Wir Isländer geben nie auf. Es gibt dafür
eine sehr gute Wendung: Það réddast!
Es wird schon irgendwie klappen!
Vigdís Finnbogadóttir
Die feurige Braut im Nordatlantik – Willkommen in Island
Widersprüchlich und wild, karg und gewaltig wirkt Island auf seine Besucher. Das Land ist berühmt für seine Vulkane und Gletscher, für Wasserfälle und Fjorde, aber auch fortschrittlich und fortschrittsgläubig. Island hat wie kaum ein anderes Land den Sprung von einer Epoche der Traditionen in eine moderne Gesellschaft geschafft.
Reykjavík und der Südwesten – Wo das moderne Island zu Hause ist
Stadtzentrum – Harpa – Perlan – Golden Circle – Gullfoss – Strokkur – Blaue Lagune – Reykjanes
Islands Südwesten hält ein Potpourri der Kontraste bereit: Natur-Highlights wie Gullfoss, Geysir und die raue Halbinsel Reykjanes auf der einen, Betonarchitektur in der Metropolitan Area von Reykjavík auf der anderen Seite. Ein idealer Ort, die Vielfalt des Landes kennenzulernen.
Der Westen – Island authentisch
Hvalfjörður – Borgarfjörður – Snæfellsjökull – Stykkishólmur – Flatey – Látrabjarg – Ísafjörður – Hornstrandir – Norðurfjörður
Mit dem Snæfellsnes, Islands Zeigefinger nach Westen, und dem vielgliedrigen, einsamen Land der Westfjorde zeigt sich ein ursprünglicheres Island, das deutlich weniger Touristen durchstreifen als die Gebiete entlang der Ringstraße und der bekanntesten Hochlandrouten.
Der Norden – Annäherungen an den Polarkreis
Hvammstangi – Hvítserkur – Skagafjörður – Glaumbær – Akureyri – Húsavík – Myvatn – Jökulsárgljúfur-Nationalpark – Dettifoss – Ásbyrgi – Melrakkaslétta
Vielfalt prägt Islands Landschaftsformen, und das gilt im Norden besonders von der Bucht Húnaflói im Westen bis zur Halbinsel Langanes im Osten. Von der Pferdehochburg am Skagafjörður über die charmante Provinzmetropole Akureyri bis zu den Ausläufern der Lavawüste Ódáðahraun findet sich hier ein Paket faszinierender Eindrücke.
Der Osten – Mehr als ein Transit: die Ostfjorde
Möðrudalur – Herðubreið – Húsey – Seyðisfjörður – Egilsstaðir – Lögurinn – Mjóifjörður – Reyðarfjörður – Fáskrúðsfjörður – Stöðvarfjörður – Berufjörður
Obwohl die Schönheiten der Ostfjorde schnell ins Auge springen, gilt diese Küstenlandschaft immer noch als Geheimtipp. Die meisten Straßen sind landschaftlich schöne Strecken mit atemberaubenden Ausblicken.
Der Süden – Wo Island in den Atlantik wächst
Höfn – Vatnajökull – Skaftafell – Skeiðarársandur – Bárðarbunga – Mýrdalsjökull – Katla – Mýrdalssandur – Vestmannaeyjar
Der Vatnajökull ist ein Highlight, aber nicht allein Eis bestimmt das Gesicht Südislands. Eine vulkanisch hochaktive Zone von den Westmänner-Inseln bis unter die Eiskappe des Vatnajökull zeigt feurige »Exponate« wie die Laki-Krater; der riesige Katla-Geopark umfasst neben Sekundärfolgen des Vulkanismus pittoreske Wasserfälle, Vogelklippen und Felsentore, die das Meer aus Lavagestein modelliert hat.
Das Hochland – Europas letztes Abenteuerland?
Kjalvegur – Herðubreiðarlindir – Víti – Kverkfjöll – Hveravellir
Islands unbesiedeltes Landesinnere, das Hochland, lockt mit einem gehörigen Schuss Abenteuer, aber es gibt auch Pisten für alle Fahrzeuge, solide Hütten – und heiße Bäder.
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Zwei bis drei Stunden nach dem Start von einem mitteleuropäischen Flughafen wird es in der rechten Hälfte des Jets unruhig. Jeder will einen Blick aus dem Fenster erhaschen: Wie um die Bedeutung seines Namens zu unterstreichen, streckt Island – eigentlich »Eisland« – allen Ankömmlingen den Vatnajökull entgegen, die größte Eismasse, die die Erde außerhalb der Antarktis und des grönländischen Inlandeises kennt. Kein anderer Anflug auf ein Ziel in Europa kann mit diesem Anblick konkurrieren – ein beeindruckend ungewohntes Bild für uns Mitteleuropäer.
Mitten in dieser von wilden Gebirgen getragenen Eislandschaft demonstrierte Island im Spätsommer 1996 drastisch, was das Klischee vom »Land aus Feuer und Eis« meint: Der Vulkan Bárðarbunga ließ bei einem Ausbruch binnen drei Tagen die 600 Meter dicke Eisschicht über sich schmelzen, überzog den Vatnajökull mit reichlich Asche und hinterließ ein beeindruckendes Loch im Eispanzer. Mehrere Kubikkilometer Eis schmolzen in wenigen Tagen zu Milliarden Liter Wasser, die über die flachen, schwarzen Sanderflächen als gewaltige, mit hausgroßen Eisbrocken durchsetzte Flutwelle Richtung Meer schossen. Sie hinterließ große Lücken in der Ringstraße, Islands wichtigster Landverbindung, Sollbruchstellen in Leichtbauweise, die isländische Art, sich mit dem rauen Land und seinen harschen Bedingungen zu arrangieren.
Insgesamt erscheint Island aus der Flughöhe eines Jets karg und rau. Wenig deutet auf die Anwesenheit von Menschen hin, und auch die Landebahnen des Keflavíkurflugvöllur, des internationalen Flughafens von Keflavík, wo die meisten Reisenden isländischen Boden betreten, ziehen sich durch ein unwirtliches Lavafeld, in dem der moderne Terminal wie eine Raumstation auf einem entfernten Planeten wirkt.
Geradezu symbolisch liegt der Flughafen an einer Nahtstelle zwischen alter und neuer Welt auf einer nach Südwesten in den Atlantik ragenden Halbinsel. Deren Silhouette ist zwar nicht so perfekt wie Italien, aber erinnert doch auch an einen Stiefel. Unzählige Erdspalten in dieser oberirdischen Fortsetzung des mittelatlantischen Rückens zeigen, dass hier die Kontinentalplatten Amerikas und Eurasiens auseinanderdriften. Umrahmt wird Reykjanes von einem Mix aus steilen Vogelfelsen, Dünen und Stränden mit pechschwarzem Sand. Ornithologen lieben die Halbinsel, bietet sie ihnen doch sowohl Islands heimische Meeres- und Küstenvögel als auch während der Vogelzüge viele Watvögel und Gänsearten zur Beobachtung.
Wie für die Vögel ist auch der Flughafen von Keflavík seit den Kindertagen des Nordatlantik-Flugverkehrs ein wichtiger Stopp auf dem Weg zwischen Nordamerika und Europa. Der Terminal trägt den Namen des Isländers Leifur Eiríksson, des ersten Europäers, der um das Jahr 1000 seinen Fuß auf amerikanischen Boden setzte. Und für die, die immer schon wissen wollten, wo die modernen Jets herkommen, steht die Antwort vor dem Terminal: Im »Jet-Nest« von Magnús Tómasson schlüpft ein Flugzeug aus einem überdimensionalen Stahl-Ei.
Ein hochmoderner Airport voller Lifestyle-Shops, benannt nach einem alten Wikinger, eine moderne Großplastik vor rauer wie spektakulärer Landschaftskulisse, beeindruckende Naturbegegnungen und bei klarer Sicht weit im Norden am Horizont die Silhouette des Snæfellsjökull, eines vergletscherten Ex-Vulkans – all das fasst in den Minuten der Ankunft das bevorstehende Erlebnis Island zusammen: faszinierende Natur, moderne Annehmlichkeiten, lebendige Kultur.
Für Kontraste zu vielen Island-Klischees sorgt auf jeden Fall die 45-Minuten-Fahrt vom Flughafen ins Zentrum von Reykjavík: Gut zwei Drittel aller Isländer leben in der Hauptstadtregion. Für diese Menschen wird Wohnraum gern mit ausgefallener Betonarchitektur mehr in die Breite als in die Höhe gebaut: Reykjavík wirkt auf den ersten Blick amerikanisch mit breiten Straßen und Shopping-Malls, aber Islands Metropole vereint im Kern dann doch europäischen Charme, Pep und Lebenslust. Will man von Island mehr sehen, geben die Verkehrswege zuerst einmal eine Fahrt rund um die Insel auf der Ringstraße vor: durch grünes Bauernland im Westen und Nordwesten, durch faszinierend einsame Schotterwüsten im Nordosten, entlang der Ostfjorde und über die unendlich erscheinenden Sanderflächen zu Füßen der Gletscher im Süden: mehr als 1400 grandiose Sightseeing-Kilometer von Reykjavík bis Reykjavík. Wer den Weg abkürzen will, muss das unbewohnte Landesinnere queren, das Hochland. Bis vor wenigen Jahren war das ausschließlich mit geländegängigen, allradgetriebenen Fahrzeugen oder auf Islandpferden machbar. Nach wie vor sind die meisten Hochlandrouten holprig und fordernd für Fahrer und Fahrzeug, aber selbst dieser unwirtliche Teil des Landes wird immer besser erschlossen. Mit dem Kjalvegur, der Route über das Kjölur-Hochplateau, ist inzwischen eine der Hochlandstrecken den Sommer hindurch und bei normalen Witterungsbedingungen mit jedem Pkw zu bewältigen. Und wo bis weit in die 1990er-Jahre jede Fahrt ins Hochland eine Fahrt ins Ungewisse war, zeigt das nationale Straßenverkehrsamt heute minutenaktuell Pistenzustand und eventuelle Sperrungen online. Das gilt für alle Straßen im Land inklusive Webcam-Übertragungen von wichtigen Kreuzungen und Streckenabschnitten.
Hat man die Insel auf ersten Reisen bereits kennengelernt, kann man sich nun dem »Island für Fortgeschrittene« zuwenden: Neben Touren in entlegene Teile des Hochlands, sind vor allem die Halbinseln im Westen und Nordwesten, die sich weit ins Nordmeer hinausschieben (wie Snæfellsnes, die zergliederten Westfjorde oder Melrakkaslétta), einen Besuch wert, ebenso der menschenarme Nordosten, mit seinen kleinen, gastfreundlichen Orten. Dazu gehört Raufarhöfn: Keine andere Siedlung auf dem isländischen Festland liegt so nah am Polarkreis. 15 Kilometer sind es von Raufarhöfn zum nördlichsten Landflecken mit dem Leuchtturm Hraunhafnartangaviti, und der liegt gerade noch zwei Kilometer unter dem Polarkreis. Wenn man also auf dem Festland echte Mitternachtssonne erleben will, dann ist man hier am nächsten dran. Island liegt nämlich längst nicht so weit nördlich, wie viele glauben. Nur die kleine Insel Grímsey, etwa 40 Kilometer vor der Nordküste oberhalb Akureyri, liegt direkt auf dem Polarkreis – Schildermast mit Wegweisern in alle Welt inklusive. Ansonsten sind die ganz großen Attraktionen auf Islands »Extremitäten« rarer als im Rest des Landes, dafür erlebt man ein viel ursprünglicheres Island abseits der großen Touristenrouten.
Island zählt zu den geologisch jüngsten Landflächen der Erde und ist immer noch nicht vollendet: Eine vulkanisch hochaktive Zone zieht sich mit einigen Versatzsprüngen von den Westmänner-Inseln im Süden quer über die Insel am Mývatn vorbei bis ins Nordmeer. Seit Menschen im 9. Jahrhundert nach Island kamen und Chronisten das Geschehen festhalten, erlebte das Land rund 200 Vulkanausbrüche – statistisch etwa alle fünf bis sieben Jahre einen. Die Chronik des Feuerspeiens der letzten Jahrzehnte spricht eine deutliche Sprache: 1973 Heimaey, 1975 bis 1984 Krafla, 1970, 1980/81, 1991 und 2000 Hekla, 1999 und 2011 kleinere, subglaziale Eruptionen der Katla unter dem Mýrdalsjökull, die sich nur durch Gletscherläufe belegen ließen, 1996, 2004, 2011 und 2014 Ausbrüche um Grímsvötn/Bárðarbunga im Vatnajökull-Massiv und 2010 der Vulkan, der der ganzen Welt zeigte, welche Power das kleine Island in sich hat und wie schwierig seine Namen auszusprechen sind: Der Eyjafjallajökull – sprich Äijafjatlajökütll.
Im Jahr 1963 tauchte vor der Südküste am Rande der Westmänner-Inseln sogar unvermittelt die Vulkaninsel Surtsey aus dem Meer auf und wuchs bis auf 174 Meter Höhe und etwa 2,6 Quadratkilometer Fläche heran. Natürlich nagen Wind, Wetter und Wellen permanent an dem porösen und lockeren Lavamaterial, sodass die Fläche inzwischen auf wenig mehr als einen Quadratkilometer reduziert ist – vielleicht hilft es da etwas, dass die Insel 2008 neben dem Nationalpark Þingvellir zu Islands zweitem UNESCO-Welterbe ernannt wurde. Nur Wissenschaftler haben bis heute Zutritt auf Surtsey. Sie können in einem eindrucksvollen Feldversuch erforschen, wie etwa vor 20 Millionen Jahren die ersten Flecken Islands aus dem Meer wuchsen und zu Land wurden, und wie überhaupt Leben von neugeborenem Land Besitz ergreift.
Auf Island sind alle Vulkantypen der Erde vertreten: Mächtige Zentralvulkane wie die Hekla, aufgebaut bei über 20 Ausbrüchen in den letzten sieben Jahrtausenden, gleichförmige Ascheringe wie der Hverfjall, enorm raumfressende, von dünnflüssigen Laven ganz langsam geformte Schildvulkane mit flachen Hängen wie der Skjaldbreiður, Kraterreihen wie die Lakagígar mit mehr als 100 Kratern, gigantische Eruptionsspalten wie die fünf Kilometer lange Eldgjá, die Feuerschlucht, subglaziale Vulkane wie die Katla unter dem Eis des Gletschers Mýrdalsjökull im Süden oder wie Herðubreið, die längst von den glazialen Massen der letzten Eiszeit befreite Königin der isländischen Berge im Nordosten. Dazu gibt es viele andere vulkanische Phänomene: faszinierende Basaltformationen, die die Kulisse für Wasserfälle wie den Svartifoss und den Aldeyjarfoss bilden, die bunten Rhyolithberge von Landmannalaugar oder die schön geformten Pseudokrater von Skútustaðir am Mývatn, die sich mit einem großen »Blubbbb« auftaten, wenn Gase aus sumpfigem Untergrund den Weg durch Lavaströme an die Oberfläche fanden. Die ältesten Oberflächengesteine im äußersten Osten und Westen der Insel sind etwa 16 Millionen Jahre alt. Zum Vergleich: Die Nachbarn in Grönland und auf den Färöer-Inseln leben auf mindestens dreimal so altem Boden. Nach der heute gängigen, von dem deutschen Geologen Alfred Wegener (1880–1930) begründeten Theorie über die Entstehung der Kontinente zerbrach vor rund 220 Millionen Jahren ein Urkontinent – Pangaea – in mehrere Platten, die seitdem auf dem Kern glühend-flüssigen Magmas um den Erdball driften. An einigen Stellen stoßen sie zusammen, so vor Kalifornien und Japan, an anderen entfernen sie sich voneinander, so mitten im Atlantik die amerikanische Platte auf der einen und die eurasische zusammen mit der afrikanischen auf der anderen Seite. An der Nahtstelle zieht sich von Pol zu Pol ein mehrere Hundert Kilometer breiter, vulkanisch höchst aktiver Gebirgszug, dessen Gipfel etwa 2000 bis 3000 Meter höher sind als der sie umgebende Meeresgrund. Nur an wenigen Stellen ragen sie als einsame Inseln aus dem Wasser: St. Helena ist eine von ihnen, ebenso Ascension, die Azoren und eben Island als das größte sichtbare Stück. Die langsame Trennung der Kontinentalplatten kann dort nicht nur am Vulkanismus nachgewiesen werden, sondern auch an den Dehnungsspalten, als deren berühmteste die Almannagjá am Rande des historischen Parlamentsplatzes von Þingvellir gilt: Die Wände der Schlucht rücken immer weiter voneinander weg, im Schnitt etwa sieben Millimeter pro Jahr. Der Osten Islands folgt dabei Europa, der Westen Amerika.
Kontrast zu Islands feurigem Innenleben sind seine Gletscherlandschaften; es sind die gewaltigsten in Europa. Über 10 000 Quadratkilometer,