»Seid still, Freunde, da kommt Gotama heran, Liebhaber der Stille ist er ja, Lobpreiser der Stille. Vielleicht dass eine schweigende Versammlung ihn veranlasst, sich uns zu nahen …« – Die meisten Menschen von heute haben das Schweigen nicht erlernt, und die Stille, in der man mehr hört als sich selbst, ist ihnen fremd. Sie sind das Opfer ihrer zahllosen kleinen Ziele, an die sie ihre Kraft verschwenden, und ihr Sprechen und Handeln ist zu einem Lärm geworden, der jeden Ruf, der aus der Ferne kommt, übertönt. Buddhas Lehre ist der Weg zur Stille und, über sie hinaus, die Wanderschaft zur Erfüllung, zum letzten Ziel, das nach dem Erlöschen der Irrlichter heimatlich vor uns auftaucht.
Der Europäer hat sich in seiner Entwicklung weit von diesem Weg entfernt, doch drängen die Krisen, die er damit heraufbeschworen hat, immer mehr zur Besinnung. Es gibt nun keinen größeren Gegensatz zu dem angstvollen Lebensdurst unserer Zeit, zu ihrer wahllosen Gier nach Macht, als die Worte Buddhas über den vollkommenen Frieden der Seele. An ihnen empfinden wir mit tiefer Betroffenheit, wie weit uns der Abweg geführt hat, und sie sind es, welche uns aus einer Welt, die dem Wesen näher ist, die Kraft geben, unserem inneren Verlangen nach wahren Werten getreuer nachzukommen.
Das Leben Buddhas verliert sich im Dunkel der Überlieferung, es ist fast nur ein Symbol für seine Lehre, gemäß den Worten: »Wer da die Lehre schaut, der schaut mich, wer mich schaut, schaut die Lehre.« Buddhas Geburt und Tod liegen zwischen 560 und 480 vor Chr., alles andere ist mythischer Bericht; er soll als Prinz aus dem Stamm der Shakyas in Kapilavastu, einer Stadt des nördlichen Indien, auf die Welt gekommen sein und eine sorglose, mit den Reichtümern der Erde überschüttete Jugend verbracht haben. Nach Jahren schrankenlosen Lebensgenusses hatte der junge Mann, der den Vornamen Siddharta – »Der sein Ziel erreicht« – führte, ein vierfaches Erlebnis, das ihn bis auf den Grund erschütterte: Er begegnete einem Greis, einem Kranken, einem verwesenden Leichnam, einem Asketen und fühlte an ihnen das Leid der Welt. Er folgte der Stimme, die ihn rief, den Weg zur Auflösung des Leidens zu suchen, und verließ Frau und Kind, um »vom Haus in die Hauslosigkeit« zu gehen. Sieben Jahre verbrachte er bei Asketen und in völliger Einsamkeit, bis ihm die Erleuchtung zuteil wurde: Er sah die vier Wahrheiten, die Wahrheit vom Leid, von der Entstehung des Leides, von der Aufhebung des Leides und den Weg, der zur Aufhebung des Leides führt. Seither war er der Erwachte, der »Buddha«, der seine Lehre vertiefte und der Menschheit weitergab. Arm und von Almosen lebend, durchwanderte er Indien vierzig Jahre lang, sammelte Schüler um sich und gründete Gemeinden. Er starb als Achtzigjähriger, nachdem er zu seinen Mönchen gesprochen hatte: »Vergänglich ist alles geworden. Strebet ohne Unterlass.« Seine Lehre aber eroberte nicht nur ganz Indien, sondern große Teile von Mittel- und Ostasien, vor allem aber China.
Die Lehre Buddhas, wie wir sie in der ältesten erreichbaren Gestalt erkennen, ist auf die »Vier Wahrheiten« aufgebaut. Aus der ersten, der »Wahrheit vom Leid«, ergibt sich, dass das Leben dem Leiden gleichzusetzen sei. Der einzelne Mensch leide kein persönliches Leid, sondern den Schmerz der Geburt, des Lebenswillens, den allgemeinen Schmerz der Welt. Niemand sei von einem abgegrenzten Ich erfüllt. Jeder bestehe vielmehr aus einem Zusammenwirken innerer Zustände und Elemente, den »Dharmas«, genau so wie die Wirklichkeit, mit der er dadurch untrennbar verbunden sei. Die zweite Wahrheit, die »Wahrheit von der Entstehung des Leides«, bezeichnet den Lebensdurst als seine Ursache. Er äußere sich in der Sinnlichkeit ebenso wie im rein geistigen Erkenntnisdrang und bewirke über den Tod hinaus eine neue Wiedergeburt, neues Leid, und dies so lange, als der Lebensdurst rege bleibe. Die dritte, die »Wahrheit von der Aufhebung des Leides«, sagt, das Erlöschen des Lebensdurstes bedeute die Auflösung des Leides. Die vierte, die »Wahrheit vom Weg zur Aufhebung des Leides«, weist auf den achtteiligen Pfad: rechtes Glauben – die Vier Wahrheiten, rechtes Entschließen – Abkehr von Begierde, rechtes Wort – die Aussage vom Wesentlichen, rechte Tat – dem Wesentlichen getreues Handeln, rechtes Leben – die Sorge für den notwendigen Unterhalt, rechtes Streben – dem Heil entgegen, rechtes Gedenken – Besonnenheit, rechtes Sich-Versenken. Das rechte Sich-Versenken mit Hilfe des Yoga führe in die Nähe des »Nirwana«, des letzten Ziels, des Endes aller Geburten, des völligen Losgelöstseins. Das Yoga ist eine Reihenfolge von Meditationsübungen, die auf dem Weg über die Konzentration auf verschiedene Gesetze und Zustände Schritt für Schritt zur tiefen Selbstversenkung führten. Der Übende gelangt etwa beim »Adhicatta« durch vierzig vorgeschriebene Stationen – er besinnt sich unter anderem auf die »Zehn Wahrnehmungen des Unreinen«, auf das »Vierfach Unermessliche« – zur völligen »Entleerung des Ich-Bewusstseins« und zur Aufnahme des »Nirwana«. Die Übung führt dabei zu einem äußeren Tiefschlaf, der ohne Nahrungsaufnahme bis zu zehn Tage währen kann.
Die Lehre Buddhas trägt in ihrer ursprünglichen Gestalt durchaus religiösen Charakter. Sie ist kein ausgearbeitetes widerspruchsloses System, das sich völlig eindeutig auslegen lässt. Immer bleibt ein Dunkel zurück, in dem wir ein Gefühl der Ahnung von einem Letzten erleben, das sich unserer Beschreibung widersetzt.
Buddha hat, wie Sokrates und Epiktet, seine Lehre nicht selbst schriftlich niedergelegt. Dies haben Mönche etwa hundert Jahre nach seinem Tod getan, nachdem auf einem Konzil der Kanon endgültig festgelegt worden war. Die Lehre ist im sogenannten Dreikorb (Tripitaka) aufgezeichnet: dem Korb der Disziplinen (Vinaja-pitaka), dem Korb der Lehrvorträge (Sutra-pitaka) und dem Korb der Metaphysik (Abhidharma-pitaka). Jeder dieser Körbe zerfällt wieder in mehrere große Sammlungen, diese wieder in viele selbständige Bücher. Der uns vollständig erhaltene Kanon des Dreikorbs ist der Pali-Kanon, der in der Pali-Sprache, einem frühen mittelindischen Dialekt, welcher heute noch in Ceylon (Sri Lanka) als Klostersprache gebraucht wird, abgefasst ist.
Im Verlauf der Jahrhunderte hat der Buddhismus eine immer reichere Ausgestaltung erfahren. Während im »Kleinen Fahrzeug« – so nannte man die erneuerte Lehre – nur einige systematische Abrundungen des alten Gedankengutes besorgt wurden, formte das »Große Fahrzeug« 6