Vorwort
Die vorliegende Arbeit entstand in den Jahren 2013-2015. In diesem Zeitraum war ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Arbeitsbereich Bewegung, Spiel und Sport der Universität Hamburg angestellt. Diese Arbeit findet ihren Platz im Kontext von „läuft.“, einem Drittmittelprojekt das federführend vom IFT-Nord in Kiel initiiert und durchgeführt sowie von der Stiftung Deutsche Krebshilfe finanziert wurde. Nach der positiven Förderzusage, hat die Stiftung Deutsche Krebshilfe weder Einfluss auf die Datensammlung, -analyse oder -interpretation genommen noch die Erstellung dieser Arbeit in irgendeiner Weise beeinflusst.
Ganz klassisch möchte ich das Vorwort an dieser Stelle nutzen, um mich bei einigen Menschen zu bedanken, ohne deren Zutun die Verwirklichung dieser Arbeit nicht möglich gewesen wäre:
Zunächst möchte ich mich bei Prof. Dr. Claus Krieger bedanken. Er stand mir bei der Erstellung der Dissertation stets mit Rat und Tat zu Seite und hat mir in der Projektarbeit fortwährend den Rücken gestärkt.
Vielen Dank auch den Mitarbeitern des IFT-Nord in Kiel, die bei der Umsetzung des Projekts und v. a. bei der Datensammlung ihre langjährige Erfahrung in der Durchführung solch großer Forschungsvorhaben eingebracht haben.
Auch Prof. Dr. Ingrid Bähr und Prof Dr. Ulrich Gebhard möchte ich dafür danken, dass sie sich der Begutachtung meiner Dissertationsschrift angenommen haben.
Vielen Dank auch an alle Kollegen aus dem „Sechsten Stock“: Ihr habt mir zu jeder Zeit aufmunternd zur Seite gestanden und in mancher Stunde Mut zugesprochen.
Besonderer Dank geht auch an meine Mutter, Heike Stöcker, die Stunden damit gebracht hat, sich der stilistischen und grammatikalischen Ordnung des Textes zu widmen.
Und auch an meinen Mann Mark, geht mein tiefempfundener Dank. Jetzt wird’s ruhiger, versprochen. Danke, dass ich mir stets deiner Unterstützung sicher sein konnte.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1.. Einleitung
1.1 Forschungsinteresse und Problemaufriss
1.2 Methodologischer Rahmen
1.3 Gliederung
2.. Forschungsvorhaben und Interventionsprojekt „läuft.“
2.1 Hintergrund/Antrag
2.2 Die Datenerhebung
2.3 Die Intervention „läuft.“
2.4 Die Implementation
3.. Forschungsstand „Bewegte Schule“ und Bezug zum Forschungsvorhaben
3.1 Forschungsstand „Bewegte Schule“
3.2 Einordnung von „läuft.“
4.. Gesundheit(-sförderung) und Gesundheitsbildung
4.1 Was ist Gesundheit?
4.2 Begriffsabgrenzung: Gesundheitsförderung, Gesundheitserziehung, Gesundheitsbildung
4.3 Gesundheitsförderung durch die sportpädagogische Brille
4.3.1 Gesundheitsförderung in der Schule
4.3.2 Gesundheitsförderung im Unterricht von Bewegung, Spiel und Sport
4.4 Gesundheitsbildung im sportpädagogischen Kontext
4.4.1 Sportpädagogische Ansätze zur Gesundheitsbildung
4.4.2 Zweck und Mittel von Bewegung und Gesundheit
4.4.3 Befähigung zur Gesundheitsbildung: qualitativ strukturierter Erfahrungsprozess
4.4.4 Salutogenese und Gesundheitsbildung
5.. Konstruktivistische Didaktik/Ermöglichungsdidaktik
5.1 Abgrenzung und Einordnung „konstruktivistische Didaktik“
5.1.1 Wissen und Verständigungsgemeinschaften
5.1.2 Lernen und Lehren
5.1.3 Lehrer- und Schülerrolle
5.2 Der sportpädagogisch-konstruktivistische Ansatz von Ehni
5.3 (Bewegungs-)Bildung und konstruktivistisch-didaktische Bezüge
6.. Formulierung von Grundannahmen und Konkretisierung der Forschungsfragen
7.. Forschungsmethodologischer und -methodischer Zugang
7.1 Forschungsmethodologie „Grounded Theory“
7.1.1 Verfahrensweisen der GTM und konkrete Anwendung
7.1.2 Computerunterstützte Analyse: Anwendung in dieser Arbeit
7.2 Darstellung des Forschungsdesigns
7.3 Darstellung der Erhebungsmethoden
7.3.1 Teilstandardisiert-fokussierte Experteninterviews mit den Lehrkräften
7.3.2 Gruppendiskussionen mit den Schülern
7.3.3 Verschriftlichung der Tonmaterialien
8.. Darstellung und Interpretation der Ergebnisse
8.1 Chanceneröffnung zur Erlangung einer gesundheitsorientierten Handlungsfähigkeit
8.1.1 Selbstmonitoring: Bewusstmachung des Bewegungsumfangs
8.1.2 Schritt-Sammel-Strategien
8.1.3 Ansporn vs. Zwang zu mehr Bewegung
8.1.4 Resümee
8.2 Ermöglichung eines qualitativ strukturierten Erfahrungsprozesses
8.2.1 Ideen umsetzen
8.2.2 Bewegungsimpuls: Parally
8.2.3 Resümee
8.3 Einordnung und Berücksichtigung von Vorerfahrungen und Erfahrungszusammenhängen
8.3.1 Bewegungsbezogener Erfahrungszusammenhang
8.3.2 Digitale Medien
8.3.3 Resümee
8.4 Sinnzuweisungen der Akteure und entstehende De-/Re- und (Neu-)Konstruktionen von Themen und Beziehungen
8.4.1 Bindung zum Schrittzähler
8.4.2 Beweggründe zur Umsetzung der Impulse
8.4.3 Schummeln als Sinnzuweisung
8.4.4 Bewegungsimpuls zwischen „sinn“voll und „sinn“los
8.4.5 Re-, de- und (neu-)konstruktive Prozesse auf Akteursseite
8.4.6 Resümee
8.5 Eine aktiv-gestaltende Schüler- und lernbegleitende Lehrerrolle
8.5.1 Klassenklima
8.5.2 Schüler: engagierte Kleingruppe
8.5.3 Lehrkraft: lenkendes Unterstützen
8.5.4 Resümee
8.6 Institutionelle Rahmenbedingungen
8.6.1 Integration in den Schulalltag
8.6.2 Zeitproblem
8.7 Engagement: Schulzeit vs. Freizeit
8.8 Verbesserungsvorschläge der Akteure
8.8.1 Gesamtprojekt
8.8.2 Umsetzung des Schrittzählerwettbewerbs
8.8.3 Umsetzung des Kreativwettbewerbs
9.. Diskussion und Ausblick
9.1 Gelingens- und Misslingensbedingungen der Intervention aus Sicht der Akteure
9.1.1 Positiv beeinflussende Aspekte
9.1.2 Negativ beeinflussende Aspekte
9.2 Rückbezüge zur Theorie
9.3 Methodendiskussion
9.4 Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhangverzeichnis
Anhang
Zusammenfassung
Abstract
Eidesstattliche Erklärung
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: "Qualitative Evaluation Checklist"; frei übersetzt und abgewandelt nach Patton (2003)
Abbildung 2: Flowchart der prä-, post- und follow-up-Erhebungen von "läuft.“
Abbildung 3: Übersicht des Unterrichtsvorhabens von "läuft."
Abbildung 4: Beispiel-Spot-Karte (entnommen aus dem Lehrermanual von "läuft.")
Abbildung 5: Platzierungen in den „läuft.“-Wettbewerben
Abbildung 6: Poster der Gewinnerschule des Kreativwettbewerbs
Abbildung 7: Foto eines Flash-Mobs auf dem Schulhof
Abbildung 8: Durchführung der Unterrichtseinheiten von "läuft."
Abbildung 9: Aktivitäten auf der Homepage von "läuft."
Abbildung 10: Zusammenfassung: Komponenten einer "Bewegten Schule"
Abbildung 11: Heuristisches Modell von Gesundheit (übernommen und angepasst nach Wydra, 1996, S. 42 )
Abbildung 12: Zusammenhänge zwischen Bewegung, Spiel und Sport und gesundheitsorientierte Handlungsfähigkeit (übernommen und überarbeitet nach Wydra, 2007, S. 107f.+113)
Abbildung 13: Zweck-Mittel-Umkehr (nach Prohl, 2010, S. 158)
Abbildung 14: Salutogenese-Modell und Bewegungs-/Gesundheitsbildung: Die Überschneidung
Abbildung 15: Beispiel für den Dreischritt nach Ehni (1977); Idee der Grafik entnommen aus Krieger (2014)
Abbildung 16: Kodierformen der GTM: Übersicht (eigene Darstellung; in Anlehnung an eine Zeichnung von G. Mey auf dem Berliner Methodentreffen 2014
Abbildung 17: Kodierparadigma (Grafik entnommen aus Mey & Mruck, 2009, S. 131; Grafik erstmals abgedruckt in Strauss, 1991)
Abbildung 18: : Forschungsdesign (eigene Darstellung)
Abbildung 19: Kategorien-Schema der qualitativen Evaluation von "läuft."
Abbildung 20: Schematische Illustration der Ergebnisdarstellung
Abbildung 21: Schematische Darstellung des Zweigs „Gesundheitsorientierte Handlungsfähigkeit“
Abbildung 22: Schematische Darstellung des Zweigs „Ermöglichung eines qualitativstrukturierten Erfahrungsprozesses“
Abbildung 23: Schematische Darstellung des Zweigs „Vorverständigung/Erfahrungszusammenhänge“
Abbildung 24: Screenshot der „läuft.“-Liga: gepostet auf der „läuft.“-Homepage
Abbildung 25: Schematische Darstellung des Zweigs „Sinnzuweisung/Sinnfindung“
Abbildung 26: Schematische Darstellung des Zweigs „Schüler- und Lehrerrolle“
Abbildung 27: Verschiedene, von den Akteuren beschriebene Lehreraktivitäten
Abbildung 28: Kategorie „Institutionelle Rahmenbedingungen“
Abbildung 29: Kategorie „Engagement: Schulzeit vs. Freizeit“
Abbildung 30: Kategorie „Verbesserungsvorschläge der Akteure“
Abbildung 31: Anregungen für den Kreativwettbewerb
Abbildung 32: Durchlaufene Zyklen von "läuft." nach DBR-Ansatz
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Überblick über die (quantitativ) erhobenen Konstrukte
Tabelle 2:Verschiedene Schritt-Sammel-Strategien der Schüler im Projekt „läuft.“
Tabelle 3: Verbesserungsvorschläge der Schüler und Lehrer
Tabelle 4: Übersicht: Bedingungen für gelungene und misslungene Umsetzung der Interventionsimpulse von "läuft."
Schlagzeilen wie „Selbstoptimierung: Das tollere Ich“ (ZEIT online, 2013) oder „Selbstoptimierung: Der vermessene Körper“ (Zeitschrift "Brigitte", 2013) machen deutlich, wo der Trend in der heutigen Zeit bei stetig steigender Auswahl von Fitness-Apps, Activity-Trackern und Online-Workouts hingeht. Dass auch das hier zugrundeliegende Forschungsvorhaben Pedometer (Schrittzähler) einsetzt, also auch dem Vermessungswahn anheimfällt, kommt somit nicht von ungefähr. Horst Ehni sagte mir in einem persönlichen Gespräch einmal, als es um den Sinn oder Unsinn unseres Forschungsvorhabens ging: „Alle Objektivationen können helfen, um das Subjektive zu erkennen und zu reflektieren.“ Letztlich muss es also doch darum gehen, den Jugendlichen die Möglichkeit zu eröffnen, ihr eigenes Bewegungsverhalten zu reflektieren, um so einen ersten Anstoß für einen bewegteren Alltag zu geben. „Wenn da manchmal so wenig Schritte sind, dann will man sich immer noch mehr bewegen“ (Zitat Schüler, 8:4). Dieses Zitat aus unserer Untersuchung zeigt exemplarisch, dass auch bei den Jugendlichen vermeintlich objektiv gemessene Zahlen des subjektiven Bewegungsverhaltens dazu beitragen können, hierdurch eine Motivation zur Bewegungssteigerung entstehen zu lassen.
Die Aktualität des Untersuchungsgenstandes erschließt sich aus der bereits seit längerem bekannten und durch neuere Untersuchungen (KiGGs , Deutscher Kinder- und Jugendsportbericht, DSB-SPRINT-Studie, etc.) gestützten Tatsache, dass der Bewegungsumfang von Jugendlichen in der heutigen Zeit als zu gering eingestuft werden muss und der daraus resultierenden Notwendigkeit, wissenschaftsbasierte Gegenmaßnahmen anzustreben. Ein Problem, dem man sich stellen muss, wenn man sich an Risikoverhalten orientiert: Jugendliche über die Risiken ihres Fehlverhaltens aufzuklären und ihnen zu empfehlen sich mehr zu bewegen oder besser zu ernähren, damit sie in Zukunft gesund bleiben, ist nicht ausreichend, denn „diese vernünftige Warnung [erreicht] Jugendliche nicht in ihrer aktuellen, auf die Gegenwart gerichteten Lebenswelt“ (Beckers, 2001, S. 14). Davon ausgehend sollte es nicht nur darum gehen, die Körper der Kinder und Jugendlichen zu bewegen, sondern sie vielmehr so zu aktivieren, „dass sie sich aus eigenem Antrieb bewegen“ (Serwe & Thiele, 2008, S. 37). Folglich muss es in der heutigen Zeit erst recht darum gehen, diese Aspekte in einer bildungstheoretisch fundierten Untersuchung/Intervention zu berücksichtigen. Daraus hervorgehend verfolgt das Forschungsvorhaben mit seiner innovativen Intervention den Ansatz, Jugendliche der 8. Klassen in Schleswig-Holstein durch Pedometer mit ihrem Bewegungsausmaß zu konfrontieren und so zu mehr Bewegung in ihrem Alltag anzuregen.
Die Anfertigung der Dissertation erfolgt im Rahmen eines größeren Forschungsvorhabens, welches von der Stiftung Deutsche Krebshilfe gefördert wird. Der darin eingebetteten Intervention mit dem Titel „“läuft.“ – Entwicklung, Implementation und Evaluation einer schulbasierten Intervention zur Steigerung der körperlichen Aktivität im Jugendalter“ liegt die Annahme zu Grunde, dass Förderung und Etablierung eines gesunden Lebensstils durch körperliche Aktivität im Jugendalter einhergeht mit einem verringerten Risiko für viele Krankheiten im Erwachsenenalter (Malina, 2001; Telama, 2009). Dabei wird durch diese Forschungsarbeit ein zunächst gesundheitspsychologisches Forschungsvorhaben durch sport- und gesundheitspädagogische Ansätze ergänzt. Das Dissertationsvorhaben geht in erster Linie der Frage nach, wie die beteiligten Akteure (also Schüler und Lehrer[1]) die durch das Projekt gesetzten Impulse erleben, welche Vor- und Nachteile sie sehen sowie eine Einschätzung der jeweiligen Rollenwahrnehmung. Dazu wird sowohl auf das sportpädagogische Themenfeld der „Bewegten Schule“ als auch explizit auf Ansätze der Gesundheits- und Bewegungserziehung bzw. -bildung sowie auf konstruktivistisch-didaktische Leitgedanken Bezug genommen.
Neben Entwicklung, Erprobung und Implementation der Intervention hat das Forschungsvorhaben auch das Ziel, eine Evaluation durchzuführen. Den gesamt-methodologischen Rahmen dieser Arbeit bildet also ein qualitativ-evaluatorischer Aspekt. Evaluation ist bei Wottawa (2001, S. 650) beschrieben als „die systematische Anwendung sozialwissenschaftlicher Forschungsmethoden zur Beurteilung des Konzepts, des Designs, der Umsetzung und des Nutzens sozialer Interventionsprogramme. Evaluatoren nutzen sozialwissenschaftliche Forschungsmethoden, um die Art und Weise, in der Gesundheits-, Bildungs- und andere soziale Interventionsmaßnahmen durchgeführt werden, zu beurteilen und zu verbessern“. Es sollte also darum gehen, Verbesserungen und Adaptionen auf Grundlage der aus den Daten gewonnen Rückmeldungen in die evaluierte Maßnahme einfließen zu lassen. Nach Patton (2008) ist die qualitative (nutzerorientierte) Evaluation eine Verbindung von Theorie und Praxis. Und auch Kromrey (2003, S. 93f.) spricht von der qualitativen Evaluation als einen „Spezialfall anwendungsbezogener wissenschaftlicher Betätigung“ bei der ein Spagat geschafft werden muss zwischen den Ansprüchen, die mit ihrer „direkten Verwertungsorientierung“ in der Praxis im Kontrast steht zu ihren nur „indirekt anwendungsbezogenen problemorientierten, problemdiagnostizierenden“ wissenschaftlichen Aspekten.
Die kriterienbasierte Evaluation dieser Forschungsarbeit, stellt eine abschließende Bewertung der Intervention „läuft.“, v. a. auf Grundlage der durch qualitative Forschungsmethoden erworbenen Daten, in Aussicht. Die Kriterien werden in Kapitel 6 unmittelbar aus zentral erscheinenden Aspekten der in den Kapiteln 4 und 5 dargestellten theoretischen Hintergründe heraus entwickelt. Die qualitative Evaluation nach Patton (2008) bildet somit den methodologischen Gesamtrahmen dieser Forschungsarbeit – hier v. a. im Sinne eines gedanklichen Grundgerüsts. Sie folgt dem Ansatz einer „nutzerorientierten Evaluation“ („Utilization-Focused Evaluation“) im Sinne Pattons (2008) und greift auf dessen „Qualitative Evaluation Checklist“ [2] (Patton, 2003) zurück (siehe Anhang 1).
Abbildung 1: "Qualitative Evaluation Checklist"; frei übersetzt und abgewandelt nach Patton (2003)
Die nutzerorientierte Evaluation nach Patton (2008) stellt dabei keine bestimmten Inhalte, Modelle, Methoden, Theorien oder spezifischen Nutzungen in den Vordergrund. Viel eher plädiert Patton für eine größere Kontextsensibilität und jeweils der Evaluationssituation angepassten Adaptionen. Leitidee und Checkliste dienen vielmehr der Identifikation der je passendsten Mittel für das jeweilige Forschungssetting. (vgl. Patton, 2008, S. 16)
Mit Blick auf die Forderung innerhalb der internationalen und unlängst auch nationalen Lehr-Lernforschung, pädagogische Interventionen mit theoretischen Überlegungen zu untermauern und zu festigen, soll an dieser Stelle eine kurze Einordnung des Design-Based Research-Ansatz (DBR) erfolgen. Ziel von DBR ist es v. a. durch „systematische Gestaltung, Durchführung, Überprüfung und Re-Design“ (Reinmann, 2005, S. 61) von Interventionen zirkulär die Komplexität der Lehr-Lernforschung besser zu durchdringen. Im Sinne einer DBR gilt es also „den wissenschaftlichen Stand in Theorie und Empirie nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern in den Gestaltungsprozess [der Intervention] (…) aktiv aufzunehmen“ (ebd., S. 62), nicht zuletzt um dadurch theorierückbezügliche Aussagen bei der Evaluation der Intervention treffen zu können (vgl. Institut für Medien und Bildungstechnologie, 2014). Vier Punkte, die DBR dabei ausmachen sind: (1) Herstellung eines eindeutigen Bezugs zu wissenschaftlichen Zielen, Theorien und Befunden, (2) genaue Dokumentation des Gestaltungsprozesses, (3) zirkuläres Durchlaufen der Zyklen Design, Evaluation und Re-Design sowie (4) Entwicklung verallgemeinerbarer Theorien. DBR stellt für das hier vorliegende Forschungsvorhaben kein durchgängig und konsequent verfolgtes Forschungsparadigma dar. Es bietet jedoch eine wertvolle Referenz, da dort auch die theoretische Untermauerung von pädagogischen Interventionen im Fokus steht und die Zyklen von Design und Re-Design nach einer Evaluationsphase thematisiert werden.
Damit der Leser die Gegebenheiten des Forschungssettings nachvollziehen kann, wird im nachfolgenden Kapitel 2 zunächst das Forschungsvorhaben dargelegt und die darin eingebettete Intervention beschrieben. Das Forschungsvorhaben des IFT-Nord verfolgt dabei das Ziel der Entwicklung, Erprobung und Implementation eines multimodalen Klassenwettbewerbs zur Steigerung der körperlichen Aktivität im Alltag für Jugendliche. Die Intervention „läuft.“ besteht aus mehreren Impulsen: – zwei Klassenwettbewerben, vier Unterrichtseinheiten (auch: „Unterrichtsvorhaben“) und einer begleitenden Homepage.
In Kapitel 3 wird der Forschungsstand zum sportpädagogisch relevanten Leitgedanken „Bewegte Schule“ dargelegt und eine Einbettung des Forschungsvorhabens in dieses sportpädagogische Themenfeld vorgenommen: Zunächst kann „läuft.“ immer gedacht werden als Anregung für und/oder Teil einer „Bewegten Schule“. Besonders auffällig erscheinen hier v. a. Parallelen in den Bausteinen einer „Bewegten Schule“ (vgl. Thiel, Teubert & Kleindienst-Cachay, 2013, S. 31–40) und den, im Antrag des Forschungsvorhabens der Stiftung Deutsche Krebshilfe dargelegten, Begründungsmustern von „läuft.“. Eine weitere augenscheinliche Gemeinsamkeit ist die grundlegende Auffassung, dass „Bewegung als Prinzip des schulischen Lernens und Lebens zu etablieren“ (Stibbe, 2004, S. 180), einen wertvollen Ansatzpunkt zur Gesundheitsförderung darstellt.
Die theoretischen Grundlagen des Dissertationsvorhabens werden in den Theoriekapiteln 4 und 5 erörtert. Zunächst gilt es eine Begriffsklärung und -abgrenzung von „Gesundheit“, „Gesundheitsförderung“ sowie „Gesundheits- und Bewegungserziehung bzw. -bildung“ vorzunehmen, bevor diese durch sportpädagogisch-einschlägige Konzeptionen von Beckers (2001), Brodtmann (2008/1998) und Prohl (2010) gefüllt werden. Auch wenn prinzipiell bildungs- oder lerntheoretische Bezüge im theoretischen Teil des Dissertationsvorhabens denkbar wären, so erscheinen die, im Kapitel 5 erläuterten, konstruktivistisch-didaktischen Ansätze in dem für diese Arbeit betreffenden Projektkontext geeigneter. Als hauptsächlicher Vertreter im deutschsprachigen Raum werden die Ansätze von Reich (2008) ausgeführt und um die Grundlagen aus dem angloamerikanischen Raum (Fosnot, 2005a) ergänzt.
Die bereits hier in der Einleitung anklingenden Forschungsfragen werden in Kapitel 6 anhand der theoretischen Grundlegungen präzisiert sowie ebenfalls aus den theoretischen Überlegungen abgeleiteten Kriterien für die abschließende Evaluation formuliert.
Dem im Allgemeinen für wissenschaftliche Arbeiten gültigen Aufbau folgend, wird in Kapitel 7 das forschungsmethodische Vorgehen dargelegt. Einerseits soll das Forschungsdesign vorgestellt werden andererseits die gewählten qualitativen Erhebungsmethoden – Leitfadeninterviews, Gruppendiskussionen – theoretisch aufgearbeitet und anschließend auf das konkrete, diese Arbeit betreffende Forschungssetting bezogen werden. Weiterhin wird die Grounded-Theory-Methodology (Mey & Mruck, 2009; Strauss & Corbin, 1996) als forschungsleitende Methodologie vorgestellt.
In Kapitel 8 folgt die Darstellung und Interpretation der Ergebnisse. Eine Verbindung von Theorie und Empirie wird durch das hier vorangestellte Kategorien-Schema deutlich gemacht, bevor in den einzelnen Abschnitten (8.1 - 8.8) eine detaillierte Darstellung der Ergebnisse folgt. Um die jeweilige Passung der theoretischen Kategorien zu den empirisch relevanten Phänomenen darzustellen, schließen die Abschnitte 8.1 - 8.5 jeweils mit einem Resümee.
Die diesem Forschungsvorhaben zugrunde liegenden Forschungsfragen stellen auch eine umfassende Bewertung der Intervention auf Grundlage der qualitativen Daten in Aussicht. Dazu sollen im Diskussionsteil dieser Arbeit (Kapitel 9) die Gelingens- und Misslingensbedingungen aus Sicht der Akteure dargestellt werden (Abschnitt 9.1). Eine Diskussion mit Rückbezügen zu den theoretischen Hintergründen sowie eine Methodendiskussion und ein Ausblick schließen sich in den Abschnitten 9.2 - 9.4 an und bilden den Abschluss dieser Arbeit.
Der Arbeit wird das Kapitel 2 voran gestellt, um durch die Beschreibung des Forschungsvorhabens und der darin eingebetteten Intervention „läuft.“, dem Leser den Kontext des Forschungssettings vorzustellen. Es werden so die an die Schüler herangetragenen Impulse deutlich gemacht und für das Verständnis der Interviews und Gruppendiskussionen wichtige Hintergründe erläutert[3].
Dem von der Stiftung Deutsche Krebshilfe im Rahmen des Förderschwerpunktprogramms „Primärprävention“ für drei Jahre (seit Januar 2013) geförderten Forschungsvorhaben und dem darin eingebetteten Interventionsprojekt „läuft.“ liegt die Annahme zugrunde, dass die Etablierung eines gesunden Lebensstils mit einem hohen Ausmaß an körperlicher Aktivität[4] in Kindheit und Jugend zu einem geringeren Risiko für viele Krankheiten im Erwachsenenalter führen kann (Malina, 2001; Telama, 2009). Aktuellen repräsentativen Studien in Deutschland (z. B. Manz et al., 2014; Robert Koch-Institut, 2006) folgend, wird nur etwa ein Viertel der 11- bis 17-Jährigen den Bewegungsempfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gerecht. Empirische Studien aus dem angloamerikanischen Raum (z. B. Biddle, Gorely & Stensel, 2004; Dobbins, deCorby, Robeson, Husson & Tirilis, 2009; Jepson, Harris, Platt & Tannahill, 2010) konnten zeigen, dass die Kombination einer schulbasierten Intervention und einer pädagogischen Maßnahme die vielversprechendste Herangehensweise bei Projekten zur Bewegungssteigerung im Kindes- und Jugendalter darstellt. Andere empirische Studien legen dar, dass sowohl bei Erwachsenen als auch bei Jugendlichen Pedometer (Schrittzähler) effektive Mittel zur Bewegungssteigerung (Bravata et al., 2007; Kang, Marshall, Barreira & Lee, 2009; Lubans, Morgan & Tudor-Locke C, 2009) darstellen.
Dies führt letztlich zur Konzeption der Intervention „läuft.“, wie sie im Weiteren vorgestellt wird: Daraus hervorgehend verfolgt das Forschungsvorhaben den Ansatz, Jugendliche der 8. Klassen mit ihrem Bewegungsausmaß zu konfrontieren und zu mehr Bewegung im Alltag anzuregen. Laut Forschungsantrag werden folgende Ziele verfolgt: (1) Entwicklung, Erprobung und Implementation eines multimodalen Klassenwettbewerbs zur Steigerung der körperlichen Aktivität im Alltag für Schülerinnen und Schüler der Klassenstufe 7 (jetzt: 8) sowie (2) die Durchführung einer multimethodischen Evaluation der multimodalen Intervention.
Bereits im Frühjahr 2013 wurde sowohl das Unterrichtsvorhaben als auch die geplante Datenerhebung an zwei Schulen (4 Klassen) hinsichtlich Durchführbarkeit, Verständlichkeit und Akzeptanz pilotiert. Realisiert wurde eine verkürzte Projektlaufzeit von acht Wochen sowie eine anschließende Datenerhebung. Für eine umfassende Prozessevaluation im Sinne der DBR (siehe Abschnitt 1.2 und Abschnitt 9.3), kamen hier sowohl quantitative (Schüler- und Lehrerfragebögen) als auch qualitative (teilnehmende Beobachtung, Schüler- und Lehrerinterviews) Methoden zum Einsatz[5]. Ziel war es v. a., die konzipierten Unterrichtseinheiten zu testen und deren Umsetzbarkeit im reellen Unterrichtsgeschehen zu analysieren sowie darauf aufbauend eine Überarbeitung und Anpassung des Gesamtkonzepts von „läuft.“ und insbesondere des Unterrichtsvorhabens vorzunehmen. Die systematische Zusammenführung der aus der Pilotstudie gewonnenen Erkenntnisse führt zu der in Abschnitt 2.3 beschriebenen Gestalt des Unterrichtsvorhabens.
Die Datenerhebung für das Forschungsvorhaben findet prä-, post- und follow-up zu der Intervention statt. Zu diesen drei Messzeitpunkten werden sowohl medizinische Daten als auch Fitnesswerte der Schüler erhoben sowie psychologische Konstrukte, Lebensstilfaktoren und auch soziodemografische und soziale Faktoren mittels eines Fragebogens erfragt (Tabelle 1). Abbildung 2 zeigt den Flowchart der Datenerhebung von „läuft.“. Die Randomisierung findet auf Schulebene statt, sodass eine Vermengung von teilnehmenden und nicht-teilnehmenden Klassen an einer Schule vermieden wird. Eine Gesamtstichprobe von 1.489 Schülern teilt sich auf in 887 Schüler in der Interventions- und 602 Schüler in der Kontrollgruppe. Zum Post-Interventionsmesszeitpunkt können insgesamt 1.162 Datensätze und zum Follow-up-Zeitpunkt 1.020 Datensätze denen aus der Baseline-Erhebung zugeordnet werden. Über alle drei Messzeitpunkte finden sich 959 passende Datensätze. Die Daten aus Fragebögen und medizinischer Testung werden, wenn überhaupt, nur am Rande in die Beantwortung der Fragestellung mit einfließen, weshalb der quantitativen Datengewinnung an dieser Stelle keine weitere Aufmerksamkeit zuteilwird. Die Darstellung dient an dieser Stelle lediglich der Beschreibung und Darstellung der vorhandenen Stichprobe.
Abbildung 2: Flowchart der prä-, post- und follow-up-Erhebungen von "läuft.“
Tabelle 1: Überblick über die (quantitativ) erhobenen Konstrukte
Ergänzt wird die Datensammlung während der Post-Messung durch eine qualitative Datenerhebung. Diese dient v. a. der qualitativen Evaluation der ablaufenden Prozesse sowie der Gewinnung von An- und Einsichten der beteiligten Akteure. Die qualitative Datenerhebung umfasst Leitfadeninterviews mit den Lehrkräften der Interventionsgruppe (Abschnitt 7.3.1) und Gruppendiskussionen mit den Schülern der Interventionsgruppe (Abschnitt 7.3.2). Eine detaillierte Beschreibung der qualitativen Erhebungsmethoden erfolgt in Abschnitt 7.3.
Ziel der Intervention „läuft.“ ist, das Bewusstsein der Jugendlichen für die Notwendigkeit eines aktiven Lebensstils zu wecken bzw. zu schärfen und bei ihnen durch Schrittzähler[6] die Reflexion des eigenen Bewegungsausmaßes anzustoßen sowie dieses in Bezug zu aktuellen Bewegungsempfehlungen zu setzen, um so möglichst das Aktivitätslevel und v. a. die Motivation jedes Einzelnen zu steigern (Kang et al., 2009). Das Forschungsvorhaben umfasst insgesamt 61 Klassen der Jahrgangsstufe 8 in Schleswig-Holstein, von denen 36 an der dreimonatigen Intervention (März 2014 – Juni 2014) teilnehmen und 25 als Kontrollgruppe fungieren (siehe auch Abbildung 2).
Die zwei Kernkomponenten von „läuft.“ sind die beiden Wettbewerbe: Schrittzählerwettbewerb und Kreativwettbewerb. Im Schrittzählerwettbewerb treten die 36 Klassen aus der Interventionsgruppe gegeneinander an. Jeder Schüler trägt in drei ausgewählten Wochen täglich seine Schrittzahlen in ein Klassenposter ein. Anschließend wird ein Durchschnittswert für die Klasse gebildet, welcher dann im Vergleich zu den anderen Klassen bewertet wird. Für die Einhaltung der aufgestellten Regeln sowie die Richtigkeit der Angaben ist der jeweilige Lehrer verantwortlich. Eine reine Fokussierung auf den Schrittzähler und den dazugehörigen Wettbewerb soll mit der Gleichstellung eines zweiten Wettbewerbs, des Kreativwettbewerbs, verhindert werden. Dieser hat die kreativen Ideen der Jugendlichen bezüglich ihrer Aktivitätssteigerung im (Schul-)Alltag zum Thema. Hier haben die Jugendlichen die Möglichkeit, selbstständig Vorschläge für mehr Bewegung im Schulalltag zu entwickeln, umzusetzen und diese dann zu dokumentieren und einzureichen.
Abbildung 3: Übersicht des Unterrichtsvorhabens von "läuft."
Jede Klasse der Interventionsgruppe nimmt an vier obligatorischen Unterrichtseinheiten (je 45 Minuten) teil (Abbildung 3). Diese Implementation obliegt den teilnehmenden Lehrkräften. Zusätzlich werden sechs fakultative Bausteine[7] angeboten, die der Lehrkraft[8] die thematische Vertiefung des Projektthemas auf freiwilliger Basis ermöglichen. Unterrichtseinheit 1 (läuft. LOS) findet als Initialisierung in der ersten Woche der Intervention statt. Die Vorstellung des Projekts „läuft.“ wird von der Lehrkraft durchgeführt. Hier bekommen die Schüler eine erste Einführung in das Projekt „läuft.“, Informationen zu den Klassenwettbewerben und erhalten den Schrittzähler (dieser verbleibt nach der Intervention bei den Schülern) zur Teilnahme am Schrittzählerwettbewerb. Als Hausaufgabe sollen sich die Schüler einen privaten Account auf der Homepage anlegen und die erste Wochenaufgabe (s. u.) lösen. Ziel ist es, den Jugendlichen einen ersten Anreiz zu geben und sie somit zum Besuch der Homepage zu motivieren.
Unterrichtseinheit 2 (läuft. KREATIV) hat dann den Anstoß des Kreativwettbewerbs zum Thema. Hier können die Schüler eigene kreative Ideen, über das „Schritte-Zählen“ hinaus, zur Bewegungssteigerung im (Schul-)Alltag miteinbringen. Die Schüler bekommen mögliche Themenfelder/Projektbeispiele (z. B. Bewegungsstationen in der Schule, Aktive Pausengestaltung, Aktiver Flashmob, Projekttag/-woche) vorgestellt[9] und sammeln kreative Ideen zur Umsetzung eines Klassenprojekts zur Steigerung der körperlichen Alltagsaktivität – hier zunächst im Schulalltag. Die Schüler werden explizit darauf hingewiesen, dass diese kreativen Klassenprojekte über die Schrittzählernutzung hinaus bewegungsbezogene Aspekte des (Schul-)Alltags betreffen sollen. Anschließend wird die Planung für eine konkrete Umsetzung des erdachten Projekts angestoßen. Ein Großteil der Planung und Organisation des von den Schülern ausgewählten Klassenprojekts findet außerhalb der eigentlichen Unterrichtseinheit statt. Auch die konkrete Umsetzung liegt in Schüler- bzw. Lehrerhand.
Abbildung 4: Beispiel-Spot-Karte (entnommen aus dem Lehrermanual von "läuft.")
In der sportpraktischen Unterrichtseinheit 3 (läuft. PARALLY) geht es um das spaßbetonte Erleben einer alltagstauglichen Bewegungserfahrung (vgl. Müller et al., 2015). Hier sollen die Jugendlichen das neue, spaßbetonte Bewegungskonzept Parally ausprobieren und ggf. mit ihren Schrittzählern verbinden. Parally ist aus der Idee entstanden, die urbane Umwelt, beispielsweise während des Joggens oder auf dem Schulweg, hinsichtlich der bewegungsbezogenen Nutzbarkeit zu überprüfen und wahrzunehmen und die vorhandenen Gegenstände (z. B. Treppen, Geländer, Bänke, Baumstämme etc.) entsprechend umzudeuten. Findet sich auf dem Schulweg oder der Joggingstrecke also eine solche Möglichkeit, wird dies als Spot bezeichnet. Die bewegungsbezogene Nutzbarkeit obliegt den einzelnen Schülern bzw. den Kleingruppen. Die Lehrkraft stellt Parally anhand von Best-Practice-Beispielen vor. Anschließend füllen die Schüler in Kleingruppen eine Spot-Karte aus (Abbildung 4), mit Hilfe derer sie ihre Bewegungsideen und ihre gelaufenen Schritte festhalten können. Eine anschließende Reflexion der Unterrichtseinheit anhand der ausgefüllten Spot-Karten, soll den Schüler die unterschiedlichen Auslegungen der Spots (z. B. als Sprung-, Schwung-, Kletter-Gerät etc.) vor Augen führen.
Reflexion und Ausblick des Projekts „läuft.“ finden in der zweigeteilten Unterrichtseinheit 4 (läuft. WEITER) statt: „Wie hat sich das Bewegungsverhalten in den letzten Wochen verändert?“ und „Welche Ziele setze ich mir persönlich für die nächste Zeit?“, sind für diese Unterrichtseinheit leitende Fragen. Die Reflexion findet anhand der Erarbeitung geeigneter „Schritt-Sammel-Strategien“ statt. Die Schüler erarbeiten Strategien, mit denen sie in den vergangenen Wochen erfolgreich viele Schritte gesammelt haben. Diese sollen nun noch einmal gezielt zur Steigerung der individuellen Alltagsaktivität ein- und umgesetzt werden (auch in der darauf folgenden Schrittzählerwoche). Zur Wegbereitung nach dem Projekt, setzen sich die Schüler im zweiten Teil der Unterrichtseinheit 4 geeignete konkrete Ziele, welche in einem von der Lehrkraft definierten Zeitraum (individuelle Anpassung an die Lerngruppe) verwirklicht werden sollen. Hierzu reflektieren die Schüler zunächst die möglichen, durch das Projekt angestoßenen, bewegungsbezogenen Neuheiten ihres Alltags. Anschließend notieren sie solche Veränderungen, die sie in Zukunft beibehalten möchten und formulieren gleichsam Ziele, die sie in Zukunft noch umsetzen wollen. Langfristige Absicht dieser Unterrichtsaktivität ist es, die individuell gesteckten Ziele nach einiger Zeit erneut zu reflektieren und darauf aufbauend eine langfristige gedankliche Verankerung zu bewirken.
Zum Abschluss bekommen die Klassen eine Teilnahmeurkunde von ihrer Lehrkraft überreicht, in der die insgesamt in den drei Schrittzählerwochen gesammelten Schritte aufsummiert werden.
Eine interaktive Homepage (www.läuft.info) begleitet die Schüler durch die gesamte Projektzeit von zwölf Wochen. Auf dieser Internetseite haben die Jugendlichen Gelegenheit, sich über das Forschungsvorhaben zu informieren. Außerdem besteht die Möglichkeit, sich einen eigenen Account auf der „läuft.“-Homepage einzurichten: Hier haben die Schüler die Gelegenheit täglich ihre Schritte einzutragen und sich den Verlauf dieser anzeigen zu lassen. Auch können sie hier Wochenaufgaben[10] lösen, die es ihnen – zusammen mit dem Eintragen der Schritte – ermöglichen, Bonusmaterial[11] freizuschalten. Ergänzend wird den Jugendlichen unter der Rubrik „läuft. IM ALLTAG“ die Möglichkeit eröffnet anzugeben, wie sie jeweils auf ihre Schrittzahlen gekommen sind (z. B. „shopping tag 2 (fast 2 kilometer shoppingmeile)“ oder „Mit dem Hund Gassi gegangen/mit Mutti einkaufen gewesen“). Eine ergänzende Rubrik „AKTUELLES“ hat einerseits die Funktion, die neuesten Informationen bezüglich der Wettbewerbe öffentlich zu machen. Andererseits werden hier auch „Tipps für mehr Bewegung“ oder “Tipps für neue Bewegungsformen“ bekannt gegeben.
Alle in der Intervention „läuft.“ gesetzten Impulse waren zunächst als obligatorisch in der Durchführung angedacht. Die tatsächliche Umsetzung zeigt jedoch erhebliche Diskrepanzen. Die Ergründung der hier zugrunde liegenden Motive, wird ein Aspekt der dieser Arbeit ihren Rahmen gebenden qualitativen Evaluation sein. Dieser Abschnitt soll nun zunächst die Teilnahme an den Wettbewerben aufdecken, die reale Umsetzung des Unterrichtsvorhabens aufzeigen und die Aktivitäten der Schüler auf der Homepage beschreiben.
Die Teilnahmebereitschaft an den beiden Wettbewerben offenbart zwei sehr unterschiedliche Ausprägungen. Grundsätzlich ist anzumerken, dass fünf teilnehmende Klassen in beiden Wettbewerben einen Preis gewonnen haben (Abbildung 5). Hier ist auffällig, dass die ersten vier Platzierungen beim Schrittzählerwettbewerb ebenfalls am Kreativwettbewerb teilgenommen haben.
Abbildung 5: Platzierungen in den „läuft.“-Wettbewerben
Zur Teilnahme am Schrittzählerwettbewerb ist zu festzuhalten, dass 86% der Klassen einen Klassendurchschnittswert zur Bewertung eingesendet haben. Lediglich fünf Klassen taten dies nicht. Immerhin noch 53% haben zu allen drei Schrittzählerwochen einen Wert eingeschickt und 33% reichten einen oder zwei Durchschnittswerte ein. Gewonnen hat die Klasse 8c des Gymnasiums Kronshagen mit einem Klassendurchschnittswert für den einzelnen Schüler von 17.791 Schritten pro Tag.
Der Kreativwettbewerb wurde von nicht annähernd so vielen Klassen durchgeführt, wie der Schrittzählerwettbewerb. Letztlich wurden neun Klassenprojekte (25%) zur Bewegungssteigerung im (Schul-)Alltag eingereicht. Die kreativen Ideen reichen von Bewegungsflashmobs auf dem Schulhof bis hin zu Bewegungsstationen, die in den großen Pausen aufgebaut werden. Zur Veranschaulichung sollen die Kreativprojekte kurz vorgestellt werden:
· Eine Woche lang organisierte der WPU-Kurs der Wilhelm-Wisser-Schule in Eutin für alle Schüler jeden Tag der sogenannten O-SAFT-Woche eine neue, aufregende sportliche Aktivität in der großen Schulpause. Montags wurde ein 3km langer Lauf organisiert, dienstags konnten alle Schüler in der Turnhalle Slam Dunks ausprobieren, mittwochs wurde Aerobic angeboten, donnerstags konnten Fußballtricks ausprobiert werden und freitags wurde in der aktiven Mittagspause auf dem Minitrampolin gesprungen. Der WPU-Kurs hat durch sein Projekt Schüler der ganzen Schule zu mehr Bewegung in ihrem Schulalltag motiviert und deshalb den ersten Platz im Kreativwettbewerb belegt.
· Den zweiten Platz belegt die Klasse 8a der Freien Waldorfschule Kiel. Die Schüler bestückten einen bereits bestehenden mobilen Verkaufswagen mit Bewegungsutensilien zum Ausleihen. In der großen Pause können nun alle Schüler jonglieren, Springseil springen oder auf einen Wurfkorb werfen.
· Die 8d des Leibniz Gymnasiums Bad Schwartau organisierte dem Thema “Übungen in der Freizeit“ verschiedene Bewegungsstationen in der Innenstadt von Bad Schwartau, wo sie Passanten zum Mitmachen animierten. Ergänzend baute die 8d diese Bewegungsideen als „Bewegungspyramide“ in ihrer Sporthalle auf. So konnten sie sich den dritten Platz im Kreativwettbewerb sichern.
· Verschiedene Plakate zum Thema „Bewegung“ hat die Klasse 8d der Jungmannschule Eckernförde in der Schule aufgehängt. Alle anderen Klassen haben in irgendeiner Art und Weise einen Tanz- und Bewegungs-Flash-Mob auf dem Schulhof veranstaltet. Diese Klassen wurden alle auf Platz fünf eingeordnet (siehe Abbildung 7), da hier keine Unterschiede wahrnehmbar waren.
Abbildung 6: Poster der Gewinnerschule des Kreativwettbewerbs
Die unterschiedlichen Klassenprojekte wurden anhand eines zuvor festgelegten Bewertungsschemas kategorisiert. Wichtig war dabei unter anderem, wie viele Schüler/Menschen dieses Projekt involviert, wie viele unterschiedliche Bewegungsaspekte berücksichtigt werden bzw. wie das Projekt dargestellt wird.
Abbildung 7: Foto eines Flash-Mobs auf dem Schulhof
Die Ableitung der tatsächlichen Implementation der Unterrichtseinheiten basiert auf der Analyse eines Fragebogens, ausgefüllt von den Lehrkräften, wobei dieser für 30 der potentiell 36 Klassen vorliegt. Wie Abbildung 8 zeigt, wurde Unterrichtseinheit 1 (läuft. LOS) von allen Klassen durchgeführt. Besonders auffällig erscheint hier, dass den aktiven Bewegungsstart in das Projekt lediglich 16 Lehrer mit ihren Klassen durchgeführt haben. Die restlichen Teile der Unterrichtseinheit 1 (Information über den Schrittzählerwettbewerb/Austeilen des Schrittzählers, sowie Hinweis auf die Homepage) wurden von annähernd allen Lehrkräften an die Schüler herangetragen. Es kann also davon ausgegangen werden, dass der Schrittzähler inklusive der Information über den Schrittzählerwettbewerb allen Schülern nahegebracht wurde. Die Information über den Kreativwettbewerb und somit Unterrichtseinheit 2 (läuft. KREATIV) haben ca. 80% der Lehrer mit ihren Klassen durchgeführt. Auch zur Sammlung kreativer Ideen sind immerhin noch 60% gekommen. Eine deutliche Diskrepanz zeigt sich dann jedoch in der Planung eines konkreten Projekts bzw. in der tatsächlichen Umsetzung sowie der Einreichung beim Kreativwettbewerb. Wie auch in Abbildung 5zu sehen, gibt es neun Kreativprojekte, welche es zur Prämierung bei „läuft.“ geschafft haben. Die sportpraktische Unterrichtseinheit 3 (läuft. PARALLY) wurde, laut Angaben aus dem Fragebogen, von rund 50% der teilnehmenden Lehrkräfte mit ihren Klassen durchgeführt. Wiederum auffällig erscheint hier v. a., dass die zusätzlichen Hilfen (Parally-Video und Spot-Karten) nur von sehr wenigen zur unterstützenden Vermittlung genutzt wurden. Auch Unterrichtseinheit 4 (läuft. WEITER) wurde von annähernd der Hälfte aller Lehrkräfte implementiert. Interessant zu bemerken scheint hier v. a., dass die Lehrkräfte ENTWEDER die Reflexion des zurückliegenden Bewegungsverhaltens (läuft. WEITER 1) ODER den Transfer auf zukünftige Bewegungsziele (läuft. WEITER 2) durchgeführt haben.
Abschließend sei festgehalten, dass Freitextangaben oder mündliche Zusagen der Lehrkräfte zu zukünftigen Absichten der Durchführung einzelner „läuft.“-Impulse, nicht in die Analyse der Implementation miteingeflossen sind.
Abbildung 8: Durchführung der Unterrichtseinheiten von "läuft."
Bezogen auf die Homepage ist zunächst festzuhalten, dass sich 461 Schüler einen Account auf der „läuft.“-eigenen Homepage angelegt haben (Abbildung 9). Dies entspricht 52% der potentiell möglichen Schüler. Auffällig ist, dass die meisten Kalendereinträge nicht öffentlich gemacht wurden, d. h. das Feedback durch die eingetragenen Schritte fast ausschließlich im Privaten genutzt wird. Insgesamt wurden 186 Boni durch die gesammelten Punkte freigeschaltet. Dies erfolgte durch das Lösen der Wochenaufgaben und die Eintragungen in den privaten Kalendern.
Abbildung 9: Aktivitäten auf der Homepage von "läuft."
Die Förderung der Gesundheit sowie des Gesundheitsbewusstseins (siehe Kapitel 4) von Kindern und Jugendlichen durch Bewegung, Spiel und Sport wird als pädagogisches Anliegen nicht nur dem Sportunterricht zugeschrieben, sondern ist zunehmend eng mit Konzepten und konkreten Projekten „Bewegter Schule“ verbunden (Aschebrock, 2013; Hildebrandt-Stramann & Laging, 2012; Müller, 2010). Dieser Abschnitt der Arbeit befasst sich deshalb mit der Explikation des Stands der Forschung in dem sportpädagogischen Themenbereich der „Bewegten Schule“ ohne dabei darauf abzuzielen ein umfassendes Bild der Realisierung des Konzepts – oder besser: der Konzepte[12] zur „Bewegten Schule“ in Deutschland zu zeichnen. Anschließend wird das Projekt „läuft.“ in diesen Forschungsstand eingeordnet und der Neuigkeitswert des Projekts innerhalb der Ansätze zur „Bewegten Schule“ aufgezeigt. Im Folgenden soll deshalb dem Ansatz von Serwe & Thiele (2008) gefolgt werden. Einen umfassenden und weiterführenden Überblick bieten die folgenden Forschungsarbeiten: Kößler, 1999; Regensburger Projektgruppe, 1999; Wuppertaler Arbeitsgruppe, 2008.
Eine breitere Diskussion der Thematik „Bewegte Schule“ lässt sich seit Mitte der 1990er Jahre erkennen. Beziehen sich diese Überlegungen zunächst auf eine sport- und bewegungspädagogische Ebene, werden sie dann auch Gegenstand in den programmatischen Diskussionen der Schul- und Schulsportentwicklung (Serwe & Thiele, 2008). Nach Serwe & Thiele (2008) lässt sich die (Weiter-)Entwicklung dieses sportpädagogischen Konzepts in vier Phasen (ebd., S. 163ff.) gliedern: (1) programmatische Phase, (2) Implementierungsphase, (3) Konsolidierungsphase und (4) Disseminationsphase. Diese Unterteilung in Phasen wird im Folgenden zur Gliederung der Darstellung des Forschungsstands und einer anschließenden Einordnung der Intervention genutzt.
(1) Programmatische Phase: Diese Phase dient der Vorstellung, Entwicklung und Legitimierung des Konzepts „Bewegte Schule“ (Serwe & Thiele, 2008, S. 163). Als Ausgangspunkt der Entwicklung seit Ende des letzten Jahrhunderts wird der Sportpädagoge Urs Illi angesehen, der mit seinen Arbeiten hauptsächlich gegen die „Sitzschule“ argumentiert. Es ist jedoch augenscheinlich, dass dies nicht das einzige Legitimierungsmuster für eine „Bewegte Schule“ darstellt. Thiel, Teubert & Kleindienst-Cachay (2013) fassen deshalb in ihrem Aufsatz „Die „Bewegte Schule“ auf dem Weg in die Praxis“ vier theoretische Grundlegungen der Notwendigkeit einer „Bewegten Schule“ zusammen, aus denen sich dann in einem nächsten Schritt idealtypische Strukturmerkmale (auch: Bausteine) ableiten lassen:
· Entwicklungs- und lerntheoretische Begründungsmuster betonen hier v. a. die Relevanz von Bewegung für die kindliche Entwicklung und das Lernen. Unterschieden wird hier nach einer eher Psychologischen Perspektive (positive Wirkung bewegungsbezogener Konzepte auf den (kognitiven) Lernprozess (ebd., S. 26)), einer Anthropologischen Perspektive (Bewegung als Grundbedürfnis der kindlichen Entwicklung (ebd., S. 31)) sowie einer Sozialökonomischen Perspektive (Kinder werden in eine Gesellschaft mit durch „Technisierung und Automatisierung“ bedingte „Immobilität“ hineinsozialisiert (ebd., S. 32)).
· Medizinisch-gesundheitswissenschaftliche Begründungsmuster, basierend auf Defizitanalysen, werden genutzt um die Institution Schule aufzufordern, Mängel zu kompensieren oder ihnen präventiv vorzubeugen (ebd., S. 33). Hier findet eine Unterteilung in eine Medizinisch-orthopädische Perspektive (Haltungs- und Bewegungsschäden entgegenwirken (ebd., S. 33)), eine Perspektive der Unfallverhütung und Sicherheitserziehung (ebd., S. 35) (Bewegung als eine Art „psychomotorisches Sicherheitstraining“ (Hundeloh, 1995, S. 8)) sowie abschließend einer Gesundheitserzieherischen Perspektive (Entwicklung eines Gesundheitsverständnisses, welches die Gesundheit und die Suche nach Schutzfaktoren (siehe Abschnitt 4.1) in den Vordergrund stellt (Serwe & Thiele, 2008, S. 36)) statt.
· Schulprogrammatische Begründungsmuster legen den Fokus v. a. auf die pädagogischen Forderungen, die an die Institution Schule gestellt werden (ebd., S. 37). Differenziert wird hier nach Schule als Lebens-, Lern- und Erfahrungsraum (ganzheitliche Entwicklungsförderung (ebd., S. 39)) sowie in Schule als Kulturphänomen („Bewegte Schule“ in einem kulturellen Verständnis von „Teilhabe“ und „Mitgestaltung“ (ebd., S. 40)).
Wie sollte also eine „Bewegte Schule“ aussehen? Ähnlich wie es für die Begründungsmuster „Bewegter Schule“ je nach fachlichem Hintergrund unterschiedliche Ansätze gibt, so legen die einzelnen Autoren unterschiedliche Schwerpunkte bei der Auswahl ihrer idealtypischen Strukturmerkmale[13]. Die Gemeinsamkeit besteht darin, dass unterschieden wird nach Rahmenmerkmalen und inhaltlichen Merkmalen.
Abbildung 10: Zusammenfassung: Komponenten einer "Bewegten Schule"
(vgl. Thiel et al., 2013)