Das Buch
Seit dem Crash von 2008 ist es nicht gelungen, den Kapitalismus wirksam zu reformieren. Im Gegenteil, er droht vollends aus dem Ruder zu laufen: Die Finanzindustrie schreibt sich ihre eigenen Regeln; die großen Tech-Firmen beuten unsere persönlichen Daten aus; die Machtballung in der Industrie nimmt zu und der Staat hat seine Kontrollfunktion praktisch aufgegeben. Joseph Stiglitz zeigt, wie es dazu kommen konnte und warum es, was nicht zuletzt das Beispiel Donald Trump zeigt, dringend nötig ist, den Kapitalismus vor sich selbst zu schützen.
Der Autor
JOSEPH STIGLITZ, geboren 1943, war Professor für Volkswirtschaft in Yale, Princeton, Oxford und Stanford, bevor er Berater der Clinton-Regierung wurde. Anschließend ging er als Chefvolkswirt zur Weltbank und wurde 2001 mit dem Nobelpreis für Wirtschaft ausgezeichnet. Heute lehrt Stiglitz an der Columbia University in New York und ist ein weltweit geschätzter Experte zu Fragen von Ökonomie, Politik und Gesellschaft. Bei Siedler erschienen unter anderem seine Bestseller »Die Schatten der Globalisierung« (2002), »Die Chancen der Globalisierung« (2006), »Im freien Fall« (2010), »Der Preis der Ungleichheit« (2012) und zuletzt »Reich und Arm« (2015) sowie »Europa spart sich kaputt« (2016).
Joseph E. Stiglitz
Der Preis des Profits
Wir müssen den Kapitalismus vor sich selbst retten!
Aus dem amerikanischen Englisch
von Thorsten Schmidt
Siedler
Für meine Enkelkinder.
Und für meine lieben Freunde Tony Atkinson und Jim Mirrlees, die diese Welt viel zu früh verließen.
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1. Auflage
Copyright © 2019 by Joseph E. Stiglitz
Copyright © 2020 für die deutsche Ausgabe by
Siedler Verlag, München in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: Büro Jorge Schmidt, München
Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln
ISBN 978-3-641-26555-7
V001
www.siedler-verlag.de
Vorwort zur deutschen Ausgabe
Vorwort
Teil I
Den Kompass verloren
1. Einleitung
2. Düstere Aussichten
3. Ausbeutung und Marktmacht
4. Der Streit über die Globalisierung in den USA
5. Die Finanzmärkte und die Krise in den USA
6. Die neuen Technologien als Herausforderung
7. Wozu brauchen wir den Staat?
Teil II
Die amerikanische Politik und Wirtschaft erneuern: Was zu tun ist
8. Die Wiederherstellung der Demokratie
9. Die Erneuerung einer dynamischen Wirtschaft
10. Ein menschenwürdiges Leben für alle
11. Rückbesinnung auf die Werte und Ideale Amerikas
Dank
Anmerkungen
Register
Ich habe dieses Buch vor allem als Reaktion auf beunruhigende Ereignisse in den USA geschrieben. Die wirtschaftlichen und politischen Missstände, die Zunahme der Ungleichheit und der stagnierende Lebensstandard eines Großteils der US-amerikanischen Bevölkerung sind zutiefst beunruhigend. Aber damit nicht genug. Allzu oft zeigt sich bei Großkonzernen ein verstörendes Maß an moralischer Verkommenheit, und dies betrifft keineswegs nur den Finanzsektor. Dies wiederum führte zur Opioid-Krise und trug zu der Diabetes-Epidemie bei Kindern und zur Klimakrise bei. Die zentralen Institutionen unserer Demokratie einschließlich einer freien Presse, einer unabhängigen Justiz und frei forschenden Hochschulen sehen sich heute ständigen Angriffen ausgesetzt. Und da es die USA oftmals gern etwas größer haben und gründlicher machen als andere Länder, ist die Ungleichheit hier größer, die Angriffe auf demokratische und »der Wahrheit verpflichtete« Institutionen sind heftiger und der Kapitalismus ist rücksichtsloser.
Nun ist es aber leider so, dass die USA zwar vorneweg marschieren, aber kein Einzelfall sind. Es gibt beunruhigende Anzeichen dafür, dass sich andere Länder in eine ähnliche Richtung bewegen könnten, dass einige der grundlegenden wirtschaftlichen und politischen Kräfte, welche die Missstände in den USA hervorgebracht haben, weltweit wirksam sind. Aus diesem Grund ist dieses Buch auch für Europa aktuell.
»Der Preis des Profits« macht für die gegenwärtigen Probleme ganz direkt in erster Linie den Neoliberalismus verantwortlich, also die Überzeugung, »der Markt wird es schon richten«. Der Neoliberalismus mit seiner irrationalen Marktgläubigkeit will nicht sehen, was kollektives Handeln – Einzelpersonen und gesellschaftliche Akteure, wenn sie zusammenarbeiten – erreichen kann. Neoliberale Doktrinen, in den USA meist unter dem Oberbegriff »Angebotspolitik« bekannt, haben in den letzten vierzig Jahren die Wirtschaftspolitik überall auf der Welt geprägt, nicht zuletzt beeinflussten sie entscheidend den Ordnungsrahmen der Eurozone. Nicht nur kann man diese Doktrinen für das, was in den USA geschehen ist, verantwortlich machen, sie erklären auch die – zugegeben weniger drastischen – Entwicklungen in Europa allgemein und in Deutschland im Besonderen. Selbst wenn es hier nicht ganz so schlimm gekommen ist, sind die Muster doch ähnlich: geringeres Wirtschaftswachstum, weitgehende Stagnation des Einkommens bei 90 Prozent der Bevölkerung, deutliche Zuwächse nur bei den Spitzenverdienern und ein nichtnachhaltiges Wirtschaftsmodell.
Weiten Teilen der Bevölkerung erging es in Europa deshalb besser – obwohl das BIP-Wachstum geringer und die Arbeitslosigkeit hier höher ist –, weil die »Staatsfeindlichkeit« in Europa nie die gleichen extremen Ausmaße wie in den USA angenommen hat (oder genauer gesagt: nie mit dem gleichen rhetorischen Furor vorgetragen wurde, denn in Wirklichkeit freuten sich die US-Banken natürlich riesig darüber, dass der Staat sie mit Hunderten von Milliarden Dollar vor der Pleite bewahrte, so wie die US-Stahlindustrie die protektionistische Politik Trumps begrüßte, usw.).
Der Markt brachte die tiefe soziale Spaltung in den USA, die Finanz- und die Klimakrise hervor, aber der Markt allein wird keine dieser Krisen bewältigen. Für jene Krise, bei der besonders dringender Handlungsbedarf besteht, gilt: Wenn wir den Planeten retten wollen, müssen wir die Treibhausgasemissionen drastisch reduzieren, und nur der Staat kann einen verbindlichen Ordnungsrahmen setzen, der dies ermöglicht. Hierzu ist es notwendig, ein neues Gleichgewicht zwischen dem Staat, dem Markt und der Zivilgesellschaft – einen neuen Gesellschaftsvertrag – zu schaffen.
Viele Europäer werden in diesem neuen Gesellschaftsvertrag (den ich »progressiven Kapitalismus« nenne) vertraute Elemente erkennen, denn diese Elemente spielten eine zentrale Rolle in dem europäischen »Sozialmodell«, dessen Varianten in einigen Ländern auch »sozialdemokratisches Modell« beziehungsweise »skandinavischer Wohlfahrtsstaat« genannt werden. Leider haben viele Menschen in Europa dieses Modell für selbstverständlich gehalten; im Zuge einschneidender Sparmaßnahmen nach der Eurokrise kam es jedoch in vielen Ländern zu Kürzungen, die dieses Modell untergraben haben. Schlimmer noch, einige Kritiker sahen im europäischen Sozialmodell sogar die Ursache der Eurokrise. Dies ist blanker Unsinn. Weder nahm die Krise ihren Ausgang in den Ländern mit den höchstentwickelten Sozialstaaten, noch wurden diese von ihr am schlimmsten in Mitleidenschaft gezogen. Verursacht wurde die Krise nicht durch einen starken Sozialstaat, sondern durch die Exzesse des Finanzsektors. Die Krise war auch keine Folge einer zu weitgehenden Regulierung – Länder mit einem guten regulatorischen Ordnungsrahmen haben sie viel besser überstanden als jene, die einen Deregulierungskurs eingeschlagen hatten. Aber diese Versuche, den Sozialstaat für die Krise verantwortlich zu machen, haben eines verdeutlicht: Dieselben Sonderinteressen und Ideologien, die zu den Missständen in den USA führten, sind auch in Europa am Werk. Europa darf nicht die Hände in den Schoß legen. Im Gegenteil: Europa muss sein Sozialmodell dringend erneuern und modernisieren. Viele der Ideen, die ich in diesem Buch vorstelle, könnten die Grundlage eines sozialen Wirtschaftsmodells für das Europa des 21. Jahrhunderts bilden.
Ich behaupte in diesem Buch, dass Wachstumsschwäche und Zunahme der Ungleichheit in Wirklichkeit zwei Seiten derselben Medaille sind. Der Neoliberalismus vergaß, dass der Anstieg des Lebensstandards von Erkenntnisfortschritten abhängt, die durch öffentliche Investitionen in die Grundlagenforschung ermöglicht werden. Der Lebensstandard basiert überdies in hohem Maße auf öffentlichen Investitionen in die Infrastruktur und ins Bildungswesen. Werden die öffentlichen Ausgaben in diesen Bereichen gekürzt, dann macht dies ein Land ärmer. Und der Neoliberalismus hat auch dem Unterschied zwischen den Quellen individuellen und gesamtgesellschaftlichen Wohlstands nicht ausreichend Beachtung geschenkt: Individuen können es dadurch zu Reichtum bringen, dass sie andere übervorteilen oder gar – etwa durch Ausübung von Marktmacht – ausbeuten. Das zunehmende Streben nach leistungslosem Einkommen (rent-seeking) – der Versuch, sich, u. a. durch gezielte Nutzung von Monopolmacht, ein größeres Stück vom nationalen Wirtschaftskuchen anzueignen, statt den Kuchen selbst zu vergrößern – trägt zu niedrigerem Wachstum und größerer Ungleichheit bei.
Daten sprechen dafür, dass es Europa in den letzten Jahren besser gelungen ist, Monopolmacht einzudämmen, als den USA; aber auch hier darf Europa sich nicht selbstzufrieden zurücklehnen. Die Absahner werden nichts unversucht lassen, um sich weiterhin ungestört in die eigene Tasche wirtschaften zu können. Aus diesem Grund parken sie ihr Geld zum Beispiel so gern auf den Kaimaninseln, den Britischen Jungferninseln und in Panama: Dort können sie Steuern vermeiden bzw. hinterziehen und Gesetze umgehen. Und sie werden sich nicht so leicht aus diesen Steuerparadiesen vertreiben lassen.
Einige haben behauptet, mir seien bei meinen Vergleichen zwischen den USA und Europa die Maßstäbe verrückt, meine Kritik an den USA sei jedenfalls überzogen. Die USA stünden wirtschaftlich besser da als Europa. Die USA haben eine niedrigere Arbeitslosigkeit, ein höheres Wachstum des Bruttoinlandsprodukts und einige der innovativsten Unternehmen der Welt. Da können sie ja wohl nicht alles falsch machen. Und das stimmt natürlich. Die USA haben einige der besten Universitäten der Welt, die von Philanthropen großzügig unterstützt werden, und diese Universitäten bilden die Grundlage der Innovationskraft des Landes. Aber bemerkenswerterweise hat die Regierung Trump einen regelrechten Krieg gegen diese Institutionen vom Zaun gebrochen und ihnen historisch beispiellose Steuern auferlegt.
Aber das BIP pro Kopf oder auch die Arbeitslosenquote sind keine geeigneten Kennzahlen zur Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Ländern. Entscheidend ist der Lebensstandard der meisten Menschen, und während das BIP pro Kopf gestiegen ist, stagniert der Lebensstandard, und die Lebenserwartung ist schockierenderweise sogar rückläufig. Zwar ist die Arbeitslosenquote niedrig, desgleichen aber die Beschäftigungsquote. Eine große Zahl von Arbeitskräften ist wegen des fehlenden Angebots an geeigneten Stellen so frustriert, dass sie gar nicht mehr suchen; viele Amerikaner sind gesundheitlich so stark beeinträchtigt, dass sie keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen können; und viele Amerikaner sitzen im Gefängnis.
Wir alle können viel voneinander lernen, sowohl von unseren Erfolgen als auch von unseren Misserfolgen, von unseren Hoffnungen und unseren Enttäuschungen. Der Neoliberalismus hatte sowohl in Europa als auch in den USA negative Auswirkungen. Dennoch haben Manche behauptet, der Neoliberalismus sei alternativlos.
Dieser Behauptung widerspricht dieses Buch in aller Entschiedenheit: Es gibt eine Alternative. Eine andere Gesellschaft ist möglich. Dieses Buch zeigt auf, wie wir sie erbauen können, beginnend mit einem neuen Gesellschaftsvertrag.