Evangelisch.
Erfolgreich.
Wirtschaften.
PROTESTANTISCHE
FÜHRUNGSKRÄFTE SPRECHEN
ÜBER IHREN GLAUBEN
Herausgegeben von
Peter Barrenstein
Wolfgang Huber
Friedhelm Wachs
»Weil die Menschen in Jesus Christus bereits erlöst sind, brauchen sie sich in ihrer Lebens- und Weltgestaltung nicht selbst zu erlösen. Das befreit zu einem Handeln, das nicht länger der Sorge um sich selbst und der Absicherung durch Macht verpflichtet ist, sondern den Anforderungen der Sache.«
Diese reformatorische Grundeinsicht aus dem gemeinsamen Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland »Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit« von 1997 ist für unternehmerisch Tätige in besonderer Weise bedeutsam: Der Glaube an die Rechtfertigung aus Gnade schafft jene innere Freiheit, die Voraussetzung für die Übernahme von Verantwortung ist.
Führungskräfte, die evangelisch erfolgreich wirtschaften, begründen aus diesem Glauben eine Haltung, die ihre beruflichen Entscheidungen bestimmt. In spannender Unterschiedlichkeit der jeweiligen persönlichen Ansichten und Erfahrungen skizzieren 35 Autoren in Lebensbildern und Interviews diesen Zusammenhang von Glaube, Freiheit und Verantwortung in Anlehnung an Martin Luthers Freiheits-Paradoxon: Unternehmerisches Handeln setzt Freiheit voraus (»Herr über alle Dinge«), die nur als verantwortete Freiheit (»Knecht aller Dinge«) verstanden und gelebt werden kann. Die auf dieser in der Reformation wurzelnden protestantischen Grundhaltung basierenden Beiträge sind anregende Impulse für einen weiterführenden Dialog zwischen Wirtschaft und Kirche – auch über das Reformationsjubiläum hinaus. Die Idee für »Evangelisch. Erfolgreich. Wirtschaften.« entstand im Rahmen der öffentlichen wirtschaftsethischen Debatten im Arbeitskreis Evangelischer Unternehmer in Deutschland.
Ohne das persönliche Engagement und die Offenheit der Autoren hätte unsere Idee zu diesem Buch keine reale Gestalt annehmen können. Dafür sei ihnen vielmals gedankt.
Große Anerkennung verdienen Andrea Blome, die zahlreiche Interviews mit den Autoren geführt und alle Texte redigiert hat, sowie die Fotografin Lena Uphoff, die für die ausgezeichneten Bildporträts durch ganz Deutschland gereist ist. Dank gebührt auch den Mitarbeitern der edition chrismon, ohne deren Einsatz bei Organisation und Koordination aller Beteiligten das Buch in dieser Form nicht zustande gekommen wäre.
Peter Barrenstein, Wolfgang Huber und Friedhelm Wachs
Pfingsten 2016
Cover
Titel
Vorwort
Eine Einführung
Was bist du für ein Dummkopf, jetzt verlass dich doch auf Jesus
FRANK-J. WEISE
Hab Vertrauen. Sei zuversichtlich. Du wirst gut geleitet werden
DR. HENNEKE LÜTGERATH
Gutes tun, wo die Wertebasis stimmt
ANDREAS WINIARSKI
Mit Mut, Ausdauer, Idealismus und Demut im Vertrauen auf Gott
PROF. DR.-ING. CORINNA SALANDER
Aus der Liebe führen und nicht aus der Angst
JEFFREY SEECK
Als Christ habe ich keine Angst
DR. PETER F. BARRENSTEIN
Wir fallen aus der Reihe, und zwar ganz bewusst
THOMAS KATZENMAYER
Welche Bedeutung hat das, was ich tue, für das Leben derjenigen, die mir vertrauen?
DR. TILO FRANZ
Woher nehme ich Kraft, wenn es schwierig wird?
FRIEDRICH JÜNGLING
Ich habe nicht die Antwort, wo Gottes Finger liegt, aber ich zweifle nicht …
DR. ECKART REIHLEN
Ich sehe nicht das Geld, sondern den Menschen
DANIEL HOSTER
Es gibt einen Schöpfungsauftrag an die Bauern
DR. MANFRED PROBST
Mit der Bergpredigt erfolgreich wirtschaften?
DR. KARSTEN PAETZMANN
Gott ist da, wo unser eigenes Können nicht ausreicht
DR. ANDREAS NOÉ
Mit jedem Kauf treffe ich eine Entscheidung für oder gegen die Schöpfung
PROF. DR. EDELTRAUD GÜNTHER
… auch Religion ist Markt (im Sinne von Angebot und Nachfrage)
MICHAEL FREIHERR TRUCHSESS
Nicht Angst, sondern Zuversicht ist für mich evangelische Haltung
KURT BOCK
Ohne Glauben werden wir keine Gesellschaft weiterentwickeln
DR. BRIGITTE MOHN
Jeder kann schöpferisch tätig sein …
HANS-JÖRG NAUMER
Gewinn ist weder christlich noch unchristlich
DR. REINHARD GÖHNER
Dass man ein Leben und Verantwortung dafür hat …
ANDREAS DE MAIZIÈRE
Es gibt den guten Gewinn
DR. HANS-PETER KLÖS
Eine Bank muss sich Moral leisten
DR. EKKEHARD THIESLER
Ich finde es gut, wenn der gefühlte Glaube durch den Kopf geht
BERNHARD FISCHER-APPELT
Es geht um einen Glauben, der sich über die Menschen vermittelt
PROF. DR. ANDREAS PINKWART
Cool Heads. Warm Hearts. Working Hands
BODO LIESENFELD
Dienen ja, verbiegen nein!
STEPHAN KÜHNE
Glauben muss man wollen und können
MATTHIAS WITTENBURG
Mein Glaube ist das Fundament für meine tägliche Arbeit
WERNER MICHAEL BAHLSEN
Hätte ich den Glauben nicht, wäre ich weniger frei
DR.-ING. E. H. PETER LEIBINGER
Wie begegne ich meinem Nächsten wertschätzend?
DR. ULRICH KNEMEYER
Des Tags keine Geschäfte machen, die mich des Nachts nicht schlafen lassen
MARLEHN THIEME
»Ora et labora«: Warum das eine viel mit dem anderen zu tun hat
DR.-ING. E. H. FRIEDHELM LOH
Mit Menschenliebe meine Arbeit gut zu machen, ist Gottesdienst
FRIEDHELM WACHS
»Evangelisch« erfolgreich?
DR. MARTIN MENCKE
Impressum
»Gib, dass ich tu mit Fleiß, / was mir zu tun gebühret, / wozu mich dein Befehl / in meinem Stande führet. / Gib, dass ich’s tue bald, / zu der Zeit, da ich soll, / und wenn ich’s tu, so gib, / dass es gerate wohl.« (EG 495,2)
So dichtet im Jahr 1630 im kleinen Köben an der Oder der protestantische Pfarrer Johann Heermann. Die Pflicht zur Arbeit, Treue und Fleiß in der Arbeit und Ergebung in die vorgefundenen Arbeitsbedingungen – dies alles im Dienst am Nächsten und im Gehorsam gegenüber dem göttlichen Gebot – das sind die Grundelemente des protestantischen Arbeitsethos. In diesen wenigen Liedzeilen sind sie treffend zusammengefasst worden.
Darin wird deutlich, worum es in diesem Buch geht: um die Haltung von evangelischen Unternehmern und Führungskräften, um die Frage, was ihre Entscheidungen beeinflusst, was ihnen Glaube, Freiheit und Verantwortung bedeuten. Es geht um ihren Beruf und ihre Berufung, nicht vorrangig um das System. Es geht um den einzelnen Christen in wirtschaftlicher Verantwortung. Dabei zeichnet sich in den Beiträgen trotz ihrer spannenden Unterschiedlichkeit eine gemeinsame Zuversicht ab, die fest im Glauben verwurzelt ist.
Sehen wir uns diese Wurzeln also an: Als Erstes ist festzustellen, dass menschliche Arbeit gleich welcher Art, und damit auch Führungsarbeit, als Teilhabe an Gottes Schöpferwerk betrachtet wird. Gottes Schöpfung »zu bebauen und zu bewahren«. (1. Mose 2,15), ist der Sinn menschlicher Tätigkeit. Die Erschaffung des Menschen zum Ebenbild Gottes verbindet sich mit einem Auftrag zur Herrschaft über die Mitgeschöpfe im Vollzug menschlichen Arbeitens: »Macht euch die Erde untertan«. (1. Mose 1,27 f.). Der durch den Sündenfall verursachte Fluch liegt nicht auf der Arbeit als solcher, sondern auf den Bedingungen, unter denen sie ausgeübt werden muss: »Verflucht sei der Acker um deinetwillen«. (1. Mose 3,17 ff.). Auf der Arbeit ruht Segen; sie zeichnet einen Menschen aus, von dem die biblische Überlieferung gar nicht groß genug reden kann: »Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott«. (Psalm 8,5 ff.).
Es ist also der biblische Ausgangspunkt selbst, der die Arbeit als Gottesdienst zu verstehen lehrt. So groß denkt die Bibel von der Arbeit, dass sie sogar das Versöhnungswerk Christi als Arbeit beschreibt (Philipper 2,10 ff.). Es entspricht dieser Betrachtungsweise, dass das Neue Testament sogar die Sklavenarbeit als Christusdienst ansehen kann, weil doch die Differenz zwischen Herren und Sklaven im Prinzip aufgehoben ist; denn »ihr seid alle einer in Christus«. (Galater 3,28). Diese Egalität unter den Bedingungen der damaligen Zeit in der sozialen Wirklichkeit umzusetzen, überstieg freilich die Möglichkeiten einer christlichen Gemeinde in heidnischer Umwelt; deshalb konnte sich mit der Vorstellung radikaler Egalität durchaus die Aufforderung verbinden, man solle in dem Stand bleiben, in den man berufen sei (1. Korinther 7,20).
Den Ausgangspunkt für Martin Luthers Berufsverständnis, an dem man sich aus evangelischer Sicht gut orientieren kann, bildet seine Kritik an den Mönchsgelübden (De votis monasticis, 1521). Die Vorstellung, es gebe in der Christenheit einen besonderen Stand, dem kraft seiner Lebensform ein sicherer Weg zur Seligkeit verheißen sei, hat vor den Grundeinsichten der reformatorischen Rechtfertigungslehre keinen Bestand. Insofern bildet die Neuentdeckung der Rechtfertigungslehre auch den Schlüssel zur Neubewertung der menschlichen Arbeit.
Die Rechtfertigungslehre ist Mitte und Grenze der reformatorischen Theologie. Die Einsicht, dass die Stellung des Menschen vor Gott und damit auch seine Stellung in der Welt allein durch die Gnade Gottes in Christus begründet ist und allein im Glauben ergriffen wird, macht die Rangunterschiede gegenstandslos.
Das menschliche Tätigsein begründet keine Verdienste im Blick auf das Heil des Menschen. Wer sein Tun im Dienst am Nächsten mit der Erwartung verbindet, »Pluspunkte« bei Gott sammeln zu können, verleugnet vielmehr den Kern des christlichen Glaubens. Hingegen ist die menschliche Arbeit Gottesdienst als Dienst am Nächsten und im Dienst am Nächsten. Dies verdeutlicht Luther seit der Kirchenpostille von 1522 am Begriff des Berufs: Alle weltliche Tätigkeit kann so ausgeübt werden, dass sie der Berufung durch Gott zum guten Werk am Nächsten entspricht. Diese – in der Tat neue – These verknüpft Luther mit seiner Übersetzung der berühmten Aussage des Paulus, jeder solle »in dem Beruf« bleiben, »darinnen er berufen ist«. (1. Korinther 7,20).
In Aufnahme und Abänderung einer scholastischen Tradition unterscheidet Luther zwischen zwei Dimensionen am Beruf: der vocatio interna oder spiritualis und der vocatio externa. Aber während das Mittelalter die vocatio spiritualis den Religiosen vorbehält und dem weltlichen Stand demgemäß nur eine äußere Berufung zuerkennt, bindet Luther diese mit großer Konsequenz an die Berufung zum Glauben und damit an das Priestertum aller Glaubenden. Jeder Christenmensch hat deshalb einen doppelten Beruf, den Beruf zum Glauben und den Beruf zum Dienst am Nächsten. Weil sich beides in jeder christlichen Existenz verbindet, kann es keinen Rangunterschied zwischen den Berufen geben. Berühmt ist Luthers Verdeutlichung dieser These am Beispiel der Hausmagd: »Wenn du eine geringe Hausmagd fragst, warum sie das Haus kehre, die Schüsseln wasche, die Kühe melke, so kann sie sagen: Ich weiß, dass meine Arbeit Gott gefällt, sintemal ich sein Wort und Befehl für mich habe.«. (Epistel S. Petri gepredigt und ausgelegt. Erste Bearbeitung 1523, WA 12, [249] 259 - 399) Der göttliche Ruf zur Liebe erreicht die Menschen in allen Ständen und Tätigkeiten.
Hebt Luther noch neben dem geachteten Fürsten und Geistlichen die Gleichrangigkeit der Hausmagd mit ihnen in seinem Beispiel hervor und wertet sie damit in vielen Köpfen auf, so ist bei manch kirchlicher Debatte heute auch die Umkehrung zu beachten. Die in der Kirche zu Recht geachtete Supermarktkassiererin ist eben auch »nur« gleichrangig mit dem erfolgreichen Unternehmer und der Führungskraft zu sehen. Der Unternehmer ist als Christ nicht schlechter als die Supermarktkassiererin; es wäre ein Gewinn, wenn Pfarrer und Gemeinden sie als Mitbrüder und -schwestern annehmen würden. Für Luther folgen Christen in jedem Stand und in jeder Tätigkeit zugleich einer äußeren und einer inneren Berufung. Die äußere Berufung weist sie auf die Tätigkeit, der sie nachzukommen haben, sei es als Stallmagd oder Mutter, als Knecht oder Ratsschreiber, als Geistlicher oder Fürst, als Führungskraft oder Unternehmer. Die innere Berufung bezieht sich auf den Auftrag Gottes zum Dienst am Nächsten.
In all diesen Aufgaben – nicht nur in den geistlichen – kommt es in besonderer Weise auf diese innere Berufung an. Sie verbindet die Tätigkeiten in all ihrer Vielgestaltigkeit; denn sie ist allen gemeinsam. In jeder menschlichen Tätigkeit nämlich geht es darum, Gott zu ehren und eben deshalb: dem Mitmenschen zu dienen. Dieser innere Horizont macht eine Tätigkeit zum Beruf. Der wirksame Dienst am Nächsten und darin das Lob Gottes verleihen jeder Tätigkeit die gleiche Würde – sei diese Tätigkeit als hoch oder als niedrig angesehen, sei sie entlohnte Erwerbsarbeit, unbezahlte Familienarbeit oder dem Gemeinwohl gewidmete bürgerschaftliche Arbeit.
Die Hochschätzung der Arbeit, die sich an den Lutherschen Begriff des Berufs knüpft, zeigt sich auch in der spezifischen Form, in der Luther Arbeit und Gebet miteinander verbindet. Er geht nicht von dem monastischen ora et labora aus, sondern von einem dem Hieronymus zugeschriebenen Satz, der sagt: »Alle Werke der Gläubigen sind Gebet« sowie einem von Luther bereits vorgefundenen Sprichwort, das heißt: »Wer treu arbeitet, der betet zweifach.« Luther hält diese Aussagen für richtig und begründet das damit, »dass ein gläubiger Mensch in seiner Arbeit Gott fürchtet und ehrt und an sein Gebot denkt, damit er niemandem Unrecht tun noch ihn bestehlen oder übervorteilen oder ihm etwas veruntreuen möge«. In ihrer Unterschiedlichkeit sind die Berufe also durch ein Gemeinsames miteinander verbunden: durch die Hingabe an die Sache, durch die Sinnhaftigkeit der ausgeübten Tätigkeit. Diese Haltung ist auch den Autorinnen und Autoren dieses Buches gemeinsam.
Wenn wir über evangelisch erfolgreich wirtschaften schreiben, dann darf auch ein Bezug zur Schweizer Reformation nicht fehlen. Die Schweizer Reformation steht in der Hochschätzung der Arbeit Luther sehr nahe. Zwingli beruft sich für diese Hochschätzung verstärkt auf biblische und altkirchliche Motive: Arbeit ist notwendig, wehrt der Faulheit, entspricht der schöpferischen Aktivität Gottes und beruht auf Gottes Segen.
Calvin ordnet auch die Arbeit dem Leitsatz unter, der seine ganze Theologie bestimmt: Soli deo gloria, allein Gott die Ehre. Mit seiner Berufsarbeit wie mit seinem ganzen Leben antwortet der Christ auf die göttliche Erwählung. Darin kündigt sich die Frage an, ob der Erfolg in der Arbeit auch als Zeichen für die göttliche Erwählung gedeutet werden kann. Calvin selbst ringt sich zu dieser Aussage noch nicht durch. Er lehnt es noch ab, dass der Christ durch eine wie auch immer geartete methodische Kontrolle sich die Gewissheit seiner Erwählung verschafft. Der Erfolg der Arbeit als gewisses Zeichen der persönlichen Erwählung durch Gott tritt erst bei den Nachfolgern Calvins beziehungsweise im englischen Puritanismus ins Zentrum der theologischen Interpretation der Arbeit. Diese Entwicklung hat einer berühmten These Max Webers zufolge das neuzeitliche Arbeitsethos, die Entwicklung zur Leistungsgesellschaft, ja den kapitalistischen Geist insgesamt nachhaltig beeinflusst.
Ausschlaggebend dafür ist das theologische Motiv, dass die Früchte der Bewährung im weltlichen Leben Auskunft geben über die Stellung vor Gott. Sie sind nicht der Grund dieser Stellung; es handelt sich – der theologischen Intention nach – nicht um eine Rückkehr zur Werkgerechtigkeit. Aber die quälende Ungewissheit soll überwunden werden, die sich aus der Lehre von der doppelten Prädestination – zum Heil oder zum Unheil – ergibt. »Nur wer durch die Art seiner Lebensführung Ergebnisse zutage fördert, die zur Verherrlichung Gottes beitragen, kann erkennen, ob er erwählt ist. Nur wer sich selbst als Werkzeug Gottes, nicht aber als Ziel seines Handelns begreift, vermag annähernd Gewissheit zu erwerben.«. (Volker Drehsen) Deshalb ist es konsequent, das innerweltliche Handeln so anzulegen, dass seine Früchte kalkulierbar werden, diese Früchte dann jedoch nicht dem persönlichen Genuss zugutekommen zu lassen, sondern erneut einzusetzen, damit aus ihnen neue Früchte entstehen. Der Gedanke, dass die Tüchtigkeit in der weltlichen Arbeit als Zeichen der göttlichen Erwählung angesehen werden kann, hat drei Verhaltensformen zur Folge, von denen Max Weber zu Recht festgestellt hat, dass sie den Entwicklungsimperativen des Kapitalismus wahlverwandt sind, nämlich die rationale Kontrolle der Welt, die innerweltliche Askese und die Bewährung im Beruf. Der Zug zur wissenschaftlichen Bemächtigung der Natur, die nur so der Verherrlichung Gottes dienstbar gemacht werden kann, der antihedonistische Zug, der bewussten Konsumverzicht und rational geplantes Gewinnstreben miteinander verbindet, und eine individualistische Vorstellung von der Bewährung im Beruf verbinden sich miteinander. Was das Letzte betrifft, darf man nicht vergessen, dass der Ausgangspunkt der beschriebenen Haltung in der Frage nach der individuellen Heilsvergewisserung liegt. Die rastlose Hingabe an die jeweilige arbeitsteilige Funktion innerhalb eines sich differenzierenden Wirtschaftsprozesses ist gerade der Ausdruck der Bewährung in einem Beruf, in den Gott einen gestellt hat.
Gegenüber einer ständischen Gemeinschaftsvorstellung, wie sie nicht nur für den Katholizismus, sondern auch für das traditionell werdende Luthertum kennzeichnend ist, liegt darin durchaus eine Radikalisierung des Berufsgedankens. Ist damit der Frieden zwischen dem protestantischen Arbeitsethos und der modernen, kapitalistischen Wirtschaftsentwicklung ein für allemal sichergestellt? Das ist nicht der Fall. Denn auch die innerweltliche Askese im calvinistisch-puritanischen Sinn rechtfertigt es nicht, dass die Akkumulation von Gütern zum Selbstzweck wird. »Arbeiten, dass man Güter kriegt, das ist recht« konnte Luther sagen (Predigt zum 15. Sonntag nach Trinitatis am 5. September 1529, WA 29, 551). Diese Zustimmung zu einem Leben in Auskömmlichkeit und Wohlstand rechtfertigt es jedoch nicht, dass der Inhalt des Lebens in der Anhäufung von Kapital und der Ausdehnung von Wirtschaftsmacht liegt. Denn sein Herz darf man daran nicht hängen; »woran du aber dein Herz hängst, das ist dein Gott«. (Großer Katechismus).
Vom protestantischen Arbeitsethos her ergibt sich also ein klarer Vorbehalt gegenüber der Kapitalakkumulation als Selbstzweck. Wie kommt es dann, dass sich Führungskräfte in der Wirtschaft immer wieder an den Grenzen dieses Ethos versuchen?
Gott und Geld sind nahe miteinander verwandt. Forschungen über den Ursprung der Geldwirtschaft machen plausibel, dass das Geld in der sakralen Sphäre, am Ort des Heiligen, entstanden ist. Die magische Kraft des Geldes und seine religiöse Qualität haben sich bis zum heutigen Tag erhalten. »Geld ist das Geltende schlechthin«. (Georg Simmel), die reine Potenzialität. Es ist bloßes Mittel, offen für alle Verwendungsweisen. Es ist »allmächtig«. Mit ihm kann man ein »Vermögen« machen, also die Potenzialität steigern. Geld ist »allgegenwärtig«; es hat in einem Siegeszug ohnegleichen die ganze Welt erobert und verwandelt sie unaufhörlich. »Globalisierung« nennen wir diesen Siegeszug und versuchen, durch die Konstruktion eines »Weltethos« und andere Maßnahmen die Weltherrschaft allgegenwärtiger Finanzströme in Grenzen zu halten, wohl wissend, wer eigentlich der Stärkere ist. Denn Geld ist ubiquitär, an allen Orten zugleich präsent. Über mein Vermögen, so ich es habe, kann ich verfügen, an welchem Ort ich mich auch gerade befinde. Das Geld wird zum Äquivalent aller Werte. Entgegengesetztes kann mit ihm ausgedrückt werden: Kunst oder Waffen, Lebensmittel oder Gift. All diese Gegensätze fallen im Geld zusammen.
Als Vereinigung der Gegensätze hat die theologische Tradition Gott gedeutet; Nikolaus von Kues sprach programmatisch von einer coincidentia oppositorum. Gott und Geld sind nahe miteinander verwandt. Die nahe Verwandtschaft zeigt sich auch an der Leichtigkeit, mit der wir Gottesprädikate auf Geld anwenden, zum Beispiel Allmacht und Allgegenwart. Es gibt nur einen kleinen Unterschied. Von Gott sagen wir: Gott ist alles; deshalb ist ohne Gott alles nichts. Vom Geld aber sagen wir: Geld ist nicht alles; und fügen – vielleicht zu kühn – hinzu: Aber ohne Geld ist alles nichts.
Gerade weil Gott und Geld so nahe miteinander verwandt sind, ist es lebensentscheidend, ob wir Gott und Geld unterscheiden können. Die Verehrung des einen Gottes und die Anbetung des Geldes sind nämlich nicht miteinander vereinbar. Das ist eine Erfahrung, die jeder machen kann, der mit sich, seinem Geld und seinem Gott ehrlich umgeht. Es ist deshalb eine Erfahrung, die auch in der biblischen Überlieferung fest verankert ist. Vom Tanz um das Goldene Kalb spannt sich der Bogen dieser Unvereinbarkeit bis zu Jesu Beispielgeschichte vom reichen Kornbauern oder vom reichen Mann und dem armen Lazarus; vor allem reicht sie bis zu der Begegnung Jesu mit dem reichen Jüngling, der fragt, was er denn tun müsse, um das ewige Leben zu haben. »Geh hin, verkaufe, was du hast, und gib’s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben; und komm und folge mir nach.«. (Matthäus 19,21) Der Jüngling ging betrübt von dannen, denn sein Herz hing an seinem Besitz. Die Alternative, um die es geht, bringt Jesus auf die schroffe Alternative: »Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon«. (Matthäus 6,24). Die Unvereinbarkeit, von der hier die Rede ist, wird heute vor allem auf zwei Weisen aktuell: durch die gesteigerte Universalität des Geldes einerseits, durch die Fixiertheit auf sein Fehlen andererseits.
Auch der evangelische Unternehmer und die protestantische Führungskraft fragen nach dem Verhältnis von christlicher Lebensorientierung und ökonomischer Vernunft, nach dem Verhältnis von Glaube und Geld, von christlicher Ethik und wirtschaftlichem Handeln. Wie verhält sich beides zueinander? Eine Moral, die sich dem christlichen Glauben verbunden weiß, und eine ökonomische Vernunft, die sich auf Effizienz, Rationalität und Rentabilität richtet? Die in diesem Buch versammelten Beiträge bestätigen, dass beides miteinander zu tun hat. Ökonomisches Handeln ohne Ethik ist genauso verkehrt wie christliche Moral ohne ökonomischen Sachverstand.
Skeptische oder gar zynische Beobachter der Diskussion kommentieren die Diskussion über Ethik in der Wirtschaft freilich manchmal so, dass sie sagen, die Ethik spiele dabei die Rolle einer Fahrradbremse am Interkontinentalflugzeug. Sie unterstellen damit der Ethikdiskussion einen Scheincharakter und sprechen ihr jeden Einfluss auf die reale Entwicklung der Dinge ab. Dagegen scheint über die Fragestellungen, an denen sich die Notwendigkeit wirtschaftsethischen Nachdenkens in den letzten Jahren für viele Menschen mit Deutlichkeit gezeigt hat, leicht eine Verständigung zu erzielen sein.
Für diese Diskussion ist es zudem förderlich, sich daran zu erinnern, dass die Soziale Marktwirtschaft als das für uns verbindliche Grundmodell der Wirtschaftsordnung tiefe, fest verankerte protestantische Wurzeln hat. Ja, es lässt sich sogar sagen, dass sich christliche Ethik immer wieder als ein entscheidender Motor wirtschaftlichen Engagements erwiesen hat. Christliche Ethik in ihrer evangelischen Gestalt hat maßgeblichen Einfluss auf Konzeption und Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft ausgeübt. Am Beispiel des »Freiburger Bonhoeffer-Kreises« im deutschen Widerstand oder an der Gestalt von Alfred Müller-Armack, der den Begriff der »Sozialen Marktwirtschaft« prägte, ist das immer wieder deutlich gemacht worden. »Verantwortete Freiheit«, individuellschöpfungstheologisch begründet – so lässt sich der Impuls bezeichnen, den die evangelische Gestalt des christlichen Glaubens in die ethische Begründung wirtschaftlichen Handelns eingebracht hat. Das bleibt auch weiterhin notwendig. Denn es gibt kein wirtschaftliches Handeln, das nicht direkt oder indirekt ethische Implikationen hat und auf ethischen Grundsatzentscheidungen beruht oder solche Entscheidungen verletzt. Es wird von einer bestimmten Motivation getragen und verfolgt Ziele, die sich niemals nur innerhalb der Grenzen von Angebot und Nachfrage beschreiben lassen, sondern die stets die Grundfragen menschlichen Seins und menschlichen Handelns berühren. Der Theologe und Manager Ulrich Hemel hat es kurz auf den Begriff gebracht. Er sieht eine entscheidende Grundlage unternehmerischen Handelns »in der Unverzichtbarkeit persönlicher Verantwortung, im langfristigen Mehrwert ethischer Orientierung auch für wirtschaftlichen Erfolg und in der Forderung nach Professionalität, etwa im Bereich der Strategie und der Wertschöpfung«.
Der Welt der Bibel und insbesondere den Traditionen der protestantischen Ethik ist jede Form von Verschwendung und Luxussucht fremd. Sparsamkeit und das kalkulierte zielorientierte Einsetzen von Ressourcen gehören zur Verantwortung des Christen. Man könnte geradezu sagen, dass der – in diesem Sinne – wirtschaftliche Umgang mit Ressourcen aller Art ein Akt der Nächstenliebe ist; denn er ermöglicht es, dass auch andere an diesen Ressourcen Anteil haben können. Immer wieder warnen die biblischen Texte vor der Anhäufung von Reichtum als Selbstzweck. Vielmehr ist die Mitarbeit an der Schaffung von Wohlstand und gesellschaftlichem Reichtum in diesem Sinne jedem Christen aufgetragen. Die biblische Tradition ist sich völlig klar, dass in dieser Hinsicht jeder Mensch die Chance haben soll, die ihm von Gott gegebenen Gaben und Talente zu entwickeln, um seinen Beitrag zur gesellschaftlichen Wohlstandsentwicklung zu leisten.
Wirtschaftliches Handeln im Sinne von Effizienz und instrumenteller Rationalität ist vom christlichen Glauben her nicht nur gerechtfertigt, sondern verpflichtend. Zugleich ist deutlich, dass solch ein Handeln nicht im Gegensatz zur Menschlichkeit steht, sondern sie sowohl voraussetzt als auch zum Ziel hat. Damit ist aber auch schon gesagt, dass wirtschaftliches Handeln von gesellschaftlich anerkannten und kulturell wertvollen Zwecken her gesteuert werden muss. Der Wirtschaft kommt so wenig wie dem Geld Selbstzwecklichkeit zu.
Rationalität und Effizienz im Umgang mit Ressourcen sind heute auch im Umgang mit den natürlichen Lebensbedingungen geboten – aus Nächstenliebe, aus Liebe für die nächste Generation und auch aus ökonomischer Einsicht. So kann eigentlich kein Gegensatz zwischen christlichem Menschenbild und ökonomischer Vernunft aufkommen. Da es in beiden Bezugssystemen letztlich um das Wohl des Menschen geht, müsste von vornherein klar sein, dass eine Orientierung aus dem christlichen Glauben und eine Orientierung an wirtschaftlicher Effizienz in dieselbe Richtung laufen. Nachhaltigkeit wird deshalb zu einem wichtigen Kriterium auch für wirtschaftliches Handeln.
Zu den großen Herausforderungen unserer Zeit gehört vor allen Dingen die Entwicklung der Weltwirtschaft. Wird sich in ihr das europäische und insbesondere deutsche Modell einer sozial verantworteten Wirtschaft als überholt erweisen? Oder enthält die Globalisierung auch eine Chance dazu, Maßstäbe der sozialen Verantwortung auch international stärker zur Geltung zu bringen, als dies bisher möglich war? Bei aller Globalisierung ist es offenkundig nötig, dass die Wirtschaft einen realen Bezug zu den Menschen, zu dem Land, zu den Räumen und Zeiten behält, in denen sie sich vollzieht. Es hängt auch an jedem Einzelnen, dass christliche Ethik und wirtschaftliches Handeln nicht beziehungslos aus einandertreten, sondern immer wieder miteinander verbunden werden – mit klarem Kopf, aber mit heißem Herzen.
Doch immer wieder gibt es Situationen, in denen das nicht gelingt. Warum? Weil anderes wichtiger ist. Weil anderes zu unserem Gott wird. »Woran du nun, sage ich, dein Herz hängst und worauf du dich verlässt, das ist eigentlich dein Gott.«
Die Frage, woran ich mein Herz hänge, wer also mein Gott ist – diese Frage stellt sich für alle Menschen. Sie stellt sich auf besondere Weise für Menschen in Führungsverantwortung – sei es in der Kirche, sei es in Unternehmen oder Gewerkschaften. Sie alle sind dazu gerufen, Führungsverantwortung zum Wohle der Menschen ausüben. Sie tun das dann am besten, wenn sie nicht nur in ihrem persönlichen, sondern auch in ihrem beruflichen Leben Gott die Ehre geben.
Es gibt dafür keine bessere Grundorientierung als das erste Gebot: »Ich bin der Herr, dein Gott; du sollst keine anderen Götter haben neben mir.« Und es gibt keine bessere Auslegung als diejenige, die Martin Luther in seinem Großen Katechismus gefunden hat: »Was heißt: ›einen Gott haben‹, beziehungsweise was ist ›Gott?‹ Antwort: Ein ›Gott‹ heißt etwas, von dem man alles Gute erhoffen und zu dem man in allen Nöten seine Zuflucht nehmen soll. ›Einen Gott haben‹ heißt also nichts anderes, als ihm von Herzen vertrauen und glauben; wie ich oft gesagt habe, dass allein das Vertrauen und Glauben des Herzens etwas sowohl zu Gott als zu einem Abgott macht. Ist der Glaube und das Vertrauen recht, so ist auch dein Gott recht, und umgekehrt, wo das Vertrauen falsch und unrecht ist, da ist auch der rechte Gott nicht. Denn die zwei gehören zusammen, Glaube und Gott. Woran du nun, sage ich, dein Herz hängst und worauf du dich verlässt, das ist eigentlich dein Gott.«
Übrigens macht Luther den Sinn des Glaubens an den einen Gott gleich an der Gegenüberstellung mit einer Haltung deutlich, in der wir unser Herz an Geld und Gut hängen. »Es ist mancher, der meint, er habe Gott und alles zur Genüge, wenn er Geld und Gut hat; er verlässt sich darauf und brüstet sich damit so steif und sicher, dass er auf niemand etwas gibt. Sieh, ein solcher hat auch einen Gott: der heißt Mammon. […] Das ist ja auch der allgemeinste Abgott auf Erden.«
So schreibt Luther im Jahr 1529 – ziemlich weitsichtig. Noch andere Mächte nennt er ausdrücklich, die leicht zum Abgott werden können: »große Gelehrsamkeit, Klugheit, Gewalt, Gunst, Verwandtschaft und Ehre«. Doch in dieser eindrucksvollen Liste hat die Vergöttlichung von Geld und Gut, die Verehrung des Mammon, einen besonderen Rang. Aus guten Gründen, wie wir wissen; denn dem Menschen ist das Hemd näher als der Rock. Wir werden umso egoistischer, je näher es an den eigenen Geldbeutel geht. So nah, dass für manche der Kontoauszug zur Bibel, der Quartalsbericht zur Offenbarung, die Lektüre der Aktienkurse zur täglichen Andacht und das Portemonnaie zum Hausaltar wird. Für keinen Bereich brauchen wir dringender eine nüchterne Religionskritik als für diesen.
Doch wer aus der Kritik an einer Haltung, die das Geld zum eigenen Gott macht, auf eine grundsätzliche Distanz zur Wirtschaft schließt, unterliegt einem Fehlschluss. Im Gegenteil: Es geht gerade darum, Wirtschaft als menschliche Tätigkeit zu achten und die Verantwortung ernst zu nehmen, die sich daraus ergibt. Es geht darum, Gott Gott und das Geld Geld sein zu lassen. Der eine ist der Herr, das andere ist ein Mittel.
Das Gleichnis von den anvertrauten Pfunden gehört für uns Herausgeber zu den für diesen Zusammenhang wichtigsten biblischen Texten (Matthäus 25,14 - 30). Es spricht genau genommen von den anvertrauten »Talenten«. Dass mit diesem Wort in unserer Sprache nicht mehr eine Maßeinheit, sondern eine Gabe, eine Begabung bezeichnet wird, hat in diesem Gleichnis seinen Grund. Nur knapp sei dieses Gleichnis in Erinnerung gerufen: Vor einer längeren Reise vertraut ein wohlhabender Herr seinen drei Knechten eine bestimmte Menge Geld an; die Knechte verfahren damit sehr unterschiedlich. Derjenige, der fünf Zentner Silber hatte, »handelte mit ihnen und gewann fünf weitere dazu«. Auch der mit zwei Zentnern gewann zwei dazu. Der Knecht aber, der einen Zentner Silber erhalten hatte, vergrub ihn und gab ihn dem zurückgekehrten Herrn ohne Vermehrung wieder zurück. Während er von seinem Herrn als unnütz verstoßen wird, machen die anderen dem Herrn große Freude und er betraut sie mit weiteren Aufgaben.
Führung heißt zunächst: mit den eigenen Gaben etwas anfangen. Das christliche Menschenbild ist realistisch genug, um anzuerkennen, dass Menschen durch mehr als nur durch Liebe angetrieben sein müssen, wenn sie dauerhaft gute Leistungen bringen sollen und wollen. Daraus folgt, dass nach Verbindungen zwischen Leistungsmotivation und Nächstenliebe, zwischen Eigennutz und Gemeinwohl gesucht werden muss. Wirtschaftliches Handeln kommt ohne Rücksichtnahme, Kooperationsbereitschaft, ja Empathie nicht aus. Das kann man unschwer erkennen, wenn man sich mit den Bemühungen von Unternehmen um ihre Corporate Identity beschäftigt. Es gibt nach unserer festen Überzeugung kein Unternehmen, das nur auf Grundlage des Eigeninteresses der Beteiligten nachhaltig bestehen könnte. Unternehmen, die nur auf kurzfristige Gewinnerzielung setzen, sind ganz schnell auf der Verliererseite. Und kein Unternehmen in der Welt kann sich dauerhaft behaupten, wenn es alle schlechten Charaktereigenschaften der Menschen in sich selbst freisetzt oder gar noch kultiviert: Dann zerfällt es, weil sich das Vertrauen zersetzt, das für auf Bestand angelegte Arbeitsprozesse unabdingbar ist. Persönliche Verantwortung ist für Unternehmer und Manager unverzichtbar.
Das elementarste moralische Gebot tritt uns in solchen Situationen anschaulich vor Augen. Es ist die »Goldene Regel«, die Regel der Wechselseitigkeit. Sie ist weltweit verbreitet; in der biblischen Fassung lautet sie: »Was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch.«. (Matthäus 7,12) Es handelt sich um eine praktische Handlungsanweisung, die aus dem Geist der Wertschätzung für den anderen Menschen entspringt. Wertschätzung des andern Menschen bedeutet: Dieser Mensch, jeder Mensch, ist für mich mehr als nur von ökonomischem Wert. Er hat vielmehr eine Würde, die über allen ökonomisch messbaren Wert hinausgeht. Oder, um das oft zitierte Wort Jesu über den Sabbat für unser Thema abzuwandeln: Der Mensch ist nicht um der Wirtschaft willen da, sondern die Wirtschaft ist um des Menschen willen da. So einfach setzt sich das Gebot der Nächstenliebe in einen Grundansatz unternehmerischen Handelns um.
Immer wieder zeigen Untersuchungen, dass Menschen, die im Glauben verwurzelt sind, ihr Leben und die gesellschaftlichen Probleme mit einem besonders ausgeprägten Maß an Zuversicht bewältigen. In ihrer Lebenshaltung verbinden sich Zuversicht, Leistungsbereitschaft und prosoziales Verhalten. Dieses Buch bestätigt das auf seine spezifische Weise. Es veranschaulicht auch Luthers Auslegung des ersten Gebotes im Großen Katechismus in der heutigen Zeit: »Darum lasset uns das erste Gebot gut lernen, damit wir sehen, wie Gott keine Vermessenheit und kein Vertrauen auf irgendein anderes Ding dulden will und nicht Höheres von uns fordert als eine herzliche Zuversicht, die alles Gute von ihm erwartet. Wir sollen richtig und stracks unseres Weges gehen und von allen Gütern, die Gott gibt, keinen weiteren Gebrauch machen, als wie ein Schuster Nadel, seine Ahle und Draht zur Arbeit gebraucht und sie nachher weglegt, oder wie ein Gast die Herberge, die Verpflegung und das Lager nur für die zeitweiligen Bedürfnisse benützt. So halte es jeder in seinem Stand nach Gottes Ordnung, und lasse nur nichts davon seinen Herrn oder Abgott sein. […] Wo das Herz gut mit Gott im reinen ist und dieses Gebot gehalten wird, da folgt die Erfüllung aller anderen von selbst.«
Wenn jeder in seinem Beruf Nadel, Ahle und Draht auf diese Weise recht gebraucht, gelingt es auch weiterhin, evangelisch erfolgreich zu wirtschaften.
Peter Barrenstein, Wolfgang Huber und Friedhelm Wachs
Sei getreu bis an den Tod, so will
ich dir die Krone des Lebens geben
OFFENBARUNG 2,10
FRANK-J. WEISE
Mit drei Stichworten hat der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Admiral Wellershoff, in seinem 1997 erschienenen Buch »Führen: Wollen, können, verantworten« einprägsam die Hauptfelder einer Führungsaufgabe umschrieben. »Wollen« als Zielorientierung, Menschenorientierung und Eigenorientierung in einer Ausgewogenheit der Motive. Beim »Können« muss, um erfolgreich zu sein, zur Eigenleistung das »Glück«, das geschenkte Gelingen, hinzukommen. Zum »Dürfen«, das heißt zur Veranwortung gehört das sorgfältige und vorausschauende Abwägen der Folgen von Entscheidungen. Der Erfolg umfasst unter anderem die Ausrichtung am Ziel, das Zusammenfassen der Kräfte, einen wirtschaftlichen Einsatz der Mittel, das Ergreifen und Behalten der Initiative, Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit. Wichtig für eine Führungskraft ist die Fähigkeit sich mitzuteilen, Information zu empfangen und die Fähigkeit zur Entscheidung. Im Kern sind es drei Dinge, die eine erfolgreiche Führungskraft ausmachen: soziale Kompetenz, professionelles Können und das methodische Beherrschen von Leitung.
Was mich geprägt hat
Prägend für meine Tätigkeit als Manager war als Erstes die Zeit bei der Bundeswehr. War es zunächst mein Vater, der als Wirtschaftsprüfer die kaufmännische Neigung gefördert hat, waren es dann im Blick auf Leitungsaufgaben die Erfahrungen bei der Bundeswehr, die mich weitergebracht haben. In der Grundausbildung erlebte ich schmerzhaft, wie man es nicht machen sollte: Ich meldete mich motiviert und freiwillig und musste dann das völlige Nichtinformiert-, Nichteinbezogen- und Entmündigtwerden ertragen. Hier wurden alle Fehler im Umgang mit Menschen gemacht, die man nur machen kann. Im Gegensatz dazu erlebte ich in der höheren Ausbildung Förderung, Entfaltungsmöglichkeiten, Beteiligtwerden und Anteilhabe. Im Nachhinein waren das alles Erfahrungen zur Reifung und zum Weiterkommen, die mich neben vielen anderen Dingen zu dem gemacht haben, der ich heute bin.
Was den Glauben angeht, war das Christsein im Elternhaus nach meiner heutigen Einschätzung im Rückblick eher christlichkulturell. Die Veränderung und/oder Loslösung vom kindlichen Glauben hat sich in der Bundeswehrzeit durch den damaligen Militärdekan Gramm ergeben, der mir ganz bewusst den Glauben im konkreten Leben nahegebracht hat, in den existenziellen Fragen von Soldat- und Christsein.
Des Weiteren war der ehemalige Vertriebsmanager von Hoffmann-La Roche, Christian Morgen, der zu den Gideons gehört, für meinen Glauben entscheidend. Als wir damals Anfang der 90er Jahre miteinander als Soldaten in die USA flogen, sagte er vor dem Abflug, er habe noch etwas ganz Wichtiges für uns dabei, was wir im Ausland dringend brauchen würden. Wir dachten alle: Hoffmann-La Roche, Arzneikoffer. Dann überreichte er jedem zur Überraschung eine Gideon-Bibel. Die habe ich dann unterschrieben und ich habe sie bis heute immer dabei. Eine dritte wichtige Person ist für mich der außerordentlich begabte und vielseitige Professor der Lern- und Hirnforschung, Frank P. Nellen, der mir den christlichen Glauben auf der intellektuellen Ebene erklären und erschließen konnte.
Im Augenblick ist mir ein Gebetskreis von Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft, der sich regelmäßig trifft, immer eine neue Ermutigung und Inspiration für meine Herausforderungen. Alle sind starke Frauen und Männer in Führungspositionen, die sich austauschen und vom Glauben her gemeinsam ausrichten. Ebenso ist es der Kontakt zum Kreis der Johanniter, die sich – vom Doppelgebot der Liebe ausgehend (»Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen« und »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst«) – mit all ihren Kräften und Fähigkeiten in die heutige Gesellschaft einbringen.
Insgesamt tue ich mich von meinem Charakter her eher schwer mit einem zu emotionalen Glauben, mit einem Glauben, der irgendwo stattfindet in rein religiösen Veranstaltungen und Sphären. Bei einigen meiner Freunde, die von einem Erweckungserlebnis berichten können, bewundere ich die Sicherheit oder Gewissheit, mit der sie ihren Glauben leben. Ich selbst ringe eher immer wieder darum. Mein Anfang zu einem bewussteren Glauben liegt, wie gesagt, in der Bundeswehrzeit, wo ich an Rüstzeiten in Häusern der Kirche teilgenommen habe. Da erlebte ich Pfarrer, die nicht nur in ihrem isolierten Spezialbereich zuhause waren, sondern in meiner Berufswelt. Die Themen wie »Darf ein Christ Soldat sein, im Ernstfall töten?« wurden intensiv diskutiert. Das hat mich ungeheuer angesprochen. Von da an habe ich mir den Glauben gewissermaßen erkämpft. Und es bleibt ein laufendes Ringen, das nie enden wird.
Glaube, Beruf und tägliche Arbeit
Je älter ich werde und je mehr ich die Zusammenhänge reflektiere, sehe ich, wie Gott im Laufe meines Lebens auf verborgene Weise die Dinge gelenkt und einen Mosaikstein zum anderen gefügt hat. Es haben Dinge stattgefunden, die ich in ihrer Zeit nicht akzeptiert habe, wo ich gegrübelt habe, wo ich gezweifelt habe, wo keine menschliche Logik erkennbar war. Wenn ich heute sehe, wie vieles zueinander passt, dann ist das Gnade. So war zum Beispiel überhaupt nicht absehbar, dass ich in den öffentlichen Dienst wechsle. Dazu hat mir der wirtschaftliche Erfolg, den ich hatte, die Möglichkeit eröffnet. Und viele sagen, dass ich gerade meine Erfahrung aus der Industrie segensreich in der Bundesagentur für Arbeit einbringen konnte; speziell die Kompetenz im Bereich Controlling, Organisation, Effizienz und Optimierung. Und dass mir jetzt am Ende meines Berufslebens nach all den Lehrjahren im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die fast unlösbare Aufgabe zufällt, die unhaltbaren Zustände bei den Aufnahmeverfahren für die betroffenen Menschen erträglich und insgesamt beherrschbar zu machen, das bringt mich schon zum Nachdenken. Das kann kein Zufall sein.
Genau in diesem letzten Tätigkeitsfeld, das ich ohne finanziellen Mehrgewinn wahrnehme, liegt aber auch die aktuelle Herausforderung. Ich soll den unerträglichen Zustand, dass Flüchtlinge so lange in Ungewissheit warten müssen, bis ihr Antrag bearbeitet wird, möglichst schnell, aber gleichzeitig auch sachgerecht und verantwortlich beenden. Und damit überfordere ich quasi gezwungenermaßen die Beschäftigten in diesem Bundesamt mit dem Tempo der Maßnahmen und dem von mir ausgehenden Druck. Dabei ist mir aufgrund meines Selbstverständnisses und Berufsethos gerade das Einbeziehen und positive Motivieren von Mitarbeitern wichtig. Hier habe ich im Augenblick sehr große Gewissenskonflikte, bei denen ich mich entscheiden und ausbalancieren muss: Wie werde ich dem einen oder anderen gerecht? Wie mache ich es richtig? Hier wird Christsein und das christliche Vorleben im Alltagsgeschäft ganz praktisch. In all diesen Fällen bete ich intensiv. Ich arbeite ungeheuer viel und übers Maß hinaus und plane, und dann kommt der Moment, in dem ich mir sage: Was bist du für ein Dummkopf, jetzt verlass dich doch auf Jesus! Und ich kann so aus meiner Anspannung zurücktreten, entspannen und entlastet neu ansetzen und weitermachen.
»Ich habe mir den Glauben
gewissermaßen erkämpft.
Es bleibt ein laufendes Ringen.«