfolgreich zu sein. Wenn man nur hart genug arbeitet, kann man alles werden, was man will, lautet die Annahme.
Ein paar besorgniserregende Zahlen: Die nationale Umfrage zu den Arbeitsbedingungen in den Niederlanden im Jahr 2016 kam zu dem Ergebnis, dass gut jeder siebte Arbeitnehmer an Burn-out-Symptomen leidet. Studien des Niederländischen Instituts für Sozialforschung belegen, dass sich die durchschnittliche Wochenarbeitszeit in den Niederlanden seit 1985 um mehr als fünf Stunden erhöht hat. Aus Studien der Harvard Business School geht hervor, dass wir durchschnittlich 82 Stunden pro Woche für unseren Arbeitgeber erreichbar sind. Wir arbeiten länger, die Erreichbarkeit ist umfassender geworden und der Stress bei der Arbeit nimmt zu. Glücklicherweise bietet die Philosophiegeschichte einige Anknüpfungspunkte, die uns dabei helfen können, in unserer Leistungsgesellschaft Freude und Befriedigung aus unserer Arbeit zu schöpfen.
Tue das, worin du gut bist! Es klingt wie eine Binsenweisheit, aber in der Praxis erweist es sich als schwierig, seine Arbeit so einzurichten, dass man Dinge tun kann, die einem liegen. In der Organisationslehre kennt man das »Peter-Prinzip«, das 1969 von Laurence J. Peter formuliert worden ist. »In einer Hierarchie neigt jeder Beschäftigte dazu, bis zu seiner Stufe der Unfähigkeit aufzusteigen.« Im Allgemeinen fängt man in einer Organisation mit einer Stellung an, in der die eigenen Fähigkeiten zur Geltung kommen. Wenn es gut läuft, wird man so lange befördert, bis man eine (oftmals leitende) Position bekleidet, in der einem das eigene fachliche Wissen und Können nicht mehr weiterhilft. Das Management der Organisation will einen nicht mehr auf die frühere Position zurückstufen, denn das könnte den Eindruck erwecken, als habe es sich in seiner Einschätzung geirrt; und man selbst möchte das auch nicht, weil es sich wie eine Degradierung anfühlen würde.
Aber nicht nur in großen Organisationen spielt das Problem eine Rolle, dass man seine Talente nicht voll ausschöpfen kann. Auch Selbstständige laufen Gefahr, aus finanziellen Erwägungen vor allem die Dinge zu tun, mit denen sie Aufträge an Land ziehen können. Das sind nicht unbedingt die Tätigkeiten, in denen sie besonders gut sind. Es ist also wirklich erstaunlich schwierig, das zu tun, was einem liegt. Das traurige Fazit daraus: Viel Potenzial wird niemals verwirklicht. Außerdem hat man so weniger Freude an seiner Arbeit. Der amerikanische Philosoph John Rawls (1921–2002) führt den aristotelischen Grundsatz an, um zu erklären, wozu wir von Natur aus am stärksten motiviert sind:
Unter sonst gleichen Umständen möchten die Menschen gern ihre (angeborenen oder erlernten) Fähigkeiten einsetzen, und ihre Befriedigung ist desto größer, je besser entwickelt oder je komplizierter die beanspruchte Fähigkeit ist. Der intuitive Gedanke ist hier der, dass Menschen etwas lieber tun, wenn sie es besser können, und dass sie von zwei gleich gut beherrschten Tätigkeiten diejenige vorziehen, die mehr und kompliziertere und scharfsinnigere Urteile verlangt.
Rawls illustriert dies, indem er unter anderem auf den Unterschied zwischen dem Schach- und dem Damespiel eingeht. Angesichts dessen, dass Schach ein komplexerer Denksport ist als Dame, werden Menschen, die beides spielen, dem Schachspiel eher den Vorzug geben. Aristotelischen Grundsatz nennt Rawls diese Gesetzmäßigkeit, weil Aristoteles’ Denken weitgehend auf dem griechischen Begriffspaar Dynamis und Energeia basiert. Diese Begriffe können als »potenzielle Kraft« und »tätige Kraft« übersetzt werden. Aristoteles zufolge zielt die gesamte Wirklichkeit darauf ab, das in die Tat umzusetzen, was als Potenz in den Dingen beschlossen liegt. Für den Menschen bedeutet das konkret, dass Glück vornehmlich im aktiven Gebrauch oder in der Verwirklichung seiner Fähigkeiten zu finden ist.
Man könnte diese Vorstellungen auf sein alltägliches Handeln anwenden, indem man zunächst die Momente, in denen man Freude an seiner Arbeit hat, gewissenhaft untersucht. Vom aristotelischen Grundsatz aus betrachtet, sind das nämlich lehrreiche Momente; sie erzählen uns etwas darüber, worin unsere spezifischen Fähigkeiten bestehen. Am meisten Freude haben wir an der Aktivität, bei der wir unsere komplexen Fähigkeiten einsetzen müssen. Der deutsche Philosoph Friedrich Schlegel (1772–1829) fasste dies einmal treffend in dem Satz zusammen: »Genie hat einer in dem, woran er Lust hat.« Zudem lässt sich der aristotelische Grundsatz auch dazu nutzen, sich zu fragen, welche Potenziale man bei seiner Arbeit stärker verwirklichen könnte. Rawls gibt einen praktischen Tipp, wie wir diesen Potenzialen auf die Spur kommen: »We want to be like those persons who can exercise those abilities that we find latent in our nature.« Man könnte auch sagen: Nimm deinen Neid ernst. Man kann seinen Wunsch, jemand anderem ähnlich zu sein, als einen Wink verstehen. Welche Potenziale schlummern noch in dir? Frage dich selbst, welcher Teil der Arbeit der Person, der du ähnlich sein möchtest, dich besonders anspräche, und untersuche dann, wie du diese schlummernden Fähigkeiten in deinem eigenen Berufsleben verwirklichen kannst.
Mach dir deine Arbeit zu eigen! Florien Vaessen beschreibt in ihrem Buch Op de bank, wie sie als Kommunikationsmanagerin bei der Bank ABN AMRO ein Burn-out erlitt. Einer der wichtigsten Gründe, die sie dafür anführt, ist die Erfahrung, keinen direkten Einfluss auf Resultate zu haben. Es gibt nur wenige Menschen, die einen Arbeitsgang von Anfang bis Ende eigenverantwortlich ausführen. Das führt zu einem Mangel an Autonomie und Eignerschaft, was sich letztendlich in Unzufriedenheit und Stress ausdrückt.
Vaessens Fazit steht im Einklang mit den Ergebnissen einer Studie des Ökonomen Paul Dolan zu der Frage, in welchen Berufen Menschen am glücklichsten sind: An erster Stelle stehen Floristen und Gärtner, an zweiter Friseure und Kosmetiker und an dritter Installateure. Auffällig ist, dass es sich hierbei um Berufe handelt, in denen man in der Regel von A bis Z für seine Arbeit verantwortlich ist. Darüber hinaus hat man das Resultat seiner Arbeit direkt vor Augen.
Den Philosophen Karl Marx (1818–1883) kennen Sie wahrscheinlich als Begründer des Kommunismus. Zeit seines Lebens kämpfte er gegen die erbarmungswürdigen Folgen der industriellen Revolution für die Arbeiterschaft und setzte sich für eine sozialistische Wende ein. Hinter seinen politischen Ideen stand seine Ansicht darüber, wie sich Menschen idealerweise zu ihrer Arbeit verhalten. Bereits zu seiner Zeit wies er auf das Problem hin, dass sich Menschen in ihrer Arbeit nicht heimisch fühlen:
Der Arbeiter fühlt sich daher erst außer der Arbeit bei sich und in der Arbeit außer sich. Zu Hause ist er, wenn er nicht arbeitet, und wenn er arbeitet, ist er nicht zu Haus.
Marx führt dies größtenteils auf finanzielle Bedingungen zurück. Der Mehrwert, den die Arbeiter den Produkten hinzufügen, verschwindet in den Taschen der Fabrikbesitzer. Doch auch die Arbeitsteilung sieht er als Übeltäter: Jeder arbeitet nur an einem kleinen Teil innerhalb eines größeren Prozesses mit. Auf diese Weise macht man sich den Prozess nicht zu eigen, und ebenso wenig das Produkt der Arbeit.
Endlich erscheint die Äußerlichkeit der Arbeit für den Arbeiter darin, dass sie nicht sein eigen, sondern eines andern ist, dass sie ihm nicht gehört, dass er in ihr nicht sich selbst, sondern einem andern angehört.
Marx sehnt sich daher in die Zeit der mittelalterlichen Gilden zurück, in der die Handwerker ganz in ihrer Arbeit aufgehen konnten, Herr über den gesamten Handwerksprozess waren und im Gegensatz zur modernen Gleichgültigkeit ein »zufriedenes sklavisches Verhältnis zu ihrer Arbeit« hatten. Aufgrund ihrer Eignerschaft über den Arbeitsprozess stellten sie sich mit ganzem Herzen in den Dienst ihrer Arbeit.
Wenn man einen Käseladen betritt und dem Besitzer eine Frage zu seinen Produkten stellt, wird er wahrscheinlich genau erklären können, wo und wie der Käse hergestellt wurde. Da der Eigentümer mit seinem Produkt verbunden ist, entsteht eine Verbundenheit zwischen ihm und diesem Produkt, zwischen ihm und seinen Kunden und wahrscheinlich sogar zwischen den Kunden untereinander. Wenn man an der anderen Straßenecke in einem Supermarkt einen Mitarbeiter fragt, woher ein bestimmter Käse kommt, den er verräumt hat, wird er womöglich sagen, dass er ihn aus dem und dem Lager geholt hat. Mehr wird er nicht beitragen können. Doch die marxsche Philosophie stellt einen sehr wohl vor die Frage, ob man sich eher im Käsehändler oder im Supermarktangestellten wiedererkennt. Fühlt man sich mit dem Produkt, das man herstellt, oder der Dienstleistung, die man verrichtet, verbunden? Und erfährt man sich als Eigner dessen, woran man arbeitet? Sollte dies nicht der Fall sein, wird Marx zufolge Arbeit zu etwas, das …
nicht zu seinem Wesen gehört, dass er sich daher in seiner Arbeit nicht bejaht, sondern verneint, nicht wohl-, sondern unglücklich fühlt, keine freie physische und geistige Energie entwickelt, sondern seine Physis abkasteit und seinen Geist ruiniert.
Arbeite an etwas, das dir wertvoll erscheint! Der deutsche Philosoph Max Scheler (1874–1928) plädierte in seinem Werk Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik für die zentrale Rolle von Werten in unserem Leben. Er schrieb sein Buch vor dem Hintergrund der Ethik Immanuel Kants, der sich auf die Suche nach unbedingten Geboten begeben hatte. Scheler sah darin einen zu objektiven und formalen ethischen Ansatz. Er präsentierte eine Ethik, nach der man im Laufe seines Lebens entdeckt, welcher universelle Wert für einen selbst in einem jeweiligen Moment am wichtigsten ist. Er schreibt in fast romantischen Worten:
Dieser Gehalt flüstert: »für dich«. Und dieser Gehalt weist mir damit eine einzigartige Stelle im sittlichen Kosmos an und gebietet mir sekundär auch Handlungen, Taten, Werke, die, stelle ich sie vor, alle rufen: »Ich bin für dich« und »Du bist für mich«.
Wie entdeckt man diesen Wert (Gehalt)? Scheler gibt zwei Tipps. Der erste Tipp: Frage dich, wessen deiner Ansicht nach die Gesellschaft in diesem Moment bedarf. Um dieser Erkenntnis Ausdruck zu verleihen, verwendet Scheler eine Formulierung von Goethe: Die Forderung der Stunde. Wozu fühle ich mich in diesem Moment berufen? Nicht umsonst spricht man im Deutschen von einer »Berufung«. Es gibt ein etwas hochtrabendes Zitat dazu, das für gewöhnlich Aristoteles zugeschrieben wird, obwohl niemand nachweisen kann, dass er das geschrieben hat: »Wo sich die Bedürfnisse der Welt und deine Talente kreuzen, dort liegt deine Berufung.« Schelers zweiter Tipp: Frage dich, wofür du bereit bist, Opfer zu bringen, finanziell oder zeitlich. Die Antwort auf diese Frage wird uns auf die Spur unserer Werte führen. Wenn es uns gelingt, mit unserer Arbeit an dem anzuknüpfen, was wir in einem jeweiligen Moment für wesentlich halten, trägt das zur Erfahrung von Sinnhaftigkeit bei. Für den Barkeeper kann das vielleicht im Wert der Gastfreundschaft liegen, für den Friseur in der Gepflegtheit, für die Künstlerin in der Kreativität, für den Politiker in der Gerechtigkeit, für die Wissenschaftlerin in der Erkenntnis, für den Soldaten in der Vaterlandsliebe, für die Umweltaktivistin in der Nachhaltigkeit, für den Polizisten in der Sicherheit usw.
Vergiss nicht, bei deiner Arbeit zu spielen! Zwei Anwälte haben verabredet, sich in jedem Brief eines fast vergessenen Ausdrucks oder Wortes zu »befleißigen«. Nach einer gewissen Zeit vergleichen sie diese Briefe daraufhin, wem das auf originellste Weise gelungen ist. Ein Deutschlehrer verweist seine Schüler nicht aus dem Klassenzimmer, sondern lässt sie einen Zettel aus einem speziellen Hut ziehen, auf dem ihre Aufgabe steht: Ein Lieblingslied vor der Klasse singen, den anderen Schülern von seiner größten Leidenschaft erzählen oder zwei Seiten aus dem Lieblingsbuch vorlesen. Zwei Geschäftspartner erlegen sich vor einer Besprechung Worte auf, die sie keinesfalls oder unbedingt verwenden müssen. So dürfen sie beispielsweise nicht die Worte »Gewinn« oder »Projekt« verwenden. Und einer muss während der Sitzung das Wort »Bratpfanne«, der andere das Wort »Schneemann« möglichst überzeugend einfließen lassen. Man erzählt sich, bei einer Amsterdamer Zeitung hätten sich zwei Journalisten neun Monate lang die Aufgabe gestellt, sich in ihren Artikeln möglichst oft eines bestimmten Wortes zu bedienen. Wenn Sie in den letzten Jahren in einer niederländischen Zeitung auf die Worte »poepgaatje« (Polöchlein) und »reuzendildo« (Riesendildo) gestoßen sind, dann kennen Sie nun die Geschichte, die dahintersteckt. Etwas niveauvoller gingen da die Donaldisten der FAZ vor, die es liebten, die eigenwillige Sprache Erika Fuchs’ in ihren Artikeln unterzubringen.
Am Arbeitsplatz spielt sich so einiges ab. Der niederländische Gelehrte Johan Huizinga (1872–1945) hat das Buch Homo ludens verfasst. Darin macht er deutlich, wie unverzichtbar Spielen für den Menschen ist (»ludere« ist das lateinische Wort für »spielen«). »Es schmückt das Leben, ergänzt es und ist insofern unentbehrlich.« Huizinga zufolge ist der Mensch dazu bestimmt, Dinge einzig und allein »for the fun of it« zu tun. In unserem Leben versuchen wir oft, unsere Ziele möglichst effektiv zu erreichen; daher kann es nicht schaden, als Gegenwicht spielerische Initiativen hineinzustreuen. Die Schönheit des Spiels liegt nämlich gerade darin, dass es ziellos ist. Es hat etwas Überflüssiges an sich, ist in seinem Überflusscharakter aber unverzichtbar, weil es den Menschen zu dem macht, was er ist.
Die Merkmale des Spiels, die Huizinga zusammenträgt, lassen sich in den genannten Beispielen allesamt leicht wiedererkennen. Mit dem Spielen sind keine notwendigen Belange verknüpft. Menschen entscheiden sich frei dafür zu spielen. In gewisser Weise steht das Spiel außerhalb des normalen Lebens. Spielen stärkt die Verbundenheit zwischen den Menschen und umgibt sie dabei oftmals mit einer geheimnisvollen Atmosphäre. Das Spiel ist die Form, in der wir unserem Leben Gestalt verleihen und uns mit anderen verbinden.
»Tue das, worin du gut bist!«, »Mache dir deine Arbeit zu eigen!«, »Arbeite an etwas, das dir wertvoll erscheint!« und »Vergiss nicht, bei deiner Arbeit zu spielen!«. Diese vier philosophischen Ratschläge könnte man in vier an sich selbst gerichtete Fragen übersetzen. Stellen Sie sich die aristotelische Frage, inwiefern Ihre Arbeit an Ihre am besten entwickelten Fähigkeiten anschließt und wie Sie Ihr Potenzial noch weiter ausschöpfen können. Marx stellt die Aufgabe: Wie können Sie sich Ihre Arbeit mehr zu eigen machen, indem Sie sich stärker mit dem Prozess und dem Ergebnis Ihrer Arbeit verbinden? Scheler trägt Ihnen auf, in Worte zu fassen, wessen unsere Gesellschaft Ihrer Ansicht nach bedarf und wie Ihre Arbeit diesen Werten besser gerecht werden kann. Schließlich lädt Sie Huizinga dazu ein, bei Ihrer Arbeit mehr zu spielen. Indem Sie Ihre Arbeit mit einer gewissen Regelmäßigkeit an diesen philosophischen Ideen spiegeln, verringern Sie das Risiko, irgendwann einmal erkennen zu müssen, dass Tyler Durden mit seiner Feststellung recht hatte, dass man die Arbeit, die einem zuwider ist, nur macht, um Dinge kaufen zu können, die man eigentlich nicht braucht.
Not everything that counts can be counted, and not
everything that can be counted counts.
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