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ÉRIC VUILLARD

Der Krieg der Armen

Aus dem Französischen von
Nicola Denis

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Inhalt

Die Geschichte von Thomas Müntzer

Zwickau

Gott und das Volk sprechen die gleiche Sprache

In Böhmen

Die ganze Welt

Das Wort

Die Fürstenpredigt

Der Sommer ist vor der Tür

Die Erhebung des gemeinen Mannes

Letzte Briefe

Die Wörter

Die Schlacht bei Frankenhausen

Müntzer enthauptet

Die Geschichte von Thomas Müntzer

Sein Vater war gehängt worden. Er war ins Leere gefallen wie ein Sack Körner. Man hatte ihn nachts auf den Schultern tragen müssen, er war schweigsam geblieben, den Mund voller Erde. Dann ging alles in Flammen auf. Die Eichen, die Wiesen, die Flüsse, das Labkraut in den Hecken, die karge Erde, die Kirche, alles. Er war elf Jahre alt.

Schon mit fünfzehn hatte er, weil er ihnen den Tod seines Vaters anlastete, einen geheimen Bund gegen den Erzbischof von Magdeburg und die Römische Kirche geschlossen. Er las den Klemensbrief, das Martyrium des Polycarp, die Fragmente des Papias. Mit ein paar Kameraden besang er die Herrlichkeiten Gottes, watete im Morgenrock durch den Jordan und malte das kosmische Rad, Zeichen der Einheit, mit Kreide auf den Boden; der Reihe nach legten sich alle hinein und streckten beide Arme zur Seite, damit der Himmel auf Erden komme. Und er erinnerte sich an den Leichnam seines Vaters, an seine Zunge, die so riesig war wie ein einziges, getrocknetes Wort. »Ich lebte in der Freude, doch mit Gott vereint man sich nur in furchtbaren Schmerzen und Verzweiflung.« Das war, was er glaubte.

Es heißt, in Stolberg sei ein gewisser Barthol Munzer als Winzer tätig gewesen; ferner ist von einem Monczer Berld und einem Monczers Merth die Rede, aber Genaues weiß man nicht. Es gibt auch einen Thomas Miinzer, umgekommen bei einer Wirtshausschlägerei. Es ist nicht bekannt, ob er eine Maulschelle oder die Kante eines Holzscheits in die Fresse bekommen hatte, ebenfalls unbekannt ist, ob er verwandt war mit dem anderen Thomas Müntzer, dessen Vater um 1500 aus unbekannten Gründen auf Befehl des Grafen zu Stolberg hingerichtet wurde, manche sagen gehängt, andere sagen verbrannt.

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Fünfzig Jahre zuvor war eine glühende Masse ausgeflossen, von Mainz durch das ganze übrige Europa, war zwischen die Hügel jeder Stadt, zwischen die Buchstaben sämtlicher Namen geflossen, über die Regenrinnen, durch die Windungen jedes einzelnen Gedankens; und jeder Buchstabe, jeder Ideenzipfel, jedes Satzzeichen war in ein Stück Metall eingegangen. Man verteilte sie in einer Holzschublade. Die Hände wählten eines aus, und noch eins, und so entstanden Wörter, Zeilen und Seiten. Sie wurden in Tinte getaucht, und eine ungeheuerliche Kraft presste die Lettern langsam auf das Papier. Das wurde dutzende und aberdutzende Male wiederholt, bis die Blätter viermal, achtmal oder sechzehnmal gefaltet wurden. Sie wurden in die richtige Reihenfolge gebracht, zusammengeklebt, genäht und in Leder gebunden. Daraus wurde ein Buch. Die Bibel.

Innerhalb von drei Jahren entstanden so einhundertundachtzig davon, während ein Mönch in derselben Zeit nur eine einzige abgeschrieben hätte. Und die Bücher vermehrten sich wie Würmer in einem Körper.

Der kleine Thomas Müntzer las die Bibel, er wuchs mit Ezechiel, Hosea und Daniel auf, aber es waren Gutenbergs Ezechiel, Gutenbergs Hosea und auch sein Daniel; und nachdem er den morschen Türflügel hinter sich gelassen hatte, der beim Öffnen über den Boden schrammte, saß er lange unten in der alten Küche und rieb sich die Augen. Er wusste weder, was er sah, noch was er sehen sollte. Er war einsam wie ein Dieb, und unschuldig.

Die Zeit verstrich; er lebte bei seiner Mutter, bestimmt recht ärmlich. Sein Herz machte ihm zu schaffen. Unter den Eichen, den Tannen, auf der kargen Erde im Harz musste er, während er mit anderen Kindern den Schweinen nachlief, alleine stehen bleiben, plötzlich ganz benommen, und weinen. Ja, ich sehe ihn vor mir, am Ufer eines Flusses mit kleinen schwarzen Kieselsteinen, an der Wipper oder dem Krebsbach, egal, oder auf den Abhängen der tristen kleinen Gipfel aus felsigem Urgestein, abgetragene Hügel, schäbige Torfmoore, im Tal der Bode oder der Oker, wie er an einer Mischung aus Bitterkeit und Liebe erstickt.

Schließlich studierte er in Leipzig, wurde Pfaffe in Halberstadt, in Braunschweig, dann irgendwo Probst, und nach einer ganzen Reihe von Kalamitäten mit dem gemeinen Volk der Lutheranhänger kroch er 1520 aus seinem Loch, zum Prediger ernannt in Zwickau.

Zwickau

Außerhalb der Grenzen Sachsens kennt kaum jemand Zwickau. Ein beliebiges Kaff. Man kennt den Zwicker oder den Zwickel, es gibt die Zwiebel und man kann jemanden zwiebeln. Doch Zwickau bedeutet gar nichts, oder aber Schalen, Pfeifenköpfe, gute Geschäfte, ja, das bedeutet Zwickau: Pfeifenköpfe und gute Geschäfte. Denn in Zwickau wird gewebt, und zwar tüchtig, man webt für alle Welt, für die Leute aus Frankfurt und Dresden; sogar in Paris, heißt es, hätten damals manche in Zwickschem Tuch geschlafen. Und dann wird in der Erde gegraben, werden Bergwerke erschlossen. So kommen gleich nach den Welsern und den Fuggern die Bürger aus Zwickau.

Die Bürger hörten Müntzer in der Marienkirche predigen; als aber Egranus zurückkam, den er vertreten hatte, wurde er an die Katharinenkirche berufen, Gemeinde der Tuchmacher und Bergknappen. Dort pflegte Müntzer wohl Umgang mit der Gruppe der Zwickauer Propheten: Storch, Stübner, Drechsel. Diese drei Schatten waren ganz aus dem Häuschen, badeten in Verzückung, Visionen und Träumen, lauerten auf die Augenblicke, in denen der liebe Gott direkt zu ihnen sprach. Ihr großes Streitthema war die freiwillige und bewusste Taufe. Oh! Das wirkt ein bisschen altmodisch, diese Vorstellung von der Taufe, dieser spinnerte Rationalismus, diese Aufklärung der Messkännchen. Dabei handelt es sich nur um eine Reaktion auf die Korruption der Kirche, auf das Irrationale ihrer Lehre und Sakramente. Denn sie lesen etwas anderes als Augustinus und Thomas von Aquin, die Spinner aus Zwickau lesen Erasmus und Nikolaus von Kues, sie lesen Raimundus Lullus und Jan Hus, sie polemisieren, argumentieren, wollen nackt in der Wahrheit leben.