Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Die Schatzhöhle

Auf Wanderschaft

Das Haus an der Neißebrücke

Schwarmgeister

Der Entrückte

Das Rosenkreuz

Der Adept Setonius

Die Morgenröte im Aufgang

Chymische Hochzeit

Die Abendrotburg

Neue Freunde

Gericht über Jakob Böhme

Wollhandel

Das Buch von den drei Prinzipien

Der Rosenkreuz-Kaiser

Die sieben Quellgeister

Mysterium Magnum

Dritte Wanderschaft

Zweiter Angriff auf Jakob Böhme

Das Colloquium

Nun fahre ich ins Paradies

Wir müssen unsere Imagination wieder
in die himmlische Sophia bringen,
dann wird die Lilie in unserer Seele erblühen
.

Jakob Böhme

   Vorwort

Der himmlische Magnetstein senkte sich auf Jakob Böhme (1575-1624) herab, erwies ihm die Gnadenwahl und zog ihn in Bereiche lebendiger Weisheit und Gottesnähe. Niemand kommt zu Gott – es sei denn, Er ziehe ihn! Diese Kernaussage rosenkreuzerischer Mystik bezieht sich auf die Reife einer Seelenperson und nahm im Leben des Jakob Böhme beizeiten Gestalt an. Der Schicksalslauf brachte ihn mit Lehrern, Freunden und Geistesbrüdern in Berührung, die ihm genügend Inspiration gaben, so dass er sich in seiner angeborenen Sehnsucht nach Erkenntnis nicht im Stich gelassen fühlte, aber dennoch zeitlebens ein flehentlich Suchender blieb. Wie es der mystische Weg vorschreibt, kam Böhme nicht endgültig zum Ziel, denn ihm tat sich nach jedem äußeren Impuls eine neue Pforte auf, die den Blick auf noch erhabenere Ausdrucksformen des Menschseins freigab.

Gerade rechtzeitig vor seiner Geburt hatte Martin Luther die Bibel aus hebräischen und aramäischen Urtexten unter Zuhilfenahme der Septuaginta und Vulgata in eine glutvolle deutsche Sprache übersetzt. Dies kam Jakob als Kind zugute, sein Lesehunger fand hier beste Nahrung. In seinem dörflichen Umfeld fehlte nämlich die große Bibliothek, nach der es ihn verlangte, er vermisste einen Vater, der ihm den Horizont des Denkens zu erschließen vermochte, er besaß auch keinen Hauslehrer, der ihn Latein hätte lehren können. So konnte er die deutsche Bibel bald auswendig, weil er bei der Genesis wieder begann, wenn er nach den Briefen des Johannes das Buch hätte beiseite legen können. Als er in seiner Jugend die Lehre des Augustinus streifte, erschrak er noch vor der Wunderwelt des Geistes, in die er als Erwachsener so intensiv eintreten sollte.

Böhmes Zeitqualität war geprägt von jener inwendig religiösen Verwirrung, die durch Luther, Calvin und Zwingli Gestalt angenommen hatte. Der Grundgedanke der Reformation (lat. reformatio, Rückformung) lag ursprünglich in einer Rückbesinnung auf das Urchristliche, auf die Lehre Christi ohne klerikale Machtausübung. Aber der damals heftig wütende Sturmwind der Menschheitsgeschichte nahm davon Besitz und brachte Welt und Religion gründlich durcheinander. Viele Menschen waren erkrankt an der zu eng gefassten Mutterschaft der katholischen Kirche, sie drohten zu ersticken in der Obhut von Regeln und Verboten. Also wandten sie sich ab von den Brückenbauern in kostbaren Roben, wollten nicht mehr glauben, sondern wissen und suchten nach einer direkten Anbindung an das Numinose. Zwischen Naturwissenschaft und Religion aufgewühlt hin und her schwankend entstanden unzählige Gruppierungen, die das Religiöse nicht mehr nur der Kirche überlassen wollten, sondern ihre Aufgabe darin sahen, selbst Erklärungen zu finden, selbst zu verstehen, was Gott und Mensch verbindet. Als Mitträger des Reformationsgedankens gerieten fromme Schwenckfelder, kluge Wiedertäufer, verschwiegene Böhmische Brüdergemeinden und begabte Laienprediger in Aufbruchsfieber und vermehrten rasch ihre Scharen. Diese Bewegungen des Lichtes warfen natürlich auch Schatten. Vor einem nahenden Weltuntergang fürchteten sich die einen, um eine baldige Erlösung von der Erde beteten die anderen. Auch der junge Jakob sah sich zwischen erstarrte Heiligkeit und hemmungslose Aufsplitterung gestellt. Darum schlich er sich zu einem Stollen im Bergwerk, wurde dort nach Prüfung seiner Gesinnung für lauter gehalten und fand Einlass. Sein Gewährsmann nannte für ihn vor einem Torhüter das Passwort, und staunend schritt er in eine weiträumige unterirdische Halle, in der sich jeden zweiten Sonntag die sogenannten Brüder der deutschen Zunge versammelten. Jakob fühlte sich anfänglich heimisch im Orden der Böhmischen Brüder. Gegründet hatte man diese Vereinigung, um wieder in Harmonie zu kommen inmitten von erbitterten Religionskämpfen. Das Bestreben lag darin, wieder einzukehren in den wahren Sinn urchristlicher Seelengemeinschaft, wie diese von dem Orden der Essener gepflegt worden war – voller Wunder, mit großem Heil und seligem Frieden. Tatsächlich genoss Jakob eine Weile jene ruhige Feierlichkeit, die seinem innersten Wesen entsprach.

Aber mit der Zeit erschien ihm die Lehre vom vollendeten Gutseinmüssen der Brüdergemeinde zu einfältig, denn er hatte die Finsternis als notwendigen Träger des Lichtes erkannt, sah auch in sich selbst Abgründe, die er nicht bereit war zu leugnen. Fest glaubte er daran, an des Teufels Hörnern ebenso Anteil zu haben wie an dem Segen des Himmels. Er formulierte dies später so: Die Lichtwelt ist in der Finsternis verborgen, und die finstere Welt in der Lichtwelt. So wohnt eines im anderen und weiß nichts vom anderen, denn es kehrt eines dem anderen den Rücken und sieht nicht des anderen Angesicht. Also zog es ihn weiter, und er tauchte ein in die verborgenen Geistesströmungen, wo sich Erkenntnis nicht mehr mit der bequemen Lüge einließ, sondern mit der anstrengenden Wahrheit verbrüderte.

Später, als Jakob Böhme eine Schusterwerkstatt besaß, brachte ihn die Fügung mit dem legendären Tübinger Kreis in Verbindung, und er genoss einen intensiven geistigen Austausch. Der Schuster aus Görlitz verblüffte die Gelehrten, die nicht selten mehr als fünf Fakultäten an der Universität absolviert hatten, denn sein erstes Werk »Aurora oder die Morgenröte im Aufgang«, enthielt pansophische Zeugnisse, die auch antike Philosophen begeistert hätten. Es war, als legte Sophia, die gnostische Weisheit, ihren Sternenmantel schützend um Bruder Jakobs Schultern, so dass er sich der Weisheit immer nahe fühlte. Jenseits aller Sichtbarkeit wusste er sich in der Gnade des Berufenen. Böhme verhielt sich im Alltag fügsam wie ein Lamm, aber weder Entbehrungen noch Verleumdungen oder Krankheit minderten seine Weisheit und Gottesliebe.

Mit 49 Jahren war seine mystische Rose voll erblüht, und er starb in Frieden, denn die letzten beiden Lebensjahre waren Wunscherfüllungsund Schaffensjahre: Er schrieb und schrieb und schrieb! Viel hatte er erfahren, mitten in das Mysterium magnum geschaut, und er war mit dem Traum von einem Herrscher in Berührung gekommen, der im Signum des Rosenkreuzes die ganze Welt erneuern sollte. Jakob Böhme wusste mit Johann Valentin Andreae und vielen anderen, dass dieser ersehnte Rosenkreuzer-Kaiser eigentlich schon angekommen war, nur saß dieser auf keinem Thron, führte keine Kämpfe, triumphierte nicht über seine Feinde, sondern hielt sich im Herzen eines jeden Menschen bereit, dort feierlich inthronisiert zu werden. Im äußeren Trubel der Reformation waren Kult und Weihe für viele Gläubige nur noch ehrwürdiges Andenken an vergangene Historie geworden. Unter dem Zeichen der erblühten Rose am Kreuz schritt das erfahrbare Geheimnis aus der Antike in die lebendige Gegenwart. Dieses Geheimnis bleibt für alle Zeiten gegenwärtig für Jene, deren Seele danach strebt.

Gabriele Quinque, Frankfurt am Main, Dez. 2007

   Die Schatzhöhle

Das Dorf Alt-Seidenberg in der Lausitz liegt am Abhang der nördlichen Ausläufer des Isergebirges, ungefähr drei Meilen vom Hauptkamm entfernt. Es besteht aus siebzehn Höfen. Dazu kommen fünf Kleinhäusler und Ausgedinger. Das Ackerland ist fruchtbar und durch zahlreiche Bäche bewässert, die den Gebirgswäldern entströmen. Gottes Segen liegt auf diesem Landstrich, den der Krieg seit Jahrzehnten verschont hat. Missernten, Hagel und Viehsterben kannte man nicht, der Wohlstand wuchs auf allen Gehöften.

Dadurch erschlaffte der Sinn der Leute. Alles ging seinen gewohnten Trott. Auch der lutherische Glaube, für den die Großväter gekämpft hatten, war zur Konvention geworden. Einflüsse von auswärts fehlten.

Da zog eines Tages ein fremder Bauer in das Dorf, besah sich die Felder, prüfte die Krume und kam mit den Leuten ins Gespräch. Er hatte an allem zu nörgeln und schlug verschiedene Verbesserungen vor. Man verbat sich sein Besserwissen und bedeutete ihm unwirsch, er möge sich gefälligst weitertrollen, man habe es nicht nötig, sich von einem Hergelaufenen belehren zu lassen. Der Fremde spuckte überlegen aus, schmunzelte vielsagend und schritt weiter alle Grenzscheiden ab. Er hatte sich beim Erbrichter Knirsch einquartiert, dem er für den Tag zwei Kreuzer zahlte; er musste also bei Geld sein. Endlich schien er das, was er suchte, gefunden zu haben. An einem Sonntag, gerade als die Familie die Milchsuppe löffelte, erschien er im Hause des Böhmebauern und sagte: »Bauer, du hast hinter dem Tümpel eine große Hube, die nicht bebaut ist.«

»Wohl, und dazu die lange Weide bis zum Dreiseitelberg. Steht alles im Grundbuch. War die Morgengabe meiner Großmutter selig. Das Haus, das dort einmal stand, ist längst abgetragen, aus den Feldern ist eine Weide geworden.«

»Da könnte man wieder einen Hof hinstellen.«

»Ja, das könnte man«, sagte Böhme und löffelte ruhig weiter.

»Schätze, es müssen gegen zwanzig Morgen sein.«

»Mitsamt dem Waldstück sechsundzwanzig.«

Der Fremde blickte gespannt hinaus auf den Misthaufen, wo zwei junge Hähnchen gegeneinander losgingen, als ob er dergleichen zum ersten Mal sähe. Dann sagte er unvermutet:

»Was verlangst du dafür? Ich kauf dir‘s ab.«

Der Böhmebauer ließ überrascht den Löffel fallen und starrte den Fremden ungläubig an, als ob er nicht begriffen hätte, was jener gesagt hatte. Da platzte der Bub am Tisch heraus, wie um ein Unglück zu verhüten: »Der Grund ist verhext, dort wächst nichts.«

Der Bauer fuhr dem Vorlauten derb übers Maul und sagte dann zu dem Fremden mit fester Stimme: »Ist mir nicht feil.«

»Ich gebe für den Morgen fünfzehn Gulden. Die Erde ist gut, und vor Hexen fürchte ich mich nicht.«

Der Bauer wischte sich den Mund am Tischtuch ab, zog die Joppe an, und beide Männer gingen hinaus.

Es war der zweite Sonntag nach Ostern.

Die Wintersaat, drei Spannen hoch, wogte im Lenzwind, der Erde enthauchte kräftiger Geruch.

Sie schritten bedächtig das Gelände ab. »Der Tümpel muss weg«, sagte der Fremde. »Dort lege ich den Obstgarten an, das Haus wird dort in der Mulde stehen.«

Böhme verlangte siebzehn Gulden, das war der Preis überall im Land.

»Fünfzehn Gulden gebe ich. Willst oder willst nicht?«

»Muss es erst einmal überschlafen.«

»Bis morgen früh. Wenn nicht, so gehe ich nach Sachsen weiter.«

So wurde Hannes Benirschke der achtzehnte Bauer. Er hatte sich mit seinem Bruder im Mährischen überworfen, der ihm das väterliche Erbteil auszahlte und ihn dann des Landes verwies. Denn Hannes gehörte den Mährischen Brüdern an, die in des Kaisers Landen für vogelfrei erklärt worden waren.

Mit ihm wehte ein frischer Wind in die verschlafene Gemeinde. Er drängte darauf, dass eine Winterschule für die Kinder errichtet werde und versprach, für sie einen Lehrer aus seiner alten Heimat beizustellen.

Nach einigen Wochen kehrte Benirschke mit seiner Familie und dem Hausrat auf zwei hochgepackten Wagen zurück. Das war ein Ereignis für das ganze Dorf. Der Böhmebauer als Nachbar gab der Familie Unterkunft, bis Benirschke sich seinen Hof erbaut hätte. Dessen Buben Libor und Klaus hatten sich gleich in der ersten Stunde mit Böhmes Jakob angefreundet und halfen bei der Gründung des neuen Heimes kräftig mit. Am Pfingstmontag wurden auf dem Grundstein alte Honigwaben verbrannt, wobei der Pastor Ambrus, der aus der nahen Stadt Seidenberg gekommen war, Gottes Segen auf die neue Gründung herabflehte und dann mit der versammelten Gemeinde den Psalm: »Lobe den Herrn, meine Seele« sang. Dann wurde der Brunnen gegraben. Der Pastor segnete das aufsickernde Wasser, und alle tranken davon, indem sie dem neuen Dorfgenossen Glück wünschten.

In den nächsten Wochen stellte jedes Haus der Reihe nach freiwillige Helfer bei. Die einen schafften Bauholz herbei, andere wiederum formten aus dem Schlamm des abgelassenen Tümpels Luftziegel. Zum Dank halfen die Benirschkeleute zur Erntezeit tüchtig überall aus, wo man sie brauchte. Alle waren über die Tüchtigkeit der Neuen voll des Lobes und beeilten sich, dessen Klitsche noch im Herbst unter Dach und Fach zu bringen. Am meisten rissen sie die Augen auf, als Hannes mit der versprochenen Schule ernst machte. »Bei uns in Hohenstadt kann jeder Bauer lesen und schreiben. Warum soll es hier anders sein?«

Der Lehrer traf gegen Allerheiligen ein, Sabinus Hanke, ein ungefähr sechzig Jahre altes Männchen. Als von seiner Besoldung gesprochen wurde, wollten die Bauern sich darum drücken, nur der Böhmebauer sprach sich dafür aus und gab ihm auch umsonst Quartier. Endlich wurde man einig, und der Unterricht begann für siebenundvierzig Schüler, alte und junge.

Hanke war ein gottesfürchtiger Mann, der viel in der Welt herumgekommen war. Vor Jahren hatte die Pest all die Seinigen hinweggerafft. Nun war er ganz in Jenseitsträume versponnen und begeisterte seine Schüler mit Beschreibungen des himmlischen Jerusalem. Böhmes Jakob nahm seine Worte mit Verzückung in sich auf. Er war das einzige stille Kind unter einer Horde lärmender Rangen. Hanke schloss ihn vom ersten Tag an in sein Herz. Da hatten sich zwei Spintisierer gefunden, der Greis und das Kind.

Als es wieder Frühling wurde, hörte der Unterricht auf, und alle, Lehrer und Schüler, machten sich an die Feldarbeit. Jakob war dieses Jahr vom Erbrichter zum Gemeindehirt für das Kleinvieh bestimmt worden, das zwischen dem Dreiseitelberg und dem Katzensprung auf die Weide getrieben wurde. Hanke hatte ihm ein Buch mitgegeben: »Einfältige Bemerkhungen eines gottliebenden Christen«, mittels dessen sich Jakob im Lesen üben sollte. Er war der einzige, der schon alle Buchstaben kannte.

Doch die Ziegen und Schafe ließen ihm tagsüber nur wenig Zeit zum Lesen. Erst gegen Abend, wenn sie sich angefressen hinlegten, konnte er sich ihm ungestört hingeben. Er nahm das Buch jedes Mal mit Andacht aus dem Ranzen und betete immer ein Vaterunser, bevor er es aufschlug. Denn alles Gedruckte galt dem Knaben gleich einer Offenbarung Gottes.

Manches Mal kam Hanke zu ihm auf Besuch und setzte sich zu ihm in den Schatten. Dann erzählte er ihm von dem Leben in der Mährischen Brüdergemeinde. Bei ihnen ist alles gemeinsam, und gleich den ersten Christen empfangen sie das Abendmahl unter beiden Gestalten. Es gibt bei ihnen keine Priester, ein jeder ist berechtigt, die Sakramente zu spenden. Aber die Welt missversteht sie und verfolgt sie mit Hass. In Hohenstadt wurde einmal ihr Bethaus gestürmt und angezündet; dabei erhielt Hanke, der die Seinigen verteidigte, eine Wunde am Hals, deren Narbe er stolz dem Knaben zeigte. Jakob erschauerte in frommer Furcht und sehnte sich danach, ebenfalls für den Heiland zu leiden. Gleichzeitig beschlich ihn ein Gefühl der Unwürdigkeit, denn er wusste, dass sein Sinn dem Bösen zugetan war. Einmal hatte er aus der Vorratskammer eine Honigwabe gestohlen und dann gelogen, die Katze hätte sie gefressen. Bald darauf hatte er aus der Lade zwei Prager Heller genommen und sie dann im Garten vergraben. Als ihn dann die Reue packte, wollte er das Geld zurückgeben, fand aber die Stelle nicht. Und jetzt ist er dafür der Hölle verfallen. Du sollst nicht stehlen!

Wenn das Grummet eingefahren und die Rübenernte vorüber war, begann wieder die Schule. Zuweilen stellte sich auch der Böhmebauer dort ein, um noch als Alter lesen und schreiben zu lernen. Aber sein Schädel war zu hart, es war ihm zuviel und er gab es auf.

An den langen Winterabenden, wenn alle um die auf dem Tisch brennende Unschlittkerze herumsaßen, las Jakob aus den »Einfältigen Bemerkhungen« vor. Seine Mutter Ursula starrte dabei auf ihn wie auf ein fremdes Wunder, und doch war es ihr eigenes Kind. Jakob konnte wahrhaftig alles lesen, was da gedruckt vor ihm lag, und obendrein erklärte er das Gelesene. Außer Hanke stellten sich einige Nachbarn ein, die mit großen Augen dem lesenden Knaben zuhörten. »Das ist wie der zwölfjährige Jesus im Tempel«, flüsterte die Mutter in scheuer Andacht.

Die Böhmeleute waren, wie schon der Name besagte, einmal von der böhmischen Seite der Iserberge nach Alt-Seidenberg gezogen, wo sie durch ihren Fleiß bald zu den angesehensten Dorfbewohnern wurden. Großvater Ambrus Böhme war erwählter Gerichtsschöppe des Kirchspiels; er hatte sieben Kinder: Hans, Ambrus, Martin, Anna, Margaretha, Jakob und Dorothea. Nach lausitzischem Recht erbte der jüngste Sohn Jakob den Hof und entschädigte mit sechshundert Mark am Martinstag seine Geschwister, die auswärts ihr Brot fanden.

Jakob, der Böhmevater, hatte in jungen Jahren geheiratet. Seine Frau Ursula gebar ihm fünf Kinder: Ursula, Georg, Martin, Michael und Jakob. Georg war in der Wiege gestorben, Martin und Michael wuchsen bei den Großeltern mütterlicherseits auf, Ursula war in Bellmannsdorf verheiratet. So kam es, dass Jakob allein bei seinen Eltern heranwuchs, als ob er keine Geschwister hätte. Es lastete ein unausgesprochenes Geheimnis auf seiner Seele, dass einmal etwas Unerquickliches geschehen sein musste, wodurch die älteren Brüder dem Elternhaus entfremdet wurden. Wenn sie zu Weihnachten zu Besuch kamen, behandelten sie den jüngsten Bruder wie einen Fremden. Jakob wich ihnen aus, als ob er an ihrem Fernsein schuld wäre. Und auch später trug er zeitlebens Scheu, Vater oder Mutter darüber zu fragen. Er kam sich dadurch wie ausgestoßen und mit einer unwissentlichen Schuld belastete vor. Daher sein gedrücktes, scheues Wesen. Sein Herz sehnte sich nach einem gleichaltrigen Freund. Als nun der Mährer Benirschke mit seinen aufgeweckten Buben in das Dorf kam, die nichts von der Familiengeschichte wussten, schloss er sich ihnen in treuherziger Freundschaft an. Dadurch kam der erste Sonnenstrahl in sein vereinsamtes Leben.

Am Sankt Nickelsstag war der Dorfteich zugefroren. Die Jugend vergnügte sich auf dem spiegelnden Eis. Jakob sah mit geröteten Wangen zu, von der gesunden Bubenlust angesteckt. Da sah er, wie Karle und Ludwig, die schlimmsten Rangen des Dorfes, einen Köter herbeizerrten, der unlängst zugelaufen war. »Das Vieh wolln mer unters Eis stecke!« johlte Karle. Die übrige Bande stimmte begeistert zu. Johns Willem hackte ein Loch und steckte das um sein Leben kämpfende Tier mit dem Kopf in das nachtschwarze Wasser.

Jakob konnte diese Quälerei nicht mit ansehen, sprang herbei, packte Willem am Kragen und brüllte ihn an: »Zieg ihn raus, zieg ihn raus!« Doch von Mordlust ergriffen und vom Widerstand gereizt, stieß Willem den Retter zurück und weidete sich an der Todesangst des Tieres, das immer wieder von rohen Händen unter das Eis gestoßen wurde. Da drängte sich Jakob ungestüm vor, packte den nassen Hund am Rückenfell und riss das wimmernde Tier an sich. Nun stürzte sich die Horde auf ihn. Unwillkürlich griff Jakob nach der Hacke, mit der das Eisloch aufgebrochen worden war, und schlug mit ihr wild um sich. Auf einmal gellte ein markerschütternder Schrei und alle stoben auseinander. »Der Böhmejakob hat den Willem erschlagen!«

Jakob drückte das gerettete Tier an sich und stürzte davon wie von allen bösen Geistern gehetzt, weiter, immer weiter, so weit ihn die Füße tragen konnten. Beim Katzensprung ging es nicht mehr, das Herz drohte ihm zu zerspringen, die Luft ging ihm aus. Er sah sich verwundert um, es wurde finster. Der Köter beleckte dankbar seine Hände. Jakob ließ ihn auf die Erde fallen, faltete die Hände und stöhnte: »Mein Gott, was habe ich getan!«

Kain hat seinen Bruder Abel erschlagen. Der Mörder wurde von Gott gezeichnet und floh in die Fremde. Die Fremde, das ist das Gebirge, die dunklen Wälder des Iserkamms, hinter dem die Leute böhmisch reden. Weiter, weiter, dort hinauf!

Wie betäubt hastete er weiter, bergauf den Wäldern zu; hinter ihm trottete der Hund. Kein Stern am Himmel. Es wurde bitterkalt. Was werden die Eltern von ihm denken? - Jakob hat den Willem erschlagen!

Er erschrak über sich selbst, dass so viel Schlechtigkeit in ihm war. Zuerst gestohlen und jetzt gemordet! Wer rettete ihn vor der Hölle? Ein Käuzchen schrie widerlich. Wenn sich doch ein Abgrund vor ihm auftäte und ihn verschlänge!

Er war am Ende seiner Kraft, alles war ihm gleichgültig geworden. Mit sausenden Schläfen lehnte er sich an einen Baum und vermeinte zu sterben. Eiskalte Tropfen fielen von der Stirn auf seine Hände. Der Hund jaulte vor Kälte. Jakob stieß mit dem Fuß nach ihm, der die Ursache seines Jammers war.

Dann raffte er sich noch einmal auf und keuchte weiter. Auf einmal ragte etwas Schwarzes vor ihm auf. Ein Haus! Jakob tastete sich nach der Tür, wagte aber nicht einzutreten. Es flimmerte ihm vor den Augen, auf einmal brachen seine Knie zusammen, und er verlor das Bewusstsein. Als er wieder die Augen aufschlug, gewahrte er beim Schein eines rußenden Kienspans das Gesicht eines alten Weibes vor sich.

»Wer bist du, Bub?«

»Nach Hause, zur Mutter!« schrie Jakob in namenloser Angst auf. »Mutter!« die Alte legte ihm eine Hand auf die Stirn und sogleich kam Ruhe über den Fiebernden. »Auch ich bin eine Mutter und Großmutter. Neboj se!«

»Bin ich schon in der Fremde, im Böhmischen?«

»Was ist Fremde? Gott ist überall. Bin eine Böhmin, macht nichts. Bin schon lange genug auf der anderen Seite vom Berg, musst dich nicht fürchten!«

Der Knabe stöhnte dankbar auf. Der gerettete Hund schmiegte sich an ihn. Jakob schloss beseligt die Augen. Aber sogleich sprang ihn wieder Gewissensangst an, und er erleichterte sein Gewissen durch das Geständnis seiner Untat.

»Immer muss Blut fließen, schuldig und unschuldig. Gott ist böse auf die Menschen«, sagte die Alte.

Der Knabe erschrak bei diesen Worten. Gott ist böse auf uns, weil wir so schlecht sind. Aber wenn einer schlecht gehandelt hat und es bereut, was kann er tun, um den zürnenden Gott zu versöhnen? Wird Gott den toten Willem wieder zum Leben auferwecken wie den Lazerus?

»Gott ist böse auf die Menschen«, wiederholte die Alte. Dann nach einer Weile: »Ist Willem auch wirklich tot, mausetot?«

»Weiß nicht. Habe mit der Hacke zugeschlagen und bin dann weggelaufen.«

»Schlimm, schlimm. Was soll mer jetzt machen, Bürschel?«

»Ich will mich verstecken wie Kain und warten, bis der Herr mich ruft und zeichnet.«

»Dann kannst lang warten, das war einmal. Jetzt kümmert sich kein Gott und kein Teufel um einen, wenn man im Elend ist, ich weiß es.«

Die Barinkova, wie sie sich nannte, meinte nach einer Weile: »Zuerst bleibst da, bist du gesund bist. Dann werden wir weiter sehen.«

Sie stellte einen Topf auf das Feuer und kochte aus Erbsenmehl eine dicke Suppe. Jakob aß davon und gab auch dem Hund seinen Teil. Dann schlief er ein.

Die Untat hatte im Dorf helle Empörung ausgelöst. »Der Böhmejakob! Schaut aus, als ob er kein Haar krümmen könnte, liest aus frommen Büchern vor, und auf einmal reitet ihn der Teufel und er geht mit der Hacke los!«

Willem wurde von seinen Eltern nach Hause getragen, die ihn für tot hielten. Schnell wurde der Pastor Ambrus herbeigeholt, der über ihn die Totengebete sprach und die schwarze Kerze anzündete. Dabei fiel ein Wachstropfen auf die Hand des scheinbar Leblosen, und dieser zuckte zusammen. Nun zog man ihm die Kleider aus und gewahrte einen großen blutunterlaufenen Fleck auf der Brust, aber keine offene Wunde. Willem wurde wachgerüttelt, spuckte Blut und fluchte lästerlich auf Jakob, den Unhold.

Sofort wusste es das ganze Dorf. Die Böhmeeltern, die seit Stunden auf den Knien gebetet hatten, erhoben sich, und Mutter Ursula brach vor Freude in Tränen aus. »Gott, deine Güte ist unermesslich! Du ängstigst uns, schlägst aber nicht zu.« Plötzlich gellte sie auf: »Wo ist Jakob? Hat er sich etwas angetan? Mann, wo ist das Kind?«

Sie gingen sogleich zum Neubauer Benirschke und baten um seine Hilfe. »Da werden wir halt gleich suchen, irgendwo wird er schon stecken«, sagte er phlegmatisch. Der Lehrer Hanke schloss sich ihnen an. Die Spuren des Geflohenen waren leicht zu finden, denen sie zwei Stunden lang folgen konnten, bis sie sich verloren, als der Boden steinig wurde.

»Er ist nach Böhmen gegangen, in die Fremde«, vermutete Hanke, und sie stiegen unverdrossen immer höher hinan. Das Geheul eines Wolfes ließ sie erschauern. »Ein wildes Tier hat ihn zerissen«, jammerte die Frau und rang verzweifelt die Hände.

Nach drei Stunden waren sie bei der Kreuzeiche, wo eine Statue der Gottesmutter stand, ein Überrest aus katholischer Zeit. Frau Ursula kniete vor ihr nieder und flehte: »Hilf, Mutter Maria!«

Benirschke sog die Luft in sich ein und sagte: »Ich rieche Rauch. Da muss ein Haus in der Nähe sein.« Wirklich, wie wenn die Gottesmutter sie geleitet hätte, fanden sie die Waldhütte der Böhmin. Böhme war in ihrer Nähe gewesen, als er eine Lärche für den Dippelbaum fällte, der für das Haus Benirschkes bestimmt war. »Dieses Weib ist einmal auf dem Scheiterhaufen gestanden«, erzählte er, »wurde aber im letzten Augenblick gerettet und musste Böhmen verlassen. Damit die Ihrigen sie leicht besuchen können, siedelte sie sich nahe der Grenze auf der anderen Seite der Berge an. Das ist schon lange her. Ihre Leute sind schon längst tot, doch sie ist hier geblieben, weil sie niemanden hat.« Sie traten ein. Die Alte zeigte auf ein Lager und sagte: »Er schläft.«

Mutter Ursula stieß beim Anblick des Wiedergefundenen einen Freudenschrei aus, wovon dieser erwachte. »Mutterle, Mutterle!« stammelte der glückliche Knabe. Und dann sagte er ernst zum Vater: »Jetzt führt mich ins Amtsgericht!«

»Du Dummerle! Willem lebt. Es ist ihm gar nichts geschehen«, und dann zu Jakob: »Kind, was hast du uns Sorge gemacht!«

»Willem lebt! O du barmherziger Jesus! Wie kann ich dir danken! O, wie schäme ich mich, dass ich so schlecht und böse bin!«

»Du erfährst schon in jungen Jahren, Kind«, sagte Hanke, »wieviel Böses im Menschen als Erbschuld steckt. Aber du sollst erkennen, dass das Böse nur eine Versuchung ist, die wir überwinden müssen. Diese Lehre merke dir für das Leben Jakob!«

Da kläffte der Hund, wie um anzuzeigen, dass er auch etwas mitzureden hätte. »Ja, dich will ich niemals vergessen. Wie soll ich dich nennen?« redete Jakob ihn an.

»Hau, hau!«

»Hau, hau! flüstert der Teufel uns zu und drückt uns die die Axt in die Hand«, sagte Hanke. »Aber nein, nein musst du ihm erwidern und ihm die Hacke aus der Hand schlagen.«

»So soll er Neinnein heißen!«

Die Barinkova trug das Beste auf, das sie hatte, ein geräuchertes Lendenstück von einem Reh, Käse und Erbsen. So wurde es ein freudiges Festmahl.

Zur Belohnung für ihre gute Tat versprach ihr der Böhmebauer zwei Sack Mehl, die er ihr zuführen wolle. Als sie von Hanke erfuhr, dass dieser den Mährischen Brüdern angehöre, nannte sie ihn Brat, Bruder, denn der Orden, dem sie angehörte, war mit ihnen verwandt.

Die Böhmleute wollten sie überreden, zu ihnen ins Ausgeding zu ziehen. »Ach was, lasst mich da oben. In der Einsamkeit ist es am schönsten. Es dauert ohnehin nicht mehr lang.«

Am nächsten Sonntag predigte Pastor Ambrus von der Übeltat eines jugendlichen Sünders und von der wunderbaren Rettung des Niedergeschlagenen, worauf er fromme Sprüche über den Zorn und seine Bekämpfung anfügte und zu dem Thema überging: »In der Überwindung ist Freude.« Als Kirchenbuße wurde dem reuigen Sünder auferlegt, an zehn Sonntagen barfuß vor der Kirche zu stehen und sich von jedem, der vorüberging, schlagen zu lassen.

Aber keiner machte von diesem Recht Gebrauch. Nur Willems Mutter blieb einmal vor dem Büßer stehen und sagte:

»Ich habe dir zehnmal den Tod gewünscht, als mein Bub wie tot vor mir lag. Verzeih mir, Jakob!«

»Verzeih du mir, Mutter John!« stotterte Jakob. Die Frau umarmte ihn und sprach: »Gott sei mit dir und schütze dich!«

Dieses Erlebnis hatte den Knaben vor der Zeit reif zum Nachdenken gemacht. Immer tiefer bohrte die Frage: Woher kommt das Böse, weshalb ist es stärker als Gott, wo doch alles von Gott kommt? – Eine unheimliche Angst schnürte ihm die Seele zusammen, wenn er schlaflose Nächte durchwachte. Was wird geschehen, wenn das Böse noch einmal wieder in dir hochkommt und dich in eine Übeltat treibt?

Jakob vertraute dem Pastor seine Seelennot, aber dieser wusste nur Bibelsprüche als Gegenmittel. Was der tiefere Grund war, ahnte er nicht.

In der Schule lernten die Kinder die Psalmen auswendig und den Lutherischen Katechismus. Es kam darauf an, möglichst viele Sprüche zu wissen und die Gesetze zu erfüllen.

Um Bartholomae wurden alle Kinder hinaus auf den Katzensprung geschickt, um Wacholderbeeren zu sammeln. Sie brachten Körbe davon nach Hause. Aus den schwarzen Beeren brannte sich der Pastor Schnaps, worauf er sich verstand. Er trank sich dermaßen voll, dass er am Sonntag darauf die Predigt nicht halten konnte. Doch er holte das Versäumte am nächsten Sonntag nach, indem er zweimal predigte, am Vormittag und am Abend, beide Male darüber, dass es darauf ankomme, an Gott fest zu glauben und sich seiner Gnade anzuvertrauen.

Lehrer Hanke begriff, was im Innern Jakobs vor sich ging. Als er einmal auf der Weide neben ihm saß, sagte er: »Der Gott, den alle Welt im Munde führt, ist nicht der wahre Gott, sondern ein Götze, den sich die Menschen nach ihrer Art gemacht haben. Den wirklichen Gott kannst du nur in dir erfühlen, wenn du zugleich die größte Freude und die tiefste Trauer erlebst. Aber das ist nur ein Augenblick, kurz wie ein Blitz und lässt uns wie dieser erschrecken. - Wir hatten in Hohenstadt einen Mann, der davon sprach, wenn der Geist Gottes über ihn kam.«

»Ich verstehe, wie es gemeint ist. Ich sehne mich danach, auch so etwas zu erleben und habe doch wieder Angst davor.«

»Wir können nicht Gott erleben oder schauen, nur seinen Schatten. Als Mose mit dem Herrn sprach, verhüllte er aus Angst und vor Andacht sein Gesicht mit einem Schleier.«

»Und doch ist er der liebe Vater unser, und wir sind seine Kinder.« Der alte Mann wusste keine Antwort darauf. Da erhob der Hund, der zu ihren Füßen lag, ein freudiges Gebell. Sie sahen, wie die Barinkowa mühsam heranhumpelte. »Ich gehe zum Böhmebauer, um dort in Ruhe zu sterben. Die Wölfe machen mir nichts, aber der Wald ist voller Geier. Und ich will ein christliches Begräbnis haben.«

Das böhmische Weib erzählte von den Merkwürdigkeiten ihres Lebens. Einmal war der Herr Jesus Christus mit seinem Lieblingsjünger Johannes bei ihr eingekehrt. Sie kamen aus Rom vom Papst und wollten jetzt nach Wittenberg gehen, um einem Disput zuzuhören. Im Gespräch mit ihnen bat sie die beiden, ihr zu verraten, wann das Jüngste Gericht kommen werde. Da habe der Herr zu ihr gesagt: ‹Andulka, das Jüngst Gericht ist jeden Tag.› Aber Johannes flüsterte ihr zu: ‹Lies nach in dem Buch, das ich geschrieben habe, da habe ich deutlich das Jahr und den Tag angegeben.›

Als die beiden gegangen waren, habe sie sich in die Geheime Offenbarung des Johannes vertieft und gefunden, dass das Jahr 1604 die Umgestaltung der Welt bringen werde.

»So haben wir alle nur noch eine kurze Zeit zu leben«, seufzte Jakob von namenloser Angst gepackt.

Die Barinkowa starb richtig an dem Tag, den sie prophezeit hatte, ohne geistlichen Zuspruch, in heiterer Gefasstheit. Unter ihren Habseligkeiten befand sich auch ein Bild des Evangelisten Johannes. Darunter stand in ihrer Handschrift zu lesen: »Genau so sah er aus, als er in meiner Stuben saß.« Aus Briefen ihres Nachlasses erfuhr man, dass sie in ihrer Jugend Malerin in Prag gewesen war und viele adelige Herren porträtiert hatte. In ihrer Hütte fanden sich noch Farben und Pinsel.

Jakob fasste eine besondere Vorliebe für das Bildchen, das er über seiner Bettstatt befestigte, obwohl der Vater über solche papistische Abgötterei ungehalten war. Er bat den Lehrer, ihm die Apokalypse zu erklären, doch dieser lehnte ab: »Kind, das ist ein Mysterium Magnum. Um es zu verstehen, bedarf es einer besonderen Erleuchtung. Und diese wird nur ganz wenigen Auserlesenen zuteil. Mir wurde diese Gabe nicht gegeben. Es ist für mich ein Buch mit sieben Siegeln.«

Trotzdem las es der Knabe insgeheim. Auf der Weide gab Libor auf die Herde Acht, während Jakob in ein Versteck kroch, das er sich aus Steinen gemacht hatte, wo er mit glühenden Wangen Zeile für Zeile aus dem Buch sich laut vorlas, langsam, denn auf jedes Wort kam es an. Die ungeheuerlichen Bilder entzündeten seine Phantasie ins Maßlose. Der Gott, der hier zu ihm sprach, war der gewaltige Herr der Heerscharen, der furchtbare Gott Zebaoth, der die Ruchlosen verwirft und die Gerechten erhöht. Angst und Schrecken durchjagten seine Seele, denn auch hier lag das Böse im Geheimnis Gottes, und der Zorn des Ewigen wetterleuchtete schwefelgelb über die Welt.

Das alles wirst du im Jahr 1604 selbst erleben! Das Gericht Gottes wird wie feuriger Regen auf dich niederfallen und alles verzehren. Doch der Herr sagte der Barinkowa, dass jeder Tag das Jüngste Gericht ist. Wie ist das zu verstehen?

Wie er eimal wieder darüber grübelte, kam ihm die Erkenntnis: Wie ist das doch richtig! Alles, was jemals geschehen wird, ist schon da, wenn man genauer in die Dinge hineinsieht. Dein Jähzorn war in dir, bevor du die Hacke ergriffen hast. Wie oft hast du in Gedanken gestohlen, bevor du die Heller genommen hast!

»He, Scheckele!« schrie Libor in nächster Nähe und jagte eine Ziege davon, die von jungen Ebereschen naschen wollte. Diese Bäume hatte Bernirschke gepflanzt, Bäume aus seiner alten Heimat.

Hannes hatte aus Mähren auch eine merkwürdige Knollenfrucht mitgebracht, Ardeppel, über die sich die anderen Bauern lustig machten. Aber der Benirschkefamilie schmeckten sie, gekocht oder gebraten.

In der Schule war Jakob allen anderen weit voraus. Deshalb betraute ihn Hanke mit dem Unterricht der Kleinsten. Aber die Kinder wollten den um nur einige Jahre Älteren nicht als Lehrer anerkennen und spotteten über ihn. Der Knabe stand hilflos einer heimtückischen Bande gegenüber, die nichts anderes im Kopf hatte, als ihn zu quälen. Er konnte es nicht verstehen, dass soviel Bosheit in den Kindern steckte, mit denen er aufgewachsen war. Er betrat jedes Mal mit Herzklopfen das Schulzimmer, wo ihm höhnisches Geschrei entgegen schallte. Jedoch er wollte sich nicht geschlagen geben und justament den Beweis liefern, dass Milde stärker als Strenge sei.

Und wirklich, allmählich begannen sich einige zu schämen, dass es eine Roheit sei, den guten Jako so zu peinigen und es wurde ruhiger. Schließlich blieben nur zwei Bösewichter übrig. Stenzels Josef und Lauschmanns Benedikt, die immer neue Streiche ersannen. Jakob hatte von Hanke das Recht bekommen, die Störenfriede zu züchtigen oder zur ausgiebigen Bestrafung ihm zu übergeben, aber er wollte selber mit ihnen fertig werden. Mehr als einmal fühlte er, wie ihn der Jähzorn ansprang wie damals am Sankt Nickelstag: Er hätte die beiden Teufel erwürgen mögen.

Einmal konnte er nicht weiter. Während die anderen gespannt seiner Erzählung von der Hochzeit von Kanaan lauschten, machte Stenzel eine unflätige Bemerkung, die dann der andere noch überbot. Da ging Jakob auf sie zu packte, den einen rechts, den anderen links am Schopf und schrie sie an: »Damit habt ihr den Herrn Jesus beleidigt!« Dann beutelte er die Köpfe der beiden so fest gegeneinander, dass es krachte. Die Gezüchtigten liefen plärrend davon und erzählten, dass Jakob sie mit Augen wie ein Hexenmeister angesehen hätte.

Das war ein gefährliches Wort. Im Vorjahr war in Sagan ein Hexerich verbrannt worden, in Bautzen eine Hexe.

Am nächsten Tag verbot der Böhmevater, dass Jakob weiterhin den Lehrer spiele. Er hatte sechs Jungkühe im Stall. Jakob sollte für einige Zeit aus dem Dorf verschwinden. Deshalb schickte er ihn mit dem Jungvieh auf die Weide in herrenloses Gebiet, auf die Landeskrone, einige Meilen ostwärts der Gemeindemarkung. Libor Benirschke erbot sich freiweillig als Begleiter. Er war der beste Freund Jakobs geworden und freute sich darauf, einige Wochen mit ihm allein in der Heide zu hausen.

In ihrem Revier erbauten sich die Knaben zuerst aus Reisig ein Hirtenhaus nahe bei einer Quelle und verstauten darin ihre Vorräte. Dann unternahmen sie Entdeckungsfahrten in ihr neues Paradies. Die Landeskrone, der letzte Ausläufer des Iserkammes, ragte wie eine Hochwacht über sie, steil gegen Norden abfallend, doch sanft geneigt an den anderen Flanken. Den oberen Teil bedeckten dichte Urwälder, die zwischen riesigen Trümmern aufstiegen; an den Abhängen zogen sich saftige Weiden bis zum Queiß. Das nächste Dorf war über eine Meile entfernt.

Angesichts der Einsamkeit überfiel die Knaben zuerst Angst. Weit und breit kein Mensch. In der Nacht sauste es unheimlich, und Nebelschleier jagten wie Geister dahin. Die Knaben drückten sich furchtsam gegeneinander und der Hund lag zusammengerollt zu ihren Füßen. Libor war von den vielen Geistergeschichten geschreckt, die ihm zu Hause die Magd erzählt hatte. Jakob fürchtete sich nicht vor Gespenstern, sondern vor Räubern. Denn überall im Grenzgebiet trieben sich Schnapphähne herum, denen das Messer leicht im Gürtel saß, wenn sie die Hirten erschlugen und das Vieh über den Kamm trieben! Zur Verteidigung hatten die beiden nichts als ihre Stecken.

Eines Morgens beruhigte Jakob seinen Freund, indem er sagte: »Die Barinkowa ist mir im Traum erschienen und hat mir versprochen, uns einen besonderen Schutzgeist zu schicken. Wir sollen jeden Abend zum heiligen Evangelisten Johannes beten.«

Sie taten es und wurden daraufhin mutiger.

Einmal bauten sie aus Steinen eine Burg. Während sie einen schweren Block aufhoben, schnellte aus einer Spalte eine Kreuzotter. Libor schrie auf und ließ den Stein fallen. Vor Schreck stand er wie angenagelt da. Doch Jakob packte die Schlange mutig am Kopf und schleuderte sie mit einem Ruck von sich.

Libor behauptete, von ihr gebissen zu sein, obwohl sich nirgends ein Zeichen davon sehen ließ. Jedoch die Einbildung bewirkte, dass sein linker Arm anschwoll. Er legte sich verzweifelt nieder auf sein Lager und glaubte, dass er nun sterben müsse. Was sollte Jakob tun? Nach Hause um Hilfe laufen und den Freund allein zurücklassen? Der heilige Johannes muss helfen! Jakob beugte sich über den Wimmernden und sprach ein Gebet, wie es ihm gerade einfiel. Die Wirkung war geradezu wunderbar. Libor fühlte auf einmal keine Schmerzen, lächelte dem Freund dankbar zu und fiel in einen festen Schlaf. Als er erwachte, war die Schwellung fort, und er sprang lustig auf und war gesund. Ein anderes Mal entdeckten sie, dass sich Feldmäuse über ihre Vorräte hergemacht hatten. Libor stellte Mausefallen auf, aber weil sie keinen Speck hatten, blieben sie ohne Wirkung. Da wurde Jakob zornig und schrie in ein Mauseloch: »Im Namen des heiligen Johannes, schert euch, ihr Ludersch!« Und von nun an ließ sich keine Maus mehr sehen.

In der Mittsommerszeit traf unvermutet der Lehrer Hanke mit einem Buckelsack Lebensmittel ein, von den kleinen Einsiedlern lebhaft begrüßt, und erzählte Neuigkeiten aus dem Dorf. Die Buben zeigten ihm ihr Königreich und alle Schätze, die sie bisher gefunden hatten, darunter schöne Bergkristalle und merkwürdige Versteinerungen. »Die Lebewesen im Stein, das waren solche Tiere, die Noah nicht in seine Arche mitnahm und die elend ersoffen sind«, erklärte der Lehrer.

Einmal stiegen sie auf den Gipfel der Landeskrone, wo sie den Weitblick über das Land genossen. Ganz am Rande des Horizontes flimmerten die Schieferdächer von Görlitz. Beim Abstieg gewahrten sie einen Stein von der Gestalt eines Tisches. »Das ist wohl ein Werk von Heiden oder Riesen«, vermutete Libor. »Wenn man doch noch etwas von ihnen wüsste, so wie vom Rübenzagel.«

»Still, davon darf man nicht laut sprechen!« sagte Jakob und verschloss seinem Freund mit der Hand den Mund. Dann wandte er sich um und zeigte ihm am Rande des Horizontes die höchste Koppe und sprach: »So weit man von der Schneekoppe sehen kann, ist sein Reich.« Erst am Abend, als im Kessel die Heedegrap, der Buchweizen, kochte, erklärte Jakob als Einheimischer den beiden Zugewanderten die Sagen vom Berggeist, doch so, dass dieser niemals mit Namen genannt wurde. Denn er rächt sich, wenn man seinen Spottnamen ausspricht. Libor wusste von einem ähnlichen Berggeist in Mähren zu berichten, vom Altvater, der viele Schätze in seinen Bergen verschlossen hält, die er eifersüchtig bewacht. Dem frommen Lehrer missfielen die heidnischen Gespräche, und er lenkte die Phantasie der Knaben auf Legenden. Dabei brach seine Angst vor dem nahenden Weltuntergang hervor, und er erzählte von den Weissagungen der Sibylle, wie sie in einer Schrift der Brüdergemeinde aufbewahrt wird. »Blut wird vom Himmel regnen, ein neuer Stern wird am Himmel sichtbar werden, der Löwe aus Mitternacht wird den Adler zerfleischen, und Prag wird zerstört werden. Der Hunger wird so groß sein, dass die Leute Baumrinde essen werden. Dann wird das siebente Siegel geöffnet werden und der Heilige Gottes, dem ein Schwert aus dem Mund geht, wird auf einem weißen Pferd erscheinen.«

Die apokalyptischen Visionen liefen auf eine hymnische Darstellung des Neuen Jerusalems aus. »Die Juden werden die Prophezeihung missdeuten und eine neue Stadt auf der Stelle der alten erbauen, aber es ist ein geistiges Jerusalem zu verstehen, das denen bestimmt ist, die gläubig die Wiederkunft Christi erwarten.«

Die Buben baten den Lehrer, bei ihnen zu bleiben, doch dieser hatte versprochen, in drei Tagen zurück zu sein, um bei der Heuernte auszuhelfen. Bevor er heimwanderte, zog er Jakob zur Seite und eröffnete ihm: »Die Bauern haben etwas gegen dich. Sie sagen, du bist gluderisch.«

»Gluderisch, was heißt das?«

»Ich hab es mir erklären lassen. Es heißt unheimlich, anders als die anderen. Sie vermuten bei dir allerhand Geheimnisvolles. Am besten wäre es, der Vater steckte dich zu einem Handwerker nach Seidenberg, damit du den Leuten einige Zeit aus den Augen kommst.«

»Was sagt der Vater dazu?«

»Er ist wie vor den Kopf geschlagen, aber der Pfarrer redet ihm auch zu. Wenn einer gluderisch ist, meidet man am besten jeden Verkehr mit ihm. Das ist nur eine Einbildung der Bauern. In der Stadt weiß man davon nichts.«

Jakob wusste nicht, ob er sich über diese Mitteilung freuen sollte. Die Trennung von den Eltern würde ihm nicht leichtfallen, aber er würde in Seidenberg gewiss mehr lernen können, vielleicht sogar Latein. »Für gluderisch halten sie mich. Ach, du lieber Herr Jesus, so wissen sie alle, wie böse ich im Grund meines Herzens bin.«

Nach dem Fortgehen Hankes überflog er in Gedanken alle Berufe, die für ihn in Betracht kommen könnten. Am liebsten wäre er Pfarrer geworden, aber daran war nicht zu denken, das kostet zu viel. Also ein ruhiges Handwerk. Schmiede, Müller, Wagner, Tuchmacher lärmten zu arg. Ein Beruf, bei dem man ein besinnliches Leben führen kann, sollte es sein. Das wären also Schneider, Schuster, Siebmacher. – Der Vater sollte die Entscheidung treffen.

Am Abend betete er den Psalm: »Befiehl dem Herrn deine Wege«!

Von nun an teilten sie sich die Arbeit so ein, dass abwechselnd immer einer bei dem Vieh blieb, während der andere nach Herzenslust herumstreifen konnte. Einmal brachte Libor einen verrosteten Harnisch mit, über den sich ihre Phantasie in abenteuerlichen Vermutungen erging. Jakob nahm sich vor, den anderen Abhang der Landeskrone zu erforschen, wo sie gegen den Iserkamm auslief. Er steckte für seine Entdeckungsreise einen Ranft Brot ein und einen Brocken Käse, denn er gedachte, den ganzen Tag auszubleiben. Zuerst suchte er das vermutliche Schlachtfeld ab, wo Libor den Harnisch gefunden hatte. Er fand zunächst nichts als Brombeeren, mit denen er sich sättigte. Da ragte mitten im dichtesten Gestrüpp aus einem vermoderten Baumstamm etwas hervor, der grünspanige Knauf eines Schwertes. Er zog es heraus. Die eine Schneide war angefressen, die andere scharf. Er säuberte es. Dabei wurden einige Buchstaben auf dem Stahl sichtbar. Mit scheuer Ehrfurcht nahm er es an sich und wanderte mutig weiter, immer höher hinauf.

Das Gelände wurde steinig. Felswände schoben sich immer näher heran, und auf einmal sah er sich vor einem Felsentor. Sein Herz klopfte vor Erregung. Welch ein Wunder tat sich da vor ihm auf? Wie ein Märchenprinz kämpfte er sich mit dem Schwert durch die stachelige Dornenhecke hindurch und brach sich einen Weg zum Eingang.

Ein feuchtwarmer Brodem schlug ihm entgegen. Von den grün übermoosten Wänden sickerten Tropfen herab. Der Raum verengte sich nach hinten und verlor sich in undurchdringliches Dunkel. Jakob wagte einige Schritte vorwärts über den weichen Mulm. Als sich seine Augen an das Dunkel gewöhnt hatten und das Herz ruhiger schlug, spähte er mit vorgeneigtem Körper gegen den dunklen Schacht. Stand da nicht etwas vor ihm in einer Nische? Er tat einige Schritte näher und sah vor sich eine Bütte.

Ein unheimliches Gefühl überwältigte ihn, und er spürte, dass er am ganzen Körper zitterte. Doch die Waffe in seiner Hand gab ihm neuen Mut.

Da war nun das geheimnisvolle Ding vor ihm. Er tastete es behutsam ab und fand oben einen Verschluss. Welch ein Rätsel war da verborgen? Er stemmte sich gegen den Deckel, den er mit einem Laut aufbrach, der wie ein Seufzer klang.

Er beugte sich vor – O Himmel! – Gold! Ein ganzer Schatz!

Unwillkürlich senkten sich seine Hände hinein und wühlten in dem kalten Metall. Münzen, Ketten, Ringe, Schalen, Pokale!

Plötzlich durchfuhr es ihn: eine Versuchung der Hölle! Wenn du etwas davon nimmst, bist du dem Bösen verfallen. Viele Sagen erzählen dergleichen. Alles ist eitel Blendwerk! Was hier Gold ist, wird zu Dreck, wenn du es nach Hause nimmst. Und Satan frohlockt, dass er dich drangekriegt hat!

Nein, vielleicht ist es kein Teufelsgold. Unweit von hier war einmal ein Schlachtfeld, wie die Funde beweisen. Die Bütte hier enthält den Kriegsschatz, der in dieser Höhle versteckt wurde. Alles geht mit rechten Dingen zu. Wer das Gold findet, kann es behalten, es ist kein Unrecht daran. Wieder wühlten seine Hände in dem klirrenden Metall. Und wieder durchfuhr es ihn, und es war ihm wie eine Erleuchtung: Es geht um das Heil deiner Seele! Wenn du jetzt dem Bösen nachgibst, bist du ihm für immer verloren, hier und im Jenseits! – O Ewigkeit, du Donnerwort!

Mit keuchendem Atem stürzte er gegen den Ausgang, das Schwert gezückt, entschlossen den Kampf gegen jeden Unhold aufzunehmen. Halb betäubt taumelte er ins Freie, wo er nach einigen Schritten in die Knie brach und mit Inbrunst ein Dankgebet zum Himmel sandte. Dann wischte er sich mit der Hand den kalten Schweiß von der Stirn und machte sich auf den Rückweg.

Libor wollte die Erzählung seines Freundes nicht glauben und hielt alles für leere Flunkerei, doch Jakob erbot sich, ihn von der Wahrheit des Gesehenen zu überzeugen. Aber durfte man die Herde unbehütet zurücklassen? Wenn ein Strauchdieb sie entführte?

Jakob empfahl die Tiere dem Schutz des heiligen Johannes, pflockte den Hund an, und sie machten sich am frühen Morgen auf den Weg zur Schatzhöhle. Sie fanden auf dem Schlachtfeld noch einige vom Rost zerfressene Waffen, dann bogen sie, den Spuren von gestern folgend, zum Geröllfeld ein, durchquerten die Gestrüppregion und standen vor der Felsenwand. Aber kein Tor, keine Öffnung ließ sich erblicken. Da lagen noch die Ranken, die das Schwert Jakobs gestern niedergemäht hatte. Dort, wo tags zuvor das Höhlentor offen stand, starrte ihnen eine glatte Felsenmauer entgegen, deren Fugen ungefähr die Umrisse eines Ovals ahnen ließen.

»Das Zauberwerk hat sich geschlossen«, stammelte Jakob.» Vielleicht war gestern ein besonderer Tag im Jahr, an dem es von den Schatzgeistern geöffnet wurde.«

Libor ergrimmte darüber und beschwor die Geister, die Felsen auseinanderzutun und sie einzulassen. Aber nur ein verzerrtes Echo gab ihm Antwort. In seinem Ärger vermaß er sich sogar, den Rübenzagel um Hilfe anzurufen. Aber jäh erschrak er vor der eigenen Tollkühnheit und schoss wie unsinnig davon, als ob der Alte der Berge ihm schon auf den Fersen wäre. Jakob ihm nach.

Erst unterhalb der Dornen hielten sie an, nach Luft schnappend. »Da ist der Teufel im Spiel«, sagte Libor und zog sich einen Dorn aus der Wade.

»Gottes Engel hat uns vor einer großen Gefahr bewahrt«, sprach Jakob.

»Ach was, die beiden Hosensäcke voll mit Goldstücken wären mir lieber«, lästerte Libor. Jakob entsetzte sich über eine solche Sünde und hatte es eilig damit, diesen verrufenen Ort zu verlassen.

Anfang September fielen einige kühle Regentage ein, die sie in der Hütte beim Feuer verbrachten. Wenn sie doch schon nach Hause gehen könnten! Sie mussten ausharren, bis man sie abholte. Die Nahrung ging zur Neige. Hat man sie gar vergessen?

Statt des sehnlichst erwarteten Lehrers Hanke traf Kuntschkes Altknecht Jochen mit einem Futtersack ein. Libor konnte es sich nicht versagen, ihm von dem wunderbaren Erlebnis Jakobs in der Schatzhöhle zu erzählen.

»Ihr sollt im Dorf nicht viel davon herumreden, sonst kommt ihr in