Alia enim equi voluptas est, alia canis, alia hominis… asino culmos et paleas auro optabiliores esse:
jucundus enim asinis est pabulum quam aurum…
Namque omne animal humi repens terram depascitur ac possidet.

Das Eine nämlich gereicht dem Pferd zur Freude, ein Anders dem Hund, noch Anderes dem Menschen…

Dem Esel scheinen Stroh und Spreu begehrenswerter als Gold… -
und ebenso nährt sich jedes Tier, das auf der Erde kriecht, von Erde
und klammert sich an sie…

(Heraklit)

INHALTSVERZEICHNIS

INDEX DER WICHTIGSTEN ABKÜRZUNGEN

AAFM, A&AFM — Alte & Angenommene Freimaurerei

AASR — Alter Angenommener Schottischer Ritus (=RÉAA)

AF&AM, AFAM — Alte Freie und Angenommene Maurerei (=AAFM)

AMORC — Antiquus Mysticus Ordo Rosæ Crucis

APRM — Ancient & Primitive Rite of Memphis

APRMM — Ancient & Primitive Rite of Memphis & Misraïm

ARHK — Alter Ritus von Heredom Kilwinning

CFR — Counsel of Foreign Relations (USA)

CRC — Christian Rosencreutz

FFRC — Fratres Rosæ Crucis - Brüder vom Rosenkreuz

FL — Fratres Lucis – Brüder des Lichts

FM — Freimaurer, freimaurerisch

FM-erei — Freimaurerei

FRC — Frater Ros(e)æ Crucis – Bruder vom Rosenkreuz

FzAS — Freimaurerbund zur Aufgehenden Sonne

G&RC — ‹Deutsche› Gold und Rosenkreuzer (+ 18. Jh.)

GD — Golden Dawn

GL — Großloge

GLAE — Grand Lodge of All England

GM — Großmeister

H.B. of L. — Hermetic Brotherhood of Light

HG — Hochgrad(e)

HG-FM — Hochgrad-Freimaurer

HRDM — Heredom

HRDK — Heredom Kadosh, spätere Variante

HRDMKDSH — Heredom-Kadosh, späteste Variante

ITV — Internationale Theosophische Vereinigung

OBL — Order of the Brethren of Light / O. d. Brüder d. Lichts

OTO — Ordo Templi Orientis

R+C — Rose und Kreuz (Rosenkreuz)

RC — Rosenkreuz, Rosenkreuzer, rosenkreuzerisch

RÉ — Rite Égyptien (Cagliostro)

RÉAA — Rite Écossais Ancien et Accepté (=AASR)

RHK — Ritus von Heredom Kadosh (erste Variante)

RIA — Royal Institute of International Affairs

RMM — Rite de/Ritus von Memphis & Misraïm

SRiA — Societas Rosicruciana in Anglia

SRIA — Societas Rosicruciana in America

SRiS — Societas Rosicruciana in Scotia

SRiUSA — Societas Rosicruciana in USA (nicht ident. m. SRIA)

RSR / RÉR — Rektifizierter Schottischer Ritus

SGLA — Schweizerische Großloge Alpina

SR — Schottischer Ritus

TG — Theosophische Gesellschaft

TGiD — Theosophische Gesellschaft in Deutschland

TS — Theosophical Society

TSA — Theosophical Society Adyar

TSI — Theosophical Society International

VGLD — Vereinigte Großlogen Deutschland

Alt-englisches Ritterwappen mit ‹Croix Patonce›:
Korrekt heraldisch gelesen («gesungen»):
«In Azur ein Patonce-Kreuz von Gold
und fünf sitzende Meisen vom Selben,
am Schildriemen gehalten von einer silbernen Rose»

Das ist nach der ‹Sprache der Vögel›, spirituell innerlich = esoterisch zu verstehen!

Titelblatt der ersten Druckausgabe der «Konstitutionen für die FM-Logen, enthaltend Geschichte, Aufgaben, Regeln etc. dieser… Bruderschaft»; – London, 1723.

Titelblatt der ersten Druckausgabe des ersten Rosenkreuzer-Manifests: Fama Fraternitatis oder Der Ruf der Rosenkreutzer-Bruderschaft; – Kassel, 1614.

Ein typischer Fall von angewandtem Okkultismus in einer alle Gebiete umfassenden Symbolik:. «Gotischer Anhänger; Silber, teilweise vergoldet», bis 1984 im Historischen Museum, Basel. Die Medaille, aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen auf die Zeit der Habsburger zwischen 1340 und 1430 datiert, wurde in ein Médaillon umgearbeitet, und später in eine Anhänge-Kapsel, deren Boden von Urs Graf gestaltet, signiert und auf 1505 datiert war.

Der Kranz trägt 5 Türkise, einen trüb-grünen Stein und 5 Granate, davon einer rund; also 5+1+5 Steine und 11 Blattzwischenräume mit herzförmiger Durchbrechung auf einem Ring aus (je nach Zählung) 42 oder 72 Elementen. Photographie: Historisches Museum Basel.

Das komplizierte Phylacterium in der Linken der Dame – Personifikation der Sophia oder der Muttergöttin weist auf etwas überaus Geheimes hin (vgl. Fulcanelli, Mysterium der Kathedralen, Basel, Edition Oriflamme, 2004; - Schlagwort Phylacterium). Es trägt unleserliche Zeichen, wie von gotischer Schrift. Die gotische Witwenhaube könnte auch als Heiligenschein ‹gelesen› werden, besonders, da die Unterseite der Kapsel eine Krönung Mariæ zeigte. -Das Wappen ist ungarischer Form: Gespalten: Rechts (wahrscheinlich in Schwarz ein silberner Drache oder Basilisk); - links geteilt: Oben: In?? ein Hundekopf (?); unten: Fünffach geteilt, vermutlich in Rot und Silber, bzw. in diesem Falle Gold und Silber.

Die eigenartigen Zahlenverhältnisse, der grüne Stein und der perlförmige Granat könnten aus einem alchemistischen LabOratorium kommen (Vitriol und Der Stein), wie auch das ganze Wappen einen alchemistischen Ausdruck trägt.

Der Anhänger wird im Museum seit dem 27. Januar 1984 vermißt. – Wer hat ihn gesehen?

Informationen an den Verlag über den Verbleib des Stücks werden diskret behandelt und belohnt.

EINLEITUNG

Ein geschichtlicher Bezug zwischen Freimaurerei (FM) und Rosenkreuzertum (RC) führt fast notwendigerweise zur berühmten ‹Huhn- und-Ei-Frage›: Welche Bewegung leitet sich aus welcher ab? Wer sich jedoch gewissenhaft mit diesen beiden Fäden oder Leitern zu Bewußtwerdung, Selbsterkenntnis und Einweihung in die Mysterien des Occidents befaßt, wovon Rosenkreuzertum und Freimaurerei derzeit klar die wichtigsten sind, stellt fest, daß die Frage so falsch gestellt ist: Echte Freimaurerei führt sicherlich (und heute immer bewußter) zur Imitatio Christi – und damit zu jenem innerlichen Kreuzgang, der essentiell unter Rosenkreuzertum zu verstehen ist. – Echtes, d.h. in die tägliche Praxis umgesetztes Rosenkreuzertum wird mit Fug auch Selbstfreimaurerei genannt.

Im Jahr 1824 veröffentlichte der Freimaurer Thomas de Quincy (1785–1859) einen Artikel im London Magazine unter dem Titel: Historisch-kritische Abhandlung über den Ursprung der Rosenkreuzer und Freimaurer. Darin zeigte er auf, daß die Freimaurerei nichts Anderes sei als «ein Rosenkreuzertum – modifziert durch Diejenigen, die sie in England eingeführt haben».

Die analytische ‹Wahrheit› dieser Aussage ist nun viel weniger wichtig als die innere Tatsache, daß beide Begriffe für je eine komplexe Gesamtmenge von Orden, Schulen, Kirchen – also öffentlichen und geheimen Körperschaften – dastehen, deren Zielsetzungen so unterschiedlich sind, wie es die physischen, psychischen und astralen Bedürfnisse von Menschen nur sein können. Von den reinsten und höchst entwickelten Licht-Suchern bis zu den skrupellosesten Tiefseetauchern im Schattenreich der finstersten Magie ist hier Alles zu finden; denn weder sind die beiden Hauptbegriffe geschützt, noch unterstehen Jene die sie auf sich anwenden, einer wirksamen öffentlich-sittlichen Kontrolle, sieht man einmal von den noch heute ungelösten Kontroversen zwischen der institutionellen formellen Kirche – und jener informellen der weltweiten Lichtsucher ab: der WAHREN Unica Catholica Ecclesia – weltweite Geistesgemeinschaft in Freiheit, Brüderlichkeit und Liebe (siehe entsprechendes Kapitel hiernach).

In diesem Sinne mag Zustimmung bei den Einen, Ablehnung bei den Anderen ernten, wer beide Bewegungen vereint in den hohen Idealen des Himmlischen Jerusalem und des durch moderne Menschen im Geist erbauten neuen Tempels Salomonis, worin der einzelne Mensch die allegorische Bedeutung eines für den Bau geeigneten Bausteins gewinnt.

Bei der herzustellenden Beziehung geht es jedoch nicht um ein zeitliches Verhältnis, sondern um eine gegenseitige essentielle Beeinflussung über Jahrhunderte. – Es ist eine Nähe, die sich sowohl in den äußeren Formen verschiedener Ordens-Arten ausdrückt, als auch in der Essenz ihrer Lehren; – weniger aber in den Formen ihrer Riten. Bezüglich der inneren Lehre geht man sicher nicht fehl, wenn man feststellt, daß allen ‹bonafiden› d.h. obiges Ideal anstrebenden Vereinigungen folgende Schwerpunkte gemeinsam sind:

Anthropo-sophische Selbsterkenntnis aufgrund tiefer Selbstprüfung und Selbstbeobachtung (Bewußtsein und Unterscheidungsvermögen) samt der inneren Sinngebung und Zielsetzung wahren Menschseins.

Theo-sophische Gottes-Erkenntnis aufgrund ernsthaften Studiums von Theogonie, Anthropogonie, Mythologie und Heiligen Schriften aller Menschheits-Epochen, samt der eigentlichen Sinngebung und Zielsetzung wahrer Religiosität.

Philo-sophische Erkenntnis der Wechselwirkungen aller Welten und Geschöpfe, samt deren Evolutionen und Kreisläufe.

Man versteht leicht, daß diese drei Hauptbegriffe nicht nur in ihrer ganz ursprünglichen semantischen Bedeutung zu verstehen sind, sondern auch im Hinblick auf die aus ihnen abgeleiteten konkreten geistigen Strömungen, die noch heute bestehen:

1° Die originale Anthroposophie im strengen Sinne ihres Stifters, Rudolf Steiner – vor ihrer baldigen Verformung und Erstarrung;

2° Die originale Theosophie mit ihrer aus dem paracelsistischen und lutherischen Gedankengut genährten freiheitlichen Geistigkeit und ihrem eigenständigen Gottesverständnis, personifiziert in ihrem ersten Vertreter, dem lutherisch protestantischen Pastor Valentin Weigel; – also ohne ihre philanthropischen Formalisierungen;

3° Die aus dem Amalgam der Philosophie Plato’s mit chaldäischer, asiatischer und indischer Philosophie gebildete alexandrinische Hermetik samt ihren Ausläufern in der westlichen Gnosis, worin alle übrigen Lehren zusammengefaßt werden in der innereigensten Zielsetzung des Transfigurismus, der in jeder Kultur, in Ost und West, auf zeitgemäße Weise gelehrt und verbreitet wird.

Zu jenem Gedankengut, das man rosenkreuzerisch nennen kann, gehören daher bereits die Dialoge von Plato, insbesondere die erkenntniskritischen Gedanken in der Ideen-Lehre (‹Höhlengleichnis›). Dann, sehr ausführlich und teils in die griechische Mythologie eingebettet, Plato’s Passagen im Gastmahl über die Entstehung der Menschen (ihre androgyne Urform und Verwandlung bis zur heutigen Form). – Diese Überlieferung wurde durch alle ‹modernen› Esoteriker wieder aufgenommen – von Dionysos Areopagita (1. Jh.) und Johannes Scotus Eriugena (810–877) bis (ab Ende des 19. Jh.) zu Helena Petrowna Blavatsky, Rudolf Steiner, Max Heindel und den daraus entstandenen Bewegungen, Orden und Schulen des 20. Jh. – Einen wichtigen Punkt stellt hier die Welt der dualen Gegensätzlichkeiten dar sowie die universelle Teilung der Geschlechter mit deren Wiedervereinigung durch individuelle Selbsteinweihung des einzelnen Kandidaten. Das ist einerseits die Unio Mystica, auch Hieros Gamos genannt; andererseits die Wieder-ganz-werdung jedes Einzelnen auf dem Mysterien-Weg der autonomen, eigenverantwortlichen Selbstverwirklichung.

Und dies wiederum führte u.a. zu zwei Extremen: Einerseits gab es die pietistisch-asketischen Ansichten über die Geschlechtlichkeit (Theosophie des 17. und 18. Jahrhunderts von Bœhme, Gichtel, den süddeutschen «Gottesfreunden» und Ähnlichen), bis hin zur Enthaltsamkeits-Lehre der sog. Enkratiten und zur Selbstpeinigung oder gar Selbstverstümmelung in anderen Gruppierungen – und sogar einzelner Fanatiker (Flagellanten, Mönche). –

Andererseits sind da die ‹gnostisch-libertinistischen› Darlegungen von Julius Evola, der sich auch mit den Zusammenhängen zwischen sexuellem Sadismus und sakral ausgerichteter schwarzer Magie befaßte – bis hin zu den eindeutig schamanistisch-libertinistischen, schwarzmagischen bzw. eigentlich sexualmagischen Gruppen und Logen – darunter die geradezu orgiastisch-pseudognostischen Orden um 1900 von Aleister Crowley (Golden Dawn, im Folgenden GD genannt) und Theodor Reuß (Ordo Templi Orientis, im Folgenden OTO genannt). – Diese Aspekte werden in den betreffenden Kapiteln adäquat behandelt.

Dazwischen liegen mystisch-humanistische Sichtweisen und Gruppen wie jene der Teresa von Avila (1515–1582), jene der ‹Freidenker› (‹Brüder und Schwestern des Freien Geistes› oder ‹Libre-Penseurs› genannt), der ‹Quäker› und sogenannten ‹Wiedertäufer›, der ‹Philadelphen› mit Eva von Buttlar (1670–1717) und Andere, Zahlreiche, bis ins 20. Jahrhundert. – Unmöglich, alle diese Bewegungen und Untergruppen hier im Einzelnen zu würdigen.

In dieses Gemenge eintauchend, daraus auftauchend, sich darin allmählich klärend – aber noch immer nicht einmütig nach dem Allein-Guten strebend – erkennen wir als zwei Haupt-Adern: erstens die Freimaurerei, und zweitens das Rosenkreuzertum. Gemeinsamen Ursprungs, gemeinsamen Idealen sich zuwendend, in ihren Formen und Methoden, in Zwischenzielen und Haupt-Ideal dennoch sich unterscheidende Geschwister, sind sie heute vielleicht einer endgültigen Annäherung doch näher als je. Nur dieser Aspekt des Freimaurertums mit seinen Hochgraden (im Folgenden HG) und fast ausschließlich das gnostisch mystische Rosenkreuzertum werden im Folgenden betrachtet; – auf die inneren Lehren Beider kann nur marginal eingegangen werden.

Seit dem 17. Jh. – besonders aber im 18. und 19, Jh – ist zu beobachten, wie freimaurerische Gruppen (Logen, Kapitel, Priorate) die durch die RC-Manifeste generierten Impulse umzusetzen versuchten. Andererseits benutzten theosophische und rosenkreuzerische Gruppen die Form der Loge für ihre spirituelle Arbeit; – so z.B. die Theosophische Gesellschaft von H.P. Blavatsky (TG bzw. TS) und die Societas Rosicruciana in Anglia (SRiA). So ist bei den ihrer Lehre nach z.T. sehr unterschiedlichen modernen rosenkreuzerischen Gruppierungen der Begriff der geistigen Freimaurerei noch heute wichtig, und auch die modernen HG-Freimaurer kennen zahlreiche Rosenkreuzer-Grade und -Kapitel. Diese Vernetzung zu durchleuchten, das bunte Nebeneinander-hinfließen durch die Jahrhunderte, das gegenwärtiges Sich-einander-nähern aufzuzeigen, ist der Zweck des hier vorgelegten Buchs.

Als Hauptstütze diente dabei vorallem das umfassend dokumentierte, leider kaum übersehbare Riesenwerk von Karl R.H. Frick – offensichtlich selbst ein sehr erfahrener Hochgrad-Freimaurer. Dessen Buch entstammen sowohl ein Großteil historischer Angaben als auch viele z.T. ausgedehnte wörtliche Zitate. Darin meint z.B. die Angabe II/II, 12: Seite 12 von Teil Zwei des zweiten Bandes. – Innerhalb dieser Zitate stehen in geschwungenen Klammern {} Bemerkungen des Autors des Gegenwärtigen. Die unzähligen im Text benutzten Abkürzungen für dieses weite Gebiet sind Gewöhnungssache. Die Wichtigsten davon sind in einer Liste am Ende des Buchs zusammengestellt und ‹verdeutscht›.

Fast 2000 Seiten umfassen Fricks zwei Bände. Der erste heißt Die Erleuchteten. Er zeigt die antiken Vorläufer esoterischer Gruppierungen und deren Abkömmlinge bis ins 17. und 18. Jahrhundert. Der zweite Band trägt den Titel Licht und Finsternis und beschreibt vorallem die Entwicklung vom 18. bis zum Beginn des 20. Jh. – Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist nun nicht, das genannte Riesenwerk zusammenzufassen, sondern nur der, aus der Masse z.T. redundanter Informationen und unformulierter Zusammenhänge in diesem und anderen Werken einen ganz bestimmten Faden herauszuziehen: Den Faden der Rosenkreuzer-Tradition als Vorbereiterin des heute aktuellen ‹transfiguristisch-theosophisch-rosenkreuzerischen› Wegs der Selbstverwirklichung durch autonome Selbsteinweihung in Eigenverantwortung. Dieser Prozeß besteht im Wesentlichen aus drei Hauptstufen: Reinigung, Erneuerung und Wandlung (Transformation und Transfiguration). – Das ist zugleich Seele und Ziel der sog. Prisca Philosophia oder Philosophia Perennis – der rote Faden aller philosophischen und Religions-Systeme, die sich nicht in den Dienst irgend einer politischen, sozialen oder kulturellen Macht stellen, sondern allein auf echter spiritueller Erkenntnis und innerem Erfahrungswissen – Gnosis – beruhen. Es handelt sich also im Wesentlichen – und grundsätzlich überall in der Welt – um eine Religionsphilosophie des Wegs der Menschheit zurück in die Einheit mit Gott «am Ende der Tage – am Ende allen Irrtums – am Ende allen Zorns», wie ein moderner Autor sagt.

Aus Gründen der ‹Einheit der Materie›, des Umfangs und der praktischen Eingrenzbarkeit der vorliegenden Arbeit sowie um die immer subjektive, oft kontroverse Geschichtsschreibung nicht mit der objektiveren geistigen Botschaft spiritueller Gemeinschaften zu vermengen, sind die inneren Gehalte der respektiven Lehren und Überlieferungen nur da und dort – und nur prinzipiell erwähnt; dort nämlich, wo sie zum Kriterium der Unterscheidung werden.

Auch mußte eine subjektive und daher als willkürlich empfindbare Auswahl der Gruppen getroffen werden, die etwas ausführlicher dargestellt sind. So wäre das Hervorheben der rosenkreuzerischen Elemente im Sufitum eine reizvolle Nebenaufgabe; ist doch letzteres die eigentliche Mutter der Graals-, Templer- und RC-Bewegungen. Auch das Logenwesen der FM für sich selber betrachtet beginnt nur für den Westen in den Bauhütten und dürfte vorallem in nomadischen Völkerschaften weit zurück reichende und subtile Wurzeln haben, zu deren gerechter Untersuchung ein Menschenleben kaum genügen möchte.

Die Hauptabsicht dieses Buchs ist darum nicht die Unterscheidung vergangener und gegenwärtiger Formen und Lehren aller Art, sondern die positive Differenzierung einiger Haupt-Facetten; – nicht um Differenzen unter den Lichtsuchern geht es ihm, sondern um deren Gemeinsamkeiten im Hinblick auf das heutige und künftige Zusammenfügen dessen, was im Zeitenlauf Menschen zumeist aus Geltungssucht trennten und dadurch manchmal mehr schwächten, als Jahre der Verfolgung durch Mächte und Institutionen.

So wird das hier Zusammengefaßte zu einer Aufforderung an Alle – ‹Eingeweihte› wie ‹Profane› – sich dem Phänomen der universellen – bewußten oder unbewußten – Lichtsuche aller Menschen zuzuwenden; – dieser Allen gemeinsamen geistigen Sehnsucht, welche auslöst und unterhält den gemeinsamen Prozeß kollektiver Bewußtwerdung; – diesen milliardenfachen Ausdruck des Strebens auf dem (in letzter Konsequenz) All-Einen Weg aller Kreaturen zum Licht. – Welch eifriges Gewimmel von werdenden Lichtwesen – manchmal findend, oft irrend – doch letztlich unbeirrbar. Möchte dieses Gewimmel in der heutigen Zeit weltweiter Verwirrung und Verfinsterung mehr und mehr zunehmen, damit endlich erkannt und verwirklicht werde: Brüderliche Einheit läßt aus verwirrender Vielfalt strahlenden Reichtum erstehen!

HAUPTSÄCHLICHE QUELLEN ZU DIESEM BUCH, DIE ZUM BEREICHERNDEN STUDIUM EMPFOHLEN WERDEN:

Autorenkollektiv: Das Rosenkreuz als europäisches Phänomen im17. Jahrhundert. – Amsterdam, In de Pelikaan, 2002.

Autorenkollektiv: Triumph der Universellen Gnosis. – Amsterdam, in de Pelikaan, 2006.

Frick I, Die Erleuchteten, 2 Bde in 1 Bd.;

Frick II, Licht und Finsternis, 2 Bde in 1 Bd.

Fulcanelli, Mysterium der Kathedralen. – Edition Oriflamme, 2004.

C. Gilly, 400 Jahre Rosenkreuz. Amsterdam, In de Pelikaan, 1992

Max Heindel: Das Weltbild der Rosenkreuzer. Viele Ausg. ab 1909

Kloß, Geschichte der Freimaurerei – o.O. o.J. – ca. 1900.

Allan Oslo, Freimaurer: Humanisten – Häretiker – Hochverräter? E.A. 1988; – Nachdruck: Pathmos-Verlag, Düsseldorf, 2002. –

Georg Schuster: Geheime Gesellschaften, Verbindungen und Orden. 2 Bde in 1 Bd.; E.A. o.O. o.J., um 1904.

Peter Selg, Rudolf Steiner und Christian Rosenkreuz. – Arlesheim, Verl. Ita Wegmann-Institut, 2011 – ISBN 9783 905919-25-7.

1. DIE WIRKLICH HISTORISCHEN VORLÄUFER

Der Titel zu diesem einführenden Kapitel sagt es schon: Bei weitem nicht Alles, was als Logen-, Ordens- oder Rosenkreuzer-Geschichte präsentiert wird – ja sogar der kleinste Teil der allgemeinen Welt-und Kulturgeschichte – darf als wahre Geschichte angesehen werden. Die Gründe dafür wurden oft aufgezeigt: Kommerzielle, soziale und religiöse Interessen – da sie mit mächtigen Institutionen zusammenhängen – haben jegliche Geschichtsschreibung in jeder Zeitepoche mehr oder minder beeinflußt. Allein durch Vergleich von Mythologien, Etymologien und archäologischen Spuren ist es möglich, einen ungefärbten (einen nicht je nach Intention gefärbten) Einblick in wahre Zusammenhänge zu erhalten.

Auch in früheren Epochen waren wohl die Einzigen, die zu einer klaren Schau der Dinge in der Lage waren, die Eingeweihten – gewöhnlich Priester genannt. Dann entstanden die Priesterkasten, die im Westen ungefähr seit dem 7. Jh., im Alten Ägypten und Tibet schon Jahrausende früher mit der geistigen auch die weltliche Herrschaft inne hatten. Den größten Einfluß auf diese Geschichte übten vom 5. zum 6. Jh. die Gotenkönige Alarich und Theoderich aus – hochgebildete und kultivierte Staatsmänner.

Es ist darum klar, daß es vorab die Mönche waren, die sich in den alten Freien Künsten auskannten: Astronomie, Astrologie und Mythologie, Verehrung und Beeinflussung der Götter und Naturmächte, samt den damit verbundenen exakten Wissenschaften: Mathematik, Architektur, Medizin, Alchemie und Spagyrie, Philologie und Kosmologie: Dieses Wissen war während Sumeriens Hochblüte von den Göttern (‹Nephilim›) den Priester-Königen gebracht – und daher von diesen als Heiliges Wissen, Heilige Kunst, Heilige Sprache und Heilige Schrift (Hieroglyphen) bewahrt und vor profanem Zugriff geschützt worden, was in logischer Folge zu entsprechenden königlichen Privilegien für die gesamte Priesterkaste führte. In der neuen Zeit wurde diese ursprüngliche Kaste der Königs-Priester aufgeteilt in eine religiöse, eine wissenschaftliche und eine politische Kaste, die seitdem unter sich die Macht teilen, die sie einander vordergründig streitig machen… —

Daneben gab es bereits im Altertum Mönche – damals oft Laien – die als Licht- und Wahrheits-Sucher der Welt den Rücken kehrten und sich – meist in eremitischer Einsamkeit – ihren Studien widmeten, sich um keine etablierten Lehren kümmernd.

Das Wort Mönch – μοναΧός kann man von zwei Wurzeln ableiten: von μοναΧ – monachè im Sinne von der einzige zu gehende Weg (Xenophon, Anabasis 4, 4 18); – und von μοναΧή (anders akzentuiert) im Sinne eines indischen Webstoffs – also sicherlich bezogen aufs einfarbig braune und einförmig geschnittene Gewand der buddhistischen (oder früheren) Wandermönche; – doch waren auch entsprechende Menschen des Alten China so gekleidet.

So also begann jenes frühe Außenseitertum unabhängiger und nur dem Einen sich weihender Mystiker, das in Europa etwa vom 6. Jh. an als Häresie verfolgt wurde, als es darum ging, eine einheitliche, monopolistische, «allein seligmachende» Lehre zu definieren und bei allen Menschen durchzusetzen: Kampf der Monophysiten gegen Dyophysiten; der Kampf ums Jota (ͨ ομονσιος oder ͨομοιοσιος) bezüglich der Göttlichkeit Jesu – sowie der Machtkampf um römisches, fränkisches, gallisches, arianisches, byzantinisches und alexandrinisches Christentum (um nur die wichtigsten Fraktionen zu nennen) prägen die wahre Geschichte dieser Religion, deren erster wirklicher Papst in Rom wohl an den Beginn des 6. Jh., zu setzen ist: Vorher wurde das eigentliche Christentum ausschließlich durch Mönche, Mönchs-Bischöfe, Metropoliten, Diakone und Äbte bzw. Stammesführer der Alanen und Goten definiert. Der Apollo-Tempel auf dem Monte Cassino z.B. wurde erst im Jahr 529 vom Vatikan annektiert und in ein christliches Kloster umgewandelt.

Das ‹Patrimonium Petri›, von dem behauptet wird, es habe bereits im ersten Jh. u. Z. begonnen, wurde wirklich erst im Jahr 590 durch Papst Gregor I eingerichtet: 540 als römischer Patrizier geboren, dann Jurist; 572 Stadtpräfekt von Rom, Mönch und Kloster-Gründer, wurde er Diakon, Nuntius und endlich der Papst, der dem gregorianischen Gesang und dem gregorianischen Kalender den Namen gab. Das ‹Patrimonium Petri› wurde zum Vorläufer des im folgenden Jahrhundert gegründeten autonomen Kirchenstaats, des Vatikans. Dabei ist zu betonen, daß der berühmte Apostel Petrus niemals in Rom war, mithin niemals Papst oder Bischof von Rom sein konnte und auch nicht gekreuzigt wurde, sondern in Babylon im Bett starb. - Zugleich machte Gregor die Benediktiner zu seiner rechten Hand – sowohl innerhalb des Vatikans als auch außerhalb. Seitdem ist der Benediktiner-Orden das Macht-Werkzeug der Römischen Kirche und auch verantwortlich für die Inquisition.

Auf diesem Weg wurde auch der sakrale Stein-Bau zum Privileg der Benediktiner. Dieses Privileg hat seinen Ursprung zwar bereits bei Nero’s Mentor, dem Philosophen Seneca (4 v.Chr. – 65 n.Chr.), der in seinem Werk Epistolæ Morales Malerei, Bildhauerei und Marmor-Verarbeitung von den Freien Künsten ausschloß.

Da ein Kirchenbau sowohl eine fähige Koordination der Vielzahl von Arbeitskräften und der damit verbundenen Logistik als auch erfahrene Spezialisten (cementari, tignari, laterari, latomi etc.) benötigte, entstanden früh halbansässige Gemeinschaften, die sich mit den späteren Bauhütten vergleichen lassen. Die damaligen Bau-Baracken hießen logium oder logia (das heutige französische Logis, die italienische Loggia, das spanische lograr). Die derart sich bildende Gemeinschaft von Ordens-Leuten (Benediktinern), Laienbrüdern und Hilfskräften wurde durch ein Reglement – eine Regel organisiert und geordnet. Diese Regel für die Bruderschaft betraf eigentlich nur die Mönche; die Bauhütten-Ordnung aber Alle. Die wohl älteste bekannte Bauhütten-Ordnung stammt von 634. Als erste Klosterbauhütte in Deutschland, die zugleich eine Pfalz baute, nennt Oslo die des Hl. Aurelius an der Benediktiner-Abtei zu Hirsau bei Calw im Schwarzwald (gegründet 830). Deren Bauherr war Abt Wilhelm – zugleich Pfalzgraf von Scheuern: also eine sowohl politisch als auch kirchlich privilegierte Person mit Zugriff auf entsprechende Beziehungen, Mittel und initiatisches Wissen.

Damit ist schon der Weg vorgezeichnet, auf dem allmählich auch Nicht-Kleriker Zugang zu den Bau-Orden der Klöster erhielten. Die Äbte und ihr Rat fungierten als Autorität, entschieden über die Zulassung zum Können der Baukunst, zum Wissen der Inneren Schule und endlich zum Tempel der Hermetik und der Mysterien.

Nun wird auch fälschlich behauptet, das Wort Mysterien komme von einem altfranzösischen Ausdruck: mestier – Handwerk, doch das Wort mestier als Substantiv bedeutete im 16. Jh. Notwendigkeit; und ein Maistre oder Masson war ein Steinbauer (Mas). – Das Wort Mysterium aber kommt vom griechischen Stamm μνω, myoschweigen, von μνσις, mysisSchließen von Mund, Augen etc., und von μνστης bzw. μνστις – der bzw. die Myste, also Eingeweihte. Vom selben Wortstamm kommt zudem – der Kuriosität halber sei es erwähnt – das französische moustache (μνσταξ) – der gallische Schnauz, was über mucher (μνσσω) – das Gesicht verbergen - zum neu-französischen moucher – schneuzen wurde.

Soviel zu den ältesten Wurzeln der heutigen Maurerlogen. – Und wie sieht es auf der Seite der Rosenkreuzer aus?

Dokumentarische Spuren des Rosenkreuzes können nur unsystematisch zurück verfolgt werden: Man findet sie in der Malerei der Renaissance, in Bauten und Skulpturen der Gotik und der Romanik, in den fein ziselierten Ornamenten des Islam und des alten Persien – Ursprung und Vorbild der westlichen Rosengärten (der Duft der Rose ist dem Sufi der Duft der Weisheit); – und so zurück bis zu Ornamenten und Hieroglyphen des Alten Ägypten. Ja, selbst im Persien des Zarathustra und in indischen Halbreliefs kann diese Signatur erkannt, wenn auch für die skeptische Wissenschaft «nicht beweiskräftig belegt» werden.

Daß die Signatur des Kreuzes bis in die aller-ältesten Zeiten der Menschheit zurück reicht, ist heute allbekannt und im fernsten Osten (Japan, Afghanistan) wie im fernsten Westen (Anden) gut belegt. Auch daß es jederzeit mystische Geheimbünde und Orden gab (man denke allein schon an den Orden der Alten Druiden), bedarf heute keiner Erläuterung mehr. Dennoch fällt es schwer, entsprechende soziale Gebilde früher als im 12./13. Jh. zu belegen: Das ist die Zeit, in der die Tempelritter das gesamte hermetische Wissen und Ritual aus dem Orient nach Westen brachten, den Templer-Orden aufbauend, und als Vorbild dienend für weitere Organisationen wie z.B. die Weißen von Florenz mit Dante Aligheri in ihrer Mitte.

Es ist verständlich, daß, weil das hermetische Wissen auch die Baukunst umfaßt, und weil im frühen Mittelalter der Austausch zwischen Eingeweihten aller Art weltweit sehr intensiv war, auf diese Weise das Einweihungswissen bis in die kirchlichen Bauhütten gelangte. Die Verbindung der Freimaurerei mit dem Rosenkreuz ist also tatsächlich das älteste Geschwisterpaar in der geistigen Evolution der Menschheit.

2. DAS ROSENKREUZERTUM NACH 1500

Die ersten wirklich historischen Spuren des Rosenkreuzertums, dokumentiert, wenn auch nicht offiziell anerkannt (wer es erkennen kann, erkennt es), findet man wie gesagt bei Dante Aligheri – und in den alten Ritterorden, von der Tafelrunde bis zu den Tempelrittern Occitaniens, deren Erbe teilweise in die Freimaurerei einging, wie bereits weiter oben skizziert. Als erste klassische FFRC (Fratres Rosæ Crucis – Brüder vom Rosenkreuz) sind allbekannt die Mitglieder des sog. ‹Tübinger-Kreises› um Johann Valentin Andreæ am Beginn des 17. Jh. – Frick (welcher uns als ein Repräsentant der anerkannten Historie gilt) nennt außer Giordano Bruno besonders Campanella und den Italiener Antonius Mizaldus, John Dee, Agrippa v. Nettesheim und Heinrich Khunrath. Im vorliegenden Buch wurde bereits hingewiesen aufs Rosenkreuzertum des Paracelsus, des Paracelsisten Luther und einiger lutheranischer Pastoren Sachsens. Zu dieser Frage wurde in den letzten Jahrzehnten Manches Hervorragende publiziert durch Carlos Gilly, im Verlag In de Pelikaan, Amsterdam.

Ähnliches trifft für das Mittelalter und die Renaissance zu. Insbesondere im Rahmen der Symbolsprache der operativen Alchemie und der berühmtesten Werke der Adepten des Steins der Weisen findet man klare Anspielungen und deutliche Hinweise ans Rosenkreuz – jedoch noch dichter mit dem Schleier der unaussprechlichen Mysterien verhüllt, als in neuerer Zeit. Besonders deutliche Beispiele dafür sind das Amphitheatrum Sapientiæ Æternæ des Heinrich Khunrath, der Chymicus Vannus – anonym veröffentlicht, aber dem Henricus Madatanus (H. Mynsicht) zugeschrieben, die Monas Hieroglyphica von John Dee, und Dante’s Divina Commedia.

2.1. PARACELSISTEN UND LUTHERANER.

Weniger intensiv wurde die innere Vorbereitung dieser Bewegung bearbeitet, die einwandfrei mit dem großen Philippus Aureolus Theophrastus Bombastus Paracelsus von Hohenheim beginnt: Dieser klassische, dem Humanismus des 16. Jh. entstiegene Universalgelehrte zeichnete sich aus durch Erneuerungen in der Medizin und in der angewandten Astrologie, war einer der seltenen Adepten des Steins der Weisen, ein Anti-akademiker und Antiklerikaler, eigenwillig und unabhängig, scharfsinnig und scharfzüngig, ein Kämpfer und unbändiger Forscher auf klassisch hermetischer Grundlage, überaus fruchtbarer Autor und Diktierer eines unerschöpflichen literarischen Werks über alle Themen zur umfassenden Geisteswissenschaft – über Gott, Kosmos und Mensch, über Formung, Umformung und Neuformung aller Dinge (das sind die Elemente der Wissenschaft und Philosophie von der ‹Transfiguration›).

Autonom, unsozial, nur von Wenigen gelitten, getreu seiner Devise, welche die kämpferische Abbildung von Paracelsus mit dem großen Schwert dominiert: Nemini sit qui suus esse potest – Niemandem sei hörig, wer sich selbst gehören kann!

Einer der berühmtesten ‹Schüler› des Paracelsus war zweifellos Martin Luther: Auch er ein rauher, scharfzüngiger Kämpfer für den wahren geistigen Fortschritt: den Fortschritt des wahren Lebens in der Welt, manifestiert in menschlicher Evolution wahrer Geistigkeit und Geistlichkeit. Auch er ein Kämpfer für Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Menschen: «Jeder soll nach seiner Façon selig werden!» – und sein Wappen trägt ein Rosenkreuz – ja, sogar die knappste Darstellung der Grundlage für den gelebten Weg der Transfiguration: die Rose des Herzens, in die das Kreuz eingepflanzt ist.

Der für die gegenwärtige Betrachtung maßgeblichste Schüler von Luther, der in Luthers Vorlesungen geschulte Theologe Valentin Weigel (1533–1588) wird zu Recht der Erste Theosoph der Neuzeit genannt. Sein entscheidendes Buch ist das Gebetsbüchlein (Erstdruck 1612, Neuausgabe Edition Oriflamme, Basel, 2006). – Dies insofern, als es deutlich den Übergang zeigt von der gewöhnlichen kirchlichen Religiosität nach Vorschrift zur eigenständigen, bewußten Religiosität in selbständigem «Erfahren, Fühlen und Schmecken» dessen, was die wahre Nachfolge Christi sei. Weigel stand in Verbindung mit Personen aus dem Tübinger Kreis – insbesondere mit Carl Widemann, der eine Abschrift des Gebetsbüchleins anfertigte – und mit Johannes Arndt.

Neben den Rosenkreuzern auf der Basis der Theologie sind jene zu erwähnen, die vorallem ‹Naturkündiger› waren, wie Robert Fludd und die operativen Alchemisten. Ausgiebige Forschungen, Studien, Publikationen, Ausstellungen und Vorträge für diese wichtige, Aufsehen erregende Ausgangs-Bewegung zur definitiven Neubelebung der hermetischen Tradition vom Rosenkreuz verdankt die Welt der Bibliotheca Philosophica Hermetica in Amsterdam mit ihrem Gründer und Inspirator, J. R. Ritman.

So wurde aus einer sagenhaften, teils belächelten, teils in ihrer Existenz bezweifelten Gemeinschaft geheimer Rosenkreuzer vor den Augen der Neuzeit eine wahre Bruderschaft – zu der Bruderschaft, der alle neuen und aktuellen Orden wahrer Spiritualität ihre Legitimation verdanken: ob Hochgrad-Kapitel und Rittergrade der Freimaurer, ob sonstige Orden, die explizit oder/und essentiell das Rosenkreuz in ihre Grundlagen einfließen ließen.

2.2. DIE KLASSISCHEN ROSENKREUZER (FFRC)

Sehr ausführlich behandelt die Literatur der letzten Jahrzehnte die genau vor 400 Jahren ausgelöste Rosenkreuzer-Bewegung, deren markantesten Dokumente die drei berühmten Rosenkreuzer-Manifeste darstellen: Die Fama Fraternitatis (1614), die Confessio Fraternitatis (1615) und die Chymische Hochzeit Christiani Rosencreutz MCCCCLIX (1617).

Auf diesen «Vater Bruder Christian Rosencreutz» bezieht sich diese Bruderschaft als auf ihren ‹Stifter›, der im 14. Jahrhundert gelebt habe. Diese Bruderschaft trat nicht öffentlich in Erscheinung; über ihre organisatorische Form – falls es eine solche je gab – kann nichts Genaues gesagt werden. Sicher ist, daß aus dem Paracelsismus die lutherische Reformation – und aus dieser erste theosophische Kreise und die drei RC-Manifeste hervorgingen. Diese RC-Bewegung und ihre wenigen reinen (d.h. nie mit anderen Bewegungen vermischten) Nachfolge-Organisationen beriefen sich, und berufen sich noch heute, – außer auf den genannten mythischen Gründervater – auf die christlich-gnostisch hermetische Tradition und auf ähnliche geistige Strömungen. Die meisten übrigen Orden, Logen, Organisationen etc. wurden wesentlich durchs Rosenkreuzertum der FFRC beeinflußt oder sogar spezifisch geprägt, selbst wo sie mit magischem Brauchtum (Tarot, Spiritismus etc.) vermischt sind. – Darüber mehr in den späteren Kapiteln.

2.3. DIE DEUTSCHEN GOLD UND ROSENKREUTZER (G&RC)

In den deutschen Gold- und Rosenkreuzern (G&RC) des 18. Jh. zeigte sich eine allmählich Form gewinnende Körperschaft; – und sie ist das erste Beispiel einer solchen gegenseitigen Beeinflussung und Prägung. Dazu trug die Dynamik der Aufstrebenden Freimaurerei bei. – Warum war das so?

Vorallem ist zu erwähnen, daß die RC-Manifeste – explizit die Fama Fraternitatis – eine Welt-Reformation ankündigten – eine neue Weltordnung also. Dieser ungenaue Begriff sollte bald einen anderen als den ursprünglich gemeinten Sinn erhalten – nämlich in der Gründung (1775) des erklärten Rosenkreuzer-Gegners Adam Weishaupt und in den daraus folgenden politischen Machtstrukturen der späteren Jahrhunderte. Als zweites Ziel nannte der Orden der FFRC des 17. Jh. die Verminderung des menschlichen Elends durch Hinführung der Menschen zur wahren Philosophie, «wie sie Adam nach seinem Fall erhalten und Mose und Salomo geübt haben ». Dieselben beiden Ansprüche erhoben – seit ihrem ersten öffentlichen Erscheinen im 18. Jh. – die G&RC und die Freimaurer-Logen – und in späterer Zeit manche weitere Orden (Neo-Druiden, Neu-Templer sowie Wahrheits- und Licht-Sucher jeder Couleur). Alle diese hatten – gemäß ihren offiziellen Zielsetzungen am Beginn der Deutschen Aufklärung – soziale Erneuerung (Demokratisierung der Fürstentümer), Vervollkommnung des Menschlichen Geistes, und dadurch Verbesserung der Welt im Auge. – Die FM erheben heute noch denselben Anspruch.

Der wesentliche Unterschied ist der, daß die G&RC, soweit dies neben ihrer Logentätigkeit überhaupt feststellbar ist (denn sie nahmen bald die FM-Form an und mischten sich unter die Logen der Freimaurerei), besonders oft operative Alchemisten waren, also im Stoff laborierende Sucher nach dem Stein der Weisen.Voltaireeinzelne