Dieses E-Book ist der unveränderte digitale Reprint einer älteren Ausgabe.
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg
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Umschlaggestaltung Anzinger | Wüschner | Rasp, München
Impressum der zugrundeliegenden gedruckten Ausgabe:
ISBN Printausgabe 978-3-499-24008-9
ISBN E-Book 978-3-688-11835-9
www.rowohlt.de
ISBN 978-3-688-11835-9
Für Nicolas Vilag,
der mich ermunterte und ermutigte,
dieses Buch zu schreiben
Wenn ein Schriftsteller ein Thema wählt, bei dem das Land, die gesellschaftlichen Verhältnisse und das Temperament der Menschen, die er schildert, nicht zu seinem persönlichen, unmittelbaren Erfahrungsbereich gehören, ist das der Gipfel der Unverschämtheit. Aber Schriftsteller sind unverschämt. Außerdem sind sie oft besessen von Themen, die außerhalb ihrer eigenen Erfahrung liegen. Und wenn ein Schriftsteller von einem Thema besessen ist, bleibt ihm gar nichts anderes übrig, als diesem Drang nachzugeben. Csárdás ist das Ergebnis meiner Besessenheit.
Auf den Titel kam ich, als ich in einem Dorf im nördlichen Ungarn zusah, wie ein sehr altes Paar tanzte. Der alte Mann war sehr groß und sehr schlank, seine Frau – in der Tracht der Landleute mit schwarzem Rock und Schultertuch – war winzig, so breit wie hoch, und reichte ihm kaum bis zur Brust.
Man sollte meinen, dass sie wie ein nicht zueinander passendes komisches Paar ausgesehen hätten, aber das war nicht der Fall, und sie tanzten mit solcher Anmut, dass die jüngeren Tänzer alsbald innehielten und den beiden zuschauten und zum Schluss Beifall klatschten. Die Gesichter der beiden Alten waren von harten Zeiten, von schweren Jahren gezeichnet, zwei Weltkriegen, unzähligen Revolutionen, Zeiten der Besatzung – und das alles zusätzlich zu der allgemeinen Not der Armut, denn das Los der ungarischen Bauern ist nie leicht gewesen. Doch während ich den beiden zuschaute, sah ich sie plötzlich so, wie sie einst, vor fünfzig Jahren, gewesen sein mochten: er ein stattlicher junger Mann und sie ein hübsches Bauernmädchen. Und zwischen diesem jungen Paar und den beiden alten Menschen lag die ganze ehrenvolle und grausame Geschichte des ungarischen Volkes.
Jeden zu erwähnen, der mir bei diesem Buch geholfen hat, wäre unmöglich. So spreche ich hier allen Freunden, die ich in Ungarn gewann und die mir großzügig Hilfe und Gastfreundschaft gewährten, einen herzlichen Dank aus. Bei meinen Ungarnreisen (die ich allein und ohne offizielle Fremdenführer unternahm) stieß ich überall auf Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft. Immer konnte die Sprachschranke irgendwie überbrückt werden – im Wesentlichen deshalb, weil fast alle Ungarn, die ich kennen lernte, zwei oder drei Sprachen fließend beherrschten –, und ich kehrte heim mit einem Notizbuch voller Erinnerungen von Menschen aller Altersstufen und Schichten. Es waren keine großen Erinnerungen von historischer Bedeutung (dergleichen findet man in den Geschichtsbüchern), sondern lauter kleine Einzelheiten, Erinnerungen an das erste Ballkleid oder an ein Bauernkind, das barfuß durch den Schnee zur Schule ging, oder an einen alten Kutscher, der zwei kleine Jungen mit wilden Geschichten aus den preußischen Kriegen begeisterte.
Ich hoffe, die Ungarn verzeihen mir etwaige Fehler, die mir unterlaufen sein mögen. Zwar habe ich Recherchen betrieben, um die historischen Details möglichst authentisch darzustellen, doch mag sich die eine oder andere Ungenauigkeit eingeschlichen haben.
Unter den zahlreichen Büchern, die ich gelesen habe, war Hungary von Paul Ignotus für mich besonders ergiebig; außerdem fand ich es am ausgewogensten und auch am witzigsten. (Die Menschen im tapferen Ungarn haben sich immer ihren Sinn für Humor bewahrt.) Ignotus, gelehrter Historiker, war auch so liebenswürdig, meiner Bitte um persönliche Erinnerungen zu entsprechen.
Der auf den Seiten 174–178 beschriebene Vorfall in Polen hat sich tatsächlich zugetragen. Die Schilderung basiert auf einer Reportage aus dem Ersten Weltkrieg von Pastor Árpád, doch wurden die Angaben des Ortes und der Zeit verändert.
Und schließlich muss ich in herzlicher Dankbarkeit auch den Mann erwähnen, von dem die Anregung zu diesem Buch stammt und der mir in den vier Jahren, in denen ich daran arbeitete, immer wieder Mut zusprach und mir geduldig eine Vielzahl unterschiedlichster Fragen beantwortete, ob ich ihn nun nach den Auswirkungen des «Anschlusses» fragte oder wissen wollte, was er als kleiner Junge gewöhnlich zum Frühstück gegessen hat. Ihm, meinem lieben Freund Nicholas Vilag, sage ich einen ganz besonders herzlichen Dank. Er hätte das Buch selber schreiben sollen, aber da er das nicht wollte, habe ich es nun getan, so gut ich konnte.
September 1974
Diane Pearson
Sie kamen vom Osten her, die sieben Stämme – Megyer, Nyék, Kürtgyarmat, Tarján, Jeno, Kér und Keszi –, und der Stamm der Megyer war der größte. Und die Fürsten der sieben Stämme wählten Almos, das Oberhaupt der Megyer, auf dass er sie in ein neues Land führte, ein Land der Berge und Wälder und fruchtbaren Ebenen. Und die sieben Fürsten ließen Tropfen ihres Blutes in einem Gefäß zusammenfließen und tranken davon. So entstand aus Blutsbrüderschaft die magyarische Nation. Und so sollte sie durch die Jahrhunderte bestehen bleiben.
Eintausend Jahre lang wurde das Land verheert. Die Mongolen kamen und töteten, und die Kreuzritter kamen auf ihrem Zug in einen heiligen Krieg und nahmen sich, was sie brauchten. Protestanten kämpften gegen Katholiken, Bauern rebellierten gegen Feudalherren. Die Türken kamen als Eroberer, als fremde Herrscher, und nach den Türken nahmen die Habsburger sich das Land und unterstellten es ihrer Herrschaft. Und bei jedem Raubzug, jeder Eroberung, vermischte sich das Volk mit den Fremden – mit den Mongolen, mit den Franken und Sachsen, mit den Türken und den Völkern des Heiligen Römischen Reiches, mit den Juden und mit den Slawen und mit den Russen. So blieb von der ursprünglichen Eigenart der sieben Stämme wenig erhalten. Aber es blieb dem Volk die von Almos begründete Tradition, es blieb der Geist der Brüderschaft.