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1. Auflage 2016

Edition Avra

ISBN 978-3-946467-16-8

Books on Demand GmbH

Inhalt

Gute Nacht Geschichten

In tiefes Grübeln versunken saß der Vampir über den Seiten des unheimlichen Geisterlogbuches, das er auf einem steinernen Altar in der dunklen Kathedrale der unterirdischen Bergfestung vor sich aufgeschlagen hatte.

Wieder und wieder überflog er die Aufzeichnungen der letzten Mission, die alles andere als von Erfolg gekrönt gewesen war und die dem übermächtigen, dämonischen Schattenreich Kangoon die erste große Niederlage in der Geschichte beschert hatte.

Einige Monate waren seither vergangen, als er zusammen mit seinen dämonischen Gefährten auf einem riesigen, fliegenden Geisterschiff nach Hollenried im südwestlichen Vogelsberg aufgebrochen war, um dort mit Hilfe eines schwarzen Magiers, eine mächtige, weiß magische Eiche zu fällen.

Mit den sagenhaften Energien, über die der Baum verfügte, sollte der Dämon Baphomet nach über tausendjähriger Gefangenschaft tief im Erdinnern unter der Festung Kangoon endlich aus seinem weiß magischen Gefängnis befreit werden. Doch das Vorhaben war kläglich gescheitert.

Die Eiche und ihre Gefährten, bei denen es sich zu allem Überfluss noch um Agenten der Dämonenbekämpfung gehandelt hatte, hatten sie zum Rückzug gezwungen.

Der Vampir löste den Blick von den Zeilen des Textes und starrte ausdruckslos vor sich hin in den düsteren Raum hinein.

Schwerfällig glitt seine Hand zwischen den Knöpfen seines langen schwarzen Mantels mit dem steifen hohen Kragen hindurch und durch den dünnen Stoff des weinroten Rüschenhemdes ertasteten seine dürren Finger die imaginär schmerzende Stelle an seiner Brust, die ihn wie ein Dorn im Fleisch an jenen verhängnisvollen Augenblick, den das Schicksal ihm bereitet hatte erinnerte:

Er, der mächtige Vampir, schleuderte herum und prallte rücklings gegen etwas Knochenhartes.Taumelnd stieß er sich ab und erkannte den baumdicken Schiffsmast, an dem entlang sein Blick nach oben in die diffuse Dämmerung glitt. Den Schatten, der sich von dort pfeilschnell auf ihn herabsenkte, nahm er nur schemenhaft wahr, bevor ein unbändiger Schlag seine Brust traf und ihn hinterrücks umriss.

Kaum einen Wimpernschlag darauf fand er sich mit einem schweren Leinentuch bedeckt, das ihm die Sicht raubte, auf den hölzernen Deckplanken am Fuße des Mastes lehnend wieder.

Er hatte den drückenden Schmerz, der noch immer zentnerschwer auf seiner Brust lastete und ihm die Luft abschnürte, mit einem Handstreich einfach beiseite wischen wollen, doch seine Finger waren bei dem Versuch an einem länglichen Gegenstand hängen geblieben, den sie nun zitternd umklammerten. Er ragte aus einer handtellergroßen, klaffenden Wunde aus seiner Brust und aus seinem Rücken heraus.

Kaltes, grünes Vampirblut schoss gurgelnd seine Kehle hinauf, stürzte durch seinen halb geöffneten Mund über seine eingefallenen Lippen und ergoss sich in einem Schwall über seinen Mantel bis in seinen Schoß hinein.

Dabei wich die bleierne Schwere auf seinem Brustkorb schlagartig einem ziehenden, tief sitzenden, heißkalten Schmerz, bei dem die Hitze, ähnlich einer frisch eingeschalteten Herdplatte, nun schnell die Oberhand gewann.

In einem letzten Reflex versuchte er sich noch ein Mal aufzubäumen, um mit letzter Kraft den geborstenen Fahnenmast, der sein Vampirherz durchbohrt hatte, und dessen Flaggentuch ihn in einer Ironie des Schicksals wie ein großes Leichentuch bedeckt hielt, aus seiner Brust zu ziehen, doch der Auflösungsprozess hatte bereits begonnen.

Von den Wundrändern in seinem Brustkorb fauchte eine orangegelbe Glutwoge in konzentrischer Bewegung über seinen Körper hinweg und verbrannte qualvoll alles Gewebe auf ihrem Weg in Richtung Kopf und Glieder.

Mit blutrot unterlaufenen, schockgeweiteten Augen sah er, zu keiner Reaktion mehr fähig, im Angesicht des Todes stumm seine langen, dürren Finger, die in das Holz des Mastes gekrallt waren, wie Wunderkerzen abbrennen, bevor die Glutbank seine Kehle erfasste, um sich dort wie an einer dicken Zündschnur an seinem Hals entlang bis in seinen Rachen hinein zu winden.

Für einen Augenblick schmeckte er die im Zuge der Hitzewelle zu feinen Klümpchen denaturierten Eiweiße geronnenen Vampirblutes in seiner Mundhöhle, als sich knisternd seine Zunge zu einer festen Kruste an seinem Gaumen zusammenrollte.

Dann erstarb sein Blick und die Qual endete je, als ein angenehmer Schwindel seine Gedanken im Strudel des Todes in die Abgründe der Hölle riss, der er einst entstiegen war.

Und als von draußen irgendwer das Tuch lüftete, bestand sein Körper nur noch aus einer verkohlten Hülle, deren Haupt leblos nach vorne gekippt war und deren Asche sich nun wie auf ein unsichtbares Zeichen hin von seiner Silhouette löste und wie feiner Sand in dichten Schleiern auf die Planken des Geisterschiffes rieselte.

Der Vampir wurde jäh aus seinem Tagtraum gerissen, als er hinter sich plötzlich Schritte vernahm. Sie drangen aus dem Gang, der aus dem Gewölbe der unterirdischen Bergfestung in die Dunkle Kathedrale führte an seine Ohren. Hastig zog er die Hand zurück, die noch immer an der Stelle auf seiner Brust ruhte, wo ihn vor kurzem der Mast durchbohrt hatte.

Mit wissendem Grinsen wand er sich um. Zwei dämonische Hornkämpfer, hünenhafte, grausliche Gestalten mit Doggenköpfen, –die Größere der beiden mochte an die 2, 50 Meter messen –, in eisenbeschlagenen, schweren, braunen Drachenlederrüstungen, passierten das Tor zur Dunklen Kathedrale. Die Beiden waren seine ergebensten Diener.

Das Menschenblut, das sie nach seinem außerplanmäßigen Ableben in jener unheimlichen Vollmondnacht in einer uralten, schwarzmagischen Zeremonie hier auf dem steinernen Altar in der Dunklen Kathedrale über seine sorgsam aufbewahrten, sterblichen Überreste geträufelt hatten, hatte seine Wirkung nicht verfehlt und ihn in einer wahrlich furchteinflößenden Metamorphose in der altehrwürdigen, hoheitlichen Vampirgestalt des Blutgrafen Serge Korrow, Herrscher des Schattenreiches Kangoon, wie Phönix aus der Asche wieder auferstehen lassen. Ja er, Serge Korrow, war wirklich und leibhaftig wieder erwacht.

Serge lachte hämisch, als Attila und Bob, die beiden Hornkämpfer, kurz hinter dem Torbogen stoppten, um wie zwei Zinnsoldaten nebeneinander Haltung anzunehmen und ehrfürchtig vor ihrem Herren den Blick zu senken.

„Spielt mir nicht die Kaiserlichen und sagt mir lieber, wie wir diese vermaledeite Eiche bezwingen können! Es muss doch eine Möglichkeit geben, uns ihrer Energien habhaft zu machen, ohne dabei die Pest an den Hals zu kriegen!“, sagte Serge und winkte die beiden Dämonen mit einer ungeduldigen Handbewegung zu sich hinüber.

Attila und Bob erreichten den Altar, an dem sich ihr Meister, der Graf, bereits wieder den Aufzeichnungen des Logbuchs zugewandt hatte, das der Kapitän des Geisterschiffes, auf ihrer gemeinsamen, letzten Mission akribisch geführt hatte.

„Nun, um gesunden Fußes überhaupt nur in die Nähe dieses unseligen Baumes zu gelangen, müsste man ihm schon das Atmen verbieten, bzw. die Luft abdrehen!“, meinte Bob, der im Team sowohl für die Fährtensuche, als auch für wissenschaftliche Analysen aller Art zuständig war.

Serge Korrow schüttelte ungläubig den Kopf und klappte genervt das Buch zu. Dann erhob er sich schwerfällig aus seinem Sitzstock und blickte den Fährtensucher, der in etwa seine Größe hatte, und für einen Hornkämpfer im Gegensatz zu dem athletischen, hünenhaften Attila recht klein und gedrungen geraten war, für einen Moment lang ratlos an.

Tatsächlich hatte sich der Sauerstoff, den die Eiche über ihre Blätter in die Umgebungsluft ausatmete, für die Dämonen als hoch giftig herausgestellt.

Und nicht nur für sie. Die weiß magischen Sauerstoffschwaden hatten auch vor dem im Luftraum am Rande der Eiche geparkten Geisterschiff nicht halt gemacht und dessen rasche Zersetzung eingeleitet.

Hätte Attila den Kahn und dessen dämonische Besatzung nicht gerade noch rechtzeitig in einem halsbrecherischen Manöver aus der Gefahrenzone gesteuert, so wären sie glatt alle in Hollenried gestrandet und den Dämonenjägern ins Netz gegangen.

„Das mit dem Luft abdrehen hat schon beim letzten Mal nicht funktioniert“, entgegnete Attila auf Bobs Bemerkung und begann sich mit der Spitze eines Armbrustpfeiles aus seinem Köcher den Dreck unter den hornigen Fingernägeln hervorzukratzen.

„Das war auch nicht Abdrehen, sondern Abschotten!“, sprach Bob und verdrehte die Augen.

Attila ersparte sich die Frage, worin da nun der Unterschied lag, denn er kannte seinen Kumpan und wusste, dass dieser gleich mit einem erklärenden, wissenschaftlichen Vortrag wie Lehrer Lempel starten würde.

Auch der Graf ahnte, was folgen würde und nahm, ohne ein weiteres Wort zu verlieren wieder in seinem Sitzstock platz.

Bob rückte sich vor dem Altar in Pose und begann, ohne zunächst auf „Abdrehen“ und „Abschotten“ einzugehen, zum besseren Verständnis wie er annahm, mit einem allgemeinen Referat über die wichtigsten Organe eines Baumes.

„Nun, wie wir alle wissen, besteht ein Baum neben den Blüten für die Bestäubung und den Früchten für die Vermehrung, vor allem aus Wurzel, Stamm, Ästen, Blättern und Rinde.

Die Wurzel dient zum einen der Verankerung des Baumes im Boden und zum anderen der Aufnahme von Wasser und den darin gelösten Nährelementen.

Über das Holz von Stamm und Ästen wird das Wasser von der Wurzel bis in die Blätter geleitet, wo die gelösten Nährelemente mit Hilfe von Sonnenenergie, Kohlendioxid, Wasser und Blattgrün (Chlorophyll) in Zucker umgewandelt werden, der Grundnahrung des Baumes. Dieser Zucker wird nach der Bildung, von den Blättern in gelöster Form über die innere Rinde stammabwärts transportiert. Er versorgt die lebenden Zellen mit Energie und dient in den Wachstumszonen als Baumaterial für die einzelnen Zellelemente.

Überdies wird der Zucker in Holz und Rinde in Form von Stärke gespeichert.“

Nach Bobs Vortrag herrschte beklemmende Stille in der dunklen Kathedrale. Es war sogar so still, dass das Fallen einer Stecknadel auf den steinigen Fußboden höchst- wahrscheinlich einem Erdbeben der Stärke sechs auf der Richterskala gleich gekommen wäre.

Der Graf und Attila glotzten ihren Fährtensucher aus weit aufgerissenen Augen an, als hätten sie einen Knebel verschluckt.

Wie konnte der gebildete Bob auch erwarten, dass die beiden Zuhörer, die er vor sich hatte seinen wissenschaftlichen Ausführungen auch nur im Entferntesten würden folgen können.

So übersetzte er rasch, noch ehe sich der Graf und Attila aus ihrer Starre gelöst und von ihrem Schock erholt hatten, den Vortrag für sie ins Dumpfbackendeutsch.

„Etwas einfacher ausgedrückt muss ein Baum, um groß und stark zu werden, ordentlich futtern. Doch bevor das große Fressen losgehen kann, muss er noch, da er keine Haushälterin hat, sich sein tägliches Mal erst selber zubereiten und kochen muss er es sich schließlich auch noch.

Die Küche ist in den Blättern, die grüne Farbe in den Blättern ist der Ofen und das Sonnenlicht das Feuer, mit dem der Schweinebraten und die Klöße, sprich die Nährstoffe, im Ofen gekocht werden.

Der Rauch beim Kochen entspricht dem Sauerstoff, der bei unserem speziellen Baum weiß magische Energien mit sich führt und für uns Dämonen giftig ist.

Abdrehen kann man ihn nicht, weil das hungrige Gehölz mehr oder weniger rund um die Uhr kocht.

Zu unserem Schutz wurde damals nach der Landung in Hollenried der unselige Baum lediglich rundherum abgeschottet, indem man ihm eine schwarzmagische Käseglocke übergestülpt hatte.“

Bob sank in die Knie und ließ sich ächzend unter lautem Klirren seiner Rüstung erschöpft auf den Rand des Altars sinken. Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn unter seinem Drachenlederhelm.

Die Erklärung eben ohne Punkt und Komma hatte ihn alle Kraft gekostet. Offenbar jedoch schien sich seine Mühe gelohnt zu haben, denn der Nullblick in den Gesichtern seiner beiden Zuhörer, war nun einem überraschten Staunen gewichen.

„Wenn dem so ist, wie du sagst, Bob, dann lass uns doch einfach irgendwie diese Hexenküche lahm legen!“, scherzte Attila und der Graf fügte schaurig lachend hinzu:

„Dazu müssten wir dem Baum allerdings schon jedes Blatt einzeln ausreißen!“

Bob hob verwundert den Blick. Alle Achtung, dachte er stolz, seine beiden Schüler hatten die Lektion begriffen und ihrem Lehrer soeben, ohne es zu wissen, den vielleicht entscheidenden Hinweis geliefert.

Hastig richtete er sich in seinem Sitz auf und sprang unter erneutem heftigem Klappern und Klirren seiner Rüstung vom Altar herab.

„Das ist es, warum bin ich da nicht gleich drauf gekommen!“, jauchzte er und hämmerte sich mehrmals mit der flachen Hand gegen seine Stirn. „Natürlich, die Blätter! Die sind es, die wir übersehen haben, bzw. bei unseren Überlegungen gar nicht erst bedacht haben!“

Über die Gesichter von Attila und dem Grafen hatte sich wieder der Nullblick gelegt, denn sie begriffen nicht, auf was der Fährtensucher hinauswollte.

Bob schnippte schwungvoll mit Daumen und Zeigefinger und presste die Lefzen zu einem dünnen Strich zusammen.

„Unser sogenannter Experte, dieser superschlaue schwarze Magier Vincent Hadrian weiß zwar viel über die weiß magischen Fähigkeiten der Eiche, aber ich gehe jede Wette ein, dass er keinen Dunst davon hat, wie sie zustande kommen. Darum ist er bei seinen zahlreichen Versuchen über die Jahrhunderte, den Baum zu fällen und dabei dessen Energien in sich aufzunehmen und nutzbar zu machen, auch jedes Mal gescheitert. Und beim letzten Anlauf wir auch, dank seiner Unterstützung!“

„Du meinst die Blätter sind der Schlüssel für die weiß magischen Energien des Unholdes!“

Serge Korrow bleckte aufgeregt seine nadelspitzen Vampirzähne im Ober- und Unterkiefer.

„Genau! Sie sind in ihrer Gesamtheit der Motor zur Produktion der weißmagischen Energien, welche die Kronentraufe, sprich den Bereich den der Baum mit seinen Blättern und Zweigen zum Boden hin überschirmt, wie wir wissen für Dämonen und schwarze Magie aller Art praktisch unpassierbar macht!“ Der Fährtensucher schüttelte den Kopf. „Der Sauerstoff, den die Eiche in die Umgebungsluft ausatmet fällt wie bei allen Bäumen im Zuge der Photosynthese lediglich als Nebenprodukt an.“

„Tolles Nebenprodukt, das einem Haut und Lungen verätzt!“, bemerkte Attila.

„Und dieser Baumgeist Schrat Urban, der in der Krone der Eiche haust, die in der germanischen Mythologie besser bekannt ist als die Schrateiche Roland, wird in seiner Kampfkraft gegen die dunklen Mächte von den gigantischen Energien des Baumes gespeist. Die beiden bilden eine Art Symbiose, bei der, der Baum die gemeinhin statische Rolle, quasi den Stützpunkt einnimmt und der Schrat die mobile Infanterie. Das ist der uns bekannte Part. So hat ihn der gute Hector Levoisier auch in sein Logbuch übernommen!“

Serge Korrow klopfte bezeichnend auf das Dokument auf dem Altar, auf dessen Umschlagvorderseite das scheußliche Antlitz des Geisterschiffkapitäns abgebildet war.

„Aber zurück zum Ausgangspunkt. Sag schon, Fährtensucher, wie denkst du sollen wir dem Baum, der zu allem Übel tief im Herzen der Dämonenjägerstation 96 Hollenried im südwestlichen Vogelsberg wurzelt und neben der eigenen Kampfkraft noch von dutzenden Wachposten geschützt wird ans Laub?“

„Ja genau, wie willst du die Kronentraufe überwinden und dem garstigen Gehölz jedes seiner Blätter ausreißen?“, griff Attila die Anmerkung des Grafen von vorhin wieder auf.

Bob setzte zu einer Antwort an, doch Serge Korrow war schneller und steuerte wild mit den Armen gestikulierend sogleich den nächsten Bedenkenpunkt hinterher.

„Selbst wenn wir es schafften, die Eiche zu entlauben, woher sollte sie uns dann noch die Energie liefern, jene geheimnisvolle, spezielle, letzte Energiekomposition, die uns in unserer Sammlung noch fehlt, um unseren Meister Baphomet aus seinem weiß magischen Gefängnis zu entfesseln? Ohne die Blätter, den Energiemotor,keine Energie!“, schlussfolgerte der Graf logisch und blickte, die Hände in den Schoß gelegt, kopfschüttelnd in seiner Sitzstockhaltung zu Boden.

Serge Korrows Argumente waren aus seiner Sicht des Verständnisses über Bäume nicht von der Hand zu weisen.

Natürlich aber wusste es der gute Bob wieder einmal besser.

„Nun darüber habe ich mir auch schon meine Gedanken gemacht!“, sagte er mit geheimnisvollem Blick.

„Und zu welchem Schluss bist du dabei gekommen?“, fragte Attila und benutzte den Fingernagelreinigungspfeil jetzt als Zahnstocher, um sich saugend und schmatzend die Reste seines Mittagessens zwischen seinen beigegelben Zahnreihen hervor zu pulen.

„Das die Energie, die der Baum in seinem Stamm und in seinen Ästen und Zweigen speichert, für unsere Zwecke ausreichen müsste!“, erklärte Bob. „Bleibt nur zu hoffen, dass das Spannungsfeld der Kronentraufe bei einer Baumkrone ohne Blätter nicht immer noch zu hoch ist, wovon ich allerdings nicht ausgehe. Mit Hector Levoisiers Unterstützung sollte es unserem Spezialist im Energieabpumpen Hadrian, dem schwarzen Magier, eigentlich möglich sein die Kronentraufe im unbelaubten Zustand zu überwinden.“

„Zum Donnerwetter noch eins, Fährtensucher, die Kronentraufe ist aber nicht unbelaubt und wir dürften kaum im Stande sein, sie zu entlauben!“, polterte der Graf, dem mit einem Mal der Geduldsfaden riss. Wutentbrannt schoss er aus seinem Sitzstock empor, zog den überraschten Bob mit dem gebogenen Griff des Spazierstocks, am Hals bis auf Augenhöhe zu sich heran und packte ihn mit seinen eisigen Vampirklauen hart bei der Gurgel.

„Nicht doch Meister, haltet ein und lasst euren Diener weiter erklären!“, röchelte Bob im Schraubstockgriff des übermächtigen Grafen, der für seine plötzlichen, unkontrollierten Wutausbrüche bei allen seinen Untertanen im Reich Kangoon berüchtigt und gefürchtet war.

„Fasse dich kurz, Fährtensucher, ich bin nicht in der Stimmung deine Gedanken zu lesen um mir aus dem Wirrwarr deiner elitären Gehirnwindungen die Lösung selbst zusammenzusuchen!“, fauchte der Blutsauger mit blutrot unterlaufenen Augen, bevor er mit einem ungestümen Ruck Bobs Kehle frei gab.

Bob schnappte keuchend nach Luft und rieb sich angewidert die Druckstellen, die die Totenfinger des Grafen an seinem Hals hinterlassen hatten.

„Verflucht noch eins!“, dachte er, schluckte seinen Ärger hinab und begann mit dem nächsten Atemzug, noch bevor seinen Herrn der nächste Wutanfall überkommen konnte, mit der geforderten Kurzfassung:

„Es –, es hängt mit der Jahreszeit zusammen! Wir brauchen die Blätter nicht selbst zu entfernen!“

„Was, äh, soll das nun wieder heißen?“, erkundigte sich Attila, erleichtert und froh darum vom Zorn des Grafen verschont geblieben zu sein.

Serge Korrow indes stand bereits kurz vor dem nächsten Ausraster. Seine Miene verfinsterte sich bedrohlich zu einem aufziehenden Gewittersturm und über seinem Vampirhaupt mit den aalglatten, halblangen, dunklen Haaren glaubte Attila eine schwarze Ärgerwolke zu erkennen, wie man sie aus Comicgeschichten kannte.

Noch bevor ihm der Blutsauger ein zweites Mal an die Gurgel springen konnte, brachte Bob die Sache endlich verständlich auf den Punkt.

„Bäume in den nördlichen Breiten werfen im Herbst ganz von alleine ihre Blätter ab, um in unbelaubtem Zustand die kalte Jahreszeit zu überdauern. Die physiologischen Aktivitäten sind reduziert. Die Bäume befinden sich im Ruhezustand und zehren von ihren Reserven. So auch die Schrateiche Roland!“

Bob ballte die Rechte zur Faust und begann aufgeregt unter den Augen von Attila und Serge Korrow vor dem Altar auf und ab zu gehen.

„Jetzt weiß ich worauf du hinaus willst Bob!“, sprach Attila in der kurzen Gedenkpause des Fährtensuchers, „du meinst wir sollen...“

„Wir sollen die Eiche im Winter, wenn sie kahl ist und schläft angreifen!“, fuhr euphorisch der Graf dazwischen, bei dem, wie auch bei dem guten Attila nun endlich der Knoten geplatzt war, „Fährtensucher,das ist genial!“

Bob drehte sich am Ende des Altars auf dem Absatz herum, schloss zu den beiden auf und beendete seinen Marsch.

Nickend bestätigte er Serge Korrows Aussage und fügte hinzu:

„Ich verwette meine feine Spürnase darauf, dass unser oberschlauer Schrateichenexperte Vincent Hadrian, der schwarze Magier, bei allen seinen Versuchen die Eiche zu schlagen, um deren Energien in sich aufzunehmen, den Baum über all die Jahrhunderte hinweg stets in den Sommermonaten im vollen Saft und in voll belaubtem Zustand attackiert hat!“

„Und dabei kläglich gescheitert ist und wir beim letzten Versuch im Juli diesen Jahres mit ihm!“, ergänzte Attila.

Serge Korrow hatte genug erfahren und klatschte ungeduldig und voller Tatendrang vergnügt und ausgesprochen gut gelaunt in die Hände:

„Also Kinder, worauf noch lange warten, ich lasse umgehend einen Boten schicken, um unseren alten Weggefährten zu uns in die Festung bringen zu lassen. Dann können wir alles Weitere gemeinsam besprechen und uns nachdrücklich versichern, ob er seine Attacken gegen die Schrateiche bis dato tatsächlich, wie wir vermuten, nur in den Sommermonaten unternommen hat!“

Bob grinste breit und deutete bezeichnend auf seinen Taschenkalender, den er aus seinem Portemonnaie hervorgekramt hatte:

„Vorzüglich, Meister, der Zeitpunkt ist günstig, denn es ist bereits Ende September, d. h. Herbstanfang und der Laubfall steht kurz vor der Tür!“

Hadrians zweite Chance

Das Kloster lag einsam am Fuße eines Berges in den französischen Vogesen und war nur über einen schmalen Pfad zu erreichen, der allerdings schon seit Jahrzehnten von kaum jemandem mehr benutzt wurde.

Touristen verirrten sich selten in diese Wildnis und die Einheimischen mieden das unheimliche Terrain mit dem düsteren Gemäuer, in dem dereinst grausige Hexenverbrennungen stattgefunden hatten, ohnehin weiträumig.

Der Verantwortliche jener Hinrichtungen, Vincent Hadrian, der schwarze Magier, aber war bis zum heutigen Tag Abt und unangefochtener Herrscher des abgelegenen und von der Welt vergessenen kleinen Klosters.

Zusammen mit seinen zwanzig Untergebenen, die schon vor langer Zeit mit ihm, ihrem Meister, den Weg der Dunkelheit gegangen waren, hatte er viele blutige Schlachten geschlagen.

Hadrian machte gerade seinen mitternächtlichen Rundgang, als er auf dem Klosterhof plötzlich ein eigenartiges Rauschen über sich vernahm.

Angestrengt spähte er in die Dunkelheit hinein und sah einen großen Schatten auf sich zufliegen. Der Magier erkannte eine übergroße Fledermaus und traute seinen Augen kaum. Nicht das er noch nie einen Vampir zu Gesicht bekommen hätte.

Doch der Blutsauger, der sich mit ausgebreiteten, nackten Flügeln im fahlen Licht der Klosterhoflaterne nur wenige Schritte vor ihm niederließ kam ihm doch sehr bekannt vor. Hadrian kannte ihn bereits persönlich und zwar aus dem letzten Abenteuer mit diesem verruchten Vampirgrafen Serge Korrow und dessen Dämonenbande, zu der auch dieser widerliche Geisterschiffkapitän und Baphomettemplerführer Hector Levoisier gehörte.

Der war damals kurzerhand in ihn hinein gefahren und hatte von ihm Besitz ergriffen. Hadrian sollte unter seinem Befehl mit Hilfe seiner schwarzmagischen Fähigkeiten, die Energie der Schrateiche gewinnen, um sie anschließend dem Dreigestirn, diesem ziegenbockköpfigen Superdämon Baphomet zu dessen lange geplanter Befreiung aus einem weißmagischem Knast im Erdinneren unter der Festung Kangoon zu bringen.

War es nun wieder so weit,Zeit für eine zweite Mission? Hadrian ahnte nichts Gutes.

Mit einem feisten Grinsen, welches seine nadelspitzen Vampirzähne entblößte, schritt der Vampir auf ihn zu. Hadrian schluckte. Sein Blick fiel auf das Geschirr, dass der Blutsauger bezeichnend in seiner Rechten baumeln ließ.

Ein Teleportationsgeschirr für seine Reise nach Kangoon.

Alles wie beim ersten Mal! Hadrian kam sich vor wie in einem Asterix Comic, wo die Piraten in jeder Geschichte versenkt wurden und der Barde, damit er nicht singt, sich das Schlussbankett gefesselt und geknebelt vom Baum aus angucken musste.

Hadrian musste trotz der für ihn nicht gerade witzigen Darbietung innerlich lachen, bei dem Gedanken daran, wenn die Geschichte am Ende so ausginge wie beim letzten Mal und er sich nach einem unfreiwilligen Absturz aus luftiger Höhe in seinem Klosterburgteich wiederfinden musste.

Aber soweit war es gottlob noch nicht und so weit wollte es der schwarze Magier auch dieses Mal nicht kommen lassen. Auf jeden Fall würde er heute die Reise nicht freiwillig antreten, soviel stand fest.

Entschlossen fasste er zum Griff seines Schwertes:

„Ich weiß genau weshalb du hier bist, Blutsauger!“, schnaufte er aufgebracht, schon allein des überheblichen Auftretens wegen, dass die Kreatur in seinen eigenen Klostermauern an den Tag legte. Der Vampir zeigte sich durch Hadrians eindeutige Gesten jedoch wenig beeindruckt:

„Graf Serge Korrow, Herrscher des Schattenreiches Kangoon erwartet euch bereits in seinem Thronsaal. Ihr werdet ihn doch nicht enttäuschen wollen!“

Mit weit ausgebreiteten Flügeln hatte sich der Vampir, keinen Widerspruch duldend drohend vor Hadrian aufgebaut. Das überhebliche Grinsen in der hohlwangigen, kreidebleichen Visage war einem scharfen animalischen Hypnoseblick gewichen.

„Schmink dir das ab, ich werde nicht mit dir gehen! Und lass gefälligst die Mätzchen!“ Hadrian verzog für einen Moment angewidert das Gesicht, als der Blutsauger versuchte ihm telepatisch seinen Willen auf zu zwingen. „Mich kannst du nicht hypnotisieren!“

Der Vampir beugte sich nach vorne, stakste ungelenk zwei, drei kurze Schritte auf Hadrian zu und hob seine scharfen Vampirklauen. Sein Antlitz verwandelte sich in eine groteske Fratze und der scharfe Blick wurde noch eindringlicher.

„Komm mit mir!“, fauchte der Blutsauger durch seine nadelspitzen Eckzähne und streckte seine Klauen nach Hadrian aus.

Der Magier wich zurück und riss mit einem scharfen, metallischen Schleifen sein Schwert aus der Scheide.

„Ich warne dich, verlasse sofort mein Anwesen! Es wäre nicht das erste Mal, dass ich einen Blutsauger wie dich vierteile!“

Der Vampir erstarrte mitten in der Vorwärtsbewegung und zog mit einem hohlen Krächzen hastig seine Arme zurück.

Hadrian hielt das Schwert drohend zum Schlag bereit vor seiner Brust. Der Vampir verharrte für einen Moment, baute sich breitbeinig vor dem Magier auf und stemmte überlegen die Fäuste in die Hüften.

Dann warf er bühnenreif den Kopf in den Nacken zwischen die noch immer weit ausgebreiteten Flügel und begann mit hoher Stimme aus voller Kehle schauerlich an zu lachen, dass es überall von den Mauern der Anlage widerhallte.

Von dem durchdringenden Lärm alarmiert, eilten sogleich zwei, drei von Hadrians Männern hinter ihrem Meister auf den Schauplatz hinzu. Wie drohende Mahnmale schälten sich die finsteren Gestalten im fahlen Licht der Klosterhoflaterne aus der Dunkelheit.

„Gibt es Probleme, Herr?“

Der Vampir hatte zu lachen aufgehört und musterte die Ankömmlinge mit abfälligem Blick.

„Nein, nichts Ernstes, bis auf Batmans Neffen hier, der offensichtlich zu viel Sauerblut getrunken hat!“, höhnte Hadrian, suchte im Rückwärtsgang die Distanz zu dem Blutsauger und schloss erhobenen Schwertes zu seinen Gefährten auf.

„Sollen wir ihm den Garaus machen, Herr?“ Der Söldner lachte dreckig und mit ihm die anderen zwei in seinem Gefolge.

Hadrian zögerte noch, denn er wollte keinen Ärger mit dem Blutgrafen Serge Korrow.

Ein böses, kaltes, triumphierendes Lächeln legte sich indes über das Gesicht des Vampirs, der nun langsam die riesigen, geäderten Schwingen senkte und den Blick hinter sich freigab.

Dort schälte sich in einiger Entfernung im Licht der diffusen Hofbeleuchtung die Umrisse einer unheimlichen Erscheinung aus dem bodennahen Nebel, der sich dort gespenstisch in Windeseile über dem Pflaster des Klosterhofes ausgebreitet hatte.

Hadrians Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen und ein Kichern drang zunächst gedämpft, dann immer deutlicher aus dem Halbdunkel an seine Ohren. Hörte er recht oder hörte er schlecht?

„Ich muss träumen, was für ein Alptraum!“, hauchte Hadrian, denn er kannte dieses diebische Lachen nur zu genau. Es verfolgte ihn bis heute in seinen Träumen und nächtelang war er schweißgebadet davon erwacht.

„Hadrian, alter Wegelagerer, hi, hi, hi, hi, ho, ho, ho, ho,na, überrascht uns hier zu begegnen?“

Der schwarze Magier war mehr als nur überrascht, er war vor Schreck wie gelähmt, als vor ihm aus dem dichter gewordenen Nebel eine hässliche, alte, verschrumpelte Hexe mit Hakennase, vorstehendem Kinn mit Warze und tief in den Höhlen sitzenden, funkelnden Augen erschien.

Sie war von mittlerer Statur und trug ein grünes, zerlumptes Flickenkleid und ein blaues Kopftuch, unter dem weißgraue, zerzauste, halblange Haare hervorwehten. Ihre rußgeschwärzten Füße steckten in zwei abgelatschten Holzpantinen. Die Finger waren lang und dürr mit langen, krummen Fingernägeln.

Die Hexe rauchte genüsslich ein Pfeifchen und trällerte selbstverliebt ein lustiges Liedchen. Dabei schwang sie ihren alten, staubigen Reisigbesen wie ein preußischer Kapellmeister seinen Zeremonienstab, bis sie schließlich mit dem letzten Taktschlag vor dem schwarzen Magier zum Stehen kam.

Hadrian schwante Furchtbares und sein Gefühl sollte ihm recht geben, als keine zwei Sekunden später die zweite ungleich abscheulichere Kreatur aus der wallenden Nebelbank heraus- und neben die Hexe hintrat.

Hadrian gefror das Blut in den Adern. Wie paralysiert starrte der schwarze Magier zusammen mit seinen zur Salzsäule erstarrten Männern auf das unbeschreibliche Grauen, dass vor ihnen Gestalt angenommen hatte und von den tiefsten Kräften der Hölle beseelt wurde.

Hadrian glitt vor Schreck sein Schwert aus den Händen und die Sekunden, die die Stechwaffe benötigte, bis sie mit einem dumpfen Scheppern auf dem Pflaster des Hofes aufschlug, kamen dem schwarzen Magier wie eine kleine Ewigkeit vor.

„Wer,wer sind die?“, stammelte einer seiner Wachen hinter ihm.

„Euer schlimmster Alptraum!“, antwortete das alle überragende, baumlange Ungetüm, das in Begleitung der Hexe erschienen war, an Hadrians Stelle.

Die tiefen, donnernden, dämonisch- verzerrten Worte, hatte es nicht gesprochen, sondern per Telepathie direkt in die Köpfe aller anwesenden auf dem Hof projiziert.

Die Lippen des aus schwarzem Plasma und Höllenbrodem erschaffenen Dämons waren vom Satan persönlich mit mehreren unsauberen Stichen fest zusammengenäht worden und konnten keine Worte mehr formen.

Drohend starrte die greise Dämonenfratze den Magier aus leeren Augenhöhlen an. Und das nicht nur sprichwörtlich, sondern im wahrsten Sinne. Denn Augen gehörten nicht zum Repertoire des Monstrums.

Hadrian begann sich allmählich von seinem Schock zu erholen, obwohl der Schrecken gerade erst begonnen hatte. Zumindest aber hatte er seine Nerven wieder halbwegs unter Kontrolle.

„Hector Levoisier!“, hauchte er mit einem dicken Kloß im Hals und dachte dabei unweigerlich mit an den Blutgrafen Serge Korrow, „was führt ihr nun wieder im Schilde?“

„Na, kannst du es dir nicht denken?“, telepatierte der Dämon. „Dasselbe wie beim letzten Mal natürlich, wir...“,

„...wollen einen erneuten Angriff auf die Schrateiche unternehmen und...“, die Hexe mit Namen Petunia hatte ihrem Meister forsch das Wort abgeschnitten.

„Momentchen, ja, jetzt rede ich, kapiert?“, schimpfte er.

„Na reden würde ich das nicht gerade nennen!“, rutschte es Petunia heraus. Sie hatte sich einen spitzen Kommentar in Anspielung auf Levoisiers telepatische Stimme einfach nicht verkneifen können. Hastig schlug sie die Hände vor ihren vorlauten Mund und blickte ertappt und reumütig zu ihrem Herren empor.

„Schweig still, Lumpensammlerin!“, herrschte Levoisier und ließ eine steife Brise unter Petunias mottenzerfressenes Kleid fahren.

Wie einst Marilyn Monroe über dem Abluftschacht in jener berühmten U- Bahn Szene, hatte auch die Hexe alle Mühe, den aufgeblähten Luftsack nieder zu drücken und zu verhindern, dass ihre Schokoladenseite entblößt wurde.

„Frischluft für alle, auch die Motten wollen Atmen!“, lachte Levoisier und setzte kurz darauf dem Spuk ein Ende.

Und während Petunia sich noch ihr zerzaustes Kleid ins Lot rückte, wandte sich der Dämon wieder dem Magier zu.

Nun war es Hadrian, der ungeduldig das Wort ergriff:

„Was soll der Quatsch, ihr könnt die Eiche nicht bezwingen, das habt ihr doch selbst am eigenen Leib erfahren müssen. Sie ist viel zu stark und zu gerissen für uns alle zusammen. Ihr solltet froh darüber sein, dass sie uns beide damals (Levoisier und Hadrian, siehe Ralf Monnier: „Das Donarium und die dunkle Festung“) beim Eintritt unter ihre weißmagische Kronentraufe nicht zu Asche verbrannt hat!“

„Nun, wir glauben nach intensiven Nachforschungen einen Schwachpunkt des Baumes lokalisiert zu haben!“, tönte Levoisier hochmütig und war gespannt auf die Reaktion des schwarzen Magiers.

„Einen Schwachpunkt?“, krächzte Hadrian mit hoher Stimme, „dass ich nicht lache, wenn es da einen gäbe, hätte ich ihn längst ausgemacht. Vergesst nicht, dass ich in all den Jahrhunderten mehr als nur einen vergeblichen Versuch gewagt habe, den Baum zu fällen und seine Kräfte zu assimilieren! Fragt meine Leute, die waren selbst dabei!“

Hadrian deutete auf die drei Söldner an seiner Seite, die bestätigend nickten. „Außerdem darf ich daran erinnern, dass ich der größte Schrateichenkenner in der gesamten schwarzmagischen Metropole bin!“

„Tja, höchst wahrscheinlich nur war der Kenner, bei all den vergeblichen Versuchen lediglich zur falschen Zeit am rechten Ort!“, spottete Levoisier und verschränkte die Arme vor seiner Brust.

Hadrian runzelte die Stirn und neigte mit ärgerlicher Miene verständnislos den Kopf zur Seite.

„Was soll die blöde Anmerkung, Dämon,zur falschen Zeit am rechten Ort –, sehe ich etwa aus wie Karl- Heinz, was zur Hölle sollen die Wortspielereien?“, fauchte Hadrian, der inzwischen jede Scheu verloren und allmählich genug von dem Getue hatte.

Levoisier musste innerlich lachen, war es ihm doch tatsächlich gelungen den Magier neugierig zu machen. Das las er eindeutig aus dessen überzogener Reaktion heraus.

Levoisiers telepatisches Lachen donnerte schmerzhaft durch die Köpfe der fünf Zuhörer einschließlich dem der Hexe Petunia.

„Also der Hellste scheinst du nicht gerade zu sein, Magier, sonst hättest du die Eiche nicht, worauf ich eine Wette laufen habe, immer nur im Sommer angegriffen, sondern dein Glück auch mal im Winter versucht.“

Hadrian stutzte. Worauf um alles in der Welt wollte das pechrabenschwarze Ungetüm mit der greisen, eingefallenen Dämonenfratze ohne Augen und mit zugenähtem Mund, nur hinaus? Sommer, Winter, was machte das schon für einen Unterschied? Der Magier konnte sich darauf keinen Reim einbilden.

Fragend starrte er zu seinen drei Dienern, die nun, obgleich des Zeitpunktes der jeweiligen Einsätze in all den Jahrhunderten, untereinander in brütendes Gemurmel verfielen, bis sich einer wieder dem Magier zuwand:

„Also“, begann er zögernd, „im Winter waren wir bislang noch nie in Hollenried, da ordnest du doch immer deine Briefmarkensammlung, Chef!“

Der Krieger in der dunklen Ritterrüstung blickte Hadrian mit hochgezogenen Schultern und breitem Don Camillo Grinsen verunsichert an.

„Ich wusste es, keine Angriffe im Winter!“, hauchte Levoisier mit eisiger Stimme.

Hadrian wollte etwas sagen, da schnellte der verlängerte Arm des Dämons plötzlich wie ein riesiger Tentakel pfeilschnell auf ihn zu und riss ihn zielsicher aus dem Kreis seiner Gefährten heraus.

„Arrrgh, lass mich...los, du Scheusal, ich bekomme...keine Luft mehr!“

Hadrians Stiefelspitzen schleiften über das Pflaster.

„Genug geschwafelt, du niedere Kreatur, ab mit dir nach Kangoon. Dort wird dich der Graf über alles aufklären!“, fauchte Levoisier nun Auge in Auge zu seinem Opfer, dem er mit eisernem Griff die Gurgel zudrückte.

Hadrians Waffenbrüder indes zögerten keine Sekunde länger und preschten mit gezogenen Schwertern vor.

„Los Jungs, auf ihn mit Gebrüll, Attacke!“

Nur hatten sie die Rechnung ohne die flinke Hexe Petunia gemacht, die ihnen ein zwei Schritte zuvorkam. Mit drohendem Besen fuhr sie dazwischen und entwaffnete sie mit einem präzise geführten Rundumschlag mit einer Kraft, die man ihr nie zugetraut hätte. Hadrians Männer wurde buchstäblich der Boden unter den Füßen weggezogen. Kopfüber wirbelten sie von ihren Schwertern und Schilden getrennt durch die Luft und schlugen hart auf den Asphalt des Hofes.

„Oh weia, mein Schädel, ich glaube uns hat gerade der Trans Rapid überrollt, Jungs!“, stöhnte einer der Drei, raffte sich mühsam auf alle viere und tastete benommen nach seinem Schwert.

Aus einer tiefen Platzwunde am Kopf des Söldners ergoss sich warmes Blut über die Stirn und klebte in seinen Augen. Das schrille Kreischen der Hexe schmerzte in seinem Schädel, als seine Finger das Schwert ertasteten. Entschlossen riss er es an sich, warf sich mit heiserem Kampfschrei auf den Rücken herum und hieb nach dem Schatten der Hexe, der im milchigen Licht der Klosterhoflaterne über ihn gekommen war.

Zwei- dreimal kreuzte die Klinge mit scharfem Zischen durch die Luft, verfehlte die Hexe Petunia jedoch, die den wilden Schlägen geschickt auswich.

„Na warte, du verfluchte Hexe, meine Trophäensammlung freut sich schon auf deinen ausgestopften Kopf!“, rief ein zweiter Söldner, der angeschlagen ebenfalls wieder auf den wackligen Beinen war und sich Petunia nun hinkend von der Seite näherte.

„Los Männer, nehmen wir sie in die Zange!“, meldete der dritte im Bunde, wenn auch nur schwer verständlich, denn seine Dritten waren auf dem nahegelegenen Dach von einem der Nebengebäude zerschellt.

Unterdessen waren Levoisier und der Vampir mit dem Magier beschäftigt, der noch immer im eisernen Würgegriff des Dämons gefangen war und dem allmählich die Luft knapp wurde.

„Los, Bürschchen, Arme ausstrecken!“, schrie Levoisier und Hadrian tat unter dem erbarmungslosen, hypnotischen Blick des Dämons wie ihm befohlen. Der Blutsauger trat indes von hinten an ihn heran und legte ihm das Teleportationsgeschirr um.

Nun endlich gab Levoisier Hadrians Kehle frei, dessen Lungen sofort gierig die frische Nachtluft einsogen. Allerdings nur für einen kurzen Augenblick, denn Hector Levoisier hatte bereits die Verstellschlaufe des Geschirrs im Wickel und zog sie nun unbarmherzig zu.

Hadrian wurde der Brustkorb zusammengedrückt, so dass ihm von Neuem das Atmen schwer viel.