Die steigende Zahl freiheitlicher Utopier
Man benötigt unbedingt eine gute Philosophie.
Gestatten Sie, dass ich mich Ihnen nun erst mit meinem irdischen Namen vorstelle: Mein Name ist nicht ‚Gott‘, ‚Béchamp‘ oder ‚Pasteur‘. Keine Bange, überheblich bin ich nicht, sondern ich bin lediglich der ‚Autor ihrer Geschichte‘, die Mikrobe Gleifuß. In erdverbundener Gestalt nennt man mich hinter vorgehaltener Hand Mogoe. Mogoe ist eine glückliche Verbindung aus den Nachnamen von Thomas Morus und Johann Wolfgang von Goethe. Benötige ich eine solche Namensverbindung überhaupt? Antwort: In erster Linie wegen des Verlags und der verlagsgesteuerten Möglichkeiten. Und? Wenn schon, denn schon, wähle ich mir selbstverständlich meine Vorbilder nach eigenem Ermessen aus, indem ich die richtigen Namen miteinander verknüpfe. Das ist nicht nur für Werbezwecke hilfreich.
Genauer gesagt, bin ich zurzeit nicht gar mehr Gleifuß oder Mogoe, weil Worax mit mir eine relativ feste Verbindung eingegangen ist. Bitte finden Sie selbst den passenden Namen heraus, der diese Verbindung am besten kennzeichnet. Worax ist zwar weniger sprachlich begabt als Johann Wolfgang von Goethe. Ich, meinerseits, könnte aber durchaus ein praktischer Utopist wie Thomas Morus sein. Manche mögen mich dafür kritisieren oder sogar behaupten, ich sei ein politischer Romantiker. Worax wäre dann gewissermaßen als mächtiger Goethe mein Spiegelbild: Erfolg, Leistungsfähigkeit, Kunst und Realitätssinn. Worax behauptet gelegentlich, ich sei eine Utopie selbst. Wenn das aber stimmen würde, wäre ich keine Mikrobe mehr, sondern eher ein irdenes Prinzip.
Eine Sache steht so fest wie ein felsige Eiche: Worax ist eine Makro und ich bin ein Mikro. Zusammen bilden wir ein Mikro-Makro-Team. Allerdings bin ich durch die Verbindung zu Worax zuweilen auch sehr gehemmt. Nie fühle ich mich zurzeit richtig frei oder allein, einsam schon gar nicht. Das Nachdenken gelingt mir manchmal nur noch in einem engen Bezug zu ihm. Immer fühle ich mich mit ihm kurzgeschlossen. Ich kann ihn andererseits in alles mit einbeziehen. Er ist sozusagen mein Dauerzuhörer geworden. Alles, was ich höre, denke und verstehe, betrifft auch ihn. Ich kenne ihn inzwischen fast zu genau. Ich habe ihn schon einige Male gebeten, auch Cori in unsere enge Gemeinschaft hinzuzunehmen. Er weigert er sich. Er hält nur uns beide allein für die engsten Freunde. Wir würden organisch gut zusammenpassen und zusammengehören, sagt er, wie Gilgamesch und Enkidu im großen ersten literarischen Epos der Weltgeschichte, obwohl wir zuweilen heftig miteinander streiten. Am Ende steht meistens die Versöhnung im Mittelpunkt unserer Beziehung. Gerade dieses Versöhnungsprinzip scheint der Grund dafür zu sein, der Cori gewissermaßen in eine Außenseiterrolle drängt. Ich bin mit Cori nur noch durch das ganz große Kollektiv verbunden. Ich vermisse Cori als Einzelwesen sehr. Aber Worax lässt Cori nicht an uns heran. Ich kann uns nicht in einem Dreierteam zusammenbringen, weil ich die Tricks für eine solche Beziehung nicht kenne. Reden und Fordern jedenfalls helfen nicht viel weiter.
Was nun Thomas Morus und seine fabelhafte Schrift „Utopia“ betrifft, möchte ich Ihnen dieses „Utopia“ und meine eigene Sichtweise auf Utopien im Allgemeinen nun etwas verbindlicher erläutern. Diejenigen, die das nicht hören wollen oder schon genügend Kenntnisse besitzen, können ja schon zu Bett gehen und davon träumen.
Das Reich der Utopier, jenes Reich also, das des Schriftstellers Thomas Morus erfand, ist kein Traum. Sein „Utopia“ hat eher mit Idealismus und Armut zu tun. Sie wissen ja: Träume dagegen können furchtbar reich an Phantasie sein, aber auch schrecklich arm an Realitätssinn. Ein Ideal hingegen bleibt stets gut, ganz gleich, ob es arm, reich, kompliziert oder einfach gebaut ist.
Der britische Edelmann Thomas Morus, wahrscheinlich am 7. Februar 1478 in London geboren und am 6. Juli 1535 auch dort gestorben, war ein angesehener englischer Staatsmann, ein sogenannter Lordkanzler und zugleich ein humanistischer Autor. Er ist ein Heiliger und Märtyrer der römisch-katholischen Kirche gewesen, Patron der Regierenden und Mächtigen, politischer Praktiker und gewissermaßen mein Vorbild. Seine kritischen Arbeiten über Martin Luther wurden europaweit gelesen. Seine große Schrift aus dem Jahr 1515 mit dem Titel „Utopia“ hat er in der lateinischen Sprache der Ehrwürdigen verfasst. Es ist ein philosophischer Dialog, in welchem die Umrisse einer fernen und idealen Gesellschaft bzw. einer Gemeinschaft geschildert werden, wodurch er viele Anstöße für das Genre der irdischen Sozialutopien lieferte. „Utopia“ ist als Literaturgattung betrachtet eher eine Erzählung, kein Roman also, so, wie auch meine Schriften gewissermaßen Erzählungen und Schreie sind, wie bei Morus, aber auf einem realistischen Hintergrund. Erzählungen sind oft wie die spontanen Schreie der Formlosigkeit, während Romane im Regelfall eine ordentliche und strukturierte Handlung haben.
Am 6. Juli 1535 wurde Thomas Morus im Alter von 57 Jahren auf dem Schafott hingerichtet. Er ist allein gestorben, aber im großen Kollektiv lebt er weiter. Die Verurteilung war für den nichtadeligen Hochverräter, der er als Brite nun einmal gewesen sein soll, eine übliche Todesart gewesen: Hängen, Ausweiden, Vierteilen. Jedoch wurde das Urteil gegen ihn, durch den gnadenvollen König, in Enthauptung ohne vorherige Folter abgeändert. Das wird ihm zweifellos gut getan haben. Der Kopf des Ermordeten wurde einen Monat lang auf der London Bridge zur Schau gestellt, ehe seine Tochter Margaret, gegen Zahlung eines Bestechungsgeldes, ihn herunterholen durfte.
Sie sehen also, liebe Leser, ein Utopist lebt und stirbt gefährlich, vor allem, wenn er sich zu eng an die Mächtigen und Herrschaften binden lässt. Ich aber sage Ihnen: Eine Utopie ist wie eine unsterbliche Mikrobe. Sie wird als am Ende des Tages zum Prinzgemahl des Mikro-Makrokosmos werden.
Als erstes möchte ich Ihnen ein Zitat aus dem Buch „Utopia“ des Thomas Morus vorlesen. Es lautet: „Man muß durchaus Sorge tragen, mit denen, die entweder die Natur, der Zufall oder die eigene Wahl zu unsern Lebensgefährten gemacht haben, so angenehm als möglich zu verkommen, damit sie durch zu große Vertraulichkeit nicht verhätschelt, oder durch zu große Nachsicht aus Dienern zu Herren werden.“
Viel Weisheit steckt in diesen wenigen Zeilen. Ich verwende sie oft, bei sehr vielen Gelegenheiten. Worax versteht das Zitat nicht. Er weiß zwar, was ein Lebensgefährte ist und wie man sich die Welt so angenehm wie möglich macht, aber was einen Diener zum Herrn und einen Herrn zum Diener macht, begreift er nicht. Nun ja, dieses Herrschaftsspiel kennen wir als Mikroben auch gar nicht. Eigentlich versteht Worax dadurch das ganze irdene Prinzip nicht richtig. Herrscher und Untertanen seien ihm fremd, sagt er. Damit könne er nichts anfangen, weil man ja meistens davon ausgehe, dass ein Prinzip nicht beeinflusst werden könne. Ein Mikrunten und Mikroben kennen wir auf Guma also nicht. Dadurch versteht Worax leider auch die Aggregate der Freiheit im Reich der Wesentlichen nicht, weil er prinzipiell nur das Funktionelle, Funktionierende, Nützliche und Natürliche kennt. Aber nun bin ich ja ein Teil von ihm geworden, sein mikroskopischer Anhang sozusagen, seine Gleifußnote, seine intellektueller Literatur-Sammler in der Welt der Wesentlichen, unsere gemeinsame Utopie.
Sklaverei und Freiheit sind als Utopien zunächst fiktionale Erzählungen mit einem negativen oder positiven Ausgang, für den einen oder den anderen jeweils wechselseitig und reichlich unterschiedlich akzentuiert. Dystopie steht für griechisch dys, also für schlecht, und Topos heißt Platz bzw. Stelle. Die Eutopie gilt als das Gegenteil. Das „Utopia“ des Schriftstellers Morus wirkt eher wie eine dystopische Utopie, wie eine ironisierende Kritik am „besten“ aller Staaten. Morus ist ein zweifellos Utopist und ein Antiutopist zugleich gewesen, nämlich weil er ein überragender Schriftsteller war. Genau genommen kann ein widerspruchfreies Staatgebilde auch gar keine Utopie sein, weil es nicht auf natürliche Weise entsteht. Der Staat ist ein Werk, welches zuvor in den Köpfen von Wesentlichen erdacht und ausdifferenziert wurde. Der irdene Staat hat im Regelfall Vor- und Nachteile, die man wie Sommersprossen zählen und auflisten kann: Geographie - Stadt und Land - Hierarchie - Arbeit - Soziales und Infrastruktur - organisierte Lebensform - Wirtschaft - Wissenschaft - Bürokratie - Philosophien - Vergnügungen - Physiognomien - Sklaven und Herrscher - Kranke und Verstorbene - Ehe - Gesetz - Ehrungen – Innen- und Außenpolitik - Krieg - Religion - verstaubtes Ende und moderner Anfang.
Eine Utopie ist in diesem Sinne eigentlich nur ein gewünschtes Gebilde, eine Aufzählung, eine Wunschvorstellung, die aus verschiedenen Gründen niemals vollständig realisierbar erscheint - ein Traum vielleicht, vielleicht auch ein Wunschkonzert der „Beatles“, live und ohne Playback gesungen, unter Beteiligung der verstorbenen und ermordeten Bandmitglieder. Eine Idealvorstellung ist häufig ein erfolgreiches Team, aber gleichzeitig auch eine Kritik an den bestehenden Ordnungsvorstellungen in Anhängigkeit von der persönlichen Musikalität. Politische Utopien sind eine besser gedachte Welt, nicht bessere Verordnungen. Utopien sind immer auch Philosophien: aufgestellt, recherchiert, komponiert und einigermaßen gründlich übergedacht. Sie besitzen nicht nur einen großen Einfluss auf die populäre Literatur, die Musik oder die Medien, sondern auch auf den wesentlichen Alltag schlechthin.
Das „Utopia“ von Thomas Morus ist eine Art kommunistisch-sozialistischer Idealstaat, mit Toleranz- und Gleichheitsgedanken, aber auch mit jeder Menge Unfreiheit und Überwachung. Dieses spezielle Morus-Utopia, in dem auch Unfreiheit und Überwachung idealisiert werden, ist selbstverständlich aus britischer Sicht eine Dystopie. Ob nun ein Staat als eine schlechte oder eine gute Utopie interpretiert wird, ist fast nebensächlich. Man muss sich zunächst auf die Ideen von Utopiern einlassen, ehe man sie kritisieren kann. Einlassung und erst dann Kritik oder Zustimmung! Das ist wie das phänomenale Lebensprinzip in unserer Welt von Kleinstlebewesen. Die Utopie ist klein und winzig, die Realität oft ein Monster.
Der Seefahrer Raphael Hythlodäus, ein echter Possenreißer, berichtet dem Autor Thomas Morus, also er sich selbst, von einer seltsamen Insel, welche jenseits des Ozeans liegt. Hythlodäus ist ein begeisterter Anhänger des utopischen Inselstaats. Zugleich kritisiert er die Verhältnisse in der Alten Welt, während Morus im Buch fortwährend den Skeptiker spielt. Der Autor Morus verzichtet auf eigene Bewertungen des Staats „Utopia“ und überlässt dem Leser seines Werks viele Spielräume zur Interpretation. Die Kritik an Hythlodäus und am Staatswesen in „Utopia“ ist also etwas anderes als die Kritik an Thomas Morus als Autor oder die Kritik an seinem Buch. Morus ist also ein Skeptiker seiner eigenen Gedankenwelt. Kompliziert, nicht wahr?
Beinahe uninteressant erscheint die Erwähnung, dass sich die sozialistischen Klassiker, wie Marx und Engels, stellenweise auf das „Utopia“ des Morus berufen haben. Nun! Einige Eigenschaften utopischer Staatswesen mögen wünschenswert sein, andere kann und muss man umso mehr kritisieren. So sind auch Politik, Staat, Macht und Geschichte immer eine zwiespältige Angelegenheit. Es gibt die Vertreter der Macht als Herrschende und die Ohnmächtigen, also die Vertreter von Opposition und Rebellion. Manchmal verkörpert sich dieses beidseitige Prinzip in ein und derselben Person, zum Beispiel in einem deutschen Sozialdemokraten.
Auf der Insel „Utopia“ herrscht prinzipiell der Mann: patriarchalisch, hierarchisch, gesegnet als Bürgermeister und Familienvorsteher. Entsprechend gestaltet sind das Aussehen und das Denken. Wenn die Männlichkeit für herrscht, so bedeutet das viel mehr als Selbstbestimmung oder Individualität, nämlich entrechtete Frauen, Sklaverei, Überwachung freiheitlicher Bewegungen, Kriege und Gräueltaten. Alles kann in einer Utopie einen starken Zwangscharakter besitzen: tiefste Ablehnung oder frohgesinnte Zustimmung. In einer politischen Utopie findet jedes kriegerische Wesen meist seinen imaginierten Feind, sogar in den friedfertigsten Utopien. Ganze Völker können auf utopische Weise als Kanonenfutter für die Mächtigen dienen. Man vermag auch auf utopische Weise die Fremden ausrotten, um sich später dann mit ihren Nachkommen zu versöhnen. Väter werden an die Front geschickt und Mütter verbrennen sich am Herd die Hände. Männer müssen zuweilen bis zum bitteren Ende kämpfen. Junge Söhne und Töchter sind immer die später Geborenen. Müßiggänger und Erholungssuchende können im Land „Utopia“ staatlich verboten oder gefördert werden. Alles kann man auf autoritäre Weise staatlich verordnen und verbieten, sogar den Zigarettenqualm und die Zeitungsartikel von unliebsamen Journalisten. Das Verbot selbst kann eine Utopie oder das realistische Gegenteil sein. Der demokratische Rechtsstaat mit seinen gewählten Vertretern kann sogar parlamentarisch darüber abstimmen lassen, was Heimat sein soll, was Völkermord ist und in welcher Form man sich daran erinnern darf. Man kann sich als Politiker sinnlos in die Natur einschalten und sogar ganze Wälder versetzen. Alles kann fatales Politikmachen mit Hilfe eines schrecklichen Staatsapparats sein, sogar wenn sich eine grüne Utopie sich dahinter zu verbergen vermag. Toleranz, Offenheit, Gleichheit, Verschiedenheit, Förderung oder Versagung: Alles kann Utopie, Glaube, Moral und Ethik sein oder das teuflisch reale Gegenteil. Kurz nach der Eheschließung sollten sich die Ehepartner allerdings nackt sehen dürfen.
Die von Thomas Morus geschaffene Idee vom Leben auf der Insel „Utopia“ bietet Platz für 54 Städte. Alle Städte sind sich ähnlich, wenn nicht sogar gleich. In der Stadt Amaurotum kommt die Politikerkaste zusammen, weil man gemeinhin einen Regierungssitz benötigt. Um jede Stadt herum gibt es 12 Meilen Ackerland mit hübschen Bauernhöfen. Auf diesen Höfen arbeiten jeweils 20 Leute mitsamt den dazugehörenden Sklaven. Regelmäßig wird die Bewohnerschaft aus den Städten und von den Bauernhöfen ausgetauscht, damit auch dort alle einmal arbeiten und leben dürfen, wo schon die anderen gearbeitet und gelebt haben. Arbeit ist eine komplexe naturgegebene Lebenspflicht. Einige erfahrene Arbeiter unterweisen auf dem Hof die Neulinge. Der gewöhnliche Inselbauer befasst sich mit Ackerbau, Viehzucht, Holzfällen und dem Handel mit seinen Gütern. Hühnerzucht wird in Legebatterien betrieben. Pferde werden für den Reitsport gezüchtet, Ochsen als Arbeitstiere verwendet. Aus Getreide wird Brot gemacht, aber leider kein Bier. Als Getränke kennt man Wein und süßes Wasser. Der Hausrat des Hofes wird stets aus der Stadt importiert. Geben und Nehmen werden in staatlich-gemeinschaftlicher Vollkommenheit gesteuert. Ich meine allerdings, dass Thomas Morus zu erwähnen vergaß, dass ein Utopier am liebsten Schoten anbaut, weil alle das Erbsenzählen so sehr lieben.
Das Stadtleben auf der Insel scheint, jedenfalls wenn man es optisch vermisst, alle gleich zu machen. Befestigungen werden als Mittel zur Verteidigung gegen die bösartigen Angreifer benötigt. Innerhalb der Stadtmauern ist in vier gleichen Stadtvierteln alles sehr freizügig. Häuser mit eigenen Gärten bleiben unverschlossen, da es Diebstahl im Inneren der Stadtmauern nicht gibt. Nur wenige Häuser werden neu gebaut, da die bestehenden alle 10 Jahre per Losverfahren neu verteilt werden. So wirkt die alte Architektur immer wieder neu. Jede Stadt ist ebenso groß wie alle anderen Städte, weil die Bewohner entsprechend proportional umverteilt werden. Einzelne Personen und ganze Familien wechseln stets freiwillig von Ort zu Ort. Erzwungene Mobilität ist ein Fremdwort.
Gleichheit setzt strenge Hierarchie voraus, beginnend mit der kleinsten Einheit, der Familie, sich nach oben hin öffnend und steigernd. Frauen ziehen nach der Heirat zu ihren Männern und dürfen ihnen fortan dienen. Ebenso dienen die jungen Männer ihren Vätern und die Kinder ihren Eltern. Pro Familie darf es prinzipiell nur 10 bis 16 Erwachsene geben. „Überflüssige“ Personen werden auf andere Familien verteilt, damit wieder rechnerischer Gleichstand hergestellt ist. Unentschieden ist also das häufigste Ergebnis im Lebensspiel der Utopier.
6000 Familien gibt es pro Stadt. 30 Familien ernennen in jährlicher Wahl aus ihren eigenen Reihen diejenigen Familienväter, die die Arbeit der anderen Familien überwachen dürfen. 10 solcher Syphogranten wählen jährlich einen Traniboren. Alle 200 Syphogranten einer Stadt ernennen aus ihren Reihen dann die vier Bürgermeister, welche auf Lebenszeit regieren dürfen. Ich frage mich: Was ist mit den alleinerziehenden Frauen und den unehelichen Kindern? Antwort: Es gibt sie nicht. Das System ist patriarchalisch und familienorientiert. Frauen haben wenig zu sagen, nur wenn sie zu ihren Ehemännern sprechen.
Diesem Stadt-Land-Mann-Frau Schema wird jeder utopische Lebensbereich vom Autor Thomas Morus durchleuchtet, berechnet und erzählerisch aufbereitet: Arbeit, Soziales, Krankenversorgung, Infrastruktur, Vergnügen und so weiter.
Entscheiden Sie bitte selbst, liebe Leserinnen und Leser, wie nahe man auf der neuzeitlichen Erde diesem „Utopia“ schon gekommen ist. Zweifellos ist der Lordkanzler Thomas Morus ein großer Schalk gewesen, weil wir in seinem britisch-satirischen Werk wohl nicht die beste aller Staatsformen erkennen, sondern eher sein persönliches Talent als Karikaturist. Der beste Staat ist zu suchen und zu kritisieren, doch nutzt es nichts, dafür zu beten, wie die Utopier es tun. Der Zwangscharakter durch Gleichschaltung, durch das Fehlen von Freiheiten, durch die Sklaverei und die fragwürdigen Kriegstechniken, durch die Behandlung von Frauen und die Strenge der politischen Herrschaft kann keine Errungenschaft auf Grundlage von Toleranz, Eigentum, Gemeineigentum, Gleichheit vor dem Gesetz oder durch die Abschaffung des Geldes sein. So jedenfalls lautet das Fazit der aufgeklärten Briten.
Was hat der Lordkanzler uns also vermitteln wollen? Antwort: Dieses „Utopia“ kann keine echte Utopie sein.
Morus begründete allerdings durch sein Werk das Genre der literarischen Ausarbeitung fiktiver, etatistischer Staatsmodelle. Es ist fortan nicht mehr so einfach möglich, rationale Gesetze, statisch prinzipiengeleitete Organisationsformen und die starrsinnige Zählung vermeintlich intakter Lebenseinheiten zum Garant des Glücks zu erklären. Thomas Morus gilt unser Dank. Das wesentliche Glück ist viel mehr als eine Verteilungsgerechtigkeit zur optimalen Versorgung von Bürgern mit knappen Gütern, Arbeitskräften und Ideen.
Im Zeitalter der Renaissance hat man in Erinnerung an das antike Rom ganz praktisch das Umgekehrte als Utopie erschaffen und vergöttert. Man hat das Individuum in einem ganz anderen Reiche „Utopia“ entdeckt, sozusagen als Antithese zur sozialistisch-kollektivistischen Utopie. Der Egoismus in allen seinen Formen von Sündhaftigkeit, triebhafter Unmoral, aristokratischem Lebensstil mit feinem Essen in großen Palästen ist ein historisches „Vorbild“ geworden. Mangelnder Gemeinschaftssinn und die Suche nach Schönheit in einer verklärten Welt, also die erhabene Kunst und der materielle Reichtum haben in der sogenannten Renaissance das Licht der Öffentlichkeit erblickt. Entscheiden muss man auch diesmal höchst selbst, wie stark auch diese spezielle „Utopie“ in der Neuzeit inzwischen Gestalt angenommen hat.
Erst durch die Innovationsschübe mit Hilfe von Technik und Wissenschaft im 18. Jahrhundert, unter dem Gesichtspunkt der Aufklärung, richtete sich der wesentliche Blick auf die freie Entfaltung aller Persönlichkeiten und auf die Idee von Freiheit und Freizeit für alle. Der Blick beginnt sich nun auf eine dynamische, stets veränderbare, relative und nicht auf eine statische Zukunft zu richten.
Was nun ist eine brauchbare Utopie? Selbstverständlich ist sie zunächst immer nur ein zeitgebundener „Lordkanzler“, der zwischen Eigensinn, Gemeinschaft und Gesellschaft lebt.
Durch die Entwicklung von Wissenschaft und Technik werden die Utopien inzwischen als Science-Fiction verortet. Science-Fiction im engeren Sinn gibt es seit dem 19. Erdjahrhundert, als sich das Interesse an Naturwissenschaft, Technik und Sozialtechnologien stärker herauszubilden begann. Vorläufer von utopisch-philosophischen Konzepten im Zusammenhang mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, Erfindungen und Entdeckungen gab es allerdings bereits schon in der Antike. Dädalus und Icarus träumten schon in der griechischen Mythologie den Traum vom Fliegen und verknüpften ihn mit der Vorstellung maßlosen Strebens nach technisch Machbaren. Jahrhunderte später beschrieb Likian von Samosata in seinem phantastischen Abenteuerroman die „wahren Geschichten“ über die Fahrten zu Mond und Sternen, wie man jedenfalls durch die Sonne in Gefangenschaft genommen wird. Das Motiv des Fliegens in konstruierten phantastischen Flugkörpern und die Realisierung einer Reise zum Mond tauchen seit der europäischen Neuzeit in immer wieder neuen Formen auf.
Leonardo da Vinci (1452-1519) hat sich mit allen Utopie-geschwängerten Wissensgebieten in seiner Zeit beschäftigt. Er hat das Idealbild des „homo universalis“ geschaffen, sagt man. Gebildete Wesentliche, Konstruktionszeichnungen und mechanische Flugkörper gehören ihm.
Über den Autor
Der Berliner Autor, Dr. Reinhard Ost, Jahrgang 1952, stellt mit seinem Satyrspiel „Wenn Mikroben über Utopien reden“ die moderne Version einer verdrehten Welt vor. Kleines wirkt groß und Großes etwas kleiner. Geschichte, Entwicklung, Schöpfung, Macht und Herrschaft erscheinen uns ganz andersartig aus einem neuen Blickwinkel. In allen seinen Werken zieht Reinhard Ost die jeweils neuen Blickwinkel als Erzähl- und Handlungsperspektive in Betracht - zweifellos zum Schutz vor übereilter Seelenverwandtschaft und falschen Identifikationsmustern.
Berlin, 2016
Reinhard Ost
Coverbild: Reinhard Ost, Peniswürmer, 2007
Reinhard Ost
Wenn
Mikroben
über
Utopien
reden
Ein Satyrspiel
Wenn Mikroben über Utopien reden - Ein Satyrspiel
Copyright: @ 2016 Reinhard Ost
Published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.com
Inhalt
Mitwirkende
Unsere gemeinsame Welt
Der Schrecken
Der Tod der kleinen Krabbe
und die staubige Wiedergeburt
im Wendekreis des Krebses
Die steigende Zahl freiheitlicher
Utopier
Die Auferstehung des Einfachen
Biomechanischer Kriegszustand
Über den Autor
Mitwirkende
Hauptdarsteller
GLEIFUSS: Eine universelle Mikrobe, Erzähler,
Berichterstatter, mit irdischem Namen MoGoe
WORAX: Sprecher der Mikroben, multiresistenter
Keimling aus der Hühnerzucht, großartiger Kerl
CORI: Partner(in) von Gleifuß, Teil des friedlichen
Volks der Guma-Mikroben
WEITERE: Einzeller, Bakterien, Keime, Viren,
Amöben,Würmer, Symbionten, Pilze u.v.a.m.
Nebendarsteller
Der Präsident der USA
Der NATO-Generalsekretär
Der Deutsche Aussenminister
Frau Prof. Dr. Wiebke Lotharius: Präsidentin des
Robert-Koch Instituts in Berlin (RKI)
Professor Weihenstein: Chefarzt in einem
Konstanzer Krankenhaus
Johann Wolfgang von Goethe: (Deutscher Dichter)
Thomas Morus (Englischer Lordkanzler)
Bill Gates, Mark Zuckerberg und viele Experten
aus der Biologie, Physik, Pharmazie und Medizin
Unsere gemeinsame Welt
Es herrscht einiges Gewimmel auf der großen Bühne.
Die Mikroben sind ein kleinwüchsiges Völkchen auf dem fernen Planeten Guma. Eigentlich kann sie nichts aus der Ruhe bringen, denn sie leben statt zu arbeiten oder Freizeit zu machen. Wer sie besucht, erlebt sein blaues Wunder. Sie können blau, hell- bis mittelblau sein, ähnlich wie die Schlümpfe auf der Erde, die allerdings wie ihre großen Erfinder, die wir die Wesentlichen nennen, nicht auf Guma leben. Der Planet Guma ist viel zu klein, um große Wesentliche oder sogar eine ihrer gewaltigen Götterstatuen auf ihm unterbringen zu können.
Für irdene Wesentliche sind Mikroben gewissermaßen anonym, nur ganz winzige Lebewesen, wie umherirrende Partikelchen, viel zu klein, um sie mit bloßem Auge erkennen zu können. Das Volk der Mikroben lebt auf Guma in jedem der Elemente, also praktisch wie im Überall. Guma ist ein idealer Heimatplanet, sozusagen der ursprüngliche Gedanke allen organischen Lebens und aller nichtorganischen Materie. Viele Wesentliche haben schon etwas Ähnliches auf ihrem eigenen Planeten entdeckt. Sie nennen es Schöpfung, Heimat, Urknall oder manchmal auch Gottesteilchen.
Hier auf Guma tummelt man sich im Feuchten, Festeren oder Luftigen - ganz einfach überall. Wenn Wesentliche auf Guma leben, das heißt atmen könnten, wäre es höchst wahrscheinlich, dass wir als Mikroben auch in ihnen, hier vor Ort, existieren würden. Sie sind großartige Siedler. Wir sind kleinartige Siedler. Der kleine Planet Guma und die großen Wesentlichen: Die Größenverhältnisse machen wirklich den Unterschied aus und manchmal sogar einen gewissen Sinn.
Jede einzelne Guma-Mikrobe fühlt sich im Prinzip für alles zuständig, also auch zuständig für Krankheit und Gesundheit, wenn wir denn zwischen diesen beiden wichtigen Aggregatszuständen des organischen und anorganischen Lebens unterscheiden würden. Wir tun das aber nicht. Wir sind sozusagen ganz neutrale Kleinstwesen.
Der Planet Guma ist größenmäßig betrachtet, also aus irdener Sicht, so winzig klein, dass Wesentliche ihn über Jahrmillionen hinweg übersahen. Weil sie Guma nicht betreten konnten, waren sie auch nicht imstande, ihn zu verschmutzen oder gar zu zerstören, nicht einmal als Urlaubsreisende. Aber sichtbar ist unser Planet schon immer gewesen, wenn man nur genauer hinschauen und etwas besser kombinieren würde.
Manch ein Erdwesentlicher sagt, dass bestimmte Mikroben in seiner Lebenswelt für Toxoplasmose und Malaria verantwortlich seien. So formuliert stimmt das aber nicht, weil wir Guma-Mikroben, wenn wir auf der Erde verweilen, niemals aus kuriosen Eigeninteressen handeln. Häufig genug ist es ungemütlich und hektisch in der Erdatmosphäre und in den Körperschaften, weil man sich an so entsetzlich viele Dinge unentwegt anpassen muss. Ständig muss sich eine Mikrobe mit der Entwicklung der Verhältnisse auf der Erde beschäftigen und sich auf symbiontische Weise zurechtfinden, sonst würde vieles aus dem Ruder laufen. Jedoch nicht selten werden wir in unserem Tun missverstanden, manchmal sogar regenrecht missbraucht. Wie eine besondere Form des Rassismus empfinden wir die wesentlichen Vorurteile.
Wenn Wesentliche sagen, Mikroben bestünden, wie Bakterien und andere Mikroorganismen, nur aus einer einzigen Zelle bzw. aus sehr wenigen Zellen, so ist das Ziel der Erkenntnis gewissermaßen schon verfehlt. Das ist die oberflächliche Betrachtung - mehr Schein als Sein. Unsere Merkmale sind anders als die der Wesentlichen. Wir bestehen zwar in erster Linie aus uns selbst. In zweiter Linie treten wir aber in unseren Wirtsleuten in Erscheinung. Wir können sehr viele Dinge bewirken. Die Wesentlichen auf der Erde sind nur eine unserer Wirtsformen unter vielen anderen, zugegeben oft eine liebenswerte Art, vor allem, weil sie so relativ groß, komplex und ausgesprochen experimentierfreudig sind.
Wir Mikroben brauchen Nährstoffe, Eiweiße und Fette zur Entwicklung. Mikroorganismen bestehen nämlich zu etwa dreiviertel Teilen aus Wasser und brauchen besondere Flüssigkeiten als Lösungs- und Transportmittel. Viele von uns vermehren sich prächtig, wenn ausreichend Sauerstoff zur Verfügung steht. Einige Spezialisten können aber auch unter Sauerstoffausschluss, also ohne Sauerstoff, Helium und andere Gase, wachsen. Prinzipiell benötigen aber die meisten Erdmikroben den Sauerstoff zum Leben und gewissermaßen auch alle anderen Elemente des Periodensystems, welches die Wesentlichen eines Tages sauber zu Ende konstruiert haben. Letztendlich könnten wir aber ohne solche wesentliche Erkenntnisse über die Stoffelemente gut existieren. Die meisten Mikroben, das ist überhaupt kein Wunder, lieben das schöne Wetter, die Wärme, die Feuchtigkeit, viele sogar die Hitze. Andere bevorzugen eine kältere Umgebung. Solche unterschiedlichen Umgebungen gehören zu unseren entscheidenden lebensweltlichen Merkmalen. Ob ein Wesentlicher in der Kälte des Nordens oder eine Wesentliche in der Hitze des Südens lebt, macht auch bei ihnen einen großen kulturellen Unterschied aus.
Das Volk der Guma-Mikroben besteht aus vielen wundervollen Ethnien. Alle sind verschieden, aber durch unsere Einfachheit wirken wir oft sehr ähnlich. Eine Salmonelle oder eine Staphylokokke kann man sein, muss man aber nicht unbedingt. In der Gesamtheit sind wir eine vielgestaltige weitgehend hierarchielose Gemeinschaft. Verschiedene Gleichheit und gleichartige Verschiedenheit sind unser Lebens- und Verhaltensprinzip. Politische Herrschaftsverhältnisse kennen und mögen wir auf Guma nicht. Niemand würde unterschiedliche Verhältnisse als störend empfinden. Niemand hat ein Interesse daran, einen Mitbewohner als gefährlich zu beschimpfen. Deshalb besitzen wir Mikroben keine Kriegswaffen. Wir haben uns selbst, unseren guten Willen, unsere Funktionsweise und unseren paradiesischen Heimatplaneten. Wir sind glücklich, wenn wir uns frei und unbeschwert bewegen können. Tanzend und singend genießen wir das Leben. Eine Gewinner- und Verlierermentalität, wie sie in der Welt der Wesentlichen so überaus entscheidend ist, gibt es bei uns nicht. So sind wir verschieden gleich und sehr unterschiedlich glücklich. Einer einzelnen Mikrobe würde kaum ein Vorteil einfallen, den sie gegen eine andere verteidigen oder sich widerrechtlich aneignen wollte.
Mikroben sind grundsätzlich liebenswert und ungefährlich. Immer leben wir mit unglaublich vielen anderen unserer Arten zusammen, helfen uns gegenseitig aus der Patsche, wenn es nötig und sinnvoll ist. Wir mögen uns wechselseitig. Gesund und fit möchte man aus prinzipiellen Gründen sein und bleiben. Unser Wille zum Überleben ist grenzenlos. Wir benötigen beileibe keine Milchsäurebakterien, wie jene von uns, die zum Beispiel zur Verdauung im Darm eines Wesentlichen herumirren, auch weil wir als überaus funktionstüchtiges Volk ein ganz anderes Verdauungsprinzip wertschätzen. Wir nehmen nur das zu uns, was wir benötigen bzw. verarbeiten können. Manchmal müssen wir uns untereinander behilflich sein, das bedeutet zuweilen sogar zwingend und schematisch miteinander zu kooperieren, wenn man beispielsweise einigen frechen Mehrzellern begegnet. Solche Mehrzeller probieren es häufiger, auch auf Guma Fuß zu fassen, um sich Nahrung zu besorgen oder Krieg zu führen. Eine falsche Nahrungssuche als Kriegsphänomen sozusagen mögen wir aber auf Guma nicht. Falls jedoch einige kriegerische Mehrzeller wirklich zu aggressiv auftreten, bilden wir als Einheimische, alle gemeinsam Verantwortung tragend, unsere sogenannten Mehrzellermikroben-Abwehrsysteme. Schnell können die feindlich gesinnten Erreger nur durch Solidarität verjagt werden. Unsere eigenen Nähr- bzw. Arbeitsstoffe besorgen wir uns stets selbst. Wir übernehmen das, was die Natur für uns bereitstellt, was man uns anbietet. Das kann mal weniger oder mal mehr sein. Unterschiedlichkeit macht uns, wie schon gesagt, nichts aus. Bulimie uns Unterernährung kennen wir nicht. Weniger zu haben, heißt sehr oft, mehr zu besitzen. Unterschiedliche Standards zu gewährleisten, ist ein bedeutender Teil unserer eigenen Lebensweise und auch unserer Philosophie. Im übertragenen Sinne braucht man auf Guma weder Joghurt, Sauerkraut noch Käse, weil unser Selbst ständig vorhanden ist und vollkommen ausreicht. Man benötigt keine verschimmelte Käsetorte zum Überleben, im Überfluss schon gar nicht.
Experten unter den Wesentlichen sagen inzwischen, dass ein Prozent aller Mikroben sie krank machen würde, oder besser noch, dass wir teilweise für ihre Krankheiten verantwortlich seien. Die Prozentzahl ist nur eine grobe Schätzung, denn genaue Zahlen über die Größe unserer Population gibt es gar nicht. Schon die Zahl der Guma-Mikroben tendiert gegen unendlich. Kaum jemand ist im Grunde imstande, eine Gruppe widerstandsfähiger Mikroben mutwillig abzutöten oder kann sie daran hindern, sich weiter zu teilen bzw. zu vermehren. Die Ursache dafür ist weithin bekannt: Wir sind ein einfaches, friedliches und bescheidenes Volk mit überaus vielen überlebenstüchtigen Teilhabern.
Mikroben haben keineswegs, wie einige Wesentliche vermuten, die irdenen Infektionen, wie den Durchfall, Erkältungen oder gar eine Mandelentzündung, hervorgebracht. Von uns aus tun wir so etwas nicht. Für solche unappetitlichen Sachen sind speziell gezüchtete Viren oder Bakterien für die zuständig.
Die kritische Mikrobe an sich kennt das Leben auf der Erde inzwischen sehr gut. Gemeinsam studieren wir täglich und zielgerichtet, konzentriert und praxisorientiert die Verhältnisse vor Ort. So wissen wir natürlich auch, dass künstliche Antibiotika gegen Viren und andere Schädlinge nicht wirklich langfristig wirksam sind. Eher noch werden durch eine falsche Bekämpfung von sogenannten Feinden die neuen Feinde erst geschaffen. Feindschaften können schließlich immer noch feindseliger werden, als man vorher im ersten Überschwange der Erkenntnis vermutete. So sind viele Viren gewissermaßen die Geschöpfe eines falschen Kampfeswillens der Wesentlichen. In den meisten Fällen ist es bei vielen möglichen Erkrankungen überhaupt nicht sinnvoll, auf Verdacht große Mengen industriell gefertigter Antibiotika einzusetzen. Spezielle Agenten von Wesentlichen scheinen diesbezüglich schon jedes Augenmaß verloren zu haben. Ich meine, dass viele von denen falschherum praxisfähig sind. Sie scheinen selbst zur Seuche mutiert zu sein.
In der Verniedlichungsform nennen wir uns selbst „die Kurzen“, „die Langen“ oder „die Runden“, Mikros eben, im Gegensatz zu anderen, welche größer und komplexer als wir gebaut sind. Diese nennen wir Makros. Verwegene Makroviren können tatsächlich in Zellen von Wesentlichen eindringen und den Wirt dann krank erscheinen lassen. Mediziner meinen bisweilen sogar, Viren und Bakterien seien die Krankheit selbst. Aber wir wissen genau, dass Viren viel zu arm an Gestalt sind und gar keine eigene Zelle besitzen. Fast nichts verkörpern sie. Sie sind auch keine Lebewesen im ursprünglichen Wortsinn. Eigentlich bestehen sie nur aus Molekülpartikeln, mit denen irgendwann einmal jemand herumexperimentiert hat. Ein schleimiges kleines Programm ist ein Virus, weiter nichts, wie ein Ping-und-Pong Spiel auf einem der ersten Applecomputer.
Makros auf der Erde sind von einer phantastischen Eiweißhülle umgeben, in der sie ihre genetischen Informationen aufbewahren, welche dann aber auch die schleimigen Viren unbedingt benötigen, um sich vermehren zu können. Jeder komplexere Typ möchte sich eben verewigen oder vererbt werden und auf Dauer existieren. Nur so können dann auch die Viren ihr gelegentlich unappetitliches Werk verrichten. Als Mikros von Guma kennen wir solche genetischen Informationsmarkierungen nicht. Deshalb nennt wir uns selbst die Glükros, nämlich dann, wenn wir unser prinzipielles, momentanes und einfaches Glück beschreiben, welches die meisten Makros leider nicht mit uns teilen können.
Den allermeisten Mikroben ist das Gehabe von Viren oder von bestimmten Bakterien, die für wesentliche Krankheiten verantwortlich gemacht werden, lästig und eigentlich auch völlig egal. Was ist schon eine Erkältung in der Nase? Es ist das Wetterproblem einzelner Wesentlicher - nicht unser Problem. Was ist AIDS? Antwort: Ein etwas größer geratenes und ausuferungsfähiges Problem, welches sie aber selbst hervorgebracht und damit auch zu verantworten haben. Was sind Grippe, Masern oder eine Leberentzündung? Krankheit ist im Normalfall nur die Folge unangepasster und ungesunder wesentlicher Lebensweise.