Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Theatertexte finden Sie auf unserer Website
www.kiepenheuer-medien.de
© 2015 Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH
Schweinfurthstraße 60, 14195 Berlin
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Sämtliche Rechte der öffentlichen Wiedergabe (u. a. Aufführungsrecht, Vortragsrecht, Recht der öffentlichen Zugänglichmachung und Senderecht) können ausschließlich von der Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH erworben werden und bedürfen der ausdrücklichen vorherigen schriftlichen Zustimmung. Nicht genehmigte Verwertungen verletzen das Urheberrecht und können zivilrechtliche und ggf. auch strafrechtliche Folgen nach sich ziehen.
ISBN 978-3-7375-0060-9
BORIS VERMONT, Künstler
LUCILLE, seine Freundin
MARTIN ANDREAS REICH, Künstler
MARÍA DOS SANTOS, Künstlerin
KASIMIR SONNTAG, Dichter
MIA SIMON, Kuratorin
FRAU DOKTOR HEINRICH, Wissenschaftlerin
ISABELLE COURTOIS, eine Frau Ende Dreißig
NOEMIE, ihre Freundin
EINE KELLNERIN
Vermont und Lucille schlafen auf der Couch. Auf dem Boden Weinflaschen und Kokainspuren. Es ist dunkel, als der Wecker läutet.
LUCILLE Mein Gott Boris
Stell das Höllending ab
VERMONT küsst sie
Wie schön es war
Sein Engelchen
Bereits um fünfe in der Früh
nimmt das Mobiltelefon, stellt den Wecker ab, steht auf, macht Herman Düne an, My Home Is Nowhere Without You
LUCILLE Ich bin nur schön
Wenn ich genügend Schlaf bekomme
Darum heißt es auch
Schönheitsschlaf
Stell das Höllending ab
VERMONT Genauso fühle ich mich
singt mit
And when the sun rose up this morning
My baby looked at me and smiled
Singt weiter, sie zieht sich die Decke übers Gesicht.
LUCILLE Du bist ein Einzelkind
VERMONT Aber ich fühle mich
Als hätte meine Mutter gesagt
Mein Bruder sei ihr Lieblingskind
LUCILLE Du bist das Lieblingskind deiner Mutter
Lieblinger geht es nicht
VERMONT Ich werde schweben
Engelchen
Ich werde schwerelos sein
Mir wird der Boden unter den Füßen entzogen
Ich werde an einem Ort sein
An dem die Gesetze
Denen wir von Geburt an unterworfen sind
Außer Kraft gesetzt sind
Heute Nacht
LUCILLE Es ist noch Nacht
VERMONT Im Traum
Bis gerade eben
Schwebte ich
Leicht wie eine Feder
Kopfüber kopfunter
Kein Oben
Kein Unten
In einem blauen Anzug
Ich konnte es sehen
Aber spüren konnte ich es nicht
wie ein Kommentator
Sein gemartertes Gehirn musste die Bilder
Die er gesehen hatte
Ersetzt haben
Andere Köpfe durch seinen Kopf
Andere Körper durch
LUCILLE Lass mich schlafen Boris
Ich beneide selten jemanden
Aber darum beneide ich dich
VERMONT Vielleicht fällt mir etwas ein
Vielleicht kann ich dich hineinreklamieren
LUCILLE Du bist spät
VERMONT küsst sie, greift nach seinem Mobiltelefon
Und Boris Vermont rief ein Taxi
Das ihn zur Gare de L'Est fuhr
Wo er in einen TGV Richtung Bordeaux stieg
Er war voller Vorfreude
LUCILLE Und vergaß dabei
Seine Flugangst
Empfang. Vermont und Mia Simon im Vordergrund, Dos Santos und Reich, sich unterhaltend, im Hintergrund. Eine Kellnerin trifft Vorbereitungen und hört immer wieder mit.
VERMONT Flugangst
Als hätte ich Flugangst
Als hätte ich vor irgendetwas Angst
Außer vor mir selbst
Manchmal
MIA SIMON Was sagtest du
VERMONT Dass dieser Sonntag wahrscheinlich Flugangst hat
Weil er nicht auftaucht
MIA SIMON Vielleicht wollte er das Security Briefing schwänzen
VERMONT Was für ein Wort
Security Briefing
Lachhaft eigentlich
Aber aufregend
Überhaupt all diese Worte
Schwerelosigkeit
Security Briefing
Free Floating Area
Scopolamin
Mikrogravität
Orange Engel
2G
Verheißungsvoll
SONNTAG tritt ein
Einen wunderschönen Abend
Die Dame
küsst Mia Simon auf die Wangen
Der Herr
streckt Vermont die Hand entgegen
MIA SIMON Wir fürchteten schon
Du kämst nicht mehr
SONNTAG Rechtzeitig zum Empfang
Wo ist der Champagner
VERMONT deutet auf die Kellnerin
Die Schöne wird ihn bald reichen
zu Sonntag
Du bist also unser Poet
SONNTAG Und du unser Anarchist
MIA SIMON Er
SONNTAG Der Provokateur
Der Schwierige
Der Kunstrebell
lacht
Hast nicht du mir erzählt
Er habe in Venedig
Eine Auster aus Plastik aufstellen lassen
In die sich die Biennalebesucher
Für die Biennaledauer
Einschließen lassen konnten
Jeder eine kleine Perle
Jeder ein zartes zuckendes Stück Fleisch
Eingeschlossen in Boris Vermonts Welt
DOS SANTOS kommt mit Reich hinzu
Abgesehen von einem verirrten Kunststudenten
Ließ sich niemand einschließen
VERMONT María
Mein Sonnenschein
Ich könnte mich nicht entsinnen
Dass man dich zur Biennale eingeladen hätte
DOS SANTOS Ich habe nicht mit den Richtigen geschlafen
REICH Betäubung des Brechzentrums
Ich habe noch nie in meinem Leben
Sicherheitsanweisungen für einen Flug gelauscht
Spätestens als dieser Sauerstoffhelm präsentiert wurde
Der fünfundzwanzig Minuten Versorgung garantieren soll
War es so weit
VERMONT Meister
Sie werden so betäubt und glücklich sein
Dass Ihnen nicht einmal einfallen wird
Was Angst bedeutet
DOS SANTOS Ich habe nachgelesen
Ich hätte nicht nachlesen sollen
Scopolamin wurde von der CIA
Als Wahrheitsserum eingesetzt
In Lateinamerika machte man damit Menschen gefügig
schüttelt sich
Scopolamin schaltet den eigenen Willen aus
Ich will meinen eigenen Willen nicht
VERMONT Manchmal ist das von Vorteil
Als Toxologe wusste Boris Vermont
Wovon er sprach
DOS SANTOS In Europa bekommt man dieses Wahrheitsserum gar nicht
MIA SIMON Manchmal denke ich
Wir könnten das gebrauchen
REICH Die Wahrheit ist
Ich habe nichts verstanden
Abgesehen davon
Dass die Japaner Roboter testen
Die in ein paar Jahren
Auf einen Asteroiden geschickt werden
DOS SANTOS Einsammeln von Weltraummüll
Das nenne ich ein Projekt
MIA SIMON Mittels Fangnetzen
Ein monströser Weltraumkescher
VERMONT Was können wir dem entgegensetzen
SONNTAG Unsere Poesie
REICH Kein Alkohol
Am Abend vor dem Flug
Äußerst prosaisch
VERMONT Das ist eine Empfehlung
MIA SIMON Da wäre ich nicht so sicher
DOS SANTOS Ich will das nicht injiziert bekommen
VERMONT Nur ein kleiner Stich Sonnenschein
Nur ein kleiner Stich
Frau Doktor Heinrich tritt ein. Die Kellnerin reicht Weingläser. Als sie an Vermont vorüber ist, sieht er ihr lange nach. Sie bemerkt seinen Blick und sieht in fragend an.
VERMONT Ich habe ein Auge auf Sie geworfen
lacht
Was ich mit dem anderen anfangen soll
Weiß ich noch nicht
FRAU HEINRICH nickt in die Runde, breitet die Arme aus
Herzlich Willkommen
Es ist mir eine Ehre und eine Freude
Sie zur Vorbereitung unserer
Fünfundzwanzigsten Parabelflugkampagne
Begrüßen zu dürfen
Die diesmal unter dem Motto
Schwerelose Kunst
Kunst der Schwerelosigkeit steht
Unser Grundgesetz garantiert
Wie Sie wissen
Die Freiheit von Kunst Forschung und Wissenschaft
Sie müssen frei sein
Sie müssen geschützt und respektiert werden
Sie sind die zarten Pflanzen
Die so etwas wie Fortschritt überhaupt erst ermöglichen
In dieser Freiheit
Unter diesem Schutz
Mit diesem Respekt
Treffen wir hier und heute aufeinander
Applaus
DOS SANTOS Wie oft haben Sie das schon gemacht
FRAU HEINRICH In ein gewöhnliches Flugzeug
Meine Damen und Herren
Steige ich gar nicht mehr
In einem gewöhnlichen Flugzeug
Will ich die Fenster aufreißen
Und hinausspringen
Lachen
DOS SANTOS Wie ist das mit dem Wahrheits
Mia Simon stößt sie an