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Kurzbeschreibung:

1606: Durch eine Seuche zur Waise geworden, gelangt die 17-jährige Emilia in die Dienste der Gräfin Elisabeth Bathory, der mächtigsten Frau Ungarns. Emilia ist glücklich über die Möglichkeit ihrer Berufung zur Gewandschneiderin folgen zu können, doch schon bald überschatten Todesfälle und Misshandlungen das Leben am Hof. Obwohl Emilia in der Gunst der Gräfin steht, die ihre Fähigkeiten schätzt und ihr vertraut, erkennt sie eine dunkle Seite an ihrer neuen Dienstherrin. Als sie sich in Istvan verliebt, der ebenfalls schicksalshaft mit Elisabeth verbunden ist, spitzen sich die Ereignisse dramatisch zu und Emilia gerät in einen lebensgefährlichen Strudel aus seelischen Abgründen und politischen Ränkespielen. 

Tereza Vanek

Im Dienst der Gräfin


Historischer Roman


Edel Elements

Prolog

Wien 1604

„Vorgänge so ungeheuerlich, dass sie jeder Beschreibung entbehren!“, wetterte die Stimme des Mannes von der Kanzel herab. „Wider die Gesetze Gottes, die menschliche Natur, die Ordnung der Welt! Ein Weib so verderbt, dass es nur ein Geschöpf Satans sein kann, treibt ungehindert sein Unwesen, geschützt durch seine hohe Geburt und seine einflussreiche Verwandtschaft. Ich bitte euch, rechtschaffene Bürger dieser Stadt, betet für die armen Seelen eurer Schwestern, die den widerwärtigen Gelüsten dieser Frau ausgeliefert sind! Auf dass der Kaiser in seiner Macht und Weisheit, die Gott der Herr ihm geschenkt hat, diese Kreatur des Teufels in ihre Schranken weist!“

„In seiner Macht und Weisheit“, murmelte ein alter Mann ganz hinten in der kleinen Kapelle spöttisch, „hat der Kaiser in seinen Ländereien die lutherische Konfession verboten, sodass wir uns nun heimlich treffen müssen. Wer ist denn dieser Kerl, der uns da drängt, den Kaiser um irgendwas anzuflehen?“

„István Magyari, ein ungarischer Kirchengelehrter“, belehrte ihn seine Tochter. „Er ist nach Wien gekommen, um sein Anliegen dem Kaiser vorzutragen.“

„Als ob der Kaiser auf einen Protestanten hören würde!“, meldete sich nun ein weiterer Mann zu Wort, der, allmählich ermüdet von der langen Predigt, lieber dem Gespräch seiner Nachbarn gelauscht hatte. Um seine Aussage zu bekräftigen, spuckte er in hohem Bogen Kautabak aus. Ein weiterer Zuhörer, davon getroffen, drehte sich empört um, konnte den Übeltäter aber in der Menge nicht entdecken.

„Dieser Magy-Irgendwas wäre besser in seiner Heimat geblieben, wo unsereiner sich nicht verstecken muss“, sagte der Alte zu seiner Tochter. „Egal, wie viele Teufelsweiber sich da herumtreiben, schlimmer als die katholischen Pfaffen, die uns jagen, können sie nicht sein. Was soll diese Hexe eigentlich angestellt haben, dass er deshalb bis nach Wien fahren muss, anstatt den Fall der ungarischen Obrigkeit zu übergeben?“

„Also wenn du von Anfang an richtig zugehört hättest“, wurde er sogleich von dem streng dreinblickenden Mädchen ermahnt, „dann wüsstest du, dass diese Frau zum ungarischen Hochadel gehört.“

Der Tabakspucker hatte sich so unauffällig wie möglich dem Mädchen genähert, denn es gefiel ihm trotz seiner altklugen Art.

„Dann kann er sich die ganze Mühe sparen“, erzählte er Vater und Tochter, um endlich mit ihnen ins Gespräch zu kommen. „Die Mächtigen und Reichen stecken doch alle unter einer Decke, außer sie beschließen plötzlich, sich zu bekriegen. Ich finde, dieses Gezeter wird langsam ermüdend. Wollen wir in eine Weinschenke gehen?“

Das Angebot war recht dreist gewesen, doch der Vater des Mädchens nickte mit leuchtenden Augen.

„Lass uns gehen, Tochter. Der Prediger verrät ja nicht einmal, was dieses Teufelsweib angestellt hat, und wiederholt sich ständig!“

Das Mädchen zog eine enttäuschte Miene.

„Ich würde wenigstens gern ihren Namen wissen. Den hat er noch gar nicht genannt.“

„Das wird er auch nicht“, erklärte ihr der Tabakspucker. „Dazu ist er zu vorsichtig. Es gibt hier nichts Neues mehr zu erfahren, aber ich kenne eine Schenke, wo der Lammbraten es mit den Speisen an fürstlichen Tafeln aufnehmen kann. Und eine so schöne Maid bekommt dazu sicher einen Krug Wein umsonst.“

Er lächelte das Mädchen an und beobachtete zufrieden, wie die weichen Wangen sich rosig färbten. Die Kleine hatte in ihrem Leben wohl noch nicht allzu viele Komplimente bekommen.

„Nun gut, wenn es der Wunsch meines Vaters ist“, gab sie auch schon nach. Der Tabakspucker legte seine Hand auf ihren Ellbogen, um sie aus der Kapelle zu führen. Der Vater folgte ihnen auf dem Fuße.

István Magyari sah von seiner Kanzel aus, wie die ersten seiner Zuhörer sich entfernten, und für einen Augenblick versagte ihm die Stimme, da er von der langen Rede bereits heiser zu werden begann. Wie aussichtslos schien doch der Kampf, auf den er sich eingelassen hatte! Wie gering die Aussichten, eine Angehörige des mächtigsten ungarischen Adelsgeschlechts zu zwingen, sich an Gottes Gebote zu halten! Aber er hatte in die Abgründe der Seele dieses Weibes blicken können und würde nicht aufgeben, die Welt vor ihnen zu warnen, solange Gott der Herr ihm die Kraft dazu gab.

1. Kapitel

„Gib es mir, ich kann das flicken!“, rief Emilia hoffnungsvoll, als sie sah, wie Tante Irmgard eine schon mehrfach zerrissene Bluse den Flammen des Herdfeuers überlassen wollte. Als der verärgerte Blick ihrer Tante sie streifte, machte sie sich etwas kleiner, denn sobald die Hausherrin genug Gewürzwein getrunken hatte, warf sie gerne mal mit schwereren Gegenständen als Kleidungsstücken um sich.

„Na, meinetwegen kümmere dich drum. Vielleicht taugst du wenigstens dazu!“, knurrte Tante Irmgard nach einem kurzen Moment des Nachdenkens, und die zerstörte Bluse landete auf Emilias Kopf. Es war nur Stoff, der nicht wehtat. Emilia legte erfreut die Schüssel mit den Bohnen beiseite, die sie zu putzen und zu schälen hatte. Die Magd konnte das ebenso gut erledigen, wenn sie endlich vom Markt zurückkam, und ihre Tante hatte ihr diese Aufgabe nur zugeteilt, weil sie es stets hasste, wenn Emilia eine Weile untätig herumsaß. Gierig griff sie nach dem Stoff. Es war grobes, dickes, uneben gewebtes Tuch, aber geschickt verarbeitet. Tante Irmgard hatte das Kleidungsstück von einer der reichen Damen, deren Messer Onkel Hayo regelmäßig schliff, als milde Gabe erhalten, nachdem die letzte Arbeit nicht rechtzeitig bezahlt worden war. An vielen Stellen war der Stoff aufgerieben, da Tante Irmgard ständig irgendwo anstieß, doch ließ sich der Makel noch mit robustem Garn beheben. Ansonsten waren die weit ausladenden Ärmel geschickt an der Schulter gerafft, sodass sie weit fielen und an den Handgelenken wieder zusammenwuchsen. Hier wiesen die schmalen, akkuraten Stiche auf einen Meister seines Handwerks hin. Es wäre allzu schade gewesen, dieses Kleidungsstück vom Feuer auffressen zu lassen.

Emilia zog schnell die Nadel aus ihrem Beutel. Sie besaß nur noch braunes Garn, aber die sicher einst weiße Bluse hatte im Laufe der Zeit einen tiefen Gelbstich bekommen, sodass die Farbmischung weniger auffallen würde. Das Gefühl, endlich wieder die Nadel durch Stoff gleiten lassen zu können, war fast berauschend. In ein paar Stunden hätte sie aus der Bluse wieder ein vorzeigbares Kleidungsstück gemacht! Vielleicht würde die Familie ihres Onkels dann endlich erkennen, worin die wahre Begabung des widerwillig aufgenommenen Waisenkindes lag, und aufhören, sie Töpfe scheuern und Bohnen putzen zu lassen, bis ihre Hände rissig waren.

Das Licht der Talgkerze war schwach, sodass Emilia sich tief über ihre Arbeit beugen musste. Schmerzhafte Sehnsucht schnürte ihre Kehle zusammen, als sie an die Tage in der Werkstatt ihres Vaters dachte, wo weit geöffnete Fenster und zahlreiche Wachskerzen all seinen Lehrlingen und auch ihr die Arbeit erleichtert hatten. Damals hatte es Garn in fast allen Farben von Gottes Schöpfung gegeben, Nadeln verschiedener Größe, stets frisch gewetzte Scheren zum Zuschneiden der Stoffe, die so kostbar und fein gewesen waren, dass Emilia zunächst Angst gehabt hatte, sie könnten durch eine einzige, unvorsichtige Berührung Schaden nehmen.

Es war, wie es war, sagte sie sich. Sie lebte noch, als Einzige ihrer Familie, hatte ein Dach über dem Kopf und regelmäßiges Essen auf dem Tisch. Wenn sie ihre Verwandten nur von ihren Fähigkeiten überzeugen konnte und mehr Näharbeiten bekam, würde sich ihr Talent in Augsburg herumsprechen. Vielleicht bekäme sie sogar eine Anstellung bei einem Schneidermeister, konnte seinen Sohn heiraten und sich so ihren Traum von einer eigenen Werkstatt erfüllen. Einen Weg musste es geben, denn es schien ihr unglaubwürdig, dass Gott der Herr ihr die Liebe zum Umgang mit Stoffen geschenkt hatte, nur damit sie für den Rest ihres irdischen Lebens vor Sehnsucht danach verging.

Grete, die Dienstmagd, kam hereingetänzelt, als es bereits zu dämmern begann. Auf ihren Wangen lag ein sehr tiefer rötlicher Ton, ihre Augen glänzten, als litte sie an Fieber. Achtlos warf sie den halb vollen Korb in eine Zimmerecke und hockte sich auf einen Stuhl neben die bereits schnarchende Hausherrin.

„Bist du mit den Bohnen fertig?“, fragte sie Emilia, die nur kurz aufgeblickt hatte.

„Nein. Ich erledige eine Näharbeit. Du wirst dich um das Abendessen kümmern müssen.“

Emilia war stolz, wie entschieden sie geklungen hatte. Ihr Vater hätte es niemals geduldet, dass eine Magd sich den ganzen Nachmittag auf dem Markt herumtrieb und dann faul herumhockte.

„Das hat doch wirklich bis morgen Zeit“, erwiderte Grete, die mit einer gelassenen Handbewegung ihr Gähnen verbarg. „Hayo hat auf dem Markt einen Verwandten getroffen, diesen Hausierer, und ihn zum Essen eingeladen. Also sollte auch etwas auf dem Tisch stehen, wenn die zwei hier eintreffen.“

„Ja, das sollte es wohl“, sagte Emilia und nähte beharrlich weiter. Sie kam nicht gegen das Gefühl an, dass sie diesen Kampf unbedingt gewinnen musste.

„Na gut.“ Grete war mit einem weiteren Gähnen aufgestanden. „Du putzt die Bohnen, ich brate Würste, und die Dame des Hauses schläft weiter ihren Rausch aus.“

Gretes breites, schelmisches Grinsen versöhnte Emilia mit ihrer Trägheit, und sie legte die Näharbeit schweren Herzens beiseite. Ihr Magen knurrte bereits, und wenn sie sich auf Tante Irmgard verließ, würde sie hungrig zu Bett gehen müssen. Seufzend ging sie zu dem kleinen Tisch dicht neben dem Herd und machte sich wieder an den Bohnen zu schaffen. Grete holte bedächtig ein paar Würste aus der Vorratskammer und steckte sie auf einen Spieß, den sie über dem Herdfeuer zu drehen begann. Diese Art von Tätigkeit gefiel ihr, da sie einfach war, nicht sonderlich anstrengend, und ihr genug Gelegenheit zum Plaudern ließ.

„Dieser Kurt, der Hausierer, hat diesmal ein paar sehr schöne Kleider dabei“, erzählte sie, während Emilia die nun geputzten Bohnen in eine Tonschüssel mit Wasser füllte und eine Prise Salz hinzugab. Wenn sie sich schon die Mühe mit dem Kochen machte, sollte es auch einigermaßen schmecken! Gleichzeitig aber weckten Gretes Worte ihre Aufmerksamkeit.

„Was für Kleider? Und woher hat er sie?“

Bisher hatte Kurt nur Lumpen mitgebracht, deren unangenehmer Geruch in ihr Widerwillen geweckt hatte, sie überhaupt anzufassen. Ihre Gedanken wanderten zu ihrer letzten Näharbeit zurück. Vielleicht konnte sie mit dem braunen Garn ein Muster auf die Bluse sticken, in das die geflickten Stellen sich derart einfügten, dass sie kaum noch als solche zu erkennen wären. Leider wäre es nachts zu dunkel für diese Aufgabe. Sie würde sich bis zum nächsten Morgen gedulden müssen.

„Irgendwo muss er einer Edelfrau in Not ihre Roben abgekauft haben“, plauderte Grete weiter. Sie hatte sich auf den Tisch neben Emilias Schüssel gesetzt und ließ ihre Beine baumeln.

„Wahrscheinlich sind sie Diebesgut, was soll’s! Er meint, dass er nun endlich ein gutes Geschäft machen kann, aber so dumm, wie der sich immer anstellt, habe ich meine Zweifel. Vielleicht gibt er mir ja ein Gewand ab, wenn ich nett zu ihm bin …“

Sie lächelte verträumt. Emilias Bewegungen waren schneller und fahriger geworden. Als sie die Schüssel an einem Haken über dem Herd befestigte, um die Bohnen aufkochen zu lassen, verschüttete sie etwas Wasser, und ein beißendes Zischen erklang. Wie lange war es her, dass sie edle, kunstvoll verarbeitete Stoffe in den Händen gehalten hatte, die zähe, zarte Glätte von Seide spüren konnte, weichen Samt, gestärkte Spitze, harten, glänzenden Taft? Sie durfte nicht zu viel erwarten, mahnte sie sich, denn wirklich edle Gewänder gerieten selten in die Hände eines gewöhnlichen Hausierers, aber auf einmal sah sie Kurts Ankunft mit Ungeduld entgegen.

„Gibt es noch etwas Speck im Haus? Ich könnte damit die Bohnen anbraten“, schlug sie vor. Mit einer leckeren Mahlzeit im Magen wäre der Hausierer vielleicht auch ihr wohlgesonnen, denn auf Gretes Art wollte sie sich nicht gefällig zeigen müssen. Grete zuckte gelangweilt mit den Schultern.

„Speck haben wir keinen mehr. Aber ich habe einen Brotfladen vom Markt mitgebracht. Zusammen mit deinen Bohnen und den Würsten muss es reichen. Bier haben wir jedenfalls genug, damit die Herrschaften zufrieden sind.“

Sie kicherte, und Emilia glitt wieder in einen Sog von Erinnerungen. Ihre Mutter hatte es stets verstanden, aus einfachen Zutaten leckere Mahlzeiten zu zaubern, jeden Sonntag hatte es frisches Fleisch gegeben und wohlschmeckenden Wein statt des billigen Biers, das Onkel Hayo bevorzugte. Saubere, hübsch bestickte Decken, Teller aus Ton und blank poliertes Besteck hatten stets den Tisch geziert, an dem die Familie ihre Mahlzeiten einnahm. Tante Irmgard hatte zwar das meiste davon mitgenommen, doch war es inzwischen entweder zerbrochen oder zu schlechten Zeiten gegen Nahrungsmittel eingetauscht worden. Nur ihr Nähzeug hatte Emilia bewahren können, da sie es meist versteckt hielt und zudem niemand hier etwas damit hätte anfangen können. Tante Irmgard und Onkel Hayo störten sich nicht an Rissen, wenn es zu viele wurden, warfen sie das Kleidungsstück einfach fort.

Die Tür knarrte, und Tante Irmgard fuhr auf. Völlig gelassen erhob sie sich aus dem Sessel, in dem sie eingeschlafen war, rieb sich die Augen und ging den Gästen entgegen.

„Schau her, wer da ist, mein Schatz!“, rief Onkel Hayo und schloss seine Frau in die Arme. Emilia überkam ein kurzer, ungewohnter Moment der Rührung. Juliane Maibacher, die Nachbarin, wurde von ihrem Mann regelmäßig verprügelt, weil sie keinen ordentlichen Haushalt zu führen vermochte, doch Tante Irmgard konnte schlampig sein und sich schon tagsüber betrinken, wie sie wollte, für ihren Gemahl blieb sie ein anbetungswürdiges Geschöpf. Es mangelte in diesem Haus zwar an Ordnung und Wohlstand, doch nicht an Zuneigung. Nur beschränkten die Eheleute sich darin gänzlich aufeinander, alle anderen waren ausgeschlossen, wie Emilia jeden Tag deutlich zu spüren bekam.

„Der Kurt ist wieder da!“, verkündete Hayo und schob Irmgards Neffen durch die Tür. Der Hausierer war ein Mann von etwa dreißig Jahren, dunkelhaarig, hager und mit einem scharf geschnittenen Profil. Wäre er etwas sauberer gewesen, hätte Emilia ihn vielleicht als gut aussehend eingeschätzt, doch die abgewetzte Lederhose und sein mit Dreck verschmiertes Hemd missfielen ihr, ebenso wie das zu einem Pferdeschwanz gebundene, fettig glänzende Haar.

„Wie schön, dich wiederzusehen, Junge!“, rief Tante Irmgard und drückte den Neuankömmling an ihren weichen, ausladenden Busen. „Du bist sicher hungrig. Wir haben schon etwas zu essen gemacht.“

Stolz deutete sie auf das von Grete und Emilia zubereitete bescheidene Mahl. Der Sessel wurde dem Gast überlassen, Irmgard und Hayo beschieden sich mit den einzigen zwei Holzstühlen im Haus, und für Emilia blieb nur ein wackeliger Schemel. Grete trug das Essen auf, setzte sich dann unaufgefordert auf einen umgedrehten Eimer und griff eifrig zu, um nicht leer auszugehen.

„Na, erzähl schon, Junge, wo bist du überall herumgekommen?“, fragte die Tante, während sie an ihrer Wurst kaute.

„Ach, überall und nirgendwo“, begann der Hausierer und brachte mit einer ausladenden Handbewegung fast den Bierkrug zum Umfallen. „Ich war in Schweden bei den Lutheranern, dann geriet ich im Osten an die Grenzen, wo die Türken wüten. Einmal musste ich mich im Wald vor einer Horde Ungläubiger verstecken, die die Leute aus einem kleinen Dorf in die Sklaverei verschleppten! Zwei Tage irrte ich dann mit knurrendem Magen durchs Schneegestöber, bis endlich in der Ferne der Turm einer kleinen Kirche auftauchte, wo ich Unterschlupf fand, und ein hübsches Mädchen, das dort betete, rettete mich vor dem Verhungern.“

Er nahm einen tiefen Schluck Bier und lehnte sich in den Sessel, während er sich mit dem Handrücken den Mund abwischte.

„Du warst vor etwa zwei Monaten das letzte Mal hier“, mischte Emilia sich nun ins Gespräch. „Da war noch Frühling. Wie konntest du also ins Schneetreiben geraten, wenn doch noch gar kein Schnee gefallen ist?“

Sie bedachte Kurt mit einem harten, geraden Blick.

„Im Norden, da schneit es immer“, antwortete er völlig gelassen.

„Aber du hast vom Osten erzählt, dort, wo die Türken wüten.“

Emilia spürte, wie Tante Irmgards Blick sie wütend streifte, gab aber nicht nach, obwohl es vernünftiger gewesen wäre.

„Der Nordosten eben!“, sagte Karl lachend. „Ein Mädchen, das noch nie aus Augsburg herausgekommen ist, hat von der Welt doch keine Ahnung!“

Tante Irmgard brach in schallendes Lachen aus. In Emilias Ohren klang es boshaft, und sie spürte, wie ihr Tränen in die Augen schossen.

„Ich habe gehört, der junge Herr hat unterwegs einer Edelfrau ihre Gewänder abgekauft“, mischte sich nun plötzlich Grete ins Gespräch, und Emilia war ihr dankbar dafür.

„Ja, so ist es“, sagte Kurt, und Gretes Lächeln streichelte ihn sanft, sodass er gleich fortfuhr: „Ich denke, mit diesen Sachen kann ich gutes Geld verdienen und mir einen neuen Karren leisten, denn der alte macht es nicht mehr lange.“

Die Frage, wie er denn seinen Karren vor den Türken gerettet hatte, lag Emilia auf der Zunge, aber sie zwang sich zu schweigen, denn im Augenblick gab es wichtigere Angelegenheiten.

„Würdest du uns diese Gewänder zeigen? Oder hast du sie irgendwo verborgen, wo sie erst einmal unauffindbar sind?“, forderte sie Kurt erneut heraus. Er zögerte keinen Augenblick, stand auf und schleppte einen großen Sack herein, den er mitten im Raum ausschüttete.

Emilia schnappte nach Luft. Da war es tatsächlich, wonach sie sich so lange gesehnt hatte: Spitze, Taft, Samt und Seide in schillernden Farben, doch ging ein modriger Geruch von diesem Stoffhaufen aus, und als Kurt eine Kerze darauf richtete, erkannte sie zahlreiche Flecken. Gretes Hände hatten sogleich zu wühlen begonnen, und mit einem Laut der Begeisterung zog die Magd ein hellgrünes Seidenkleid hervor.

„Das ist wunderschön, und es würde mir sicher passen!“, rief sie, während sie es an ihren Körper hielt. „Leider ist der Kragen zerrissen, ich bräuchte einen Ersatz.“

Sie warf Kurt einen schmachtenden Blick unter halb geschlossenen Lidern zu. Emilia, die ihr Verhalten peinlich fand, nahm das Kleid schnell an sich. Es war tatsächlich eine wunderschöne Arbeit mit geraden Nähten und einem ordentlichen Saum. Der Anblick des zerfetzten Kragens versetzte ihr einen Stich, doch sah sie mitten im Kleiderhaufen eine weiße, unversehrte Halskrause aufleuchten.

„Man sollte den Kragen durch die Krause ersetzen“, sagte sie sogleich und zog das Fundstück hoch. Dann wühlte sie aufgeregt weiter, fand ein Wams aus Samt, das ein paar Löcher aufwies, die sich aber mühelos flicken ließen, zwei Paar ausgetretener Samtschuhe, die dringend gebürstet werden mussten, und einen schlichten Rock aus braunem Tuch.

„Dieser Rock könnte zu deiner Bluse passen, die ich neu herrichten wollte“, teilte sie Tante Irmgard unaufgefordert mit. „Ich könnte ihn mit einem ähnlichen Muster besticken, damit er etwas hübscher aussieht.“

Die Ideen drehten sich in ihrem Kopf und nahmen all ihre Aufmerksamkeit in Anspruch, sodass ihr Kurts durchdringender Blick erst nach einer Weile auffiel, ebenso wie Tante Irmgards wütendes Schnauben.

„Es tut mir sehr leid, aber dieses Mädchen muss sich ständig wichtigmachen. Sie hält sich für etwas Besseres, seit sie hier hereinspaziert ist“, sagte die Tante an den Hausierer gewandt. Emilia schnappte nach Luft und wollte widersprechen, aber Selbsterkenntnis lähmte ihre Zunge. Ja, sie hielt sich für besser, weil sie von klein auf gelernt hatte, sorgfältig zu arbeiten und stets nach einer Verbesserung ihrer Leistung zu streben. Irmgard und Hayo lebten in den Tag hinein, genossen es, sich allabendlich gemeinsam zu betrinken, und waren zufrieden, wenn sie irgendwie ihren Magen füllen und das Haus behalten konnten. Vielleicht wäre es anders gewesen, wenn Gott der Herr ihnen Nachkommen geschenkt hätte. Emilia ahnte, dass sie den beiden wohlgesonnener wäre, hätten sie sie wie eine Tochter angenommen, doch war sie gerade für Irmgard stets nur ein widerwillig geduldeter Eindringling gewesen.

„Ich wollte lediglich ein paar Vorschläge machen, wie ich Kurt zu einem besseren Geschäft verhelfen könnte“, widersprach sie nun. Tante Irmgard sog zischend Luft ein, aber der Hausierer legte ihr eine Hand auf die Schulter, um sie zu beruhigen.

„Die Kleine hat völlig recht, Tantchen“, sagte er. „Die Sachen müssen geschrubbt und geflickt werden, bevor ich sie verkaufen kann.“

Sein Blick glitt an Emilias Körper entlang, als wolle er ihn ausmessen und sein Gewicht einschätzen.

„Wie alt ist das Mädel jetzt eigentlich? Sie sieht mir schon fast erwachsen aus“, fragte er seine Tante.

„Ich bin vor zwei Wochen siebzehn geworden“, erwiderte Emilia, um ihn daran zu erinnern, dass sie durchaus für sich selbst sprechen konnte. Kurt rieb sich seine Hände an der Lederhose und grinste breit, wodurch seine schief sitzenden Schneidezähne sichtbar wurden.

„Langsam wird es Zeit für einen Bräutigam.“

Etwas an dem neckischen, schmeichelnden Unterton trieb Emilia das Blut in die Wangen, und sie hatte Lust, Kurt allein deshalb die Augen auszukratzen.

„Ach was, wer wird die schon nehmen?“, seufzte Tante Irmgard. „Kein Gulden Mitgift, aber so hochnäsig wie eine Fürstentochter.“

Emilia fuhr herum. Die kostbaren, eben noch bewunderten Stoffe entglitten ihren Händen, und sie ließ sie achtlos zu Boden fallen.

„Wenn ihr nicht die Werkstatt meines Vaters gleich nach seinem Tod verkauft und das Geld versoffen hättet, dann hätte ich sehr wohl eine Mitgift, und zwar keine schlechte!“, schrie sie ihrer Tante ins Gesicht und spürte zu ihrem Entsetzen, wie ihr die Tränen über die Wangen rannen. Tante Irmgards Augen wurden so riesig, dass es schien, sie könnten jeden Augenblick ihr ganzes Gesicht verdrängen. Die sonst schlaffen Wangen bliesen sich auf. Sie sah fast so grotesk aus wie eine jener Karikaturen, die Zeichner auf den Straßen Augsburgs verkauften. Ein Fisch vielleicht, der am Ufer angespült worden war, und nun fassungslos nach Luft schnappte. Ihre Hand hob sich drohend.

„Seit fünf Jahren füttern wir dich durch, du undankbare Göre! Dafür haben wir das bisschen Geld gebraucht, das wir für das Haus deines Vaters bekamen. Wer will schon irgendwo einziehen, wo eine Seuche gewütet hat?“

Diese Worte trafen Emilia heftiger, als die angedrohte Ohrfeige es vermocht hätte. Sie sackte wieder auf den Schemel, verschränkte die Hände vor der Brust, um Erinnerungen abzuwehren, doch wurde sie trotzdem von ihnen überwältigt. Die sich krümmenden, fiebernden Körper, die Schmerzensschreie, der Gestank von Exkrementen, blutiger Kot auf den Laken, die ihre Mutter stets weiß und sauber hatte halten wollen. Den Vater hatte die Rote Krankheit als Ersten niedergestreckt, doch hatte er noch lange genug gelebt, um den Tod seiner zwei jüngeren Töchter mitzubekommen, die beide noch so klein und schwach gewesen waren, dass sie nur einen einzigen Tag standhielten. Die Mutter hatte bis zum letzten Augenblick ihre Familie gepflegt, sich dann hingelegt, um schnell und still zu sterben. Nur Augustus war noch eine Weile am Leben geblieben, der geschickteste Lehrling ihres Vaters, der Emilia eines Tages heiraten und mit ihr zusammen die Werkstatt übernehmen sollte. Als auch bei ihm die Krämpfe begonnen hatten, waren Emilias Schreie fast lauter gewesen als die seinen. Schließlich hatte sie allein zwischen fünf Leichnamen in einem leeren Haus gesessen, denn die Bediensteten hatten bereits die Flucht ergriffen. Völlig ruhig hatte sie auf die ersten Blutflecken im Nachttopf gewartet, auf jenen Schmerz, der sich wie ein Feuerbrand durch ihre Eingeweide fressen würde, doch nichts war geschehen. Lange hatte sie nicht gewusst, ob Gott besonders gütig oder unerklärlich grausam gewesen war, als er sie als Einzige am Leben ließ.

„Nun hört endlich auf, euch zu zanken“, hörte sie Onkel Hayo versöhnlich sagen. „Emmy, räum die Kleider wieder in den Sack. Morgen kannst du dich damit befassen, wenn du willst. Aber jetzt geh schlafen!“

Unter anderen Umständen hätte es Emilia vielleicht geärgert, einfach wie ein kleines Kind ins Bett geschickt zu werden, doch nun war sie erleichtert, sich in ihre kleine Kammer zurückziehen zu können.

„Hilf Grete noch, den Tisch abzuräumen und das Geschirr zu säubern!“, hielt Tante Irmgards Stimme sie zurück. Sie gehorchte mit zusammengebissenen Zähnen. Die Arbeit war schnell erledigt, denn Grete beschränkte sich darauf, mit einem feuchten, leider nicht ganz sauberen Lappen über das Geschirr zu wischen, bevor es wieder in ein Regal neben der Kochecke geschoben wurde.

„Jetzt bringe ich ihnen den nächsten Krug Bier und setze mich dazu“, flüsterte sie Emilia dann ins Ohr. „Und ich schwöre dir, bevor der Morgen graut, gehört dieses grüne Kleid mir, zusammen mit der Krause. Die machst du mir doch dran, nicht wahr?“

Sie stupste Emilia in die Seite. Ihr breites Grinsen war von so ansteckender Heiterkeit, dass Emilia spürte, wie die dunklen Wolken von ihrer Seele flogen.

„Natürlich tue ich das. Ich wünsche dir viel Erfolg heute Abend“, sagte sie zum Abschied, bevor sie die schmalen Stiegen in ihre Kammer hochkletterte. Dort schaffte sie es gerade noch, aus Rock, Bluse und Mieder zu schlüpfen und sich ihr Nachthemd überzustreifen, das sie aus dem Elternhaus mitgebracht hatte. Inzwischen reichte es ihr gerade mal bis zu den Knien, doch hingen zu viele glückliche Erinnerungen an dem inzwischen zerschlissenen Stoff, sodass sie sich nicht davon trennen konnte. Sie streckte sich auf der Matratze aus und löschte die Kerze. Es war eine Erleichterung, mit diesem Tag abschließen zu können. Sie musste den Blick vorwärtsrichten, auf den Moment warten, da ihr Leben wie ein Fluss wieder seinen vorbestimmten Lauf nehmen würde.

Sie war bereits in einen tiefen, traumlosen Schlaf gefallen, als Gretes Eindringen sie weckte.

„Rück ein Stück, ich bin hundemüde“, flüsterte die Magd. Emilia kam der Aufforderung wortlos nach, denn sie teilte sich ihr Lager mit Grete, seit sie hier eingezogen war. Die Nähe des vertrauten Körpers tat wohl, obwohl er nach Bier und nach Männerschweiß roch.

„Hast du das Kleid jetzt bekommen?“, fragte Emilia im Halbschlaf.

„Nein“, kam es sogleich zurück. „Und das ist deine Schuld. Du hast dem Kurt Flausen in den Kopf gesetzt mit deinem Gerede, was sich aus den Gewändern alles machen lässt, und jetzt hat er mir nur diesen lumpigen Wollrock gegeben.“

Emilia ergriff schuldbewusst Gretes Hand.

„Ich werde den Rock für dich aufhübschen. Du bekommst auch noch eine passende Bluse dazu, denn meine Tante hat nach mehreren Bierkrügen sicher schon vergessen, dass sie eigentlich ihr gehört.“

„Ach, was soll’s!“ Grete streckte sich gähnend. „Den Mannsbildern kommt es nicht auf unsere Kleider an. Die wollen sehen, was dadrin steckt.“

Sie kicherte und stützte ihr Kinn auf der Handfläche ab, während sie ihren Ellbogen in die Matte bohrte.

„Ich glaube, der Kurt ist gar nicht so blöd, wie er aussieht. Sonst hätte er nicht begriffen, wie gut deine Vorschläge sind.“

„Schon möglich“, erwiderte Emilia und schloss wieder die Augen, denn sie war zu müde für eine längere Unterhaltung. Das wahre Ausmaß von Kurts Verstand war ihr gleichgültig.

„Da unten haben sie übrigens noch lange über dich geredet.“

Gretes Worte drangen nur noch schwach in ihr Bewusstsein und schlugen dort keine Wurzeln.

4. Kapitel

Das Gewand war rechtzeitig fertig geworden, und Erzsébet Báthory hatte es durch Ilona Hertz in Empfang nehmen lassen. Den als Näherinnen eingesetzten Mädchen waren wieder andere Aufgaben zugewiesen worden, nachdem Emilia gemeinsam mit ihnen noch das Mittagsmahl hatte einnehmen dürfen. Nun saß sie in der kleinen Kammer im obersten Stockwerk des Hauses, die ihr zugewiesen worden war, und wartete auf Weisungen, was weiter mit ihr geschehen sollte. Im Haus waren das Klappern von Holzschuhen und das Zanken von Stimmen zu vernehmen. Es kam ihr nun vor wie eine eigene Welt, in der sie keinen klaren Platz einnehmen durfte, und diese Vorstellung weckte unerklärlich tiefe Trauer in ihr.

Es klopfte. Emilia rief den Besuch erwartungsvoll herein, hoffte, dass ein paar der Mädchen vielleicht einen freien Augenblick gefunden hatten, um mit ihr zu plaudern. Als das schöne, steife Gesicht von Ilona Hertz sich durch den Türrahmen schob, zwang sie sich mühsam, ihre Enttäuschung zu verbergen.

„Ich soll dir deine Entlohnung bringen.“

Das Fräulein hielt ihr einen samtenen Beutel hin. Emilia griff zu und staunte, wie schwer er war. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals so viele Münzen auf einmal in der Hand gespürt zu haben.

„Sechzig Taler. Die Gräfin ist großzügig, obwohl das Gewand nicht ganz passend ausfiel. Es war so kurz, dass man ihre Strümpfe sehen konnte.“

„Aber …“, stammelte Emilia. „Wir hatten doch ausgemessen!“

„Nicht ganz korrekt, wie es scheint.“ Ilonas lächelndes Gesicht erinnerte sie an eine Schlange, der die Zunge aus dem Mund fuhr. „Aber es ist nicht schlimm. Die Gräfin hat begriffen, dass dich keine Schuld trifft, denn du bist nun einmal keine Meisterin der Schneiderei.“

Emilia vermochte nichts zu sagen, denn sie fürchtete, in Tränen auszubrechen, sobald sie den Mund öffnete. Lieber hätte sie auf alles Geld verzichtet und stattdessen ein Lob ihrer Arbeit zu hören bekommen.

„Nun kannst du das Haus verlassen“, sagte Ilona noch. „Du wirst hier nicht mehr benötigt.“

Emilia riss staunend die Augen auf.

„Einfach so, ich meine … werde ich wieder in die Herberge gebracht?“

Die Gedanken überschlugen sich in ihrem Kopf. Ob Kurt dort überhaupt noch auf sie wartete? Wenn er allein weitergereist war, wäre sie nun völlig allein in einer unbekannten Stadt.

„Die Gräfin braucht ihre Kutsche derzeit anderweitig“, erwiderte Ilona kühl. „Aber falls du den Weg nicht weißt, wird einer der Heiducken dich begleiten.“

Emilia atmete erleichtert auf, bedankte sich und war froh, als die Tür hinter dem Fräulein Hertz zufiel. Wie um sich die Zeit mit irgendeiner Beschäftigung zu vertreiben, zählte sie die Münzen im Beutel durch. Wenigstens würde sie sich noch für ein paar Wochen in der Herberge einquartieren können, um in Ruhe zu überlegen, wie es nun weitergehen sollte, mit oder auch ohne Kurt.

Obwohl das Gasthaus sich kaum verändert haben konnte, kam es ihr nun erstaunlich schmutzig und schäbig vor. Sie verabschiedete den bärtigen, bewaffneten Mann, der sie durch das Getümmel der Stadt gelotst hatte, ohne ein Wort mit ihr zu wechseln, und drückte ihm zum Dank einen ihrer Taler in die Hand. Es tat wohl, so großzügig sein zu können, und sie wäre ohne ihren Begleiter niemals in der Lage gewesen, die Herberge zu finden.

Dann trat sie ein und versuchte, nicht auf den Geruch von Schweiß, Bier und Erbrochenem zu achten, der ihr aus der Stube entgegenwehte. Der Wirt lag auf einer langen Bank in der Ecke und schnarchte. Sie überlegte, ob sie nicht einfach in das Zimmer hochsteigen sollte, das sie mit Kurt bewohnt hatte, um selbst nachzusehen, da hob er plötzlich den Kopf.

„Da bist ja wieder, Madl. Dein Mann hat dich schon erwartet.“

Emilia verzichtete darauf, ihm zu erklären, dass Kurt nicht ihr Mann war.

„Er wusste aber, wo ich bin, oder?“

„Na ja.“ Der Wirt kam langsam in die Senkrechte und rieb seine verquollenen Augen. „Ich hab ihm g’sagt, dass die Heiducken von der Báthory dich geholt haben, da isser zu dem Haus von ihr gelaufen. Dort ham ’s ihn nicht reingelassen, aber ihm g’sagt, dass du für sie arbeitest. Seitdem wartet er, dass du wiederkommst.“

Erleichtert atmete Emilia auf. Obwohl sie nicht behaupten konnte, Kurt vermisst zu haben, wäre sie doch ungern ganz allein in der Herberge geblieben.

Sie stieg die Stufen hoch und öffnete die Tür zu ihrem Zimmer. Wieder schlug ihr verbrauchte Luft entgegen, und sie wurde von heftiger Sehnsucht nach dem blitzsauberen Haus der Gräfin überkommen. Ein paar Kleidungsstücke lagen zerstreut herum. Das Wams, ihr einziges noch nicht verkauftes Werk, hatte Kurt einfach auf einen Stuhl geworfen, gleich neben dem Tisch, auf dem ein Bierkrug umgekippt war. Emilia erblickte entsetzt die verklebte Fläche und hastete zu dem Kleidungsstück. Zum Glück war es unbefleckt geblieben. Dann beugte sie sich, um ein wenig Ordnung zu machen, und dabei fiel ihr Blick auf das Bett.

Etwas wölbte sich unter der Decke, eine längliche Form.

„Kurt!“, rief sie ungeduldig. „Wach auf! Ich bin wieder da.“

Da auf ihre Worte keine Reaktion folgte, riss sie entschlossen die Decke weg. Es war aber nicht Kurt, der da lag, sondern der Körper einer nackten Frau. Emilia schrie erschrocken auf, dann wurde sie von zwei Augen fassungslos gemustert.

„Wie? Schon zurück? Der Kurt hat gesagt, es dauert länger“, stammelte eine Mädchenstimme. Emilia erkannte ein kindliches, von Schlieren aus verlaufener Schminke bedecktes Gesicht unter der zerzausten Haarmähne. Vielleicht war es die Dirne, die Kurt schon einmal mitgenommen hatte, oder eine andere. Es war kein Unterschied.

„Zieh dich an und verschwinde!“, herrschte sie das Mädchen an. Die Dirne gehorchte widerstandslos, tastete am Boden nach ihrer Kleidung.

„Weißt du, wo Kurt jetzt ist?“, fragte Emilia unterdessen.

„Auf dem Marktplatz, hat er gesagt. Da trifft er ein paar Freunde.“

Mit diesen Worten huschte die immer noch spärlich bekleidete Dirne hinaus. Emilia sank auf den leeren Stuhl und atmete tief durch. So weit schien alles in Ordnung, Kurt versuchte, weitere Waren zu verkaufen, und sie musste einfach nur warten, bis er wiederkam, damit sie ihr weiteres Vorgehen besprechen konnten. Doch nun, da die größten Sorgen verflogen waren, begann das Gefühl der Enttäuschung sie niederzudrücken. Sie hatte bei dem ersten Versuch, ein wahrhaft schönes Gewand zu schneidern, kläglich versagt und wusste nicht, wann sich jemals wieder eine solche Möglichkeit für sie auftun würde. Wie hatte sie nur beim Ausmessen so ungenau sein können? Bei der Anprobe war es nicht aufgefallen, weil Ilona Hertz kleiner war als die Gräfin, aber sie hatte sich von der Schönheit ihres Werkes blenden lassen und eine überaus wichtige Kleinigkeit nicht beachtet. Ein gravierender Fehler, wie ihr Vater gesagt hätte. Doch hätte er ihr als Ratgeber zur Seite gestanden, wäre es niemals zu diesem Missgeschick gekommen.

Kurts Eintreffen bei Einbruch der Dämmerung erlöste sie aus ihrer Grübelei. Er schwankte leicht, und als er sich zu ihr beugte, atmete sie den Geruch von Wein ein.

„Da bist du ja wieder. Die Rosi hat’s mir schon gesagt. War nicht nett von dir, die so rauszuwerfen.“

„Es war nicht nett von ihr, in meinem Bett zu schlafen“, gab Emilia zurück. „Ich will gar nicht wissen, wie viel Geld sie an dir verdient hat, während ich weg war.“

„Aber du“, erwiderte Kurt grinsend. „hast ja jetzt auch neues Geld mitgebracht, oder? Ich konnte es kaum glauben, als der Wirt es mir erzählte. Eine echte Gräfin hatte dich entführt!“

Er stützte sich mit den Handflächen am Tisch ab und musterte Emilia abwartend. Sie krallte ihre Hände um den Beutel mit den Talern.

„Was ich verdient habe, gehört mir!“

„Ach ja?“ Kurt beugte sich zu ihr hinab. Sie sah rote Flecken im Weiß seiner Augen. „Nur dir? Und wer hat dich die ganzen Wochen bis hierher durchgefüttert, Herbergen für dich bezahlt und deine Launen ertragen?“

Emilia zwang sich, die Ruhe zu bewahren. Sie brauchte jetzt keinen Streit mit Kurt.

„Ich will nicht, dass du mein Geld an Huren verschwendest, das ist alles. Wenn du es auf sinnvolle Weise ausgibst, soll es mir recht sein.“

Er lachte kurz auf und hob die Hände.

„Nun gut, wie die Dame befielt. Zunächst einmal muss ich den Wirt für die letzten Tage bezahlen. Dann treffe ich mich noch mit einem Freund, der wieder abgelegte Kleidung von feinen Damen für mich hat. Daraus kannst du doch was machen, das tust du gern! Und wenn ich noch den Aufseher vom Markt besteche, dann haben wir beim nächsten Mal einen richtig guten Stand. Dort kannst du gleich zehn weitere Gräfinnen von deinem Talent überzeugen.“

Emilia biss sich auf die Lippen. Sie konnte erkennen, wie Kurt sie zu beeinflussen versuchte, aber im Wesentlichen klangen seine Worte überzeugend. Sie würden neue Ware brauchen, die sie verkaufen konnten, und vielleicht bestand ja wirklich noch Hoffnung, dass sie sich durch einen ersten Fehler nicht all ihre Aussichten auf eine Zukunft als Gewandschneiderin zerstört hatte.

„Gut, wie viel brauchst du?“, fragte sie und hob den Beutel hoch. Noch bevor sie den nächsten Atemzug tun konnte, wurde er ihr aus der Hand gerissen.

„Ich werde sehen, wie viel ich brauche“, rief Kurt fröhlich, als er schon wieder im Türrahmen stand. „Du kannst dir unten noch ein Essen bringen lassen. Dann warte, bis ich wieder da bin.“

Er verschwand so schnell, dass sie keine Gelegenheit hatte, etwas zu erwidern. Empört sprang sie auf, um ihm hinterherzurennen, aber als sie die Stube erreicht hatte, war dort keine Spur mehr von ihm zu entdecken. Sie würgte Zornestränen herunter. Wenn Kurt tat, wovon er gesprochen hatte, so würde er ihren Verdienst wenigstens sinnvoll ausgeben. Andernfalls wäre sie ohnehin machtlos, wie ihr wieder einmal schmerzlich bewusst wurde. Ohne Kurt kam sie nicht zurecht, und sie konnte ihn daher nicht daran hindern, ihr jeden Verdienst sogleich abzunehmen.

Sie aß eine Wurstsuppe und trank einen Humpen Bier, dann stieg sie wieder in das Zimmer hoch, um zu warten. Ihre Laune war durch einen vollen Magen deutlich besser geworden, sie begann den Schlafmangel der letzten Nächte zu spüren und streckte sich zufrieden im Bett aus. Wenn Kurt wieder einmal eine Dirne mitbrachte, würde sie wahrscheinlich gar nichts davon mitbekommen, und darüber war sie erleichtert.

Etwas glitt über ihre Hüften, verharrte dort für einen Augenblick und kroch dann unter ihr Leibchen. Sie zuckte zusammen. Gab es Ungeziefer in der Herberge? Entsetzt versuchte sie, das Tier wegzufegen, und plötzlich wurde ihr Handgelenk von einem eisernen Griff umklammert.

„Du siehst wunderschön aus, wenn du schläfst. So jung und unschuldig. Man kann sich gar nicht vorstellen, was für eine Kratzbürste du sein kannst.“

Kurts Stimme holte sie endgültig in den Wachzustand zurück. Er roch so stark nach Wein, dass ihr fast übel wurde. Sie zerrte, bis er ihre Hand endlich losließ, und rückte an die Zimmerwand. Warum nur hatte sie die Dirne weggeschickt?

„Dann lass mich jetzt weiterschlafen!“, murrte sie und zog sich die Decke über den Kopf. Eine Weile blieb er völlig ruhig, und sein Atem kündigte an, bald schon in die üblichen regelmäßigen Schnarcher überzugehen. Emilia hoffte bereits, in Frieden wieder in den Schlaf gleiten zu können, da lag plötzlich die ganze Schwere seines Körpers auf dem ihren.

„Na, komm schon, Emmy. Das kann doch nicht ewig so weitergehen.“

Er umklammerte nun beide ihrer Handgelenke und drückte sie auf die Matratze, sodass sie ihn nicht abwehren konnte. Seine Zunge glitt wie ein Wurm in ihr Ohr und leckte.

„Jede Frau tut es irgendwann, außer sie wird Nonne. Du bist alt genug.“

Seine Knie zwängten ihre Schenkel auseinander. Er rülpste, und für einen Moment hoffte sie, dass er zu betrunken wäre, um sie noch weiter zu bedrängen, doch gleich darauf knabberten seine Zähne an ihrem Hals. Emilia schrie angewidert auf. Sogar Rattenbisse wären ihr lieber gewesen.

„Lass mich in Ruhe! Du bist nicht mein Gemahl!“

„Dann heirate ich dich eben“, entgegnete er lallend, was den Vorteil hatte, dass er wieder für einen Augenblick von ihrem Hals abließ. „Morgen schon, wenn du willst. Das wird unsere Verlobungsnacht!“

Eines ihrer Handgelenke wurde befreit, damit er ihre Brüste begrapschen konnte. Emilia packte ihn am Haarschopf und zerrte mit aller Kraft.

„Hundsfott! Begreif es endlich, ich will dich nicht, lieber gehe ich ins Kloster!“

„Als ob die dich dort nehmen würden, so ganz ohne einen Kreuzer in der Tasche!“, erwiderte er lachend und schlug ihren Arm zur Seite. Mit einem Mal wurde ihr bewusst, wie viel stärker er war, und ein Hauch von Angst mischte sich in ihre Empörung. Mit einem Ruck wurde ihr Leibchen aufgerissen, und sein Mund näherte sich ihrer nackten Haut. Emilia gab es auf, zu fluchen und zu drohen, stattdessen bohrte sie ihre Nägel in seinen Rücken, trat nach ihm und biss mit aller Kraft in seine Schulter. Es tat wohl, ihn vor Schmerz schreien zu hören. Sie wand sich und kämpfte, bis es ihr gelang, vom Bett zu fallen. Die Trunkenheit musste seine Reaktionen verlangsamt haben, was Emilia nun die Möglichkeit gab, ihre abgelegte Kleidung zu packen und aus dem Zimmer zu flüchten. Oberhalb der Treppe blieb sie schnaufend stehen. Halb nackt konnte sie nicht in die Stube hinunterrennen, denn sie wusste nicht, wer dort vielleicht noch saß. Sie wartete ein paar Atemzüge lang, und da Kurt keine Anstalten machte, sie gewaltsam zurückzuholen, kleidete sie sich rasch im Dunkeln an. Ihre Schuhe hatte sie in der Eile vergessen, aber daran war nichts zu ändern. Auf nackten Sohlen stieg sie die Stufen hinab. Es war dunkel in der Stube, obwohl der Geruch von Kienspänen, Bier und gebratenem Fleisch noch in der Luft schwebte. Sie ertastete eine Decke auf einem Tisch und wickelte sich darin ein, bevor sie sich auf einer Bank ausstreckte. Mitten in der Nacht konnte sie nicht aus der Herberge laufen, aber ebenso gefährlich schien es ihr, zu Kurt zurückzukehren. Bis zur Morgendämmerung würde sie hier schlafen und dann überlegen, was sie weiter tun konnte. Ihre Zähne klapperten, und sie zitterte, obwohl es angenehm warm im Raum war. Jene Stellen ihrer Haut, die Kurt berührt hatte, schmerzten, als seien sie von einem Brenneisen getroffen worden.

Das Licht einer Laterne weckte sie, und sie zuckte erschrocken zusammen, doch es war nicht Kurts Gesicht, das sich über sie beugte. Eines der Schankmädchen stand neben ihr, eine blasse Gestalt mit roter, verquollener Nase, die ständig schniefte.

„Was machst denn hier? Bist doch das Madl vom Hausierer. Hat er dich rausgeworfen?“, fragte sie mitleidig.

„Nein.“ Emilia richtete sich auf und rieb sich die Augen. Ihre Knochen schmerzten von der Nacht auf der harten Bank, als sei sie verprügelt worden. „Wir … wir hatten Streit. Er wurde zudringlich.“

Voller Hoffnung auf Verständnis und vielleicht sogar ein Hilfsangebot sah sie das Mädchen an, erhielt aber nur einen fassungslosen Blick.

„Aber du bist doch sein Madl.“

„Ich bin nicht mit ihm vermählt“, beharrte Emilia. „Nur seine Hilfskraft.“

„Na ja, das bin ich auch für den Wirt. Der kommt trotzdem in meine Kammer, wenn’s ihm passt. So sind die Mannsbilder halt“, sagte das Schankmädchen schulterzuckend, stellte die Laterne ab und begann, ein paar Kienspäne im Raum anzuzünden. „Ich muss jetzt die Tische wischen, bevor die ersten Gäste aufstehen. Magst nicht besser wieder hochgehen und ein bisserl nett zu ihm sein? Was machst, wenn er dich rauswirft?“

Emilia schüttelte energisch den Kopf.

„Ich … ich mache solche Sachen nicht. Das kann ich nicht.“ Sie hörte, wie hilflos, fast weinerlich ihre Stimme plötzlich klang. Das Mädchen hatte ihr allzu deutlich klargemacht, in welcher Lage sie sich befand. Nun drehte die Magd sich nochmals zu Emilia um und nahm auf der Bank ihr gegenüber Platz, um ihre Hand zu tätscheln.

„Is net schön am Anfang. Weh tut’s. Aber du gewöhnst dich dran, ganz schnell. Dann isses halb so schlimm, zählst langsam bis zehn, schon isser fertig.“

Sie lächelte und zeigte gelbe, verfaulte Zähne. Emilia riss ihre Hand zurück.

„Ich … ich will den nicht“, stammelte sie nun mit Tränen in den Augen.

„Ach was, der is doch net schlimm. Netter Kerl, hat die Rosie gesagt. Er hat ihr viel Geld gegeben, Essen, wie viel sie wollte, Wein, und brutal war er auch net. Sei froh, dass du an den geraten bist.“

Auf diese Worte folgte noch ein letzter, stärkerer Händedruck, dann stand das Mädchen auf, um sich wieder an seine Arbeit zu machen. Emilia wurde klar, dass sie vielleicht störte, doch war sie nicht willens, wieder zu Kurt zurückzugehen.

„Kannst du mir vielleicht ein paar Eier zum Frühstück braten?“, fragte sie zaghaft, denn ihr Magen knurrte bereits. Das Mädchen blickte kurz auf, nickte murrend und verschwand in der Küche. Emilia vergrub ihr Gesicht in den Handflächen, um verzweifelt zu überlegen. Gab es vielleicht irgendeine Möglichkeit, wieder nach Augsburg zu gelangen? Sie würde Onkel Hayo erzählen, wie sehr Kurt sie bedrängt hatte, und dann …

Sie wusste nicht wirklich, was dann wäre. Kurt hatte gestern sogar angeboten, sie zu heiraten, und Tante Irmi wäre wohl mehr als aufgebracht, dass sie es gewagt hatte, dieses Angebot auszuschlagen. Selbst wenn es ihr gelang, zu ihren Verwandten zu kommen, würde man sie wieder Kurt übergeben, sobald er ebenfalls dort auftauchte. Oder gar einem anderen Mann, der weitaus schlimmer sein konnte.

Wut vereinte sich mit Schmerz zu einem Feuer, das ihre Eingeweide verbrannte. Sie wollte schreien, um sich schlagen, wusste aber, dass dies nichts an ihrer Lage geändert hätte. Sollte sie tatsächlich tun, wozu das Schankmädchen ihr geraten hatte, zu Kurt gehen, die Augen schließen und langsam bis zehn zählen, in der Hoffnung, dass es zu ertragen war? Wäre ihre Familie nicht gestorben, so hätte sie inzwischen sicher schon einen Ehemann, Augustus, den fähigsten Lehrling ihres Vaters. Sie stellte entsetzt fest, dass sie sich kaum noch an ihn erinnern konnte. Groß und dünn war er gewesen, strohblond, mit einem Gesicht, das schnell errötete, wenn er sich aufregte oder unsicher war. Aber seine genauen Züge vermochte sie nicht mehr in ihrem Gedächtnis heraufzubeschwören. Wäre es anders gewesen mit ihm? Sie konnte es schwer beurteilen, doch als Tochter seines Meisters wäre sie ihm nicht völlig ausgeliefert gewesen, hätte mehr Möglichkeiten gehabt, ihre eigenen Wünsche durchzusetzen.

Aber vielleicht gab es noch ein Fünkchen Hoffnung für sie, dem Schicksal, das die Dienstmagd ihr als unausweichlich geschildert hatte, zu entgehen.

Als das Schankmädchen mit den Eiern zurückkam, bedankte Emilia sich artig, um dann ihre Frage zu stellen.

„Kannst du mir sagen, wie ich zum Haus einer ungarischen Gräfin komme, die Nádasdy oder Báthory genannt wird?“

Der Teller entglitt den Händen der Magd und landete mit einem Scheppern auf dem Tisch.

„Was willst’n von der?“

„Ich … ich habe bereits für sie gearbeitet. Vielleicht ist sie bereit, mich einzustellen.“

Emilia versuchte, so selbstsicher wie möglich zu klingen. Das Mädchen schubste den Teller in ihre Richtung.

„Das lass mal besser bleiben. Über die gibt’s Geschichten. Da sollen Leute nachts im Haus schreien.“

„Tatsächlich?“, entgegnete Emilia lachend. „Ich habe ein paar Nächte in ihrem Haus verbracht und nichts Derartiges gehört.“

Die Schankmagd zuckte mit den Schultern.

„Wie du meinst. Aber die ist komisch. A Hex, sagen die Leut.“

Emilia rief sich das glatte, vornehme Gesicht der älteren Dame in Erinnerung. Erzsébet Báthory hatte einen unnahbaren Eindruck gemacht und war sicher kein Mensch, dessen Mitgefühl leicht zu wecken wäre. Aber sie hatte sich mehrfach lobend über Emilia geäußert, und vielleicht wäre sie bereit, ihr den einen Fehler zu vergeben. Sie konnte anbieten, zunächst ohne Lohn zu arbeiten, nur für eine Unterkunft und regelmäßiges Essen. Sobald sie gezeigt hatte, was sie konnte, würde sie allmählich andere Forderungen stellen. Sie musste nur geschickt vorgehen. Und keinesfalls dürfte sie noch etwas falsch machen.

„Also, weißt du, wo sie wohnt?“