Institut für Entwerfen und Gebäudelehre Leibniz Universität Hannover — Fakultät für Architektur und Landschaft
VERLAGSLEKTORAT Julika Zimmermann mit Clemens von Lucius VERLAGSHERSTELLUNG Ines Sutter E-BOOK-PRODUKTION LVD Gesellschaft für Datenverarbeitung mbH, Berlin
Blick von der Lagune zum Campanile San Francesco della Vigna
Lage in Venedig
Lage im Arsenale
Konzept: Dach-, Mittel- und Eingangsebenen
Bestandshallen + Neue Füllung + Struktur + Räume —› Entwurf = Gesamtbild
Trag- und Erschließungsstruktur
Eingangshalle
Blick vom Canale delle Galeazze
DURCH DIE HÖFE
FRAUENKULTURZENTRUM IN CHONGQING
Shuying Lin
Flach und hoch
Städtebaulicher Teppich
Zwischen Park und Magistrale
Typologie des chinesischen Hofhauses: Yi-Jin: Hof des ersten Eintretens (1), Er-Jin: Hof des zweiten Eintretens (2), San-Jin: Hof des dritten Eintretens (3)
Traditionelle Elemente in der chinesischen Architektur: Wand, Tür, Korridor
STADTSTEINE, »Universitätsbibliothek Berlin« von Michael Johannes Cordes, freie Diplomarbeit im Wintersemester 2002/03, Mentoren: Prof. Hilde Léon, Prof. Alfred Grazioli
HANNOVER EXTREM, »Minimum—Maximum — Teutonia Kalkgrube Misburg«, Studienarbeit im Hauptstudium im Sommersemster 2003 von Sonja Frerichs & Kerstin Wehlitz
GLAZIALE EROSION, »Schulungsgebäude für Alpinisten in Flims« von Holger Meyer, freie Diplomarbeit im Sommersemester 2003, Mentoren: Prof. Hilde Léon, Prof. Zvonko Turkali
1000 BETTEN, »Marmolada Sport Resort Malga Ciapèla — Venetien« von Patrick Hass, freie Diplomarbeit im Wintersemester 2005/06, Mentoren: Prof. Hilde Léon, Prof. Zvonko Turkali
URBANE LANDSCHAFTEN, »Wohnquartier in San Donà di Piave — Venetien« von Sonja Tinney, freie Diplomarbeit im Sommersemester 2006, Mentoren: Prof. Hilde Léon, Prof. Dr. Udo Weilacher
ANONYME MONUMENTE, »Palais de Justice — Paris Rive Gauche« von Anca Timofticiuc, freie Diplomarbeit im Wintersemester 2006/07, Mentoren: Prof. Hilde Léon, Prof. Wilfried Kühn
DENKRÄUME, »Entree für ein neues Stadtviertel — Innovationszentrum Berlin« von Marius Mensing, Diplomarbeit im Wintersemester 2006/07, Mentoren: Prof. Hilde Léon, Prof. Jörg Friedrich
DIE ÖFFNUNG DER SCHACHTEL, »Tanzraum Berlin«, Studienarbeit im Hauptstudium im Wintersemster 2006/07 von Marie Henrike Haase & Adam Beard
INNERE ÖFFENTLICHKEIT, »Facoltà del Film Torino« von Inken Müller, freie Diplomarbeit im Sommersemester 2007, Mentoren: Prof. Hilde Léon, Prof. Jörg Friedrich
LERNEN UND SCHLAFEN, »Hotelfachschule Berlin«, Studienarbeit im Hauptstudium im Wintersemster 2007/08 von Laura Kienbaum & Simon Tourbach
DIE INNERE PERIPHERIE, »Centro Culturale Arsenale di Venezia« von Gesa Brink, Diplomarbeit im Wintersemester 2009/10, Mentoren: Prof. Hilde Léon, Prof. Zvonko Turkali
DURCH DIE HÖFE, »Frauenkulturzentrum in Chongqing« von Shuying Lin, freie Diplomarbeit im Wintersemester 2009/10, Mentoren: Prof. Hilde Léon, Prof. Eberhard Eckerle
HIER UND DORT, »Musikzentrum Schützenmatt — Busterminal Bern« von Julia Wurst, freie Diplomarbeit im Wintersemester 2009/10, Mentoren: Prof. Hilde Léon, Prof. Dr. Margitta Buchert
PFLICHTLEKTÜRE
Hilde Léon
MIT VOLLDAMPF INNEHALTEN
Er sei der beste lebende Architekt, soll Frank Lloyd Wright vor Gericht auf die Frage geantwortet haben, welchen Beruf er ausübe. Auf Nachfrage ergänzte er, dass ihm eben nichts anderes übrig bliebe, als gerade einem Richter die Wahrheit zu sagen. Diese Anekdote passt wunderbar in das Klischee über den Architekten: Selbstverwirklichung, Selbstverliebtheit, Hybris, wenn nicht sogar Größenwahn. Überhaupt wird der Begriff Größenwahn mit der Architektur dann direkt in Verbindung gebracht, um alles Maßlose, Anmaßende, Unangemessene zu beschreiben. Kontrolle ist in seiner Bedeutung auch nicht besser: Zwanghaft, misstrauisch, prüfend sind per se keine positiv konnotierten Eigenschaften. Ganz im Gegenteil kann Kontrolle pathologische Züge annehmen und damit selbst eine Form von Größenwahn werden.
Größenwahn und Kontrolle, auf ihre Art negative und zumindest ambivalente Begriffe, verschmelzen hier zu einem neuen, zunächst vielleicht befremdlich anmutenden Konglomerat. Das Rationale steht hier nicht kontraproduktiv dem Unvernünftigen gegenüber. Stattdessen erwächst aus der Gleichzeitigkeit von Kontrolle und Größenwahn der Mut, frei und anders zu denken als bisher, weil die Reflexion als Hinterfragung des eigenen Handelns mit einbezogen ist. »Kontrollierter Größenwahn« deutet den Prozess des architektonischen Entwurfs als eine radikale Denkweise, dessen vorpreschende, hochfahrende Ideen durch die Reflexion eines kontrollierten Geistes und das Korsett des Bestehenden zum eigenwilligen, sensiblen Handeln aufrufen. Die Kontrolle ist so eigentlich ein Instrument von Selbstdisziplin und Reflexion, von Selbstbeschränkung und Rücksichtnahme.
Im kreativen Prozess sind Kenntnis und Einschätzung des Vorhandenen genauso wichtig wie der Anspruch, alles neu erfinden zu können. Bewahren und Erneuern bedingen sich gegenseitig, um nicht im Stillstand zu verharren oder im Chaos zu versinken. »Wer Visionen habe, solle den Psychiater aufsuchen anstatt Architektur zu machen« — damit, in Anlehnung an einen bekannten Spruch von Helmut Schmidt, brachte Oswald Mathias Ungers seinen Unwillen gegenüber überbordender Individualität zum Ausdruck. Die architektonischen Konzepte basieren auf eigenen Thesen, die sich aus der Ratio ableiten ließen, so könnte man Ungers Ansatz interpretieren. Auch die Texte von Aldo Rossi zeugen von einer Suche nach rationaler Vernunft und historischer Kontinuität. Immerhin hat er die autobiografische Sicht im eigenen Werk betont, die Ungers zwar theoretisch abstritt, aber letztendlich in seinen Konzepten umsetzte. Nur deswegen ist seine Architektur auch authentisch. Die Regeln, die zu einer rationalen Begründung dem eigenen Schaffen voranschreiten, dienen dazu, die Fantasieproduktion anzuregen und gleichzeitig zu bändigen, oder manchmal auch dazu, das eigene Schaffen einzuordnen. Die Balance von Rationalität und individuellem Ausbruch durchzieht die Geschichte der Architektur und vielleicht sogar die aller Künste.
Gerne wird zitiert, dass sich der Mensch von allen Künsten abwenden und dem Betrachten entziehen kann, nur eben von der gebauten Umwelt nicht. Gerade weil eine so große Verantwortung auf dem Schaffen von Architektur ruht, werden hier beide Aspekte, die radikale Kreativität und die prüfende Verantwortung, hervorgehoben. Letztere meint Zügelung, Bremsung, Beschränkung und Lenkung durch Selbstreflexion. Nicht umsonst verweist die Ermahnung »Zügele dich!« auf Reiter und Pferd als eine Einheit von wildem Davon-Stürmen und lenkender Beherrschung, vereint in einem gereiften Charakter. Auch in Albrecht Dürers Stich Melencolia I wird das Wechselspiel von Aktion und Kontemplation, dem Innehalten und Hinterfragen des lustvollen Handelns, als der Grundwesenszug des kreativen Menschen definiert. Architektur ist im Gegensatz zur freien Kunst ein Prozess, der auf Bedürfnissen, Bedingungen und Möglichkeiten basiert. Architektur steht immer im Kontext zu etwas Bestehendem, auch wenn gar nichts da zu sein scheint. Am spannendsten wird es, wenn die Bedingungen eng geknüpft sind und der Rahmen kaum noch Raum lässt. Dann muss man die Ausgangsposition präzise ausloten, um den Ansatzpunkt zu finden, gleichzeitig eine eigene Sprengkraft zu entwickeln und so den Rahmen zu entgrenzen.
Der Sturz in den Malstrom von Edgar Allan Poe zeigt, dass am absoluten Ende, in der aussichtslosen, lebensbedrohenden Situation, die ruhige, nüchterne Beobachtung im Getöse, die Konzentration auf das Eigentliche, zu einem radikalen Gedanken führt, in diesem Falle zur Lebensrettung. Die Rezeption deutet diesen Text als Symbol für das moderne, entgrenzte Leben, in dem man sich auf nichts Bekanntes mehr verlassen kann und in dem alle bisher bekannten Regeln nicht mehr gelten. Genau darin liegt der neue Ansatz. Der Text liest sich als Appell, sich nicht auf die bewährten Sichtweisen zu verlassen und dem bekannten Trott zu folgen, sondern immer wieder den Versuch zu starten, neu zu sehen und zu lesen. Leider ist es gar nicht so einfach, das andere, das Gegenteil zu denken. Es ist immer ein Ausbalancieren zwischen der Hinwendung zum Vorhandenen und dem Verwerfen des Bekannten.
Auf wie viel Bekanntes muss sich das Neue stützen? Das ist eine Frage, die man sich in jedem kreativen Schaffen bewusst stellt oder unbewusst mit einbezieht. Alles Neue trägt auch ein zerstörerisches Moment in sich, eine Überformung dessen, was vorher gedacht und getan wurde. »Bauen heißt zerstören«, meinte Tadao Ando in einem Interview und leitete daraus für sein eigenes Schaffen den allerhöchsten Anspruch ab, nämlich besser als das Gewesene zu sein. Keiner agiert im gesellschaftsfreien Raum, und wir wissen auch nicht, wie sich die Rezeption eines Werkes im Verlauf der Geschichte verändert und sich von der Absicht des Autors entfernt. Insofern gehen die Kreativen ein hohes Maß an Risiko und Verantwortung ein. Dabei lastet die Welt auf einem, und vor lauter Last mag man erst gar nicht mehr zu denken und zu entwerfen anfangen. Da erscheint das Risiko geringer, sich auf das Anerkannte, nicht Aneckende zu berufen. Denn: Allein schon das Suchen nach eigenem Ausdruck sei anrüchig und stehe zerstörerisch dem Bekannten gegenüber, so eine der prägenden Debatten in der heutigen Architekturdiskussion. Die Klage über zu wenig Innovation und zu viel Repetition steht dem Vorwurf des zerstörenden und verschlechternden Neuen gegenüber. Dabei ist die enge Beziehung zwischen Bekanntem und Neuem altbekannt: »Nulla — in nessun genere — non viene dal nulla«, schreibt Quatremère de Quincy in seinem Lexikon der Architektur (italienische Ausgabe 1835), was man salopp mit »von nichts kommt nichts« übersetzen könnte. Es zeigt auf, wie das Neue stets aus dem Bekannten herausgeschöpft wird.
Dieser kreative Wandlungsprozess des Vorhandenen zum Neuen wird auch in der Spanne zwischen Finden und Erfinden, der Frankfurter Poetikvorlesung von Peter Härtling, deutlich. Man kann es als eine Grundempfehlung betrachten, Vorhandenes umzudeuten und in der Analogie Möglichkeitsräume aufzuspannen, weil es eben keine konkrete Handlungsanweisung darstellt. Die Assoziation schärft in ihrer Bildhaftigkeit den Blick und eröffnet den eigenen Aktionsraum. Hier wird deutlich, wie das Neue nicht nur dem Bekannten entwächst, sondern das Bekannte geradezu als Sprungbrett für neue Gedanken dient.
Über das Marionettentheater von Heinrich von Kleist in diesem Zusammenhang als Leselektüre zu empfehlen, erscheint befremdlich. Doch die Betrachtung der ambivalenten Wechselbeziehung von Bewusstem mit Unbewusstem führt zur Beschreibung des schmerzhaften Weges, von den Mühen des kreativen Prozesses wieder auf eine anmutige Leichtigkeit zurückzukommen. »Werdet wie die Kinder!« ist eine Bibelweisheit, an der man sich regelrecht abarbeiten kann. Hierfür bedarf es radikalen Mutes sowie der Besessenheit und Leidenschaft, die ausgetretenen Pfade der Erwachsenen zu verlassen.
Sicher sind diese drei Texte vielen bekannt, doch aus unserer Sicht lohnt es sich, sie in diesem neuen Zusammenhang zu versammeln. Die Textauswahl betrachten wir als eine andere Art von »Pflichtlektüre« jenseits des bekannten Kanons der Fachliteratur. Den Architekten wird von den Geisteswissenschaftlern immer wieder vorgeworfen, dass sie sich an der Geistesgeschichte, an deren Begriffen und den dort entwickelten Denkzusammenhängen munter bedienen, ohne ihnen wirklich auf die Spur kommen zu wollen. Das mag sogar stimmen, aber auch die Geisteswissenschaftler müssen die Rezeption der Werke frei lassen, um — unabhängig davon, wie vordergründig es erscheinen mag — in der Transferleistung wieder Neues entstehen zu lassen.
Die folgenden Beiträge sind für uns im besten Sinne eine interdisziplinäre Kooperation, die aus verschiedenen Blickwinkeln zu einem Thema Betrachtungen vornimmt. Dabei wird Interdisziplinarität nicht in der Hoffnung auf einen gemeinsamen Nenner eingefordert, der bekanntermaßen immer kleiner wird, je mehr Beteiligte hinzukommen. In den 1970er-Jahren war es weit verbreitet, dass die Gruppe als gemeinsamer Denkapparat zur besten Lösung führt. Das ist inzwischen nicht mehr überzeugend. Heute meinen wir, dass das Vielfache und gleichzeitig Parallele die Sicht auf die Dinge öffnet, indem es ausgearbeitete Ansätze vergleichbar macht. Deswegen vertrauen wir erst einmal auf die eigenen Ideen, die sich dann im Zusammenspiel der unterschiedlichen Kräfte beweisen müssen.
Klaus Behnke stellt mit seiner psychoanalytischen Begriffsdefinition einen Einstieg in das Thema dar. In vielen Jahren der Freundschaft wurde der Begriff des kontrollierten Größenwahns im Zusammenhang mit dem Denken und Arbeiten der Architekten entwickelt. Über die pathologische Definition des Begriffs hinausgehend verweisen wir auf das kreative Potenzial und den darin implizierten Ansatz des radikalen Denkens. Die Beharrlichkeit im Denken hat dann eigentlich nichts mehr mit martialischer Größe zu tun.
In seiner Unbedingtheit des Denkens und Handelns kommt man an Richard Wagner nicht vorbei, wie uns Martin Weller in seinem Beitrag »Das überdehnte Jahrhundert« zur Rezeption der Musik des 19./20. Jahrhunderts zeigt. Zur Schärfung und Abgrenzung unserer These des kontrollierten Größenwahns werden hier die schiere Größe und die konkrete Maßlosigkeit auch gerade in der Durchsetzung der eigenen Werke der Strategie des radikalen Denkens und sensiblen Handelns gegenübergestellt.
Die Reflexion über das kreative Schaffen verbindet den Künstler Peter Piller mit den Kunsthistorikern Stephan Berg und Friedrich Meschede. Die Kunst war nicht nur schon immer Inspiration für die Architektur; die drei Texte zeigen auf unterschiedliche Weise, dass die Affinität zur Architektur auch umgekehrt zu neuen Impulsen und Sichtweisen führen kann.
Wie findet sich der hier geschilderte Ansatz nun in der Lehre wieder?1Genauso wie wir versuchen, immer wieder die Studenten zum Experimentieren und Reflektieren zu motivieren, bemühen wir uns selbst, in der Lehre nicht in Schematismen festzufahren. Eine Aufgabe, deren Lösung vom Lehrer schon vorhergesehen werden kann, braucht nicht gestellt zu werden, meinte Matthias Sauerbruch hinsichtlich der Architekturlehre.2 Jedes Projekt stellt auch für uns eine neue Herausforderung und eine offene Fragestellung dar. Wir wissen, dass Erkenntnis durch eigene Erfahrung des Unbekannten möglich ist. Die eigentliche Lehre besteht somit nicht in Handlungsanweisungen, sondern in Denkaufforderungen. Deshalb bietet dieses Buch keine Antworten, sondern Anregungen, indem es drei Texte der deutschen Literatur und fünf hierfür angefertigte Essays zu kreativen und künstlerischen Prozessen versammelt. In der bereits angeführten Melencolia schweift der Blick zwischen den Attributen verschiedenster Disziplinen umher. Gemäß dem Credo, dass die geistige Transferleistung durch Abstraktion und Analogie Kernstück des kreativen Prozesses sei, laden wir mit dieser Textsammlung zum Blättern, Schmökern, Querlesen ein und hoffen, auch überraschen zu können.
Mit Volldampf kann man gegen die Wand donnern und — ohne regulierende Kontrolle — zerschellen. Man kann aber auch mit einem großen Knall die Schallmauer durchbrechen und das Unmögliche schaffen. Doch das Scheitern steckt immer mit drin und darf deshalb auch nicht als Niederlage, sondern muss als Grundlagenforschung im Sinne von »Trial and error« verstanden werden. Diese Ambivalenz von Progressivität und Scheitern wird auch wieder in der Melencolia deutlich. Die Rezeption dieses Bildes sieht die Melancholie im Sinne eines Tugendblattes sowohl als »vollendeten Zustand« als auch als ein grundsätzliches »Dokument des Scheiterns«
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Albrecht Dürer, Melencolia I, 1514
1 Siehe dazu »Verknüpfungen zur Entwurfslehre« auf S. 210 in diesem Buch.
2 Matthias Sauerbruch, »Fünf Thesen zur Architekturlehre«, in: hoch1,positionen zur entwurfslehre, Jahrbuch des Fachbereichs Architektur, Hannover 2001, S. 25—27.
Klaus Behnke
VOM PATHOLOGISCHEN ZUM KREATIVEN ODER: DIE UTOPIE DES KONTROLLIERTEN GRÖSSENWAHNS
Beim Größenwahn, der Megalomanie, handelt es sich um eine übersteigerte Geltungssucht, um eine nicht begründete Selbstüberschätzung und Selbsterhöhung, was die eigene Kraft, Fähigkeit und Begabung angeht.
Größenwahn zeigt sich, je nach Zeit und Gesellschaft, unterschiedlich und in verschiedenen Unterformen. Bekannt sind:
· der politische Wahn — der Glaube, zu politischen Missionen berufen zu sein,
· der Erfinderwahn — der Glaube, zum berühmten Erfinder geboren zu sein (mit skurrilen »Erfindungen«),
· der religiöse Wahn — der Glaube, von einer überirdischen Macht mit einem besonderen Heilsauftrag gesandt zu sein.
Der Größenwahn ist ein typisches Symptom bei bestimmten Psychosen beziehungsweise ein manisches Symptom bei manisch-depressiv Erkrankten.
Aber am häufigsten trifft man den Größenwahn, auch Geltungssucht genannt, als eine Ausprägung des Narzismus an.
Man stelle sich folgende Szene vor: In einem Café sitzt eine kleine Gruppe und will sich unterhalten. Einer der Anwesenden spricht ununterbrochen über sich selbst. Peinliches Schweigen macht sich breit. Nur der Sprecher selbst merkt nichts. Er ist vom eigenen Vortrag so beseelt, dass er seine Umgebung nicht mehr wahrnimmt. Dann scheint er plötzlich aufzuwachen: »Nun hören wir (!) mal auf, über mich zu reden.« Alle atmen auf, und eine Pause tritt ein, in der sich alle neu zueinander ausrichten. Aber die Geltungssucht, der Größenwahn, lässt sich einfach nicht beherrschen. Der Geltungssüchtige kann nicht anders und beginnt erneut — mit dem wunderbaren Satz, einer Frage, die keine ist: »Wisst Ihr, was ich noch vergessen habe?« Danach ist Schluss. Einer nach dem anderen verlässt unter einem Vorwand die Runde. Der Geltungssüchtige bleibt allein zurück, ein Miteinander war unmöglich.
Umso ausgeprägter der Größenwahn ist, umso weniger ist der Größenwahnsinnige in der Lage, andere überhaupt wahrzunehmen. Dabei ist er skrupellos und saugt sie förmlich aus. Er benutzt.
Hat der Geltungssüchtige einen kreativen Beruf ergriffen, verkauft er bedenkenlos und mit pompöser Geste »leere Kunst«. Egal, worum es geht, im Mittelpunkt steht immer er selbst. Denn Zuschauer, die sehen wollen, wo es nichts zu sehen gibt, gibt es immer.