Kapitel eins
Kapitel zwei
Kapitel drei
Kapitel vier
Kapitel fünf
Kapitel sechs
Kapitel sieben
Kapitel acht
Kapitel neun
Kapitel zehn
Kapitel elf
Kapitel zwölf
Kapitel dreizehn
Kapitel vierzehn
Kapitel fünfzehn
Kapitel sechzehn
Kapitel siebzehn
Kapitel achtzehn
Kapitel neunzehn
Kapitel zwanzig
Kapitel einundzwanzig
Kapitel zweiundzwanzig
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Alle Rechte liegen bei der Autorin.
Kapitel eins
“Tu es nicht, Sandy”, ermahnte ich mich in Gedanken. “Behalte die Kontrolle.” Aber da ich in einer überfüllten U-Bahn auf dem Weg zur Upper East Side eingequetscht neben einem massigen, leicht stinkenden Mann saß, war ich versucht, meine manipulierenden Kräfte einzusetzen. Und damit meine ich, physisch Gegenstände zu bewegen, also, vielleicht den Sitz ein wenig breiter zu machen.
Alle Hexen und Zauberer, die ich kannte, hatten ein spezielles Naturtalent, zusätzlich zu der Fähigkeit, Zaubersprüche auswendig zu lernen. Und die Manipulation war mein Talent – ich konnte kleine Dinge wie die Tinte auf einem Stück Papier verändern oder auch große Dinge wie eine Mülltonne verschieben.
Aber laut des Zauberer-Gesetzbuches müssen wir unsere Magie geheim halten und dürfen ‘normale’ Menschen nicht wissen lassen, dass Hexen existieren. Dies war eigentlich kein Problem für mich, außer, wenn ich frustriert, nervös oder panisch wurde. Und einen solchen Zustand erreichte ich, als mir der Mann neben mir einen misstrauischen Blick zuwarf.
Ich spürte die Energie in meiner Magengrube kitzeln. Das Gefühl wurde stärker, stieg heiß meinen Rücken hinauf und brach in einer Energiewelle aus meinen Augen heraus, die die Kante meines Sitzes fokussierten. Normalerweise waren meine Augen dunkelblau, aber wenn ich zauberte, wurden sie für eine Sekunde goldfarben.
Im nächsten Moment zog die Energiewelle durch meinen ganzen Körper, und unter meinem rechten Bein konnte ich spüren, wie der Sitz sich nach außen hin weitete. Nun konnte ich weiter zu der Metallstange am Ende der Sitzreihe rutschen.
Natürlich waren die meisten viel zu beschäftigt, um die Veränderung zu bemerken, aber der dürre Künstlertyp, der sich an der Stange festhielt, runzelte die Stirn, als er fühlte, dass der Plastiksitz nun sein Bein berührte. Zum Glück hielt die U-Bahn nun, und er stieg aus – ich war in Sicherheit.
Nach zwei weiteren Haltestellen stieg ich auch aus und lief die drei Blocks bis zum Goodies Café, wo meine beste Freundin Rachel als Konditorin arbeitete. “Hi Sandy.” Sie strahlte mich durch ihre riesige stylische Brille an, als ich zur Theke ging. “Ich bin in zehn Minuten fertig.” Sie brachte mir schnell den Caffé Latte und den Minifruchtkuchen, den ich bestellt hatte, und lief dann zurück nach hinten, um die Küche weiter aufzuräumen.
Ich saß am Fenster des Cafés und aß meinen Kuchen – jeden Samstag kam ich her, wenn Rachel Feierabend machte, und wir gingen zusammen aus. Meine beste Freundin und Mitbewohnerin hatte sich in den Kopf gesetzt, geeignete Männer für uns zu finden, da wir beide seit einem guten Jahr Singles waren. Jeden Samstag suchte sie eine neue In-Bar für uns aus. Und so gingen wir zu Open-Mic-Nights in Hipster-Cafés oder in pulsierende Nachtclubs.
Als das Café schloss, war es fast viertel nach zehn, und wir verabschiedeten uns von der älteren Besitzerin Betsy, die nun den Kassenabschluss machte. “Wow, du siehst toll aus, Sandy. Ist das ein neues Oberteil? Die Farbe passt super zu deinen Haaren”, sagte Rachel und pfiff durch die Zähne, als wir auf die Straße traten, um ein Taxi heranzuwinken. Ich sah an meinem engen violetten Pullover herunter, der einen kleinen Ausschnitt hatte. Ich fand, dass ich in dem Outfit und mit meinen goldroten Haaren, die nun in Wellen über meinen Rücken fielen, recht gut aussah.
“Dankeschön”, sagte ich lächelnd, als wir in das Taxi stiegen, das für uns angehalten hatte. “Dir ist aber schon klar, dass ich keinen Typen finden will, weil ich eigentlich schon einen gefunden habe? Es ist zwar etwas heikel, sich an den Chef ranzuschmeißen, und genau genommen verstößt es auch gegen die Firmenregeln.” Rachel gab dem Taxifahrer Anweisungen und wandte sich dann wieder mir zu.
“Dein heißer japanische Chef? Den kannst du nicht haben, darum geht es ja gerade – deswegen müssen wir unbedingt einen anderen Kerl für dich finden. Und…” Ich hob meine Hand, um sie zu unterbrechen, während das Taxi im Zickzack durch die vollen Straßen in SoHo fuhr. “Erstens ist er nur halber Japaner, weil sein Vater Amerikaner ist. Und zweitens, na ja …” Ich hatte kein wirklich gutes Argument, fuhr aber trotzdem fort. “Ich will ja gar keinen anderen – ich will Fion.”
Kindisch schob ich meine pink bemalte Unterlippe vor. Ich schwärmte tatsächlich für den neuen Projektmanager, meinen Chef, der in der Kunst- und Konzeptabteilung von Stellar Marketing, Inc. arbeitete. Er sah gut aus, war groß und hatte ein bisschen was von einem Nerd. Aber leider hatte er keine magischen Kräfte und war außerdem mein Vorgesetzter. Mit ihm auszugehen, würde bedeuten, ihm früher oder später von meinen magischen Kräften erzählen zu müssen. Mit ihm zusammenzukommen war also ein doppeltes Tabu, was die Sache natürlich nur noch spannender machte.
Zehn Minuten später hielten wir vor dem unkonventionellen Café namens Ground Up im hippen SoHo in der Nähe von der NYU, südlich der Houston Street. Heute Nacht durften Gäste ihre Musik und Poesie präsentieren, und obwohl es voll war, fanden Rachel und ich Plätze auf einer Couch mit drei Sitzen nahe der niedrigen Holzbühne. Neben uns saß ein junger Mann.
Wir holten uns Vanille-Scones und Cappuccino, um uns aufzuwärmen. Obwohl es erst Mitte September war, war es draußen bereits kühl. Rachel nahm einen Bissen von ihrem Scone, schüttelte ihren dunkelblonden Bob und rückte ihre Brille zurecht, um sich umzuschauen – oder besser gesagt, um nach potenziellen Freunden Ausschau zu halten. Sie war groß und gertenschlank, was mich immer wieder überraschte, denn sie war schließlich Konditorin – wenn ich in diesem Beruf arbeiten würde, würde ich wahrscheinlich fünfzehn Kilo zunehmen.
Während sie die Menge absuchte, beobachtete ich den Mann auf der Bühne mit hochgezogener Augenbraue – er sprach ein Gedicht, dass Angst und Bitterkeit ausdrückte. Ich verstand nicht alles, was der leicht füllige Mann mit dem Bart sagte, aber es schien so, als hätte gerade jemand mit ihm Schluss gemacht und ihm das Herz gebrochen. Rachel und ich zuckten zusammen, als er am Ende einen Klagelaut ausstieß. Zum Glück war er nun fertig, und eine junge Frau sang ein fröhliches Lied und spielte dazu Akustikgitarre.
*****
Vierzig Minuten später, nach einer bunten Mischung aus guten und weniger guten Darbietungen, wurde eine fünfzehnminütige Pause angekündigt. Rachel sah auf meine noch halb volle Tasse hinunter und warf mir dann einen schelmischen Blick zu. “Soll ich den nochmal für dich aufwärmen?” Ich verengte meine Augen. “Rach, du weißt doch, dass du deine Kräfte nicht …” Ich sah mich schnell um, um sicherzugehen, dass uns niemand hörte. “… in der Öffentlichkeit einsetzen darfst. Auch wenn ich weiß, dass du das in der Bäckerei ständig tust.” Scherzhaft hob ich meinen Zeigefinger, um sie zu ermahnen.
Rachels besonderes Talent war es, Dinge aufzuwärmen und abzukühlen, was im Café äußerst nützlich war. Sie musste immer nur aufpassen, dass sie nichts in Flammen aufgehen ließ oder mit Eis bedeckte. Sie starrte auf den Cappuccino, der nun zugegebenermaßen wirklich kalt war. Bevor ich noch etwas einwerfen konnte, sah ich Rachels schokoladenbraune Augen funkeln und ihre beiden Zeigefinger kreisen. Dann fühlte sie mit der rechten Hand an der Tasse, ob der Kaffee warm war.
Ich warf ihr einen mahnenden Blick zu. “Rachel, ganz im Ernst, was ist denn, wenn dich eine andere Hexe sieht und dich meldet?” Ich hatte gut Reden, denn erst heute hatte ich ebenfalls meine Zauberkräfte in der U-Bahn eingesetzt. “Ach, komm schon.” Sie verdrehte die Augen und lächelte. “Ich war so unauffällig, das hätte nicht mal eine Hexe bemerkt. Aber nun sollten wir uns auf wichtigere Dinge konzentrieren – jetzt in der Pause ist der perfekte Zeitpunkt, um sie anzusprechen.” Sie deutete mit dem Kopf auf zwei Typen, die allein an der Bar standen.
Einer war groß und dunkelhaarig, der andere war durchschnittlich groß und hatte gelocktes braunes Haar. Beide schauten zu uns herüber. Ich unterdrückte ein genervtes Seufzen – eigentlich war ich gar nicht in Flirtlaune. Das war eher etwas für Rachel, und manchmal war sie viel zu offensichtlich für meinen Geschmack. Aber dennoch stand ich auf und folgte ihr zu den beiden jungen Männern.
Der Dunkelhaarige hatte ein ziemlich gutes Lied auf seinem Keyboard gespielt und dazu über das lebhafte Stadtleben gesungen. Rachel ging geradewegs auf ihn zu – sie war mehrere Zentimeter kleiner als er, was gut war, wenn man bedenkt, dass sie mit ihren 1,79 Metern viele Männer überragte. “Hey, das war ein super Lied – mir gefällt deine Stimme.” Er grinste sie an, und bevor er antworten konnte, reichte sie ihm die Hand. “Ich bin Rachel, und das ist meine Freundin Sandy.”
Der dunkelhaarige Typ grinste nun noch breiter, während er ihre Hand schüttelte. “Schön, dich kennenzulernen, Rachel – und Sandy.” Er sah mich kurz an. “Ich bin Mark, und das ist Roger.” Er deutete auf seinen Freund, der ebenfalls breit grinste. Er war attraktiv, hatte grüne Augen und ein freundliches Lächeln. Aber er war nicht Fion.
Zwanzig Minuten später saßen wir alle gemeinsam an der Bar und unterhielten uns, während die Auftritte weitergingen. “Weißt du was, Sandy?” Roger wandte sich mir zu. Mark und Rachel flirteten mittlerweile ganz offensichtlich miteinander. “Ich will eine hippe, punkige Version von dem Abba-Lied Super Trooper spielen, und mir fehlt noch eine weibliche Stimme – hast du Lust?” Ich wurde kreidebleich, und es fühlte sich an, als hätte jemand ein Stück Kohle in meinen Magen gelegt.
Obwohl ich mich ganz locker mit Personen unterhalten konnte und auch in Meetings auf der Arbeit nie nervös wurde, hatte ich immer unglaubliches Lampenfieber, wenn ich auf eine Bühne musste. Allein der Gedanke daran, vor all den Menschen singen zu müssen, ließ mein Herz schneller schlagen. Und immer wenn ich nervös wurde, so wie zuvor in der U-Bahn, setzte ich instinktiv meine magischen Kräfte ein.
“Oh, wow”, stotterte ich. “Das hört sich aber spannend an – ich habe noch nie eine Punkversion von einem Abba-Lied gehört. Aber ich bin nicht nie beste Sängerin und …” Rachel hörte genau in diesem Moment auf, mit Mark zu flirten und mischte sich ein. “Sandy, soll ich mitsingen? Das wär' doch bestimmt lustig!” Ich warf ihr einen warnenden Blick. Rachel versuchte immer, mich aus der Reserve zu locken, besonders, wenn es um mein Lampenfieber ging. Sie war der Ansicht, dass ich endlich darüber hinwegkommen sollte.
Aber auch wenn sie die besten Absichten hatte, konnte sie sich als extrovertierte Person einfach nicht vorstellen, wie ich mich fühlte. Und ganz abgesehen davon ahnte sie nicht, dass ich kurz davor war, meine Kräfte einzusetzen. “Nein, besser nicht.” Ich warf ihr wieder einen vielsagenden Blick zu. “Ich bleibe hier und jubele dir zu.” Ich zwang mich zu einem Lächeln und sah wieder zu Roger hinüber. Nun erklang die Stimme des Moderators: “Und als Nächstes hören wir Rogers Version von Super Trooper.” Er stand auf, griff nach seiner Gitarre, die er an die Theke gelehnt hatte, legte mir eine Hand auf die Schulter und schob mich sanft Richtung Bühne. “Komm schon, ihr könnt beide mitsingen.”
Ich verkrampfte mich innerlich, während ich die heiße Energie in meinem Magen aufflammen spürte. Nein, Sandy – reiß dich zusammen … du musst dich diesmal zurückhalten.”