Das Buch
Zander Donovan, erfolgreicher Rennfahrer, liebt seinen Job. Doch dann dringt etwas aus seiner Vergangenheit ans Licht, und seine Karriere scheint zu Ende. Nachdem er seine Sponsoren verloren hat und von seinem Team gefeuert wurde, sucht er Zuflucht in Pine Ridge. Aber das Haus seines Freundes ist nicht so verlassen, wie er gedacht hatte.
Getty Caster ist ihrem alten Leben, ihrem gewalttätigen Mann und ihrem Vater endlich entkommen. Ohne das Geld ihrer Familie muss sie auf eigenen Beinen stehen und arbeitet als Barkeeperin in Pine Ridge. Eine Freundin überlässt ihr ein Haus am Strand, wo sie endlich zur Ruhe kommen will. Doch ein ungebetener Gast wartet hier auf sie. Zander ist zwar unfassbar attraktiv, aber Gesellschaft kann Getty gerade überhaupt nicht gebrauchen.
Die Autorin
K. Bromberg lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern im südlichen Teil Kaliforniens. Wenn sie mal eine Auszeit von ihrem chaotischen Alltag braucht, ist sie auf dem Laufband anzutreffen oder verschlingt gerade ein kluges, freches Buch auf ihrem eReader.
Lieferbare Titel
Driven. Verführt
Driven. Begehrt
Driven. Geliebt
Driven. Die Lovestory von Rylee und Colton
Driven. Verbunden
Driven. Tiefe Leidenschaft
Driven. Bittersüßer Schmerz
Driven. Starkes Verlangen
K. BROMBERG

Roman
Aus dem Amerikanischen
von Kerstin Winter
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
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Die Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel Down Shift bei Berkley.
Deutsche Erstausgabe 02/2020
Copyright © 2016 by K. Bromberg
Copyright © 2020 der deutschsprachigen Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag,
München in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Redaktion: Uta Dahnke
Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München,
unter Verwendung von Shutterstock, Alex Volot
Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln
ISBN 978-3-641-25867-2
V001
www.heyne.de
Zander
Blut.
So viel Blut. Meine Hände sind voll davon, und es dringt nass und klebrig durch meine Schlafanzughose – die Scooby-Doo-Hose mit dem Loch am Knie von der netten Frau mit der komischen Brille bei der Heilsarmee.
Lieber denke ich an sie, an ihre komische Brille, und nicht an das viele Blut.
Es ist überall. Und es kommt immer mehr, immer mehr.
Es hört einfach nicht auf.
Was soll ich nur machen?
Staub tanzt in der Luft. Winzige Partikel wirbeln in den Lichtstreifen, die durch den Spalt zwischen Jalousien und Fensterrahmen ins Hotelzimmer dringen. Meine Sicht ist verschwommen. Mein Hirn erschöpft.
Und benebelt.
Weil Alkohol die Träume, die einfach nicht aufhören wollen, erträglicher macht. Träume, die keine echten Träume mehr sind. Die eingesetzt haben, als ich vor drei Wochen den Karton geöffnet habe und das Stück Papier fand, das meine Welt in ihren Grundfesten erschüttert hat.
Erneut setze ich die Flasche Jameson an und nehme einen tiefen Schluck. Kein Brennen mehr in der Kehle, die Wärme nur flüchtig. Und doch reicht der Alkohol aus, um meinen Verstand zu betäuben. Damit die Träume verblassen.
Damit die Wahrheit in einem anderen Licht erscheint.
Die Pflaster. Hastig klebe ich eins nach dem anderen auf; die Schachtel ist fast leer. Aber sie helfen gar nicht. Das Blut läuft und läuft. Es hört einfach nicht auf.
Was soll ich nur machen?
Noch einen Schluck. Und noch einen.
Ich bin so müde. Aber ich hab’s auch so satt. Ich hab’s satt, mich fragen zu müssen, ob meine Adoptiveltern Bescheid wussten. Natürlich wussten sie es. Warum mich also anlügen? Hatte ich kein Recht darauf, zu wissen, was in diesem Bericht steht? Sodass ich mich damit hätte auseinandersetzen können? Um es zu verarbeiten?
Verdammt, doch! Verdammt, nein. Ich weiß es einfach nicht.
Noch einen Schluck. Und gleich noch einen hinterher.
Die Schere. Ein silbernes Glänzen an ihrem Hals. Das dunkle Rot, das durch meine Finger quillt, als ich versuche, sie wieder heil zu machen. Ihr zu helfen. Sie zu retten. Das Blut zu stoppen.
Der Geschmack nackter Angst. Mein Wimmern und Flehen. Was soll ich nur machen?
An all das kann ich mich erinnern, warum also nicht daran, ob ich es getan habe oder nicht? Aber offenbar habe ich es. So steht es in dem Bericht. Warum sollte der lügen?
Moment mal. Die Sonne scheint. Ich sehe den Staub tanzen. Es ist Tag? Seit wann denn das?
Ich hebe die Flasche an. Leer. Hole tief Luft. Lasse mich im Sessel zurückfallen. Keine Chance mehr, zu vergessen. Verdammt.
Ich fahre zusammen, als jemand an meine Tür hämmert. Dabei hätte ich damit rechnen müssen. Ich weiß schließlich, dass ich gerade wieder Mist baue. Nur interessiert mich das bei allem, was mich sonst so umtreibt, überhaupt nicht.
Ich weiß, wer draußen steht, noch ehe ich die Stimme höre. War schon klar, dass er irgendwann hier aufkreuzen würde. Und natürlich ist er stinksauer – was sonst?
Soll er doch.
»Zander!« Seine Faust hämmert gegen die Tür und dröhnt wie Donner in meinem Kopf. »Mach auf.« Wieder das Dröhnen. »Mach verdammt noch mal die Tür auf.«
Und als ich schließlich gehorche, ist das Licht im Flur, passend zum Donner, grell wie ein Blitz. Schützend halte ich mir den Unterarm vor die Augen, doch es bringt nicht viel, bis er das Licht mit seinem Körper abschirmt.
Colton. Mein Mentor. Mein Chef. Der Mensch, der mich besser kennt als jeder andere.
Mein Vater. Okay, Adoptivvater, aber spielt das eine Rolle?
Wir sehen einander an. Sein Blick verrät Sorge, aber auch Verärgerung, als er meine verknitterte Kleidung mustert – noch die von gestern – und betont in der Luft schnuppert, um mir klarzumachen, dass er den Schnaps riechen kann, der mir wahrscheinlich aus allen Poren dringt.
Doch. Es spielt eine Rolle.
Lügen spielen eine Rolle. Vor allem, wenn sie von Leuten stammen, die dich angeblich lieben.
»Hast du nicht etwas vergessen?«
Sein Tonfall ist beißend, und ich habe zu viele Promille im Blut, um meine Worte mit Bedacht zu wählen.
»Ich wüsste nicht, was«, antworte ich und will ihm die Tür vor der Nase zuschlagen.
Er rammt seine flache Hand dagegen, und mit einem ohrenbetäubenden Krachen prallt die Tür im Zimmerinneren gegen die Wand. Ich habe seinen Zorn verdient, das weiß ich, aber in meinem trunkenen Zustand fällt es mir schwer, auch nur einen feuchten Kehricht darum zu geben.
Seine Schulter stößt mir gegen die Brust, als er eintritt und das Licht einschaltet, und es kostet mich meine ganze Kraft, nicht die Beherrschung zu verlieren und mit den Fäusten auf ihn einzuprügeln, um Frust, Wut, Unglaube und alles, was sich noch in mir aufgestaut hat, an ihm auszulassen.
All den Kram, den ich selbst zu verantworten habe, aber lieber auf ihn schiebe. Und auf Rylee, meine Adoptivmutter. Auf die ganze verdammte Welt.
Und plötzlich wird mir beinahe übel von meinen eigenen Gedanken. Wie kann ich ausgerechnet den Mann angreifen wollen, dem ich alles verdanke? Und doch tauchen prompt wieder die Bilder auf: das Blut. Die Pflaster. Die Schere.
Meine Mom.
Die Wahrheit, die mein Hirn vor mir verborgen hat.
Die Wahrheit, die es vor mir hat verbergen wollen.
Die Fäuste geballt und am ganzen Körper bebend, bleibe ich stehen, wo ich bin, und kämpfe den Zorn zurück, der seit ein paar Wochen in mir tobt, ohne ein Ventil zu finden.
»Weißt du, was ich nicht kapiere?«, fragt er wie beiläufig, als er die leere Whiskeyflasche vom Boden aufhebt und mit einem kleinen, freudlosen Lachen auf das unberührte Bett wirft. »Warum?«
Eine echte Fangfrage. Die so viel Ballast mit sich bringt, dass ich gar nicht erst anfangen will, es ihm zu erklären. Obwohl es mich in den Fingern juckt. Ich weiß nur nicht, ob ich mit dem, was ich damit auslöse, umgehen kann.
Also antworte ich nicht. Die Frage hängt in der abgestandenen Luft des Hotelzimmers, und die Stille lastet auf mir, während er sich umsieht. Nach ein paar Sekunden begegnet er meinem Blick erneut. »Warum?«, wiederholt er die Frage. Und ich beschließe, auch weiterhin das Arschloch zu geben. Das ist so viel einfacher, als laut auszusprechen, was ich selbst noch immer nicht glauben will.
»Warum was?«, kontere ich mit vor Sarkasmus triefender Stimme, die impliziert, dass es ihn einen Dreck angeht.
»Das hier ist kein Witz, Junge.« Er zieht missbilligend eine Augenbraue hoch und schüttelt wieder den Kopf.
Seine Enttäuschung ist auch etwas, womit ich mich nicht auseinandersetzen will. Fragen steigen in mir auf. Schwären wie eine Wunde. Brennen sich in mich, bis ich die Bitterkeit nicht mehr unterdrücken kann.
»Schon klar. In letzter Zeit bin der Witz ja ich.« Der Autopsiebericht blitzt erneut vor meinem geistigen Auge auf und schürt meinen Zorn noch.
Seine Augen werden schmal. Meine Feindseligkeit muss ihm wehtun. »Damit hast du verdammt noch mal recht«, sagt er schließlich.
Erst jetzt nehme ich sein T-Shirt und die Trainingshose wahr. Es ist sein Glücksoutfit, das er gewöhnlich unter dem Rennanzug trägt.
Und endlich kapiere ich auch, dass ich tatsächlich Mist gebaut habe – und wie! Es ist Tag. Ich sollte ganz woanders sein und etwas anderes tun, als mich bis zur Bewusstlosigkeit zu betrinken.
Er sieht mir offenbar an, dass es mir dämmert. »Ah. Dir ist es also entfallen? Die Trainingsfahrt für die letzten Anpassungen? Oder ist dir vielleicht sogar das komplette Rennen morgen entfallen? Na ja, nach dem gestrigen Abend würde ich an deiner Stelle auch am liebsten alles vergessen, was mich an Alabama erinnert.«
Bei seiner letzten Bemerkung blitzen Erinnerungen auf: laute Musik, die fette Rechnung aus dem VIP-Bereich der Bar, Groupies, die etwas von mir wollen. Alle wollen was von mir.
Viele Hände, Gedränge, ein Handgemenge. Alle schubsen und schieben.
Genug!
Smitty, der mich zurückhält, meine Arme mit eisernem Griff umklammert. Aber wieso? Was zum Henker ist geschehen? Ich kann mich nur noch daran erinnern, dass er mich hier abgesetzt hat. Im Hotel. Meinem Zuhause für diese Woche.
»Ich hab einfach ein bisschen Spaß gehabt«, sage ich verächtlich, um die Lücken in meiner Erinnerung zu überspielen. »Was geht dich das an?«
Mit einem Satz ist er bei mir und drückt mich gegen die Wand. Er ist schnell. Das hätte ich nicht erwartet, aber bisher hatte ich ihn auch noch nie herausgefordert.
Wir starren einander an – Vater und Sohn, Mentor und Schützling, Chef und Angestellter, und doch nur zwei Männer –, und einen Moment lang erkenne ich in seinem Blick, wie sehr ich ihn gekränkt habe.
»Was es mich angeht? Was es mich angeht?«, knurrt er und wird mit jedem Wort lauter. »Wo genau soll ich anfangen? Zu Hause zu spät zum Training zu kommen ist eine Sache, Zander. Aber deine Sponsoren lächerlich zu machen, indem du sie bei dem aufwendigen Abendessen, das sie nur für dich organisiert haben, einfach versetzt, um nebenan in der Bar zu sitzen und so laut zu lachen, dass sie dich hören können, ist unverzeihlich! Und dann der endlose Strom mehr als fragwürdiger Frauen, mit denen du dich überall blicken lässt – Herrgott, Zander! In deinem Alter war ich genauso wild auf Erfahrungen, aber sogar ich hatte gewisse Ansprüche.«
Ich verdrehe die Augen und schnaube verächtlich. Meint er ernsthaft, ich kaufe ihm diese Heiligennummer ab? Ich kenne doch all die Geschichten von früher. Als hätte er sich damals nicht ausgetobt!
»Hältst du das für witzig?«, fährt er mich an und stößt mir erneut gegen die Brust. »Die wichtige Testfahrt vor einem Rennen zu verpassen, bei dem du der Fahrer bist und eine gottverdammte Meisterschaft gewinnen sollst, halte ich absolut nicht für witzig. Du tauchst einfach nicht auf. Ohne ein Wort zu sagen. Lässt deine Leute hängen. Dein Team! Die ungefähr hundert Fans, die im VIP-Zelt treu auf ihren Star gewartet haben – und warum das Ganze? Weil du dich lieber mit billigem Whiskey besoffen hast wie irgendein Penner von der Straße. Na, komm, sag mir, du Wunderkind der Rennszene, ist das wirklich witzig?«
»Lass. Mich. Los«, presse ich hervor, obwohl mir der Druck seines Unterarms auf meiner Brust guttut.
Er tritt einen Schritt zurück, löst aber die Finger, die mich am Hemd gepackt haben, erst mit einem Moment Verzögerung. Ich rege mich nicht; sein Blick hält mich fest. Ich sehe Enttäuschung in seinen Augen, aber auch Besorgnis und eine Wut, die meiner in nichts nachsteht.
Ich konzentriere mich auf die Wut, denn sie kann ich nachvollziehen, wenn meine auch ganz andere Gründe hat als seine. Oder auch nicht. Was für eine Ironie – er ist sauer, weil er von seinem Sohn mehr erwartet hat, und ich bin es, weil ich von meinem Vater mehr erwarte.
»Du kommst zu spät, erscheinst total verkatert zum Training und lässt ohne Grund dein Team hängen. Du stößt Rylee vor den Kopf, benimmst dich mir gegenüber wie ein Arschloch und hältst deine Brüder auf Abstand. Und da fragst du mich noch, was es mich angeht? Vielleicht solltest du dir diese Frage selbst stellen.«
»Das ist alles nicht dein Problem.«
»Und ob das mein Problem ist. Alles, was dich betrifft, ist mein Problem, und im Augenblick drehst du durch.« Die Verbitterung in seiner Stimme lässt mir die Brust eng werden. »Du bist definitiv zu weit gegangen.«
»So wie du jetzt gerade?«, stoße ich hervor. »Lass mich verdammt noch mal in Ruhe. Hau ab!« Ich weiß, er hat recht, und ich weiß auch, dass ich meine Worte nicht zurücknehmen kann, aber es kümmert mich nicht.
Wieder tritt er einen Schritt auf mich zu, das Kinn erhoben, die Fäuste geballt. Seine Augen blitzen. Er hat die sprichwörtlichen Samthandschuhe ausgezogen. »Hör zu, ich hab’s kapiert. Irgendwas kocht in dir, aber du willst nicht darüber reden. Lieber attackierst du die Leute um dich herum und versuchst alles, was du dir hart erarbeitet hast, durch schwachsinnige Aktionen zunichtezumachen. Ja, ich kapiere es, Zander, und gerade deshalb solltest du gründlich darüber nachdenken, mit wem du es hier zu tun hast!« Er presst die Worte hervor, und natürlich weiß ich, worauf er anspielt. Er hat in seiner eigenen Kindheit massiven Missbrauch erfahren, weswegen er tatsächlich weiß, wie ich mich fühle. »Ich kenne den Hass, der in den Eingeweiden brennt und dein Herz verhärtet, aber er bringt dir nichts – gar nichts. Ich gebe mir Mühe, Geduld mit dir zu haben. Für dich da zu sein, wann immer du mich brauchst. Immer wieder habe ich dir angeboten, dir zuzuhören oder auf andere Art zu helfen, aber du willst nicht. Nun muss ich zusehen, wie du dir selbst alles kaputtmachst, und soll dich in Ruhe lassen? Abhauen? Du bist doch nicht mehr ganz richtig im Kopf.« Er verstummt, um wieder zu Atem zu kommen, während ich innerlich koche. Weil er recht hat. Weil ich unfähig bin, diesen Unsinn zu beenden und ihm die eine Frage zu stellen, die ich stellen muss.
Weil der Schmerz nicht nur meine Urteilskraft vernebelt, sondern auch den wahren Grund für meinen Zorn vor mir verbirgt.
»Ich habe die Presse abgewimmelt und Rylee ausgeredet, sich einzumischen. Ich habe dir alle Freiheiten gelassen, aber du hast dir deine eigene Grube gegraben, und jetzt kann ich dir nicht mehr helfen. Tja, Glückwunsch, Kumpel, Schluss mit lustig. Deine Sponsoren sind ausgestiegen.«
Was?
In der plötzlichen Stille rauscht das Blut in meinen Ohren. Ich kann nicht glauben, was er gerade gesagt hat. Ich will nicht glauben, was er gesagt hat.
Das ist seine Schuld. Das ist der einzige Gedanke, der durch meinen Kopf trudelt. Das hätte er verhindern müssen. Er hat mich im Stich gelassen. Wahrscheinlich hat er es sogar aktiv vorangetrieben, damit er mich wieder unter seine Kontrolle zwingen kann. Weil er alles kontrollieren will.
Einschließlich meiner Vergangenheit.
Gott, ich brauche einen Drink. Am besten eine ganze Flasche, um den ganzen Mist, der mir im Kopf umhergeht, zu vertreiben. Um das, was ich mir selbst zu verkaufen versuche, irgendwie zu rechtfertigen, obwohl es sich sogar in meinen Gedanken lächerlich anhört.
»Du lügst!«, brülle ich plötzlich, als ich es nicht mehr aushalte. In meinem Kopf kreisen so viele Gedanken, dass er anfängt, zu dröhnen, und fast tut der Schmerz mir gut.
»Ich würde dich niemals anlügen, Zander«, antwortet er, und seine Stimme ist, ganz im Gegensatz zu meiner, plötzlich ruhig. Gleichmäßig. Todernst.
Und seine Worte – die die Lüge schlechthin sind – entfachen die Glut, die seit einigen Wochen in mir glimmt, zu einer Stichflamme.
»Das ist Quatsch, und das weißt du ganz genau!«, brülle ich. Ich balle die Fäuste, die auf irgendetwas einprügeln wollen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mir keine Freunde mache, wenn ich den Putz von den Wänden dieses ach so schicken Hotels herunterhole. Mein Körper zittert vor Zorn, und ich kann mich nicht mehr beherrschen. »Du hast mich doch angelogen, du und …«
»Schau an, du hast also alles im Griff, ja?«, fragt Colton, noch immer ruhig, doch der drohende Unterton ist unverkennbar, verspottet mich in meinem irrationalen Zorn. »Seit wann ist es okay, auch nur darüber nachzudenken, seinem Vater eine zu verpassen?«
Du bist nicht mein Vater. Der Satz blitzt grell in meinem Kopf auf und brennt sich durch die Wut. Schockiert mich. Sät Gedanken, die mir noch nie in den Sinn gekommen sind. Und obwohl sie schwachsinnig sind, bleiben sie hängen. Färben die Wut, manipulieren die Worte.
»Ich hab mich absolut im Griff«, presse ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Ach ja?« Er schüttelt den Kopf, greift in seine Tasche und holt sein Handy hervor. Verwirrt und von dumpfer Furcht erfüllt, sehe ich ihm zu. Was hat er vor? Obwohl ich keine Ahnung habe, was er mir zeigen will, ahne ich tief in meinem Inneren, dass es nichts Gutes sein kann. Er wischt durch eine Reihe von Bildern, bis er gefunden hat, was er sucht. »Sagen wir einfach, du stehst verdammt tief in Smittys Schuld, Zee, denn ich werde für das, was du verbockst, nicht mehr aufkommen. Hier. Das war das einzige Foto, das gestern gemacht wurde. Sei froh, dass der VIP-Raum leer war, als es passierte. Smitty hat sich genug Sorgen um dich gemacht, um in deiner Nähe zu bleiben und aufzupassen, dass du nicht in Schwierigkeiten gerätst. Der einzige Reporter, der sich reingemogelt hatte, musste seine Kamera dem Rausschmeißer überlassen, weil er gegen die Hausordnung verstoßen hatte.«
Dass Colton den Blick nicht von dem Bild nimmt, macht mich nervös. Eine unbestimmte Furcht lockert den stählernen Griff der Wut, und mir schwant, dass es übel sein muss, wenn er eine solche Vorrede für nötig hält.
Erinnerungsfetzen geistern durch meinen Kopf. Eine heiße Blondine. Ein Kuss wie Sex. Ein Freund, der ausrastet. Explosives Testosteron. Und meine Worte: »Ich bin Zander Donovan, verdammt noch mal!«
Das kann nicht gut ausgegangen sein.
»Mach hier nicht einen auf Dramaqueen, sondern zeig’s mir einfach.«
»Dramaqueen?« Mit einem Schritt ist er wieder bei mir und hält mir das Display vors Gesicht, damit ich das Foto sehen kann. Sofort schalte ich auf Abwehr. So war das nicht. Unmöglich kann es so gewesen sein, wie das Foto es zeigt.
Wie auch der Traum von deiner Mom nicht die Wahrheit abgebildet hat.
Wie vom Donner gerührt, stehe ich da und starre auf das Display, während ich versuche, die Lücken zwischen meinen Erinnerungen und dem, was ich auf seinem Handy sehe, zu schließen. Das Schlimme ist, dass ich nicht sicher sein kann. Vielleicht hab ich es doch getan.
»Du denkst, ich mache hier eine Show, ja? Aber weißt du, Zander, für mich sieht das hier ziemlich eindeutig aus.«
Das Foto zeigt definitiv mich. Die Fäuste geballt, die Arme angewinkelt, mein Gesicht vor Wut verzerrt. Aber all das ist nichts gegen die Miene der Frau vor mir. Sie hat Angst. Und wie.
»Es war nicht so, wie es aussieht.« Ich schüttele den Kopf. Ihr Mistkerl von Freund muss außerhalb des Bildes, aber direkt neben ihr gestanden haben – nämlich genau dort, wohin meine Faust zielt. Für einen Sekundenbruchteil sehe ich in meiner Miene meinen Vater. Meinen biologischen Vater. Das Ungeheuer. Das gewalttätige Arschloch. Das nie zu werden ich mir geschworen habe.
Rigoros weise ich den Gedanken zurück.
»Aber du bist auf diesem Bild, Zander. Schau genau hin. Du meinst, es wäre unangenehm, einen Sponsor zu verlieren? Warte nur, bis dieses Bild an die Öffentlichkeit dringt – Zander Donovan und wie er mit Frauen umgeht! –, dann weißt du, was man alles verlieren kann. Gott, Zander …« Ungläubig schüttelt er den Kopf. »Aber du denkst, du hast alles im Griff, ja?«
Hör auf.
»Du brauchst Hilfe.«
Hör auf.
»Du musst mit jemandem reden.«
Hör auf.
»Das ist doch nicht der Sohn, den ich erzogen habe!«
Genug!
»Ich bin verdammt noch mal nicht dein Sohn, also spiel dich nicht als mein Vater auf!«, brülle ich aus vollem Hals und lege alles an Wut und Frustration und Angst hinein, was sich in den vergangenen Wochen aufgestaut hat. Ich will, dass es aufhört. Der Schmerz, die Verwirrung, die schreckliche Furcht. Ich will nicht, dass die Vergangenheit meine Zukunft bestimmt. Dass Lügen zur Wahrheit werden.
Er weicht zurück und starrt mich mit aufgerissenen Augen und offenem Mund an. Ich kann förmlich sehen, wie er sich zusammenreißen muss. Wie er zu begreifen versucht, was ich gerade gesagt habe.
Allein seine Miene müsste mich eigentlich bremsen, aber die Wahrheiten, die er mir eben entgegengeschleudert hat, sind wie Öl aufs Feuer meiner Wut. Es lodert höher, verbrennt Vernunft, Verständnis und Selbstbeherrschung zu Asche.
Doch Colton fasst sich schnell. Er richtet sich zu voller Größe auf. »Wie bitte?« Seine Stimme ist unterkühlt, ruhig, die Warnung darin unmissverständlich. Der lärmende Zorn meines Vaters ist beeindruckend, seine tödliche Ruhe aber wahrhaft beängstigend. Ich sollte einen Rückzieher machen.
Doch ich pfeife auf alle Vernunft.
»Du hast mich sehr gut verstanden.« Unsere Blicke begegnen einander, und die Spannung im Raum lastet schwer auf uns.
»Ja. Laut und deutlich.« Seine Stimme bleibt ruhig, obwohl seine Augen spiegeln, wie sehr ich ihn verletzt habe, und schließlich steckt er sein Handy wieder ein. »Dann lässt du mir keine Wahl.« Er schaut wieder auf, und seine Miene ist reglos, emotionslos, hart. »Du bist gefeuert.«
»Bitte was?« Das wagt er nicht. Ich bin sein bester Fahrer. Amtierender Meister. Man bezeichnet mich nicht ohne Grund in der Branche als Wunderkind.
Doch als das Schweigen andauert und sich seine Haltung nicht ändert, wird der Kloß in meinem Hals immer größer, und plötzlich kann ich kaum noch schlucken.
»Du hast es gehört.«
Mein Lachen ist laut genug, um verächtlich zu klingen. Ich kann es nicht wirklich glauben, doch wenn er ein Mistkerl sein und diesen Weg einschlagen will – bitteschön! Ich brauche ihn und seine Lügen nicht. Ich brauche nichts von ihm.
Es ist ja nicht so, als wäre ich nicht schon früher auf mich allein gestellt gewesen.
Blut. Schere. Pflaster.
Der Selbstschutz kommt zuerst. Der Schmerz durchdringt mich, der Flecken auf der Seele ist schwärzer denn je. »Okay, kapiert.« Wieder starren wir einander an, dann schüttele ich den Kopf. »Ich komme sowieso besser allein klar.«
»Gut, dann viel Glück damit, Junge. Zander«, verbessert er sich, und der beißende Unterton ist unverkennbar. »Und versuch gar nicht erst, bei den anderen Teams unterzukommen. Erstens befinden wir uns mitten in der Saison, und zweitens werden sie sich hüten, dich einzustellen.«
»Das kannst du nicht machen.« Fassungslosigkeit mischt sich in meinen Zorn. Er wird den anderen Rennställen doch wohl nicht drohen.
»Nicht? Dann pass mal auf.« Er schenkt mir sein berühmtes Mistkerl-Grinsen, das seine Konkurrenten fürchten. »Ich bin länger dabei als du. Niemand setzt sich einfach darüber hinweg – nicht einmal für eine derart sichere Bank, wie du sie darstellst. Oh, Moment mal, du bist ja gar keine sichere Bank mehr, wenn deine Sponsoren laufen gehen, weil du nicht zur Trainingsfahrt aufkreuzt und man sich nicht einmal sicher sein kann, dass du das Rennen überhaupt fährst. Es ist ja nicht so, als ob sich dein Privatleben diskret abspielt.« Er lacht spöttisch. »Glaub einem erfahrenen Rennstallbesitzer. Du bist zu einem Risiko geworden, zu einer Belastung. Du magst so gut fahren wie kein Zweiter – ein wandelndes Pulverfass will niemand.«
Ich sehe rot, und obwohl ich weiß, dass ich mir selbst damit schade, ist mein Wunsch, ihn zu kränken, ihn zu verletzen, übermächtig. Mein Selbstschutzprogramm läuft auf vollen Touren.
»Verpiss dich, Colton«, erwidere ich mit vor Verachtung triefender Stimme, um in diesem Moment, in dem meine gesamte Existenz infrage gestellt ist, das Gesicht zu wahren. »Du und dein vermeintlicher Teamgeist. Dir geht es doch immer nur um den nächsten Sieg. Das nächste Preisgeld. Die Fahrer selbst sind dir doch egal. Du beutest sie aus – belügst sie, falls es sein muss –, Hauptsache, sie fahren. Ist es nicht so, Boss?«
»Deine Ansicht lässt mich kalt«, antwortet er und zieht eine Augenbraue hoch. Seine Stimme ist Eis pur. »Und wenn du meinst, dass dir das deinen Job zurückbringt, muss ich dich leider enttäuschen.«
»Fick. Dich.« Obwohl ein Feuer in mir tobt, verursacht mir sein kalter Blick eine Gänsehaut. Denn diesmal ist es ernst. Diesmal versucht er nicht, mir mit irgendeinem Psychogefasel zu kommen, um mich zur Vernunft zu bringen.
Stattdessen schrammt sein leises Lachen über meine Nerven. »Du schadest damit nicht nur mir, sondern auch allen anderen, die mit deinem Job zusammenhängen. Ich werde deinen Wagen keinem anderen geben und auch niemanden für dich einstellen. Ginge es mir nur um Geld, täte ich das wohl kaum, richtig? Was mir Sorgen macht, bist du. Du hast den Bogen längst überspannt und läufst Amok, und ich werde nicht tatenlos zusehen, wie du gegen die Wand fährst. Es tut mir leid, dass es so kommen musste, aber ich habe kein Problem damit, ein Arschloch zu sein, wenn ich dich damit wachrütteln kann. Retten kann. Denn darum geht es mir.«
Schweigend stehen wir voreinander – vor den Trümmern einer einst so starken emotionalen Verbindung. Zum ersten Mal, seit er an die Tür gehämmert hat, wird mir bewusst, wie müde er aussieht. Die Sorge hat tiefe Falten in sein Gesicht gegraben, und obwohl ich ihm noch so vieles entgegenschleudern will, wollen mir die Worte plötzlich nicht mehr über die Lippen kommen.
Mit einem letzten Nicken wendet er sich zum Gehen. Mein Blick folgt ihm, obwohl ich wünschte, er wäre schon fort, denn plötzlich wirkt er so besiegt, dass ich es kaum ertragen kann. Er greift nach dem Türknauf. »Nimm dir die Zeit, die du brauchst, Zee. Versuch zu klären, was immer du für dich klären musst. Und lass jemanden an dich ran, statt alle auszusperren. Es muss nicht ich sein und auch nicht Rylee oder sonst jemand, den wir kennen, aber tu es, vertraue dich jemandem an, öffne dein Herz. Manchmal braucht man einen frischen Blick, eine neue Sichtweise, um die Dinge wieder geradezurücken. Tauch ab für eine Weile, unternimm eine Reise, was auch immer, aber nutz die Zeit, um wieder zu dir zu finden. Ich wünschte, du würdest mit mir reden, aber ich weiß besser als die meisten anderen Menschen, dass man es manchmal nicht kann. Ich bitte dich nur, dich nicht von dem, was dich auffrisst, besiegen zu lassen. Du kannst es schaffen.« Seine Stimme kippt, und er muss sich räuspern, und am liebsten würde ich mir die Hände auf die Ohren pressen. »Ob du es so siehst oder nicht – du bist mein Sohn, und ich liebe dich, was auch immer du anstellst.«
Er öffnet die Tür, schließt sie hinter sich. Wieder tanzen Staubpartikel im Licht. Die Stille ist erdrückend.
Ich kämpfe gegen den Drang an, ihm hinterherzulaufen. Widerstehe dem Bedürfnis, zu brüllen, zu schreien, das Zimmer zu zerlegen, um mich auszutoben. Denn nichts würde danach besser sein.
Ich greife nach der Flasche Jameson auf dem Bett und führe sie an die Lippen, bis mir einfällt, dass sie leer ist. Das Geräusch der Flasche, die gegen die Wand kracht und zerspringt, ist ohrenbetäubend.
Kopfschüttelnd falle ich aufs Bett zurück. Versuche zu begreifen, was gerade passiert ist. Was ich nicht zu verhindern versucht habe. Was ich ohne Gegenwehr habe geschehen lassen.
Am lautesten tönt in meinen Ohren die Zurückweisung aus dem Mund des Mannes, der mir nicht nur Vater, sondern auch Vorbild war und dem ich so viel zu verdanken habe.
Ach ja? Kannst du es ihm verübeln?
Ich schließe die Augen und reibe mir mit den Händen über das Gesicht. Mein Rausch ist abgeebbt, der lindernde Dunst hat sich aufgelöst. Alles, was mir je wichtig war, ist mit einer zugeschlagenen Tür aus meinem Leben verschwunden: meine Familie, mein Job, meine Bodenhaftung. Ich spüre den Schmerz ungefiltert.
Aber meine Wut auch. Genau wie meine Unfähigkeit, die Vernunft einzuschalten. Und zu akzeptieren. Die Fragen zu stellen, die ich stellen muss.
Und mich zu entschuldigen.
Nein, verdammt. Ich denke ja gar nicht daran. Nicht ich bin derjenige, der gelogen hat.
Und ich würde niemals einer Frau drohen, sie zu schlagen, geschweige denn es tun. Das Bild auf Coltons Handy erscheint vor meinem geistigen Auge. Noch eine Lüge.
Der Zorn ist wieder da. Fehlgeleitet, aber zurück. Mein Körper ist rastlos, und ich bin zu aufgewühlt, als dass ich klar denken könnte. Klar denken will. Ich brauche bloß eine weitere Flasche Schnaps, um zu vergessen. Überlegen, was ich nun anstellen soll, kann ich später auch noch. Es scheint ja so, als hätte ich demnächst ziemlich viel freie Zeit zur Verfügung.
Und doch kann ich mich nicht dazu durchringen, aufzustehen und in die Bar zu gehen. Denn irgendwo tief in meinem Inneren meldet sich die Stimme des Zweifels, wird lauter und dringt in mein Herz, ohne dass ich es verhindern kann. Und ich weiß, dass es zwei Wahrheiten gibt, die ich akzeptieren muss, ehe ich wieder nach vorn schauen kann.
Ich bin Coltons Sohn.
Und ich bin derjenige, der meine Mutter umgebracht hat.