Zur Autorin
Gabriele Weingartner, Kulturjournalistin und Literaturkritikerin, wurde 1948 in Edenkoben/Pfalz geboren, studierte Germanistik und Geschichte in Berlin und Cambridge (Massachusetts). Nach zwei Jahrzehnten im pfälzischen St. Martin lebt sie seit 2008 wieder in Berlin. Zahlreiche Literaturpreise und Stipendien, war u. a. unter den Finalisten für den Alfred-Döblin-Preis 2013, Mitglied des P.E.N.-Zentrums Deutschland. Veröffentlichungen (Auswahl): Bleiweiß (2000), Die Leute aus Brody (2005). Bei Limbus: Tanzstraße (2010), Villa Klestiel (2011), Die Hunde im Souterrain (2014), Geisterroman (2016) und Leon Saint Clairs zeitlose Unruhe (2019).
Unter anderem waren folgende Bücher und Bilder für die Autorin Inspiration
Reiner Stachs große Kafka-Biografie (Kafka: Die frühen Jahre, 2014; Kafka: Die Jahre der Erkenntnis, 2008; Kafka: Die Jahre der Entscheidungen, 2002). S. Fischer, Frankfurt am Main
Gerhard Dienes, Ralf Rother (Hrsg.): Die Gesetze des Vaters – Problematische Identitätsansprüche: Hans und Otto Gross, Sigmund Freud, Franz Kafka. Katalog zur Ausstellung im Stadtmuseum Graz. Böhlau, Wien 2003
Thomas Anz, Christina Jung: Der Fall Otto Gross: Eine Pressekampagne deutscher Intellektueller im Winter 1913/14. TransMit 2002
Thomas Anz: Die Leiden einer Generation. Kafka und die
Psychoanalyse. literaturkritik.de, 7. Juli 2008
Hartmut Binder: Kafkas Welt. Eine Lebenschronik in Bildern. Rowohlt, Reinbek 2008
Klaus Wagenbach: Franz Kafka. Bilder aus seinem Leben.
Veränderte und erweiterte Ausgabe mit vielen Photographien und Dokumenten. Wagenbach, Berlin 2008
Epilog
Die Unterredung mit Doktor Gasparyan am nächsten Morgen dauerte keine zehn Minuten. Er empfing Klara in seinem mit Stahlrohrmöbeln eingerichteten Sprechzimmer im vierten Stock eines prächtig restaurierten Stadtpalastes in der Nähe des Malé náměstí. Klein gewachsen, großäugig und tatsächlich dem armenischen Sänger gleichend, drückte er Klara die Hand und bedachte sie mit einem eindringlichen Blick, der gar nicht erst vorgab, diskret sein zu wollen. Solveig sei an einer Lungenembolie gestorben, die sich am Ende eines Routineeingriffs ereignet habe, teilte er ihr mit. Er habe selbst operiert, ihr Allgemeinzustand sei gut gewesen. Ob jemand sich imperfekt fühle und ohne Behebung seines vermeintlichen Mangels nicht weiterleben könne oder wolle, gehöre nicht zu den Fragen, die sich die Klink stelle. Schönheit liege im Auge des Betrachters, im Auge jener Patienten vielmehr, die ihr Spiegelbild nicht lieben könnten. Ihre Nasen, ihre Ohren, ihre Falten. Solveigs Problem seien ihre hängenden Lider gewesen. Klara waren sie nie aufgefallen.
„Alle Formalitäten sind erledigt“, sagte er in perfektem Deutsch und deutete auf einen großen Umschlag, der auf seinem gläsernen Schreibtisch lag. „Sämtliche möglichen Unannehmlichkeiten haben wir Ihnen aus dem Weg geräumt. Ihre Schwester reist in derselben Maschine nach Berlin zurück wie Sie. Sie musste auch nicht lange leiden – falls Sie das gerade fragen wollten. Dass sie nach Beginn der Narkose in so vielen Zungen redete, hat uns jedoch alle in Erstaunen gesetzt. Englisch, Französisch, Deutsch, Spanisch, ohne Unterlass von einer in die andere Sprache wechselnd, machte es den Eindruck, als würde sie sich von vielen Leuten gleichzeitig verabschieden. Es war ein Wunder. Als sei der Heilige Geist über sie gekommen. Das Pflegepersonal hat sehr emotional reagiert. Eine besonders sensible Krankenschwester konnte gar nicht aufhören zu schluchzen.“
Ob sie Solveig noch einmal sehen wolle, fragte er Klara nicht, wofür sie ihm dankbar war. Sie hätte es kaum fertiggebracht, ihm lieber nicht zu antworten.
Dass ihr Veit die Zeichnung in die Handtasche geschmuggelt hatte, während sie sich im Slavia über Gott und die Welt unterhielten, bemerkte sie erst in Berlin, als sie deren Inhalt auf ihrem Bett ausleerte, wie immer nach Reisen. Allerdings wollte sie weder das Päckchen öffnen noch Solveigs Brief, den ihr Konrad wenige Tage nach seiner Rückkehr aus New York vorbeibrachte. Ob es nun ein Werk von Klimt oder Schiele gewesen war, das Veit über die Grenze hätte bringen sollen, erfuhr sie also genauso wenig wie das, was ihr Solveig noch hatte sagen wollen, bevor sie nach Prag fuhr. Ihr Schreiben wanderte in eine weit hinten in ihrem Kleiderschrank abgelegte Briefmappe, die Klara in ihrer Kindheit, vielleicht zu ihrer ersten Heiligen Kommunion geschenkt bekommen hatte. Die Schriftstücke darin pflegte sie keines Blickes mehr zu würdigen. Es war nur gut zu wissen, wo sie sich befanden, eine Zeit lang wenigstens, bevor sie sie vergaß.
Dass eines Tages die Dame mit der hellblauen Pelerine vor ihrer Tür stand, erstaunte sie nicht. Sie zögerte auch keine Sekunde, ihr die in einer leeren Lebkuchendose aufbewahrte Schmuggelware auszuhändigen. Kaum vier Wochen waren vergangen seit Veits Flucht über die Brücke in Richtung Kleinseite. Wie merkwürdig, dachte Klara, während sie wartete, bis die Schritte der Fremden im Treppenhaus verklangen, fast hätte ich sie zum Kaffee eingeladen.
Nach Slavomir begann sie erst ein dreiviertel Jahr später zu suchen, da ging es schon auf Weihnachten zu. Ihn im Netz zu finden, war leichter als gedacht. Erstaunlicherweise ging er auch sofort ans Telefon. Meldete sich mit frischer Stimme, wusste gleich, worum es ging, und stimmte einem Treffen zu. So fuhr sie eines Nachmittags mit einem klapprigen kleinen Fahrstuhl, in dem sie sich den riesigen Slavo kaum vorstellen konnte, zu seiner Wohnung hoch. Dort lebte er unter Umständen, die Klara in ihrem Kopf längst arrangiert hatte, inmitten sich türmender Papier- und Bücherstapel auf einem mottenzerfressenen Orientteppich in jener Geruchsmischung aus altem Staub und scharfem Rasierwasser, die sie aus dem Zugabteil kannte. Zu Füßen eines Ohrensessels lag der Pelzmantel und sah aus wie ein großer Hund oder ein kleiner Bär. Die Slibowitzflasche und ein Stamperl aus hellgrünem Glas warteten auf einem Beistelltischchen nahebei auf den simulativen Trinkgenuss. Mit der bis zum Boden reichenden verblichenen Brokatdecke wirkte es allerdings wie ein Altar. Um den Abwehrzauber komplett zu machen, fehlte nur noch eine Kerze, dachte Klara und hätte gerne gelacht. Wogegen aber? Gegen die Alkoholsucht, gegen die Blizzards dieser Erde, gegen die Dämonen, die Wetterereignisse schickten, um einen aufrechten Kafkaforscher an seinem überfälligen Vortrag zu hindern?
Während Klaras immer nur kurzen Besuchen, bei denen sie manchmal Kuchentabletts mitbrachte, über die sich Slavo hermachte, ohne ihr davon ein Stück anzubieten, fiel nie wieder ein Wort über Otto Gross, über Mizzi und ihr Baby oder ihren Bruder Anton Kuh, den ewigen Hermes, was kein Wunder war, denn nur Klara hatte mit ihnen gesprochen und Einblick gehabt in jenes Therapie-Abteil, in welchem der Psychoanalytiker – außer dass er seiner Sucht frönte – ein paar zufällig anwesenden Leuten seine revolutionären Dogmen verkündet hatte.
Dass ihr sein Gesicht jetzt in Slavos Apartment, manchmal aber auch in der U-Bahn beim Anblick eines musizierenden Osteuropäers, so leuchtend grün entgegenkam, schrieb sie dem Absinthtrinker und seiner nackten Fee im Slavia zu, während Pepi, der Wächter der künstlichen Schützengräben und militärische Klarinettist, irgendwann aus ihrem Gedächtnis verschwand, ohne dass sie es merkte.
Slavo dagegen würzte seine Reden über Kafka immer noch mit jener fein dosierten Herablassung, die Klara schon im Zug empört hatte. Es vergingen Nachmittage, in deren Verlauf er ihn als Frauenmann oder als verwöhnten Schnösel charakterisierte, der es nie geschafft habe, sich aus dem Dunstkreis seiner Mutter und Schwestern herauszubewegen. Die junge Frau, die dem Dichter das Hemd zugeknöpft hatte, schien den Privatgelehrten dabei besonders zu irritieren. Dass sie historisch nicht nachweisbar war, er sie nicht identifizieren konnte, versetzte ihn in Rage. Wer war sie? Wer konnte es sein? Ein Kurschatten aus einem der Sanatorien? Eine Studentin aus den Hebräischkursen? Die aufdringliche junge Schweizerin, die ihn – wo genau war das bloß gewesen? – des Nachts heimlich besuchen wollte und zu ihrer Ankündigung an seine Zimmerdecke klopfte? Oder vielleicht die junge Frau, die er sogar heiraten wollte? Die, derentwegen sein Vater sich so aufregte? Die, die indirekt für den Brief an den Vater verantwortlich war? „Ach Gott, was für ein Gewese um Kafkas Frauen! Dabei gibt es sogar Forscher, die aufgrund gewisser Ereignisse behaupten, dass er sich für Frauen überhaupt nicht interessierte.“ Slavo seufzte tief, ließ sich in seinem Sessel zurücksinken, schien schweigen zu wollen für eine Weile und konnte doch nicht mit dem Räsonieren aufhören. „Mein Gott, und wenn es nun Milena Jesenská gewesen wäre – verkleidet und unkenntlich gemacht –, weil ja auch sie unter einem despotischen Vater litt, der sie am liebsten für geisteskrank erklärt hätte und sie irgendwann tatsächlich in die Psychiatrie einweisen ließ? Dann“, raunzte er und bekam ein Glitzern in die Augen, „dann hätten sie sich viel früher gekannt, als man es offiziell annimmt. Im Grunde sah sie aus wie eine Erscheinung, mit dem Haargespinst ums Gesicht und ihren langen Armen und Beinen. Wie die schlanke Silhouette auf einem Email-Reklamebild von Farina gegenüber … oder Persil? Aber sie war keine Erscheinung, mein Fernglas lügt doch nicht … Sie hat Kafka angefasst, ihn angezogen, auf eine sehr intime Weise. Es gibt nichts Erotischeres, als ein Hemd, eine Bluse, überhaupt ein Kleidungsstück wieder zu verschließen, nachdem man es geöffnet hat“, sagte er, angelegentlich seine Fingernägel und nicht etwa Klara betrachtend. „Das ist wie der in die Länge gezogene Schlussakkord einer kurz zuvor stattgehabten sinnlichen Handlung. Damast knistert, gestärktes Leinen knarzt, Perlmuttknöpfe quietschen und sind ausgesprochen schwierig zu handhaben …“
… während Kafkas Haut wie Elfenbein schimmerte und sein Blut leuchtete, vollendete Klara Slavos Litanei in Gedanken. Ganz ohne Geräusch. Und die Frau offenbar nicht vorhatte, sein Herz zu verspeisen oder es in konservatorischer Absicht zu behalten. Womöglich wären sie ja auf seine Spuren gestoßen im Schnee, an jener Stelle, wo er sich den Misshandlungen der Unbekannten hingegeben hatte. Wenn sie es am Schluss nicht gar so eilig gehabt hätten, Veit und sie, aus Angst, dass die Zwillinge oder andere Bahnbedienstete die Türen vorzeitig schlössen.
„Ach ja“, pflegte Slavo zu jammern, wenn er sie dann zur Tür begleitete, „Kafka ist ein solches Rattennest an Komplexität. Der Satz stammt nicht von mir, ich könnte es aber nicht besser ausdrücken.“ (Dass Klara zusammenzuckte, entging ihm.) „Eigentlich hätte der Černý ihn an die Stange hängen sollen und nicht Freud … sagen Sie bloß, Sie kennen die Skulptur nicht, die da über einer der engen Gassen in der Nähe des Altstädter Rings schwebt. Freud mit seinem Eierkopf, in Anzug und Weste, vermutlich auch mit seiner runden Brille, daran kann ich mich im Moment nicht erinnern. Höchst realistisch. Und surreal zugleich. Sich nur mit einer Hand festhaltend. Ein im wirklichen Leben wohl nicht zu bewältigender Kraftakt. Wobei ich mich wirklich frage, warum der Künstler nicht Kafka gewählt hat. Meint er, dass ganz Prag auf die Couch gelegt werden sollte? Kafka ist es doch, der uns allen droht, und kein anderer … immer noch, immer noch.“
Den Ausgang versperrend, weil er Klara nicht gehen lassen wollte, bevor er sein ceterum censeo geäußert hatte, fragte er sie, wann endlich sie sich Reiner Stachs dreibändige Kafka-Biografie zulege, die es jetzt auch im Taschenbuchformat gebe. Um sogleich ins Schwärmen zu geraten: „Sie liest sich wie ein Roman. Grandios, einfach grandios. Selbst wenn die Autonomie des Kunstwerks darin völlig unter den Tisch fällt. Wer aber will heutzutage über so etwas reden! Sie doch bestimmt nicht, oder?“
Bis die Blätter zur Bekämpfung des Machtwillens auftauchten, dauerte es noch einmal anderthalb Jahre. In Bars und Cafés, in den Mensen der Universitäten, in Buchläden, Galerien, Antiquariaten, in Diskotheken und Hotellobbys und manchmal sogar bei Demonstrationen. Ob auch in Wien, Prag oder anderen europäischen Großstädten, erfuhr Klara nie, unmöglich erschien es ihr nicht. Slavo lag da schon in einem Hospiz im Brandenburgischen, direkt an der polnischen Grenze. Die schon lange bei ihm diagnostizierte Parkinson-Krankheit war ausgebrochen und nahm einen galoppierenden Verlauf. Wieder hatte Klara nur ein paar Tage gebraucht, bis sie zu ihm fand; eine Nachbarin, die sie zufällig im Treppenhaus traf, weil der Fahrstuhl streikte, gab ihr die Adresse. Ganz altmodisch in Bleibuchstaben gesetzt, die Initialen in einer schönen Mischung aus Jugendstil und Art déco, nicht etwa kaltschnäuzig am Computer entworfen, fanden die ohne Impressum erscheinenden Blätter reißenden Absatz. Kein Mensch wusste, wer sie verteilte oder einfach irgendwo liegen ließ.
Fest stand nur, dass die darin abgedruckten und mit vielen Hurenkindern, Schusterjungen und Zwiebelfischen versehenen Erzählungen und Parabeln von Franz Kafka stammten. Seine Romane gab es in Fortsetzungen, in so unregelmäßigen Abständen freilich, dass bald ein reges Tauschgeschäft mit den einzelnen, immer wieder anders arrangierten Folgen entstand. Das, was sie lasen, war Kennern zunächst nicht fremd. Irgendwann aber erschienen unbekannte Texte, die nicht nur Slavo nervös machten, sondern auch andere Experten und Exegeten: eigentlich als Fragmente angesehene, nunmehr vollendete Werke wie Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande oder Der Gruftwächter, Kafkas einziges Drama. Ein Pamphlet namens Wider den Process, eine Erzählung, die sich Der Angepasste nannte. Aufgrund der unübersichtlichen Quellenlage von Kafkas Werk setzten die immer wie aus dem Nichts auftauchenden, leider ziemlich schlampig montierten Albträume sogar staatsanwaltliche Ermittlungen in Gang und bescherten dem Todkranken eines Tages den Besuch einiger Polizeibeamter in Zivil. Warum sie ausgerechnet zu ihm gekommen seien, fragte Klara, worüber Slavo ihr jedoch keine Auskunft geben wollte. Vom Tremor geschüttelt, lag er auf seinem Bett und lächelte sie mühsam an mit seinen erstarrten Wangen. Es war heiß und schwül, man hatte die Balkontür seines Zimmers geöffnet, damit ihn wenigstens gelegentlich ein kleiner Luftzug erreichte. Die Gardine blähte sich, nicht weit entfernt, am Rande des Krankenhausgartens, floss die Oder vorbei. Klara musste sich zu ihm hinunterbeugen, dicht vor seinen Mund, damit sie hörte, was er – sich auf die Brust zeigend – murmelte. Aber sie verstand ihn nicht. Erst spät in der Nacht, vor dem glimmenden Bildschirm ihres Laptops, beim Verfassen einer Mail an Piet, der seit ein paar Monaten in Chicago lebte, fiel es ihr ein. „Kriegszitterer“ hatte er versucht zu sagen; zumindest bis zum Zett war er gekommen.
Kurz darauf verstarb er. Bei ihrem letzten Besuch wollte er Klara – da er keine Verwandten besaß – noch überreden, ihm seinen Brillantring vom linken kleinen Finger zu ziehen, damit – wie er sagte – die Putzkräfte, das medizinische Personal oder irgendein dahergelaufener Leichenwäscher ihn nicht an sich bringen könnten. Tatsächlich aber nahm er ihn mit ins Grab. Klara verweigerte sich seiner Bitte. Und auch niemand anderem gelang es, sich das Schmuckstück zu verschaffen.
Als Penny anrief und sie fragte, ob sie Lust habe, mit ihr und Konrad auf die Äußeren Hebriden zu fliegen, um dort Solveigs Asche zu verstreuen, war Klara schon mit Slavos Nachlass beschäftigt. Er hatte ihr nicht nur seinen Pelzmantel vererbt, sondern auch seine – nicht ausschließlich Kafka betreffenden – literarischen Schätze: Handschriften, Erstausgaben, Briefwechsel und Autografen von Schriftstellern, deren Namen und Beziehungen untereinander Klara, die sich irgendwann und in ihren Augen aus gutem Grund von der Literatur abgewandt hatte, völlig unbekannt waren.
„Hast du Mamas Brief denn nicht geöffnet?“, fragte Penny ihre Tante, als sie sich in einem gegenüber vom S-Bahnhof Friedrichstraße gelegenen Café namens Zimt und Zucker trafen. „Eigentlich stand gar nichts Besonderes drin, nur dass wir das, was von ihr übrig geblieben ist, vom Eilean Glas Lighthouse auf der Insel Scalpay herabrieseln lassen sollten. Keine Bekenntnisse, keine Geheimnisse, keine verspäteten Liebeserklärungen. Ein Glück, dass sie uns nicht den Chimborazo zugemutet hat.“
Klara ließ ihre Blicke über Pennys Gesicht gleiten und stellte keinerlei Ähnlichkeit mit Veit fest, eher mit sich selbst. Sie waren ja auch miteinander verwandt.
„Hab ich dir schon erzählt, dass Veit sich einen Hund angeschafft hat“, fragte sie ihre Nichte, „einen ganz winzigen, einen, der in seine Jackentasche passt?“
„Das muss ein Chihuahua sein“, antwortete Penny und lächelte das für sie typische zurückhaltende Lächeln, „das sind die kleinsten Hunde der Welt. Aztekische Prinzessinnen haben gerne mit ihnen gespielt, während Priester sie als Seelenführer ins Jenseits betrachteten und bei Beerdigungen gerne schlachteten. Ich weiß das nicht zufällig. Ich wollte auch immer einen haben.“