Cover

Kurzbeschreibung:

Freiwillig hätte die junge Sicherheitsexpertin Daisy Parker sicher nicht bei dem Fotografen Nick Coltrane als Bodyguard angeheuert. Schließlich ist dieser Casanova vor neun Jahren nach einer märchenhaften Liebesnacht grußlos verschwunden. Aber sie braucht das Geld, und er ist in Gefahr. Also willigt sie ein, ihn rund um die Uhr zu beschützen. Eine gefährliche Entscheidung, denn plötzlich ist Daisy nicht nur mit einer ganzen Riege mordlüsterner Männern konfrontiert, sondern auch mit dem einen, der es auf ihr Herz abgesehen hat ...

Susan Andersen

Ein Traummann zum Verzweifeln


Roman


Edel Elements

Prolog

Neun Jahre zuvor

Daisy Parker stöhnte unter dem Gewicht von Nick Coltranes nacktem Körper lustvoll auf. Er hielt sie fest in seinen muskulösen Armen, und ihre Körper klebten schweißgebadet aneinander. Sie konnte kaum glauben, dass sie gerade ihre Unschuld an ihn verloren hatte – und dazu noch trunken vor Glück. Er küsste sie immer wieder zärtlich in ihre Halsbeuge und ihr Körper bebte ein ums andere Mal vor Befriedigung nach. Die Arme um seinen Hals gelegt, streckte sie sich in wohligem Entzücken.

Wenn sie daran dachte, dass sie zu Mos Hochzeitsempfang, der zehn Stockwerke unter ihnen immer noch in vollem Gange war, beinahe nicht gekommen wäre ... Zwei Jahre zuvor hatte sie versucht, alle Verbindungen zu den Coltranes abzubrechen. Sie hatte Nick und Maureens Vater wegen der kalten Berechnung, mit der er seine Ehe mit ihrer Mutter beendet hatte, aus tiefstem Herzen verachtet, vor allem nach der unsäglichen Schlammschlacht, die er in der Boulevardpresse gegen ihre Mutter inszeniert hatte. Sie hatte keinen Sinn darin gesehen, mit irgendeinem von ihnen in Verbindung zu bleiben.

Aber Mo hatte sich geweigert, den Kontakt abbrechen zu lassen. Sie hatte ihr hin und wieder geschrieben, und es wäre unhöflich gewesen, ihre Briefe einfach zu ignorieren, zumal Daisy mit ihrer Stiefschwester nie Zoff gehabt hatte. Also hatte Daisy zurückgeschrieben und sich auch hin und wieder mit ihr zum Dinner oder Lunch verabredet. Als die Einladung zu Mos Hochzeit kam, hatte Daisy es nicht übers Herz gebracht, abzusagen.

Die Hochzeit in der Grace Cathedral war Daisy aus der Sicht ihrer neunzehn Jahre wie ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht erschienen, und Mo und ihr gut aussehender Bräutigam hatten vor lauter Glück um die Wette gestrahlt. Doch als Daisy vor ein paar Stunden im Mark Hopkins Hotel zum Empfang erschienen war, waren ihr doch erhebliche Zweifel gekommen, ob es wirklich klug gewesen war, daran teilzunehmen.

Sie gehörte nicht zu all den feinen Leuten, die sich im Peacock Court drängelten – sie hatte nie dazu gehört. Das war ihr in dem Augenblick, als sie sich mitten in ihrer Gesellschaft wiederfand, erneut schmerzlich bewusst geworden. Deshalb hatte sie sich fest vorgenommen, sich sofort zurückzuziehen, sobald sie Braut und Bräutigam gratuliert hatte.

Aber dann war Nick aufgetaucht und hatte jeden vernünftigen Gedanken aus ihrem Gehirn verbannt.

Sie konnte es immer noch nicht fassen, dass er sie wie eine lang vermisste Freundin begrüßt und die Gratulationscour einfach hatte sausen lassen, um sich an ihre Fersen zu heften. Er hatte es früher so exzellent verstanden, sie zu ignorieren, dass sie diese plötzliche Aufmerksamkeit jetzt völlig aus der Fassung gebracht hatte. Sie hatte das Gefühl, an ein Hochspannungskabel geraten zu sein – es durchzuckte sie heiß, es war beängstigend und sie hatte jede Orientierung verloren.

In seinen Augen war ein Ausdruck gewesen, den sie nicht hatte einordnen können: vielleicht so etwas wie Unaufrichtigkeit, mit Sicherheit aber ein Ausdruck von Verlegenheit, wenn nicht gar Rücksichtslosigkeit. Aber er hatte sie verhext und mit seiner Berührung – eine Hand auf ihrem Rücken hier, warme Finger um ihren Oberarm da oder auch ein zufälliges Streifen ihrer nackten Schultern – so aus dem Gleichgewicht gebracht, dass sie sich eingeredet hatte, das sei nicht von Bedeutung. Er war ein Gott mit goldbrauner Haut, blitzenden weißen Zähnen und gesträhntem braunem Haar, ein Gott, der um sie herumtanzte, der mit der Kamera, die um seinen Hals hing, Schnappschüsse von ihr machte, der ihr den Atem raubte und sie ganz schwindlig machte.

Doch das war noch, bevor der Tanz begonnen und sie einen Geschmack davon bekommen hatte, wie es war, in seinen Armen zu liegen.

Als das Licht gedämpft und die Musik langsam und einschmeichelnd wurde, war es um sie geschehen gewesen. Er hatte sie so eng an sich gedrückt, dass sie ihn von der Brust bis zu den Knien spürte. Er war warm, hart und spürbar sehr glücklich gewesen. Das Nächste, woran sie sich erinnerte, war der Hotelaufzug und dass er sie geküsst hatte. Dann waren sie in diesem Zimmer und auf diesem Bett gelandet, und ihr Herz hatte wie wild geklopft, ihr Puls an Stellen gehämmert, an denen sie niemals einen Pulsschlag vermutet hätte; er war auf ihr gewesen und in ihr; und genau zu dem Zeitpunkt, als der leichte Stich vom Reißen ihres Hymens ihr Bewusstsein durchdrang, hatte er sie mit sanften Händen und drängenden Hüften in die Gefilde höchster Lust getrieben, losgelöst von allem Irdischen.

Und alles, was Mütter so über die Liebe sagten, bekam plötzlich einen Sinn.

Sie atmete seinen Duft ein, während er sich langsam auf seine Ellbogen hochstützte. Er blickte auf sie hinab.

»Bist du okay?«

»Ja.« Sie war mehr als okay, sie fühlte sich einfach wunderbar.

»Gut.« Er rollte sich von ihr runter und kletterte aus dem Bett. Daisy stützte den Kopf in die Hand und beobachtete voller Bewunderung, wie das Licht der Lampe über seinen nackten Körper spielte. Er sah bezaubernd aus.

Das war sicher nicht gerade ein sehr maskulines Attribut, dachte sie, aber es passte perfekt zu ihm. Und kein Mensch, der recht bei Verstand war, würde je bestreiten, dass er maskulin war. So umwerfend, unvergleichlich männlich. Er hatte breite Schultern, muskulöse Oberarme und einen Waschbrettbauch. Die seidige, weiche Körperbehaarung bildete das Muster eines Lebensbaums: Der feine Fächer über dem Brustkorb verjüngte sich zu einem schmalen Stamm, der sich gerade über die ausgeprägten Bauchmuskeln nach unten zog, um schließlich im Bund der Smokinghosen, die er sich gerade wieder übergestreift hatte, zu verschwinden.

Sie blinzelte. Zog er sich etwa an? »Was hast du vor?«

»Ich muss weg.«

Eine Minute zuvor hatte sie sich in ihrer Nacktheit noch absolut sicher gefühlt – jetzt fühlte sie sich plötzlich ungeschützt. Sie sah sich nach ihrem Kleid um und wurde rot, als sie es über der Nachttischlampe an einem Träger baumeln sah. Sie zog ein paar Kleenex-Tücher aus der Box, die auf dem Tisch stand, und tupfte verstohlen die Blutspuren an ihren inneren Oberschenkeln ab. »Warum?« Sie musterte ihn ratlos.

Nick zog sich sein Hemd und sein Jackett an, ohne es allerdings ordentlich zuzuknöpfen. Er schaufelte sich die Hemdenstecker und Manschettenknöpfe in die Hand und steckte sie in seine Tasche. Die Krawatte lose um den Hals und die Hände tief in den Hosentaschen, sah er zu ihr hinüber. Seine blauen Augen wurden weich, die Mundwinkel zogen sich nach oben, und er machte einen Schritt auf das Bett zu.

Aber dann, gerade, als sie sich sicher war, er würde wieder zu ihr zurückkommen, blieb er plötzlich abrupt stehen und straffte die Schultern. »Ich habe morgen früh einen Termin«, verkündete er leichthin. »Das war große Klasse, aber ein Mann braucht nun mal seinen Schlaf.«

»Aber – ich versteh nicht. Was ist ... was ist mit dem, was du gesagt hast?« Du hast doch gesagt, du liebst mich. Was ist damit?

Er starrte sie an, und für eine Sekunde hätte sie schwören können, dass in seinen Augen ein Ausdruck von Zärtlichkeit und sehnsüchtigem ... Bedauern lag. Er zuckte die Achseln, und der Moment war vorüber. »Du bist wirklich noch jung, was, Daisy? Du weißt doch, wie das Spiel läuft – man sagt viel in der Hitze des Gefechts.«

Sie hatte es nicht gewusst. Ihr war nicht einmal bewusst gewesen, dass es überhaupt ein Spiel war. Als er sich zu ihr herunterbeugte, ihr ein freundschaftliches Küsschen auf die Wange drückte und murmelte, sie solle auf sich aufpassen, konnte sie ihn in ihrem Elend nur unglücklich anstarren. Dann schloss sich die Tür hinter Nicks Rücken.

Und Daisy konnte allein und verlassen in einem Zimmer hoch oben im Mark Hopkins über ihre Einführung in die Welt der Erwachsenen nachdenken.

IN LIEBE GEWIDMET

Jen,

weil sie mich noch aus jeder Patsche

geholt hat;

Mom, Mimi, Tante Thelma, Elaine, Vernetta,
Winnie und Margaret,
die mich über die Jahre hinweg unterstützt
und es geschafft haben, eine
Signierstunde in Rekordzeit auszuverkaufen;

Und der Methow-Valley-Clique
zum Dank für gutes Essen, fantastischen
Skilauf und eine Menge Spass

Schöner kann das Leben gar nicht sein!

Susie

4

Dienstag

Als Daisy aufwachte, sah sie Nick neben der Couch hocken, sein Gesicht weniger als dreißig Zentimeter von dem ihren entfernt. Mit einem leisen Fluch auf den Lippen rappelte sie sich hoch und tastete unter ihrem Kissen nach der Pistole, während sie gleichzeitig die Wohnung mit den Augen abcheckte. »Was ist? Was ist los? Versucht jemand, hier einzudringen?«

Er ließ sich mit der Antwort Zeit. Sie folgte seinem Blick und sah, dass ihre Decke verrutscht war und den Blick auf das Tank-top und die Panties, in denen sie geschlafen hatte, freigab. Obwohl weder das eine noch das andere besondere Einblicke gewährte, drückte sie sich aufrecht nach hinten gegen das Couchende und zog sich die verirrte Decke bis zum Hals hoch. Ihre Nervenenden signalisierten erhöhte Alarmbereitschaft. »Was willst du, Nick?«

»Sorry, ich wollte dich nicht erschrecken.«

Das Morgenlicht, das durch die Sprossenfenster hereinströmte, ließ die zarten goldblonden und rotbraunen Strähnen in seinem dicken, überlangen Haar, das in seiner verschwenderischen Fülle an ein Tierfell erinnerte, deutlich hervortreten.

Er schnippte mit den Fingern vor ihrem Gesicht. »Erde an Daisy.« Sie blinzelte, und er erklärte: »Ich sagte, dass wir in fünfundvierzig Minuten weg müssen. Wenn du noch duschen willst, dann steh besser auf. Ich weiß doch, wie lange ihr Frauen immer braucht, bis ihr fertig seid.«

Sie rieb sich den Schlaf aus den Augen. Das Klischee war ihr einfach zu blöde, um darauf einzugehen, aber dafür erregte ein anderes Wort ihre Aufmerksamkeit umso mehr. »Weg? Weg wohin?« Sie gähnte herzhaft und schüttelte, über sich selbst unzufrieden, den Kopf. »Sorry, bevor ich nicht meine erste Tasse Kaffee habe, funktioniere ich nicht besonders gut.«

»Ich mach dir einen. Du kannst inzwischen duschen.« Er steuerte auf die Küche zu.

Sie wickelte sich die Decke um die Schultern, klemmte sie mit einer Hand fest und griff mit der anderen nach der Pistole. Dann tapste sie hinter ihm her. »Moment mal. Was meintest du damit, wir müssten in fünfundvierzig Minuten weg?«

Nick sah auf seine Rolex. »Jetzt in vierzig.«

»Ob fünfundvierzig Minuten oder eine Stunde spielt keine Rolle, Coltrane. Ich würde dir nicht raten, blind irgendwohin zu gehen. Um deine Sicherheit zu gewährleisten, müssen wir schon ein paar Regeln festlegen.«

»Das musst du unterwegs machen, meine Süße. Ich muss Termine einhalten.«

»Zum Beispiel? Ein heißes Date vielleicht?« O nein, Daisy, das war nicht gut. Denk an deine Professionalität.

»Nein, ich habe heute einen Fototermin nach dem anderen.«

Sie atmete einmal langsam tief durch. »Ich rate dir dringend, diese Termine, wenn möglich, abzusagen. Ich bin in meinem Fach sehr gut, Nick, aber ich bin auch nur ein Mensch, und der Risikofaktor verzigfacht sich, wann immer du in der Öffentlichkeit erscheinst.«

»Tu einfach dein Bestes, Daisy. Ich habe diese Foto-Shootings vor Monaten zugesagt, und bis auf ein oder zwei handelt es sich ausnahmslos um Events, die an ein bestimmtes Datum gebunden sind. Ich kann sie nicht verschieben.«

»Schick ihnen einen anderen Fotografen.«

Er gab das frisch gemahlene Kaffeepulver in einen Kaffeefilter, setzte ihn auf eine Glaskanne und hielt das Ganze unter einen Instamatic-Heißwasserhahn. Während der heiße Dampf aufstieg, warf er ihr einen kurzen Blick zu. »Sie wollen den Besten.«

Sie schnaubte verächtlich. »Ach, und Annie Leibovitz war wohl zufällig gerade nicht verfügbar, was?«

»Autsch.« Er verzog das Gesicht zu einem Grinsen und schlug sich mit einer Hand ans Herz, so als sei er tödlich verwundet. Dann schob er ihr über die Küchentheke einen Kaffeebecher zu und holte die Kanne. Als er ihren Becher gefüllt hatte, fixierte er sie. Das Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden. »Ich habe ihnen mein Wort gegeben.«

Sie seufzte. Sein Wort war ein Argument, das sie nachvollziehen konnte. Sie war nur überrascht, dass es auch für ihn ein Argument war. Sie drapierte ihre Decke um, so dass sie die Hand durchstecken konnte, legte die Pistole auf die Theke und nahm sich den Becher.

»Ist es wirklich nötig, dies Ding hier zum Frühstückstisch mitzuschleppen?« Er sah sie stirnrunzelnd an.

Sie zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich nicht. Aber ich käme mir ganz schön blöd vor, wenn die Schläger deines Gentlemans plötzlich hier auftauchen und das Ding läge drüben bei der Couch.« Sie überlegte, wie sie Pistole und Becher gleichzeitig tragen und dabei auch noch ihre Decke festhalten sollte. Sie setzte den Becher noch einmal ab und drehte sich mit dem Rücken zu Nick. Dann wickelte sie sich die Decke um den Oberkörper und stopfte die eine Ecke unter ihrer linken Achsel fest. So hatte sie beide Hände für den Kaffee und die Pistole frei. »Ich geh jetzt ins Bad.« An ihrem Kaffee nippend, machte sie sich auf den Weg.

»Du hast dreiunddreißig Minuten.«

Ohne sich umzudrehen, beschrieb sie mit dem Lauf der Pistole einen kleinen Kreis in der Luft, um zu signalisieren, dass sie verstanden hatte.

»Ich meine es ernst, Daisy, ich werde deinetwegen nicht zu spät kommen.«

»Ja, ja, ja.«

Fünfzehn Minuten später war sie fertig angezogen, die Zähne geputzt, das nasse Haar aus der Stirn nach hinten gekämmt. Sie wusste nicht, warum ausgerechnet Frauen einen so schlechten Ruf hatten. Reggie und die übrigen Jungs, mit denen sie zu tun hatte, brauchten viel länger im Bad als sie. Der Fairness halber musste sie natürlich zugeben, dass die meisten von ihnen Möchtegern-Frauen waren.

Sie hatte bemerkt, dass Nick ein seidig glänzendes Hemd, Flanellhosen und ein Knitterleinenjackett trug, und sie wollte, um ihr eigenes Outfit – Jeans, Stiefel und ein weißes T-Shirt – aufzupeppen, ihren goldfarbenen Wollblazer anziehen. Doch zuvor schnallte sie sich ein Messer um den Unterarm und steckte ihre Pistole in ihr Halfter.

»Du bist ja ein wandelndes Waffenarsenal.«

»Ich bin gern vorbereitet, nur für den unwahrscheinlichen Fall, dass die bösen Buben nicht hören wollen, wenn man ihnen sagt, sie sollen endlich artig sein.« Sie wurde wieder ernst. »Es wäre wirklich besser, wenn du nicht rausgehen würdest. Bist du ganz sicher, dass du deine Termine nicht verlegen kannst?«

»Die meisten nicht. Aber während du geduscht hast, habe ich begonnen, die wenigen Termine, bei denen das geht, zu verschieben.« Er nahm sich seine Schlüssel. »Können wir?«

»Fahren wir mit deinem Wagen?« Als er nickte, bat sie: »Dann lass mich eben noch etwas holen.«

»Lass mich raten – du hast deine Bazooka vergessen.«

»Du bist ein echter Witzbold, Coltrane.« Sie lief ins Schlafzimmer und holte etwas aus einer ihrer Tüten. Als sie ins Wohnzimmer zurückkam, schraubte sie die zwei Teile eines Werkzeugs zusammen, die durch einen Klettverschluss verbunden waren. Das Ergebnis war eine lange Stange, an deren einem Ende ein Winkelspiegel steckte. Nick hob eine große Sporttasche hoch, während sie versuchte, sich an ihm vorbeizuschlängeln. Da er ihr jedoch nicht gleich den Weg freigab, streifte sie seinen Körper. Für jemanden, der ein so ausschweifendes Leben führte, fühlte er sich unter seinen schicken Klamotten ziemlich fest an, ein Gedanke, den sie jedoch hastig verdrängte. »Lass mich vorgehen.«

»Aber ja doch, Puppengesicht, Ladys first.«

»Das hat hier nichts mit Etikette zu tun, Coltrane. Das ist professionelles Verhalten.« Die Hand an der Pistole, trat sie auf den winzigen Treppenabsatz hinaus und checkte den Garten und die Auffahrt, wobei sie den Schattenstellen besondere Aufmerksamkeit widmete. »Okay, die Luft ist rein.«

Nick kam heraus und schleppte die Tasche hinter sich her. »Ich komme mir vor wie ein Idiot.«

»Das brauchst du nicht. Wie geht’s übrigens deinem Arm heute?«

Er ballte und öffnete ein paarmal seine linke Hand. »Ich habe mehr Kraft drin.«

»Ja, echt?« Sie stieg langsam die Treppe hinunter. »Wie wär’s dann mit einer Partie Armdrücken?«

»Darauf erwartest du sicher keine Antwort.«

»Hast wohl Angst, dass ich dich auf dem Tisch festnagele, hm?«

»Du bist wirklich eine nervtötende kleine Ratte, weißt du das, Daisy?« Er war dicht hinter ihr und trat ihr fast auf die Fersen, als sie die Garage betraten.

Sie blieb abrupt stehen und schnellte den Arm seitlich heraus, um ihn davon abzuhalten, an ihr vorbeizustürmen, während sie die Schatten mit den Augen absuchte. Sein Zwerchfell fühlte sich warm und muskulös an, und sie war froh, ihren Arm einen Moment später fallen lassen zu können. »Okay, welches Auto ist deins?«

»Der Porsche.«

»Na klar. Lass mich den Wagen erst untersuchen, dann können wir fahren.«

Sie fuhr mit dem verspiegelten Ende der Stange unter das Auto und bewegte es von Achse zu Achse.

»Hältst du etwa nach einer Bombe Ausschau?«

»Ja.« Sie zog die Stange zurück und zerlegte sie in ihre beiden Teile, um sie mit dem Klettband wieder zusammenzubinden. »Mach die Motorhaube auf.«

Er tat, wie ihm befohlen, und sie suchte den Motorraum ab. Dann kletterte sie in den Wagen und beugte sich unter das Armaturenbrett. Endlich setzte sie sich auf und sagte: »Okay, alles sauber.«

»Du meine Güte«, murmelte er und steckte den Schlüssel ins Zündschloss.

Sie quittierte seinen indignierten Gesichtsausdruck mit einem Grinsen. »Weißt du, Coltrane, es gibt eine Methode, das künftig zu vermeiden.«

Er musterte sie argwöhnisch. »Ich frage wohl besser nicht.« Ein paar Sekunden des Schweigens vergingen. »Okay, was soll’s. Also, wie lässt sich das in Zukunft vermeiden?«

»Wenn dir das nächste Mal eine verheiratete Frau begegnet, die dir schöne Augen macht, dann lass deinen Hosenstall zu.«

Mo winkte ihren Kunden noch einmal zum Abschied zu, verschloss den Schlüsselkasten an der Villa, die sie ihnen gerade in Pacific Heights gezeigt hatte, und ging zu ihrem Wagen. Sie öffnete die Tür, blieb dann aber mit der Hand auf dem Autodach stehen und starrte den Hügel hinab auf das Planetarium und die nebelverhangene Bucht dahinter.

Du hattest kein Recht, dich einzumischen, tönte ihr Reids Stimme zum hundertsten Mal durch den Kopf. Du hättest dich, verdammt noch mal, da raushalten sollen.

Gott, wie sehr sie sich wünschte, das getan zu haben. Aber nein, sie hatte ja sofort ihre Nase da hineinstecken und sein Problem für ihn lösen müssen – gar nicht davon zu sprechen, dass die Art, wie sie es getan hatte, kriminell war, und Reid alles andere als begeistert wäre, wenn er davon erführe. Was natürlich ein zusätzliches Problem war. Vielleicht sogar das Größte.

Sie hätte ihm erzählen sollen, was sie unternommen hatte. Sie hatte es auch vorgehabt. Aber dann hatte sich ihr Stolz energisch gemeldet, und sie hatte Reid aus dem Arbeitszimmer gehen lassen, ohne den Versuch zu unternehmen, ihm alles zu erklären. Nein, sie hatte sogar noch Schlimmeres getan. Sie hatte ihn hinausgetrieben.

Ich möchte wie ein vollwertiges Mitglied dieser Familie behandelt werden, und nicht wie irgendein inkompetenter Teenager, der jedes Mal, wenn er in der Tinte sitzt, nach seiner Mami rufen muss.

»Ach, halt die Klappe, Reid«, murmelte sie, stieg ins Auto und zog die Wagentür zu.

Das stimmte doch gar nicht. Oder?

Sicher, sie machte sich Sorgen um ihr Geld. Ihr Vater hatte sie zu Hause kurz gehalten, trotz des aufwändigen Lebensstils der Kreise, in denen sie verkehrten. Diese Sorge begriff Reid mit dem beachtlichen Vermögen des Cavanaugh-Bankgeschäfts im Rücken nicht. Vielleicht hatte sie ja zu viel an ihm herumgenörgelt, aber er ging so verdammt leichtsinnig mit seinem Treuhandvermögen um und warf es jedem, der eine traurige Geschichte zu erzählen wusste, in den Rachen. Das war auch der Grund, warum sie die Immobilienfirma Cavanaugh Realty aufgezogen hatte, und sie würde sich nicht dafür entschuldigen, dass sie Sicherheit brauchte.

Wenn sie ihm wirklich etwas bedeutete, dann hätte er sie erst gar nicht in diese Lage gebracht. Aber jedes Mal, wenn ihre Angst sie dazu getrieben hatte, an seine finanzielle Verantwortung zu appellieren, hatte er sich zurückgezogen und seine eigenen Ziele verfolgt. Er hatte ihr keine andere Wahl gelassen, als ihre eigenen Fähigkeiten gezielt einzusetzen. Nur dann konnte sie sicher sein, sich niemals sorgen zu müssen, dass die Gläubiger ihr auf den Fersen waren.

Mo lachte sarkastisch auf. Es war ein echter Treppen-Witz, wenn man verfolgte, wohin sie ihre viel gerühmte Rationalität gebracht hatte.

Sie griff nach dem Zündschlüssel, lehnte sich dann aber noch einmal auf dem Fahrersitz zurück, ohne den Wagen zu starten. Sie blickte durch das Beifahrerfenster und bemerkte, dass sich der Nebel über der Bucht zu lichten begann und die ersten schwachen Sonnenstrahlen durchbrachen.

Sie und Reid hatten sich so auseinander gelebt, dass es sie überrascht hatte, wie stark ihr Wunsch gewesen war, seine Schulden zu begleichen. Doch die Wahrheit war, dass sie den Gedanken nicht ertragen konnte, ihm könne je etwas Schlimmes widerfahren.

Sie seufzte. Sie bezweifelte, dass er Gefallen daran fand, wenn sein Name verunglimpft würde. Sie musste ihm bald erzählen, was sie angestellt hatte, um die Schulden zurückzuzahlen. Und zwar, bevor sie einen Haftbefehl erhielt.

Aber jetzt noch nicht.

Das Ehepaar, dem sie gerade die Villa gezeigt hatte, war hellauf begeistert gewesen. Sie würde noch ein paar Tage abwarten, und vielleicht – wenn sie Glück hatte – erübrigte sich dann die Notwendigkeit, Reid zu beichten, welchen Mist sie gebaut hatte. Bitte, lieber Gott, lass es sich erübrigen. Mach, dass ich ihm nie erzählen muss, wie dumm ich war. Sie brauchte nur zwei oder drei zusätzliche Tage – das war doch nicht zu viel verlangt.

J. Fitzgerald Douglass bewunderte sein Spiegelbild. Sein stahlgraues Haar war perfekt frisiert und seine Wangen glänzten frisch von der Rasur. Er zupfte an dem Seidentaschentuch in seiner Brusttasche eine Weile herum, bis es richtig drapiert war, und beschäftigte sich zwei geschlagene Minuten lang mit dem Sitz seiner Krawatte. Erst als er mit seinem Outfit hundertprozentig zufrieden war, schloss er die Spiegeltür des Schranks und wandte sich um, um die beiden Männer, die schweigend auf ihn warteten, zu begrüßen. Ihre Anwesenheit missfiel ihm.

»Wir hatten doch vereinbart, wie sonst auch, nur telefonisch Kontakt aufzunehmen«, sagte er. »Kommt hier nie wieder her. Wenn ein persönliches Treffen erforderlich sein sollte, lässt sich immer eine Möglichkeit finden, dies woanders zu arrangieren.« Er schüttelte ungnädig sein Haupt. »Aber da ihr nun schon einmal hier seid – wo ist eigentlich Jacobsen?«

»Er beobachtet weiter Coltranes Bude.«

»Ausgezeichnet. Was gibt’s zu berichten?«

Der Größere der beiden, von der Statur eines Schrankes, fing an: »Gestern ist so ’ne blonde Puppe auf dem Anwesen aufgekreuzt. Sie kam zu Fuß und sah nicht so aus, als würde sie das Haupthaus besuchen. Wir denken, sie ist bei Coltrane eingezogen.«

»Sein Sexleben interessiert mich nicht, Autry. Wo ist mein Film?«

»Wir haben in der Dunkelkammer nichts gefunden, Mr. Douglass. Und bevor wir Coltrane zum Sprechen bringen konnten, hatte jemand die Polizei alarmiert. Er musste allerdings ins Krankenhaus.«

J. Fitzgerald nahm hinter seinem Schreibtisch Platz, jedoch ohne seine Handlanger dazu aufzufordern, es ihm gleichzutun. »Ist er immer noch dort?«

»Nein, Sir, er ist wieder zu Hause. Wir haben ihn heute Morgen allerdings noch nicht zu Gesicht bekommen, weil es unmöglich ist, dort ständig rumzulungern. Die Leute vom Haupthaus scheinen aufzupassen, dass sich kein Fremder dort rumtreibt.«

J. Fitzgerald blickte von dem einen vierschrötigen Kerl zum anderen. »Und ich nehme an, euch ist nie in den Sinn gekommen, jemanden an den Querstraßen zu beiden Seiten des Anwesens zu postieren.«

»Hä?«

Er unterdrückte es, seinen Unmut laut zu äußern. Es brachte nichts, wütend zu werden. Er hatte sie ja schließlich nicht wegen ihres Hirns engagiert.

Sie täten allerdings verdammt gut daran, den Job, für den er sie angeheuert hatte, zu erledigen, und zwar bald.

Denn er dachte nicht im Traum daran, sich von einem verarmten blaublütigen Fotografen um die Früchte seines Lebens, für die er so hart gearbeitet hatte, bringen zu lassen.

Nachdem er diese Typen am Sonntagnachmittag angeheuert hatte, hatte er ein paar Nachforschungen über Coltrane angestellt. Das Wichtigste, was er herausgefunden hatte, war, dass er die Hunde vielleicht ein bisschen überstürzt von der Leine gelassen hatte. Das war Pech, aber jetzt war es zu spät, daran noch irgendetwas zu ändern.

Die Würfel waren gefallen. Wenn man Coltrane in Frieden gelassen hätte, hätte er die Negative möglicherweise von sich aus am Sonntagabend vernichtet. Das tat er jetzt bestimmt nicht mehr. »Okay, ich sage euch jetzt, was ihr tut.« Er skizzierte ein ausgeklügeltes System, bei dem seine Schießkumpane Coltrane im Auge behalten konnten, ohne selbst gesehen zu werden. »Unternehmt was, egal was«, befahl er und entließ sie. »Ich will diese Fotos.«

1

Montag

Daisy war noch nicht ganz durch die Bürotür, da bekam sie auch schon eine geballte Ladung ab.

Ihr Sekretär kreischte auf und glotzte sie entgeistert an. »Bitte, erzähl mir nicht, dass du das da tatsächlich tragen willst!.

Daisy blieb abrupt stehen und schaute an ihrem goldfarbenen Wollblazer mit dem Wappen auf der Brusttasche und an dem darauf abgestimmten blaugelb karierten Schottenrock hinunter. »Was stimmt damit nicht? Du wolltest doch, dass ich einen Rock anziehe.«

Reggie verdrehte die Augen und strich liebevoll über seinen eigenen gediegenen Anzug, als wolle er sich vergewissern, dass wenigstens einer von ihnen Geschmack hatte. »Ich habe nicht gesagt, dass du dich wie eine Kreuzung aus Mary Catherine Parochial und GI Jane kleiden sollst.«

»Wieso, du meinst wegen der Stiefel?« Sie ließ ihren Blick über die marineblauen Nylonstrümpfe zu ihren Schnürstiefeln und die zusammengerollten Socken, die oben heraussahen, wandern. »Sie sind marineblau; das passt doch.«

»Sicher, wenn du unbedingt wie der bestgekleidete Kampfsoldat, der je einen Schülerinnenpreis abgeräumt hat, herumlaufen willst ... Warum ziehst du dir nicht einfach nur einen Spitzenbody an und fertig? Ich kann bestimmt noch irgendwo etwas grünen und braunen Lidschatten auftreiben; wir werden auch dein Gesicht tarnen.«

Daisy funkelte ihn beleidigt an. »Du hast gesagt, zieh einen Rock an; also bin ich noch schnell bei mir zu Hause vorbeigefahren und habe einen Rock angezogen. Sorry, wenn er nicht deinen hohen Standards in Bezug auf Eleganz entspricht, aber ich bin Sicherheitsexpertin und will nicht auf einen Debütantinnenball. Ich trage keine Schuhe mit hohen Absätzen, Reg, das kannst du vergessen. Das wäre nutzlos, wenn ich rennen müsste.«

»Ich hoffe inständig, dass sich die notwendige Rennerei darauf beschränkt, geradewegs zur Bank zu laufen und den Scheck dieses neuen Kunden einzulösen.« Reggie bedachte ihr Outfit mit einem letzten missbilligenden Blick, bevor er sich wieder seinem Computer zuwandte. »Das heißt, falls er uns den Scheck überhaupt noch gibt, wenn er erst einmal gesehen hat, was du dir unter professioneller Kleidung so vorstellst«, murmelte er.

Wissend, dass es ihn verrückt machte, wenn man sich von hinten über ihn beugte, legte Daisy die Hände flach auf seinen Schreibtisch und verlagerte ihr Gewicht darauf. »Vielleicht hat er ja – ganz im Gegensatz zu den meisten Männern –«, presste sie zwischen den Zähnen hervor, »ein halbes Gehirn in seinem Kopf und merkt, dass das hier professionell ist. Zugegeben, es ist nicht der Nadelstreifenanzug eines Bankers, aber es ist äußerst passend für eine Frau, die seinen Arsch bewachen soll.«

Reggie blieb sichtlich unbeeindruckt, und sie richtete sich wieder auf. »Herrgott noch mal, Reg, wer ist dieser Typ überhaupt – der Kronprinz von England?«

»Knapp daneben«, ließ sich eine Stimme von der Tür her vernehmen.

Nein. Lieber Gott, bitte nein. Ihr Herz hämmerte in einem wilden Wirbel gegen ihre Rippen, als sie sich ganz langsam umdrehte, immer noch gegen jede Hoffnung hoffend, dass die Ohren ihr einen Streich gespielt hatten.

Hatten sie nicht. Es war genau der, von dem sie befürchtet hatte, dass er es sei: Nick Coltrane. Der letzte Mann in der Welt, den sie sehen wollte.

Er sah fantastisch wie eh und je aus – zum Teufel mit seinen blauen Augen. Der lang gestreckte, wunderbar gebaute Körper wirkte selbst angezogen genauso durchtrainiert, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Er trug alte Jeans und einen Pulli mit V-Ausschnitt, vor dem eine Kamera baumelte. Mo pflegte stets zu sagen, Nick sehe aus, als sei er in seiner weißen Tenniskluft zur Welt gekommen, und das stimmte auch. Er strahlte lässige Eleganz aus und vermittelte einfach den Eindruck, dazuzugehören. Das war so natürlich an ihm wie das Atmen.

Doch warum auch nicht? Er gehörte ja schließlich wirklich dazu, hatte immer dazu gehört. Sie war es, die ihr Leben lang außen vor gewesen war.

Sie beobachtete, wie er ihr Büro inspizierte. Und plötzlich sah sie es mit seinen Augen und nahm nicht mehr den freundlichen cremefarbenen Anstrich wahr, den Reg und sie den Wänden gegeben hatten, um die hellen, von ihnen eigenhändig gerahmten und aufgehängten Poster zur Geltung zu bringen. Sie sah auch nicht den glänzenden, beinahe zwei Meter hohen Ficus oder Regs schimmernden naturholzfurnierten Schreibtisch. Stattdessen sah sie nur den gewellten Linoleumboden und an der Fensterwand die zwei abgewetzten Holzstühle mit dem auf dem Trödelmarkt erstandenen Tisch dazwischen.

Doch dann straffte sie die Schultern. Was soll’s. Sie hatte zwar kein piekfeines Büro, aber zumindest gehörte alles ihr. Nun gut, ihr und der Bank ...

Nick musterte sie eingehend. »Wie geht’s dir, Daisy? Du siehst gut aus.«

»Nenn mich nicht ...«, sie machte einen wütenden Schritt vorwärts, fing sich dann aber wieder. »Daisy«, beendete sie den Satz mit einer Sanftmütigkeit, an der sie beinahe erstickte. Der Spitzname war ein wunder Punkt. Das wusste er verdammt gut, und deshalb hatte er es zweifellos auch gesagt. Sie war sechzehn, er zweiundzwanzig gewesen, als er damit angefangen hatte, sie so zu nennen, und wie ein Fisch hatte sie es sich nie abgewöhnen können, nach dem Köder zu schnappen. Sie spürte, dass ihre Wangen heiß wurden. Sie atmete noch einmal tief ein, hielt kurz die Luft an und atmete langsam wieder aus. Sie war gefährlich nahe daran, die Fassung zu verlieren.

Sie würde lieber Würmer essen, bevor sie ihm diese Genugtuung verschaffte. Und vor allem, bevor sie ihn merken ließe, wie der Schmerz über seine Zurückweisung sie erneut überschwemmte, wenn er sie mit diesem kühlen, leicht amüsierten Blick ansah.

Sie reckte das Kinn nach vorne und musterte ihn wortlos. Er lehnte lässig an der Tür, die Beine gekreuzt, die Hände in den Taschen seiner Jeans, und erwiderte ihren Blick.

»Wie ich sehe, scheint ihr beide euch zu kennen«, sagte Reggie, als das Schweigen sich zu lange hinzog.

»Mein Vater war eine Zeit lang mit ihrer Mutter verheiratet«, erklärte Nick.

Daisy erstarrte. Diesen Umstand betrachtete er als die stärkste Verbindung zwischen ihnen? Es sollte sie eigentlich nicht verletzen – nicht nachdem er sie schon so oft auf andere Weise verletzt hatte. Und doch tat es weh. Sie wäre ihm am liebsten ins Gesicht gesprungen, um ihn ihrerseits zu verletzen, aber sie wollte verdammt sein, wenn sie ihn merken ließe, wie sehr er sie immer noch treffen konnte.

Hinter ihr horchte Reg auf und lieferte ihr die Ablenkung, auf die sie sich konzentrieren konnte. »Ach ja?«, fragte er. »Welche Ehe war das denn?«

»Ihre dritte«, sagte sie.

»Bei meinem Vater war es die fünfte«, steuerte Nick bei.

Reggie – dem Himmel sei’s gedankt – ignorierte ihn. »Das muss dann dieser reiche Kerl gewesen sein, stimmt’s? Der, der deine Mom auf die erste Seite aller Boulevard-Blätter brachte?«

Daisy warf Nick einen warnenden Blick zu. Wehe, er sagte auch nur ein Wort. Wenn er wusste, was gut für ihn war, hielt er die Klappe. Denn schuld daran, dass ihre Mutter von diesem Journalistenpack verfolgt worden und in die Schlagzeilen geraten war, war sein Vater.

Nick sah sie nur gleichmütig an, und fest entschlossen, sich wie eine Erwachsene zu benehmen, erwiderte sie seinen Blick mit demselben Gleichmut. »Tja, Coltrane, wie lange ist das eigentlich her, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben? Sechs, sieben Jahre?« Als ob sie das nicht auf die Minute genau wusste.

»Neun.«

»So lange? Meine Güte. Die Zeit vergeht wirklich wie im Flug, wenn dich keiner ärgert. Was treibt dich zu mir?«

»Äh, er ist unser Zwei-Uhr-Termin, Daise.«

Langsam, ganz langsam drehte sie sich zu ihrem Sekretär um. »Er ist was?«

Reggie hielt abwehrend die Hände hoch. »Was sollte ich denn tun? Als ich den Termin machte, hatte ich doch keine Ahnung, dass er dein Stief ...«

»Ich bin nicht ihr Bruder«, fiel Nick ihm energisch ins Wort. In seiner Stimme lag eine gewisse Schärfe.

Daisy wandte ihm wieder ihre Aufmerksamkeit zu. »Nein«, sagte sie, »diese Rolle hast du mit Sicherheit nie gewollt. Hab ich Recht?«

Er begegnete ihrem bösen Blick, ohne mit der Wimper zu zucken. »Nein, die wollte ich nicht. Und wenn du bis heute noch nicht dahinter gekommen bist, warum nicht, bist du nicht halb so schlau, wie ich immer dachte.«

Sie spürte, wie ihr Gesicht wieder in Flammen stand, wegen der Erinnerung und auch aus Scham. »Du möchtest mich engagieren?«, fragte sie ungläubig.

»Ich möchte am liebsten einen Riesenbogen um dich machen.«

»Dann geh am besten nach Hause«, schlug sie vor und war sehr stolz auf ihren vernünftigen Ton. »Ich habe keine Zeit für die neckischen Spielchen reicher Jungs. Ich habe zu arbeiten.«

Nick sah sich um. »Ja, natürlich, ich seh ja, dass die Kunden bei dir Schlange stehen. Wie bekommst du das nur alles auf die Reihe?«

Bitte, lieber Gott, lass mich ihm eine knallen, nur ein einziges Mal. Nur eine nette, saftige Ohrfeige. Dann werde ich dich auch nie wieder um etwas bitten. »Goodbye, Nick.« Der Faltenrock wirbelte ihr um die Beine, als sie sich auf dem Absatz umdrehte und zu ihrem Büro marschierte.

»Warte, Daisy.«

Widerstrebend wandte sie sich wieder zu ihm um. Sie war sich bewusst, mit welch regem Interesse Reggie die Situation verfolgte. Großartig. In derselben Minute, da Nick weg war, würde er über sie herfallen, und dieses Fiasko würde nie eines natürlichen Todes sterben dürfen. Mit steinerner Miene sah sie Nick an.

»Ich entschuldige mich«, sagte er. »Das war völlig daneben. Ich möchte wirklich deine Dienste in Anspruch nehmen.«

Verflucht. Die Hand, mit der sie ihn zu ihrer Bürotür wies, zitterte vor Aufregung, und sie stieß frustriert die Luft aus. »Komm in mein Büro. Reg, ich möchte keine Anrufe durchgestellt haben.« Genau genommen waren die Drähte in letzter Zeit nicht gerade heiß gelaufen, aber das brauchte Nick ja nicht zu wissen.

Die Wände schienen sich in dem Moment, als Nick über die Türschwelle trat, um sie zusammenzuziehen. Sie hatte ganz vergessen, wie groß er war. Das wurde ihr erst wieder bewusst, als er an ihr vorbeiging und sie sich in Augenhöhe mit seinem Schlüsselbein befand. Als seine Kamera ihre Brust streifte, schoss ihr Blick hoch und wurde von seinen Augen festgehalten. Sie riss sich mit Gewalt los und deutete rüde auf den Besuchersessel vor ihrem Schreibtisch. »Nimm Platz!«

Wütend darüber, dass sie nach all diesen Jahren immer noch nicht immun gegen ihn war, drängte sie sich hastig um den Schreibtisch und ließ sich in ihren eigenen Sessel fallen. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und warf ihm einen leidenschaftslosen Blick über den Schreibtisch zu. Ohne Reggie als Zuhörer fühlte sie sich nicht gezwungen, auf ihre guten Manieren zu achten. »Was, zum Teufel, tust du hier, Coltrane?«

Eine ausgezeichnete Frage. Eine Frage, die Nick sich seit der Minute, da er durch die Tür geschritten war und Daisy über den Schreibtisch ihres Sekretärs gebeugt gesehen hatte, schon selbst gestellt hatte. Er hätte sich an zig andere Sicherheitsfirmen wenden können, und zwar am besten an eine, die sich möglichst weit weg von einer Daisy Parker mit großen Augen und Oberlehrergehabe befand. Sie hatte irgendetwas an sich, was bei ihm unvermeidlich Gefühle auslöste, die er besser nicht gefühlt hätte.

Aber als er mit seinen Erkundigungen begonnen hatte, war unentwegt ihr Name als eine der besten Adressen in diesem Geschäft genannt worden. Gleichzeitig war ihm von mehr als einer Seite zu Ohren gekommen, dass sich ihre gerade im Aufbau begriffene Firma kaum über Wasser halten konnte. Warum also nicht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen und ihr den Auftrag zuschanzen? Das würde ihr helfen, und er bekäme den Schutz, den er brauchte, zu einem Preis, den er sich leisten konnte.

Zum Teufel, diese Nacht im Mark Hopkins lag Jahre zurück. Sie waren beide erwachsen genug, um sie zu vergessen.

»Ich brauche deine Dienste«, sagte er kühl.

»Was ist los, Coltrane – hat dich dein Lotterleben am Ende womöglich eingeholt?«

Er hatte den gesamten Weg hierher hin und her überlegt, wie viel er ihr erzählen sollte. Bis zu diesem Moment hatte er tatsächlich in Erwägung gezogen, mit der vollen Wahrheit herauszurücken, aber man brauchte kein Intelligenzbolzen zu sein, um zu sehen, dass das nicht funktionieren würde. Er würde damit zu viele wunde Punkte von Daisy treffen.

Die ganze Geschichte hatte damit begonnen, dass er am Samstag nicht seine gewohnten hundertfünfzig Prozent gegeben hatte. Er stand in dem Ruf, spitzenmäßige Fotos, Fotos, die ihresgleichen suchten, abzuliefern. Die Leute behaupteten, sie seien ungeheuer expressiv. Um ehrlich zu sein – in dieser Beziehung stellte er sein Licht auch nicht unter den Scheffel: Er hatte wirklich einen sechsten Sinn oder ein inneres Auge, auf jeden Fall irgendetwas, was einfach wusste, wann er auf den Auslöser zu drücken hatte. Deshalb gelang es ihm immer wieder perfekt, das Wesentliche einer Situation einzufangen und auf den Punkt zu bringen. Und da er mit seiner Nikon so gut wie verheiratet war, vergaßen die Leute oftmals, dass sie überhaupt da war.

Das Ergebnis war, dass er manchmal Situationen auf den Film bannte, die genügend Sprengstoff hatten, um den Ruf eines Menschen zu beschädigen oder gar zu zerstören. Die Boulevardpresse bot ihm routinemäßig ein kleines Vermögen an, falls er sich entscheiden sollte, irgendeines dieser peinlichen Fotos herauszurücken. Aber er vernichtete stets die Negative. Nachdem er als Mitglied der Gesellschaft, die ihn beschäftigte, aufgewachsen war, wusste er sehr wohl, dass er einen wesentlichen Teil seines Erfolgs seiner Diskretion verdankte.

Doch am Samstagnachmittag hatte er, kurz bevor er sich auf den Weg zum Pembroke-Anwesen im Weinanbaugebiet gemacht hatte, einen beunruhigenden Anruf von seiner Schwester bekommen. Deshalb war er bei der großen Hochzeitsgesellschaft nicht so konzentriert wie üblich bei der Sache gewesen.

Aber wer hätte auch gedacht, dass die sonst so besonnene, überlegte Maureen etwas tun würde, was ihr so überhaupt nicht entsprach, dass sie nämlich die kriminelle Energie aufbringen würde, in ihrer Immobilienfirma Gelder zwischen den Anderkonten zu verschieben? Er zweifelte keine Sekunde daran, dass sie es für einen guten Zweck getan hatte. Ihre Neigung, die Probleme anderer zu lösen, war hinreichend bekannt. Dennoch war es idiotisch. Klar war auch, dass sie in ernsthafte Schwierigkeiten geraten würde, da sich die Courtage, mit der sie fest gerechnet hatte und von der sie die Summe zurückzahlen wollte, in Luft aufgelöst hatte, als der Verkauf eines Apartmenthauses in Nob Hill ins Wasser gefallen war.

Er hatte sich das Gehirn zermartert, wie man ihr helfen könnte, und Bitsy Pembrokes Hochzeit mehr mechanisch fotografiert. Das war zweifellos der Grund dafür, warum ihm auch entgangen war, was sich im Hintergrund abspielte.

Nachdem er die Pembrokes verlassen hatte, war er direkt nach Monterey gefahren, wo er einen Sonntagstermin hatte. Bei dieser Arbeit klappte es mit der Konzentration besser. Dennoch hatte er Mos Dilemma nach wie vor im Hinterkopf, als er gestern Abend aus seinem Auto geklettert und damit konfrontiert worden war, dass zwei muskelbepackte Schlägertypen seine Dunkelkammer in der Garage auseinander nahmen. Sie hatten sich auf ihn gestürzt und die Herausgabe seines Films verlangt.

Sie hatten allerdings nicht spezifiziert, von welchem Shooting. Und er hatte ihnen nicht freiwillig verraten, dass das ganze Filmmaterial der letzten zwei Tage in seiner Sporttasche war, die hinter dem Fahrersitz stand. Stattdessen hatte er unter dem Eindruck all der zerfetzten Kontaktabzüge anderer Shootings gemeint, sie sollten ihm doch den Buckel runterrutschen – ein Vorschlag, an dem sie jedoch Anstoß genommen hatten.

Seine Nikon hing ihm wie gewöhnlich um den Hals, und sie hatten ihm eine letzte Chance gegeben, die Dinge friedlich zu regeln und ihnen die Kamera freiwillig auszuhändigen. Er hatte abgelehnt, und bevor das Heulen von Polizeisirenen die Party schließlich beendet hatte, hatten sie ihm bei dem Versuch, sie sich gewaltsam zu holen, die Schulter ausgerenkt.

Dem Polizisten, der dann bei ihm glücklicherweise aufgekreuzt war, hatte er alles erzählt, was er wusste. Aber das war sehr wenig. Erst als er aus der Notaufnahme wiederkam, war er in der Lage gewesen, den Film zu entwickeln, auf den die Schläger so scharf gewesen waren. Zuerst hatte er rein gar nichts gesehen, was eine Prügelei wert gewesen wäre. Er musste erst einen Ausschnitt nach dem anderen vergrößern, bevor er entdeckte, was er nach dem Willen der Schläger besser nicht entdecken sollte.

Er war wie vom Blitz getroffen.

Bitsy hatte in letzter Minute darauf bestanden, dass er sie und ihren Bräutigam in dem Pavillon aufnahm. Im Hintergrund befand sich ein herrlich restauriertes Pförtnerhäuschen. Und in diesem Häuschen hatten ein Mann und eine Frau Sex miteinander. Man konnte sie, sofern man wusste, wonach man suchen sollte, durch ein Fenster erkennen.

Überraschend war nicht etwa, dass zwei es miteinander trieben. Die Leute kippen sich bei solchen Feierlichkeiten manchmal mehr Champagner in die Kehle, als klug ist, und dann schlagen sie in einer Weise über die Stränge, wie sie es nie gewollt hatten und was sie dann hinterher jahrelang bereuten. Er war, weiß Gott, ein lebender Beweis dafür.

Der Schocker war die Identität des Mannes.

J. Fitzgerald Douglass war eine Ikone, der große alte Mann der San Franciscoer Gesellschaft. Im Alter von sechzig Jahren hatte er einen geradezu legendären Ruf. Er hatte einen maroden Familienbetrieb geerbt und ihn zu einem Multimillionen-Dollar-Unternehmen gemacht. Danach hatte er sich der Wohltätigkeit verschrieben und einen großen Teil seiner Profite Bibliotheken und Kirchen gestiftet.

Seine moralische Rechtschaffenheit war sprichwörtlich, und nach dem, was in letzter Zeit quer durch die Medien kolportiert wurde, galt seine Berufung zum amerikanischen Botschafter eines zwar kleinen, aber strategisch wichtigen Landes im Mittleren Osten als sehr wahrscheinlich. Alle hielten die Sache für gegessen – es bedurfte nur noch der Zustimmung eines konservativen Kongresses. Und da niemand konservativer war als Douglass, schien alles nur noch Formsache.

Was, zum Teufel, hatten also die verheirateten Hände dieses lebenden Denkmals für Sitte und Anstand an einer Frau herumzufummeln, die jung genug war, um seine Enkeltochter sein zu können?

Angesichts der Tatsache, dass Douglass’ Gorillas Nick einen verrenkten Arm, eine verwüstete Dunkelkammer und einen unglücklichen Versicherungsagenten hinterlassen hatten, hielt sich seine Sympathie für den alten Mann in extrem engen Grenzen. Aber dafür wusste er jetzt, wie er an das Geld für Mo kommen konnte. Er würde seinen eigenen eisernen Grundsatz brechen und die verdammten Aufnahmen an die Boulevardpresse verkaufen.

Das brauchte Daisy seiner Meinung nach aber nicht zu wissen. Auch wenn der rasende Schmerz seiner ausgekugelten Schulter nach dem Einrenken in der Notaufnahme sofort nachgelassen hatte, hatte er immer noch einen gewaltigen Bluterguss, der sich von der Schulter bis zum Ellenbogen zog. Er konnte den Arm zwar bewegen, aber er hatte in ihm keine Kraft, so dass er für ihn von keinerlei Nutzen wäre, falls Douglass’ Gorillas erneut auftauchen sollten. Womit mit Sicherheit so lange zu rechnen war, bis sie den Film, den sie suchten, in die Finger bekämen.

Er brauchte einen Bodyguard. Daisy brauchte Aufträge. Was machte es da für einen Sinn, ihr davon zu erzählen, dass er ausgerechnet das plante, was sie unter gar keinen Umständen gebilligt hätte?

Vor seinem Gesicht schnippten Finger. »Suchst du nach deinem verlorenen Schlaf?«

Er griff nach ihrer Hand und schob sie aus seinem Gesichtsfeld. »Nein, ich denke nach.« Er schüttelte die Empfindungen ab, die die plötzliche Berührung mit sich brachte, und ließ sie los.

»Dann kannst du mir ja vielleicht erzählen, warum du meine Dienste in Anspruch nehmen willst.« Sie rieb sich die Hand an ihrem Rock ab und musterte ihn dabei nachdenklich. »Warum wendet sich ein piekfeines Bürschchen wie Nicholas Sloan Coltrane nicht an eine der Nobeladressen?«

»Wer sagt denn, dass ich das nicht getan habe? Aber die Uptown-Firmen verlangen auch Uptown-Honorare, Daisy.« Was auch stimmte, obwohl er keine von ihnen wirklich in Betracht gezogen hatte.

»Und was bin ich dann? Der Aldi der Sicherheitsexperten?« Sie sprang auf und stocherte mit einem Finger Richtung Tür. »Raus hier, Nick. Von der Sekunde an, als ich dein Lügengesicht sah, wusste ich bereits, dass dies hier ein Fehler ist.«

Er musterte ihre langen Beine, ihre großen blitzenden Augen und ihre vor Entrüstung glühenden Wangen und sagte: »Daisy, ich spreche die Wahrheit. Du bist das, was ich mir leisten kann, okay?«

Verärgert stieß sie den Atem aus. Aber sie nahm immerhin wieder Platz. Sie warf einen gezielten Blick auf die Rolex an seinem Handgelenk und auf seinen Cashmere-Pullover. »Und du erwartest allen Ernstes von mir, dass ich dir abnehme, dass deine Mittel begrenzt sind?«

»Zum Teufel, ja, meine Mittel sind begrenzt! Das Familienvermögen ist längst über den Jordan, und ich lebe von dem, was ich verdiene. Dad hatte sechs Frauen, und die kosteten ihn nicht gerade wenig, vor allem nicht, wenn’s ans Goodbye-Sagen ging, mein Püppchen.« Sein Vater hatte sein Geld auch noch auf weit schlimmere Art verpulvert, aber das ging sie, verdammt noch mal, nichts an.

»Ach, ich bitte dich. Dein Vater hat keinen Cent rüberwachsen lassen, als er meine Mom und mich vor die Tür jenes großen weißen Hotels, das ihr Coltranes euer Zuhause nanntet, gesetzt hat. Ich wette, er hat sogar noch richtig Kohle gemacht, als er sich diesen Bullshit über meine Mutter ausgedacht und an die Boulevardpresse verkauft hat.« Sie knurrte angewidert. »Sie und ich dagegen hatten nichts weiter als unsere Klamotten auf dem Leib, als wir zurück in die Vorstadt zogen. Und wir hatten verdammt Glück, dass wir wenigstens das hatten.«

»Du willst jetzt von mir hören, dass mein Vater deine Mutter über den Tisch gezogen hat, ja? Ich gebe es zu. Aber das war er, Daisy – nicht ich.«

»Dann ist das wohl eine Erbkrankheit, was?«

Zu plötzlich und zu übermächtig, um sich dagegen wehren zu können, explodierten auf einmal die Erinnerungen an den Abend von Mos Hochzeit in Nicks Kopf: Daisy in ihrer ganzen Erregung, wie sie auf ihn einging, wie sie sich unter ihm bewegte, wie ihr der blonde Pony im verschwitzten Gesicht klebte, ihre schokoladenbraunen Augen mit dem verschleierten Blick unter den schweren Lidern, ihr frischer, frecher Mund, der sich ihm dieses eine Mal so ganz unterordnete, ohne jeden Widerspruch.

Er kämpfte die Bilder mit Gewalt nieder und zwang sich, ihrem Blick ruhig zu begegnen. »Stimmt, ich habe mich wohl auch schlecht benommen.«

»Aber, aber, boys will be boys. Du konntest gar nicht anders, stimmt’s? Du bist doch aus demselben Holz geschnitzt wie der alte Dad.«