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KATRIN
BROCKMÖLLER

Vom
Segen
der Stille

Innere Ruhe finden
mit biblischen Worten

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Die Autorin

Dr. Katrin Brockmöller wurde 1973 in Passau geboren. Sie studierte Katholische Theologie in Passau, Jerusalem und Würzburg und promovierte 2003. Von 2006 bis 2014 war sie Dozentin am Theologisch-Pastoralen Institut für Fort- und Weiterbildung pastoraler Mitarbeiter/-innen der Diözesen Limburg, Mainz und Trier. Seit Dezember 2014 ist Dr. Katrin Brockmöller Direktorin des Katholischen Bibelwerks e.V.

1. Auflage 2019

Ein image-Buch aus der

Für die Texte der Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift,
vollständig durchgesehene und überarbeitete Ausgabe

Umschlaggestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart

www.caminobuch.de

Auch als E-Book erhältlich unter

INHALT

Aus dem Chaos

Das Licht herausrufen

Zum Durchgehen ermutigt

Ins Schweigen finden

Mut zum Aussteigen

Schritt für Schritt

Da muss ich hin!

Pause machen …

Was willst du hier?

Ruhe finden

Ich sorge für mich

Ich lerne

Ich höre zu

Friedenswege

Tun, was zu tun ist

In mir versöhnt

Folgt mir nach!

Schweigen

Drinnen bei dir

In deiner Gegenwart

Einfach nur Atmen

Aus dem
Chaos

Das Licht herausrufen

Zum Durchgehen ermutigt

Ins Schweigen finden

Mut zum Aussteigen

Das Licht herausrufen

Genesis 1,1–5

1 Im Anfang erschuf Gott Himmel und Erde.

2 Die Erde war wüst und wirr
und Finsternis lag über der Urflut
und Gottes Geist schwebte über dem Wasser.

3 Gott sprach: Es werde Licht.
Und es wurde Licht.

4 Gott sah, dass das Licht gut war.
Und Gott schied das Licht von der Finsternis.

5 Und Gott nannte das Licht Tag
und die Finsternis nannte er Nacht.
Es wurde Abend und es wurde Morgen:
erster Tag.

Wie hört sich Tohuwabohu an?

Hat die Finsternis einen Ton?

Wie klingt der Geist Gottes?

Diese Fragen sind nicht so einfach zu beantworten, weil Stille und Lärm nicht die eigentlichen Themen des Gedichtes über die Schöpfung in Genesis 1,1–2,3 sind. Das Gedicht hat einen anderen Fokus. Es will zeigen, wie sicher, wohlgeordnet und gesegnet das Leben von Gott gewollt ist. Gottes Schöpfung ist sehr gut.

Das will Mut machen in Zeiten, in denen das anders erscheint. Die Welt ist stabil, die natürlichen Rhythmen dauerhaft, die Generationen folgen aufeinander, ausreichend Nahrung ist vorhanden und Friede herrscht zwischen allen Lebewesen. Dass damit noch nicht alles über die Welt gesagt ist, davon erzählen die folgenden Texte der gesamten Bibel. Aber der Anfang wird als perfekt geschildert. Der Anfang ist das Ziel, auf das wir uns immer neu ausrichten und berufen können.

Die ersten Worte der Bibel klären auch, wer die Welt erfunden hat: »Im Anfang erschuf Gott Himmel und Erde.« Doch ist das keine Schöpfung aus dem Nichts oder der Leere. Es sind alle wesentlichen Grundelemente vorhanden. Die göttliche Kunst besteht in der Arbeit mit dem Vorhandenen, in der Kunst der Unterscheidung und Ordnung.

Die Erde war tohu-wa-bohu, »wüst und wirr«, leer wie eine Wüste oder durcheinander wie ein Schlachtfeld, auf jeden Fall ohne Form und Gestalt.

Das Wort »Tohuwabohu« kannte ich lange, bevor ich Hebräisch lernte. Meine Mutter gebrauchte es regelmäßig beim Blick in mein Zimmer: »Was für ein Tohuwabohu! Räum das auf!« So verschieden können Perspektiven sein.

Ich fühlte mich sehr wohl in meinem Raum. Ich war darin weder verloren, noch musste ich Dinge suchen, noch störte mich der Anblick. Ich fühlte mich auch nicht eingeschränkt oder gar bedroht, empfand weder Leere noch Langeweile. Im Gegenteil: Mein Zimmer war ein Ausdruck meiner Lebendigkeit und Gestaltungskraft. Ich wehrte mich entschieden gegen die eingeforderte Ordnung. Meinen Raum zu gestalten, wie und wann ich wollte, das war meine Freiheit und mein Leben. Und genau aus diesen verschiedenen Zutaten meines jugendlichen Tohuwabohus gestaltete sich mein Leben als erwachsene Frau.

Wie hört sich also Tohuwabohu an? Für mich ein bisschen nach Musik der 80iger auf selbst zusammengestellten Cassetten.

Im biblischen Schöpfungsgedicht ordnet Gott selbst das anfängliche Tohuwabohu innerhalb von einer Woche in ein Lebenshaus für alle. Es gehört zu den ganz feinen Nuancen dieses Gedichtes, dass Gott eben nicht aus »nichts« etwas formt, sondern schon etwas da ist und auch da bleiben darf.

Die Erde bleibt, die Finsternis bleibt, die Urflut bleibt, die Wasser bleiben und natürlich der Geist Gottes. Durch Schöpfung wird nichts zerstört, sondern es wird unterscheidbar gemacht. Aus der Finsternis heraus ruft Gott als Erstes das Licht. Licht wie Finsternis erhalten ihre Zeiträume und der Wechsel von Tag und Nacht wird zur Grundstruktur des Lebens.

Die Finsternis ist keine dämonische Kraft in sich, sondern einfach das Gegenüber zum Licht. Genau diesen Rhythmus von Tag und Nacht brauchen wir, um gesund zu bleiben. Menschen in Dunkelheit oder in grellem Licht zu halten, ist eine brutale Foltermethode.

Urflut und Wasser bleiben ebenfalls erhalten, bekommen aber am zweiten Tag ihren Ort zugewiesen. Gott setzt ihnen Grenzen, oder anders ausgedrückt: Sie erhalten einen speziellen Raum nur für sich. Die Urflut bekommt einen Ort außerhalb des Gewölbes und unterhalb der Erdscheibe, das Wasser innerhalb des Gewölbes sammelt sich an einem Ort und wird umbenannt zu »Meer«. Diese Wasser sind offensichtlich bedrohlich, von ihnen gehen Gefahren aus, die ständig in Zaum gehalten werden müssen. Ihr neuer Ort ist »außen« und dadurch entsteht ein Innenraum zum Leben. Genau das ist in biblischem Verständnis Schöpfung – die aggressive Urflut und die Chaosmächte fern zu halten und einen Raum des Lebens zu ermöglichen.

Ein weiteres Element ist schon da, bevor Gott mit der Schöpfung beginnt: sein Atem, der göttliche Geist, die ruach. Der göttliche »Wind« existiert lange vor Gottes Schöpfungswerken; von den Werken oder gar vom Zustand der Schöpfung ist er unabhängig. Selbst wenn einzelne Schöpfungswerke aufhören würden zu existieren, die ruach, der Geist Gottes bleibt. Er ist kein »Werk«. Er wird nicht verändert. Das Atmen Gottes ist so etwas wie ein ewiger Grundbaustein der Welt.

In diesen ersten fünf Versen ist alles grundgelegt. Die grundsätzlichen Strukturen der Schöpfung sind da. Diesen Anfang von allem haben die Dichter der Bibel ganz besonders gestaltet. Einerseits hat der Text im Hebräischen einen ganz besonderen Klang und zusätzlich zeigen die ganz genau ausgezählten Worte nicht nur hohe Kunstfertigkeit, sondern sind wie ein Spiegel der Aussage: Hier ist nichts Zufall!

Im Deutschen beginnt die Bibel mit einem dreifachen »A«-Laut: Am Anfang … Ein schönes Spiel mit Klang und Alphabet. Der erste Buchstabe eröffnet die Bibel und die Schöpfung. In der hebräischen Sprache beginnt die Bibel mit Wiederholungen des zweiten Konsonanten des Alphabets »B«: bereschit bara … Die jüdische Tradition deutet das so aus: Der erste Buchstabe »A« bleibt Gott selbst vorbehalten, denn so beginnen der Gottesname und das Bekenntnis (adonai echad – Gott ist eins). Die erschaffene Welt beginnt mit dem zweiten Buchstaben.

Es ist erstaunlich, mit welcher Kunst die Verse auch auf der Wortebene gebaut sind. Sicher nicht zufällig besteht der erste Vers aus sieben Wörtern (sogar in der deutschen Übersetzung!), der zweite Vers aus vierzehn. Die Welt beginnt mit der heiligen Zahl sieben, insgesamt dreimal. Dann im dritten Vers kommt das Spiel mit der Zahl sechs. Vers drei hat sechs Wörter und Vers vier insgesamt zwölf. Vers fünf schließt mit dreizehn Wörtern den ersten Tag der Schöpfung ab, so dass nun insgesamt 52 Wörter die erste Woche der Welt, das erste Kapitel der Schrift eröffnen. Man muss kein Zahlenmystiker sein, um zu ahnen, dass hier einfach eine ganz grundlegende Ordnung geschaffen wird. Im Text wie in der Welt.

Die Bibel und die Erzählung von der Schöpfung beginnen nicht mit Stille oder gar Schweigen. Ich glaube, es ist sogar ziemlich laut und unangenehm in diesen ersten Versen. Aber aus genau diesem Material entwickelt Gott die Welt bis zur Vollendung in der Ruhe des siebten Tages.

Für mich ist es ein unglaublich tröstender Gedanke, ein Teil dieser Schöpfung zu sein. In all den Unruhen der Welt, um mich und in mir, den chaotischen, dunklen und aggressiven Fluten, ist immer schon der göttliche Geist präsent.

Gebet ist nichts anderes, als von Gott das Licht herausrufen zu lassen und die rechten Räume der Elemente zu finden und sie darin in ihrer Kraft am rechten Ort zu wissen.

Ein Impuls

Ich kann die ersten fünf Verse (Gen 1,1–5) auswendig und wiederhole sie oft an verschiedensten Orten, mal laut, meistens leise. Es ist einfach schön, diesem Klang nachzugehen und dabei auf meine ganz eigenen Gedanken und Gefühle zu lauschen.

Zum Weiterlesen

Ich bin neugierig und lese weiter bis zur Vollendung am siebten Tag (Gen 1,1–2,3) und schaue dann auf das Ende der Welt im Buch der Offenbarung 21.

Ich setze mich auch Jeremia 4,22–28 aus und genieße Sprichwörter 8,22–31.

Heiliges Wort

Es werde Licht!

Zum Durchgehen ermutigt

Jesaja 43,1–7

1 Jetzt aber – so spricht der EWIGE*,
der dich erschaffen hat, Jakob,
und der dich geformt hat, Israel:
Fürchte dich nicht, denn ich habe dich ausgelöst,
ich habe dich beim Namen gerufen, du gehörst mir!

2 Wenn du durchs Wasser schreitest, bin ich bei dir,
wenn durch Ströme, dann reißen sie dich nicht fort.
Wenn du durchs Feuer gehst, wirst du nicht versengt,
keine Flamme wird dich verbrennen.

3 Denn ich, der EWIGE, bin dein Gott,
ich, der Heilige Israels, bin dein Retter.
Ich habe Ägypten als Kaufpreis für dich gegeben,
Kusch und Seba an deiner Stelle.

4 Weil du in meinen Augen teuer und wertvoll bist
und weil ich dich liebe,
gebe ich Menschen für dich und für dein Leben ganze Völker.

5 Fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir!
Vom Aufgang der Sonne bringe ich deine Kinder herbei
und vom Untergang her sammle ich dich.

6 Ich sage zum Norden: Gib her!
und zum Süden: Halt nicht zurück!
Führe meine Söhne heim aus der Ferne,
meine Töchter vom Ende der Erde!

7 Denn jeden, der nach meinem Namen benannt ist,
habe ich zu meiner Ehre erschaffen, geformt und gemacht.

*Das Wort »Herr« in der besonderen Schreibweise mit Kapitälchen zeigt in der Einheitsübersetzung den Gottesnamen JHWH an. Der Name Gottes wird in Ex 3,14 mit einem Wortspiel von »sein« erklärt: »Ich bin, der ich bin« oder mit Luther: »Ich werde sein, der ich sein werde.« Der eigentliche Name wird wegen seiner Heiligkeit im Judentum bis heute nicht ausgesprochen. Die Tradition bietet viele Varianten als Ersatzworte: z.B. der/die Ewige, Du, Er, der Name, der Ort, … Jedes »Herr« im biblischen Text ist also wie eine Einladung, eine persönliche Anrede zu finden. Im Jesajazitat oben wurde »der Ewige« gewählt, in allen weiteren Bibeltexten bleibt »Herr«, damit Sie ein persönlich passendes Wort finden können.

Wie hören sich tosende Wassermassen an?

Welches Geräusch macht ein Feuermeer?

Wie klingt der Blick Gottes?

Jetzt, aber …« so beginnt diese Gottesrede. Jetzt! Nicht bald oder morgen oder damals. Nein, genau jetzt, in diesem Moment spricht Gott. Das erste Wort dieser Verse ist so stark und zieht so sehr unsere Aufmerksamkeit in die Gegenwart, dass wir fast vergessen, dass wir historisch gesehen nicht die eigentlichen Adressaten sind. Diese prophetischen Worte sind für Frauen und Männer gesprochen, die vor gut 2.500 Jahren aus einem langen Exil zurück in ihre Heimat aufbrechen können. Noch zögern sie, sind unsicher, niemand weiß, wie sich das neue Leben gestalten wird.

Meine Generation lebt in Westeuropa mitten in einer Friedenszeit. Was es heißt, einen Krieg zu überleben und als Flüchtling in einem fremden Land zu sein, berührt mich dennoch täglich. Seit Jahren vergeht kein Tag ohne einen Blick in das Gesicht eines jungen Mannes, einer Frau, in Kinderaugen, die von »daheim« träumen. Ich höre morgens die Kinder der Familie von gegenüber lachen. Ich staune über die Kraft der Mutter, die ihre Kinder mitten auf der Dorfstraße spielen lässt und auf die besorgten Nachfragen der Nachbarinnen antwortet: Diese Kinder haben den Krieg in Syrien überlebt. Allah ist mit ihnen. Was soll ihnen hier passieren?

Die Gottesrede in Jesaja 43,1–7 findet in einer Gegenwart statt, die auf einer gemeinsamen Geschichte Gottes mit seinem Volk ruht. Der EWIGE selbst hat Jakob erschaffen, die EWIGE hat Israel geformt. Beide Sätze klingen im Deutschen sehr, sehr ähnlich, fast dasselbe. In der hebräischen Poesie gehört es zum wichtigsten Stilmittel, eine Aussage mindestens zweimal mit kleinen oder größeren Bedeutungsverschiebungen auszusprechen. Deshalb ist jeder biblische Vers wie eine Einladung: Suche mit Lust das Gemeinsame oder Unterscheidende! Finde die Mitte! Geh an die Grenzen! So können »Jakob« und »Israel« für zwei Aspekte einer einzigen Person stehen: Der Stammvater Jakob erhielt nach seinem Gotteskampf den neuen Namen »Israel« (Gen 32,23–33). Jakob kann aber auch ein Hinweis sein auf den kleinen Anfang der Sippe, auf die sich später das ganze Volk Israel zurückführt.

Wen spricht Gott hier an? Den individuellen Jakob oder das kollektive Israel? Sind Jakob wie Israel vielleicht sogar Synonyme für alle Frauen, Männer und Kinder im Volk Israel? Bin ich auch dabei? Was verbindet mich mit Jakob/ Israel? Was unterscheidet mich von Jakob/Israel? Welche Erfahrungen mit dem EWIGEN, der mich erschaffen und geformt hat, tragen meine Biografie? Viele Fragen werden ausgelöst durch diese poetische Sprache, die sich mehr an Entdeckungen und assoziativen Netzwerken orientiert als an klarer Begriffsdefinition.

Wer auch immer Jakob/ Israel genau sind, Gott hat sie erschaffen und geformt. Damit kommen zwei klassische Schöpfungsverben ins Spiel, die fast identisch verwendet werden können: erschaffen und formen. Sucht man die Unterschiede, dann kann »erschaffen« den Punkt des Anfangs meinen, die Initiative und den Impuls, während »formen« an das Wachsen und Reifen von Körper, Geist und Seele erinnert.

Nach diesen ersten Worten, die wie eine Einladung zur Meditation der eigenen Herkunft erscheinen, folgt in Jesaja 43,1 das erste Mal die sogenannte Ermutigungsformel: Fürchte dich nicht! Also zuerst der Ruf in die Gegenwart, dann eine biografische Erinnerungsreise zu meinen Ahnen, meinen Mentorinnen und Mentoren, meinen Geschichten. Da hinein spricht Gott, der EWIGE, den so berühmten und oft wiederholten Satz: Fürchte dich nicht!