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RAFAEL FUCHSGRUBER
TANJA SCHÖNENBORN

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GLÜCKSMOMENTE
EINES ABENTEUERLÄUFERS

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DAS GESPRÄCH

PAARLAUF

GOBI MARCH 2018

SRI LANKA: 250 KILOMETER JUNGLE RACE

TIPPS UND TRICKS

1001 NACHT: ALI BABA UND DIE 40 LÄUFER

ONE NIGHT IN WESTERWALD

MEINE GROSSE LIEBE AFRIKA!

WISH YOU WERE HERE

ULTRATRAIL PLAGE BLANCHE / MAROKKO

ENDE DES GESPRÄCHS

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SAHARA | WHITE DESERT | ÄGYPTEN.

DAS GESPRÄCH

»Schatz! Willst du das nächste Buch mit mir zusammen schreiben?« »SPINNER!«, sagt sie, und dann kommt tagelang nichts dazu.

Ich laufe mittlerweile sehr entspannt durch dieses Leben, kann aber gerade bei neuen Themen oder Aufgaben gehörig nerven, wenn ich wirklich drauf stehe.

Tage später: »Schatz! Ich würde das gern mit dir zusammen probieren.« Tanja kontert mit einem Zitat des großen, haarigen Philosophen vom Planeten Melmac: »Finde in deinem Leben heraus, was du nicht kannst – … und dann lass das sein.« Um dann noch einen draufzusetzen: »Wen soll meine Lauferei und mein Leben schon interessieren?«

»Ich geb dir und Alf recht, aber er sagt ja, man solle es erst mal herausfinden, und ansonsten werden das Buch nur die Leute lesen, die es interessiert. Die Menge der Leute ist doch erst mal irrelevant. Ansonsten versteh ich dich sehr gut – ich kenn das. So ging es mir auch beim ersten Buch. Als ich bei der Abgabe des finalen Buchtextes auf Senden gedrückt habe, war ich aber sehr froh, dass ich mich getraut hatte.«

»Ja du, mit deinen vielen Rennen und Erfolgen, dazu noch der absurde Lebenslauf – halb tot gewesen, vom Alkoholiker zum Läufer. Das ist ’ne klassische Comebackstory. Die Leute stehen auf solche Geschichten.«

»Ja. Aber meine Geschichte ist geschrieben, und die Menschen wollen einfach neue, gute Geschichten. Du hast sie. Du weißt um die Brüche in deinem Leben, und da gibt es einiges zu erzählen.«

Das ging einige Tage so weiter; leider im Kreis und nicht voran. Ich sprach mit dem Verlag über diese Idee, und wie es zu erwarten war: Keiner stand im ersten Moment auf und rief »Hurra!«. Verständlich. Niemand kannte Tanja. Aber wie erwähnt: Ich kann nerven. Als wir klar waren, ging ich wieder zu Tanja.

»Schatz, du bist jetzt Autor.« Sie schaute mich fragend an. Man muss wissen: In den Nullerjahren hat sie einfach einen Rave zu viel besucht und hört deswegen manchmal etwas schlecht. Auf jeden Fall hielt sie den Kopf ganz schräg und fragte: »Outdoor?« Okay – klingt heute ’was läpsch, war aber witzig. »Wenn dir das lieber ist«, meinte ich.

Wir konnten uns darauf einigen, das Buch möglichst geheim zu halten, sodass es somit wahrscheinlich keiner lesen wird.

Das Konzept entstand beim Abendessen und war beim letzten Happ dann auch »gegessen«. »Zwölf Monate mit …« Die Frage: Geht das? Die Geschichte einer Anfängerin im Ultralauf, vom Gobi March im Sommer 2018 über ein schweres Rennen im Winter im Tschad zum längsten Etappenrennen der Welt über 520 Kilometer in Australien im Mai 2019?

Der Verlag mochte die Story, ein Laufmagazin stieg mit ein, und am Ende war sogar eine Filmproduktion vom ZDF bestätigt, die uns nach Australien begleiten sollte – und dann? Dann kam alles ganz anders. Es wurde das turbulenteste Jahr, das ein jeder von uns erlebt hat. Die Wüste Gobi wurde ein guter Start. Lungenentzündung und Tinnitus warfen Tanja im Winter aus der Bahn. Das Rennen im Tschad wurde zwei Tage vor Abflug wegen Krieg abgesagt, Opa Horschdd starb plötzlich, und dann kam es leider noch viel schlimmer …

Heraus kam ein Buch über eine ganz große Liebe, schwerste Niederlagen, und ein Buch, das von Zuversicht handelt. Wir haben die überschwänglichsten Glücksmomente erlebt, und wir waren am Boden. Aber nie ohne Hoffnung. Valley deep, mountain high. Irgendwann nahmen wir uns gegenseitig an die Hand und fingen an zu schreiben.

Ich danke meiner »Outdoorin« für dieses Vertrauen. Ohne Tanja wäre das Buch lange nicht so schön geworden, vielleicht sogar nie erschienen. Krisen sind die Chance, zu zeigen, was wir wirklich können. In den Zeiten der schweren Niederlagen war sie es, die die Kraft hatte.

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PAARLAUF

Jetzt bin ich fast zweimal um die Erde gelaufen. Viel entspannter bin ich, aber immer noch recht ahnungslos. Es hat mir viel gegeben in den letzten 16 Jahren. Seit dieser Zeit laufe ich und bin trocken – kein’ Schluck mehr. Ich habe es schon mal erzählt im Buch Running wild. Mich hatte es morgens umgehauen. Ich war schwerstabhängig vom Alkohol. Im Krankenhaus sagte der Internist: »Herr Fuchsgruber, es besteht der Verdacht auf Herzinfarkt.« Mit Anfang 40 stellte sich in diesen Minuten ganz konkret die Frage: »Vom Acker machen? Aber welche Richtung?« Da, wo ich war, war es nicht mehr zum Aushalten. Mein Magen blutete an vielen Stellen. Die Leber war bei »5 vor 12« angekommen, und jetzt die Pumpe. Ich soff tagelang durch. Ich war fast tot. Dann habe ich beschlossen, den nächsten Tag nichts zu trinken. Den Tag darauf auch nichts. Diese Entscheidung habe ich nun 5.787 Tage ohne Unterbrechung getroffen. Heute denke ich nur noch manchmal darüber nach. Ich lebe.

Viel passiert seit Running wild.

Da steht sie auf meinem Hof. Es ist das erste Januarwochenende 2018. Die Sonne gibt uns die Ehre und Wärme – arschkalt isses trotzdem. Tanja und ich treffen uns zu einem ersten gemeinsamen Lauf. Schöne drei Stunden mit guten Gesprächen und dieser herrlichen Luft, wie man sie nur am Anfang des Jahres bekommt – wenn Ostwind die Kälte Sibiriens rüberschiebt. Noch ahnt kein Mensch, wie sehr sich unsere Leben danach ändern werden.

Bilder sind es, die mich immer geprägt haben. Das ist nicht ungewöhnlich. Bilder haben eine viel höhere Wirkung auf uns als Worte. Von den Gesprächen mit Tanja weiß ich heute keine Themen mehr. Sie sprach, und ich sah viel zwischen den Zeilen. Ich dachte immer nur: »Sprich bitte weiter, auch wenn ich nur die Hälfte mitbekomme.« Sie lenkte mich zu sehr ab. Sie war lebhaft, hüpfte zwischendurch, erzählte und lachte dabei. Ein ungewöhnliches Bild von ihr blieb allerdings sehr haften. Sie ging nach dem Lauf zu ihrem Auto. Mein Angebot, ins Haus zu kommen, überhörte sie großzügig. Sie zieht ihre nassen Laufsachen aus und steht bald in BH und kurzer Laufhose irgendwo zwischen Pferdestall und Auto, um sich warme und vor allem trockene Sachen drüberzuschmeißen. Ein durchaus üblicher Vorgang – Trailläufer haben selten eine Umkleidekabine dabei. Ich bin 58 Jahre alt und habe in meinem Leben schon schöne Frauen gesehen – das ist sie wahrlich. Das Atemberaubende war aber das Natürliche, die Selbstverständlichkeit, mit der sie das an einem eisekalten Tag im Januar durchzog. Mir fallen schlagartig Bilder meiner langen Sommerurlaube in den 80er-Jahren an der Atlantikküste in Südfrankreich ein. Sie erinnert mich an die Surfergirls in dieser Zeit.

Ein Abschied, sie fährt, und es war schön verstörend. Die erwähnten Bilder bleiben.

Kennengelernt hatten wir uns im Sommer zuvor beim »Kölnpfad« – einem 75-Kilometer-Nachtlauf rund um Köln. Wir liefen damals in einer Gruppe und unterhielten uns charmant, interessant, da auch sie eine besondere Geschichte zu erzählen hat. Trennung von Mann und Umfeld sowie Umstellung von Leben und Ernährung folgen. In aller Konsequenz zieht sie es durch, und 28 Kilogramm später kann man das Sixpack ohne Speckmantel erkennen. Sie gehört zu den Menschen, die sofort umsetzen, was sie sich vornehmen. Nach dem Entschluss kommt direkt die Anmeldung zum Lehrgang für den Personaltrainer. Nach einem Jahr ist sie beim ersten Marathon gestartet, und der nächste Lauf war schon ein Ultra. Gas geben – muss man wollen. Und noch viel mehr: muss man auch aushalten können. Beim Gasgeben und Wollen bin ich immer gern dabei. Beim Aushaltenkönnen liegt sie aber unglaublich weit vorn, was sie ein Jahr später eindrucksvoll in der Mongolei belegen sollte.

Weil wir ein unterschiedliches Tempo liefen, trennten sich unsere Wege in Köln. Monate später – ich hatte gerade Bilder vom Ultra Africa Race Mozambique gepostet – meldet sich zu meinen Fotos via Instagram eine junge Frau mit riesiger Pudelmütze und noch größeren Kopfhörern. Text: »Ich würde gern mit dir laufen gehen.« Ich erkenne die Frau nicht, also reagiere ich nicht. Zwei Wochen später ein anderes Foto, aber fast der gleiche Text: »Würde gern noch mal! mit dir laufen gehen.« Wer ist sie? Wir waren wohl mal zusammen laufen. Ich taste mich vorsichtig heran und frage erst mal: »Wo wohnst du denn?« Sie antwortet mir: »Overath.« Worauf der feine Herr Fuchsgruber schreibt: »Ach, du bist es. Du Huhn – wie soll ich dich denn erkennen mit der Monsterpudelmütze und den Gettokopfhörern?« Mir ist es peinlich, und ich gehe dann in meiner Schüchternheit gern ein bisschen weit nach vorn. Und wenn wir schon dabei sind – eigentlich sollte dieses Buch heißen: Ich wär viel lieber schüchtern geblieben. Aber das hat im Verlag keiner so richtig ernst genommen. Konnte mich mal wieder nicht durchsetzen – grins.

Nach der Schreiberei auf Insta dauert es noch mal zwei Monate, bis wir tatsächlich den beschriebenen ersten Lauf im Januar hinbekommen. Da der gut war, gehen wir am Wochenende danach wieder zusammen raus. Das Wetter ist diesmal eher stressig, windig und nass. Falls wir danach durch sein sollten, hatten wir bereits über die Option Sauna gesprochen. Wir sind platt nach der langen Runde im Wald, und ab geht es in meine Lieblingssauna in den Westerwald.

Wir lieben beide von tiefstem Herzen das Laufen und fühlen uns nach der kalten nassen Zeit im Wald sehr wohl in der Wärme. In der Mitte der Sauna brennt ein Feuer. Jeder kennt sie, diese wunderbaren Wege, die die Gedanken nehmen, während wir auf lodernde Flammen blicken. Bevor Rosamunde Pilcher hier über mich kommt: Klartext. Es ist schwierig. Man kann sich nicht unterhalten. Nicht in der Sauna, schon gar nicht im Ruheraum, und im Gastrobereich quatschen alle. Wir sind sehr gespannt. Wir wollen reden – unbedingt –, kommen aber nicht zusammen. Es knistert, es brennt, aber wir brechen ab, und es gibt aus guten Gründen keine Fortführung in einen gemeinsamen Abend. Sehr gute Gründe. Ich bringe sie zu ihrem Wagen, um kurz darauf festzustellen, dass ihre Brille noch in meinem Auto liegt. Ein Anruf, und sie hält an der nächsten Bushaltestelle an. Ich komme hinterher, und diese mittelschöne Bushaltestelle in dem mittelschönen Dorf Greuelsiefen bildet den Rahmen für einen weiteren Neuanfang in meinem Leben. Sie lehnt an ihrem Auto, als ich komme. Sie nimmt mich kurz in den Arm und gibt mir einen Kuss. Ich hatte in meinem Leben schon mal geküsst. Aber! Es war das Bild und das Gefühl: Der Boden tut sich plötzlich auf, während eine Rakete versucht zu starten. Ein ganz schwieriges Unterfangen und nicht einfach, die Balance zu halten. Die emotionale Orientierung machte sich auf den Weg Richtung Tohuwabohu. Sie steigt in ihr Auto und fährt weg. Wieder einmal.

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Drei Tage später treffen wir uns erneut. Das Wort »Contenance« steht im Raum, und wir nehmen es über Stunden hinweg sehr ernst. Wir unterhalten uns irrsinnig intensiv. Wir kommen schnell auf die Themen: Glück, Unglück und Ziele, die wir im Leben haben. Wir kommen immer wieder auf uns. Es steht viel auf dem Spiel. Ich habe Familie, und Tanja kommt gerade erst aus einer Beziehung. Es gibt aber kein Halten. Drei Tage später sind wir ein Paar. Zwei Wochen danach schickt sie mich noch mal zur Haltestelle nach Greuelsiefen mit dem Auftrag, ihr die Geodaten von dort per WhatsApp zu schicken. Ich denke noch: »Wie süß, sie schreibt Tagebuch!« Naiv bin ich. Sie geht mit diesen Koordinaten zu ihrem Tätowierer, und jetzt sind sie ganz weit oben auf ihrem Bein verewigt. Verewigt? Ja! Im wahrsten Sinne des Wortes. Warum? Das wird sie selbst erzählen. Drei Monate später zieht Tanja bei mir ein. Es ist Mai. Natürlich gehört auch eine Trennung dazu. Ute und ich hatten zehn gute Jahre, aber auch Gründe, warum diese Beziehung gescheitert ist. Bei den langen Gesprächen in unserer Küche kamen wir gelegentlich überein, dass wir gemeinsam die Beziehung zu diesem Punkt gebracht haben. Ich habe die Trennung initiiert. Ich hätte das weiß Gott gern anders gehabt, aber aus den Entwicklungen der vorangegangenen Jahre ergab sich das. Verständlicherweise war unsere Kommunikation in den Anfangstagen etwas schwierig. Mittlerweile sprechen wir wieder ganz normal miteinander und stehen in gutem Kontakt. Unsere Tochter kommt wunderbar klar mit Utes neuem Lebensgefährten, und unser aller Verbindung wird ein neunjähriges, ganz besonderes Mädchen namens Mara bleiben. Für immer. Mara ist aufgrund eines Gendefektes (22q11 Deletionssyndrom) geistig behindert. Sie ist Hausphilosophin, Heldin und Initiatorin dieses Buches: »Papa, kannst du ein neues Buch schreiben? Ich kann das alte nicht mehr finden.« Auch wenn ich diesen Satz von ihr schon mal zitiert habe. Die Trennung hat für Mara super geklappt – sagt die Therapeutin, die sie am längsten betreut. Mara meint nur: »Für mich ist es toll. Ich hab jetzt zweimal Geburtstag und Weihnachten.« Mama und Papa bleiben Mama und Papa. In Tanja hat sie aber die beste erwachsene Freundin gefunden. Die beiden sind wie »Arsch auf Eimer«. Zwei Irre … Aber wenn ich mal auf einem Behindertenparkplatz parken könnte – ich darf das eigentlich –, krieg ich von den beiden einen Einlauf, der sich gewaschen hat. Eigentlich dürfte ich mit den beiden quer parken, aber Mara sagt, dass das gar nicht geht und voll peinlich wäre.

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»WOHIN DU AUCH GEHST, MARA, ICH WERDE DIR FOLGEN.«

Am 03. Juni bringe ich Tanja morgens Kaffee ans Bett. Ihren Laufrucksack reiche ich ihr mit der Bitte, doch mal reinzuschauen. Sie wühlt. Ganz unten ist er – der kleine Zettel für das große Rennen: »Einladung zum Gobi March über 250 Kilometer durch die Mongolei«.

Sie hat Geburtstag – toll. Sie hat noch sieben Wochen Zeit fürs Training – das ist weniger toll. Sie ist bisher 25 bis 30 Kilometer in der Woche gelaufen. Das ist okay – hat aber nichts mit ambitioniertem Training für einen der zehn härtesten Ultraläufe der Welt zu tun. Ich bin kein Freund von Rankings. Aber 250 Kilometer in der Wüste Gobi sind schon eine Ansage bei diesen Voraussetzungen. Ihre erste Reaktion damals: » WOW!« Eine Minute später noch mal ein kräftiges lang gezogenes »WOW!«, und dann kommt sie hart in der Realität an: »O mein Gott!« Ich muss herzhaft lachen. Kenne ich von mir! Erst mal hinein ins Getümmel. Alles Neue ist spannend – und danach erst realisieren, wie man sich mal wieder selber zurichtet; was man mit sich anrichtet.

Ich hatte Monate zuvor bereits beschlossen, dass ich Tanja als Support mit in die Mongolei nehmen will. Mein Little Desert Runners Club war mir mittlerweile in Sachen Kommunikation über den Kopf gewachsen. Auch für den Gobi March hatten wir wieder knapp 20 Teilnehmer, die zusammen, mit sich selber, mit mir laufen wollten. Der »LDRC« ist meine Idee einer Selbsthilfegruppe für frei umherlaufende Irre. Liebenswerte Menschen, verbunden durch eine extreme Neugierde bei geringer Sorgendichte. Viele kommen nach meinen Vorträgen zu mir und zeigen Interesse an den Abenteuerläufen, trauen sich aber noch nicht ran, weil sie vermuten, nicht gut genug zu sein. Gemeinsam ist immer leichter. So gehts auch im Jahr 2018. Tanja übernimmt Anfang des Jahres die Kommunikation mit den Clubbern, dem Veranstalter 4deserts und unseren Sponsoren. Alle aus dem Club fühlen sich bei ihr schnell gut aufgehoben. Sie brennt für den Club. Sie sitzt bis spät in die Nacht und schreibt mit den anderen »Anfängern«. Sie ist eine von ihnen. Ernsthaft. Sie hat zwei Ultras gemacht und ist bei beiden als Letzte ins Ziel. Sogar einmal als Allerletzte, wenn 45 Minuten nach Zielschluss quasi eine Sonderwertung darstellt. Jetzt ist sie Anlaufpunkt. Nicht wie der Fuchsgruber, der für die Beginner manchmal nicht so greifbar ist, weil vermeintlich unaufhaltbar. Oder was auch immer. Alles Käse. Dazu später.

Im Mai wächst bei mir der Gedanke, dass Tanja vor Ort im wahrsten Sinn kaputtgehen wird, sollte sie nicht laufen dürfen. Als Volontär/Crewmitglied darf man laut Reglement Läufer nicht unterstützen oder begleiten. Sie hätte vor Ort nicht bei uns »leben« dürfen – auch nicht bei uns im Zelt schlafen dürfen. Das ging mir auch ein wenig gegen den Strich. Ich habe sie einfach gern um mich rum. Kontakt zu 4deserts wird aufgenommen. Wir finden einen Deal, dass die Organisation sie noch kurzfristig als Läuferin »einlädt«.

Achtung, jetzt kommt ein Karton!

Ein Karton voller Überraschungen werden diese sieben Wochen sein. Ich habe schon viel erlebt. Ich bin alt genug, um den Gedanken und Sorgen zur Zukunft weniger Raum zu schenken als in den schwierigen Jahren zuvor. Die meisten Katastrophen treten doch eh nie ein. Ich bin kein Fan vom deutschen Bedenkenträgertum. Störend, befremdlich, so empfinde ich das immer mehr, je mehr ich reise.

Eine meiner späten Erkenntnisse aus allen meinen Läufen: Der sicherste Platz für Schiffe ist im Hafen. Aber dafür sind sie nicht gemacht. Und bei mir? Ich werde draußen sterben. Ich werde zumindest alles dafür tun.

Und für Tanja ist das mit dem Hafen erst recht nix: 20 Jahre jünger als ich. In manchen Momenten, die ich liebe, ist sie noch jünger. Sie ist die Frau, die hüpft. Einfach so beim Laufen. Ein kleiner Sprung zwischendurch, wie Kinder es tun. Sie hat einen Weg gefunden, es ins Erwachsensein hinüberzuretten. Ich nicht. Aber ich suche wieder – heimlich.

Junge Pferde, die laufen wollen, sind schwer einzufangen. Es braucht enorm viel Vertrauen. Ich weiß, wovon ich spreche. Ich habe Pferde hier bei uns auf dem Hof.

Wir starten das Training bei 30 Kilometern die Woche, und sieben Wochen sind nichts, wenn man davon ausgeht, dass eine Steigerung von zehn Prozent pro Woche von vielen empfohlen wird – und das mit Recht. Es wird schwierig werden, auf hohe Umfänge zu kommen. Sicherlich geht bei 30 Kilometern in der Steigerung anfangs mehr, aber die Grenze ist schnell erreicht, um die Lauferei verletzungsfrei zu überstehen. Dazu kämen in dem Zyklus bis zum Start in der Mongolei noch zwei Regenerationswochen mit Reduzierung des Umfangs.

Es kann nur ums »Einrollen« gehen und die Gewöhnung an den Rucksack. Kilometer sammeln. Höhenmeter laufen. Alles, ohne die Läuferin kaputt zu machen. Der Rucksack wird sofort mit 2,5 Kilogramm Gewicht angepackt und jede Woche gesteigert, bis das Wettkampfgewicht von etwa 8 Kilogramm erreicht ist.

Tanja lässt sich gut trainieren. Ganz großes Kompliment. Wenn ich früher über Training sprach, erzählten Trainer gern, dass es nix Anstrengenderes gibt, als schnelle Frauen zu trainieren. Wieso fallen mir diese Gespräche schon eine Woche nach dem Geburtstag wieder ein? Sie ist hoch motiviert. Man muss sie eher bremsen, einfangen. Bei den Reitern gibt es eine goldene Regel, dass sich Paare nicht gegenseitig ausbilden oder trainieren sollten, um ihre Beziehung nicht in Gefahr zu bringen. Ja, ja!

Wir haben große Ziele, die verbinden. Tanja hat große Sorgen, was auf sie in der Wüste zukommen wird. Das ist sehr verständlich. Bevor ich mich zu meinem ersten Wüstenultra angemeldet hatte, den Marathon des Sables 2007, hatte ich erst mal ein Jahr trainiert, obwohl ich schon einige Jahre laufend unterwegs war und zu der Zeit mit 3:10 Stunden auf Marathon im gehobenen Mittelfeld mitlief. Tanja hatte die zwei erwähnten Ultras und einen einzigen Marathon in 4:33 Stunden intus … und jetzt noch sieben Wochen vor sich.

Sie ist streng mit sich. Morgens um 5 Uhr vor der Arbeit und abends um 21 Uhr mit Hund Hola¡, während ich mit Tochter Mara schon im Bett liege. Sie kommt im Dunkeln zurück. Wie bei vielen in den Anfangstagen, steht das »Messen« im Fokus. Die Uhr! Die Meter von vorn nach hinten, von oben nach unten, die Zeit und die daraus resultierende Geschwindigkeit, und wehe, da geht was schief. Mich nervt es manchmal. Das wird noch besser werden mit den Jahren. Bei mir und sicherlich auch bei ihr. Polar bietet hier viele Features – Madame übertreibt es aber ab und an. Anyway. Ihr Lieblingssatz: »Ich bin heute echt zufrieden.« Das ist viel – finde ich. Wir sitzen dann noch ein wenig auf der Bank vorm Hauseingang und machen Pläne. Das machen wir gern. Danach gehen wir ins Bett.