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James Hillman

 

Die Suche nach innen

 

Psychologie und Religion

 

 

DAIMON

VERLAG

 

Aus dem Englischen übersetzt von Marianne von Eckardt-Jaffé

 

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

Insearch, Psychology and Religion

bei Hodder and Stoughton, London

Neuausgabe bei Spring Publications, Dallas

 

 

Copyright © 2020, 1981 Daimon Verlag

CH-8840 Einsiedeln/Schweiz

5. Auflage der Originalausgabe

von Ernst Klett Verlag, Stuttgart, 1969

 

ISBN 978-3-85630-983-1

 

Umschlagbild: Elena Hinshaw-Fischli

 

Alle Rechte vorbehalten.

 

INHALT

Vorwort zur Neuauflage

Vorbemerkung

I. Menschliche Begegnungen und die innere Beziehung

Psychologische Arbeit, Erwartungen, Bedürfnisse und Forderungen. Ich-Intentionen des Beratenden. Zuhören. Ohr als Organ des Bewusstseins. Neugier. Beichte. Psychologische Tests als Form der Neugier. Geheimnis und natürliche Distanz. Psychologischer Raum in der Begegnung. Menschliche Begegnung konstelliert Archetypus der Liebe. Liebe als Aktivität und als Seinszustand. Menschliche Begegnung und innere Beziehung. Innere vertikale Verbindung wiegt äußere Beziehungen auf. Intimität und Gemeinschaft.

II. Das innere Leben: Das Unbewusste als Erfahrung

Analyse und Theologie begegnen sich in der Seele. „Seele“ als Begriff. „Seelenverlust“. Seele ist nicht Geist; Seelsorge ist keine Psychotherapie. Die Seele und die Berufung des Beratenden. Theologie und Tiefenpsychologie verlegen die Seele nach „innen“ und „unten“. Seele und Unbewusstes. „Beweise“ des Unbewussten. Komplexe. Stimmungen. Symptome. Träume. Sich befreunden mit dem Traum. Den Traum verstehen. Erweckung inneren Lebens. Religiöse Aufgabe der Seele. Realität der inneren Welt. Wiederentdeckung von innerem Mythus und Religion.

III. Die innere Dunkelheit:
Das Unbewusste als moralisches Problem

Spaltung zwischen Predigt und Praxis, Kanzel und Analytikersessel. Moralität der Analyse. Innere Dunkelheit als Verdrängtes und Vergessenes und als Potential und Befruchtendes. Bilder des Schattens. Paradox von Liebe und Beurteilung. Moralgesetz der Analyse als Behältnis für Persönlichkeitsentwicklung. Bischof Robinson und die „neue Moral“. Naive Ansicht der Liebe in „Gott ist anders“. Analytische Moral und Intensivierung des Konflikts. Internalisierung des Eros. Spiritueller Idealismus und psychologische Disziplinen. Transzendenter Hintergrund des moralischen Impulses. Gewissen. Selbstregulierung. Teufel und archetypisches Böses. Schatten in der Beratung. Moral und Gefühl.

IV. Die innere Weiblichkeit:
Anima-Wirklichkeit und Religion

Weibliche Bilder in der männlichen Psyche. Animafiguren und deren Auswirkungen. Selbstmitleid, Sentimentalität, Traurigkeit. Die weibliche Seite in der vergleichenden Religionslehre: Schamanen, griechische Helden, Hinduismus, Buddha, jüdisch-christliche Tradition. Maria und die Verkündigung. Kultivierung des Eros. Probleme der sexuellen Liebe. Ehe. Phantasie, Reflexion, Imagination und Opfer der Ich-Aktivität. Fleisch und Leib. Psychosomatik. Vereinigung mit dem Leib – die „Schwester“. Weiblicher Grund des religiösen Moments.

 

 

Des Weisen Herz ist zu seiner Rechten; aber des Narren Herz ist zu seiner Linken.

Prediger 10, 2

 

… der werde ein Narr in dieser Welt, dass er möge weise sein.

1. Korinther 3,18

 

Vorwort zur 2. Auflage in deutscher Sprache

Fünfzehn Jahre sind seit der ersten Herausgabe dieses Buches in London vergangen und ein weiteres Dutzend seit seiner deutschen Übersetzung. Ziemlich vieles hat sich inzwischen in der Welt und in mir selbst verändert, doch dieses Buch braucht nicht überholt zu werden, um sich der jetzigen Zeit und meinen heutigen Gedanken anzupassen. Die Idee, dass Bücher „auf den aktuellen Stand“ gebracht werden müssen, ist eigenartig. Hätte wohl ein Rembrandt oder ein Matisse eines seiner Gemälde 15 Jahre später aus einem solchen Grunde übermalt? Ein Dostojevski seinen „Idiot“ umformuliert? Um Missverständnissen vorzubeugen: ich beabsichtige keineswegs, mein Buch, welches eindeutig zeitgemäßen Charakter hat, mit Kunst gleichzusetzen kein Vergleich. Ich meine jedoch, dass auch eine aktuellere Arbeit zu einem bestimmten Thema keiner Auffrischung bedarf, um zeitgemäß zu sein.

Ideen sind kaum Maschinen, die zwangsläufig überholt werden müssen. Ideen, welche Kernfragen der Seele widerspiegeln, leiden ebenso wenig an Überalterung wie die Seele selbst. Sprache wandelt sich, Erkenntnisse verlieren ihre revelatorische Wirkung, eine bestimmte Frische mag verloren gehen, doch die Fragen, die hier angerührt werden – der moralische Charakter des Schattens, die Innerlichkeit des Weiblichen, die Bedeutung der Liebe, der religiöse Sinn der Psychotherapie, die Beratung als eine innige, vertrauliche und doch unpersönliche Beziehungsform – diese Fragen ziehen noch immer ihre Kreise in der Psyche und werden es vielleicht für immer tun.

Das zentrale Anliegen dieses Buches, das ihm auch seinen Namen gegeben hat, ist die nach innen gerichtete Suche entlang einer vertikalen Achse, eine „Innenforschung“ anstelle einer Erforschung von äußerem, historischem und horizontalem Geschehen.

Obschon es in den letzten 15 Jahren vielerlei Arten von Suchen gegeben hat mit Gurus, Zen und Meditation, Bewusstseinserweiterung und Narzissmus, frage ich mich, ob diese entlang den Wegen der hier diskutierten vertikalen Achse geführt haben.

Diese Wege wurden erstmals von C. G. Jung als Schatten und Anima bezeichnet. Sie treten in unser Leben ein wie „Personen“, die uns nach innen und nach unten in eine Erfahrungsweltführen, die von der Psychotherapie das Unbewusste genannt wird, in der religiösen Tradition aber seit jeher SEELE bedeutet. So bestehe auch ich in den folgenden Seiten auf einer Lebendigerhaltung der Seele in einem religiösen Sinn, um sie nicht völlig einer rationalen, säkularisierten und akademischen Psychologie preiszugeben, aus der selbst das Wort “Seele“ verbannt wurde.

Die Wiederentdeckung der Seele, die wir haben, die wir sind, der eigentliche Sinn und das Ziel der „Innenforschung“, hängt von einer Neubelebung dieser „Personen“ ab, im speziellen der Anima. Aus diesem Grund begrüße ich die erneute Erscheinung dieses Buches und bin dankbar, dass die Herausgeber sie ermöglichen.

James Hillman

Dallas, im Juni 1981

 

 

 

 

 

 

Vorbemerkung

Dieses kleine Buch geht auf verschiedene Ausgangspunkte zurück. Im Verlauf der letzten Jahre bin ich durch meine analytische Arbeit und durch geistliche Freunde verschiedener Glaubensrichtungen auf Probleme der Religion und der Psychologie gestoßen und habe mich mehr und mehr mit ihnen beschäftigt. Der Kern dieser Kapitel besteht aus Vorlesungen, die ich auf eine Einladung hin vor Geistlichen gehalten habe, die sich für Analytische Psychologie und seelsorgerische Beratung interessierten. Da die neue Theologie und die neue Moral, wie sie sich durch die Debatte über Bischof John A. T. Robinson’s Buch „Gott ist anders“1 entwickelten, Widerhall in der Psychologie gefunden haben, müssen Fragen gestellt werden. Auch müssen wir den Auswirkungen einer Theologie, die zu einer Theo-Thanatologie oder zu einer Erforschung des „toten Gottes“ geworden ist, und die entmythologisiert, entgegentreten, da die Analytische Psychologie gerade die entgegengesetzte Auswirkung zu haben pflegt. Sie bewegt sich auf „re-mythologisierende“ Erfahrungen mit religiösen Auswirkungen zu, wie das die folgenden Seiten belegen möchten. Überragende emotionale Ideen, wie die Vorstellung und das Bild Gottes, können wohl aus dem psychischen Leben verschwinden, können „absterben“, aber nicht für lange Zeit. Die an diese komplexen Ideen und Gefühle gebundene Energie verschwindet nicht einfach, so sehr der Mensch sich vielleicht auch von der bedrängenden Vorstellung Gottes befreien möchte, indem er theologische Nachrufe schreibt. Für die Psychologie handelt es sich nicht darum, dass „Gott tot ist“, sondern in welcher Form diese unzerstörbare Energie jetzt in der Seele wiedererscheint. Was kann uns die Seele über die Richtung sagen, die die Religion nun vielleicht einschlägt? In welchen Bildern wird die zentrale emotionale Idee Gottes wiedergeboren werden?

Mein Hauptbestreben aber war, das Gefühl der analytischen Erfahrung in ihrer Bedeutung für die Beratung zu vermitteln. Die Beratung hängt ebenso sehr von der Psychologie des Beratenden wie von seiner Theologie ab, und zu seiner Psychologie könnte die Analyse unter Umständen ihren Beitrag leisten. Mein Versuch, etwas beizusteuern, fällt vielleicht nicht in die üblichen Formen der professionellen psychologischen Ratschläge, denn ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass die seelsorgerische Arbeit, statt sich um ärztliche Perfektion zu bemühen, weiter und tiefer gehen und mehr Menschen erreichen könnte, wenn sie sich innerhalb ihrer eigenen, lebendigen Tradition fortentwickelte. Das führt geradewegs zu dem psychologischen Problem der Wiederanknüpfung an diese Tradition. Obgleich ein psychologisches Problem, ist es zugleich für jeden von uns – besonders aber für den Geistlichen – ein religiöses Problem: die Suche nach der Seele und der Glaube an ihre Realität, was bedeutet, eine lebendige Beziehung zu der eigenen seelischen Wirklichkeit zu finden.

In der Art, wie die seelsorgerischen Berater sich der Psychologie zugewandt haben, sind sie teilweise auf den falschen Weg geraten. Das Wort „klinisch“ ist beinahe schon zum Numinosum geworden, der Besuch des Pfarrers wird zur „Visite“, Gemeindemitglieder sind „Patienten“; anstelle der seelischen Fürsorge tritt die psychodynamische Kur. Die tiefe Not des Einzelnen aber bleibt bestehen. Obgleich sein Bedürfnis weniger nach „seelischer Hygiene“ geht als nach Leitung der Seele, wendet er sich für das, was er von seinem Seelsorger bekommen könnte, doch an seinen Analytiker, so dass Geistlicher und Analytiker jeder die Aufgabe des anderen zu übernehmen scheinen. Der Pfarrer wagt nicht mehr, sein Vorbild des Seelenhirten zu erfüllen, weil er sich als Amateur empfindet, der nicht über „genug Psychologie“ verfügt. Aber er hat ja seine eigene Seele, aus der seine Berufung und seine Einsicht in andere stammen. Ist nicht der psychologische „Amateur“, der richtig als der zu bezeichnen wäre, der liebend die Seele kultiviert, überhaupt der wahre psychologische Spezialist? Ihm werden die klinische Psychopathologie und ihre Forschungsprogramme weniger leisten als die Suche in seinem eigenen Inneren.

So wie die folgenden Kapitel nun dastehen, wenden sie sich nicht mehr nur an den Geistlichen, denn die lebendige Erfahrung der psychischen Realität ist nur eine Art, die Seele zu beschreiben, und das innere Leben der Psyche ist nicht nur eine Angelegenheit für den Fachmann. Der Berater, der durch sein seelsorgerisches Amt für Seelen verantwortlich ist, stößt täglich auf die Schwierigkeiten dieser Aufgabe, und so wenden sich diese Seiten in erster Linie an ihn. Aber das Buch kann ebenso wenig nur auf ihn beschränkt werden, wie Religion und Psychologie nur für Fach-Theologen und -Psychologen vorhanden sein können.

Die allmähliche Ersetzung des Wortes „Seele“ durch „Psyche“ in unserem Jahrhundert und der sich daraus entwickelnde Anspruch des „Fachmanns“ im Umgang mit ihren Nöten, beginnen ebenso viel Schaden anzurichten, wie im letzten Jahrhundert die Unwissenheit und das Moralisieren in seelischen Dingen. So wenig die „Psyche“ die Seele ersetzen kann, so wenig ist die fachliche Ausbildung ein Ersatz für die Berufung. So würde es mich freuen, wenn diese Seiten dazu beitragen könnten, uns von der Überschätzung des Fachmanns in Dingen der Seele zu befreien und die Fürsorge für sie dem geistlichen Berater und jedem Einzelnen zurückzugeben, der Laie ist im Sinne von „offen“, und der sich entlang den Grenzen der zeitgenössischen „Suche nach innen“ bewegt.

J. H.

September 1967

 

 

 

 

 


1. Titel der englischen Originalausgabe ist Honest to God (SCM Paperback). Die deutsche Ausgabe erschien bei Christian Kaiser, München (13. Auflage).