Inhalt
Eine besondere Schulaufgabe
Das Geheimversteck
Heimlichkeiten
Ponyglück
Ponyhof Rosenbucht
Azora
Ein Traum wird wahr
Ponyfreundin
Wo ist Ella?
Beste Freundinnen
Das Versprechen
Glitzer-Seepferdchen
Eine besondere Schulaufgabe
„Es ist kaum zu glauben, aber Seepferdchen gehören zu den Fischen. Und das, obwohl sie ganz anders aussehen. Sie haben eine kleine Rückenflosse und schwimmen aufrecht durch die Meere. Dabei müssen diese Tiere sich kaum bewegen und es sieht aus, als würden sie durch das Wasser schweben. Doch Seepferdchen sind sehr scheu. Nur wenn wir sie achten und freundlich zu ihnen sind, können sie mit viel Glück unsere Freunde sein.“ Frau Meersand ließ eine große Karte herabrollen, auf der verschiedene Seepferdchen abgebildet waren. Marisa Meermädchen saß an ihrem Muscheltisch, wickelte eine Locke um den Stift und blickte auf die Karte.
„Ich hätte so gern ein Seepferdchen zum Freund“, flüsterte Coralie, die neben Marisa saß und verträumt vor sich hin lächelte.
„Wer von euch weiß denn, woher die Seepferdchen ihren Namen haben?“, fragte Frau Meersand und Marisas Finger schnellte in die Höhe. „Ja, Marisa?“
„Vielleicht weil ihr Kopf dem eines echten Pferdes ähnelt?“, überlegte Marisa laut. Jetzt war sie diejenige, die schwärmerisch lächelte.
„Ganz genau, Marisa. Jenseits des Meeres gibt es große Tiere, deren Köpfe ganz erstaunlich denen unserer Seepferdchen gleichen.“ Die Lehrerin fuhr mit ihrem Schilf-Zeigestock über die Karte.
Marisa seufzte und sah sehnsüchtig aus dem Fenster. Das Seegras auf der Unterwasserwiese schaukelte sanft hin und her. Fast als wollte es ihr zuwinken und sie hinausrufen. Wenn doch nur endlich Nachmittag wäre und sie Ella und Luna wiedertreffen könnte. Ella, ihre heimliche Menschenfreundin, und Luna, Ellas Pony. Seit sie Ella das erste Mal auf ihrem Pony durch die Brandung reiten sah, hatte Marisa nur einen einzigen Meermädchentraum: Sie wollte reiten. Und bald würde sich ihr Traum erfüllen, das konnte sie spüren. Marisa musste nur an ihre verzauberte Perlenkette denken und schon kribbelte es überall, als würde ein stacheliger Seestern über ihre Schwanzflosse kriechen.
Als alle Meermädchen um sie herum ihre Perlmutt-Tafeln hervorholten, fiel Marisa wieder ein, dass sie noch immer in der Schule saß. Coralie suchte gerade in ihrer Muscheldose nach einem Stift.
„Was sollen wir noch einmal machen?“, flüsterte Marisa.
„Hast du denn nicht zugehört? Eines der Seepferdchen abzeichnen“, antwortete Coralie und zeigte mit ihrem Lieblingsstift ungeduldig auf die Seekarte. „Woran du wohl wieder gedacht hast.“
Marisa beugte sich über ihre Perlmutt-Tafel und begann, gedankenversunken zu zeichnen.
Frau Meersand ging von einem Meermädchen zum anderen, und als sie wieder vorn ankam, klatschte sie fröhlich in die Hände: „Wie ihr heute erfahren habt, sind Seepferdchen nicht sehr zutraulich. Es ist ein großes Glück, wenn man eines zu sehen bekommt. Daher ist eure Aufgabe bis zur nächsten Stunde auch etwas ganz Besonderes.“
Die Meermädchen um Marisa herum fingen aufgeregt an zu tuscheln. Die Lehrerin wartete, bis sich alle Schülerinnen wieder beruhigt hatten. Dann öffnete sie eine kleine Schatzkiste auf ihrem Pult, lächelte geheimnisvoll und holte zwei Muschelhaarspangen heraus. „Hier in der Mondbucht soll es ganz seltene Seepferdchen geben, von denen ich selbst aber auch noch nie eines gesehen habe. Es wird eure Aufgabe sein, euch zu zweit auf die Suche nach einem außergewöhnlichen Seepferdchen zu machen. Wenn ihr einem begegnet, so zeichnet und beschreibt ihr es. Und die zwei, die in der nächsten Stunde das schönste Seepferdchen vorstellen, bekommen von mir diese Muschelhaarspangen geschenkt. Aber nicht nur das! Diese Aufgabe wird mir zeigen, welche Meermädchen unter euch bereit sind, in die Klasse der fortgeschrittenen Meermädchen zu wechseln.“
„Ist das nicht aufregend? Die Großen dürfen so spannende Sachen machen wie Perlentauchen im Korallengarten und Nachtschwimmen in der Seerosenschlucht. Ich kann es kaum erwarten anzufangen.“ Coralie sah Marisa mit leuchtenden Augen an. Doch dann fiel ihr Blick auf Marisas Perlmutt-Tafel und das Lächeln verschwand augenblicklich aus ihrem Gesicht. „Was soll das sein?“
Marisa betrachtete ihre Zeichnung und erschrak: Sie hatte gar kein Seepferdchen mit eingerolltem Schwanz gemalt, sondern ein Pony mit vier Beinen. Hastig deckte sie das Bild zu.
„Das ist es also, woran du denkst?“, zischte Coralie wütend. „Sind dir denn diese Menschen und ihre Ponys immer wichtiger? Sogar dann, wenn hier die bezauberndsten Dinge passieren?“
„Ich hab mich doch nur vertan“, wisperte Marisa und steckte die Perlmutt-Tafel meermädchenflink zurück in ihre Schultasche. „Gemeinsam werden wir die Muschelhaarspangen bestimmt gewinnen und schon bald zu den großen Meermädchen gehören, Coralie.“
„Wie kann man sich denn da vertun?“, rief Coralie aufgebracht.
„Gibt es ein Problem?“, fragte Frau Meersand und sah Coralie und Marisa fragend an.
Marisa wurde unruhig. Was wäre, wenn Coralie sie verraten und Frau Meersand das Bild von dem Pony auf ihrer Perlmutt-Tafel entdecken würde? Wie sollte sie das denn nur erklären? Ängstlich sah sie zu Coralie hinüber.
„Nein, alles in Ordnung“, murmelte Coralie leise. Marisa warf ihrer Freundin einen dankbaren Blick zu, doch dann erstarrte sie: In Coralies Augen schimmerten Tränen.
Als Frau Meersand in ihre Schneckenhausflöte blies und damit das Ende der Unterrichtsstunde verkündete, schnappte Coralie ihre Tasche und schwamm wortlos davon.
„Coralie“, rief Marisa und packte hastig ihre Sachen zusammen. Doch als sie aus dem Schultor schwamm, war ihre beste Freundin schon fort.
Das Geheimversteck
Vor dem Schultor wartete Nero schon geduldig auf Marisa. Wie jeden Mittag holte er das Meermädchen ab, um mit ihr loszuziehen und die Unterwasserwelt zu erkunden. Marisa konnte es immer kaum erwarten, Zeit mit ihrem Delfinfreund zu verbringen. Heute wollten sie die Tintenfische in den alten Fässern besuchen und Marisa hatte sich den ganzen Morgen darauf gefreut – bis Frau Meersand ihre Sehnsucht nach Ella und dem Pony Luna geweckt hatte.
Marisa Meermädchen schwamm stumm an dem Delfin vorbei.
„Welche Miesmuschel ist dir denn über die Flosse gerutscht?“, schnatterte Nero und holte Marisa mit Leichtigkeit ein.
„Miesmuschel?“, fragte Marisa und sah sich erst einmal um. Die anderen Meermädchen machten sich immer über sie lustig, wenn sie mit ihrem Delfinfreund sprach. Sie konnten ja nicht ahnen, dass Marisa Nero verstehen konnte. Außer ihr konnte schließlich kein Meermensch mit Tieren sprechen.
„Na, das sagt man so, wenn jemand ohne Grund miese Laune hat.“ Nero stupste seine Meermädchen-Freundin sacht mit der Schnauze an.