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© 2017 Verlag Martin Rossol, Ebermannstadt
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über die Seite www.dnb.de abrufbar.
Satz: Werner Böse
Schutzumschlag: Miriam Seibold
Illustrationen und Titelillustration: Jürgen Pankarz
Druck: BoD, Norderstedt
ISBN 978 3 9447 3622 8 (Paperback)
ISBN 978 3 9447 3623 5 (eBook)
Printed in Germany
Wir leben in einer aufgeklärten Zeit. Wir kennen die Geschichte und in ihr die Auswirkungen von Macht und Gewalt, wir kennen, wie noch nie in Tausenden von Jahren, die Tiefen der menschlichen Psyche und wissen, dass Macht viel zu oft Selbstzweck ist und nicht Mittel zum Zweck. Immer wieder werden wir in unserer Zeit, heute mehr denn je, mit der Tatsache konfrontiert, dass Management, Leitung und Führungspersonen in ihrer Verantwortung sich selbst bereichern, mit der Unwahrheit hantieren und die Unternehmensziele im besten Fall nur sekundär bearbeiten. Haben Werte wie Wahrhaftigkeit, Offenheit, Bescheidenheit, Gleichberechtigung, Sparsamkeit, Solidarität, Respekt und Menschlichkeit nur noch eine verbale Größe, sind Machtgier, Narzissmus und Habgier, aber auch die Angst vor Macht- und Gesichtsverlust die treibenden Kräfte in den Führungsetagen?
Der Theologe, Philosoph und Humanist Erasmus von Rotterdam erstellte zu Beginn des 16. Jahrhunderts Sammlungen (Adagia) von antiken Weisheiten und Sprichwörtern aus lateinischen und griechischen Texten. In einer dieser Sammlungen ist der folgende Satz mit dem sehr kurzen, aber treffenden Kommentar zu lesen: "Es fängt der Fisch zuerst vom Kopf zu stinken an. Das ist gegen die schlechten Herrscher gerichtet, die mit ihrer Verderbtheit das ganze Volk anstecken. Es stammt offenbar aus der Sprache des einfachen Volkes." 1
Erasmus von Rotterdam dokumentierte also bereits vor fünfhundert Jahren eine Jahrtausende alte Tatsache die wir heute genauso wie damals unverändert erleben. In allen Zeiten und in allen Reichen ging es immer um den Machtanspruch der Mächtigen über ihre Länder, Gebiete, Landstriche und die darin lebenden Menschen waren eine "nutzbare" Masse, die gebraucht wurde, um die Machtansprüche und Machtphantasien durchzusetzen. Nur wenige der Herrscher haben Ihrer Aufgabe darin gesehen, die Gesundheit und das Wohlergehen der Bevölkerung und eine lebendige Kultur in den Mittelpunkt zu stellen, vielmehr wurden und werden Kriege und Machtkämpfe auf dem Rücken der Machtlosen ausgetragen.
Die Machthaber und Diktatoren, die ihr ganzes Volk in den Ruin und auch in den Tod treiben, erleben wir weltweit genau so noch heute. Ist es in unserer Alltagswelt anders? Jeder von uns hat sicher schon mal negative Erfahrungen mit arroganten Vorgesetzten und machtverliebten Chefs gemacht, die seelische aber manchmal auch körperliche Gewalt existiert tagtäglich in unserer Nähe, in der Familie, am Arbeitsplatz, im Verein, in der Gruppe. Immer dann, wenn sich eine Führungsperson die Macht nur um ihrer selbst willen "nimmt", ignoriert und vergiftet sie in ihrem Aktionsradius menschliche Werte und beeinflusst das Leben und Handeln der Beteiligten negativ. Ist es in christlichen Organisationen anders?
Meine Erfahrungen habe ich aufgeschrieben in der Hoffnung, dass sie zum Nachdenken herausfordern, als Anregung für Gespräche genutzt werden oder den Einen oder Anderen darin bestärken, doch etwas zu ändern.
1 Erasmus von Rotterdam: Ausgewählte Schriften. Band 7.
Hrsg.: Werner Welzig. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1972
Als ich sehr kurz nach dem Studium der Sozialpädagogik eine Stelle als Leiter eines Kinderheims antrat, fragten mich Freunde und Kollegen: "Warum gleich in eine Leitung? Fang doch unten an!" Damals habe ich gesagt: "Lieber die Menschen unter mir als über mir!" Es war ein Gefühl, die Sehnsucht, etwas bewirken zu wollen, für das man, so dachte ich, die Macht in einer Führungsposition braucht.
Heute, mit meinen Erfahrungen aus über 35 Jahren Leitung in der Sozialwirtschaft, bei karitativen Trägern und in der Privatwirtschaft, weiß ich, dass Führen und Leiten tatsächlich Freude machen. Doch viel zu oft habe ich auch schmerzlich erfahren, dass Mitarbeiter auf eine offene, lebendige und faire Leitung viel besser reagieren als Vorgesetzte und Leitungen über einem. Dennoch, davon bin ich überzeugt, muss man seinen Weg gehen, darf das Ziel nicht aus den Augen verlieren und die Werte und Maßstäbe, die einem wichtig sind, nicht verraten, auch wenn es nicht immer leicht ist und manchmal auch sehr weh tut.
Viele Führungskräfte in Leitungsverantwortung stellen nach außen etwas anderes dar, als sie nach innen leben, und viele Unternehmen, gerade auch in der Sozialwirtschaft, leben noch, weil Mitarbeiter unabhängig vom Einflussbereich der Leitungen oder gar gegen ihre Vorstellungen und Anweisungen ihr Augenmerk auf die Dienstleitung am Menschen richten und viel Sensibilität für deren Bedürfnisse mitbringen. Leider ist es sogar so, dass Attacken und negative Interventionen von Leitungen die eigentliche Arbeit oftmals zusätzlich erschweren und belasten. Es ist schwer auszuhalten und zu verstehen, wie viel Kraft auf diese Weise sinnlos vertan wird.
Dieses Buch ist ein Blick hinter die Kulissen eines Machtgehabes in der Sozialwirtschaft, das nicht nur unreflektiert ist, sondern häufig auch unwidersprochen und damit unreguliert bleibt. Ziellosigkeit, Orientierungslosigkeit, Willkür und viel Gerede um nichts sind leider zu oft die Auswirkungen endloser Machtspiele und Machtkämpfe. Es soll aber auch aufzeigen, welche wichtigen Eckpunkte notwendigerweise erarbeitet werden müssen, um eine Organisation so aufzubauen und zu führen, damit für die Mitarbeiter ein klares, vorbildliches, offenes und lebendiges System entsteht, in dem für die Kunden eine an ihren Wünschen und Bedürfnissen orientierte Leistung erbracht werden kann.
Geboren und aufgewachsen in einer evangelischen "Anstalt" für behinderte Menschen, bekannt unter dem Namen Bethel, war meine Erziehung stark geprägt durch christliche Werte. Wie mir erst später bewusst wurde, war Bethel zu der Zeit, in den 50er und 60er Jahren, eine Art "Käseglocke" und für uns Kinder fast eine heile Welt: Wir wuchsen mit und zwischen behinderten Menschen auf, Inklusion war in Bethel keine pädagogische Forderung, sondern gelebter Alltag, und die "Anstalt", wie sie damals im Volksmund genannt wurde, wirkte auf mich wie eine Art Schutzraum. Beim Wechsel auf die weiterführende Schule nach Bielefeld wurden wir Bethel-Kinder belächelt oder auch provoziert: "Ach, das sind die "Doofen" von jenseits des Gebirges...". Damit war der Teutoburger Wald gemeint, der eine natürliche Grenze zwischen Bethel und der Stadt Bielefeld darstellt. Durch diese neuen Erfahrungen verstärkte sich das Gefühl, dass Bethel doch etwas "Besonderes" sein müsse: Die Versorgung war autark, es gab die Bäckerei, die Molkerei, das Kaufhaus Ophir, die Gärtnerei, die Elektrowerkstatt, die Kfz-Werkstatt und vieles mehr, sodass wir für die Dinge des täglichen Lebens kaum aus Bethel heraus mussten. Für uns war es selbstverständlich, dass Behinderte und Nichtbehinderte zusammen arbeiteten und feierten und wir uns auch täglich auf der Straße, in den Einrichtungen und bei Veranstaltungen begegneten. Auch gelebte christliche Traditionen gab es in Bethel viel, zum Beispiel in der Jungschar oder im Posaunenchor, der in den Gottesdiensten, bei Beerdigungen, Geburtstagen und Hochzeiten spielte und in verschiedenen anderen Veranstaltungen und Angeboten zum Einsatz kam. An den Sonntagen war in den Predigten die Rede von Gerechtigkeit, Nächstenliebe und Vergebung, aber es wurde auch früh der kindliche Eindruck gelegt: Gott sieht und hört alles und seiner Aufmerksamkeit entgeht nichts. Und in meiner damaligen Wahrnehmung entwickelte sich bei mir die Sorge, der große weise Mann im Himmel wird all das, was ich gemacht habe, später auch für die "Zulassung zum Himmel" mit bewerten.
Mit dem Älterwerden jedoch empfand ich zunehmend die Diskrepanz zwischen Wort und Tat, und mein kritischer Geist wuchs spätestens in der Pubertät: Warum tun die Erwachsenen nicht das, was sie sagen? Das Credo: "Gerechtigkeit gegen Jedermann üben", hieß eben nicht, dass es auch praktiziert wurde, und das prägte sicher maßgeblich auch meine spätere Einstellung. Immer stärker setzte sich bei mir der Eindruck fest, dass das Handeln und die Entscheidungen der Herren in Führungspositionen vielfach von ganz anderen Dingen abhingen als von dem, was sie als "Gottes Wort" verkündeten und uns als vorbildhaftes Verhalten näher bringen wollten. Dabei spielten ein gelebter Egoismus verbunden mit einer überheblich wirkenden Selbstgerechtigkeit, aber auch fachliche Inkompetenz und Angst eine Rolle, die für mich in dem Alter erst langsam sichtbar wurden. Die Tatsache, dass die einen redeten, predigten und Vorträge hielten und die anderen das Tagesgeschäft verrichteten, entwickelte sich für mich mehr und mehr zu einer Wirklichkeit, die mit zunehmendem Alter und wachsenden Erfahrungen immer unerträglicher wurde.
Als ich sechzehn Jahre alt war und mein Realschulabschluss vor der Tür stand, sagte mein Vater zu mir: "Lern erst einmal etwas Bodenständiges, Verwaltung ist immer gut" und vermittelte mir eine Stelle als Auszubildender in der Gesetzlichen Krankenversicherung. Als gehorsamer Sohn waren meine Pläne vom Gartenbauarchitekten oder Flugzeugbauingenieur schnell verflogen. Die