Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
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ISBN 978-3-941136-50-2 • 1. Auflage 2018
Gestaltung: Michael Reichmuth, Berlin
Sämtliche Rechte vorbehalten • Printed in Germany
Die traditionelle vertikale Art, Organisationen zu gestalten und Menschen zu führen, ist kaum noch geeignet, die heutigen komplexen Arbeitsprozesse entsprechend effizient auf den Kunden hin auszurichten und Mitarbeitende für diese Aufgaben zu inspirieren. Eine horizontale Handlungsweise ermöglicht die Freisetzung des kreativen Potenzials von Menschen in Organisationen. Sie befähigt Führungskräfte, Arbeitsprozesse unter Einbezug der Mitarbeitenden effizient und effektiv auf den Kunden bezogen zu gestalten.
Das Institut für Mensch- & Organisationsentwicklung (IMO), dem ich angehöre, befasst sich in aktuell acht Ländern mit der Frage, wie eine horizontale Haltung in Organisationen implementiert und gelebt werden kann. Dabei haben wir erkannt, dass ungeachtet der verschiedenen Kulturen (Schweiz, Holland, Finnland, Deutschland, Italien, Israel, Brasilien, Russland) drei zentrale Themen entscheidend sind, um eine Organisation erfolgreich und nachhaltig zu gestalten und zu entwickeln. Es gilt, die komplexen Prozesse gut zu versorgen, einen klaren, transparenten, offenen und ehrlichen Dialog zwischen allen Hierarchieebenen zu führen und die Biografie der Menschen in der Organisation und die Biografie der Organisation selbst stets mitzudenken.
Dieses Buch fokussiert auf den Dialog zwischen Ihnen als Führungskraft und Ihren Mitarbeitenden, Vorgesetzten sowie Ihren Kolleginnen und Kollegen.
In den nunmehr fast zwanzig Jahren, in denen ich mich intensiv als Trainer und Berater mit dem Thema Kommunikation auseinandergesetzt habe, ist mir eins ganz klar geworden. Kommunikationsmodelle und Methoden sind nur dann zielführend, wenn die eigene Haltung derart gestaltet ist, dass der Dialog auf Augenhöhe stattfinden kann. Das ist doch eine Selbstverständlichkeit, werden Sie jetzt vielleicht denken. Und was passiert, wenn das Gegenüber uneinsichtig, abweisend und auch schon mal verletzend reagiert? Da kann es schon einmal schwierig sein, auf Augenhöhe zu bleiben. Sobald wir jedoch diese horizontale Haltung verlassen, ist eine wertschätzende, respektvolle Kommunikation nicht mehr möglich. Das bedeutet, dass ich mich in jedem Gespräch, sei es noch so anstrengend und mühsam, um einen echten Dialog auf Augenhöhe bemühen muss. Dabei muss ich einerseits mit meinen Bedürfnissen, Wünschen, Erwartungen sichtbar werden und andererseits durch aktives Zuhören und Fragenstellen meinem Gegenüber Respekt zeigen. Gelingt mir diese innere Haltung, schaffe ich einen Raum, in dem mein Gegenüber mit seinen Wünschen, Erwartungen, Bedürfnissen, Befürchtungen, Hoffnungen ebenfalls sichtbar werden kann.
Adriaan Bekman, der Gründer von IMO, beschreibt in seinem Buch „Horizontal führen“ vier Kernqualitäten, welche für diese Art von Führung notwendig sind. Entlang dieser Kernqualitäten untersucht dieses Buch die dazugehörigen Gesprächsarten und methodische Strukturvorschläge, welche einen sinnstiftenden Dialog auf Augenhöhe unterstützen sollen. Die beschriebenen Methoden werden mit Beispielen aus der Praxis unterfüttert und am Ende jedes Kapitels finden Sie einige konkrete Fragestellungen, welche Ihre Reflexion bezüglich Ihrer Kommunikation unterstützen sollen.
Ich lade Sie mit diesem Buch ein, sich Gedanken über Ihre eigene Kommunikation zu machen und zu untersuchen, welche Methoden und Modelle Sie unterstützen können, um in einen horizontalen Dialog mit Ihrem Gegenüber zu kommen.
Von Adriaan Bekman, Gründer des Instituts für Mensch- und
Organisationsentwicklung IMO
Vor Jahren, als junger Vater, liebte ich es, Spielsachen für meine beiden Töchter herzustellen. Aus Holz konstruierte ich ein Puppenhaus, kleine Tische und Stühle und andere Sachen. Da ich in der Herstellung solcher Dinge völlig unerfahren war, versuchte ich herauszufinden, wie man Spielzeuge bauen muss, damit sie eine gewisse Stabilität haben und nicht gleich wieder auseinanderfallen. Zu Beginn merkte ich sehr rasch, dass meine Konstruktionen in der Tat nicht sehr stabil ausgefallen waren. Also griff ich zu Hammer und Nägeln, um die Spielsachen weiter zu stabilisieren. Es dauerte nicht lange, bis ich die Schwäche dieses Ansatzes erkannte und mir bewusst wurde, dass ein mehr dialogischer Ansatz zielführender ist. Denn ich erkannte, dass ich nicht wirklich überlegte, bevor ich handelte. Ich begann einen Dialog mit den Spielsachen und fragte Dinge wie „Was brauchst du? Was könnte dich stärker machen?“. Und ich teilte diese Fragen mit anderen Menschen und fand so heraus, wie ich meine Art zu konstruieren verbessern konnte.
In meiner Arbeit als Organisationsentwickler habe ich festgestellt, dass Konstruktionen in Organisationen sehr oft mit Kraft, unter Ausnutzung der hierarchischen Autorität, verbunden mit oft hinderlichen komplexen Strukturen, vonstattengehen. In einem guten Dialog zusammenzuarbeiten und sich beim Finden des nächsten Schrittes im Prozess gegenseitig zu unterstützen, ist keine Selbstverständlichkeit.
Wenn wir aus einer „Chef-Untergebener-Haltung“ heraus zusammenarbeiten, ist eine dialogische Zusammenarbeit nur sehr begrenzt möglich. Zu oft entwickelt sich eine Einbahnkommunikation, in welcher der/die Vorgesetzte über die Mitarbeitenden entscheidet. Wir denken zwar, dass wir im Austausch sind, aber letzten Endes ist dies so nicht der Fall. Was braucht es also, um dies zu verhindern und in einen gemeinsamen Dialog zu kommen?
Das erste Element, das mir essenziell erscheint, ist, dass der Dialog für beide Seiten offen ist. Das erfordert eine horizontale anstelle einer vertikalen Beziehung. In der Kunden-Lieferanten-Beziehung lässt sich die Stärke des Dialoges auf eine schöne Weise darstellen. Nicht nur der Kunde erhält etwas vom Lieferanten, sondern auch der Lieferant profitiert vom Kunden. In dieser dialogischen Beziehung kreieren wir in der Tat einen Zusatzwert für beide Seiten. Nicht nur auf dem ökonomischen Level, auf dem wir Waren und Dienstleistungen austauschen, sondern auch auf dem Level von Gemeinschaftsbildung und Lernen. Indem wir kooperieren und voneinander lernen, entwickeln wir eine Qualität der Gemeinschaft.
Das zweite Element beinhaltet, dass wir einen Dialog auf der Basis der menschlichen Werte von Freiheit, Liebe und Respekt führen. Die Basis dazu ist das Bewusstsein für mein Gegenüber als freier Mensch, den Respekt der Unterschiedlichkeit und die Liebe zur Zusammenarbeit und dem Kreieren von etwas Sinnvollem.
Diese Werte können nur sichtbar werden, wenn wir uns mit ihnen verbinden. Und das ist ein moralischer Akt. Wenn wir dies aus innerer Überzeugung tun, sind wir in der Lage, das Sinnvolle in unserem Tun zu kultivieren. Es geht nicht nur um Handeln, sondern auch um Reflektieren. Es geht nicht nur um gute Absichten, sondern auch um die Wirkung unseres Handelns beim anderen Menschen. Ich habe festgestellt, dass wenn ich mich auf den Prozess meines Gegenübers und mein Gegenüber sich auf meinen Prozess fokussiert, eine Verbindung in dem Vertrauen für das, was wir gemeinsam tun, entsteht.
Das dritte Element beleuchtet den Kontext, in dem wir handeln, und was einen dialogischen Ansatz hemmt oder fördert. Wir sind im beruflichen Kontext an eine vertikale Struktur gewöhnt, in der Hierarchiestufen und funktionale Unterteilung dominieren. Dies bringt uns auseinander und wir sind gezwungen, durch komplexe soziale Konstrukte die Dinge zusammenzuhalten.
Dieses managementbasierte Konstrukt hat einen großen Einfluss darauf, wie Mitarbeitende sich verhalten und Verantwortung übernehmen.
In unserer komplexen, ökonomisch geprägten Gesellschaft gerät dieses Konstrukt bezüglich der auftauchenden Fragen an seine Handlungsgrenzen. Das Bedürfnis nach einer nachhaltigen Veränderung und Erneuerung kann nur sehr bedingt durch ein Top-down-Prinzip befriedigt werden. Das Management führt die Veränderungs- und Erneuerungsprozesse, die involvierten Fachkräfte die Umsetzungsprozesse. Sie, die Fachkräfte, sind die Führungskräfte des Kundenprozesses, die Teamleiter/-innen die Leader des Teamprozesses und die Geschäftsleitung die des Organisationsprozesses. Der Dialog zwischen diesen Führungskräften ist die Quelle einer nachhaltigen Umsetzung der individuellen Verantwortlichkeiten. So betrachtet, ist es von größter Wichtigkeit, sich mit der Form der Kommunikation und des Dialoges auseinanderzusetzen, sich immer wieder zu fragen, wie wir miteinander reden und mit welcher Qualität wir einen Dialog führen.
Die Entwicklung unserer Dialogfähigkeiten bei uns allen beginnt mit der Erkenntnis, dass alle in der Organisation tätigen Personen in ihren Funktionen Führungskräfte sind, welche gewillt sind, in einen Führungsdialog zu treten. Das bedeutet die Fähigkeit, zuzuhören und verstehen zu wollen, eigene Wertungen und Interpretationen zurückzuhalten. Zuerst hinzuschauen, bevor wir werten und handeln. Es ist diese Qualität des Zurückhaltens, der Gelassenheit, welche für einen Dialog fundamental ist. Sind wir fähig, transparent zu kommunizieren, unsere Bilder und Geschichten zu teilen, sodass wir einen besseren Einblick und ein besseres Verständnis füreinander erreichen? Sind wir in der Lage, gemeinsame Bilder zu entwerfen, um so eine Art von gemeinsamer Interpretation zu kreieren, welche uns bei Entscheidungen unterstützt und das Finden der nächsten Schritte erleichtert?
Hannah Arendt beschreibt in ihrem letzten Buch „Vom Leben des Geistes“, wie der Mensch die Fähigkeit des freien Denkens und des freien Willens über die Zeit entwickelt hat und nun daran ist, die Fähigkeit des freien Urteilsvermögens zu entwickeln. Und diese Entwicklung ist etwas, das Menschen gemeinsam tun.
Das gibt uns Hoffnung, unsere Aktivitäten auf die Basis von einem Leadership-Dialog zu stellen und das Potenzial dieser Form des Dialoges zu erforschen und zu erkennen.
Es ist an uns zu entscheiden, ob wir eine horizontale Kommunikation, eine gemeinsam getragene Leadership-Kommunikation, welche uns alle unterstützt, entwickeln wollen. Es ist an uns zu entscheiden, ob wir einen Dialog entwickeln wollen, indem alle an den Kernprozessen unserer Organisation partizipieren können. Genauso, wie wir in unserem privaten Leben partizipieren und teilen.
Die Grundhaltung einer horizontalen Führung geht von der Grundannahme aus, dass Mitarbeitende prinzipiell in der Lage sind, sich in ihren Arbeitsprozessen selbst zu steuern. Sie verfügen über Systeme, die es ihnen erlauben, ihre Arbeit relativ selbstständig einzuteilen, ihre Resultate zu kontrollieren und zu korrigieren. Die Befähigung der Mitarbeitenden zur Selbststeuerung setzt Führung voraus!
Um eine fruchtbare horizontale Führung zu leben, arbeiten Sie mit vier Kernqualitäten.
Sie steuern
Steuerung bedeutet, Beschlüsse innerhalb eines größeren Ganzen zu fassen, einen adäquaten Rahmen vorzugeben, Impulse zu setzen und Ergebnisse zu überwachen.
Sie coachen
Als Führungskraft unterstützen Sie die professionelle und persönliche Entwicklung Ihrer Mitarbeitenden.
Sie inspirieren
Mitarbeitende benötigen Visionen, die ihnen eine Richtung weisen. Sie müssen das, was sie selbst tun, in einem größeren Ganzen verorten können, um sich damit verbunden zu fühlen.
Sie intervenieren