Stefan Krull
Frederik und ich
Eine Geschichte vom Reisen
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Karten auf den Tisch – es wird konkret
Auf geht’s!
On the road
Kälte
Camperalltag
Revolution im Paradies
Urlaub im Urlaub!
Hauptgewinn
Unendliche Weiten
Auge in Auge mit Paulchen Panther und Vampiren
Von Haien und Delfinen
Dicke Luft
Die Entdeckung der Langsamkeit
Boys of Summer oder Der Soundtrack zur Reise
Strand, Strand, Strand
Lost in Einöde
Krokodile zum Geburtstag
Bula
Warm werden mit Tonga
Auf dem Wasser
Eine Insel fast für uns alleine
Welcome to paradise
Alles „muy bien“
Allerlei Merkwürdigkeiten: Tahiti zum Zweiten
Im Entspannungsmodus
In den Straßen von San Francisco
It never rains in Southern California
San Francisco – London – Berlin – Potsdam
Epilog
Impressum neobooks
Frederik und ich
Eine Geschichte vom Reisen
Ostküste
„Und im Sommer fahren wir nach Australien. Und Dubai. Und Sydney. In Dubai machen wir dann Pause, spazieren ein wenig umher, machen „Kaffee und Kuchen“ und gehen dort auch pullern. Und im Flugzeug können wir etwas essen und Kino gucken. Was sprechen die eigentlich in Australien, Papa, auch Hebräisch?“ So oder so ähnlich sprudelte es aus Frederik heraus, wenn er auf die große Reise im Sommer angesprochen wurde. Und dann folgte die ganze Tierwelt, wobei es ihm besonders die Wasserbewohner angetan hatten: Haie, Krokodile und natürlich auch sein ganz persönlicher Favorit: der Sägefisch. Keine Ahnung warum, aber der Sägefisch stand ganz oben auf seiner Liste: „Wie dick sind die Scheiben im Aquarium?“ „Dick, wieso?“ „Weil der Sägefisch sie sonst durchsägt und dann der Sägefisch herauskommt. Wie isst ein Sägefisch eigentlich?…“ Am Anfang stand die Frage: Wie schaffe ich es, bei drei Kindern, einer berufstätigen Frau und meinem Job endlich wieder eine längere Fernreise hinzubekommen? Meine ersten Ideen oder eher Phantastereien kreisten bereits um ein halbes Jahr – mindestens – Auszeit nur für mich alleine in Australien, ein bisschen Asien und vielleicht noch Nordamerika. Das scheiterte allerdings am verständlichen Veto meiner Frau. Ich weiß nicht mehr ihre exakte Wortwahl, aber es muss irgendetwas mit „Bist du total durchgedreht? Wie kannst du allen Ernstes überhaupt ansatzweise in Erwägung ziehen, mich mit drei Kindern so lange alleinzulassen?“ gewesen sein. Ich befürchte, nicht einmal ernstgenommen hat sie mich – und das vielleicht auch noch aus gutem Grund. Es musste etwas Konkreteres, Kompromissfähigeres, Realistisches für die gesamte Familie her. Neue Überlegungen schlossen nun die Familie mit ein und berücksichtigten immer noch Australien, jetzt mit einem größeren Fokus auf die indonesische Insel Sulawesi. Aber irgendwie war ich mit meinen Plänen für Frederik noch nicht zufrieden. Meine beiden Töchter waren schon älter und selbständig genug, um sie eine Zeit lang mit meiner Frau in Potsdam zu lassen. Wie sollte das aber mit Frederik aussehen? Der war erst vier Jahre alt und offensichtlich ja fest mit in meinem Team. Aber „wie“ und „wohin“ sollte es gehen? Ein nicht unwesentlicher Aspekt dabei war natürlich die personelle Zusammensetzung der Truppe. Dreh- und Angelpunkt gerade im ersten Teil der Reise war vor allem meine Frau Antje. Antje stammte aus den Tiefen der Uckermark, kennengelernt hatten wir uns während unserer Zeit als Austauschstudenten in Schweden. Wir befanden uns auf der Schwelle unseres dritten Beziehungsjahrzehnts, kannten uns also schon seit einiger Zeit. Wobei bedacht werden muss, dass „kennen“ in meiner ostwestfälischen Heimat als Synonym für „Ich würde dich glatt auch ein zweites Mal heiraten wollen“ durchgehen würde. Mit an Bord waren zudem unsere beiden Töchter Josefine und Valerie. Josefine war mit ihren 11 Jahren voll und ganz mit ihrem Leben als Kanutin beschäftigt. Ihr fiel vieles wie von selbst zu und sie vermittelte den Eindruck, mit sich selbst im Reinen zu sein. Die 8-jährige Valerie könnte man eher als ruhigeren, sensibleren Typ beschreiben, die zwar auch offen-neugierige Züge offenbarte, aber doch eher still in sich hinein lächelte als lautstarke aufzutrumpfen. Außerdem waren die beiden Mädels immer für eine Überraschung gut. Wie anders war es zu interpretieren, wenn die Antwort der Mädels auf die offene Frage: „Wohin würdest du reisen, wenn du die freie Wahl hättest?“, die Städte Paris, London und Pisa auf ihrem Wunschzettel ganz oben zu finden waren. Pisa? Wieso denn nun ausgerechnet Pisa!? Nicht zu vergessen Frederik. Zu Frederik muss man wissen, dass er mit einem Gendefekt das Licht der Welt erblickte. Diese „Spontanmutation“, wie man uns mitteilte, äußert sich in einer schweren Hauterkrankung, einer Verhornungsstörung. Kurz: Frederik erregt allein durch sein Äußeres automatisch Aufmerksamkeit. Die Krankheit an sich gibt es so eigentlich gar nicht, zumindest findet man nichts darüber. „Olmstedt-Syndrom“ nennt man es, heilbar ist es nicht. Eine genaue Beschreibung fällt mir schwer: Frederiks Haut schuppt ständig und viel, große Hautpartien sind rötlich gefärbt. Vielleicht ähnelt es ein wenig einer großflächigen Neurodermitis, allerdings ohne diesen furchtbaren Juckreiz. Leider sind eher die Reaktionen seiner Umwelt auf sein Erscheinungsbild das eigentliche Problem. Viele, hauptsächlich Erwachsene, meinen, immer alles kommentieren zu müssen – ohne Rücksicht auf irgendwelche Befindlichkeiten. Natürlich kreiste bei uns auch die Idee im Hinterkopf, dass sich eine mehrmonatige Reise mehr oder weniger in ständiger Nähe salzhaltiger Luft, Sonnenschein und Urlaubsstimmung positiv auf Frederiks Haut auswirken würde. Zuvor war ich schon einmal mit ihm ans Tote Meer gereist, leider ohne nachhaltige Verbesserung. Vielleicht sollte es ja diesmal klappen. Und dennoch: Frederik war ein lustiger, schlagfertiger, fröhlicher, vor Wortwitz strotzender vierjähriger Frechmops, der nie um eine Antwort verlegen war und noch wenig von seiner Erkrankung zu ahnen schien. Was war also mit diesem Sprücheklopfer möglich, was nicht. Was musste berücksichtigt werden, was nicht? Neue, ausgefeiltere und überzeugendere Pläne wurden konzipiert und überarbeitet, alle möglichen Eventualitäten durchgespielt. Das Ergebnis konnte sich mehr als sehen lassen: Zunächst einmal sollte es mit der ganzen Familie für knapp sieben Wochen an die australische Ostküste gehen. Australien schien eine gute Wahl zu sein. Vor genau 25 Jahren war ich schon einmal dort gewesen – wie es sich gehörte, nutzte ich damals die Zeit zwischen Abi, Bundeswehr und Studium sinnvoll mit Reisen. Das Klima schien kalkulierbar, verlässlich und medizinisch vertretbar. Zudem befanden wir uns in einer von westlichen Standards geprägten Welt. Hier würden wir uns also auf absolut sicherem Terrain bewegen, die Ostküste erschien als perfekter Einstieg für eine längere Reise. Vieles sprach also für Australien, warum folglich nicht gleich dort bleiben! Sulawesi musste sich erst einmal ganz hinten anstellen. Wenn die drei Mädels also den Heimflug antreten würden, sollte es für Frederik und mich von nun an als mobile Zweier-WG für gut vier Wochen an die Westküste Australiens gehen. Ein guter Plan! Anschließend wurden sämtliche Ausflüge oder Routen in das feucht-warme Schwüle versprechende Südostasien ganz aus dem Programm gestrichen und durch kühle Brisen und ein verträglich-angenehmes Meeresklima ersetzt. Genau das, nicht mehr oder weniger, erhoffte ich mir nämlich von der neu ins Programm aufgenommen Passage durch die Südsee. Vor allem selbstverständlich wegen der gesunden, salzhaltigen, verträglichen Luft – aber auch um ganz nebenbei noch meinen heimlich und lang geträumten Traum vom Südpazifik auszuträumen. Ein nahezu genialer Schachzug. Abgerundet werden sollte das alles durch einen weiteren Geistesblitz: Ich erinnerte mich plötzlich an gute Freunde, die mittlerweile in San Francisco lebten, also in einer der schönsten Städte in einer der schönsten Regionen. Der Besuch in San Francisco schien folglich als die ideale Kombination, alte Freundschaften aufzufrischen und die Reise um zwei Wochen in perfekten klimatischen Bedingungen und bei extrem hohem Wohlfühlfaktor zu strecken. Verwunderlich, warum war ich darauf nicht schon viel früher gekommen? Das lag doch förmlich auf der Hand. Das schien also in vielfacher Hinsicht ein spannender Urlaub werden zu können.
Wenn die ersten Erlebnisse richtungsweisend für eine Fahrt sein sollten, was, bitte schön, war denn davon zu halten: Ich hatte gerade erst die Haustür hinter mir zugezogen, war noch nicht einmal die Stufen vor unserer Haustür hinuntergeschritten, da holte ich mir bereits den ersten Anpfiff ab. Eine Freundin hatte es wohl nett gemeint und mir noch schnell „Alles Gute“ gemailt, da hagelte es auch schon auf mich ein, wie ich denn ausgerechnet jetzt noch auf eine SMS antworten könne. Dabei wollte ich doch nur höflich sein. Als Nächstes fuhren wir auf dem Weg zum Flughafen auf der Berliner AVUS in einen, wie sich später herausstellte, zum Glück nur kurzen Stau, und dann schlief Frederik auch noch ein. Oder war das bereits ein gutes Zeichen? Den Flieger haben wir zumindest nicht verpasst und Frederik hätte im überhitzten Auto im Stau auch leicht ganz anders reagieren können, als friedlich zu schlummern. Das Einchecken wurde ebenfalls spielend erledigt – warum aber immer das Gleiche: Egal, ob ein Wochenende in Stockholm, zehn Tage in Israel oder eben ein Vierteljahr Pazifik, mein Rucksack wiegt immer zwischen 14-16 kg, in diesem Fall exakt 15.6kg. Im Flieger nach London ging es dann gleich weiter mit den Merkwürdigkeiten. Auf den Monitoren fand bei der Darstellung der Reiseroute jede noch so kleine Ortschaft Erwähnung, Paderborn, Gütersloh, Münster…; nur eben meine doch viel größere und bedeutendere Heimatstadt Bielefeld nicht. Natürlich war das gleich wieder eine Aufregung wert und dabei wollte ich doch die ganze Sache ruhig und entspannt angehen. Die drei Mädels saßen im Flieger etwas versetzt hinter uns, das Non-Stopp-Gequassel des nun etwas überdrehten Frederik haben sie so gar nicht mitbekommen. „Du `crazy monkey`, das heißt `verrückter Affe`!“, wurde mir unvermittelt an den Kopf geworfen. „Woher weißt du denn das?“ „Das steht so auf meinem Schlüppi!“ Und das Ganze dann bei mittlerer Lautstärke! Zum Glück verstand uns ja auf einem Flug nach Sydney über London und Dubai nicht automatisch jeder und die Zeit verging so natürlich wortwörtlich „wie im Flug“. Der wenige Stunden dauernde Zwischenstopp in Dubai verlief eher unspektakulär, was aber auch nicht tragisch war. Von den berühmten Wolkenkratzern war weder bei Start noch bei Landung irgendetwas zu sehen, vielmehr waren wir damit beschäftigt, den latent schlecht durchbluteten Beinen wieder ein wenig Leben einzuhauchen, die eigene Müdigkeit und die der Kinder zu bekämpfen oder endlich ein Örtchen zum Zähneputzen zu finden. Dabei waren ja erst gut sieben Stunden der Strecke zurückgelegt, es wartete noch gut die doppelte Zeit (Nacht-)Flug auf uns. Und richtig, keine 14 Stunden später wurde der Landeanflug auf Sydney eingeleitet. Höchste Zeit also, auf meinem Handy „Great Southern Land“ von Icehouse einzuspielen; das hatte ich schon lange geplant, diesen Song der australischen Band beim Landeanflug zu hören. Und endlich erwachte auch die Dame neben mir wieder, was einer kleinen Sensation glich, hatte sie doch fast den gesamten Flug mit offenem, leicht sabberndem Mund und einigen undefinierbaren Geräuschen verschlafen. Es stimmte mich nicht gerade ruhiger, als sich eben diese Dame nun mit leicht glasigen Augen auf dem Fragebogen der australischen Einreisebehörde geradezu erschreckend lange mit der Sequenz zur möglichen Ebola-Infizierung beschäftigte – als einzige, wie ich da noch dachte. Sollte ich misstrauisch und vorsichtig werden? Später stellte sich allerdings heraus, dass einfach nicht genug Einreiseformulare für alle Fluggäste vorrätig waren und daher zahlreiche Passagiere dieses Prozedere im Flieger noch erspart blieb. Erst als alle anderen auch einen solchen Bogen im Flughafengebäude wie selbstverständlich in die Hand gedrückt bekamen, wurde ich wieder ein wenig gelassener. Apropos Einreiseformalitäten. Wie gesagt, im Flieger waren nicht genügend dieser Fragebögen vorhanden, was man leider mehr als unglücklich nennen konnte. Denn für den Großteil der Passagiere, die folglich leer ausgingen und in die Röhre gucken mussten, begann nun eine ebenso überflüssige wie rege Betriebsamkeit. Innerhalb kürzester Zeit mussten auf dem Weg zwischen Gangway und Passkontrolle Kreuzchen gesetzt, Flugnummern, Visa und Reisepässe herausgesucht oder persönliche Fragen beantwortet und eingetragen werden. Und das alles um 5.00 Uhr morgens, übermüdet nach zig Stunden Flug und in unserem Fall natürlich gleich für fünf Personen. Doch eilte in Gestalt einer Stewardess für uns Hilfe von unerwarteter Seite herbei: Dieses engelsgleiche Geschöpf hatte nach ihrer fraglos anstrengenden Schicht offensichtlich nichts Netteres zu tun, als uns unbedarften Touristen ein weiteres Mal aus der Patsche zu helfen und sich mit uns durch die Einreiseformalitäten zu kämpfen. Wow, wie gesagt, sollte so etwas exemplarisch für den weiteren Fortgang der Reise sein, dann war ja alles wunderbar. Da standen wir also nun, hoffnungsvoll und voller Erwartungen im dunklen, vom Nieselregen heimgesuchten und langsam erwachenden, frühmorgendlichen Sydney. Das also war Australien – war das Australien? Und erneut stellte sich die Frage: Sollte dieses Gefühlsgemengel einen Vorgeschmack auf die nächsten Wochen liefern? Von den weltbekannten Highlights Opera House oder Harbour Bridge war weit und breit nichts zu sehen. Stattdessen schlichen wir auf der Suche nach einem Café bei eher erfrischenden Temperaturen durch die sich langsam füllenden Straßen der winterlichen, nasskalten Metropole. Sollte da etwa im Vorfeld etwas verklärt worden sein? Doch wie so häufig, es funktionierte auch dieses Mal: Nach einem Frühstück, sprich heißem Kaffee und Süßteilchen, sah die Welt in Sydney schon wieder anders aus, wie im Film schob sich die Sonne an den weichenden Wolken vorbei, erste Blicke konnten aus der Distanz auf die Harbour Bridge geworfen werden und schon ergab sich ein ganz anderes Bild. Die Häuserschluchten von Downtown erschienen nun bei weitem nicht mehr abweisend kühl, sondern einladend interessant. Na also, es ging doch. Erster touristischer Anlaufpunkt für uns in Australien sollte das Aquarium sein, es versprach neben Wärme und Menschen vor allem auch frühe Öffnungszeiten: ideal für Jetlag-Geplagte. Vor allem Josefine überraschte mit unvermutetem Ganzkörpereinsatz. Die Seekühe schienen es ihr besonders angetan zu haben, anders war es nicht zu erklären, dass sie nicht nur lange Zeit dort verweilte, sondern bei der Verfolgung der agilen Schwergewichte gleich mit dem Kopf gegen die dicken Scheiben des Aquariums donnerte. Faszination oder Übermüdung, es war egal. Diese Geschichte der ersten Urlaubsstunden sollte uns als running gag schließlich die ganzen Ferien über begleiten – sehr zum Verdruss von Josefine. Von dem Besuch dermaßen beeindruckt ging es folgerichtig am nächsten Tag in den Taronga-Zoo von Sydney, um dort ein wenig in die heimische Tierwelt hineinzuschnuppern. Man muss ja nicht gleich ein großer Tierfreund sein, um sich für einen Zoo begeistern zu können; in diesem Fall reichte bereits die atemberaubende Überfahrt mit der Fähre unter einem wolkenlosen Himmel, vorbei an den Wolkenkratzern der Innenstadt, der Harbour Bridge und dem Opernhaus. Da verschlug es einem wirklich die Sprache und man wusste sofort, warum Sydney als eine der schönsten Städte der Welt gilt. Und wer sich an dem Panorama nicht satt sehen konnte, der war im Taronga-Zoo genau richtig, schlängelten sich doch die Wege entlang der Gehege leicht bergab, sodass man fast die gesamte Zeit über den Blick auf die Skyline und den Hafen werfen konnte. Die zweifelsohne interessante Fauna fand bei dem einen oder anderen Besucher wahrscheinlich unverdientermaßen nicht die Beachtung, die sie eigentlich verdient, aber so ist es nun einmal. Und man kann sich ja auch damit trösten, die einheimischen Tiere doch viel lieber in freier Wildbahn genießen zu wollen. Abgerundet wurde der Tag noch mit einem Besuch in der Oper. Ich hatte ja alle anderen gefragt, aber mitkommen wollte keiner. Für mich war der Besuch ein unbedingtes Muss, war ich doch schon bei meinem ersten Australienaufenthalt vor 25 Jahren dort gewesen. Damals gab es eine Operette – aber bitte nicht noch einmal! Nicht, dass ich Ahnung von dieser Art von Unterhaltung hätte, aber diese albernen Operetten sind wirklich nicht mein Ding. Ganz im Gegenteil, ich hatte definitiv Glück. Ryan Adams gab sich die Ehre. Nicht der gute alte „Summer-of-´69-Bryan Adams“, sondern Ryan Adams, ein Vertreter der guten, eher ruhigeren Rockmusik und den „GALA“-Freunden vielleicht eher noch als Ex der zauberhaften Winona Ryder im Gedächtnis. Genau das Richtige also für den immer noch mit dem Jetlag-kämpfenden Stefan. Ich schlug rechtzeitig auf, um zuvor in aller Ruhe noch ein verdientes Bierchen zu konsumieren und ein wenig Tabak einzuschmeißen. Die Planungen verliefen also optimal, aber ob das Konzert auch gut war? Ryan Adams saß einsam in dem durchgängig bestuhlten großen Saal mit seiner Gitarre auf dem Schoß allein auf der Bühne, manchmal entlockte er noch dem Klavier oder einer Mundharmonika ein paar Töne – seine Instrumente hatte er im Griff, keine Frage. Das Beste aber war der Humor von Ryan Adams, der irgendwo zwischen trocken-ironisch und beleidigend-sarkastisch angesiedelt werden muss. Den ganzen Abend trieb er seine Spielchen mit dem Publikum, ein Wunder dass nur einige wenige das Konzert verließen, die dann natürlich mit üblen Kommentaren seitens Adams abserviert wurden. Ein Zyniker vor dem Herrn! Ich hatte jedenfalls einen vergnüglichen Konzert-Abend, soweit das überhaupt jemand beurteilen kann, der den ganzen Tag im Zoo verbracht hatte und nur einen Monat zuvor noch Gast bei einem Kiss-Konzert war… Mit diesem kulturellen Highlight war der Abend, oder besser die Nacht, aber noch lange nicht gelaufen. Frederik holte noch zu einem ersten verbalen Keulenschlag aus: Offensichtlich hatte auch er den Jetlag noch nicht abgeschüttelt. In dieser für alle anstrengenden Nacht, in der er sämtliche Familienmitglieder terrorisierte und gegen sich aufbrachte, verlor eine angefressene Antje gegen vier Uhr morgens Fassung, Beherrschung und Nerven zugleich und wurde mehr als deutlich. Worauf Frederik nur auf seine lakonische Art antwortete: „Und du bist eine Heulsuse!“. Das saß. Zugegebenermaßen etwas unausgeglichen ging es am Tag darauf mit der Bahn ins Umland, um einen Blick auf die Blue Mountains zu werfen. Neben dem Vorgeschmack auf Kälte bekamen wir hier ebenso anschaulich wie skurril vor Augen geführt, dass es sich beim australischen Juli um einen Wintermonat handelte. Werbeschilder versuchten uns Glühwein schmackhaft zu machen, und aus dem einen oder anderen Schaufenster lugte ein Weihnachtsmann heraus, wobei man sich im Juli sicherlich fragen musste: „Steht der da schon oder noch?“. Überhaupt sollte mich in der nächsten Zeit noch vieles an einen typischen Altweibersommer erinnern. Eine herbstliche Kühle, der stahlblaue Himmel und die zahlreichen gelben Blätter an den Bäumen riefen immer wieder diese Stimmung hervor. Da passte es ja wie die Faust aufs Auge, dass ein klassischer Altweibersommer eigentlich als meine persönliche Lieblingsjahreszeit gilt. Also kein Grund zur Sorge, die Ferien liefen nicht schlecht an. Was jetzt noch ganz oben auf der Sydney-to-do-Liste stand, war ein Abstecher an die legendären Strände der Stadt. Egal ob Winter oder nicht, ein Bad war Pflicht und nichts hätte passender sein können als der Meerwasserpool am Bronte Beach. Zugegeben, es war frisch, aber das Urlaubsgefühl, das sanfte Tosen der Wellen, die bis in den Pool brachen, vermischt mit den sonnigen Traumstränden heizte einen gewaltig von innen ein und trieb die Kälte aus den Gliedern. Und schließlich waren wir ja nicht die Einzigen im Wasser. Man wagte sich auch gar nicht auszumalen, wie es hier im Sommer aussehen mochte. Und sofort schossen einem die im Internet kursierenden Bilder von den gut gefüllten Stränden, den Walen zwischen den Wassersportfreunden oder den dunklen (Hai-?)Flecken in der Surfwelle durch den Kopf. Aus lauter Vorfreude auf sommerliches Badewetter wäre beinahe die nette Anekdote mit dem Kookaburra untergegangen. Ein wahres Prachtexemplar saß fröhlich zwitschernd mitten am Strand von Bondi Beach und ich war natürlich begeistert, schon nach so kurzer Zeit im Land einen Kookaburra ausführlicher in Augenschein nehmen zu können. Und dann auch noch mitten in Sydney. Bis er dann plötzlich von seinem Beobachtungsast ins Dickicht schoss und einen großen Frosch mit seinem Schnabel packte. Das dachte ich jedenfalls. Die haarigen Beine des Frosches kamen mir zwar schon etwas spanisch vor, doch erst als ich mehr als zwei davon herumzappeln sah, dämmerte mir, dass sich das gute alte Federvieh keinen Frosch, sondern eine dicke, fette Spinne geangelt hatte. Holla die Waldfee! Die Mädels kommentierten das nun wieder mit einem „Oh, Spinnen sind ekelig“, womit auch mal wieder alle Vorurteile bestätigt schienen. Ich jedenfalls habe mich gefreut. Für einen anderen Aufreger musste wohl unfreiwillig ich die Verantwortung übernehmen. Eigentlich wollte ich nur am folgenden Morgen im Hotel die noch immer klatschnassen Socken der Mädels trocken föhnen. Das reichte aber schon aus, den äußerst sensiblen Rauchmelder aktiv werden und Alarm schlagen zu lassen. Dazu sollte man wissen, dass die Feuerwehr bei Feueralarm in Downtown Sydney keine Freunde kennt, da standen allein schon für das Ausrücken schnell Forderungen von 1000,- AUS $ im Raume – so zumindest der wohl nett gemeinte schriftliche Hinweis in unserem Apartment. Alle Beteiligten zeigten sich nun etwas nervös. Zunächst fragte die aufgeregte Servicekraft des Hotels telefonisch nach, ob alles in Ordnung sei, um kurz darauf höchstpersönlich zu erscheinen und alles im Zimmer durchzuchecken. Ich stellte mich unwissend – „Keine Ahnung, warum der Rauchmelder etwas gemeldet haben könnte“, das mit Socken-trocken-Föhnen musste ich ihr ja nicht auf die Nase binden. Das sollte mir erst einmal einer beweisen können. Die Küche war nachweislich auch noch nicht benutzt und die eventuell gegen mich als Zeugen aussagen könnenden Kinder hatten fast alles verschlafen, es war ja noch früher Morgen. Und da ja erstens in der Tat nichts passiert war, mir zweitens das Föhnen nicht bewiesen werden konnte, da drittens die Zeugen noch schliefen und viertens die Feuerwehr weder ausgerückt noch eingetroffen war, nahm alles schiedlich-friedlich seinen versöhnlichen Lauf. Die Servicekraft rückte ratlos von dannen, die Kinder schauten verwundert umher und ich putzte mir den kalten Schweiß von der Stirn. Langsam, aber sicher neigte sich nun auch die Zeit in Sydney dem Ende entgegen und es wurde höchste Eisenbahn, sich mit dem zukünftigen Camperleben anzufreunden. Ich als alter Campingfreund schaute dem schon mit etwas gemischten Gefühlen entgegen. Sechs Wochen zu fünft auf vielleicht 14qm, das hörte sich schon nach einer echten Herausforderung an. Aber zunächst musste man sich erst mit dem noch gänzlich unbekannten Camper vertraut machen. Dort, wo man in good-old-Germany eine mehrtägige Einweisung mit abschließender Prüfung und Zertifikat zu bestehen hätte, wurde hier in Australien von dem stets freundlichen Personal eine gut drei-minütige DVD in Englisch eingeschmissen und gut war es. Das glich dem berühmten Sprung ins kalte Wasser. Einweisung, Unterschrift, dass man auch alles verstanden und akzeptiert hatte, Schlüssel und Papiere in die Hand gedrückt und dann wurde man mit einem fröhlichen Schubser und „take care“ vom Parkplatz bugsiert. „Diesel, of course“, meinte man noch auf die Frage, was denn der Camper tanken würde, bei der Ausfahrt verstanden zu haben. „Nun gut, das war es dann und nun geht es los“, dachte ich, aber nun begannen erst die wirklichen und durchaus handfesteren Probleme. Ungewohnte Abmessungen des Gefährts; Armaturen, Schalter und Hebel natürlich nicht dort, wo sie sein sollten; ein noch gewöhnungsbedürftiges Automatikgetriebe; quengelnde Kinder a lá „Wann geht es endlich richtig los, warum stehen wir hier so lange, wann sind wir endlich da?“. In den Schatten gestellt wurde dies alles von allen anderen, ganz offensichtlich auf der falschen Straßenseite fahrenden Verkehrsteilnehmern. In einem Reiseführer vom Linksverkehr gelesen zu haben, ist halt das eine. Eine ganz andere Nummer ist es dann, sich plötzlich in einem eben solchen zu befinden und dort bestehen zu müssen. Getoppt wurde das dann noch mit dem Freitagnachmittag-Wochenendbeginn-Berufsverkehr mitten durch die 4,5 Millionen-Metropole Sydney – was andererseits aber auch die Rettung war, da es folglich nun im entspannenden Schritttempo voran ging. Und als wenn das noch nicht genug gewesen wäre, begann es anschließend bei einsetzender Dunkelheit auf der gänzlich unbekannten Strecke zu regnen. Fünf Minuten bevor schließlich der Campingplatz dichtgemacht hätte, erreichten wir unser erstes Etappenziel. Als wenn ich die ganze Zeit nichts anderes gemacht hätte, wurde der Camper wie selbstverständlich eingeparkt, Essen zubereitet, Betten gebaut und Wein und Snus – vereinfacht ausgedrückt schwedischer Tabak, den man sich unter die Lippe schiebt – genossen. Und mit einem Lächeln auf den Lippen bin ich dann wohl sanft eingeschlummert – glaube ich.
„Von Sonnenstrahlen wachgeküsst“ – ein herrlicher Gedanke. Und genauso durften wir es auf unserem ersten Campingplatz in Umina Beach erfahren. Abends schliefen wir noch leicht aufgeregt bei Regen ein, der nächste Morgen begrüßte uns dann ganz entspannt mit Sonnenschein und Vogelgezwitscher. Der erste Gang galt selbstverständlich dem Strand, wohin es am frühen Morgen bislang nur einige wenige Leute geschafft hatten. Grundsätzlich hätte der Strand aussehen können wie er wollte, aber es war nun einmal mein erster „richtiger“ Strand an der australischen Ostküste, daher darf ich ihn auch als Traumstrand verklären. Vielleicht war es ja auch wirklich so: eine sichelförmige, von üppig-grünen Hügeln gesäumte Bucht mit einem breiten, weißen Sandstrand, der so gut wie menschenleer die ersten Sonnenstrahlen begrüßte. Leichter Dunst schwebte über einer sanften Dünung, zwei bis drei Schwimmer teilten sich mit einem Stand-up-Paddler die weite Wasserfläche. Und wem das jetzt ein wenig zu kitschig klingt, dem sei gesagt, dass einen die Realität schon schnell genug wieder auf den ernüchternden Boden der Tatsachen holt. Stellen sich zum Beispiel die faszinierenden und verspielten Minikängurus vom Vorabend keine zwölf Stunden später bei Tageslicht als stinknormale Kaninchen heraus, ist man trotz aller berechtigten Australieneuphorie auch schnell wieder geerdet. In die gleiche Kategorie fielen übrigens die zahlreichen, im Straßenverkehr niedergemetzelten Kängurus, Koalas und sonstige Vertreter der doch so kuscheligen australischen Fauna, deren Anblick von nun an auf den Straßen ein zuverlässiger Begleiter sein sollte. Beim Frühstück konnten wir dann zudem die ganze Vogelvielfalt bewundern: Papageien, Ibisse, Kookaburras, Kakadus und sonstiges, von uns zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu identifizierendes Vogelvieh zog über unserem Camper hinweg oder präsentierte sich an der offenen Seitentür. Und wer noch nicht wusste, warum der Kookaburra bei uns auch als „Lachender Hans“ bezeichnet wird (übrigens: was für eine unoriginelle, ja langweilige Bezeichnung), dem wurde dies spätestens beim ersten Lachen/Zwitschern/Schreien klar. Nach diesem gelungenen Start in den Tag lieferte die Weiterreise weitere hinreißende Eindrücke. Besonders der kleine Zwischenstopp an der Pazifikküste bei Newcastle mit dem scheinbar perfekt abgestimmten Zusammenspiel von Sonne, Sand und Brandung hinterließ bei uns allen tiefe Spuren. Majestätisch, gewaltig, gelassen, fantastisch, beeindruckend, imposant, atemberaubend…, die Liste ließe sich beliebig fortführen und man fragte sich nicht, OB, sondern WANN man hier mit dem Surfen beginnen sollte. Weiter ging es entlang von Städten mit so wundervoll klingenden Namen wie Nambucca Heads oder Coffs Harbour. Das reizende Coffs Harbour sollte auch deshalb in lebhafter Erinnerung bleiben, da Frederik dort am Strand eine Trillerpfeife gefunden hatte. Nun glaubte er nicht nur, dass Mama und Papa nach seiner Pfeife tanzen sollten und auf sein Kommando zu hören hätten, sondern auch, dass die heimischen drei Pelikane von Coffs Harbour, die sich gerade unglücklicherweise in Hörweite befanden, sich von ihm herumkommandieren lassen würden. Was folgte, war ein permanentes Pfeifkonzert, verzweifelte Pelikane, ein breites Grinsen auf Frederiks Gesicht und leicht irritierte Eltern. Vielen Dank auch. Am dritten Campertag war es dann soweit. Es zeichnete sich ja bereits ab, nachdem die ersten brenzligen Situationen gerade noch mehr oder weniger bewusst umschifft oder glücklich abgewendet werden konnten: Die Neonbeleuchtung an der Tankstellendecke wurde von mir mit dem Camper zielgenau abrasiert. Ungläubig starrten wir uns an. Sollte ich das etwa gewesen sein, sollte ich für den Lärm und die herumliegenden Glasscherben verantwortlich sein? Was soll ich sagen? Kurz zuvor war ich noch leicht verunsichert bei der überdachten Durchfahrt unseres Campingplatzes ausgestiegen, um nachzusehen, wie es sich denn mit der Deckenhöhe so verhält. Das meinte ich offensichtlich nicht mehr nötig zu haben – oder war es einfach, dass ich leichtfertig keinen Gedanken mehr daran verschwendet hatte, nicht mehr mit dem ollen Ford Galaxy durch das heimische Potsdam zu kutschieren? Jedenfalls schlich ich nun leicht verunsichert und mit fragendem Blick kleinlaut aus dem Wagen. Zu meiner freudigen Überraschung folgte nun ein Paradebeispiel australischer „Don´t-worry-Mentalität“, von der sich viele eine Scheibe abschneiden könnten. Der junge Aussi an der Tankstelle ruhte geradezu in sich, verkörperte die Gelassenheit in Person: „Die Tanke wird in zwei Monaten sowieso renoviert, lass mal gut sein, ich fege das gleich mal weg.“ Dem folgte beiläufig noch ein „Fahr einfach wieder rückwärts heraus, damit die restlichen Leuchten noch heile bleiben“. Auf meinen versöhnlichen Small-talk-Versuch „Das passiert hier doch sicherlich öfter mit Touristen, oder?“, reagierte er nur erneut mit einem breiten Grinsen und einem tiefenentspannten „Nööö!“ Getankt haben wir dann aber auch noch. Ach ja, am selben Abend habe ich dann noch schnell beim Kochen den Rauchmelder im Camper ausgelöst. Ein zielsicherer Griff an die Decke und das Ding schwieg für den Rest der Fahrt. „Don´t worry, eben!“ Man lernt ja schließlich dazu. Eine Erfahrung ganz anderer Art war es dann, Bekanntschaft mit den legendären Roadtrains in Down Under zu machen. Mit bis zu 53,5 m Länge und 135 t Gewicht pflügen sie über die Straßen des Landes. Die aufgedonnerten Zugmaschinen sind sicherlich nicht nur etwas für PS-Nerds. Eigentlich fühlt man sich im Caravan schon sicher und erhaben, thront man doch ein wenig höher als der Großteil der Mitstreiter im Verkehr. Die Roadtrains setzen aber noch mal einen drauf. Die herausgeputzten Kühler mit ihren monströsen Bullbars versprühen eine beeindruckende und zugleich furchteinflößende Stimmung, wenn man bedenkt, dass sie im normalen Tagesgeschäft dazu dienen, stoische Kängurus von der Straße zu schieben. Und wenn einem dann so ein Roadtrain mit vielleicht 100 km/h begegnet, vielleicht auch noch auf einer engen Straße und Seitenwind, kann das einem schon einmal den kalten Schweiß auf die Stirn treiben. Glücklicherweise gab es aber auch viele andere, ausschließlich schöne Erlebnisse, die für die langen Stunden auf der Straße entschädigten. Auf jeden Fall gehört eine Fahrt über die Great Dividing Range von Ost nach West dazu. Der Start dafür erfolgte an einem der ungezählten Traumstrände der Pazifikküste. Schon nach wenigen Augenblicken schlängelte man sich durch ein sattes Grün die Serpentinen zum Küstenbergland hoch. Palmen, riesige Farne, Weine, Schlingpflanzen und auch Eukalyptus dominierten die Pflanzenwelt. Licht fiel höchstens noch durch die Schneise, die sich die Straße abenteuerlich durch den Regenwald bahnte. Und Gott sei Dank kamen uns hier keine Roadtrains entgegen, das hätte noch einmal eine richtige Herausforderung werden können. Auf der anderen Seite des Hauptkammes änderte sich dieses Szenario schlagartig. Das trockenere Klima gestattete Palmen und Farnen kaum noch Spielräume und langsam nahm der Eukalyptus überhand. Kurze Zeit darauf vollzog sich auch der Farbwechsel zu bräunlicheren Tönen, die uns dann so schnell nicht mehr verlassen sollten. Von Kilometer zu Kilometer wurde die zunehmende Trockenheit augenscheinlich, einzelne Eukalyptusbäume warfen Schatten auf die nun steppenartige Landschaft mit ihren schier endlosen Weiden. Rinder, Rinder, Rinder, dazwischen mal wieder Rinder und dann wieder Rinder und auch ein paar Schafe und ebenfalls einige Kängurus – diese leider eher leblos am Straßenrand – waren die einzige Abwechslung im Outback. Hätte man ausreichend Sprit, Trinkwasser und Zeit, wir hätten prima bis ins rote Herz Australiens durchstarten können oder auch gleich weiter bis zur Westküste des Kontinents. Wie gesagt, alles eine Frage der Planung und der Straßenbedingungen. Schon diese wenigen Kilometer auf den Highways Australiens reichten aus, um festzustellen, dass man mit seinen Zeitprognosen auf der Reise vorsichtig sein sollte. Wir – naja, ok, ich verschätzte mich so gut wie immer bei einer Zeitangabe für das nächste Etappenziel, fast immer kamen wir später an und das sollte auch im weiteren Verlauf der Reise so bleiben. Letztendlich war es ja auch müßig zu spekulieren, ob es denn an meinem sicherlich vorsichtigeren Fahrstil, am ungewohnten Camper oder an den nicht vertrauten Straßen lag oder daran, dass selbst der „Pacific Highway“, der ja eigentlich zügigen Verkehrsfluss versprechen soll, mitten durch die kleinsten Ortschaften führt und häufig durch Ampeln blockiert wird. An dieser Stelle sei aber auch einmal ausdrücklich ein Wort hinsichtlich des Kreisverkehrs verloren: Offensichtlich durften sich hier die Söhne und Töchter des Erfinders des Kreisverkehrs mal richtig austoben. Überall fand man sie, fast immer wohl-geformt und harmonisch an die Befindlichkeiten des Reisenden angepasst; mal auch mit Schwungnehmenden Vorschleifen, um die Geschwindigkeit schon im Vorfeld auf ein angemessenes Limit reduzieren zu können. Ein wahres Fest für eingefleischte Fans des Kreisverkehrs, die sich dann auch gerne mal bei einer Extrarunde erwischen lassen.
Schaut man auf den Wohlfühlfaktor, so muss die kleine Gemeinde Tenterfield einen Spitzenplatz einnehmen – zumindest aus Sicht der Kängurus. Auf dem lokalen Sportplatz ließen sie Fünfe gerade sein, genossen die hier wärmende Wintersonne auf ihrem gebeutelten Pelz oder lümmelten sich lässig am Torpfosten der lokalen Sportanlage. Einige verwegene ließen sich sogar zu ein paar Sprüngen für die knipsbereiten Touristen hinreißen. Das war also Tenterfield, ein Ort, den man ansonsten getrost vernachlässigen konnte und der daher nur zu einem Minutenaufenthalt auf der Fahrt zu zwei weiteren Nationalparks im hügeligen Hinterland herabgestuft wurde. Auf der Verbindungsstraße zwischen diesen beiden Parks, dem Bald Rock N.P. und dem Boonoo Boonoo N.P., machten wir dann zum ersten Mal Bekanntschaft mit den legendären Staubpisten des Landes. Es machte schon Spaß, eine schöne Staubfahne hinter dem Wagen herzuziehen oder für einige wenige Sekunden im Blindflug durch die Wolke des Gegenverkehrs hindurchzutauchen. Glücklicherweise mussten wir nicht den Staub eines möglichen Vordermannes schlucken und die Piste hielt auch nicht übermäßig viele Überraschungen in Form von Schlaglöchern für uns bereit. Boonoo Boonoo erschien uns dann als das Paradies an sich, wäre da nicht…; aber der Reihe nach. Die Wiesen rechts und links des Weges waren voll mit unseren hüpfenden Beutelträgern, das war natürlich genau nach dem Geschmack der Kinder. Und den Campingplatz im Wald hatten wir dann schön für uns allein. Auf einer ersten Entdeckungstour zum Fluss sichteten wir auch gleich reihenweise weitere Kängurus und für Bruchteile einer Sekunde konnten wir das herrliche Blau eines Eisvogels vorbeizischen sehen. Zeit wurde keine mehr verschwendet und die Kinder schleunigst zum Feuerholzsammeln zwischen den Kängurus abkommandiert. Im Nachhinein ist man ja immer schlauer, aber vielleicht war es dann doch nicht so clever, auf dicke Hose zu machen und sämtliche Kinder lautstark zum feierlichen Feueranzünden zusammenzutrommeln. Beim dritten Streichholz und vorletzten Taschentuch bin ich dann doch etwas nervös geworden, doch dann ist noch einmal alles gut gegangen, wenige Augenblicke später loderte das Feuer und ich konnte endlich wieder eine große Klappe haben – das Feuerholz war aber auch wirklich ganz schön kalt und klamm! Bei einem Wein genossen wir das kleine Lagerfeuer und die heißen Grillwürstchen, die uns umgebende einsame Stille und den einzigartigen Blick auf den phantastischen Sternenhimmel der südlichen Hemisphäre. Irgendwann zu vorgerückter Stunde, die Kälte kroch bereits durch unser sommerliches Schuhwerk, drängte sich der Ausspruch auf: „Hey, Zeit, sich aufs Ohr zu legen – wie spät ist es eigentlich?“. Und als die Antwort aus den gefühlten 21.30 Uhr tatsächliche 19.00 Uhr werden ließ, wurde ich wieder auf den frostigen Boden der Tatsachen zurückgeholt. Schnell wurde noch ein Scheit Holz auf das Feuer geschmissen, die Gläser aufgefüllt und so der aufziehenden Kälte einmal mehr ein paar Minuten erfolgreich abgetrotzt. Soweit zu den positiven Seiten des Abends. Was folgte, damit war so für uns in Australien nicht unbedingt zu rechnen: Ich kann mich auch nicht daran erinnern, jemals in einem Urlaub so gefroren zu haben, Skiferien eingeschlossen. Wenn man sich des Nachts trotz einer zum Bersten gefüllten Blase nicht mehr aus den wohligen Federn traut aus Angst, es nicht mehr rechtzeitig in den Camper zurück zu schaffen und einem Kälteschock zu erliegen; oder wenn man es nicht mehr wagt, sich im kuscheligen Bett umzudrehen, weil man ja eine kalte Stelle auf der so mühevoll angewärmten Matratze erwischen könnte; oder wenn man fürchten muss, mit seinen blanken Füßen auf dem Boden festzufrieren – ja, dann ist es wirklich furchtbar kalt! Klar, Australien gilt nicht gerade als Synonym für eiskalte Nächte, man stopft für einen Urlaub doch eher leichte Sommerkleidung in seinen Rucksack und denkt an warme Tage. Und der Camper wurde auf dem „unpowered campsite“ auch nicht weiter mit Strom versorgt. Und so kam, was kommen musste: Eine unvergessene, eiskalte Nacht. Allein beim Schreiben dieser Zeilen fröstelt es einen schon wieder. Die Mädels waren da schon ein bisschen cleverer: Die hatten sich den heißen Kartoffel-Kochtopf gesichert und damit ihr Bett angewärmt. Verdammt, darauf hätte ich auch selber kommen können. Der Morgen begrüßte uns dann mit kondensierendem Atem, der Gasherd wurde zur Standheizung umfunktioniert. Nichts, womit man in Camperkreisen angeben könnte, aber egal, der Zweck heiligt ja bekanntlich die Mittel. Im Nachhinein wusste ein Eisverkäufer – wer sollte es besser wissen – zu berichten, dass es die kälteste Nacht seit 15 Jahren gewesen sei. Wir glaubten es unwidersprochen. Es ist schon erstaunlich, aber genau diese Erlebnisse sind es ja auch, über die man später spricht, die einen Urlaub interessant machen, die haften bleiben und einen netten Urlaub zu einem wunderbaren Urlaub machen – aber eben erst im Nachhinein! Mit Geschichten über heiße Outbacktage oder den x-ten Sonnenuntergang am y-ten Traumstrand lockt man irgendwann keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervor, das wäre zu langweilig, und nur um Hitze zu erleben oder sich an einem schönen Strand zu aalen, muss man auch nicht mehr bis Australien. Erheblich zu diesem positiven Höhenflug beigetragen hat natürlich auch der folgende Morgen, ein mindestens ebenso unvergessliches, zum Glück wunderbares Erlebnis: Die Kombination aus wärmenden Gedanken und heißem Kaffee, wolkenlosem Sonnenaufgang und leichtem Tau auf Gräsern und Blättern, waberndem Nebel über dem kleinen Flüsschen und einer erwachenden Tierwelt mit Kängurus und Eisvogel war dann schließlich unschlagbar. Wenn ich irgendwann einmal für eine Kaffeewerbung verantwortlich wäre, dieser Ort zu dieser Zeit mit einer Tasse Kaffee in der Hand und einem zufrieden lächelnden Stefan würde bestimmt nicht der schlechteste Einfall sein. Neben der Natur trieb auch die Kultur weiterhin beeindruckende Blüten. Sprachlich bewegte ich mich offensichtlich noch immer auf recht dünnem Eis. Hin und wieder kam man ja auch mit den lokalen Bevölkerungsteilen ins Quatschen und bei einer dieser Gelegenheiten stellte ich eine Frage, bei der ich mir ganz sicher sein konnte, dass es darauf nur eine einzige bestimmte Antwort geben könnte. Aber egal was mir mein Gegenüber bei dem kleinen Smalltalk-Versuch erwiderte, vielleicht war es ja auch die erwartete Antwort, verstanden habe ich jedenfalls nur Bahnhof und erst nach mehrmaliger Nachfrage und scharfem Nachdenken meinerseits erschloss sich mir der Inhalt und ich konnte zumindest weiter kommunizieren – wenn auch recht gefrustet. So oder so ähnlich muss man sich fühlen, wenn ein hochmotivierter Engländer mit ordentlichen Deutschkenntnissen ohne Vorwarnung in Niederbayern aufschlägt und Konversation betreiben möchte – o´zapft is! An anderer Stelle wurde ich unvermittelt mit einem Helden meiner Kindertage konfrontiert: Umpah Pah, der große Indianerhäuptling aus dem Zack-Comic-Magazin. Und das kam so: Auf dem Weg zur Morgenhygiene schlenderten einam auf dem Campingplatz die stets Gutgelaunten mit einem breiten Grinsen über den Weg und schleuderten dann lässig ein „Umpah Pah“ herüber. So hörte es sich zumindest an. Es könnte aber auch ein „hello mate“, „how is going“, „morning“ oder gar ein schnödes „good day“ gewesen sein, so ganz sicher konnte man sich da nie sein. Angehört hat es sich auf jeden Fall wie „Umpah Pah“ und am besten reagierte man darauf, indem man mit einem ebenso fröhlichen wie breiten Grinsen ein leicht genuscheltes „hello“ zurückmurmelte. Die Situation war gerettet und der noch junge Tag konnte beginnen. Ein solcher Tag war dann beispielsweise eine prächtige Gelegenheit, um dem ganzen Sack voll australischer Merkwürdigkeiten auf den Grund zu gehen oder sie wenigstens erst einmal überhaupt zu registrieren. Die Corioliskraft ist dem einen oder anderen ja vielleicht noch aus seinem Physikunterricht ein Begriff – jaja, lang, lang ist es her – hier konnte man das Ganze einem Praxistest unterziehen und dann bestaunen, wie das Wasser sich wirklich in der anderen Richtung drehend durch den Abfluss verabschiedete. Oder das Kreuz des Südens. Viel hatte ich schon darüber gehört, hier konnte ich es endlich einmal vom nächtlichen Sternenhimmel leuchten sehen. Und die in Deutschland niemals hinterfragte Kinderweisheit „…im Osten geht die Sonne auf, im Süden hält sie ihren Lauf…“ ist so für Australien eben nicht gültig. Man tausche also Süden gegen Norden und schon steht man zumindest orientierungstechnisch wieder ganz gut da. Weiter ging es dann nach unserem kleinen Abstecher in die Nationalparks des Hinterlands zurück Richtung Küste. Generell habe ich es gerne, wenn ich frühzeitig weiß, wo ich denn die kommende Nacht verbringen werde, sprich, ich möchte möglichst schnell eine Unterkunft zum Schlafen klarmachen, dann gestaltet sich für mich der Tag auch wesentlich lockerer. An diesem Tag lief es nur suboptimal, auf der langen Fahrt durch das Nichts trafen wir auf keine wirklich netten Campingplätze oder andere Parkmöglichkeiten. Dann, langsam beschlich mich schon eine gewisse Nervosität, erreichten wir am Spätnachmittag und auf den letzten Drücker den Campingplatz am Lake Moogerah. Und wie es glücklicherweise so häufig ist, war es auch nicht nur eine Notlösung, sondern der nahezu perfekte Ort: Einzelne Reiher – oder waren es Ibisse? – saßen friedlich auf den Rücken der Rinder und entsprachen so geradezu paradiesischen Vorstellungen von fabelhafter Harmonie; die sich langsam am Horizont verabschiedende Sonne spiegelte sich im ruhigen Seewasser und Pelikane flogen lautlos durch den Sonnenuntergang; der relativ leere Campingplatz verschaffte uns reichlich Platz und von überall hörten wir Vogelgezwitscher. Bei den neugierigen Papageien erübrigte sich die Frage, ob sie einfach nur zahm, an Touristen gewöhnt oder hungrig und gierig waren. Letztendlich war es ein riesiger Spaß, die frechen Tiere auf Händen, Armen, Schultern und Köpfen zu spüren und zu füttern. Und quasi nebenbei fielen so noch unglaubliche Fotomotive an. Wir haben dann auch kurz überlegt, dort länger zu verweilen, schließlich siegten aber der enge Zeitplan und die Neugier auf Neues. Dieses „Neue“ erwies sich dann als, ich nenne es mal die „große Lemington-Ernüchterung“. Bei der Vorbereitung auf die Reise wurde mir durch einen Geo-Beitrag über den Lemington Nationalpark der Mund geradezu wässrig gemacht. Was musste es in diesem offensichtlich einzigartigen Nationalpark nicht alles zu sehen und zu bestaunen geben, ein dortiger Besuch landete folgerichtig ganz oben auf unserer to-do-Liste. In erlebnistechnischer Hinsicht erwies sich dann die Realität als voller Griff ins Klo. Josefine und Valerie waren nach den etlichen Nationalparks eh schon auf Krawall gebürstet und einer Meuterei ganz nahe: „Da ist sowieso nur wieder alles grün und nichts zu sehen. Warum müssen wir den ganzen Tag da herumlatschen, können wir nicht wenigstens fahren? Wir wollen ins Warme, an den Strand, baden, und in einer größeren Stadt mal shoppen“, lautete ihre ebenso deutliche wie vereinfachte Botschaft an die begleitende Elternschaft. Und in Frederik fanden sie schnell einen bereitwilligen Verbündeten. Was soll man sagen, sie hatten Recht. Es ist eben nicht alles Gold, was auf Hochglanzpapier in Edelmagazinen abgedruckt wird. Lemington war sicherlich beeindruckend grün – mehr aber auch nicht. Die erhoffte Tiervielfalt fand sich höchstens auf den aufgestellten Infotafeln, hin und wieder konnte man auch irgendwelche Geräusche von irgendeinem Vogelvieh vernehmen, vor die Linse hüpfte uns allerdings nichts. Vielleicht hatten wir auch nur einen schlechten Tag erwischt. Um es aber mal noch nett zu formulieren: Wenn ich bei meinem nächsten Australienbesuch um den Lemington N.P. einen großen Bogen machte, würde ich dem bestimmt keine Träne hinterherweinen.