übersetzt von Peter Mehler
This Translation is published by arrangement with Rick Jones
Title: Crosses to bear. All rights reserved. First published 2016.
Diese Geschichte ist frei erfunden. Sämtliche Namen, Charaktere, Firmen, Einrichtungen, Orte, Ereignisse und Begebenheiten sind entweder das Produkt der Fantasie des Autors oder wurden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, lebend oder tot, Ereignissen oder Schauplätzen ist rein zufällig.
Deutsche Erstausgabe
Originaltitel: CROSSES TO BEAR
Copyright Gesamtausgabe © 2020 LUZIFER-Verlag
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Cover: Michael Schubert
Übersetzung: Peter Mehler
Lektorat: Astrid Pfister
Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2020) lektoriert.
ISBN E-Book: 978-3-95835-493-7
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Ezekiel saß mit einer kleinen Tasse Milchkaffee vor einem Lokal. In den Händen hielt er die Le Parisien, eine Pariser Zeitung.
Nachdem er blutüberströmt und halb ohnmächtig aus der Nekropolis entkommen war, war es ihm gelungen, einen zwielichtigen Doktor zu finden, der seine Wunden für eine gewisse Summe versorgt hatte, zusätzlich eines Bonus, damit er Stillschweigen darüber bewahrte. Als der Doktor dann aber durchblicken ließ, dass er den Deal platzen lassen würde, wenn Ezekiel nicht noch mehr als die ursprünglich vereinbarte Summe bezahlte, ergriff Ezekiel ein Skalpell, warf es durch den Raum und spießte damit eine Kakerlake auf, die gerade Wand hinauf gekrabbelt war.
Danach verlor der Doktor plötzlich kein weiteres Wort mehr darüber und versorgte den Attentäter hastig.
Nachdem Ezekiel wieder imstande war zu reisen, begab er sich sofort nach Frankreich und tauchte dort unter.
Nun, beinahe drei Monate nach den Kämpfen in der Nekropolis, war Ezekiels Herz schwer geworden.
Die Titelseite der Le Parisien zierte ein verklärter Nachruf auf Amerigo Anzalone, auch Papst Pius XIII genannt. Der Artikel beschäftigte sich mit dem Leben des Mannes, seiner Ernennung zum Papst und seinen letzten Tagen als Diener aller Christen dieser Welt.
Ich muss ihn so sehr enttäuscht haben, dachte er. Wie unendlich traurig muss er wohl gewesen sein. Er hatte den Pontifex auf so viele Arten respektiert, dass er hoffte, dass Pius ihm zumindest an seinem Lebensende seinen Verrat als Vatikanritter gegenüber der Kirche verziehen hatte.
Bitte, vergib mir.
Er ließ die Zeitung langsam auf das weiße Tischtuch sinken und beobachtete die Tauben, die sich um seine Füße herum versammelt hatten und dort pickten, fraßen und gurrten.
Doch dann flatterten die Vögel plötzlich panisch mit den Flügeln schlagend davon und die Welt um ihn herum schien auf einmal aus einer Wand aus Federn zu bestehen. Kurz darauf waren sie verschwunden.
An ihrer Stelle war ein gut gebauter Mann mit hellem Teint, rabenschwarzen Haaren und einer pinkfarbenen Narbe am Kinn erschienen. »Widerliche Kreaturen, nicht wahr? Ich glaube, ihr Amerikaner nennt sie auch Ratten der Lüfte.«
Ezekiel starrte den Mann, der auf den leeren Stuhl ihm gegenüber deutete, an. »Darf ich?«
»Kenne ich Sie?«
Der Mann setzte sich, ohne auf Ezekiels Zustimmung zu warten. »Auf gewisse Weise schon«, sagte er geheimnisvoll.
Wirklich? Wie konnte das sein?
Als der Kellner erschien, schickte der Mann ihn mit einer unwirschen Handbewegung davon, schlug die Beine übereinander und legte seine Hände um eines seiner Knie. »Wir sind uns nie persönlich begegnet, aber ich bin mir sicher, dass Sie schon von mir gehört haben«, erklärte er. »In Ihren Kreisen kennt man mich unter dem Namen Abraham Obadiah.«
Ezekiel griff unwillkürlich nach seiner Waffe.
Sofort hob Obadiah die Hand, um Ezekiel Einhalt zu gebieten. »Nicht«, warnte er ihn beinahe beiläufig. »Glauben Sie wirklich, dass ich mich an diesen Tisch setzen würde, ohne vorher die nötigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen?«
»Ich kann Sie töten, bevor Ihre Leute auch nur reagieren könnten.«
»Das bezweifle ich sehr«, antwortete er. »Werfen Sie mal einen Blick auf Ihre Brust.«
Ezekiel entdeckte daraufhin drei rote Laserpunkte, die genau auf seine Körpermitte zielten. Jeder von ihnen bedeutete einen Todesschuss. Die Schützen im Verborgenen konnte er jedoch nicht ausmachen.
Ezekiel spürte, wie Zorn in ihm aufwallte. Vor einigen Jahren war dieser Mann, der nun vor ihm saß, für die Entführung von Papst Pius und die Hinrichtung mehrerer Bischöfe des Heiligen Stuhls verantwortlich gewesen. Obadiah war es als Einzigem seines Teams aus Elitesoldaten gelungen, zu fliehen, nachdem die Vatikanritter die Gruppe im Nahkampf bezwungen hatten.
»Weshalb sind Sie hier?«
Obadiah blickte ihn kurz an, bevor er ein Foto aus seiner Tasche zog und es auf die geöffnete Zeitung legte. Das Foto war alt, aber nicht unscharf. Es zeigte einen sehr viel jüngeren Kardinal Bonasero Vessucci. Neben ihm stand ein Mann in einer schwarzen Militärhose, Stiefeln, einem Barett auf dem Kopf und einem klerikalen Hemd mit einem römisch-katholischen Kragen. Kimball Hayden in früheren Tagen, als er gerade ein Ritter des Vatikan geworden war.
»Wenn der Blutsverwandte eines wichtigen amerikanischen Senators vom Vatikan aufgenommen wird, erregt das natürlich ein gewisses Aufsehen.« Obadiah tippte auf das Foto. »Dieses Bild wurde einen Tag nach der Unterzeichnung der Papiere aufgenommen, die Ihre Auslieferung an sie regelten, ohne dass die Behörden irgendwelche Fragen stellen würden. Den Leuten, für die ich arbeite, entgehen solche Praktiken nicht.«
»Worauf wollen Sie hinaus?«
Er tippte auf Kimball. »Dieser Mann«, sagte er. »Wer ist das?«
»Wieso wollen Sie das wissen?«
Das Pochen seines Fingers wurde nun nachdrücklicher. »Wer … ist … das?«
Die beiden Männer starrten sich finster an und musterten einander intensiv. Dann antwortete Ezekiel bemüht ruhig: »Sein Name ist Kimball Hayden.«
Obadiah ließ sich in seinen Stuhl zurücksinken. »Kimball Hayden«, murmelte er in Gedanken versunken. Jetzt kannte er endlich seinen Namen. »Und was tut dieser Kimball Hayden genau?«
»Wieso wollen Sie das alles wissen?«, fragte Ezekiel schroff.
Obadiah beugte sich nach vorn. »Sagen wir einfach, dass meine Leute für das Wohl der Menschheit die Geschehnisse auf der Welt im Auge behalten.«
Ezekiel grinste. »Spionage also«, entgegnete er. »Während der Entführung des Papstes hieß es, sie würden für den Mossad arbeiten.«
»Sie können gern glauben, was Sie wollen«, fuhr der Mann fort. »So ist das mit Gerüchten.« Er beugte sich noch etwas mehr nach vorn, als würden die beiden eine geheime Unterredung führen. »Jetzt verraten Sie mir, wer dieser Kimball Hayden ist. Was wollte er von Ihnen, dem einzigen überlebenden Nachfahren eines sehr mächtigen amerikanischen Senators?«
Ezekiel verharrte in seiner Position und legte die Fingerspitzen aneinander. »Er ist ein Ritter des Vatikan«, verriet er seinem Gegenüber. »So wie ich es einst war.«
Obadiah ließ sich erneut zurückfallen. »Ein Ritter des Vatikan?«
Ezekiel nickte. »Der Vatikan verfügt über seine eigene Eliteeinheit«, erklärte er. »Es waren auch die Ritter des Vatikan, die am Tag der Befreiung des Papstes Ihr Team überwältigt haben … und Kimball Hayden hat sie angeführt.«
Obadiah hob seinen Arm und offenbarte dabei eine schartige Narbe. »Die hier stammt von ihm.«
»Er hätte sie lieber töten sollen.«
»Aber das tat er nicht.« Der Mann schwieg für einen Moment, dann fuhr er fort. »Verraten Sie mir: Wieso hat er sich für Sie interessiert?«
Ezekiel hielt dem bohrenden Blick des Mannes stand. »Um ein Ritter des Vatikan zu werden, darf man keine Familie haben, man muss eine Waise sein, denn bereits von Kindesbeinen an wird man für den Kampf ausgebildet.«
»Faszinierend«, murmelte Obadiah. »Ganz so wie es die alten Spartaner zu tun pflegten – ein Kind zu einem Elitesoldaten formen. Aus irgendeinem Grund sah er in Ihnen als Jungen diese Fähigkeiten schlummern? Hat er Sie deshalb geholt?«
Ezekiel schüttelte den Kopf. »Nein. Er hat einst meinen Großvater getötet.«
»Im Auftrag der Kirche?«
»Nein. Zu jener Zeit hat er noch als Söldner für die amerikanische Regierung gearbeitet und hatte den Befehl bekommen, meinen Großvater umzubringen.«
Plötzlich flackerten Obadiahs Augen überrascht auf. Diese Art von Information konnte verheerende Auswirkungen haben … Die Ermordung einer übermächtigen politischen Persönlichkeit, angeordnet von ranghohen Mitgliedern des Weißen Hauses. »Welche Rolle spielten Sie dabei?«
»Hayden hat mich aus persönlichen Gründen ausgewählt.«
Obadiah lächelte. »Als Wiedergutmachung«, meinte er. »Er zog sie als Sühne für seine Taten auf.«
»Das ist nur Ihre Sicht der Dinge.«
»Der Mann verfügt als offenbar über ein Gewissen und hat keinen Frieden gefunden. Deshalb dient er dem Vatikan, weil er hofft, auf diese Weise Erlösung zu finden. Er glaubte, Buße tun zu können, wenn er Sie aufzieht, nachdem er Ihr Leben zerstört hat.«
Ezekiel nickte.
»Dann waren Sie also nicht mehr als seine persönliche Marionette?«
Ezekiel blickte auf die Fotografie hinunter. »Er hat versucht, mich zu retten.«
»Natürlich.« Obadiah zog jetzt eine Reihe weiterer Fotografien aus seiner Jackentasche und breitete diese auf dem Tisch aus. Die Aufnahmen zeigten die Leichen der Acht. »Ich bin von Ihrer Arbeit wirklich beeindruckt«, erklärte er. »Unser Geheimdienst wusste von den Acht, aber wir konnten niemals herausfinden, wer diese Leute genau waren und welche Rolle sie spielten. Als wir darüber informiert wurden, dass sie der Reihe nach ausgeschaltet wurden, wollten unsere Quellen natürlich herausfinden, wieso man die ehemaligen GIs von der Bildfläche verschwinden lassen wollte – ob aus politischen oder aus anderen Gründen.« Er warf ein weiteres Foto auf die anderen. Dieses war mit einer Nachtsichtkamera aufgenommen worden. Es war eine Aufnahme von Ezekiel, der gerade das Farmhaus verließ, nachdem er Hawk umgebracht hatte. Anschließend legte Obadiah noch ein Foto auf den Tisch. Dieses zeigte Ezekiel mit einem Scharfschützengewehr auf einem Dach, wenige Minuten, bevor er einen der Hardwick Brüdern mit treffsicherer Genauigkeit erschossen hatte.
»Dann wurde uns klar, dass wir es hier nicht mit einem politischen Motiv zu tun hatten, sondern, dass es sich einzig und allein um einen persönlichen Rachefeldzug handelte.« Obadiah offenbarte ein drittes Foto. Dieses Mal war es Kimball Hayden, der aus einiger Entfernung aufgenommen worden war. »Sie wollten diesen Mann töten, nicht wahr?«
Ezekiel starrte das Foto an, schwieg aber.
»Als ich dieses Bild sah, erkannte ich ihn sofort wieder. Ich wusste, dass es der gleiche Mann wie in dem Lagerhaus war, der den Pontifex befreit und mein Team ausradiert hat. Ich hätte nie gedacht, ihn noch einmal wiederzusehen.« Obadiah nahm die Fotografie und studierte sie eingehend. »Kimball Hayden war also ein Mitglied des berüchtigten Todes-Schwadrons, auch bekannt als die Acht, und nun dient er der Kirche als Soldat. Das nenne ich mal ein Pendeln zwischen den Extremen.«
»Was wollen Sie, Obadiah?«
»Nur meine eigene Erlösung«, antwortete der Mann hastig. »Als mir klar wurde, dass dieser Mann – aus welchen Gründen auch immer – von dem Enkelsohn eines mächtigen Senators gejagt wurde, erkannte ich die Chance für mein eigenes Seelenheil. Ich wartete also und hoffte darauf, dass Sie Ihr Ziel, Kimball Hayden aus unserer beider Leben verschwinden zu lassen, irgendwann erreichen würden.« Er legte das Foto auf den Tisch zurück und seufzte. »Aber leider haben Sie versagt.«
»Ich habe nicht versagt«, erklärte Ezekiel gereizt. »Kimball Hayden ist nun mal der Beste seines Fachs.«
Obadiah rieb sich die Narbe an seinem Arm. Niemand wusste das besser als er.
»Er wartet auf mich und das erschwert meine Pläne natürlich.«
Nun hörte Obadiah auf, an seiner Wunde zu kratzen. »Genau deshalb bin ich hier«, sagte er. »Mir scheint es so, als wäre Kimball Hayden zu unserem gemeinsamen weißen Wal geworden. Deshalb würde ich Ihnen gern ein Angebot unterbreiten.«
»Was für ein Angebot?«
»Arbeiten Sie mit uns zusammen«, antwortete Obadiah schlicht. »Kimball Hayden könnte sich für zukünftige Unternehmungen unsererseits als hinderlich erweisen, deshalb muss er aus der Gleichung entfernt werden. Gegen einen von uns allein stehen die Chancen Fünfzig zu Fünfzig, aber wenn wir uns verbünden, würde sich die Waage auf unsere Seite neigen.«
»Wieso sollte ich mich mit einem Mann zusammentun, der versucht hat, den Papst zu ermorden?«
»Was ich getan habe, war rein geschäftlich und galt lediglich politischen Interessen. Doch am Ende bin ich es gewesen, der die Ketten des Pontifex gelöst hat, als ich festgestellt habe, dass die Mission verloren war. Ich mag innerhalb meiner Organisation meine Ziele vielleicht etwas fanatischer verfolgen, aber ich weiß auch, wann ich verloren habe. Es bestand deshalb kein Grund mehr, den Papst zu töten.«
»Aber Ihr Team hat es dennoch versucht.«
»Dafür haben sie durch die Hände von Kimball Hayden und der anderen Vatikanritter den ultimativen Preis bezahlt.« Er reckte seinen Arm in die Höhe, auf dem die Narbe hässlich violett schimmerte. »Mich eingeschlossen.«
»Das erscheint mir aber ein kleiner Preis gewesen zu sein, wenn man bedenkt, dass andere mit ihrem Leben bezahlt haben.«
»Das ist wahr, aber es behindert mich zusehends, auch wenn ich nicht ganz untalentiert bin.«
Für eine Weile musterten sich die beiden Männer über den Tisch hinweg ausgiebig, dann fragte Obadiah: »Schließen wir ein Bündnis, Mr. Cartwright?«
»Ich heiße Ezekiel.«
Obadiah lächelte und hob beschwichtigend die Hände. »Natürlich«, sagte er. »Schließen wir also ein Bündnis, Ezekiel? Wollen wir gemeinsam versuchen, den Weißen Wal zur Strecke zu bringen?«
Ezekiel sah auf die ihm angebotene Hand hinunter und dann in Obadiahs stoisches Gesicht.
Der ehemalige Ritter des Vatikan hob die Hand, schlug ein und schloss auf diese Weise einen Pakt mit Obadiah. Anschließend fragte er: »Arbeiten Sie nun für den Mossad, oder nicht?«
Obadiah lächelte. »Vielleicht«, erwiderte er. Dann wedelte er kurz mit seiner freien Hand und die drei roten Punkte auf Ezekiels Brust verschwanden. Er ließ sich wieder in seinen Stuhl sinken und stellte dabei die Selbstgefälligkeit eines Mannes zur Schau, der gerade einen großen Sieg errungen hatte. »Ich werde Sie trainieren und dann werde ich Sie führen. In einem Jahr, oder vielleicht auch etwas später, werden Sie in die Vereinigten Staaten zurückkehren … nach Texas, um genau zu sein.«
»Wofür?«
»Dort wird gerade eine neuartige Technologie entwickelt, eine sehr mächtige Waffe, und ich will sie haben.«
»Dann holen Sie sie sich doch.«
»Wenn es nur so einfach wäre«, sagte Obadiah. »Aber das ist es nicht. Ich brauche daher jemanden mit Ihren Fähigkeiten, um mein Team zu leiten. Jemanden mit der nötigen Chuzpe. Ihr Training wird lang und schwierig sein, aber ich vertraue auf Sie.«
»Was bekomme ich denn als Gegenleistung?«
»Alle Ressourcen, die Sie benötigen, um Kimball Hayden endgültig aus dem Weg zu räumen, und ich verspreche Ihnen, Ezekiel, dieses Mal werden Sie nicht scheitern.«
Der Anflug eines Lächelns kroch daraufhin in Ezekiels Mundwinkel.
Damit war er einverstanden.
Der hochgewachsene Mann saß an seinem Tisch und starrte auf das Gesicht von Jesus Christus hinab, das in seinen Toast gebrannt war. Um ihn herum saßen lauter Menschen wie er – Menschen, die verloren, einsam und ohne Hoffnung waren. Menschen, deren Gesichter so erschöpft wirkten, dass sie wie Gummimasken aussahen.
Einen Moment lang betrachtete er das Profil des Heilands, der scheinbar eine angedeutete Dornenkrone trug. Kein Zweifel, das Bild war überdeutlich zu erkennen. Das Bild von Jesus Christus schien überall aufzutauchen, seit er in den letzten vier Monaten mit nichts weiter als einem schmutzigen Rucksack und ein paar Habseligkeiten durch das Land trampte. Überall sah er Kreuze und Kirchtürme, und überall begegneten ihm Bilder von Jesus … als Fotos, Ausdrucke oder Aquarelle, an den Wänden von Restaurants oder in Motel-Zimmern. Er hatte sogar durch die Seiten der Gideon-Bibel geblättert und die Worte darin aufgesaugt. Doch wo immer er auch hinsah, oder wohin er auch ging, der Messias schien ihn, mit seinen traurigen, flehenden Augen, unentwegt zu beobachten.
Er seufzte und legte den Toast auf den Pappteller zurück.
»Isst du den noch?«, fragte die Person neben ihm und deutete auf die Brotscheibe. Der Mann war spindeldürr und beinahe zerbrechlich. Seine Augen wirkten wie eine gallertartige Masse. Der Anblick eines Säufers.
Der große Mann schob dem Obdachlosen seinen Teller hin. »Er gehört dir«, ließ er ihn wissen. Lass ihn dir schmecken.
Der spindeldürre Mann zögerte keine Sekunde, bedankte sich jedoch auch nicht. Er schnappte sich einfach nur den Teller und stopfte das Brot in sich hinein, ohne dem Konterfei darauf Beachtung zu schenken. Als er damit fertig war, putzte er sich die Krümel von den Händen, stand, ohne sich zu verabschieden, auf und schlurfte durch die Gänge des Essbereichs der Mission davon. Zusammen mit ihm entschwand auch der aromatische Hauch von Alkohol, den er die ganze Zeit verströmte.
In seinem früheren Leben hatte der große Mann Kimball Hayden geheißen, aber in diesem Leben nannte ihn jeder nur Seth; der Mann ohne Vergangenheit, der nur für den Moment lebte und keine definierbare Zukunft hatte.
Vor ein paar Monaten hatte er seine letzte Mission als Vatikanritter durchgeführt, war dabei aber nur seinen persönlichen Rachegefühlen gefolgt, anstatt in Übereinkunft mit den Gesetzen oder den Weisungen des Papstes zu handeln. Entgegen der Lehre der Kirche und dem Verhaltenskodex der Ritter des Vatikan hatte er einen Mann getötet. Mit dieser Tat hatte sich Kimball für die ewige Verdammnis anstelle der Erlösung entschieden und dafür, dass Papst Pius sich von ihm abwendete.
Er schloss die Augen und versuchte den säuerlichen Kloß hinunterzuschlucken, der sich in seinem Hals gebildet hatte. Er hatte der einzigen Familie, die er je gekannt und geliebt hatte, den Rücken gekehrt und jeden in dem Glauben gelassen, er wäre bei dem finalen Duell mit Jadran Božanović, dem Anführer eines Menschenhändler-Kartells, ums Leben gekommen.
Als er eine sanfte Berührung an seiner Schulter spürte, zuckte Kimball unwillkürlich zusammen.
»Entschuldige bitte, Seth«, sagte die Frau. »Aber du hattest die Augen geschlossen. Ich wollte nur nachsehen, ob mit dir alles in Ordnung ist.«
Schwester Abigail war seiner Ansicht nach eine wirklich atemberaubend schöne Frau. Ihr elfenhaftes Gesicht wurde von der Haube ihrer Kutte umrahmt. Außerdem erinnerten ihn ihre sanften blauen Augen an die Farbe des Meeres in Jamaika. Ihre Nase war leicht nach oben gebogen, was ihr ein kühnes Aussehen verlieh, das von einem gütigen Lächeln und unglaublich ebenmäßigen Zähnen untermalt wurde. Sie war noch jung, vielleicht Ende zwanzig oder Anfang dreißig, und ohne jeden Zweifel unantastbar.
»Mir geht es gut«, sagte er und ließ dabei seine eigene Zahnreihe aufblitzen, die im Gegensatz zu den meisten anderen Männern, denen sie in der Mission begegnet war, gesund und weiß war. »Ich war nur in Gedanken, das ist alles.«
Ihr Lächeln wurde breiter. »Ich habe dich vermisst«, erklärte sie ihm. »Ich habe dich nämlich schon ein paar Tage lang nicht mehr hier gesehen.«
»Ich hatte zu tun«, log Kimball. Wobei es eigentlich nicht wirklich gelogen war, denn er war damit beschäftigt gewesen, einen ehrlichen Job zu suchen, hatte sich am Ende aber doch immer in einer Bar wiedergefunden, in der das Bier nur einen Dollar kostete. Er wollte aber nicht, dass sie davon erfuhr, und genauso wenig wollte er sich unter jene einreihen, mit denen er sich hier umgab und mit denen sie sich tagtäglich abgab. Er wollte unbedingt einen anderen Eindruck bei ihr hinterlassen »Braucht der Pfarrer meine Hilfe in der Kirche?«
»Auf dem Gelände«, antwortete sie ihm. »Glaubst du, der Aufgabe gewachsen zu sein?«
Vor zwei Monaten war Kimball zu jener Kirche zurückgekehrt, der er einmal eine Spende von sechstausend Dollar übergeben hatte, die er als Kämpfer im Ring verdient hatte, und hatte dabei mit dem Pfarrer gesprochen. Dieser hatte sich später sofort an Kimball erinnert, denn noch nie zuvor hatte ihm jemand eine so große Geldsumme überlassen. Als er ihn nach seinem Namen gefragt hatte, hatte er sich kurzerhand Seth genannt, nach dem dritten Sohn von Adam und Eva, der als Beschützer der Unschuldigen bekannt geworden war. Von diesem Zeitpunkt an war eine Freundschaft, mit Pater Donavan, aber auch mit Schwester Abigail erwachsen.
Es war eine kleine Kirche mit einem kleinen Kirchenhof, in dem eine Statue der Jungfrau Maria das Zentrum bildete und der von unzähligen Rosenbüschen und Azaleen umgeben war, die in allen erdenklichen Farben blühten. Unglücklicherweise befand sich die Kirche in einer Gegend mit einer hohen Kriminalitätsrate, weshalb die umgebenden Mauern sehr hoch und die Türen stets verschlossen waren, außer Sonntags, wenn Gottesdienste abgehalten wurden.
Hier hatte Kimball endlich seinen Frieden gefunden.
»Ich werde morgen um dreizehn Uhr hier sein«, versprach er. »Ich suche nämlich noch immer einen Job.« Er wollte sie in dem Glauben lassen, dass er ein Mann mit einem Ziel war, ein Mann der nach etwas strebte. Doch in Wahrheit war er das nie gewesen.
Sie tätschelte ihm sanft die Schulter. »Dann sehen wir uns morgen.«
Ihr Lächeln war so strahlend, dass Kimball dieses Bild am liebsten festgehalten hätte, um es in Gedanken immer mit sich herumtragen zu können. »Um dreizehn Uhr«, bestätigte er mit leiser Stimme.
Sie lief weiter, und Kimball sah ihr dabei zu, wie sie andere Männer begrüßte und ihrer Aufgabe folgte, deren Leben ein wenig besser zu machen. Sie versuchte ihnen Hoffnung zu geben, jeden Einzelnen von ihnen mit Hingabe dazu zu bringen, sich zum Besseren zu verändern. Was auch Kimball mit einschloss, der in dieser Sache momentan deutlich hinterherhinkte.
Kimball – oder Seth – ließ sie nicht aus den Augen, denn sie war das Licht in seiner Dunkelheit.
Nachdem er die Mission verlassen hatte, sah Kimball auf und bemerkte das Schild. Eine weitere Erinnerung an die Reise, auf der er sich befand. Die Worte auf dem Schild lauteten:
†
JESUS
A
V
E
S
Das Galveston National Laboratory dient der Kontrolle infektiöser Krankheiten und der Verteidigung der Vereinigten Staaten von Amerika gegen Bioterrorismus. Das sechsgeschossige Gebäude war ein hochsicheres nationales Biocontainment-Labor, in dem mehrere Forschungslabors der Biosicherheitsstufe 4 untergebracht waren und das von dem medizinischen Zweig der University of Texas unterhalten wurde. Auf etwa siebentausendvierhundert Quadratmetern befanden sich Forschungslabors, eintausendeinhundert davon unter der Erde, die ausschließlich der Biosicherheitsstufe 4 vorbehalten waren. Darüber hinaus gab es auch noch andere Sicherheitsstufen, in denen die gefährlichsten biologischen Kampfstoffe wie etwa das bolivianische und argentinische hämorrhagische Fieber, der Ebolavirus, das Krim-Kongo-Fieber, der Marburg- oder der Lassa-Virus und viele andere gefährliche Krankheiten lagerten. Unter ihnen auch der bisher aggressivste bekannte Kampfstoff – das Omega-Virus.
Etwa um viertel vor neun abends betrat ein elegant gekleideter Mann mit einem Aluminiumkoffer, der kaum größer als eine Brotbüchse war, die Anlage. Der Klang seiner Schritte hallte durch das leere Foyer, während er auf den zentralen Begrüßungsschalter zuging, der mit zwei Wachleuten besetzt war. Einer der Wachmänner saß gerade vor den Überwachungsmonitoren, während der andere mit einer Maschinenpistole bewaffnet vor der Zugangstür Wache hielt und den gut gekleideten Mann intensiv musterte. Da ihm der Besucher angesichts der späten Stunde äußerst merkwürdig vorkam, umklammerte der Wachmann seine Waffe fester, was dem gut gekleideten Mann nicht entging.
Als dieser den Tresen erreichte, stellte er seinen Aluminiumkoffer darauf ab und lächelte.
»Guten Abend meine Herren«, begrüßte er die beiden. »Mein Name ist Joseph Thurgood. Ich habe um einundzwanzig Uhr einen Termin mit Dr. Henshaw. Biosicherheitsstufe 1.« Diese Sicherheitsstufe beschäftigte sich mit nicht pathogenen Stämmen wie dem Kolibakterium sowie vergleichbaren Zellkulturen und Bakterienstämmen. Das Gefahrenpotenzial auf dieser Sicherheitsstufe war sehr gering, weshalb die Benutzung von Handschuhen und Mundschutz die einzigen vorgeschriebenen Sicherheitsmaßnahmen darstellten.
Der Wachmann begann daraufhin, den Nachnamen des Besuchers einzutippen. Erst war das leise und schnelle Klicken der Tasten zu hören, dann das Anschlagen der Enter-Taste. Der Wachmann sah auf seinen Bildschirm und fuhr mit dem Finger die Liste der Namen ab. Ein Thurgood befand sich allerdings nicht darunter. »Tut mir leid, Sir, aber Ihr Name …«
Ein Einschussloch erschien jetzt wie von Zauberhand auf der Stirn des Wachmannes und Rauch stieg kräuselnd aus der Eintrittswunde, während der Mann die Augen nach hinten verdrehte, bis nur noch das Weiße zu sehen war. Der Mann schwang daraufhin die schallgedämpfte Pistole zu dem bewaffneten Wachmann herum und tötete auch ihn mit zwei perfekten, kurz hintereinander abgefeuerten Schüssen in die Brust. Die Wucht der Einschläge trieb den Mann gegen die Fahrstuhltüren, wo er mit schmerzverzerrtem Gesicht in sich zusammensank. Doch erst ein dritter Schuss in seine Schädeldecke schaltete ihn endgültig aus. Der gut angezogene Mann ließ seine Waffe nun wieder in sein Schulterholster gleiten, welches unter seiner Anzugjacke verborgen war, umrundete den Empfangsschalter und nahm an der Computerkonsole Platz.
Aus der Innentasche seiner Anzugjacke holte er nun ein Bluetooth-Kopfhörer hervor, hakte ihn sich hinter das Ohr und tippte auf einen kleinen Knopf an dem Ohrhörer. »Bist du da?«, erkundigte er sich.
»Ja, ich bin hier.« Die Stimme, die aus seinem Hörer drang, hörte sich irgendwie blechern und leer an.
Als Nächstes kramte der Mann einen USB-Stick hervor und steckte ihn in die Konsole, dann begann er, eilig etwas zu tippen. Zahlen und verschlüsselte Symbole füllten jetzt Zeile um Zeile des Bildschirms, bis an deren Ende die Worte ZUGRIFF GESTATTET erschienen. »Ich bin drin. Von hier an musst du aber übernehmen und mich leiten.«
In diesem Moment betraten drei weitere Personen die Einrichtung. Zwei von ihnen waren als Wachleute verkleidet. Hastig zogen sie die Leichen der Sicherheitsleute außer Sicht und übernahmen deren Positionen – einer vor den Fahrstuhltüren, der andere hinter der Konsole. Das dritte Team-Mitglied, das eine schwarze Kampfmontur trug, schloss sich dem elegant gekleideten Mann vor dem Fahrstuhl an.
»In Ordnung«, meldete der Mann jetzt über Bluetooth. »Wir sind bereit.«
Zwölf Sekunden später öffneten sich die Fahrstuhltüren.
»Auf dem Tastenfeld solltest du einen Knopf mit der Aufschrift BL-3 sehen können«, sagte die Stimme. »Drücke ihn. Wenn sich die Türen wieder öffnen, werden dort zwei Wachposten stehen, einer links, einer rechts. Neutralisiert sie.«
»Verstanden.«
Während der Fahrstuhl nach unten fuhr, reichte der Mann seinen Aluminiumkoffer an Mohammed weiter, dem dritten Mann im Team, zog die Glock wieder aus seinem Schulterholster und schraubte anschließend einen Schalldämpfer auf die Mündung, welcher fast so lang wie der Lauf selbst war. An Mohammed gewandt, sagte er: »Gib mir Rückendeckung und sorge dafür, dass sich mir niemand von hinten nähert.«
Mohammed nickte.
Als der Fahrstuhl anhielt und die Türen aufglitten, bewegten sich die beiden schnell und effizient voran. Der Mann im Anzug zielte mit seiner schallgedämpften Waffe auf den Wachmann auf der linken Seite, zog den Abzug zurück, dann schwang er die Waffe nach rechts und feuerte zwei weitere Schüsse ab. Die Waffe ging mit einem unterdrückten Knallen los und die beiden Wachleute fielen zu Boden.
Der Mann spähte sorgfältig den Korridor auf und ab und tippte dann erneut auf sein Bluetooth-Gerät. »Wir sind drin.«
»Gut. Jetzt müsst ihr den Korridor zu eurer Rechten nehmen«, wies ihn der Navigator an. »An dessen Ende befindet sich auf der linken Seite eine Tür. Diese wird ebenfalls von zwei Männern bewacht.«
Der Mann im Anzug umfasste seine Waffe daraufhin mit beiden Händen, streckte sie vor sich aus und lief dann in die angegebene Richtung.
»Diese Türen führen in das Hauptlabor, wo sie den Kampfstoff lagern. Ihr werdet dort auf drei schwer bewaffnete Wachleute stoßen, also seid vorsichtig.«
»Verstanden.«
Wie angewiesen bewegten sie sich mit schussbereiten Waffen den Korridor hinunter. Als sie die Türen erreichten, fiel ihr Blick auf die spiegelnde Oberfläche, in der ihre Gesichter seltsam verzerrt und deformiert wirken, wie in einem dieser Spiegel in einem Gruselkabinett.
»Okay«, sagte der Mann, während er die Waffe auf Augenhöhe hielt. »Wir sind an der ersten Doppeltür angelangt.«
»Macht euch bereit«, warnte ihn der Navigator.
Auf der linken Seite der Türen befand sich ein Tastenfeld. Über dessen Anzeige ratterten jetzt unentwegt LED-Ziffern. An seiner geheimen Position außerhalb der Einrichtung war der Navigator gerade damit beschäftigt, die Sicherheitsvorkehrungen des Mainframes zu überschreiben. Dabei hackte er sich nicht nur in die Code-Datenbanken, sondern veränderte außerdem die Anzeigen auf den Haupt-Kontrollbildschirmen innerhalb des Labors. Die bewaffneten Sicherheitskräfte, die die Monitore überwachten, bekamen nur einen leeren Korridor zu sehen – Bilder, die der Navigator vorher aufgenommen hatte und nun in einer Dauerschleife abspielen ließ, was den Männern den Anschein vermittelte, dass die Einrichtung weiterhin leer war. Wären die Sicherheitsleute etwas gewissenhafter gewesen, wäre ihnen vielleicht aufgefallen, dass die Zeitanzeige auf den Monitoren mehr als zwölf Minuten hinter der tatsächlichen Zeit herhinkte.
»Nur noch ein paar Sekunden«, verkündete der Navigator.
Die Zahlenketten auf der Anzeige wurden nun langsamer und eine Zahl nach der anderen blieb stehen, bis schließlich alle fünf Ziffern zum Stillstand gekommen waren, dann öffneten sich die Türen.
Der elegant gekleidete Mann drang schnell in den Raum ein und streckte die Wachmänner mit gezielten Schüssen in den Kopf und die Brust nieder. Noch während die Sicherheitskräfte zu Boden sanken, traten Mohammed und der Mann im Anzug über die Wachleute hinweg, als wären sie nichts weiter als leblose Gegenstände.
»Sehr gut«, kommentierte der Navigator über ihre Ohrhörer. »Nur noch ein kleines Hindernis. Erledigt die Tangos und stellt den Kampfstoff sicher. Lasst mich wissen, wenn ihr ihn habt.«
»Verstanden.« Der Mann und Mohammed schlichen jetzt zur letzten Doppeltür. Mohammed umklammerte den Aluminiumkoffer so fest, als würde sich eine besonders heilige Reliquie darin befinden.
Vor der Tür angekommen, erkannten sie, dass diese der vorherigen spiegelblanken glich. In der oberen rechten Ecke des Raumes war jedoch eine Kamera montiert, deren Linse genau in ihre Richtung zeigte.
Der Mann im Anzug tippte daraufhin auf sein Bluetooth-Gerät. »Wir haben ein Problem«, sagte er. »Wir werden beobachtet.«
»Macht euch deswegen keine Sorgen«, antwortete der Navigator. »Ich lasse gerade zehn Minuten alte Aufnahmen in einer Dauerschleife ablaufen. Alles, was sie momentan sehen, ist ein leerer Flur.«
»Also sind wir unsichtbar?«
»Im Moment schon.«
Ohne eine Antwort zu geben, positionierte sich der Attentäter neben der Tür, stemmte seine Füße fest auf den Boden und hob seine Waffe. »Dann lass es uns endlich hinter uns bringen.«
»Ich brauche noch ein paar Sekunden, um die Firewalls zu überwinden«, erklärte der Navigator.
Als sich die Türen endlich öffneten, glitt der Mann durch den Türspalt, wandte sich sofort nach links und betätigte in schneller Folge den Abzug. Das Geräusch, das seine Pistole verursachte, war kaum lauter als ein Spucken.
… fffttt … fffttt … fffttt … fffttt …
Der Wachmann hinter der Konsole wurde von einem sauberen Kopfschuss getroffen, der ihn sofort tötete und den Körper des Mannes auf einem Bürostuhl mit Rollen rückwärts gegen die Wand trieb. Die anderen beiden Wachmänner reagierten allerdings schneller. Sie rissen ihre Waffen augenblicklich nach oben. Dem Wachmann auf der linken Seite gelang es sogar noch, eine schnelle Salve abzufeuern, die den Mann im Anzug dazu zwang, den Kopf einzuziehen, als die Schüsse in einer horizontalen Linie hinter ihm in die Wand einschlugen. In hockender Position hob er seine Pistole und gab zwei schnelle Schüsse ab. Beide trafen den Sicherheitsmann genau in die Brust. Der Mann schien jedoch eine Kevlarweste zu tragen, denn es gelang ihm, seine Waffe jetzt für einen tödlichen Schuss auszurichten. Der andere Mann gab ebenfalls einen weiteren Schuss ab und traf den Wachmann in die Kehle, direkt in den Adamsapfel, was ihn sofort in die Knie zwang. Mit beiden Händen umklammerte er nun seine Kehle. Seine Augen waren aus Überraschung über seine eigene Sterblichkeit weit aufgerissen und zwischen seinen Fingern quoll Blut hervor. Würgend und gurgelnd sank der Mann schließlich leblos auf die Knie, in der Position eines Gläubigen, der zu seinem Gott betete.
Der zweite Wachmann war offenbar nicht ganz so geübt im Umgang mit einer Waffe. Mohammed, der sehr gut mit einer Pistole umzugehen wusste, schaltete den Mann mit einem makellosen Schuss in dessen linkes Auge aus. Der Hinterkopf platzte auf, als würde er die Konsistenz einer Melone besitzen, und Blut und Gehirnmasse spritzten hinter ihm an die Wand.
Nachdem beide Wachleute überwältigt worden waren, näherten sich der erste Mann und Mohammed der Konsole. Wortlos wies der Mann Mohammed mit einer Geste an, sich neben den Milchglastüren, die in das Labor hineinführten, in Position zu bringen.
Er tippte abermals auf sein Bluetooth-Gerät. »Wir sind drin«, meldete er leise. »Tangos sind ausgeschaltet.«
»Überaus beeindruckend«, erwiderte der Navigator.
»Wieso? Hast du etwa an meinen Fähigkeiten gezweifelt?«
Der Navigator ignorierte die Frage und gab stattdessen weitere Anweisungen. »Ihr seid praktisch am Ziel«, erklärte er. »Es verbleiben nur noch zwei Hindernisse. Beide sind Wissenschaftler. Ihr wisst, was ihr zu tun habt. Keine Zeugen.«
»Verstanden.« Der Mann versuchte die Türen zu dem Laborbereich zu öffnen, aber sie waren verschlossen. »Was sollen wir jetzt tun?«
»Geduld, mein Freund.«
Von seiner unbekannten Position aus hackte sich der Navigator weiter in das System hinein. Die Augen der Kameras wurden zu seinen Augen und ließen ihn allwissend und beinahe allmächtig werden. Er manipulierte die Sicherheitscodes, indem er einzelne Programme veränderte und so in der Lage war, in das Sicherheitssystem der Einrichtung einzudringen.
Nach zehn Sekunden schnappte ein Bolzen in der Milchglastür zurück und die Tür öffnete sich. Mohammed und der erste Mann betraten leise den Raum.
In einem weiteren Areal hinter einer dicken Glasscheibe befanden sich die beiden Wissenschaftler. In Schutzanzügen saßen sie an einem Labortisch, ohne die beiden Eindringlinge zu bemerken.
Der Mann im Anzug tippte nun an sein Bluetooth-Gerät und flüsterte: »Ich sehe zwei weitere Tangos«, meldete er leise. »Sie tragen Schutzanzüge, also ist der Raum womöglich kontaminiert. Erbitte weitere Anweisung.«
»Das Areal ist sicher. Die Schutzanzüge sind nur eine reine Vorsichtsmaßnahme.«
»Und falls sich doch einer der gefährlicheren Stoffe hierher verirrt hat?«
»Alle unsicheren Kampfstoffe werden an einem anderen Ort aufbewahrt. Wenn ihr erst einmal drin seid, werde ich euch zu ihrem genauen Aufbewahrungsort führen. Doch jetzt beeilt euch, denn ihr liegt bereits zwanzig Sekunden hinter dem Zeitplan. Zum Trödeln ist keine Zeit.«
Wann hatten wir die je?, dachte der Mann im Anzug.
Sie bewegten sich nun so voran, dass die Wissenschaftler sie nicht sehen konnten, und als sich die Türen mit einem leisen Zischen öffneten, trat der erste Mann hastig in den Raum und pumpte zur Überraschung der überrumpelten Wissenschaftler mehrere tödliche Kugeln in ihre Schutzanzüge. Auf dem Boden liegend breiteten sich in beinahe perfekten Kreisen rote Flecken auf ihren Anzügen aus.
Über eine der Kameras konnte der Navigator alles mitverfolgen. »Sehr gut. Jetzt zum östlichen Ende.«
»Wo ist das?«
»Zu deiner Linken.«
Der Mann verlor keine Zeit und wandte sich sofort in die angegebene Richtung. In der östlichen Wand befand sich eine Tür aus gebürstetem Edelstahl. Eine darin eingebaute Anzeige wies die Temperatur hinter der Tür mit minus zwei Grad aus. Links davon befand sich ein Tastenfeld. Der Mann im Anzug sah in die nächstgelegene Kamera und reckte den Daumen nach oben – ein vorher abgesprochenes Zeichen, dass er bereit war. Wenige Minuten später begannen auch hier Ziffern über das Display zu huschen, als der Code entschlüsselt wurde. Dann war das Geräusch von zurückweichenden Stahlbolzen zu hören.
»Schnell, öffne die Tür«, drängte der Navigator. Ihr Zeitfenster schloss sich nun rapide.
Nachdem er seine Waffe wieder sicher in seinem Schulterholster verstaut hatte, öffnete der Mann die Tür mit dem Biogefährdungswarnschild darauf. Träge Nebelschwaden wie aus Trockeneis wallten aus der Kühlkammer heraus. Als der Nebel sich langsam verzogen hatte, sah er einen kleinen Container vor sich, kaum größer als ein Karteikästchen, der ganz allein in einem der Regale stand. Er holte den Container vorsichtig heraus und stellte ihn auf dem nächstbesten Arbeitstisch ab.
»Jetzt öffne ihn«, sagte der Navigator.
Mit ruhigen Händen löste der Mann die Verschlussklappen und hob langsam den Deckel an. Darin befanden sich zwölf sorgfältig in Schaumstoff eingelassene Fläschchen, jedes so lang wie ein menschlicher Finger. Anstatt der gebräuchlichen runden Form wie bei den meisten Reagenzgläsern waren diese sechseckig. Vorsichtig nahm der Mann eines der Fläschchen heraus und betrachtete es genauer. Es schien leer zu sein.
»Bitte sei äußerst vorsichtig mit den Gläsern«, meinte der Navigator. »Wenn du eines fallen lässt, werden du, Mohammed und jedes andere Lebewesen in einem Radius von einer halben Meile binnen weniger Augenblicke tot sein.«
Der elegant gekleidete Mann wies Mohammed daraufhin mit einer Geste an, den Aluminiumkoffer auf die Arbeitsplatte zu stellen. Danach öffnete der Mann ihn. In dem Koffer, bei dem es sich eigentlich um eine Kühlbox handelte, befand sich eine Vertiefung, die in ihrer Form den exakten Maßen des Containers entsprach. Das Steuerprogramm des Kühlungssystems war auf minus zwei Grad Celsius eingestellt, exakt die Temperatur des Kühlraums. Nachdem er den Kampfstoff in dem Koffer verstaut hatte, reckte er seinen Daumen erneut in die Kamera. »Kampfstoff sichergestellt«, sprach er in sein Bluetooth-Gerät.
»Ihr liegt nun bereits dreißig Sekunden hinter Zeit. Du weißt, was zu tun ist. Verschwindet von dort. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis jemand bemerkt, dass der Zeitstempel auf den Monitoren nicht der tatsächlichen Uhrzeit entspricht und wenn das passiert, kann ich nichts mehr für dich tun.«
Der Mann drehte sich daraufhin zu Mohammed um und zögerte.
»Worauf wartest du noch?«, wollte der Navigator in barschem Tonfall wissen.
Auf nichts, dachte der elegant gekleidete Mann, als er seine Waffe aus dem Schulterholster zog, sie auf Mohammed richtete, den Abzug betätigte und eine Kugel in Mohammeds Kopf jagte. Für einen kurzen Moment sah er auf die Leiche seines Teamkameraden hinunter, der mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen leblos an die Decke starrte.
»Worauf wartest du?«, wiederholte der Navigator. »Für Trauerreden haben wir jetzt keine Zeit. Du wusstest, dass es getan werden muss. Jetzt los!«
Der Mann packte den Koffer, eilte durch das gläserne Labor und in den Flur zurück. In der anderen Hand hielt er weiterhin seine Pistole. Jetzt lief er zu den Fahrstühlen zurück, vorbei an den Leichen, die er zurückgelassen hatte, während die Zeit plötzlich viel schneller abzulaufen schien und Minuten zu Sekunden wurden. »Los doch«, rief er in sein Bluetooth-Gerät, als er an den Fahrstühlen angekommen war. »Die Türen sollten schon längst offen sein.«
Doch in diesem Moment öffneten sie sich.
Während der Fahrstuhl hinauffuhr, stellte der Mann den Aluminiumkoffer auf den Boden, schob ein frisches Magazin in seine Pistole und zog den Schlitten zurück, um sie neu zu laden.
Ich bin bereit.
Als sich die Türen in die Lobby öffneten, verließ er rasch den Fahrstuhl und trat zu den zwei Männern seines Teams, die sich als Wachposten verkleidet hatten. Mit einer blitzschnellen Bewegung, die seine Kameraden überraschte, hob der Mann seine Pistole und tötete beide mit gezielten Schüssen in den Kopf.
Danach verließ er das Gebäude, so schnell es möglich war, ohne Aufsehen zu erregen.
»Gute Arbeit«, drang die Stimme des Navigators hohl und weit entfernt aus seinem Ohrhörer.
Der Mann ignorierte das Lob und verschwand in der Dunkelheit.
Eine halbe Stunde vor Mitternacht wimmelte es in der Lobby des Galveston National Laboratory von Dekanen der Universität und Beamten des FBI. Polizeikräfte hatten den Eingang der Einrichtung abgeriegelt und strikte Anweisung, kein unautorisiertes Personal in die Lobby zu lassen.
Nachdem die beiden Spezialagenten Wheeler und Denmore ihre Dienstmarken vorgezeigt hatten, liefen sie zu dem Empfangstresen, vor dem vier Leichen lagen. Zwei der Toten waren bewaffnete Angestellte der Universität, während die anderen beiden nur Avery Curtis bekannt waren, dem Associate Executive Assistant Director der nationalen Sicherheitsbehörde und dem stellvertretenden Leiter für Massenvernichtungswaffen.
»Was gibt’s, Avery? Was haben wir hier?«, erkundigte sich Denmore, während er sich zusammen mit Wheeler näherte.
Avery Curtis war groß, hager und drahtig, mit einem seltsam gebogenen Hals, der ihn wie einen Bussard wirken ließ, zu eng stehenden Augen und einem fliehenden Kinn. In der Hand hielt er ein iPad, auf dessen Display man eine Reihe von Fotos sehen konnte. »Bisher haben wir vierzehn Tote«, begann er. »Elf von ihnen sind Angestellte der Universität, die restlichen drei haben Verbindungen zu einer bekannten terroristischen Vereinigung in Dearborn, Michigan.«
»Dearborn?«
Curtis nickte und sah wieder auf sein iPad. Auf dem Bildschirm waren die Porträts von drei afroamerikanischen Männern zwischen zwanzig und dreißig Jahren zu sehen. »Diese beiden«, sagte er und deutete auf die Leichen in der Wachpersonal-Verkleidung, »konnten als Darius Townsend und Tyrone Washington identifiziert werden, beide in Detroit geboren. Vor etwa drei Jahren haben sie sich einer Gruppe radikaler Fundamentalisten in der Nähe von Dearborn angeschlossen. Dort haben sie angeblich ihre Bestimmung gefunden.« Bei dem Wort Bestimmung malte er zwei Anführungszeichen in die Luft. Dann lief er zu der ersten der beiden Leichen und verglich ihr Gesicht mit dem Bild auf seinem iPad. Danach tippte er das Foto mit dem Zeigefinger an, womit er das Dossier des Mannes aufrief. »Dieser hier, Darius Townsend, nahm den Namen Afiya Kassab an, ein Mistkerl mit einem Vorstrafenregister so lang wie mein Bein. Und der hier«, sagte er mit einem Kopfnicken auf den zweiten toten Wachmann, »ist Tyrone Washington. Ein weiterer Gauner, und ebenfalls vielfach vorbestraft. Wir sprechen hier von Drogenhandel, bewaffnetem Überfall und illegalem Waffenhandel. Kein besonders netter Kerl.«
»Und diese beiden hier?«, fragte Wheeler und zeigte auf die zwei ähnlich gekleideten Wachleute.
»Angestellte der Universität«, antwortete Curtis. »Es hat den Anschein, als hätte man sie niedergeschossen, bevor sie auch nur ihre Waffen haben ziehen können. Beide waren sofort tot.«
»Wer hat sie umgebracht?«, erkundigte sich Denmore. »Schon irgendwelche Spuren?«
»Da fängt die ganze Sache an, etwas merkwürdig zu werden«, erklärte Curtis. »Es scheint so, als wären noch zwei weitere Männer involviert gewesen. Einer davon befindet sich im Untergeschoss. Ein Mann namens John Voorhees. Auch ein absolut mustergültiger Staatsbürger«, witzelte er. »Ebenfalls ein Fanatiker, der den Namen Mohammed Bashir angenommen hat, auch er kam aus Detroit. Genau wie diese beiden hier wurde er offenbar von einem vierten Mann exekutiert.«
Wheeler sah ihn fragend an. »Wollen Sie mir etwa weismachen, dass diese drei von jemandem aus ihrem eigenen Team exekutiert wurden?«
»Zumindest hat es den Anschein«, erwiderte Curtis. »Wir haben ein paar Aufnahmen von den vier Männern – nicht viele, weil das System gekapert und die Videoübertragung verändert wurde. Während diese beiden Wache standen, um andere davon abzuhalten, in die unteren Etagen vorzudringen, begaben sich Mohammed und der vierte Mann hinunter in die Biosicherheitsstufe 3, wo die gefährlichsten Krankheiten aufbewahrt werden. Es gelang ihnen, in das Labor einzudringen und einen hochgefährlichen Erregerstamm zu entwenden. So gefährlich, dass bereits zwei Virologen des CDC aus Atlanta auf dem Weg hierher sind.«
Avery Curtis hob sein iPad und tippte auf eine App. Auf dem Bildschirm erschien daraufhin eine Aufnahme des elegant gekleideten Mannes. Anders als Mohammed, der eine schwarze Kampfmontur trug, war diese Person mit einem sündhaft teuren Anzug bekleidet. »Dieser Kerl existiert in keiner unserer Datenbanken oder auf unseren Beobachtungslisten. Wir haben es sogar mit einer Gesichtserkennungssoftware versucht, aber ohne Erfolg. Sein Gesicht taucht in keiner von unseren Akten auf. Wer immer dieser Kerl also sein mag – für uns ist er ein Unbekannter. Wieso er seine eigenen Leute ausgeschaltet hat, wissen wir nicht.«
»Und der Erreger?«, fragte Wheeler beklommen.
»Man nennt ihn das Omega-Virus. Mehr weiß ich darüber nicht, denn dieser Erreger ist Top Secret. Doch nach allem, was mir der Executive Assistant Director erzählt hat, ist dieses Zeug ziemlich übel. Es hat eine Sterblichkeitsrate von einhundert Prozent. Es tötet schnell und effizient, und so, wie ich es verstanden habe, kann es Hunderte Menschen binnen weniger Minuten ausradieren.«
Wheeler und Denmore wussten, dass Einrichtungen wie das Galveston National Laboratory