Zeitschrift für
Regional- und Kulturgeschichte
Nord-, Ost- und Südtirols
Universitätsverlag Wagner
Editorial
Aufsätze
CHRISTINA ANTENHOFER
Das Brautschatzinventar der Paula Gonzaga, verh. Gräfin von Görz (1478). Edition und Kommentar
KONSTANTIN GRAF VON BLUMENTHAL
Hugo von Velturns († 1267), qui se pro nobis et ecclesia nostra tutorem et murum inexpugnabilem exposuit. Teil 2
ANDREAS OBERHOFER
Verräterische Reden, Gewalt und Wirtshausschlaf: Zur Aussagekraft von Verhörprotokollen für die Erforschung der ländlichen Alltagsgeschichte
HANSJÖRG RABANSER
In Memoriam Dipauli: Krankengeschichte, Tod und Andenken. Zum 180. Todestag von Andreas Alois Dipauli (1761–1839)
P. THOMAS NAUPP OSB
P. Benedikt (Andreas) Feilmoser (1777–1831) vom Benediktinerstift Fiecht: Ein aufklärerischer Geist an den Universitäten Innsbruck und Tübingen
HANNES MITTERMAIER
Aspekte der Polemik um Karl Kraus und Bruder Willram: Öffentlichkeitsdiskurs der frühen 1920er-Jahre im Zeichen politisch-literarischer Demagogie
ISABELLE BRANDAUER
Hans Markart (1893–1988) – Medizinstudent, Standschütze und Patriot
Besprechungen
Carteggi fra basso medioevo ed età moderna. Pratiche di redazione, trasmissione e conservazione, hg. von Andrea Giorgi / Katia Occhi (JOSEF RIEDMANN)
700 Jahre jüdische Präsenz in Tirol. Geschichte der Fragmente, Fragmente der Geschichte, hg. von Ursula Schattner-Rieser / Josef M. Oesch (JOSEF RIEDMANN)
Die Tiroler Landesordnungen von 1526, 1532 und 1573. Historische Einführung und Edition, hg. von Josef Pauser / Martin P. Schennach, unter Mitarbeit von Verena Schumacher (JOSEF RIEDMANN)
1317 – Eine Stadt und ihr Recht. Meran im Mittelalter. Bausteine zur Stadtgeschichte / 1317 – Una città e il suo diritto. Merano nel Medioevo. Materiali di storia cittadina, hg. von Gustav Pfeifer (GABRIEL ZEILINGER)
Herwig Wolfram, Das Römerreich und seine Germanen. Eine Erzählung von Herkunft und Ankunft (CHRISTINA ANTENHOFER)
I Gonzaga. Cavalieri, vesti, argenti, vino. La "magna curia“ del 1340, hg. von Chiara Buss / Daniela Ferrari (CHRISTINA ANTENHOFER)
Bischofsstadt ohne Bischof? Präsenz, Interaktion und Hoforganisation in bischöflichen Städten des Mittelalters (1300–1600), hg. von Andreas Bihrer / Gerhard Fouquet (CHRISTINA ANTENHOFER)
Heinrich von Burgeis: Der Seele Rat. Symposium zu einem hochmittelalterlichen Predigermönch, hg. von Elisabeth De Felip-Jaud / Max Siller (IOANNA GEORGIOU)
Herzog Friedrich IV. von Österreich, Graf von Tirol 1406–1439. Akten der internationalen Tagung Landesmuseum Schloss Tirol 19./20. Oktober 2017, hg. von Gustav Pfeifer (IOANNA GEORGIOU)
Nadja Krajicek, Frauen in Notlagen. Suppliken an Maximilian I. als Selbstzeugnisse (ERIKA KUSTATSCHER)
Bergwerk Schneeberg I. Archäologie – Geschichte – Technik bis 1870, hg. von Christian Terzer / Armin Torggler (BARBARA DENICOLò)
Erika Kustatscher, Die Ingram von Liebenrain. Adel in Tirol zwischen Ancien Régime und staatsbürgerlicher Gleichheit (MONIKA WIENFORT)
Siglinde Clementi, Körper, Selbst und Melancholie. Die Selbstzeugnisse des Landadeligen Osvaldo Ercole Trapp (1634–1710) (ELENA TADDEI)
Christof Aichner, Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860. Aufbruch in eine neue Zeit (ERIKA KUSTATSCHER)
Martin Kolozs. Zur höheren Ehre. Die Tiroler Priesterdichter. Reimmichl, Bruder Willram, Josef Weingartner und Reinhold Stecher (ULRICH LEITNER)
Angela Grießenböck, Von Heilung, Pflege und Verwahrung: Zur Geschichte der Landesirrenanstalt in Hall in Tirol und ihrer Patientinnen und Patienten (1882–1918) (MICHÈLE HOFMANN)
Wolfgang Strobl, Zu Gast in Schluderbach. Georg Ploner, die Fremdenstation und die Anfänge des Tiroler Alpintourismus (KURT SCHARR)
Hubert Held, Die Baugeschichte der Brennerbahn 1836–1867. Von München über Alttyrol nach Venedig – aus politischer, ökonomischer und technischer Perspektive (KURT SCHARR)
Marion Dotter / Stefan Wedrac, Der hohe Preis des Friedens. Die Geschichte der Teilung Tirols 1918–1922 (KURT SCHARR)
Gedenken und (k)ein Ende? Das Weltkriegs-Gedenken 1914/2014. Debatten, Zugänge, Ausblicke, hg. von Bernhard Bachinger / Richard Lein / Verena Moritz / Julia Walleczek-Fritz / Stefan Wedrac / Markus Wurzer (KURT SCHARR)
‚Wir schießen schon auf die unmöglichsten Sachen‘. Der Briefwechsel des Payerbacher Artillerieoffiziers Tonio Rella mit seiner Gattin Camilla 1914–1917, hg. von Christoph Rella / Martina Fuchs (KURT SCHARR)
Johannes Breit, Das Gestapo-Lager Innsbruck-Reichenau. Geschichte – Aufarbeitung – Erinnerung (INGRID BÖHLER)
Gisela Hormayr, „Wenn ich wenigstens von euch Abschied nehmen könnte“. Letzte Briefe und Aufzeichnungen von Tiroler NS-Opfern aus der Haft (INGRID BÖHLER)
Josef Feichtinger, Flucht zurück. Eine Auswandererkindheit (ULRICH LEITNER)
Elisabeth Dietrich-Daum, Über die Grenze in die Psychiatrie. Südtiroler Kinder und Jugendliche auf der Kinderbeobachtungsstation von Maria Nowak-Vogl in Innsbruck (1954–1987) (DANIEL DEPLAZES)
Michaela Ralser / Nora Bischoff / Flavia Guerrini / Christine Jost / Ulrich Leitner / Martina Reiterer, Heimkindheiten. Geschichte der Jugendfürsorge und Heimerziehung in Tirol und Vorarlberg (THOMAS GABRIEL)
Konrad Rabensteiner, Der geköpfte Adler. Roman (MARKUS ENDER)
Michael Fliri, Mission Vorarlberg. Geschichte des Christentums zwischen Bodensee und Arlberg (KARIN SCHNEIDER)
Entdeckungen der Landschaft. Raum und Kultur in Geschichte und Gegenwart, hg. von Michael Kasper / Martin Korenjak / Robert Rollinger / Andreas Rudigier (ULRICH LEITNER)
Abstracts
Autorinnen und Autoren dieses Bandes
Der diesjährige Band der Tiroler Heimat versammelt neueste Forschungen zur Tiroler Geschichte vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert zu Themen der materiellen Kultur, Alltags- und Medizingeschichte, Kriegs- und Literaturgeschichte sowie biographische Forschungen. Ein Beitrag zur Universitätsgeschichte fügt sich in das Jubiläumsjahr 350 Jahre Universität Innsbruck. Als verbindendes Element zwischen allen Beiträgen zeigen sich die Quellen selbst, die in unterschiedlichster Vielfalt Einblicke in Lebensumstände historischer Persönlichkeiten bieten und dabei allesamt als Egodokumente befragt werden können: Inventare, Verhörprotokolle, Urkunden, Schriften im Universitätsumfeld, Autopsieberichte, Gedichte, Briefe bis hin zur klassischen Autobiographie, Tagebucheintragungen und letztlich medialer Berichterstattung.
Im ersten Beitrag stellt CHRISTINA ANTENHOFER das Brautschatzinventar der Paula Gonzaga, der letzten Gräfin von Görz, aus dem Jahr 1478 vor. Das Inventar erlangte vor allem Bekanntheit, da es von Robert Eisler zu Beginn des 20. Jahrhunderts genutzt wurde, um drei Cassoni zu identifizieren, von denen zwei im Dom zu Graz als Reliquienschreine dienen, während ein Truhencorpus im Stiftsmuseum Millstatt und dessen Reliefs im Kärntner Landesmuseum ausgestellt sind (ein Relief-Ausschnitt bildet das Titelbild dieses Bandes). Die bewegte Geschichte der Cassoni führt zum Brautschatz der letzten Gräfin von Görz, dessen Inventar im Tiroler Landesarchiv erhalten ist. Basierend auf einer italienischen Vorlage wurde es wohl von der Görzer Kanzlei im Umfeld der Brautreise ausgestellt und liefert wertvolle Einblicke in die Handlungsspielräume der Fürstin: Die im Inventar aufgelisteten Objekte können hinsichtlich ihrer Aussagekraft über die materielle Kultur von Frauen der Elite zur Zeit der Renaissance interpretiert werden, insbesondere in Hinblick auf Rollenbilder und Erwartungshaltungen und die Beteiligung der Frauen an der Raumausstattung. Insgesamt wird so der nach wie vor männlich dominierte Blick auf Burgen relativiert, nicht zuletzt durch die Erkenntnisse, wie Fürstinnen Räume über ihre Objekte in Besitz nahmen. Die Analyse wird durch die kommentierte Edition des Inventars abgeschlossen. KONSTANTIN GRAF VON BLUMENTHAL liefert sodann Teil zwei seiner umfangreichen biographischen Studie zu Hugo von Velturns. Die Hochzeit mit Gräfin Elisabeth von Eppan-Sarnthein um 1245/46 führte zu einer engen Beziehung nicht nur zu Elisabeths Verwandtem, Bischof Egno von Brixen, sondern auch zu den Noblen von Wangen. Als Egno Bischof von Trient wurde, folgte ihm Graf Bruno von Kirchberg als Bischof von Brixen. Während Hugo loyal zu Egno hielt, war er Brunos erklärter Feind und mit seinen Brüdern unter den militantesten Aufständischen in der Revolte der Brixner Ministerialen von 1256. Die Situation änderte sich, als Hugos Tochter Sophia um 1261 Brunos gleichnamigen Neffen heiratete. Auch wenn Bruno bald darauf starb, zeigte sich Hugo nun als dessen verlässlichster Unterstützter und Verteidiger des Fürstbistums Brixen. Zeitgleich wurde Hugo Hauptmann von Trient. Nunmehr war er über Familienbande mit den Bischöfen von Brixen und Trient verbunden und einer der mächtigsten Exponenten des bischöflichen Lagers. Dennoch gelang es Meinhard II. ihn zu neutralisieren. Nach Hugos Tod 1267 verhinderte Meinhard schließlich auch die Etablierung der edelfreien Vögte von Matsch, aufgrund von Sophias zweiter Ehe mit Albero von Matsch Hugos rechtmäßige Erben, im Raum der Grafschaft Bozen.
ANDREAS OBERHOFER führt mit seinem Beitrag in das Tauferer Ahrntal des 18. Jahrhunderts und stellt ebenso eine besondere Quellengattung in den Fokus: Verhörprotokolle. Im Dekanats- und Pfarrarchiv von Bruneck ist eine Serie von Verhörprotokollen überliefert, die als Quellen für die Verfolgung der Geheimprotestant/inn/en im Tauferer Ahrntal des 18. Jahrhunderts und für die Suche nach verbotenen Büchern bereits in der Tiroler Heimat 2017 vorgestellt wurden. Der vorliegende Beitrag fokussiert demgegenüber auf ein spezifisches Ereignis, das sich in einem Landgasthof 1774 zutrug und als öffentliche Infragestellung des katholischen Glaubens aktenkundig wurde. Sechs Zeugen des Vorgehens und ein Verdächtigter wurden befragt, woraus sich eine bemerkenswerte Serie an Verhören ergab. Die Kommissäre versuchten, so viele Informationen wie möglich zu erhalten, während sich die befragten Personen bemühten, möglichst wenig Wissen preiszugeben. Über das Geschehen im Landgasthof hinaus vermitteln die Protokolle lebhafte Eindrücke vom Alltagsleben und der Welt der ländlichen Bevölkerung eines alpinen Tales des 18. Jahrhunderts. HANSJÖRG RABANSER setzt seine Publikationsreihe zu Andreas Alois Dipauli anlässlich des vor 180 Jahren erfolgten Todes des Tiroler Gelehrten am 25. Februar 1839 mit einem Beitrag fort, der sich als Reflexion des letzten Jahres von Dipaulis Leben ganz seinem Sterben und Tod sowie dem Gedenken an ihn widmet. Basierend auf einer Autobiographie und den Berichten seines jüngsten Sohnes sowie Briefen werden die verschiedenen Krankheiten Dipaulis rekapituliert und die Umstände des Todes dargelegt. Der erhaltene Autopsiebericht erlaubt eine medizinische Betrachtung der Todesursache. Das Gedenken an Dipauli wird über das Requiem, die Grabstätte, Nachrufe und sein Testament, das Grabmonument in der St. Jakobskathedrale, Gedichte und eine Gedächtnismedaille sowie die Benennung einer Innsbrucker Straße skizziert. P. THOMAS NAUPP nimmt ebenso ein Jubiläum zum Anlass einer biographischen Skizze: In die Feiern rund um das 350-jährige Bestehen der Universität Innsbruck fügt sich sein Beitrag zum Leben, den progressiven Ideen und dem literarischen Werk von P. Benedikt (Andreas) Feilmoser. Geboren in Hopfgarten/Tirol 1777, absolvierte er nach dem Gymnasialbesuch in Salzburg den zweijährigen philosophischen Kurs an der Universität Innsbruck, ehe er 1796 der Gemeinschaft der Benediktiner von St. Georgenberg-Fiecht beitrat. Seine Studien setzte er im Benediktinerkloster St. Georgen in Villingen im Schwarzwald fort, wo ihn vor allem der Orientalist P. Georg Maurer prägte. Feilmoser, ein erkenntnisreicher, von Kant beeinflusster Theologe, wirkte als Lehrer in der Schule von Georgenberg-Fiecht, doch manche seiner Thesen führten bald zu Konflikten mit den bischöflichen Autoritäten in Brixen. 1808 wurde er Professor für die Exegese des Neuen Testaments an der Universität Innsbruck. Einige seiner von der Aufklärung beeinflussten theologischen Ansichten mündeten 1820 in seine Beseitigung von dieser Position – trotz der Bemühungen seiner Kollegen und Studenten. In der Folge wurde er Professor an der Universität Tübingen, wo er für einige Jahre Herausgeber der Tübinger Theologischen Quartalschrift war. Ferner ist er bekannt für seine 1810 publizierte Einleitung in die Bücher des Neuen Bundes, die 1830 in neuer Auflage erschien. Feilmoser starb 1831mit 54 Jahren in Tübingen.
HANNES MITTERMAIER widmet sich in seiner Untersuchung einer Polemik um Karl Kraus und Bruder Willram, die auf ein Ereignis zurückging, das sich am 4. Februar 1920 in Innsbruck zutrug. Während einer öffentlichen Lesung von Kraus aus Die letzten Tage der Menschheit kam es augenscheinlich zu Unruhen, die den Abbruch der Veranstaltung zur Folge hatten. Kraus reagierte in der April-Ausgabe der Fackel, wobei er den Vorfall klarstellte und seine Aversion gegen den an der Protestaktion zumindest passiv beteiligten „Kriegslyriker“ Bruder Willram zum Ausdruck brachte. Kraus’ Statement kann dabei insgesamt als eine radikale Kritik daran gelesen werden, wie öffentliche Institutionen wie Zeitschriften und politische Autoritäten mit seiner Person umgingen. Bruder Willram nahm zehn Jahre später indirekt dazu Stellung, indem er sich hinsichtlich seiner Kriegslyrik entschuldigte, von falschen Idealen beeinflusst worden zu sein. Damit spiegelt diese Affäre zugleich die mangelnde Objektivität in der Berichterstattung der frühen 1920er-Jahre, eine Reaktion auf die Katastrophe des Ersten Weltkriegs. ISABELLE BRANDAUER beschließt den Band mit der Präsentation einer bislang kaum bekannten Quelle – dem Tagebuch des Hans Markart, dessen Biografie engstens mit der Geschichte Tirols im 20. Jahrhundert verbunden ist. In Südtirol geboren, wurde der junge Medizinstudent freiwillig Mitglied der Akademischen Legion der Universität Innsbruck, die dem Standschützen-Bataillon Innsbruck I zugeordnet wurde. Während des Militärdienstes war Markart Mitglied der Rotwandpatrouille in den Sextner Dolomiten und erhielt als erster Standschütze des Bataillons die Ehrenmedaille in Bronze. Später diente er als medizinischer Offizier am Karnischen Kamm. Dort verlor er während einer Explosion ein Auge, setzte seinen Militärdienst aber dennoch fort. Nach Kriegsende erlebte er die Spanische Grippe in Innsbruck und die Besetzung Südtirols durch Italien. In die politische Geschichte Tirols wurde er schließlich auch noch ganz persönlich involviert, weil er gemeinsam mit einem Freund gebeten wurde, ein von 172 Südtiroler Gemeinden unterzeichnetes Memorandum für den Erhalt der Einheit Tirols an den amerikanischen Präsidenten Wilson über die Grenze nach Nordtirol zu schmuggeln.
CHRISTINA ANTENHOFER / RICHARD SCHOBER
CHRISTINA ANTENHOFER
Am 16. Juli 1476 gaben sich Markgraf Ludovico Gonzaga (1412–1478) und Graf Leonhard von Görz (1444–1500), vertreten durch Bischof Georg Golser von Brixen, Balthasar von Welsberg, Phöbus von Thurn und Virgil vom Graben, in Mantua das feierliche Versprechen, dass die jüngste Tochter des Markgrafen, Paula Gonzaga (1464–1496), Leonhard ehelichen und im Lauf des Oktobers 1477 zur Zelebrierung der Hochzeit in das Görzer Gebiet ziehen werde.1 Es sollte dann ein gutes Jahr länger dauern, bis zum November 1478, ehe Paula nach zahlreichen Schwierigkeiten endlich mit ihrem Gatten zusammentreffen, am 15. November 1478 in Bozen die Hochzeit zelebrieren und nach weiteren krankheitsbedingten Verzögerungen im Dezember in Lienz einziehen konnte.2
Hier interessiert jedoch weniger die turbulente Entwicklung rund um die Eheschließung als vielmehr das Inventar des Brautschatzes, den Paula mit sich führte. Früh hat dieser Brautschatz bereits das Interesse der Forschung auf sich gezogen. Im Zuge der großangelegten Sichtung und Bearbeitung von Archivalien von kunsthistorischer Bedeutung, die ihren Niederschlag in den Jahrbüchern der kunsthistorischen Sammlungen des allerhöchsten Kaiserhauses fanden,3 wurde auch das im Tiroler Landesarchiv (TLA, Innsbruck) überlieferte Inventar des Brautschatzes der Paula Gonzaga im Band 21 des Jahrgangs 1900 auszugsweise abgedruckt.4 Über diesen Abdruck des Inventars gelang es dem Kunsthistoriker Robert Eisler, zwei im Kärntner Landesmuseum in Klagenfurt aufbewahrte Pastigliareliefs mit Paulas Brauttruhen in Verbindung zu bringen und diese einem noch erhaltenen Truhenkorpus im Stift Millstatt zuzuordnen. Ferner konnte er zwei im Dom zu Graz seit 1617 als Reliquienschreine rechts und links des Altarraums positionierte Truhen (Cassoni) mit Elfenbeinintarsien als weitere Brauttruhen Paulas identifizieren.5
Es gehört zu den Glücksfällen der Geschichte, dass sich diese Truhen und die Reliefs bis heute als seltene Beispiele für Brauttruhen erhalten haben, ein Umstand, der dem genealogischen Schicksal der Grafen von Görz zuzuschreiben ist, da die Ehe von Paula und Leonhard kinderlos blieb und damit das Geschlecht ausstarb. Die Truhen kamen wohl als fromme Stiftung des Grafen für das Seelenheil seiner Gattin an den St.-Georgs-Ritterorden in Millstatt, der seinen Sitz in der dortigen Benediktinerabtei hatte.6 Als die Benediktinerabtei 1598 in den Besitz des neuen Jesuitenkollegs in Graz inkorporiert wurde, gelangten alle mobilen Güter nach Graz, unter ihnen auch die beiden Elfenbeincassoni. Zwei weitere Truhen verblieben im Stift Millstatt. Wie aus einer überlieferten Briefkorrespondenz ersichtlich, waren die Pastigliareliefs vor der Mitte des 19. Jahrhunderts von den Truhen abgenommen und in den Gängen und Foyers der Abtei Millstatt aufgehängt worden. 1852 wurden sie, um sie vor weiteren Feuchtigkeitsschäden zu bewahren, dem Geschichtsverein für Kärnten übergeben und in das Kärntner Landesmuseum überbracht.7 Eine der Truhen war bereits zu Eislers Zeit verloren gegangen, denn er fand nur mehr eine vor.8 Für die Feiern im Jahr 2000, anlässlich des Gedenkens an das Ende der Görzer Grafschaft vor 500 Jahren, wurden die Reliefs restauriert und zeitweise auf dem noch existierenden Truhenkorpus angebracht, um einen Eindruck des einstigen Aussehens zu vermitteln. Mittlerweile befinden sich die Reliefs wieder im Kärntner Landesmuseum, während der originale Truhenkorpus mit Repliken der Reliefs im Stiftsmuseum Millstatt zu besichtigen ist.
Paulas Brauttruhen haben lange Zeit größere Beachtung gefunden als sie selbst oder das Inventar ihres Brautschatzes, da aus kunsthistorischer Sicht Bezüge zum Umfeld des Mantuaner Hofkünstlers Andrea Mantegna (1431–1506) vermutet wurden.9 Es gibt jedoch bislang keine konkreten Hinweise dafür, dass die Cassoni mit Mantegna in Zusammenhang gebracht werden können. Stilistisch lassen sich jedenfalls Bezüge zum Umfeld des Künstlers erkennen. Unbekannt bleibt auch das Jahr der Herstellung der Cassoni. Insbesondere die Frage, ob sie eigens für die Hochzeit von Paula angefertigt wurden, oder ob die Gonzaga hier gleichsam alten Hausrat verwerteten, muss offenbleiben.
Diese Überlegungen führen bereits hin zur Rolle, welche die schriftliche Überlieferung bei der Betrachtung historischer Artefakte spielt. Hier kommt der zweite glückliche Zufall für Paula Gonzagas Brautschatz zum Tragen, der Umstand, dass sich nicht nur ihr Ausstattungsinventar erhalten hat,10 sondern dass dieses auch ausreichend detailliert gehalten war, um wichtige Erkenntnisse nicht nur für die erhaltenen Truhen, sondern darüber hinaus für das Leben einer Renaissancefürstin zu ermöglichen. Inventare wurden bislang von der Forschung eher vernachlässigt und meist nur in Hinblick auf die darin enthaltenen Objekte ausgewertet.11 Neuere Arbeiten haben zum Teil Inventare unter bestimmten Aspekten in den Blick genommen, etwa Textilien,12 oder sich primär mit raumbezogenen Inventaren in Hinblick auf ihre Aussagekraft über die materielle Kultur in ihrer Beziehung zu den Menschen befasst.13 Eine umfassende Zusammenschau von Inventaren steht jedoch noch aus.14 Brautschatzverzeichnisse zählen zu den personenbezogenen Inventaren, welche die Habe einer Person erfassen. Sie weisen deutliche Unterschiede zu den bislang hauptsächlich ausgewerteten raumbezogenen Inventaren auf, wie es etwa auch Nachlassverzeichnisse sind. Vor allem unter einem geschlechtergeschichtlichen Blickwinkel gilt für sie, dass Frauen mit ihrer (weniger ortsgebundenen) Habe hier den Großteil der Quellen bestimmen und damit den männlich dominierten Befund der Nachlassinventare und anderer raumbezogener Verzeichnisse brechen.15 Zudem eröffnen diese Inventare die Möglichkeit, Lebensmodelle und Handlungsperspektiven der Personen, deren Besitz sie erfassen, nachzuzeichnen, ein Versuch, der hier im Folgenden unternommen wird.
Neben den Truhen ist somit das Inventar selbst als Quelle von größtem Interesse und aufgrund der darin aufgelisteten Objekte, die zu den wichtigsten Kunstschätzen des heutigen Österreich, aber auch der italienischen Frührenaissance allgemein zählen, von internationaler Bedeutung. 1952 hat Maria Kollreider eine kommentierte Edition des Inventars im Lienzer Buch vorgelegt, auf die mangels einer aktuelleren Herausgabe nach wie vor zurückzugreifen ist.16 Da diese Edition jedoch zum einen etliche Ungenauigkeiten bis hin zu Auslassungen und inhaltlichen Fehlern aufweist und die Forschung mittlerweile nicht nur zu Paula Gonzaga und ihren Truhen, sondern auch zu Fürstinnen und Inventaren weit vorangeschritten ist, entstand der Wunsch, das Inventar in einer neuen kommentierten Edition auf dem aktuellen Stand der Forschung vorzulegen.
Im Folgenden werden zunächst das Inventar und seine Genese vorgestellt. Weitere Abschnitte behandeln die Objekte des Inventars entlang der von der Quelle selbst vorgegebenen Teilabschnitte und die Erkenntnisse, die sich daraus auf das Leben Paula Gonzagas ergeben. Im abschließenden Teil erfolgt die kommentierte Edition des Inventars.
Der mobile Brautschatz, der Paula Gonzaga mit in ihre Ehe gegeben wurde, findet seine erste Erwähnung im Hochzeitsvertrag vom Juli 1476. Dort heißt es im Abschnitt zu den finanziellen Rahmenbedingungen der Eheschließung:
„Item promisit et promittit prefatus illustris dominus marchio pro dote et nomine dotis ipsius domine Paule prefato domino comiti eius marito numerari facere florenos viginti / mille Renenses in pecunia numerata seu aurum equivalens ad dictam summam dictorum florenorum vigintimille Renesium in terminis infrascriptis […].
Item promisit et promittit prefatus illustris dominus / marchio tempore quo prefatus dominus comes ipsam dominam Paulam traducet eidem consignari facere in iocalibus, argentis, vestibus, tapezariis, ornamentis, utensilibus et aliis / necessariis pro usu prefate domine Paule florenos decem mille Renenses ita quod iocalia ipsa, argentum, vestes, tapezarie, ornamenta, utensilia et alia necessaria ascendant ad summam / dictorum florenorum decem millium Renensium ut supra. Viceversa prefati domini oratores et mandatarii vice et nomine prefati illustris domini comitis promiserunt et promittunt pro / contradote ipsius domine Paule florenos vigi[n]ti [mil]le Renenses, ita quod dos cum contradote ipsius domine Paule ascendat ad summam florenorum quadraginta millium Renensium.“17
Die Vereinbarungen sahen somit vor, dass Paula Gonzaga eine Mitgift von 20.000 Rheinischen Gulden erhalten sollte, die durch den Grafen von Görz mit einer Contrados (Gegenmitgift) von 20.000 Rheinischen Gulden erwidert würde. Dies entsprach den üblichen Gepflogenheiten bei internationalen Eheschließungen.18 Darüber hinaus versprachen die Gonzaga, Paula mobile Güter mitzugeben – namentlich Kleinodien, Silber, Kleidung, Tapisserien, Zierden und Gerätschaften sowie alles Weitere, das für ihren Gebrauch notwendig war, im Wert von 10.000 Rheinischen Gulden. Wie es italienischen Gepflogenheiten entsprach, wurde somit der Wert der mobilen Ausstattung finanziell beziffert und nicht unter die Mitgift subsumiert.19 Sollte Paula kinderlos sterben, so durfte Leonhard zwar die Mitgift zeit seines Lebens nutzen, nach seinem Tod sollte sie jedoch wieder an die Markgrafen von Mantua fallen.20 – Dieser Fall war letztlich auch eingetreten, doch entspann sich um die Rückgabe der Mitgift wie der Objekte des Brautschatzes ein Streit, nicht zuletzt, da die Gonzaga die Mitgiftzahlungen weit hinausgezögert hatten und die Causa schließlich in die Regierungszeit von Paulas Neffen Francesco II Gonzaga (1466–1519) fiel.21 Paula erhielt ferner noch eine Morgengabe von 7.000 Rheinischen Gulden durch Leonhard überreicht.22
Über die Zusammenstellung des Brautschatzes gibt ein Brief von Paulas Mutter, Markgräfin Barbara von Brandenburg (1422–1481), Auskunft. Am 12. Oktober 1478 bat sie ihre Schwiegertochter Margarete von Bayern (1442–1479), ihr das Büchlein zu schicken, in dem die Dinge aufgelistet seien, die Paulas Schwester Barbara (1455–1503) mitgegeben wurden, als diese 1474 nach Urach zog, um Graf Eberhard V. im Bart von Württemberg (1445–1496) zu heiraten. Sie wollte die Sachen, die sie für Paula vorbereitete, mit jenen vergleichen, die Barbara erhalten hatte. Sobald der Bote des Grafen von Görz erschienen sei, wollte sie dann die Schau des Brautschatzes im Castello San Giorgio23 vorbereiten. Margarete möge einen oder mehrere ihrer Leute schicken, um die Schau zu besehen (und wohl zu beurteilen):
„Preterea haressemo caro ce mandasti quel nostro libretto de le cose se detero ala Barbara / nostra fiola perchè adesso ce accadaria scontrare le cose habiamo per la Paula cum quelle. Sichè / per Dio vedetu de mandarcelo […] Como sia venuto el messo qual aspectamo sel signor conte harà acceptato il partito nui / se transferiremo in continenti a San Zorzo et in castello per incassare et far la monstra de le robbe / de la predicta Paula et alhora havemo caro li mandiati un di vostri o più a vederle.“24
Dieser Brief vermittelt wertvolle Einblicke in die Zusammenstellung des Brautschatzes: Es wird deutlich, dass dies Angelegenheit der Fürstinnen des Hauses war, in diesem Fall der Brautmutter und der amtierenden Markgräfin, ihrer Schwiegertochter. Zudem erfahren wir, dass am Hof der Gonzaga Zusammenstellungen der Ausstattungen der Töchter aufbewahrt wurden, auch nachdem sie verheiratet worden waren. Barbara war bereits vier Jahre zuvor nach Württemberg gezogen. Das Schreiben verrät sogar, dass es sich um ein Inventar in Form eines kleinen Buches handelte (libretto). Schließlich zeigt sich, dass man die Ausstattungen der Töchter verglich und versucht war, diese möglichst gleich zu halten, nicht zuletzt, da die Sachen des Brautschatzes in der Regel sowohl am Herkunftshof der Braut wie an ihrem Ankunftshof öffentlich ausgestellt wurden.25
Bedauerlicherweise haben sich weder das Inventar von Barbara26 noch jenes von Paula in Mantua erhalten. Das heute im Tiroler Landesarchiv Innsbruck überlieferte Inventar Paula Gonzagas stammt aus dem alten Archiv der Grafen von Görz.27 Es ist als schmuckhaftes Libell in einer deutschen Kanzleischrift des ausgehenden 15. Jahrhunderts gehalten, die aufgrund der kalligraphischen Ausgestaltung auch als Bastarda angesprochen werden kann, und ist somit zweifelsfrei als Produkt der Görzer Kanzlei anzusehen. Dennoch entspricht das Inventar in seiner Detailgenauigkeit nicht den eher flüchtigen Verwaltungsverzeichnissen, die in dieser Zeit aus deutschen Kanzleien überliefert sind.28 Damit stellt sich seine Genese offensichtlich komplexer dar. Der Brief Barbaras an Margarete legt nahe, dass es ein italienisches Inventar des Brautschatzes gab, das die Vertreter der Gonzaga, die Paula auf ihrer Brautreise begleiteten, bei sich hatten, um damit die Übergabe der Güter zu dokumentieren. In der Tat ist es die primäre Funktion der Inventare, den rechtlichen Akt der Besitzübergabe zu belegen.29
Für Paula ist diese Phase durch den dichten Briefwechsel gut nachvollziehbar. In Bozen war der Archipresbyter (Erzpriester) Stefanino Guidotti, Kaplan Barbaras von Brandenburg und wohl der wichtigste Gesandte der Gonzaga besonders für deutsche Belange, als hochrangiger Vertreter der Familie präsent und mit dem Ausstellen der relevanten Schriftstücke betraut, ein Prozess, der nicht ohne Schwierigkeiten ablief, zumal deutsche und italienische Gepflogenheiten divergierten und in den Augen des Mantuaner Sekretärs eine unerträgliche Mühe („una intolerabel faticha“) verursachten.30
Es ist also anzunehmen, dass das deutsche Inventar auf der Vorlage eines italienischen Verzeichnisses erstellt wurde, wie auch manche Italianismen nahelegen, die nicht immer ins Deutsche übertragen werden konnten – so etwa der Ausdruck forniert,31 aus dem Italienischen fornire für „versehen mit“, oder der Begriff Endesini,32 der nicht übersetzt wurde. Der Beginn des Inventars weist deutlich auf dessen hybride Genese hin, die Übertragung einer italienischen Vorlage durch einen Görzer Schreiber:
„Hie nach volget, was von klainet(e)n, edlgestain, sil/ber geschmeid, klaider etc. die hochgeborn furstin und / fraŭe madona Paŭla zu ir(e)m gemah(e)l unnsrm33 / gnedigstn herrn und landsfurstn von Gortz etc. bracht / hat. Nemblichn beschech(e)n quinta novembris anno Domini 1478.“34
So spricht der Schreiber zwar von „unserm“ gnädigsten Herrn und damit aus Görzer Perspektive, als Datum wird jedoch der 5. November angegeben, ein Zeitpunkt, zu dem Paula noch nicht aus Mantua abgereist war (sie brach erst am 7. November auf),35 wohl aber die Beschau des Brautschatzes, besiegelt durch die Redaktion des Inventars, in Mantua erfolgte.
Auf die hybride Genese verweist zudem ein weiterer bemerkenswerter Passus. An vier Stellen fällt das Inventar aus der neutralen Perspektive des Schreibers in die persönliche Sicht Paulas, wenn es unter der Rubrik des profanen Silberschatzes um vier wertvolle Pokale geht, die sie von Vertretern lokaler Gemeinden und der Görzer Räte erhielt:
„Item ein kŏphl mit einer vergultn kron und einem wildn / man, habn mir geschenckt die von Lůentz.36
Item ein kŏpfl gantz ubergold mit einer silbren blŭmen. / Ist mir geschenckt worden von einer gemăin.
Item zway silbrene kopfl. Habn mir geschanckt Gabriel / Kŏnig37 und sein haw̆sfraw̆e.
Item ein ubergolts silbrens pĕcherl. Hat mir geschenckt / herr Virgili.38“
Hier dürften weitere Listen eingeflossen sein, die anlässlich der Hochzeitsfeier in Bozen angefertigt wurden und die Geschenke erfassten, die von den Vertretern ihres neuen Hofes und ihrer neuen Herrschaft übergeben wurden. Für die Hochzeit von Paulas Schwester Barbara Gonzaga in Urach hat sich der Hochzeitsbericht erhalten, der das Anfertigen solcher Listen anlässlich der Geschenkeübergabe dokumentiert.39 Verzeichnisse der Geschenke, die bei Hochzeiten übergeben wurden, sind etwa auch für Katharina von Habsburg (ca. 1420–1493), die Karl I. von Baden (1427–1475) heiratete, überliefert.40
Das Verzeichnis selbst ist schmuckhaft in Libellform gestaltet. Es weist keine Korrekturen auf und auch keinen Platz, um Ergänzungen zu Einträgen vorzunehmen. Damit ist es als statisches Inventar zu bezeichnen, das den Status Quo der Brautausstattung zu dem Zeitpunkt erfasst, als diese wohl in Bozen anlässlich der Übergabe oder in Lienz auf Schloss Bruck durch die lokalen Verwalter aufgenommen wurde. Die leeren Folia deuten an, dass möglicherweise an eine Fortsetzung gedacht war, doch ist diese nicht erfolgt. Bis auf die vier genannten Einträge gibt es keine weiteren Hinweise auf Hochzeitsgeschenke – die mit Sicherheit noch in Mantua in das Verzeichnis einflossen – noch Angaben darüber, ob Paula selbst Objekte ihrer Ausstattung verschenkte, wie es für andere italienische Fürstinnen belegt ist.41
Auch wenn sich die Art der Kategorien von Objekten, die in einem Brautschatzinventar erfasst sind, in einem ähnlichen Spektrum bewegt, so unterscheiden sich die Listen dennoch sowohl in der Art und Zahl der Einzelobjekte wie in der Gliederung der Objektkategorien und deren Anordnung, aus der sich Rückschlüsse auf den Horizont der Redakteure und damit die Bedeutung der jeweiligen Kategorien ergeben. Aufgrund der eben skizzierten Genese des Inventars der Paula Gonzaga spiegelt dieses in seiner Zusammenstellung den Horizont des Gonzagahofes.42 Inventare weisen im Mittelalter noch keine standardisierten Ordungsschemata auf und bringen mit ihrer Anordnung stets zugleich eine Hierarchisierung zum Ausdruck. Grundlegend gilt dabei: Was zuerst genannt ist, ist im Horizont des Inventars am wichtigsten.43
Paula Gonzagas Inventar beginnt mit den Kleinodien zum persönlichen Schmuck der Braut und bringt damit sogleich zum Ausdruck, dass es in erster Linie um Paula als Person geht – Ausdruck der Sorge, die die Brautmutter selbst auf die Ausstattung der Tochter legte, wie in ihrem oben angeführten Schreiben bereits deutlich wurde.44
An erster Stelle werden vier goldene Halsbänder genannt, die als wertvollste Zierden das Inventar eröffnen. Eines der Halsbänder wird näher identifiziert: Es weist die Farben König Christians I. von Dänemark (1426–1481) auf und ist mit seinen 20 Elefanten als Collier des Elefantenordens45 zu erkennen. Christian hatte Paulas Tante Dorotea von Brandenburg (1430–1495) geheiratet. Er war 1474 anlässlich seines Romzuges zu Besuch in Mantua,46 nicht jedoch bei der Hochzeit Paulas anwesend. Möglicherweise hatte er das Collier als Geschenk den Gonzaga übergeben und Barbara von Brandenburg hatte es der Tochter in den Brautschatz gelegt, um darüber die königliche Verwandtschaft sichtbar zu machen, oder es war auf anderem Weg als Brautgeschenk Christians zu Paula gelangt.
Es folgen zwei Kleinodien, die wiederum als Halszierde dienten; das zweite wird als Halskoller aus 273 Perlen weiter spezifiziert. Darauf wird eine Schnur aus 48 Perlen mit kleinen schwarzen Paternoster-Korn angeführt, die wohl als schmuckhafte Paternosterschnur anzusehen ist. Auf dem Fresko Tod Mariens in der Schlosskapelle von Bruck, die zur Zeit Paula Gonzagas durch den lokalen Maler Simon von Taisten (1450/1455–um 1515) ausgemalt wurde,47 trägt Paula in der Tat eine zweifach um den Hals gelegte Perlenkette, die mit kleineren schwarzen Gliedern durchsetzt ist, und hält einen Paternoster aus Perlen in der Hand. Mit derselben Kette und demselben Paternoster ist sie zudem auf einem Tafelbild Simons von Taisten zum Kreuzwunder der hl. Elisabeth von Thüringen zu sehen. Eine weitere Kette besteht aus goldenen Ringen. Es folgen ein mit dreizehn Perlen besetzter Granat sowie ein Kreuz aus Korallen, das wieder eine Mischung aus Devotionalie und Schmuckstück darstellt. In dieser Sektion der Kleinodien werden noch weitere Schmuckdevotionalien genannt: Ein Kreuz mit Diamanten, einem Rubin und Perlen und ein kleines goldenes Agnus Dei.48
Ein silbernes, vergoldetes Windband dürfte als Hundeleine angesehen werden und auf die für Fürstinnen dokumentierten Schoßhündchen hindeuten.49 In der Folge sind noch Perlen angeführt und ein weiteres Perlenhalsband sowie zwei Schmuckfibeln (Hefftl) für das Haupt. Als Kopfzierden sind auch die zwei Jungfrauenbund anzusehen, die wohl als Brautkronen interpretiert werden dürfen, wie sie typischerweise in italienischen Brautschatzinventaren genannt sind.50 Zwei weitere Bänder mit Balasrubinen, Diamanten und Perlen sind ohne nähere Angabe der Verwendung angeführt, ehe drei explizit als Hauptband bezeichnete Kopfzierden aufscheinen. Eines ist nach mailändischer Art gefertigt und deutet somit auf die lokale modische Vielfalt hin. Schließlich finden noch Zöpfe mit Perlen Erwähnung, die wohl als Haarteile zu betrachten sind, wie sie sich ebenso in anderen Inventaren finden.51 Auf den Fresken und Tafelbildern des Simon von Taisten ist Paula jeweils mit Hauben abgebildet, die mit Perlenschmuck verziert sind.
Auf einem eigenen Folium folgt sodann die Aufzählung der Ringe. Insgesamt sind 28 Ringe genannt, darunter zwölf, die in einem Sammeleintrag auftauchen als: „Item zwelff guldene ringlen on stain(e), manig(er)lai arbăitt.“ Insbesondere Letztere verweisen auf den Umstand, dass Ringe zu den beliebtesten Geschenksartikeln zählten, die gerade bei Hochzeiten massenhaft getauscht wurden.52 Wir dürfen somit bei dieser Sektion davon ausgehen, dass Paula zahlreiche dieser Ringe als Hochzeitsgeschenke erhielt und wohl auch rasch wieder weiterschenkte. Neben Ringen mit diversen Edelsteinen fällt einer auf, der mit einem A aus Diamanten verziert ist. Die Initiale lässt sich jedoch nicht plausibel mit jemandem aus dem engeren Verwandtenkreis in Beziehung bringen. Einige Ringe sind mit Emailarbeiten verziert (geschmelzt). Kein Ring wird explizit als Ehering ausgewiesen.53
Bei allen Kleinodien ist zu beachten, dass die genannten Steine zum einen besondere Farb- und Lichteffekte hervorriefen, zum anderen symbolische Bedeutungen hatten und ihnen schließlich auch heilende und apotropäische Kräfte zugeschrieben wurden.54 Besonders der Koralle und den Perlen wurden heilende Fähigkeiten zuerkannt.55 Nicht zuletzt aus diesem Grund wurden Devotionalien wie Paternoster aus solchen Materialien gefertigt, die über die häufige Berührung und den Körperkontakt entsprechend positive Wirkungen entfalten sollten.
Den größten Teil des Inventars nehmen die Auflistungen von Textilien ein, die man grob in Kleidung und Textilien für den Haushalt unterteilen kann.56 Paulas Garderobe beginnt mit den so genannten Langen Röcken (lang rŏckh), worunter prächtige Übergewänder zu verstehen sind. Insgesamt besaß Paula vierzehn solcher Übergewänder, darunter gold- und silberdurchwirkte Stoffe in Gold-Weiß, Gold-Grün, Gold-Rot, Gold-Leberfarben57 und Silber-Leberfarben, aus schwarzem Samt, leberfarbenem Atlas, weißem Damast, Scharlach,58 brauner Grana59 und grauem Tuch.60 Die Aufzählung folgt dem Wert der Kleidung, der sich primär an der Kostbarkeit der Stoffe misst, beginnend mit den teuersten. Weitere Details betreffen die Fütterung der Übergewänder und die Gestaltung der Brustteile mit Schillertaft und Zendl.61 Weiteren Wert erhielten die Kleider durch aufgestickte Perlen oder Rubine, Verzierungen in Gold und Silber, Schnüre und Borten sowie Pelzfütterungen, die wohl auch dem kälteren Klima im Görzer Gebiet Rechnung trugen. Unterschieden wird ferner nach der Gestaltung der Ärmel in enge und offene. An ikonographischen Details wird eine aus Perlen gestickte Turteltaube auf dem schwarzen Samtrock erwähnt. Der Rock aus grauem Tuch weist an einem Ärmel die in Silber gestickten Buchstaben ABC auf. Ein weiterer Rock aus grauem Tuch hat ein Goldgeschmeide in Gestalt einer Windmühle.
Betrachtet man erneut die bildlichen Darstellungen Paulas auf dem Fresko Tod Mariens in der Schlosskapelle von Bruck, so könnte man schließen, dass das abgebildete gelbe Kleid wohl dem vierten aufgelisteten langen Rock entsprach, wenngleich es noch an der linken vorderen Kante einen Schmuck aus Perlen und einem Rubin aufweist:
„Item ein gulden lebervarbn rockh mit engen erbl(e)n, verp(rä)mt / mit einem rottn gulden tŭch, unndterfŭtert mit prawn(n) / zendl.“62
Auf dem Fresko der Schutzmantelmadonna in der Kapelle von Bruck ist Paula mit einem roten Kleid abgebildet, vielleicht der dritte der genannten langen Röcke:
„Item ein gulden rotten rock mit engen erbl(e)n, gesprengt / mit perlein auf dem prăm63 und auf den erbl(e)n, / unndtertzogen mit grŭnem zendel.“64
Auf dem Tafelbild des Elisabethwunders trägt sie schließlich ein einfaches braunes Kleid, das an der Brust einen Perlendekor aufweist und wohl am ehesten mit dem elften genannten Rock übereinstimmen könnte:
„Item ein praw̆n rock de grana mit engen erbl(e)n, forniert / mitt kăttern 65 von schnŭren.“66
Auf die wertvollen Übergewänder folgt die Sektion der Mäntel, in der neun genannt sind: aus rot-goldenem Tuch, mit grünem Zendl gefüttert; in Weiß-Gold, mit Fransen und braunem Zendl gefüttert; aus leberfarbenem Atlas, mit grünem Zendl gefüttert; aus weißer Seide mit goldenen Fransen; aus grünem Damast mit grünem Zendl; aus braunem Zendltort67, mit Seidenborten verziert; zwei kurze Mäntel in Weiß-Gold, mit Fransen und Goldverzierung und in einem blauen, schweren Seidenstoff (Tobin)68 mit goldenen Fransen; sowie ein „einfacher“ Mantel aus schwarzem Zendltort.
An diese Sektion schließen sechzehn Überröcke an, die wieder in einer eigenen Abteilung genannt sind. Im Unterschied zu den langen Röcken handelt es sich hier um Überkleidung ohne Ärmel. Die Ärmel sind separat aufgelistet. Zudem fehlen diesen Überkleidern wertvolle Applikationen aus Perlen und Edelsteinen, dafür sind sieben mit wärmenden Pelzen gefüttert. Ein solches braunes Überkleid trägt Paula beispielsweise auf dem Votivbild des Flügelaltars von Schloss Bruck. Genannt sind hier Überröcke aus grün-goldenem Tuch, mit braunem Zendl gefüttert; aus leberfarbenem Samt, mit alexandrinischem69 Zendl unterzogen; aus rotem Samt, mit alexandrinischem Zendl gefüttert; aus grünem Atlas, mit Goldfäden geschmückt und gefüttert mit alexandrinischem Zendl; aus silberfarbenem Atlas, mit braunem Zendl gefüttert; aus blauem Atlas mit Pelz70; aus leberfarbenem Damast mit Pelz; aus weißem Damast und pelzgefüttert; aus schwarzem Damast und pelzgefüttert; aus schwarzem Samt; aus grünem Tuch, mit rot-goldenem Tuch geschmückt; und aus grauem Tuch mit schwarzem Samt. Ein kurzer Überrock aus Scharlach ist mit schwarzem goldenen Tuch geschmückt. Zwei Röcke aus braunem Tuch weisen ein dem Schreiber offensichtlich unbekanntes Füllmaterial Endesini71 auf, während ein letzter grauer Rock mit Fuchspelz gefüttert ist. Zu beachten ist hier wie bei den Mänteln, dass die Fütterungen meist eine andere Farbgebung aufwiesen und damit Farbspiele ermöglichten.
Der folgende Abschnitt listet vierzehn Unterröcke auf, die man unter der Überkleidung trug und wohl auch zu weniger formellen Anlässen. Auf dem Fresko Tod Mariens scheint sich in der Tat ein blaues Unterkleid unter dem langen Rock zu zeigen. Wie die Überröcke sind auch diese Röcke ohne Ärmel und weniger prächtig als die eingangs genannten langen Röcke gehalten. Genannt sind ein gold-roter Unterrock, mit Pelz gefüttert und mit silbernen Ketten geschmückt; einer aus blauem silbernen Tuch, mit Leinen gefüttert und wie der erste geschmückt; sowie ein Rock aus blauem Atlas, mit rotem Leinen unterzogen und mit silbernem Geschmeide geziert. Es folgen Röcke aus rotem Damast mit rotem Leinen, aus grünem Samt mit grünem Leinen, aus leberfarbenem Damast mit weißem Leinen und aus schwarzem Damast mit rotem Leinen, alle mit roten goldenen Tuchen geschmückt. Ein Rock aus Scharlach ist mit Gold verziert, ein brauner Rock aus Grana mit einem goldenen blauen Tuch wie die anderen. Ein Unterrock aus grünem Tuch ist gefüttert mit Endesini und Pelz. Es folgen zwei weiße Unterröcke aus Barchent und einer aus leberfarbenem Damast mit Endesini. Aus der Reihe fällt der am Ende genannte Mantel mit Kappe aus Scarlatto, gefüttert mit rotem Atlas und mit goldenem Tuch geschmückt, der vielleicht als Geschenk später hinzukam und möglicherweise deshalb in der italienischen Vorlage (aus Platzgründen?) hier ergänzt wurde.
Nach den Röcken nennt das Inventar in einem eigenen Abschnitt die Ärmel, die an den Röcken befestigt wurden, wie auf dem Stifterbild des Altars von Schloss Bruck erkennbar, wo Paula zu einem braunen, an der Brust mit Perlen bestickten Kleid grüne, mit Perlen bestickte Ärmel trägt. Ein Schlitz an den Ärmeln sowie das ausgeschnittene braune Kleid lassen ein weißes Unterkleid mit braunem Rand am Hals erkennen. Zwanzig Paar Ärmel finden sich in dieser Sektion des Verzeichnisses, manche davon kostbar geschmückt: Ärmel aus rotem Atlas mit Perlen und Rubinen, rot-silbern gewirkte mit reliefartig erhabenem Blumenschmuck, grün-gold durchwirkte mit erhabenem Schmuck, ebenso die folgenden weiß-goldenen Exemplare. Es folgen braun-silberne Ärmel, mit gezogenem Gold und sechzehn silbernen Ketten geschmückte, leberfarben-goldene, weiß-goldene, solche aus rotem, braunem und grauem Samt, aus rotem, grünem, blauem und silberfarbenem Atlas, aus schwarzem Samt, aus schwarzem Zendltort und schließlich drei in „mannigerlei Farben“.
Weiters erhielt Paula elf Brusttücher, das erste wieder kostbar aus braunem Samt mit Perlen und Rubinen in der Form eines Granatapfels verziert, zudem ein goldgrünes, ein rotes aus Atlas mit goldenen Knöpfen, ein golden-rotes, eines aus schwarzem Samt mit Perlen, eines aus rotem Atlas mit gezogenem Gold und Silber, eines aus rotem Damast mit Gold und weitere vier aus Samt in verschiedenen Farben. Kostbar waren auch die zwölf Gürtel, die das Inventar nennt – leider sind auf keiner Abbildung Paulas Gürtel zu sehen. Im Verzeichnis finden sich goldene und silberne sowie solche aus Damast. Geschmückt sind sie mit Spangen und Ringen. Einer wird näher bezeichnet als „auf französische Art“, während ein anderer als silbernes Kettl spezifiziert wird, das als Gürtel verwendet wurde.
Die Gürtel beenden die Auflistung der kostbaren Kleidung, auf die nun der Abschnitt der Paramente folgt, unter der Überschrift „Bettzier“ verzeichnet. Hier finden sich jedoch nicht nur die wertvollen Textilien für das Bett, sondern gleichfalls weitere Paramente und Tapisserien zur Ausstattung der Gemächer Paulas. Das Schlafzimmer gehörte wie die Kammern des Frauenzimmers zu den herausragenden Repräsentationssphären der Fürstinnen, nicht zuletzt in der Zeit des Wochenbetts. Im französischen Kontext wurde für diese kostbare Ausstattung der Begriff der Chambre aux parements (Kammer) geprägt.72 Wenngleich für Mittelalter und Renaissance die Kategorien privat – öffentlich mittlerweile als anachronistisch verabschiedet wurden, eröffneten die Gemächer mit unterschiedlichen Formen der Zugänglichkeit ein Spiel mit skalierten Stufen der Nähe zu Fürstin und Fürst.73
Paula erhielt hier einen Bettvorhang aus goldenem Tuch mit Betthimmel sowie drei leberfarbene Vorhänge aus Zendl mit goldenen Rändern. Eine weitere Bettausstattung bestand aus einem Vorhang aus grünem, wohl geblümten Stoff mit Himmel und vier weißen Leinenvorhängen. Zudem besaß sie ein „Zelt“ aus Leinen mit einem Kopfbesatz in Gold-Grün.74 Ferner erhielt sie sieben Teppiche, vier werden als „de strana“ näher bezeichnet, also wohl – aus dem Mantuaner Horizont des Inventars – fremder Herkunft oder mit exotisierenden Motiven. Es folgen ein mit Figurenschmuck gestaltetes Parament zur Verkleidung der Türen, acht Banktücher, vier mit figurativem Schmuck und zwei im beliebten Blumendekor (mille fleurs) gehalten, eines mit Blumen und heraldischem Schmuck und ein weiteres mit Blumen und Tieren. Zwei große Wandtapisserien weisen wieder Blumendekor auf und zwei weitere figurativen Schmuck. Insgesamt dokumentiert die reiche Ausstattung an Tapisserien den ersten Höhepunkt der Arazzikunst am Gonzagahof.75 Die Farben Rot (Rot/Weiß) sind zugleich die heraldischen Farben der Gonzaga.77