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Prof. Ulrike Kämmerer
Dr. Christina Schlatterer | Dr. Gerd Knoll

Krebszellen lieben Zucker – Patienten brauchen Fett

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Prof. Ulrike Kämmerer
Dr. Christina Schlatterer | Dr. Gerd Knoll

Krebszellen lieben Zucker – Patienten brauchen Fett

Gezielt essen für mehr Kraft und Lebensqualität bei Krebserkrankungen

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

info@rivaverlag.de

Wichtiger Hinweis

Dieses Buch ist für Lernzwecke gedacht. Es stellt keinen Ersatz für eine individuelle medizinische Beratung dar und sollte auch nicht als solcher benutzt werden. Wenn Sie medizinischen Rat einholen wollen, konsultieren Sie bitte einen qualifizierten Arzt. Der Verlag und der Autor haften für keine nachteiligen Auswirkungen, die in einem direkten oder indirekten Zusammenhang mit den Informationen stehen, die in diesem Buch enthalten sind.

1. Auflage 2020

© 2020 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Die Originalausgabe erschien 2012 im systemed Verlag.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Richard Friebe, systemed

Fotografie: Studio L‘Eveque, München, www.fotolia.de

Layout und Satz: A flock of sheep, Lübeck; Andreas Linnemann, München

Druck: Florjancic Tisk d.o.o., Slowenien

eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print 978-3-95814-307-4

ISBN E-Book (PDF) 978-3-95814-308-1

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-95814-309-8

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

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Inhalt

Vorwort

Übersicht

1) Essen bei Krebs – die Mär von den guten Kohlenhydraten

Obst und Gemüse – Schutz vor Krebs?

Viele Kohlenhydrate – gut für die Gesundheit?

In die Ketose mit viel Fett und genug Eiweiß

Für Krebspatienten: Energie, aber nicht für den Tumor

Der Stoffwechsel als Schlüssel

2) Fettreich und kohlenhydratarm – schon vor gut 100 Jahren

Behandlung von Krebspatienten und Experimente mit Mäusen

Otto Warburg, Pionier der Krebsstoffwechselforschung

Stoffwechselforschung auf dem Abstellgleis – warum?

3) Krebs – alles nur die Gene?

Zielgerichtet und passgenau – die »magische Kugel«

Gute Nachbarn, schlechte Nachbarn

Epigenetik: das plastische Erbgut

Epigenetik und Stoffwechsel – ein unzertrennliches Paar

Krieg und Frieden

4) Stoffwechselforschung – eine neue Ära bricht an

Nobelpreisträger als Kronzeuge des »postgenomischen Zeitalters«

Krebsdiagnostik mit PET – den Zuckerhunger des Tumors sichtbar machen

Und was macht der Tumor mit dem vielen Zucker?

Die Tumorstrategie: viel Gärung, wenig Atmung

Stoffwechsel als Ansatzpunkt für eine Therapie?

5) Mit gezielter Ernährung dem Tumor das Leben schwer machen

Fasten – eine Option mit Einschränkungen

Das Problem der klinischen Studien

Epidemiologie liefert klare Hinweise

Krebszellen in Ketose

Versuchstiere in Ketose

Klinische Studien

6) Mit gezielter Ernährung den Patienten stärken

Ernährungsberatung – vielerorts Fehlanzeige

Die Angst des Mediziners vor der Mangelernährung

Die Alarmsirene des Körpers: Entzündung

Stoffwechsel bei einer Entzündung: Zucker

Ketogene Ernährung: Dem Körper endlich das geben, was er braucht!

7) Und das soll gesund sein?

Eiweiß – in der richtigen Dosierung

Keine Angst vor Fett

Fett, Fauna, Flora

Naturvölker – Fitness, Fett und wenig Zucker

8) Ketogene Ernährung und Sport

Sport mit ketogener Ernährung – geht das überhaupt?

Sport bei Krebs: eine gute Wahl

Positive Wirkungen von Sport

Der bewegte Mensch: unterwegs als Jäger und Sammler

Mit Spaß bei der Sache sein

9) Die Praxis – Ketogene Ernährung und Sport bei Krebs

In welcher Phase der Erkrankung ist welche Ernährung passend?

Adieu Kohlenhydrate – die Umstellung der Ernährung

Obst – eine Gratwanderung

Die Lust auf Süßes befriedigen

Viel gutes Fett essen

Ketonkörpermenge mit Teststreifen messen

Praktische Umsetzung einer ketogenen Diät im Alltag

Was kann eine Ketose verhindern?

Schon wieder eine neue Anti-Krebs-Diät?

Rezepte und Tagespläne

Schwierigkeiten mit dem Essen: Mukositis, Übelkeit und Magen-Darm-Probleme

Eine ketogene Diät als letzter Strohhalm?

Wann sollten Sie keine ketogene Diät durchführen? Kontraindikationen

Sport bei Krebserkrankungen – Empfehlungen für Patienten

10) Fragen und Antworten

Besteht die Gefahr, dass der Cholesterinwert gefährlich ansteigt?

Steigt mit fettreichem Essen nicht der Fettgehalt im Blut?

Ich habe Diabetes oder andere chronische Erkrankungen …

Braucht das Gehirn nicht unbedingt Zucker?

Droht Verstopfung, wenn kaum Kohlenhydrate gegessen werden?

Nimmt man zu, wenn man fettreich isst?

Kann man einfach nur die Kohlenhydrate reduzieren, ohne mehr Fett zu essen?

Ist viel tierisches Fett nicht ungesund?

Ist Butter nicht eher ungesund?

Steigt bei viel Fleischkonsum das Krebsrisiko nicht sogar an?

Brauche ich Spezialprodukte für die ketogene Diät?

Muss ich vor einer ketogenen Diät eine spezielle Diagnostik machen?

Führt einen ketogene Diät nicht zur gefährlichen Ketoazidose?

Übersäuert bei viel Eiweiß und wenig Obst nicht das Blut?

Führt ketogene Ernährung zu einem Mangel an Vitaminen …

11) Anhang

Zucker und Kohlenhydrate

Glykämischer Index – Glykämische Last

Fette und Fettsäuren

Ketonkörper

Klinische Studien: Was steckt hinter den Begriffen?

Eine kurze Geschichte der ketogenen Diät

Informationen zu einzelnen Nahrungsmitteln

Abgrenzung zu anderen Diäten

Grundrezepte für ketogene Kraftshakes

Diätvergleich: ketogen – metabolisch adaptiert – LOGI

Glossar

Quellen und Literaturhinweise

Nützliche Informationsquellen

»Es geht darum, den Ernährungszustand des Patienten effektiver zu beeinflussen, als dies mit konventionellen Programmen gelingt, und dabei zugleich das neoplastische Wachstum möglichst wenig zu fördern oder gar zu hemmen.«

— Eggert Holm

Vorwort

Wer mit der Diagnose »Krebs« konfrontiert wird, fragt sich meist auch, was er oder sie jetzt selbst tun kann. Wie kann man durch das eigene Verhalten die Heilungschancen verbessern? Wie kann man zumindest den Verlauf der Krankheit positiv beeinflussen? Eine der ersten Fragen lautet dann konkret: »Kann ich an meiner Ernährung etwas verbessern?«

Viele Ärzte beantworten diese Frage mit: »Essen Sie einfach, was Ihnen schmeckt.« Auch die Deutsche Krebshilfe hat jahrelang empfohlen, »so normal wie möglich zu essen«. Für diese normale Ernährung gilt seit Jahrzehnten einheitlich der Rat von Ernährungsexperten, Fette möglichst zu meiden und den Energiebedarf eher mit Kohlenhydraten zu decken.

In den letzten Jahren sind allerdings etliche wissenschaftliche Arbeiten erschienen, die gerade bei einer Krebserkrankung eine fettarme Ernährung kritisch erscheinen lassen. Neuerdings weisen daher auch die blauen Ratgeber der Deutschen Krebshilfe darauf hin, dass eine Ernährung bei Krebs »auf den Stoffwechsel des Tumors abgestimmt« werden sollte. Das bedeutet, den auffälligen Zuckerhunger von Krebsgeweben und den gestiegenen Fettbedarf des Patienten zu beachten. Es bedeutet, dass Krebspatienten deutlich mehr Fett und weniger Kohlenhydrate essen sollten.

Auf der Grundlage der wissenschaftlichen Datenlage wurde schon 2007 am Universitätsklinikum in Würzburg eine Ernährung mit viel Fett und Eiweiß, aber kaum Kohlenhydraten für Krebspatienten empfohlen. Diese sogenannte ketogene Ernährung hat das Ziel, den Patienten zu kräftigen, seinen Tumor aber möglichst sogar zu schwächen. In einer kleinen Studie wurde damals in Würzburg auch untersucht, wie sich diese doch deutlich von üblichen Ernährungsgewohnheiten abweichende Diät auf die Lebensqualität der Patienten auswirkt. Die Studienteilnehmer litten an ganz unterschiedlichen Krebsarten und waren alle im Endstadium ihrer Erkrankung. Die meisten dieser Patienten vertrugen die anfangs ungewohnte Ernährung mit viel Fett und reichlich Eiweiß gut und fühlten sich sehr wohl damit. Auch Patienten mit fortschreitender Erkrankung verspürten wieder mehr Lebensqualität.

Nach Medienberichten über die Würzburger Studie häuften sich die Anfragen von Betroffenen und Angehörigen. Sie wollten sich über das Konzept informieren und gegebenenfalls die Ernährungsform für sich selbst anwenden. Auch hier kamen viele positive Rückmeldungen. Es wurde jedoch häufig beklagt, dass es an klaren, neutralen, wissenschaftlich belegten und für den Laien verständlichen Informationen zu einer ketogenen Diät speziell für Krebspatienten mangelt.

Mit diesem Buch wollen wir deshalb für ein breiteres Publikum, für Patienten, Angehörige, Ärzte und alle an der Behandlung beteiligten Personen, das wissenschaftliche Fundament der ketogenen Ernährung bei Krebs erläutern. Wir wollen außerdem auch darstellen, wie diese Ernährungsform in der Praxis umsetzbar ist. Viele Patienten, die sich an die Würzburger Forschergruppe wandten, waren vor allem an grundlegendem Hintergrundwissen rund um das Thema Krebs und Ernährung interessiert. Das Buch gibt deshalb detailliert und umfassend Informationen zur Biologie der Krebserkrankung und warum eine ketogene Ernährung hier sinnvoll erscheint, aber auch zur praktischen Umsetzung der Ernährung im Alltag. Wir haben dabei versucht, uns an die Maxime »So einfach wie möglich, aber nicht einfacher« zu halten. Das bedeutet, dass manche komplexen Aspekte, manche nicht endgültig beantworteten Fragen, manche komplizierten Zusammenhänge in diesem Buch auch als solche dargestellt sind. Trotzdem wird sicher ein Betroffener, aber möglicherweise auch ein behandelnder Arzt, manchmal nach mehr Details fragen. Deshalb weisen wir überall auf die zugrunde liegende Originalliteratur hin.

Viele Erkenntnisse zum Stoffwechsel und der Genetik von Tumorzellen sind anhand von Tierversuchen gewonnen worden. Wir sind selbstverständlich der Meinung, dass solche Versuche auf das vertretbare Mindestmaß reduziert werden sollten. Wir halten es aber für notwendig, die Ergebnisse solcher Versuche – wenn sie wichtig sind – zu beschreiben. Und natürlich sollen in diesem Buch ausdrücklich sowohl Patienten als auch Patientinnen angesprochen werden. Um die Lesbarkeit nicht zu beeinträchtigen, haben wir aber weitgehend auf Formulierungen wie »Patient und Patientin« oder »Patient/-in« oder »sie oder er« und dergleichen verzichtet. Wir halten es auch für wichtig darauf hinzuweisen, dass niemand von uns irgendwelche Diäten, Ernährungsprodukte, Seminare oder dergleichen verkauft oder anbietet. Niemand von uns hat jenseits dieses Buches mit dessen Thema in Zusammenhang stehende kommerzielle Interessen. Wir propagieren die ketogene Ernährung auch nicht als die nächste alle Probleme lösende »Krebsdiät«. Wir können keine Heilsversprechen abgeben im Sinne von: »Wer eine ketogene Diät macht, wird gesund.« Das wäre unseriös und unfair gegenüber Betroffenen.

Aber natürlich sind wir überzeugt vom Potenzial dieser Ernährungsform, davon, dass sie vielen Patienten helfen kann und niemandem schadet. Wir sind – auch aus persönlicher Erfahrung – sicher, dass sie auch praktikabel ist. Eine ketogene Ernährung ist keine Zumutung, sie kann sogar sehr lecker und vielfältig sein. Man kann sich mit ihr sehr wohl fühlen. Sonst hätten wir dieses Buch nicht geschrieben.

Wer sich dafür entscheidet, sich ketogen zu ernähren, sollte diesbezüglich unbedingt auch mit dem behandelnden Onkologen und dem Hausarzt sprechen. Das gilt vor allem dann, wenn man es begleitend zu einer Therapie damit versuchen möchte oder medikamentenpflichtiger Diabetiker ist. Es kann in solchen Fällen natürlich passieren, dass der Arzt oder die Ärztin skeptisch oder gar ablehnend reagiert. Dieses Buch liefert in solchen Fällen Argumente. Manchmal wird es auch notwendig sein, den Arzt, dessen Patienten ständig mit Ideen zu neuen Wundertherapien aus dem Internet zu ihm kommen, deutlich darauf hinzuweisen, dass es hier um etwas anderes geht: Eine ketogene Ernährung eignet sich besonders als unterstützende Maßnahme. Sie kann parallel zu konventionellen Therapien wie etwa Operation, Bestrahlung oder Chemotherapie durchgeführt werden. Sie kann Betroffenen auch dann nutzen, wenn die klassischen Therapieoptionen nicht in Betracht kommen – und sie beruht nicht auf Esoterik oder nicht nachweisbaren Wunderkräften, sondern auf seriöser Wissenschaft.

Wir hoffen, Ihnen mit diesem Buch das nötige Rüstzeug für die ketogene Ernährung mit auf den Weg geben zu können und wünschen Ihnen viel Erfolg damit!

Übersicht

Kapitel 1 – Worum es geht

Dieses Buch plädiert für eine Ernährung, die vielen offiziellen Empfehlungen widerspricht. Kann eine Ernährung mit einem geringen Anteil an Kohlenhydraten gesund sein? Gerade Obst und Gemüse sollen doch eigentlich vor Krebs schützen. Diese Schutzwirkung wird aber laut neuen Studien deutlich überschätzt. Man muss bei fettreicher und kohlenhydratarmer Ernährung auch nicht auf Obst und Gemüse verzichten. Es geht vor allem um sehr stärke- und zuckerhaltige Lebensmittel, die eingeschränkt werden sollen. Doch brauchen wir nicht den Zucker – vor allem als Gehirnnahrung? Kaum. Gerade das Gehirn kann sehr gut spezielle Fettbestandteile verwerten, die Ketonkörper. Der Körper stellt diese selbst aus Fett her. Sie geben der ketogenen Ernährung ihren Namen. Sind Ketonkörper aber nicht schädlich, führen sie nicht zur gefährlichen Ketoazidose? Nur bei unkontrolliertem, insulinpflichtigen Diabetes, wenn die Insulinzufuhr ausbleibt, kann es zur Ketoazidose kommen. Bei allen anderen Menschen stellt sich dagegen eine Ketose ein, die überhaupt nicht schädlich ist – sie bringt sogar etliche gesundheitliche Vorteile. Diese rechtfertigen die Bezeichnung »gute Medizin« für die Ketonkörper. Heilfasten etwa gilt als sicher. Gerade dabei aber dient das Körperfett als Lieferant für die Fette, aus denen dann Ketonkörper entstehen. Muskelgewebe wird für die Herstellung des in geringer, aber immer konstanter Menge benötigten Blutzuckers abgebaut. Bei der ketogenen Ernährung werden Fett und Eiweiß durch die Nahrung zugeführt, die Körperreserven geschont. Für Krebspatienten ist eine Versorgung mit Fett und Eiweiß wichtig und angemessen, weil diese Nährstoffe an ihre spezielle Stoffwechselsituation angepasst sind.

Kapitel 2 – Es war einmal die Krebsforschung

Schon vor hundert Jahren ist eine fettreiche und kohlenhydratarme Ernährung als sinnvoll für Krebspatienten erkannt worden. Damals wurden viele Experimente mit Tieren gemacht, um den Einfluss der Ernährung auf das Tumorwachstum aufzuklären. Dabei zeigte sich, dass eine Ernährung ohne Kohlenhydrate, dafür mit Fett und Eiweiß, das Tumorwachstum bremste. In dieser Zeit fand man auch heraus, dass Tumoren einen speziellen Stoffwechsel haben: Sie verbrauchen unverhältnismäßig viel Zucker und vergären ihn zu Milchsäure. Der Stoffwechsel der Krebszellen galt einigen Forschern als wichtige charakteristische Eigenschaft von Krebs, manchen sogar als Ursache der Krankheit. Daneben wurden alternative Hypothesen entwickelt. Chemikalien, Parasiten, Viren, Schäden am Erbgut – sie alle galten zu unterschiedlichen Zeiten als entscheidend für die Krebsentstehung. Auf dem Gebiet der Therapie sind im selben Zeitraum in der Chirurgie, der Strahlenheilkunde und der Chemotherapie immer neue Verfahren entwickelt worden. Als sich die Ansicht durchsetzte, unumkehrbare Schäden in den Genen seien ursächlich für Krebs, richtete sich die Hoffnung auf Medikamente, die zielgerichtet die Auswirkung von Genschäden bekämpfen. Der Stoffwechsel und die daran angepasste Ernährung bei Krebserkrankungen gerieten in Vergessenheit.

Kapitel 3 – Krebszellen müssen nicht Krebs bedeuten

Medikamente, die exakt auf die Wirkung geschädigter Gene von Tumorzellen abzielen, sind nun auf dem Markt. Die große Euphorie nach Einführung des ersten, sehr erfolgreichen Präparats ist jedoch einer ziemlichen Ernüchterung gewichen. Die Präparate helfen meist nicht allen Patienten. Es entwickeln sich auch Resistenzen wie bei den konventionellen Chemotherapeutika. Ein Grund für die Probleme ist die Vielfalt der Genveränderungen bei den meisten Tumoren, die sich untereinander und von Patient zu Patient unterscheiden. Eine Lösungsmöglichkeit könnte hier die personalisierte Therapie sein, bei der ein Cocktail von Medikamenten individuell angepasst eingesetzt würde. Hier ist die Forschung noch ganz am Anfang. Enorme Behandlungskosten sind zu erwarten. Es wäre aber auch sinnvoll, Alternativen auf der Grundlage eines anderen Verständnisses von Krebs zu suchen. Die zentrale Frage dabei lautet, ob die Entwicklung von Krebs tatsächlich unumkehrbar ist. Zweifel daran gibt es schon seit längerem. In Tierversuchen etwa zeigte sich, dass Krebszellen sich an der Entwicklung eines ganz gesunden Organismus beteiligen können. Krebszellen müssen also nicht unbedingt Krebs auslösen. Die Eigenschaften des Erbguts von Krebszellen können umprogrammiert werden – Störungen müssen nicht zementiert sein. Variable Veränderungen des Erbguts, wie sie in der neuen Forschungsrichtung der Epigenetik untersucht werden, sind vom Stoffwechsel der Zellen abhängig, und der Stoffwechsel wird durch die Ernährung beeinflusst. Es scheint an der Zeit zu sein, Krebs nicht nur als genetische Erkrankung zu begreifen, um neue Wege in der Therapie gehen zu können.

Kapitel 4 – Ein Ziel namens Stoffwechsel

Die Erforschung des Stoffwechsels von Tumoren erlebt etwa seit der Jahrtausendwende eine furiose Wiederauferstehung. Manche Mediziner sehen gar eine »Morgenröte« für neue Therapiemöglichkeiten. Den Weg dafür hat die klinische Diagnostik bereitet. Dort ist der hohe Zuckerkonsum der Krebszellen Grundlage eines der wichtigsten Tomografie-Verfahren. Immer deutlicher wird, dass dieser Zuckerkonsum notwendig für das Wachstum der Zellen ist. Zudem entstehen im speziellen Stoffwechsel von Tumorzellen Ausscheidungsprodukte, die die Bösartigkeit der Krankheit steigern. Wenn der Stoffwechsel so grundlegend und notwendig ist, könnte er dann auch eine Art Achillesferse sein? Gibt es Medikamente, die diesen Stoffwechsel oder seine Auswirkungen stören? Tatsächlich sind etliche Substanzen in der klinischen Erprobung, von denen man sich genau das erhofft. Viele dieser Präparate produzieren Effekte, wie sie normalerweise auch beim Fasten auftreten oder von einer ketogenen Diät ausgelöst werden können.

Kapitel 5 – Keine Hilfe für kranke Zellen

Der Stoffwechsel, der sich beim Fasten einstellt, schützt gesunde Zellen und wirkt gegen den Tumor, er kann auch die gewünschten Effekte einer Chemotherapie wahrscheinlich verstärken. Weil Fastenkuren aber für Krebspatienten nur selten zumutbar sind, wird nach Alternativen gesucht. Eine Ernährung mit viel Fett und wenig Kohlenhydraten ist eine solche Alternative, denn sie bewirkt weitgehend die gleichen Stoffwechseleffekte wie das Fasten. Dieses Konzept klinisch zu testen, wäre sinnvoll. Doch bislang gibt es kaum aussagekräftige Studien mit Patienten, vor allem nicht zum Effekt auf das Tumorwachstum. Das liegt unter anderem daran, dass sie schwer zu finanzieren sind, weil keine lukrativen Patente in Aussicht stehen. In jüngster Zeit sind aber zumindest einige kleine Studien angelaufen. Vorerst muss man also versuchen, Erkenntnisse aus anderen, bereits vorhandenen Daten zu gewinnen. So zeigen viele große Studien, dass ein hoher Blutzucker, ein hoher Insulinwert und chronische Entzündungen mit einem verstärkten Auftreten von Krebserkrankungen in Zusammenhang stehen. Solche dauerhaft hohen Blutwerte werden durch einen hohen Konsum von Zucker und anderen Kohlenhydraten gefördert. Ein Faktor vor allem für krebsfördernde Entzündungsreaktionen ist zudem das Verhältnis verschiedener Nahrungsfette. Eine entsprechende Ernährung sollte also das Risiko einer Krebserkrankung oder eines Rückfalls senken. Experimente an Zellen und mit Versuchstieren haben zudem gezeigt, dass Produkte des Stoffwechsels, wie sie bei einer extrem kohlenhydratarmen Ernährung vom Körper gebildet werden, sogar einen aus Patientensicht positiven Effekt auf Krebszellen ausüben können. Erste vorläufige Ergebnisse kleiner klinischer Studien geben auch Anlass zu vorsichtigem Optimismus.

Kapitel 6 – Hilfe für gesunde Zellen

Moderne Therapiestrategien bei Krebs zielen nicht nur darauf ab, den Tumor zu attackieren, sondern auch den Patienten zu stärken. Eine fettreiche Ernährung hat hier messbar positive Effekte. Der bei Krebs häufige Gewichtsverlust und speziell ein Verlust von Muskelmasse wird gebremst und manchmal sogar ganz aufgehalten. Damit wirkt diese Ernährungsform gegen eine drohende Auszehrung – Schwäche und Erschöpfung werden reduziert, das Wohlbefinden steigt. Ein Mechanismus ist dabei, dass Entzündungsreaktionen im Körper unterdrückt werden. Krebspatienten werden häufig infolge chronischer Entzündungen auch insulinresistent. Das gesunde Gewebe kann dann mit den Kohlenhydraten in der Nahrung wenig anfangen und braucht andere Energielieferanten. Die ketogene Ernährung versorgt die Muskeln und andere Gewebe mit dem nun notwendigen Fett und ausreichend Eiweiß und verhindert den Abbau der Körpersubstanz.

Kapitel 7 – Der Mythos vom ungesunden Fett

Trotz all dieser positiven Effekte: Sind nicht auch negative Folgen einer ketogenen Diät zu befürchten? Die hier weitverbreiteten Vorurteile gegen Fett in der Nahrung sind mittlerweile wissenschaftlich praktisch durchgehend widerlegt. Und auf dem Speiseplan stehen auch nicht nur Fleisch, Wurst und Käse. Die ketogene Ernährung ist ausgesprochen abwechslungsreich, mit viel Gemüse und Salat. Selbst Vegetarier können sich kohlenhydratarm ernähren. Aber auch das viel geschmähte tierische Fett ist nicht so gefährlich wie oft vermutet. Eine gezielte Auswahl von tierischen und pflanzlichen Fetten ermöglicht eine Optimierung, die einer normalen Mischkost sicher weit überlegen ist. Das betrifft vor allem die Effekte auf Entzündungsreaktionen und das »metabolische Syndrom«, beides Faktoren, die Krebswachstum fördern. Ein überzeugendes Argument für den Nutzen einer fettreichen und kohlenhydratarmen Ernährung sollte die Beobachtung der fehlenden Zivilisationskrankheiten bei traditionell lebenden Naturvölkern oder Bevölkerungsgruppen sein, die sich ketogen ernähren.

Kapitel 8 – No »No Sports«

Naturvölker haben nicht nur ein anderes Ernährungsverhalten, als es in zivilisierten Gesellschaften üblich ist, sondern auch ein anderes Aktivitätsmuster. Sie bewegen sich mehr als Bewohner der westlichen Industrienationen. Bewegung wirkt auf den Körper ganz ähnlich wie eine kohlenhydratarme Ernährung. Beides ergänzt sich also gut. Gerade für Krebserkrankungen ist in vielen Studien gezeigt worden, dass Sport den Patienten nützt. So wird etwa der Spiegel mancher Hormone gesenkt, die das Krebswachstum fördern. Sport wirkt wie eine fettreiche und kohlenhydratarme Ernährung auch gegen Entzündungen und die Auszehrung, das Training erhält die Muskulatur und fördert sogar ihren Aufbau. Krebspatienten geht es meist besser mit Sport, selbst wenn dieser moderat ausfällt. Auch die Stimmung steigt, möglicherweise ein therapeutisch wichtiger Effekt.

Kapitel 9 – Richtig essen, richtig bewegen: Die Praxis

Wenn Sie sich für ein derartiges Ernährungs- und Bewegungsprogramm entschieden haben, finden Sie hier die Informationen, mit denen Sie es auch in die Praxis umsetzen können.

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Essen bei Krebs – die Mär von den guten Kohlenhydraten

Was kann, was sollte man essen, wenn man an einer Krebserkrankung leidet? Der blaue Ratgeber Essen bei Krebs aus der sehr umfangreichen Serie der Deutschen Krebshilfe empfiehlt: »Wenn Sie normal essen können, weil Sie keine großen Beschwerden wie zum Beispiel Übelkeit haben, dann empfehlen wir Ihnen eine abwechslungsreiche, vollwertige Ernährung, wie sie alle gesunden Menschen zu sich nehmen sollten«. Und weiter heißt es: »Was Sie am besten in welcher Menge essen, dazu hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung Empfehlungen zusammengestellt«.

Daneben ist als Grafik der sogenannte Ernährungskreis der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) abgebildet. In ihm nehmen Brot, Nudeln, Kartoffeln, Reis und Getreideprodukte mit etwa einem Drittel den meisten Platz ein, gefolgt von Gemüse, dann Obst. Zusammen füllen all diese kohlenhydratreichen Lebensmittel fast drei Viertel des Kreises aus. Im letzten Viertel sind als Eiweißquellen Milch und Milchprodukte, die bevorzugt fettarm sein sollen, angesiedelt. Ein schmaler Teil wird magerem Fleisch und Fisch als weiterer Eiweißquelle zugestanden. Und in einem ziemlich kleinen Spalt kann man dann noch Fett erkennen, vor allem Pflanzenöl.

Die Empfehlung, Vollkornprodukte sowie Obst und Gemüse als Grundlage einer gesunden Ernährung zu verspeisen, spricht nicht nur die DGE[111] aus. Die Fachgesellschaften für Ernährung so ziemlich aller Länder scheinen sich einig zu sein: Den Hauptteil unserer Energielieferanten sollen die Kohlenhydrate ausmachen. Das angestrebte Ziel liegt meist bei mehr als 50 Prozent der Gesamtkalorien.

Gerade zur Vorbeugung von Krankheiten – auch von Krebs – empfiehlt die DGE, täglich rund 650 Gramm Obst und Gemüse zu verzehren. Konkret sollen es zwei Portionen Obst und drei Portionen Gemüse pro Tag sein, ganz im Einklang mit der Weltgesundheitsorganisation WHO. Auf der Homepage der DGE kann man unter der Rubrik »Vollwertige Ernährung« in einer Schrift namens »Obst und Gemüse. Die Menge macht‘s« vom 19. Februar 2010 lesen: »Der erste Bericht des World Cancer Research Fund (WCRF) und des American Institute for Cancer Research (AICR) kam 1997 zu dem Schluss, dass es eine überzeugende Evidenz dafür gibt, dass eine Ernährung mit einem hohen Anteil an Gemüse und/oder Obst vor bestimmten Krebsarten schützt.« Und »je mehr Obst und Gemüse gegessen wird, desto geringer ist das Risiko nicht nur für bestimmte Krebskrankheiten, sondern auch für Adipositas, Bluthochdruck und koronare Herzkrankheiten«.[118]

Seit Jahrzehnten wird propagiert, für die Gesundheit viele Kohlenhydrate zu essen, möglichst in Form von Vollkornprodukten sowie Obst und Gemüse mit seinen vielen zusätzlichen gesunden Inhaltsstoffen. Fleisch und vor allem Fett wird jedoch nur in geringen Mengen empfohlen oder erlaubt. Zu viel davon sei jedenfalls schädlich.

In diesem Buch hier steht allerdings etwas ganz anderes, etwas, das vielen dieser Empfehlungen ganz oder teilweise widerspricht.

In diesem Buch steht:

  1. dass es für einen krebskranken Menschen besser ist, Kohlenhydrate in der Nahrung stark zu reduzieren
  2. dass Gemüse und Obst durchaus auf den Tisch gehören, aber vor allem ihre kohlenhydratarmen Varianten
  3. dass der Körper mit eiweiß- und fettreicher Kost am besten gestärkt werden kann
  4. dass gesättigte und tierische Fette, aber auch Fleisch, nicht schädlich sind, sondern sogar nützen können
  5. dass diese Art von Ernährung die gesunden Teile des Körpers besonders unterstützt, während sie dem Tumor vielleicht sogar zusetzt.

Tatsächlich gibt es dafür und gegen die offiziellen Empfehlungen überzeugende wissenschaftliche Argumente.

Obst und Gemüse – Schutz vor Krebs?

Skepsis gegenüber dem Konzept einer Ernährung mit sehr wenigen Kohlenhydraten ist angesichts der jahrzehntelangen, immer wieder neu variierten Empfehlungen mehr als verständlich. Denn es heißt doch, dass viel Obst und Gemüse das Risiko gerade in Bezug auf Krebserkrankungen senken. Doch wie sieht eigentlich die wissenschaftliche Evidenz hierzu aus? Hier eine Passage aus einem Artikel der Ärztezeitung vom Mai 2007:[182] »Auf die Frage, was denn für ihn bisher die am meisten überraschende Erkenntnis der EPIC-Studie sei, reagiert Professor Heiner Boeing vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) in Potsdam sehr zögerlich. Schließlich kommt doch eine Antwort: Dass sich mit einem hohen Obst- und Gemüsekonsum das Krebsrisiko nicht reduzieren lässt, habe ihn schon sehr überrascht. »Um das richtig interpretieren zu können, werden wir noch einige Zeit brauchen.«

Die EPIC-Studie weckt Zweifel

Die European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition, kurz EPIC, ist eine große, vorausschauende (in der Fachsprache: prospektive) Langzeitstudie (Informationen zu Studien im Anhang des Buches). Mit ihrer Hilfe soll herausgefunden werden, ob eine bestimmte Ernährungsweise vor Krankheiten, besonders Krebserkrankungen, schützen kann. Sie wurde ins Leben gerufen von der Internationalen Agentur für Krebsforschung. Diese gehört zur Weltgesundheitsorganisation; finanziell wird sie vom Europagegen-Krebs-Programm der Europäischen Kommission unterstützt. Seit Beginn der Studie im Jahr 1992 wurden in mittlerweile insgesamt zehn teilnehmenden Ländern der Lebensstil und die Ernährungsgewohnheiten von über einer halben Million Menschen per Fragebogen oder Interview erfasst. Blutproben wurden entnommen, Gewicht, Körpergröße der Teilnehmer gemessen. Nach mehreren Jahren wurde dann überprüft, wie viele und welche Krankheitsfälle aufgetreten waren, um Rückschlüsse auf eine mögliche Beziehung zwischen Ernährungsmustern und bestimmten Krankheiten ziehen zu können.

Die EPIC-Studie gilt als eine qualitativ hochwertige, gerade für europäische Länder aussagekräftige Untersuchung. Sie ist noch nicht abgeschlossen. Noch etwa ein Jahrzehnt lang sollen weiter Daten zu Krebserkrankungen, aber auch zu anderen chronischen Krankheiten gesammelt werden.

Das für Heiner Boeing so überraschende Ergebnis wurde bereits in einer Reihe von einzelnen Publikationen für ganz bestimmte Krebsarten ausführlich dargestellt. Eine zusammenfassende Analyse von zwischen 1992 und 2000 erhobenen EPIC-Daten kam im Jahr 2010 heraus.[46] Es fand sich tatsächlich insgesamt ein Zusammenhang, eine negative Korrelation: Das Risiko für eine Krebserkrankung – egal welcher Art – war etwas geringer, je mehr Obst und Gemüse gegessen wurde. Der Unterschied war allerdings sehr klein. Wenn die Daten der Teilnehmer nach den einzelnen Ländern getrennt ausgewertet wurden, dann war dieses Resultat nicht einmal statistisch signifikant. Das bedeutet, es könnte auch rein zufällig zustande gekommen sein. Und auch, wenn die Daten der Teilnehmer von allen Ländern zusammengerechnet wurden, war der Unterschied so klein, dass die Autoren ihr Ergebnis selbst infrage stellten. Eine Steigerung des Obst- und Gemüsekonsums um 200 Gramm pro Tag ergab statistisch eine Senkung des Krebsrisikos um gerade einmal vier Prozent. Die Autoren schlossen nicht aus, dass andere Einflüsse zu diesem Ergebnis geführt haben könnten, dass Obst und Gemüse also gar nicht entscheidend waren. Auf jeden Fall solle das Ergebnis mit Vorsicht interpretiert werden.

Wohlgemerkt – diese Aussagen stammen nicht von notorischen Gemüsegegnern und Wissenschaftsnörglern. Sie stammen von den Wissenschaftlern selbst, von denen nicht wenige zuvor vom Segen der Pflanzenkost mehr als überzeugt gewesen waren.

Zu dieser Gruppe gehört auch der renommierte Harvard-Epidemiologe und Ernährungsspezialist Walter Willett. Er schreibt in einem Kommentar zu dem überraschenden Ergebnis dieser bisher umfassendsten und aussagekräftigsten Studie zur Beziehung zwischen dem Konsum von Obst und Gemüse und dem Krebsrisiko sinngemäß: Wenn es zumindest bei einer oder einigen wenigen Krebsarten deutliche Hinweise auf einen Nutzen von Obst und Gemüse gäbe, dann könnte man eher davon ausgehen, dass diese kleine Senkung des allgemeinen Krebsrisikos bei hohem Obst- und Gemüsekonsum tatsächlich »real« ist. Das ist aber weder bei den hier untersuchten EPIC-Teilnehmern noch allgemein in der wissenschaftlichen Literatur der Fall.[503]

Willett weist außerdem darauf hin, dass ganz bestimmte Obst- oder Gemüsesorten und deren Inhaltsstoffe vielleicht doch einen positiven Effekt auf einzelne Krebsarten haben könnten. Tomaten mit ihrem Inhaltsstoff Lycopin beispielsweise könnten gegen Prostatakrebs wirken. Und darauf gibt es tatsächlich zumindest Hinweise. Wenn das aber so wäre, wenn es insgesamt also kaum einen Vorteil gibt, bei einigen Sorten aber schon, dann müssen andere Sorten dafür verantwortlich sein, dass dieser Vorteil insgesamt wieder zunichte gemacht wird. Das würde logischerweise dann aber auch bedeuten, dass manche Früchte oder Gemüse sogar krebsfördernd sein könnten. Und das steht in absolutem Widerspruch zu dem, was lange als »Common sense«, als »gesunder Menschenverstand« galt: dass Obst und Gemüse ausnahmslos gesund sind.

»Gesunder Menschenverstand« ….

Woher kommt die Diskrepanz zwischen »gesundem Menschenverstand« und den aktuellen Forschungsergebnissen?

Wie kann es sein, dass Obst und Gemüse nicht vor Krebs schützen? In den Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts gab es immerhin Schätzungen, dass zwischen zehn und siebzig Prozent aller Krebsfälle mit der Ernährung zusammenhängen. In den Neunzigern wurde mit der Möglichkeit gerechnet, durch vermehrten Konsum von Obst und Gemüse bis zur Hälfte der Erkrankungen zu verhindern. Es wurden epidemiologische Studien und Programme zur Identifizierung der segensreichen Phytochemikalien, der sogenannten sekundären Pflanzenstoffe, aufgelegt. Und um die Öffentlichkeit zu einem erhöhten Konsum von Obst und Gemüse zu bewegen, startete das amerikanische Krebsinstitut 1991 die Kampagne »5-a-day«, die dafür warb, fünf Portionen Obst und Gemüse am Tag zu essen.[503]

Finanziell unterstützt wurde das Programm von etwa 60 Unternehmen und Interessengruppen von Warenherstellern. »5-a-day« war konzipiert als partnerschaftliche Initiative der öffentlichen Hand und der Obst- und Gemüseindustrie.[319] Ein Schwerpunkt war die Erziehung der Öffentlichkeit – unter Einbeziehung der Medien, Kirchen, Schulen, der Arbeitgeber und der Supermärkte. Dabei wurde nichts dem Zufall überlassen. Die Erziehungsmaßnahmen und die dafür notwendigen Strategien zur Vermittlung und Vermarktung wurden professionell geplant und durchgeführt – unter Zuhilfenahme verschiedenster Modelle und Theorien aus der Soziologie. Diese massive Kampagne, die in Deutschland seit dem Jahr 2000 unter dem Namen »5 am Tag« läuft, hat das Gesundheitsdenken stark beeinflusst und tut dies noch immer.

Gefördert wird die Kampagne aus Steuergeldern: von der EU und dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.

….kontra Forschungsergebnisse

Die wissenschaftliche Grundlage, auf die sich offizielle Stellen bei solchen Kampagnen berufen, war allerdings schon immer eher bescheiden. Positive Ergebnisse, dass also das Krebsrisiko sinkt, wenn viel Obst und Gemüse gegessen wird, lieferten vorwiegend sogenannte Fallkontrollstudien. Bei denen wurden Krebspatienten (Fall) und gesunde Personen (Kontrolle) rückblickend gefragt, wie sie sich denn vor einigen Jahren ernährt hatten. Gerade solche Fallkontrollstudien sind als unzuverlässig bekannt, die Gefahr für methodische Fehler ist bei ihnen sehr hoch. Denn der Kranke meint, sich möglicherweise zu erinnern, vor Jahren zu wenig Obst und Gemüse gegessen zu haben (sonst wäre er ja nicht krank). Und bei den gesunden Kontrollpersonen handelt es sich in vielen Fällen um sehr gesundheitsbewusste Menschen, die nicht nur viel Obst und Gemüse essen, sondern auch zum Beispiel sportlich sehr aktiv sind und weniger rauchen.[503] Bessere, weil objektivere Ergebnisse lie fern die vorausschauenden Langzeituntersuchungen. Neben der EPIC-Studie gibt es noch einige andere ähnliche Untersuchungen:[503] In ihnen wurde zuerst das Ernährungs muster der Teilnehmer abgefragt und später ihr Gesundheitszustand ermittelt. Und bei solchen Studien sahen die Daten dann meist anders aus. Die Autoren der EPIC-Studie etwa verweisen gleich in der Einleitung ihrer Publikation darauf, dass es trotz beträchtlicher Forschungsaktivitäten keine schlüssigen Belege für die Behauptung gibt, dass Obst- und Gemüseverzehr das Risiko einer Krebserkrankung senkt.

Die EPIC-Studie ist also nicht die einzige prospektive Studie, die keine oder nur schwache oder statistisch nicht signifikante Beziehungen zwischen Obst- und Gemüsekonsum und Krebsrisiko finden konnte. Diese neuen Befunde zeigten auch Wirkung: Der Weltkrebsforschungsfonds WCRF hat mittlerweile seine Einschätzung einer »überzeugenden Evidenz« für die Schutzwirkung eines hohen Konsums von Obst und Gemüse vor bestimmten Krebsarten aus dem Jahr 1997 zurückgestuft. Im zweiten Bericht des WCRF von 2007 gilt die Evidenz nur noch als »wahrscheinlich«. Bereits 2003 hatte die Internationale Agentur für Krebsforschung die Datenlage sogar als »limitiert« klassifiziert. Aktuelle Publikationen zum Thema sollten deshalb heute nicht mehr mit den Zahlen und Hoffnungen von 1997 argumentieren – was aber immer noch passiert, wie das Beispiel der DGE zeigt.

Man kann also ziemlich sicher davon ausgehen, dass der Nutzen von Obst und Gemüse im Hinblick auf Krebserkrankungen meist deutlich überschätzt wird. Trotzdem ist die Vermutung von Walter Willett interessant und bedenkenswert: Er spekuliert, dass einzelne Obst- oder Gemüsesorten unter bestimmten Umständen vielleicht einen deutlicheren Effekt zeigen, als wenn man ganz allgemein die Gruppe »Obst und Gemüse« betrachtet. Tatsächlich gab es in der EPIC-Studie Hinweise darauf, dass Gemüse im Vergleich zu Obst stärker krebsschützend wirkt. Man könnte etwa vermuten, dass der hohe Zuckeranteil mancher Obstsorten den durchaus möglichen, positiven Effekten spezieller Phytochemikalien entgegenwirkt.

Das würde durchaus zu vielen der Argumente, die in diesem Buch besprochen werden, passen. Und wer diesen Argumenten folgt und zudem die Ergebnisse der Studien zu Obst und Gemüse ernst nimmt, steht auch vor keinem unauflösbaren Widerspruch, wenn er auf Möhren und Beeren nicht verzichten will. Denn es ist möglich, die täglichen Kohlenhydrate deutlich zu beschränken und trotzdem einiges an Obst und Gemüse zu essen. Beides sollte einfach nur stärke- oder zuckerarm sein – was für Gemüse eine Riesenauswahl und auch bei Obst noch eine ganze Menge Möglichkeiten bedeutet. Zudem zeigen Untersuchungen wie die EPIC-Studie zumindest einen Vorteil von Obst und Gemüse, wenn es um die Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Krankheiten geht. Und im Gegensatz zu den früheren amerikanischen Verzehrstudien[319] sollte man sicher auch Pommes frites nicht mit zu »Obst und Gemüse« rechnen.

Viele Kohlenhydrate – gut für die Gesundheit?

Pommes frites gelten bei uns als Sattmacher – sie sind eine der beliebtesten Sättigungsbeilagen und haben einen recht ambivalenten Status. Der Kartoffelanteil wird offiziell positiv gesehen, denn der Verzehr der kohlenhydratreichen Kartoffeln wird empfohlen – wenn da nicht das Fett wäre, in dem die Kartoffeln frittiert werden. Nach Meinung der DGE essen die Deutschen ganz klar zu viel Fett, zu viel Eiweiß und zu wenige Kohlenhydrate. Bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung wird argumentiert, dass wir viele Kohlenhydrate in der Nahrung brauchen. Denn die seien kalorienarm, in Form von Vollkorngetreideprodukten hätten sie einen hohen, der Gesundheit zuträglichen Ballaststoffgehalt und sie sättigten gut. Deshalb solle der Kohlenhydratanteil an der Ernährung mindestens 55 Prozent und besser noch mehr der täglichen Energiemenge betragen.[111] Als Grundlage sollten es pro Tag im Schnitt zusammengenommen etwa ein Pfund Brot und gekochte Kartoffeln (oder Nudeln) sein, dazu 400 Gramm Gemüse, am besten aber noch mehr davon.[116]

Kohlenhydrate – lieber nicht

Nicht alle, die sich hauptberuflich mit der Beziehung zwischen Essen und Trinken und der Gesundheit beschäftigen, sehen das so. Der Ernährungswissenschaftler Nicolai Worm etwa stuft den empfohlenen Prozentsatz als deutlich zu hoch ein und empfiehlt, weniger Kohlenhydrate auf den Speisezettel zu schreiben. Er plädiert dafür, erstens nicht mehr als 120 bis 130 Gramm Kohlenhydrate täglich zu essen und zweitens bei der Auswahl darauf zu achten, dass keine starken Blutzucker- und Insulinschwankungen durch die verzehrten Kohlenhydrate im Körper ausgelöst werden. Sein Konzept ist bekannt als LOGI-Ernährung. Worm verweist auf eine Vielzahl von Studien, die belegen, dass ein geringerer Kohlenhydratanteil in der Nahrung günstig ist: Damit verbessern sich eine ganze Reihe von Blutwerten, die das mögliche Risiko für die Entwicklung verschiedener Zivilisationskrankheiten wie etwa Übergewicht, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen anzeigen.[509]

Schon seit den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts[285] hatte der österreichische Mediziner Wolfgang Lutz über Jahrzehnte erfolgreich mit kohlenhydratarmer Ernährung Menschen mit Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes, aber auch der Galle und Leber, mit Bluthochdruck und anderen Symptomen des Metabolischen Syndroms, sogar mit Herzschwäche oder Multipler Sklerose, behandelt. Der inzwischen hochbetagt verstorbene Lutz lebte selbst über 45 Jahre lang nach seiner Maxime und hatte seine Erfahrungen mit dieser Ernährung in immer weiter aktualisierten Auflagen seines Buchs »Leben ohne Brot« zusammengefasst (2004 erschien die 16. Auflage). Lutz war auch überzeugt, dass eine kohlenhydratarme Ernährung vor Krebs schützt. Er berichtete etwa 1998 von seinen 36 Patientinnen mit Brustkrebs, dass sich bei ihnen niemals Fernmetastasen entwickelt hätten.[286]

Die Befürworter dieser Ernährung wurden anfangs bestenfalls belächelt, zum Teil aber auch massiv in die Mangel genommen: Der amerikanische Mediziner Robert Atkins etwa, Erfinder der nach ihm benannten Atkins-Diät, wurde vor den amerikanischen Kongress zitiert und musste dort die von ihm propagierte streng kohlenhydratarme Ernährungsform verteidigen. Die schwedische Ärztin Annika Dahlqvist verlor sogar ihre Stelle, weil sie ihre diabeteskranken Patienten kohlenhydratarm behandelt hatte. Später wurde sie von der höchsten schwedischen Gesundheitsbehörde voll rehabilitiert.[290] Weltweit mehren sich seit Jahren die Argumente für eine allgemein günstige Wirkung einer kohlenhydratarmen Ernährung auf die Gesundheit.

Inzwischen rückt auch die schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts verbreitete Ansicht, dass eine kohlenhydratarme Ernährung gerade bei der Behandlung von Krebserkrankungen hilfreich sei, wieder ins wissenschaftliche und medizinisch-klinische Interesse. Das liegt vor allem an einer Renaissance der Forschung zum Stoffwechsel von Tumoren und der wiederentdeckten Bedeutung der Kohlenhydrate für Krebszellen. Hier gibt es mittlerweile eine Fülle von Daten, die nahelegen, dass eine streng kohlenhydratarme Ernährung sowohl zur Vorbeugung als auch zur Therapie von Krebs sinnvoll sein könnte. Und entgegen der landläufigen Meinung werden damit dem Körper keine notwendigen Nährstoffe vorenthalten.

Kohlenhydrate – Nahrung für das Gehirn?

Oft liest man, dass unser Gehirn eine kohlenhydratreiche Ernährung braucht, sonst würde es nicht mit ausreichend Energie versorgt. Die Energieversorgung des menschlichen Gehirns funktioniert aber auch dann bestens, wenn man sich kohlenhydratarm ernährt. Bei einer kohlenhydratreichen Kost deckt es seinen Energiebedarf tatsächlich bevorzugt mit Traubenzucker, der aus den verspeisten Kohlenhydraten hergestellt wird. Doch es kann durchaus auch anders.

Damit unsere Zellen die Kohlenhydrate unserer Nahrung verwerten können, werden sie im Körper bei der Verdauung zuerst in ihre Bestandteile zerlegt. Ein Hauptbaustein der Kohlenhydrate, die wir essen, ist Traubenzucker, der auch als Glukose bezeichnet wird (Näheres zu Kohlenhydraten, Zucker und Glukose im Anhang). Die bei der Verdauung freigesetzte Glukose landet im Blut. Sie ist der Blutzucker, der unsere Zellen mit Energie beliefert. Einige Zelltypen, beispielsweise die roten Blutkörperchen, sind für ihre Energieversorgung tatsächlich strikt auf Glukose angewiesen. Sie können mit nichts anderem arbeiten. Der weitaus größte Teil unserer Körperzellen, darunter auch die meisten unserer Gehirnzellen, gehört aber nicht dazu.

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