Mepofide ewo kple wo dzidzime viwo vassede dzidzime etonlia dzi.
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Umschlaggestaltung, unter Verwendung
eines Fotos von Johannes Nix,
und Layout: Gudrun Fröba
Fontispiz: Karte von Togo: Antonia Rosenthal
eISBN 978-3-88747-360-0
Vorbemerkung
Erstes BuchDer Flug nach Lomé
Der Tote
Der Pfarrer und der Präsident
Menz war früh aufgewacht
Felix saß in seinem schwarzen Mercedes
Trenk und das BKA
Der Menschenfischer
Möwe 3
Im siebten Stock
Der Mann im Hintergrund
Die Fahrt nach Sokodé
Schuld ist etwas für Anfänger
Menes und die Ägypter
Die Maske
Die Verabredung
Zweites BuchIm Keller
Felix und der Spitzel
Menz und die Journalistin
La Sécurité
Kinder der Nacht
Der Maskenbauer und der Himmelsmann
Voodoo-Nächte
Drittes BuchZurück in Deutschland
FJS
Gevatter Tod
Der Aufstand
Letzter Flug
Dank
Ich war über zwanzig Jahre lang Pilot der Bundeswehr. In meinen ersten Dienstjahren flog ich eine der Regierungsmaschinen.
Am 4. März 1966 war ich der Erste Pilot auf dem Flug nach Lomé, der Hauptstadt von Togo. Bundespräsident Heinrich Lübke wollte die Republik besuchen. Das Land, von 1884 bis 1916 eine deutsche Kolonie, hatte vor kurzem seine Unabhängigkeit gewonnen und bereits große Umbrüche erlebt. Es war ein ruhiger Flug, der Himmel war klar, und wir wähnten uns mitten unter den Sternen.
Mein Copilot, ein junger Major, erzählte mir von seiner Familie, seiner Frau Lisa und den Kindern, die noch sehr klein waren. Er hatte seine Ausbildungszeit in der Wüste von Nevada verbracht und den klaren Himmel über den Sanddünen geliebt.
Völlig unerwartet erschien der Erste Steward in unserem Cockpit und erzählte, Lübke sei verärgert, er mache dem diplomatischen Korps Vorwürfe, sie hätten ihn falsch unterrichtet. Es drohte ein Eklat.
Was war geschehen?
Togo lag Heinrich Lübke am Herzen. Er war viele Jahre mit Sylvanus Epiphanio Olympio befreundet gewesen. Olympio, der erste frei gewählte Präsident von Togo, wurde am 13. Januar 1963 ermordet. Präsident Lübke war erschüttert und misstraute den neuen Machthabern. Es gab gar keinen Zweifel, dass der Oberbefehlshaber der Armee, Antoine Nanguibe, einer der Putschisten, auch der Mörder war. Sylvanus, wie Lübke ihn genannt hatte, war vor der amerikanischen Botschaft erschossen worden. Die diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Togo wurden eingefroren, aber der mächtige CSU-Politiker Franz-Josef Strauß unterlief den Boykott und sorgte dafür, dass sie bald wieder normalisiert wurden.
Heinrich Lübke hatte beschlossen, sich selbst ein Bild von der Situation in Togo zu machen. Erst auf unserem Flug erfuhr er, dass Nanguibe die deutsche Delegation begrüßen wollte und danach zu einem Mittagessen geladen hatte.
»Ich werde nicht mit Mördern zusammen sitzen«, protestierte der Präsident und schlug mit der Hand auf den Tisch. Das war ungewöhnlich für sein sonst eher zurückhaltendes Wesen. Er schimpfte über die Politik des Auswärtigen Amtes, sprach von Nazis im Amte. Das erstaunte mich, stand er doch selbst unter dem Verdacht, in der Nazizeit für ein Architekturbüro gearbeitet zu haben, das am Bau von Konzentrationslagern beteiligt gewesen war. Heute weiß ich, welche Absichten hinter diesen Gerüchten standen und wie man schon damals mit Fake-News Politik machte. Franz-Josef Strauß war ein Meister in diesen Dingen.
Wir, die wir Lübke kannten und schätzten, befürchteten, er könne zusammenbrechen, gar einen Infarkt erleiden. Wilhelmine, seine Frau, versuchte ihn zu beruhigen, was ihr leider nicht gelang.
Er kam zu mir ins Cockpit und bat: »Hummler, ich konnte mich immer auf Sie verlassen. Bitte, fliegen Sie zurück.« Solch eine Situation hatte ich noch nicht erlebt. Ein Staatssekretär mischte sich ein, und einige der begleitenden Abgeordneten aus den Parteien CDU und CSU vertraten tatsächlich die Auffassung, dass der Präsident nicht die alleinige Entscheidsbefugnis habe. Es gab heftige Diskussionen, unschöne Wortwechsel.
Lübke hatte sich sorgfältig auf diese Reise vorbereitet. Er hatte vom Bundesnachrichtendienst Fotografien von Nanguibe angefordert, um sich sein Gesicht einzuprägen. Er wollte ihn weder sehen noch auf einer Einladungsliste der Botschaft erwähnt finden. Nanguibe war der Mörder seines Freundes. Lübke hatte sogar ein Rechtsgutachten erstellen lassen, denn er wollte ihn anklagen. Aber vor welchem Gericht? Wo ließ sich ein Richter finden, der die Verantwortung für einen solchen Prozess auf sich nahm?
Wir flogen über Mauretanien, über die große Wüste, im Westen sahen wir das Meer. Heinrich Lübke ließ sich schließlich überreden. Der begleitende Stabsarzt Dr. Schneider verband ihm die rechte Hand, obwohl sie nicht verletzt war. In Togo würde man erzählen, er sei auf dem Flug gestürzt. So musste er dem Mörder Nanguibe nicht die Hand reichen.
Wir landeten pünktlich. Die Maschine rollte aus und ich schaute aus dem Cockpitfenster. Ich wollte genau beobachten, wie die Begegnung zwischen Heinrich Lübke und Nanguibe ablaufen würde. Der Präsident stieg die Treppen hinab, schaute zunächst an Nicolas Grunitzky, dem damaligen Staatsoberhaupt, vorbei, grüßte kühl und blieb dann einen kurzen Moment vor Nanguibe stehen. Er musterte ihn, er strafte ihn mit seinem Blick, die Luft brannte. Dann ging er weiter. Ich sah, wie ihn das alles anstrengte, ich hatte höchste Achtung vor dem alten Mann.
Nanguibe reagierte mit blanker Wut. Er verlor die Beherrschung und schrie: »Mepofide ewo kple wo dzidzime viwo vassede dzidzime etonlia dzi.«*
Dann spuckte er auf den Boden. Es fehlte nicht viel und es wäre eskaliert. Aber Lübke hatte eine hervorragende Crew von Sicherheitsbeamten, junge, schnelle Männer.
Antoine Nanguibe würde diese Erniedrigung nicht vergessen. Er, einer der mächtigsten Männer Togos, gedemütigt von diesem alten, schwächlichen Weißen.
Ein Jahr später wurde Antoine Staatschef. Die Episode am Flughafen von Lomé war längst vergessen. Mit Unterstützung von Franz-Josef Strauß, der mittlerweile Finanzminister geworden war, begründete Antoine 1967 in Togo seinen Familienstaat. Er erhielt den Bayerischen Verdienstorden und Entwicklungshilfe in Höhe von insgesamt mehreren hundert Millionen DM. Fast vierzig Jahre führte er das Land, dessen Bewohner unter ärmlichsten Bedingungen leben mussten. Nach dem Tod von Antoine am 5. Februar 2005 wurde sein Sohn Felix zum Nachfolger bestimmt. Die Familie Nanguibe regiert das Land nun schon seit über fünfzig Jahren. Seit dem Herbst 2017 formiert sich die Opposition. Sie wird angeführt von Abas Lemgo und dem Bürgermeister von Togoville, junge, kluge Männer, gegen beide wird mit allen Mitteln, auch militärisch vorgegangen. Im Norden des Landes geschehen Massaker. Die internationale Öffentlichkeit schweigt.
Diese Begegnung mit Heinrich Lübke hat mein Leben verändert. Vielleicht auch deshalb, weil er auf so unauffällige Weise aufrecht war. Die Geschichte Afrikas ist mir nicht mehr gleichgültig. Ich habe mitbekommen, wie wir Einfluss nehmen auf diese Länder und wie Heinrich Lübke später diffamiert und belächelt wurde. Das war nicht richtig. Ich erlebte ihn immer als nachdenklichen Menschen und als einen Streiter für die Demokratie in Afrika. Heute wissen wir, dass all die Geschichten zu seiner Person erlogen waren. Er habe in Liberia eine Rede mit den Worten eröffnet: Meine Damen und Herren, liebe Neger … oder er habe zur Queen den Satz gesagt: Equal goes it loose.
Strauß soll an dieser negativen Legendenbildung mitgewirkt haben, um Heinrich Lübke von seiner Außenpolitik fern zu halten. Aber das kann auch nur ein Gerücht sein. Lübkes Grundhaltung stand in jedem Falle im Gegensatz zur Macht-Politik der bayerischen CSU.
Wenn ich heute in Lomé aus dem Fenster meines Hauses schaue, sehe ich das Meer und die große Autostraße, die von Ghana nach Benin führt. Nicht weit davon entfernt liegt die Deutsche Botschaft, ein überdimensioniertes Gebäude, und zwei Straßen weiter schon die Hanns-Seidel-Stiftung, die bis heute die Familie Nanguibe unterstützt und deren Mitarbeiter sich nicht schämen, sich vom blutbefleckten Präsidenten Orden umhängen zu lassen.
Ich würde gerne erleben, dass die Demokratiebewegung in Togo siegt, das Land eine bessere Zukunft bekommt und dass Sylvanus Olympio und Heinrich Lübke die Anerkennung zuteil wird, die ihnen gebührt. Sie wollten ein freies Afrika, frei von den Interessen alter und neuer Kolonialisten.
Carl Hummler, Herbst 2017
*Verflucht sollst du sein, du und deine ganze Familie, bis ins dritte Glied!
Menz war am Verzweifeln. Seit zwei Stunden versuchte er, mit der Togoischen Botschaft in Berlin zu telefonieren. Aber niemand hob ab. Er wollte keine Zeit verlieren, nahm ein Taxi und fuhr in die Grabbeallee 43. Er klingelte, ein verschlafener Mann öffnete die Tür. Ja, er sei die Visabehörde persönlich. Einen Pass, der auf den Namen Michael Menz lautete, habe er nicht finden können. Menz ließ sich nicht abwimmeln, schließlich bat der Mann ihn herein. In einem großen Karton lagen Pässe mit Visa-Anträgen, die der Botschaftsangestellte einfach auf den Tresen des leeren Büros ausschüttete. Menz begann in dem Haufen zu wühlen und sah sein Porträtfoto. Der Andere lachte:
»Nix geht verloren!« Er schlug Menz auf den Rücken und steckte den Hunderter in seine Brusttasche. Quittungsbelege habe er hier leider keine.
Der Reise nach Afrika stand nichts mehr im Wege.
Die Sonne ging unter. Die letzten Strahlen verwandelten die Wüste in ein gelbes Meer. Wenige Minuten später färbte sich die Erde grün. Hier begann der Regenwald. Die Maschine flog über Mali, dann über die politische Grenze zur Republik Niger. Ein willkürlich gezogener Strich in der Landschaft. Das Flugzeug verlor an Höhe und setzte zur Landung an. Die Boeing 737 hoppelte über eine mit Löchern übersäte Piste und rollte zu einer Baracke, die wie eine größere Telefonzelle aussah. Auf dem Dach stand das Wort Niamey.
Der Flughafen machte einen erbärmlichen Eindruck. Keine Gangway. Keine Plakate oder Leuchtschriften. Die Nationalfahne vom Winde verweht. Alte, offenbar kaputte Militärfahrzeuge standen herum zwischen alten Bussen und Eisenschrott. Passagiere irrten über das Rollfeld. Michael Menz war erleichtert, Flugangst hatte ihn gebeutelt.
Aber er hatte sich zu früh gefreut, er war noch nicht am Ziel, es war lediglich eine Zwischenlandung. Es würde noch einmal hinauf und nach wenigen Minuten wieder hinuntergehen. Es war der billigste Flug, der im Internet zu finden gewesen war. In den folgenden Monaten würde der Niger Air die Starterlaubnis für europäische Flughäfen entzogen werden. Die aussteigenden Passagiere eilten auf die Baracke zu, huschten durch die Glastür und wurden verschluckt.
Der Mann neben ihm musste lachen, als er ihm ins Gesicht sah. »Das ist Afrika«, sagte er, »aber alles geht gut. Irgendwie. Das erste Mal auf dem Kontinent?«
Menz schüttelte den Kopf: »Nein«, sagte er, dann stand er auf und ging zur offenen Flugzeugtür. Er wollte den Sand riechen, die Pflanzen, die Menschen, das Land: Niger.
»Sie dürfen nicht raus. Sie haben kein Visum.«
Der Steward versuchte freundlich zu sein, aber es gelang ihm nicht, er war ungehalten.
»Nur einmal die Hand raushalten, nigrische Luft spüren?«, fragte Menz, der Mann schüttelte wortlos den Kopf. Ein älterer Mann ohne jeden Humor. Heruntergezogene Mundwinkel und Tränensäcke. Ein Weißer bei der nigrischen Fluggesellschaft muss eine besondere Geschichte haben. Menz ging zurück auf seinen Platz. Sein Nachbar trank aus einer Büchse Bier, lächelte ihm zu. Auf die Frage, was er beruflich mache, überlegte er, so als habe er nicht genau verstanden, und dann kam die Antwort mit einer Gegenfrage: »Taxi, und du?«
»Theater, immer mit anderen.« Die beiden Männer grinsten.
Ob es noch was zu trinken gebe, fragte Menz den Steward, aber der schüttelte wieder den Kopf. Er schloss die Tür, die Maschine rollte an, raste über das Flugfeld und hob ab. Der Afrikaner aus Paris, der Pierre hieß und aus Togo kam, reichte Menz seine Bierbüchse.
»Danke.«
»Das ist Afrika.«
»Ja. Gefällt mir.«
»Wir sehen uns wieder? Hotel IBIS am Boulevard Charles de Gaulle.«
Pierre legte ihm freundlich die Hand auf die Schulter, Menz spürte den Druck und den Schweiß auf seinem Hemd.
Als Menz in Lomé die Empfangshalle des Flughafens betrat, wartete der Vertreter des Botschafters auf ihn. Ein jüngerer, höflicher Mann, etwas zu dick, krauses Haar, lustiges Gesicht. Rasch wurden Menz die Koffer ausgehändigt, sein Pass abgestempelt. Wenige Minuten später saßen sie in einer großen, weißen BMW-Limousine und fuhren durch die Nacht.
»Es gibt kein Leichenschauhaus in Lomé, wie wir das kennen«, sagte Dr. Trenk, »die Toten liegen alle im Keller der Städtischen Kliniken oder im Militärkrankenhaus.« Menz nickte nur. Er schaute mit leeren Blicken aus dem Fenster. Trenk verstand, ließ ihn erst einmal ankommen und las die Mails auf seinem iPhone.
Die fremde Stadt im Dunkeln zog an Menz vorüber wie in einem Film. Manches ließ sich nur erahnen, die Seitenstraßen waren dunkel und leer, die Boulevards breit und frisch geteert. Lange schon hatten die Chinesen begonnen, die Straßen in Togo zu erneuern, mehr noch, die Landkarte Afrikas neu auszurichten. Die Straßen waren das eine, das andere die Regierungspaläste. In Mauretanien, Djibouti, Mozambique und dem Sudan wurden sie von China gebaut und den Regierungen schlüsselfertig übergeben. Für Malawi und Sambia gab es bereits Pläne für den Landkauf, um Getreide anbauen zu können. Die Kommunistische Partei Chinas hatte den Fortschritt in die Hände genommen, während die Europäische Union ihre politische Aufgabe in Afrika offensichtlich verschlafen hatte. Den Deutschen gehörten die Ruinen, die Franzosen besaßen die Häfen und den Rest der alten kolonialen Welt. Es gab eine Franz-Josef-Strauß-Straße und den Boulevard Charles de Gaulle.
Trenk plauderte, er habe Geographie studiert und seit achtzehn Monaten lebe er mit seiner Frau und den drei Kindern in Togo. Ein ungewöhnlicher Aufstieg, dachte Menz, er ist kein Jurist und mit Mitte dreißig schon Botschafts-Vertreter. Als habe Dr. Trenk seine Gedanken gelesen, fügte er hinzu:
»Wer will schon nach Togo? Wollen Sie schlafen? Oder haben Sie noch Lust auf ein Bier? Im Hotel oder in einer Bar?« Sie einigten sich auf das Hotel.
Menz hatte den jungen Schauspieler aus seinem Ensemble überredet, nach Afrika zu gehen. Er hatte ihm gesagt, Togo sei ein Land für Afrika-Einsteiger. Zweifellos eine Diktatur, aber eine freundliche Form davon, kein Bürgerkrieg und mitten in der Hauptstadt sogar eine Deutsche Klinik und ein Hofbräuhaus. Aber Menz hatte sich geirrt. Lomé hatte sich verändert.
Sie fuhren durch die Rue de Cantine de l’aéroport, später bog der Chauffeur in die Avenue du Général Nanguibe Antoine ein. Die Stadt war heller geworden. Es gab mehr Licht, und selbst die kleinen Läden hatten beleuchtete Reklameschilder. Er sah Girlanden und Bettler, viele Kinder, Straßenkinder, dazwischen ein paar Tannenbäume aus Plastik und Papier. Die Menschen waren auf den Beinen, waren unterwegs, suchten nach Arbeit und Brot, suchten ihr Glück. Da gab es sogar eine Pizzeria – Menz lächelte – und dort ein Fahrradgeschäft. Sie fuhren über eine Brücke, die beide Seiten des kleinen Kanals miteinander verband, über alte Eisenbahnschwellen, und jetzt erkannte Menz, wo sie waren, im Regierungsviertel, bei den Palästen aus der Kolonialzeit und in Kürze am Meer. Er sah die Palmen und den Strand, ein paar Hütten und sogar zwei Restaurants in den Dünen.
Er hatte das IBIS-Hotel gewählt, neunzig Dollar die Nacht, das ist viel für Togo, aber für Europäer ein normaler, ein guter Preis. Der Botschaftswagen fuhr vor, die Türen wurden aufgerissen und Menz bekam eine Ahnung davon, wie es war, wenn man so lebte, gut behütet und abgeschottet gegen die Armut dieser Welt, für die man dann gerade noch einen melancholischen Blick aus dem Auto übrig haben würde.
Mit Trenk musste man keine erzwungene Konversation betreiben, er verstand sofort, wie sich einer wie er fühlte. Er spürte, dass der alte Mann den Luxus des Hotels genoss, aber gleichzeitig die isolierte Welt der diplomatischen Privilegien ablehnte.
Menz wollte zunächst einmal aufs Zimmer, Koffer hinwerfen, die Matratze ausprobieren, entscheiden, ob er die Klimaanlage benutzen solle oder nicht. Dann wieder hinunter in die Hotelhalle. Es hätte eine gute Zeit für Menz werden können, gäbe es nicht diesen traurigen Grund für seine Reise. Er wollte einen toten Schauspieler nach Deutschland holen. Mehr noch, einen seiner Mitarbeiter, für dessen Tod er sich verantwortlich fühlte.
»Gleich morgen fahren wir in die Rechtsmedizin«, sagte Trenk. Dann klingelte sein Telefon, es war seine Frau. Sie war ungeduldig, kannte diese Vertröstungen. Immer waren die anderen Menschen wichtiger als die Familie, immer zuerst der Job und die Karriere. Es ist bequem für deutsche Diplomaten in Afrika, ihre Frauen in traditionelle Rollenmuster zu drängen. Trenk beendete das Telefonat und suchte nach der Zigarettenschachtel in seinem Jackett.
Menz freute sich nach dem Einchecken im IBIS über seine ersten französischen Brocken und wurde schnell sicherer im Gebrauch von Vokabeln und Redewendungen. Sie gingen auf die Terrasse, die Kellnerin brachte ihnen Bier.
»Ich bin ein Ausgeliehener aus dem Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Wir sind ein bisserl anders«, flüsterte Trenk, »wir kommen vom Sozialen und sehen die Lebensumstände und weniger die Machtverhältnisse unter dem Gesichtspunkt: Wo finde ich da meinen Platz.«
»Verstehe«, brummte Menz und musste an den Toten denken. Den Rest des Abends blieb er schweigsam, bis Trenk sich verabschiedete:
»Schlafen Sie gut. Ich hole Sie um 9 Uhr ab.«
Menz setzte sich in einen Sessel im Foyer. Über der Rezeption hing ein großes Wandgemälde. Menz hatte es zuvor nicht beachtet, aber jetzt hatte er Zeit. War es Kitsch? Zu grelle Farben? Im Zentrum des Bildes befanden sich drei mit Stroh bedeckte Hütten. Davor saßen drei lachende Frauen auf einer Bank. Sie trugen bunte Kleider, eine nur einen Rock. Darunter eine Marktszene. Zwei Frauen feilschten um Fische, drei andere stampften Mais, und eine abseits stehende Frau trug einen Korb auf dem Kopf. Sein Blick tastete das Bild ab und er hoffte, irgendwo auch einen Mann zu entdecken. Aber außer den Frauen sah er nur Fische und Menschen, die Androgyne waren, keinem Geschlecht zuzuord nen. Aber halt! Da streckte doch eines dieser Wesen weit die Zunge heraus und schaute gut erkennbar in eine bestimmte Richtung. Menz folgte diesem Blick und da sah er das Porträt des Präsidenten von Togo. Er lachte auf und zog damit die Aufmerksamkeit des Nachtportiers auf sich. Er fühlte sich ertappt. Menz war gerade dabei, die kleinen Geheimnisse des Landes zu entdecken.
Nach zwanzigminütiger Autofahrt kamen sie auf ein Militärgelände, wo sich auch die forensische Abteilung der Städtischen Klinik befand. Die Posten winkten sie durch, der weiße BMW mit deutscher Fahne bewirkte Wunder.
Es roch nach Urin und Kot in den Kellern. Menz beschlich die Vorstellung, er bewege sich durch ein Folterzentrum, rechts und links des langen Flurs Zellen, in denen Gefangene vor sich hin moderten.
Sie erreichten das Kühlhaus mit seinen vielen Schubladen. In einer davon lag Hans. Er erkannte ihn sofort, den langen schlaksigen Kerl. Die Augen waren geschlossen, die Arme lagen schlaff neben dem Körper, offensichtlich hatte sich die Totenstarre schon wieder gelöst. Dann sah Menz die Wunde. Sie hatten Hans das Glied herausgerissen. Da war nichts mehr, nur ein großes Loch. Er wollte standhaft bleiben, auf keinen Fall weglaufen, aber er konnte sich kaum noch aufrecht halten. Der Arzt bedeckte den Toten wieder mit dem schmutzigen Tuch. Menz war übel. Er ging zum Fenster und öffnete es.
»Ihr Sohn?«, fragte der Arzt.
Menz schüttelte den Kopf: »Mein Schauspieler.«
»Und da kommen Sie den weiten Weg hierher?«
Ja, und da komme ich den weiten Weg hierher, dachte Menz. Ich war es doch, der den armen Kerl hierher geschickt hat. Er hatte Angst gehabt, und ich hatte ihm Druck gemacht!
Trenk zupfte ihn am Ärmel: »Kommen Sie. Wir können hier nichts tun.« Menz folgte ihm. Sie stiegen in den Wagen.
»Haben wir irgendeine Chance, heraus zu bekommen, was passiert ist?«, fragte er.
Trenk schwieg, steckte sich eine Zigarette an und schüttelte den Kopf.
»Ich fürchte, wir haben wenig Möglichkeiten.«