Zum Islam - Vertrag in Hamburg
Dr. Gerhard Scheffler
Vorsitzender Richter am Landgericht i. R.
Zum Islam - Vertrag in Hamburg
Gerhard Scheffler
Copyright: © 2012 Gerhard Scheffler
published by: epubli GmbH, Berlin
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ISBN 978-3-8442-4075-7
Zum Islam - Vertrag in Hamburg
Dr. Gerhard Scheffler
Nach den seit 2007 laufenden Verhandlungen 1 ist zwischen dem Land Hamburg und der Türkisch – Islamischen Gemeinde DITIB Landesverband Hamburg e. V. 2, dem Verband der islamischer Kulturzentren e.V. 3 (VIKZ) und der im Juli 1999 gegründeten SCHURA – Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg e.V., hinfort: SCHURA Hamburg 4, am 13. November 2012 der „Vertrag zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg, dem DITIB - Landesverband Hamburg, SCHURA - Rat der Islamischen Gemeinschaften in Hamburg und dem Verband der Islamischen Kulturzentren“ unterschrieben worden 5 , mit dem von staatlicher Seite die muslimische Präsenz in ihren berechtigten Belangen respektiert und von islamischer Seite die Integration in die Gesellschaft weiter gefördert wird.
Parallel zu den Verhandlungen über einen Islam - Vertrag gab es gleichsam in deren „Windschatten“ Verhandlungen mit der Alevitischen Gemeinde Deutschland e.V., die schon deswegen unproblematisch waren, weil die Alevitische Gemeinde unzweifelhaft ein Religionsgemeinschaft ist 6 und bei ihr die Gleichberechtigung der Frau selbstverständlich ist. Der in weiten Teilen mit dem Islam - Vertrag wortgleiche „Vertrag zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg mit der Alevitischen Gemeinde Deutschland e. V.“ ist ebenfalls am 13. November 2012 unterschrieben worden 7 .
Bis 2010 hatten zu einem Islam - Vertrag sechs Verhandlungsrunden stattgefunden. Nach dem Regierungswechsel in Hamburg von der CDU zu der SPD wurden die Verhandlungen am 15. September 2011 fortgeführt. Ein erster Vertragsentwurf vom Januar 2012, der jedoch zunächst nur die unstreitigen Themen formulierte 8 , behandelte die Themen 9 Moscheebau, Bestattungswesen und islamische Hochschulausbildung.
Ob die hier in Frage stehenden islamischen Dachverbände Religionsgemeinschaften – im säkularen Staat aus seiner Sicht und für seine Rechtsordnung 10 , d. h. im Sinne des Grundgesetzes – sind 11 , so dass sie geeignet sind, als Ansprechpartner für den Staat den in seinen Schulen zu erteilenden Religionsunterricht inhaltlich zu prägen, Art. 7 Abs. 3 Grundgesetz (GG), hängt von folgenden miteinander verbundenen Voraussetzungen ab, wie sie sich aus der Definition bei Anschütz 12 und dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts 13 zu den religiösen Dachverbänden ergeben:
Für die Beantwortung der Frage, ob eine Organisation Religionsgemeinschaft ist, muss auch deren Selbstverständnis 14 berücksichtigt werden, denn gegen ihren Willen darf keine Gemeinschaft als einer bestimmten Religion zugehörig erklärt werden. Im Islam ist nur die Gemeinschaft aller Gläubigen, die Umma, die religiöse Gemeinschaft 15 , allerdings verbietet das islamische Recht nicht die Selbstorganisation von Muslimen. Es muss ein gemeinsames Bekenntnis vorliegen 16 , das bei den unterschiedlichen glaubensmäßigen Strömungen in einer Weltreligion auch zu einer dieser Richtungen zugeordnet werden kann. Dieses Bekenntnis muss nach außen erkennbar 17 sein, da sichtbar sein muss, für welches Bekenntnis die sich als Religionsgesellschaft gerierende Gruppe die Trägerschaft eigentlich beansprucht.
Die Mitglieder müssen in allen ihren religiösen Bereichen 18 beansprucht werden im Gegensatz zu den bloß religiösen Vereinen, vgl. Art. 138 Abs. 2 WRV, die sich nur der partiellen Pflege des religiösen Lebens ihrer Mitglieder widmen 19 ; die Gemeinschaft muss letztlich auf natürliche Personen zurückzuführen sein, da der Glaube eine höchstpersönliche Angelegenheit ist. Bei einem mehrstufigen Aufbau bis hin zu einer Dachorganisation kann die Glaubensbetätigung der allseitigen Erfüllung der durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten Aufgaben arbeitsteilig 20 auf den verschiedenen Ebenen erfolgen, d. h. der Glaubensvollzug muss auch auf der Dachverbandsebene wahrgenommen werden.
In einem Dachverband müssen die Mitgliedsvereine mit allseitiger religiöser Ausrichtung, d. h. also die Moscheegemeinden als Religionsgemeinschaften, gegenüber solchen, die sich nicht oder nur partiell religiös betätigen, deutlich überwiegen 21 ; dabei ist indes eine Gewichtung nach Mitgliederzahlen durchaus angebracht: besteht ein Verband aus zwei religiösen Gemeinden und vier bloßen Kultur-, Frauen- und Sportvereinen, so mögen organisatorisch die Religionsgemeinschaften in der Minderheit sein. Angesichts des höchstpersönlichen Charakters von Glaube und Glaubensbetätigung ist jedoch die Zahl von etwa insgesamt 1000 Personen in diesen Gemeinschaften gegenüber den beispielsweise nur 200 Mitgliedern in den nichtreligiösen Gesellschaften vorrangig. Die religiösen Gruppen müssen sich auf allen Ebenen als Glaubensgemeinschaft begreifen und dies etwa in einer Satzung oder Grundsatzpapier kenntlich machen.
Es muss eine religiöse Autorität 22. 23 , sei es als Person (Papst, Glaubensstifter), sei es als Gremium, vorhanden sein, die dogmatische Fragen vorgeben oder entscheiden kann.
Nicht erforderlich ist, auch wenn dies gelegentlich anklingt 24 , dass die Glaubensgemeinschaft demokratisch durchorganisiert ist. Dieses staatliche Prinzip braucht eine Glaubensgemeinschaft kraft ihres Selbstbestimmungsrechts aus Art. 140 GG / 137 Abs. 3 Weimarer Reichsverfassung (WRV) nicht zu beachten 25 und tut dies in den meisten Fällen auch nicht: In der römisch – katholischen Kirche ist allein der Papst oberstes weltliches und religiöses Entscheidungsorgan.
Ob eine Religionsgesellschaft tatsächlich und nicht vorgeblich vorliegt, entscheidet sich nach den o. g. materiellen Voraussetzungen, die nachweislich vorliegen müssen und der gleichzeitigen Abwesenheit von die Religionsgesellschaftseigenschaft ausschließenden Kriterien, wie umfassende politische oder wirtschaftliche Tätigkeit unter dem bloßen Deckmantel einer religiösen Betätigung. Der säkulare Staat hat hierüber nicht konstitutiv zu entscheiden und darf eine Gruppierung nicht als Religionsgesellschaft „anerkennen“ 26 , wie gerade im islamischen Bereich gefordert wird 27 . Einer solchen Forderung liegt ein Missverständnis zugrunde: Der religiös – weltanschaulich neutrale Staat hat nur in den ihm allein zur Entscheidung vorliegenden Fragen der Einführung von Religionsunterricht, Art. 7 Abs. 3 Grundgesetz, oder der Verleihung der öffentlich – rechtlichen Korporationsstatus, Art. 140 GG / 137 Abs. 5 WRV, deren materielle Voraussetzungen zu prüfen, d. h. damit u. a. auch die, ob eine Religionsgesellschaft vorhanden ist. Dies ist eine Vorfrage. Diese kann und mag im Streitfall beantwortet werden 28 , eine verselbstständigte eingegrenzte Prüfung durch behördliche oder gerichtliche Stellen des Staates ist unzulässig, eine entsprechende Feststellungsklage wäre abzuweisen.
Der religiöse Charakter der drei mit dem Land Hamburg verhandelnden islamischen Verbände ist nicht von vornherein von der Hand zu weisen 29 . Es geht darum, ob die eine oder andere Voraussetzung für die Bejahung einer Religionsgesellschaft im Sinne des Grundgesetzes erkennbar und gegebenenfalls nachweisbar ist.
An erster Stelle der Bewertung steht der VIKZ, der die meisten der genannten Voraussetzungen erfüllt: Er umfasst natürliche Personen auf der Ebene der zum VIKZ gehörenden Moscheegemeinden mit einem gemeinsamen Bekenntnis, nämlich abgegrenzt zu anderen Denominationen des Islam das zu einem streng orthodoxen sunnitischen Islam 30 . Die Gemeinschaft beansprucht die Mitglieder in allen religiösen Bereichen. Das, was der VIKZ im Bereich der Unterhaltung von Schülerwohnheimen vorgehalten wird 31 , beweist gerade, dass es um religiöse Unterweisung in allen Lebenslagen geht. Angesichts des hierarchischen Aufbaus der Organisation und die gerade auf der oberen Ebene wahrgenommene Aufgabe der Durchsetzung des orthodoxen sunnitischen Bekenntnisses ergibt einen nachhaltigen Glaubensvollzug auch auf der Dachverbandsebene. Es liegt jedenfalls kein bloßer religiöser Verein vor 32 . Eine religiöse Autorität besteht (in der Türkei 33 ) offenbar auch 34 .Was an Zweifeln bleibt, ist, dass die dogmatischen Kernaussagen in der konkret – jetzigen Organisation nur einem innersten Kreis der Gemeinschaft vollständig bekannt sind, mithin den anderen verborgen bleiben. Welche bekannte Glaubensvorstellung ausreicht, um das gemeinsame Bekenntnis bestimmbar zu machen, ist durch ein religionswissenschaftliches Gutachten (vor-)geklärt worden 35 . Dem Staat ist es daher nicht verwehrt, die Wahrnehmung religionsrechtlicher Fragen durch den VIKZ zu bejahen.
Der weitere, auf lokaler Ebene fast nur aus türkisch - stämmigen Mitgliedern bestehende bundesweite Dachverband ist die DITIB, die hier auf mittlerer Ebene als Landesverband auftritt. Das gemeinsame Bekenntnis, das in diesem Verband geübt wird, ist der sunnitische Islam mit Anlehnung an die in der Türkei beachtete hanifitische Rechtsschule, die gegenüber den anderen Rechtsschulen 36 als die „liberalste“ angesehen wird. Die DITIB unterscheidet sich jedenfalls deutlich von der glaubensmäßig orthodoxen Ausrichtung des VIKZ.
Weiterer Unterschied ist, dass der VIKZ in der laizistischen Türkei immer. wieder von staatlichen Stellen bedrängt worden ist 37 , während die DITIB von der staatlichen Religionsbehörde Diyanet unterstützt und angeleitet wird 38 . Aus diesem Hineinregieren staatlicher Stellen in eine Religionsgesellschaft ändert sich ihr Charakter jedoch nicht, wenn die „ewigen Wahrheiten“, hier des Islam,, abgeleitet aus Koran und Sunna 39 , unberührt bleiben und von den Mitgliedern geübt werden. So hat das Hineinregieren staatlicher Stellen im europäischen Staatskirchentum, etwa in Österreich mit dem sog. Josephinismus 40 , auch nichts am Wesen der christlichen Kirchen geändert.
Für den Dachverband kann allerdings zweifelhaft sein, inwieweit dort ein (gegebenenfalls auch arbeitsteiliger) identitätsstiftender Glaubensvollzug stattfindet. Zwar widmet sich die obere Ebene nach eigenem Selbstverständnis 41 vornehmlich und umfassend der „Koordinierung der religiösen, sozialen und kulturellen Tätigkeiten der angeschlossenen Vereine“. Aus diesen vielfältigen Förderungen und Koordinierungen 42 kommen als eigene religiöse Betätigungen in Betracht die Telefonseelsorge, die Erstellung religiöser Gutachten, die Verrichtung der religiösen Dienste (z. B. gemeinschaftliche rituelle Gebete, religiöse Unterweisung in den Grundlehren des Islam) und die Ausbildung von Islamtheologen sowie, mangels einer Lehrautorität im Islam, die wissenschaftliche Pflege der Religion 43 und die in § 3 der Landesverbandssatzung aufgezählten Tätigkeiten.
Die Ausbildung von Islamtheologen wird nunmehr als eigene, von den wenigsten Moscheegemeinden ausführbare Ausbildung angesehen, § 2 Satz 3 der Satzung. Einige Islamtheologen stehen bereits „dem Arbeitsmarkt zur Verfügung“. Das besagt indes auch, dass diese noch keineswegs als Imame in den DITIB – Moscheegemeinden eingesetzt werden. Nach wie vor werden für die Moscheegemeinden hauptamtliche Vorbeter aus der Türkei für einige Jahre zur Verfügung gestellt 44. Bei diesen Vorbetern handelt es sich um in der Türkei ausgebildete Religionsbeauftragte der dortigen Religionsbehörde, die für eine befristete Zeit zur religiösen Betreuung der türkischen Muslime ins Ausland entsandt werden. Die Ausbildung und Einstellung eigener Imame wird für die Bejahung des Status einer Religionsgemeinschaft für die Anstalt DITIB von Bedeutung sein. Darüber hinaus geht die Zugehörigkeit zur DITIB eindeutig aus der Vereinssatzung hervor. Sie folgt bei den meisten DITIB-Vereinen einem Satzungsmuster, in das lediglich der Name des Vereins und das Gründungsdatum eingefügt werden. Die Unterstützung aus der Türkei und der vornehmlich im kulturellen und politischen Leben 45 gegebene Zugang zur türkischstämmigen Gemeinschaft in Deutschland lässt die DITIB auch als einen politischen Verband erscheinen 46 .
Für die auf Landesebene gebildete SCHURA Hamburg ist erforderlich , dass für die Identität einer Religionsgesellschaft wesentliche Aufgaben auch auf der Dachverbandsebene wahrgenommen werden als Teil eines gemeinsamen, alle diese Gläubigen umfassenden, spirituell durchdrungenen Glaubensvollzuges. Hieran kann es zunächst schon fehlen, wenn dem Dachverband in erheblichem Umfange Mitgliedsvereine angehören, die religiösen Aufgaben nicht oder nur partiell erfüllen . Da von den 42 Mitgliedern der SCHURA Hamburg jedoch 31 Moscheevereine als Glaubensgemeinschaften vorhanden sind, kann von einem ausreichenden personale Substrat auf der lokalen Ebene ausgegangen werden 47.
Für die Tätigkeit des übergeordneten Verbandes, die als Vollzug des gemeinsamen Glaubens angesehen werden kann, ist auch hier Ausgangspunkt die Satzung 48 , nach deren § 2 die Vereinigung ein Zusammenschluss der in der Freien und Hansestadt Hamburg bestehenden islamischen Gemeinden und Vereine als islamische Religionsgemeinschaft ist. Zweck der Vereinigung ist „die Förderung der islamischen Religion“. Die dort näher bezeichneten Tätigkeiten von Informationen und Förderung der Zusammenarbeit der Muslime und Interessenvertretung lassen indes kaum einen unmittelbaren Glaubensvollzug erkennen, mögen diese Tätigkeiten auch auf den Glaubensgrundsätzen des Islam beruhen. Ein relevanter und arbeitsteiliger Glaubensvollzug auf der Ebene des Dachverbandes ist auch hier die Einstellung von Imamen und Lehrkräften und deren Ausbildung und Weiterbildung, § 2 der Satzung, sowie die Erstellung islamischer Rechtsgutachten, § 9 der Satzung 49 . Es muss näher nachgefragt werden, was die Rechtsgutachten bewerkstelligen können.
Die SCHURA Hamburg kann trotz ihres Konglomerats von nichtreligiösen und religiösen Mitgliedervereinen wegen des Übergewichts letzterer als Religionsgemeinschaft im Sinne des Art. 7 Abs. 3 Grundgesetz angesehen werden .
Eine weitere Frage, wenn auch nicht so gewichtig wie die nach dem Status einer Religionsgemeinschaft, ist für alle genannten Gruppierungen, inwieweit die islamischen Vertragspartner die islamische Gemeinschaft von ca. 120 000 Muslimen in Hamburg repräsentieren. Dass sie praktisch alle Muslime im juristischen Sinne vertreten, ist ohnehin nicht erkennbar 50515253