Prof. Dr. Michaela Döll
Warum Frauen in der Medizin falsch behandelt werden und wie sie die richtige Therapie bekommen
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Wichtiger Hinweis
Dieses Buch ist für Lernzwecke gedacht. Es stellt keinen Ersatz für eine individuelle medizinische Beratung dar und sollte auch nicht als solcher benutzt werden. Wenn Sie medizinischen Rat einholen wollen, konsultieren Sie bitte einen qualifizierten Arzt. Der Verlag und der Autor haften für keine nachteiligen Auswirkungen, die in einem direkten oder indirekten Zusammenhang mit den Informationen stehen, die in diesem Buch enthalten sind.
Originalausgabe
1. Auflage 2020
© 2020 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
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Redaktion: Petra Holzmann
Umschlaggestaltung: Manuela Amode
Umschlagabbildung: shutterstock.com/Sandra Hutter, Nataletado
Satz: abavo GmbH, Buchloe
Druck: Florjancic Tisk d.o.o., Slowenien
eBook: ePubMATIC.com
ISBN Print 978-3-7474-0140-8
ISBN E-Book (PDF) 978-3-96121-497-6
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96121-498-3
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www.mvg-verlag.de
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VORWORT
GENDER MEDICINE – BIOLOGISCHES UND PSYCHOSOZIALES GESCHLECHT BESTIMMEN GESUNDHEIT UND KRANKHEIT
Wird es ein Mädchen oder doch ein Junge?
XX – typisch Frau, aber nicht nur
DIE FRAU – DAS SCHWACHE GESCHLECHT? VON WEGEN!
Mädchen haben bei der Entwicklung »die Nase vorn«
Evolutionsvorteil: Der weibliche Biobonus
Frauen leben länger – noch!
Gesundheit – vorwiegend Frauensache
FRAUEN UND ARZNEIMITTEL – EIN DUNKLES KAPITEL
Nachteile bei der medizinischen Versorgung
Arzneimittelforschung – Frauen waren lange Zeit unterrepräsentiert
Medikamente: Andere Verträglichkeit bei Frauen
Dosierungsempfehlungen – für Frauen oft nicht passend
Mehr Nebenwirkungen bei Frauen
Frauenrisiko: Herzrhythmusstörungen durch Arzneimittel
Narkose – die Verträglichkeit ist bei Frauen häufig schlechter
Frauen sind schmerzempfindlicher
FRAUEN SIND ANDERS – AUCH ANDERS KRANK
Frauen denken anders
Warum Frauen oft kalte Füße und kalte Hände haben
ENTGIFTUNG – HIER »SCHWÄCHELN« DIE FRAUEN
Leber und Niere arbeiten bei Frauen weniger gut
Raucherinnen auf dem Vormarsch
Warum Frauen rauchen
Mehr Bildung – weniger Raucherinnen
Kleines Lungenvolumen bei Frauen – hohes Krankheitsrisiko
Jetzt wird es eng – eine gefährliche Atemwegserkrankung durch Rauchen
Deshalb sollten Frauen unbedingt mit dem Rauchen aufhören
Alkohol – als weiblicher Seelentröster beliebt
Frauen sind schneller beschwipst
No risk, no fun – Alkohol und Brustkrebs
Ein Gläschen in Ehren – mehr aber auch nicht
»Mother’s little helper« – Pillen und Co.
Abhängigkeit und Suchtgefahr
Anwendung nach den drei »K«s: Klar, klein und kurz
ÜBERBLICK: TYPISCHE FRAUENSPEZIFISCHE KRANKHEITEN
WEIBLICHE »HERZENSANGELEGENHEITEN«
Frau und Herztod: Todesursache Nummer eins
Frauen im Stress
Frauenherzen schlagen anders
Untypisch: Der »Evainfarkt« zeigt sich anders
Wenn Frauen »der Schlag« trifft
Herz-Kreislauf-Risikofaktoren wirken auf die Frauengefäße besonders schädlich
Gender nutrition: Herzschutz mit dunkler Schokolade
Mit Grünzeug gegen den Risikofaktor Homocystein
Magnesium und Omega-3-Fettsäuren – herzgesund, besonders für Frauen
DER WEIBLICHE DIABETES IST KOMPLIZIERT
Später entdeckt
Frauen mit Diabetes sterben früher
Die Regelblutung beeinflusst die Blutzuckerwerte
Sexuelle Unlust durch Diabetes – das kommt auch bei Frauen vor
WENN FRAUEN »IN DIE JAHRE« KOMMEN
Die Macht der Hormone
Auf zu neuen Ufern
Wechseljahre – Menopause – was denn nun?
»Grünfutter« schiebt das Altern hinaus
Mir ist so heiß – nicht unterkriegen lassen
Eine Hormonersatztherapie sollte individuell angepasst werden
Hitzefrei mit Phytoestrogenen
Isoflavone aus Soja und Rotklee
Sexualität ab jetzt »kleingeschrieben«?
Keine Lust? Dagegen gibt es ein Kraut
DIE TAGE VOR DEN TAGEN: PRÄMENSTRUELLES SYNDROM
Welcher PMS-Typ sind Sie?
»Cross-Talk« zwischen Hormonen und Psyche
Raus aus dem Tief – so machen Sie die Tage vor den Tagen erträglicher
Mönchspfeffer – Pflanzenkraft für die Problemtage
Magnesium entkrampft
Den Hormonhaushalt mit Naturstoffen »ölen«
Yams – die Frauenwurzel
DER WEIBLICHE DARM IST ANDERS
Im Darm, da tut sich was
Frauen haben den längeren Darm – und mehr Verdauungsbeschwerden
Reizdarmsyndrom – wenn Frauen mit ihrem Darm auf Kriegsfuß stehen
Das Bauchhirn ist gereizt
Probiotische Keime bringen den gereizten Darm wieder auf Kurs
Frauen und Darmträgheit: Ein häufig vorkommendes Duo
Der »Fremdklo-Effekt« – typisch Frau
Her mit dem Ballast!
Jetzt läuft der Stoffwechsel rund
Teufelskreis Abführmittel – davon am besten die Finger weg
Ein Date mit dem Darm – Dickdarmzeit ist morgens!
SCHEIDENINFEKTIONEN: HÄUFIG – UND VOR ALLEM LÄSTIG
Die gesunde Scheidenflora – ein Bollwerk gegen Infektionen
Was sind die Ursachen?
Das Antibiotikum alleine nützt oft nichts
Tabuthema Intimpflege – sprechen wir darüber
OSTEOPOROSE – EINE FRAUENKRANKHEIT
Wie die »Löcher« in die Knochen kommen
Stiller Prozess mit tragischem Ende
Es gibt Frauen, die besonders anfällig sind
Kalzium – der Knochenbaustein par excellence
Vitamin D und Vitamin K – starke Partner des Kalziums
Auch das geht bis in die Knochen
BLASENENTZÜNDUNGEN – TYPISCH FRAU
Leichtes Spiel mit kurzer Röhre
Darmkeime haben in der Blase nichts zu suchen
Vorsicht, Risiko! Sorgen Sie vor
Reizend: Falsche Befehle sorgen für eine Reizblase
Cranberrys – beerenstarke Früchte für die Blase
Pflanzenextrakte als natürliche Antibiotika – Scharfmacher vertreiben die Keime
KOPFSCHMERZEN UND MIGRÄNE – GEWITTER IM KOPF
Der Hammer unter der Schädeldecke
Kopfschmerzen durch Essen
Migräne – bei Frauen besonders häufig
Achten Sie auf Ihre persönlichen Migränetrigger
Welcher Migränetyp sind Sie?
Werden Sie Ihr persönlicher Kopfschmerz- und Migränemanager
Achtung: Kopfschmerzen durch Schmerzmittel
Vitalstoffe sorgen für einen klaren Kopf
GOOD IN SHAPE – FRAUEN WOLLEN GUT AUSSEHEN
Diäten – Anleitungen zum Unglücklichsein
Mit den Pfunden schwinden oft auch die Muskeln
»Fettschmelze« durch Naturstoffe
Grüntee und Bittermelonenextrakt als zusätzliche Booster
Die Haut: Der Spiegel der Seele – und des Lebensstils
Frauen sind dünnhäutig
Hautbeschaffenheit – eine Frage des Alters
Vermeiden Sie »Beautysünden«
Sonnenbad und Solarium – fördern Hautkrebs, besonders bei jungen Frauen
Entzündungen und oxidativer Stress
Trinken, trinken und nochmals trinken
Hyaluronsäure – zusätzlicher Feuchtigkeitsbooster
Naturstoff statt Botox
Vitamine sind eine echte »Hautsache«
Nährstoffkosmetik: Facelifting durch Ernährung
Cellulite – typisch Frau
Naturextrakte bringen die Beine wieder in Form
Haare – auf dem Kopf tut sich was!
Schreckgespenst Haarausfall
Wo kommen auf einmal die grauen Haare her?
Gesunder Haarwuchs mit Mikronährstoffen
Glänzender Auftritt mit Goldhirse
SCHLUSSWORT
Über die Autorin
Bezugsquellen und Produktempfehlungen
Literatur
Liebe Leserinnen,
wir Frauen sind heutzutage im Allgemeinen stark gefordert. Als Mütter, Familienmanagerinnen, Berufstätige und »Powerfrauen« stehen wir mitten im Leben und versuchen, den täglich an uns herangetragenen Anforderungen gerecht zu werden. Obgleich sich inzwischen immer mehr Partner in die Gestaltung des gemeinsamen Paar- oder Familienlebens einbringen, tragen Frauen heutzutage immer noch oft die »doppelte Last« von Familienaufgaben und ihrer Arbeit im Beruf oder ihren Funktionen im Sozialwesen, was letztlich auch ihre Gesundheit belasten kann. Wir Frauen sind zudem im Allgemeinen sensible, feinfühlige Wesen und neigen nicht selten dazu, uns Sorgen zu machen und zu grübeln. Die typisch weibliche Tendenz, sich für alles verantwortlich zu fühlen und sich Dinge »zu Herzen« zu nehmen, können sogar Mediziner auf Irrwege führen. So kommt es vor, dass zum Beispiel die (untypischen) Symptome eines drohenden Herzinfarktes bei Frauen falsch gedeutet werden (siehe Seite 63) und dadurch wertvolle Behandlungszeit verloren geht. Auch in Bezug auf Medikamententests sind Frauen in der Vergangenheit ins Hintertreffen geraten, denn die allgemein verfügbaren Medikamente sind größtenteils an Männern getestet worden. Frauen wurden etwa 30 Jahre lang aus der Arzneimittelforschung so gut wie ausgeschlossen und werden erst seit wenigen Jahren in Studien integriert. Auf den Beipackzetteln der Medikamente kann man in den allerwenigsten Fällen eine Unterscheidung zwischen den Empfehlungen für Frauen und Männer vorfinden. So wird uns Frauen die »männliche« Dosis übergestülpt, obwohl wir einen völlig anderen Stoffwechsel und eine andere Körperzusammensetzung haben als Männer, was allerdings großen Einfluss auf die Wirkung und Verträglichkeit medikamentöser Wirkstoffe hat. Auch treten bei uns Frauen grundlegend andere Krankheitsbilder auf als bei den Männern, und jene, die bei beiden Geschlechtern vorkommen, können sich zudem mit unterschiedlichen Symptomen zeigen. Deswegen verstärkt sich inzwischen immer mehr der Ruf nach einer geschlechtsspezifischen Medizin (Gender medicine), die die Besonderheiten der Frau und natürlich auch jene des Mannes berücksichtigt. Tatsächlich hat sich die Gender medicine inzwischen zu einer fachübergreifenden Wissenschaft entwickelt. Wissenschaftler verschiedener Disziplinen forschen nach medizinischen Unterschieden zwischen den Geschlechtern hinsichtlich Gesundheit, Krankheit, Medikamentenwirkung und Alterung und sind bestrebt, die gewonnenen neuen Erkenntnisse in den medizinischen Alltag zu integrieren.
Wie man inzwischen weiß, können typische Frauenbeschwerden wie beispielsweise das prämenstruelle Syndrom, Haut- und Haarprobleme, Wechseljahresbeschwerden oder Blasenentzündungen durch bestimmte Lebensmittel und die darin enthaltenen Inhaltsstoffe positiv beeinflusst werden. Deswegen richtet sich das Interesse inzwischen auch auf eine geschlechtsspezifische Ernährung (Gender nutrition).
Mit diesem Buch möchte ich Ihnen nun gerne einen spannenden Einblick in die Gender medicine, aber auch in die Gender nutrition ermöglichen, auch das Thema Schönheit (Haut, Haare, Figur) kommt zur Sprache. So erfahren Sie unter anderem, welchen Stellenwert die »Nährstoffkosmetik« hat und wie Sie Ihr Aussehen ohne Skalpell verbessern können.
Ich hoffe, dass dieses Buch, liebe Leserinnen, für Sie persönlich Anregungen und Ratschläge bereithält. Viel Freude beim Lesen wünscht Ihnen
Michaela Döll
Inzwischen ist sie angekommen: die Botschaft, dass Frauen und Männer nicht nur anders sind, sondern auch anders krank sind. Zu diesem Thema gibt es nun sogar Forschungsschwerpunkte (Lehrstühle) an einigen Universitäten. Dennoch ist in der alltäglichen Medizin noch wenig zu spüren von der getrenntgeschlechtlichen Behandlung, die den besonderen körperlichen Eigenheiten von Frauen und Männern gerecht werden soll. Was also hat es auf sich mit der Gender medicine und von was wird sie mitbestimmt? Da ist zum einen die Biologie, die natürlich das Geschlecht festlegt. Zum anderen gibt es aber auch soziale und kulturelle Einflussgrößen, die – im Wechselspiel – mit den biologischen Komponenten das Geschlecht oder vielmehr das Selbstverständnis des eigenen Geschlechts mitbestimmen. Die körperlich bedingten Unterschiede zwischen Frau und Mann, aber auch die typischen Wesensmerkmale der beiden Geschlechter resultieren letztlich aus diesen beiden großen und komplexen Bereichen, die untrennbar miteinander verbunden sind. Die Gender medicine bemüht sich um Therapiemöglichkeiten, die sich für Frauen und Männer unter dem Einfluss von sozialen und kulturellen Faktoren abzeichnen. Ziel ist es, sowohl Frauen als auch Männern die bestmögliche Behandlung zukommen zu lassen und Benachteiligungen auf beiden Seiten möglichst auszuschließen.
Jede Frau fragt sich zu Beginn einer Schwangerschaft, ob das Kind wohl gesund sein wird. Als zweite Überlegung kommt meistens jene, die sich mit dem Geschlecht befasst: Wird es ein Mädchen oder ein Junge? Rosa oder Himmelblau, Puppe oder Bagger – so prägen wir die ersten Lebensmonate beziehungsweise Lebensjahre des Nachwuchses, und so entdecken Kinder auch ihre eigene Geschlechtszugehörigkeit, die sich besonders in der frühen Phase ihres Lebens entsprechend festigt.
Natürlich wird das Geschlecht bereits bei der Befruchtung, also der Verschmelzung von Eizelle und Samenzelle, festgelegt. Und nicht nur das, auch andere Eigenschaften sind damit vorgegeben. Ob wir mit einem sanften Gemüt oder mit der Neigung zu Gefühlsausbrüchen, mit blauen Augen oder mit braunen Haaren geboren werden – das alles steht schon vor der Geburt fest: Diese Anlagen befinden sich auf jenem aufgewickelten »Erbfaden« (DNA), der gut verpackt in den Chromosomen sitzt. Von diesen besitzen wir in jeder Zelle 22 Paare (insgesamt 44 Chromosomen), die für all diese Anlagen zuständig sind, und zusätzlich nochmals ein Chromosomenpaar, welches unser Geschlecht bestimmt.
Je nach ihrem Aussehen unter dem Mikroskop werden diese geschlechtsspezifischen Chromosomen als X- oder Y-Chromosom bezeichnet. Während die männlichen Samenzellen entweder ein X-oder ein Y-Chromosom beinhalten, sind die weiblichen unbefruchteten Eizellen »nur« im Besitz eines X-Chromosoms. Wenn sich nun – was bei der Entstehung eines neuen Menschenlebens der Fall ist – eine Samenzelle mit einer Eizelle zusammentut, dann ist die Ausstattung des Spermiums für die Geschlechtsbestimmung von ausschlaggebender Bedeutung: Hat beim Ansturm auf die Eizelle eine Samenzelle mit einem X-Chromosom »die Nase vorn«, dann enthält die befruchtete Eizelle folglich zwei X-Chromosomensätze, und das heranwachsende Baby ist weiblicher Natur. Wenn allerdings das Wettrennen zur begehrten Eizelle von einem Spermium mit einem Y-Chromosom gewonnen wird, dann kommen dort ein X- und ein Y-Chromosom zusammen und dann wird die Männerwelt um ein Exemplar reicher. Nun wissen wir, wodurch – rein genetisch betrachtet – das biologische Geschlecht (»sex«) charakterisiert ist. Diese erbliche Fixierung macht im Wesentlichen auch die biologischen Unterschiede (zum Beispiel Geschlechtsorgane, Körperbau, Stoffwechsel) zwischen Frau und Mann aus.
Aber wie oben bereits erwähnt, wird das »Typisch Frau« Sein (oder »Typisch Mann« Sein) auch von äußeren Faktoren (zum Beispiel Erziehung, Bildung, familiäres Umfeld) mitbestimmt, die man unter dem Begriff »gender« (soziales Geschlecht) zusammenfasst. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass unser (geschlechtsspezifisches) Fühlen, Denken und Handeln in ganz entscheidendem Maß auch durch das, was uns vorgelebt und anerzogen wird, mitgeprägt wird.
Bereits kurze Zeit nach der Geburt zeichnet sich der weibliche Entwicklungsvorsprung ab: Mädchen krabbeln in der Regel früher und fangen eher an zu sprechen als Jungen. Dieser Vorteil scheint sich auch bei der Einschulung bemerkbar zu machen: Mädchen lernen im Allgemeinen leichter Schreiben und Lesen als ihre männlichen Schulkameraden. In der Pubertät sind sie den gleichaltrigen Jungen um etwa zwei Jahre voraus.
Interessant ist auch die Tatsache, dass Jungen in den ersten drei Lebensmonaten infektanfälliger sind als die Mädchen und ein erhöhtes Sterblichkeitsrisiko haben. Im weiteren Verlauf der Entwicklung kann den Jungen auch ihre Waghalsigkeit zum Verhängnis werden: In Kinderambulanzen werden aufgrund von Unfällen viermal mehr Jungen als Mädchen behandelt.
Die Entwicklung der Mädchen gilt insgesamt als weniger störanfällig. Sie werden zwar mit einem kleineren Gehirn geboren, dieses ist allerdings deutlich stoffwechselaktiver als das der gleichaltrigen Jungen. Mädchen leiden seltener an Sprachauffälligkeiten als ihre männlichen Kameraden. Besonders ausgeprägt ist der Unterschied hinsichtlich der Hyperaktivität beziehungsweise des Aufmerksamkeitsdefizit-Syndroms (ADHS). Hier sind drei- bis neunmal mehr Jungen als Mädchen betroffen. Entsprechend ist auch die Verteilung von Medikamenten: Diese werden in über 80 Prozent aller Fälle bei den Jungen eingesetzt.
Die Genetik meint es gut mit uns Frauen: Der doppelte X-Chromosomensatz bietet Vorteile. Gerade auf dem X-Chromosom befinden sich eine Reihe wichtiger Informationen, die beispielsweise für die Herstellung lebensnotwendiger Eiweiße oder unverzichtbarer Enzyme benötigt werden. Kommt auf einem der beiden Geschlechtschromosomen ein Fehler vor, dann muss es dadurch nicht zu einem »falschen« Reaktionsprodukt (zum Beispiel zu einem fehlerhaften Enzym) kommen, sondern der Schwesternstrang – eine Art »Sicherheitskopie« – kann in diesen Fällen den »Schaden« mit dem entsprechenden baugleichen Stück ausgleichen. Die männliche Spezies hat diese Möglichkeit nicht, da ihr das zweite X-Chromosom fehlt und sie stattdessen mit dem völlig anderen Y-Chromosom auskommen muss. Treten beim männlichen X-Chromosom schädliche Veränderungen auf, dann können diese nicht wettgemacht werden, und deswegen kommt es eher zu fehlerhaften Ergebnissen.
Das Doppel-X ist auch eine »genetische Versicherung« gegen manche Erbkrankheiten, wie zum Beispiel bestimmte Formen der Bluterkrankheit, die Rot-Grün-Sehschwäche oder die Muskeldystrophie (»Muskelschwund«), die auf dem X-Chromosom lokalisiert sind. Von diesen Krankheiten sind daher deutlich mehr Männer als Frauen betroffen!