Der schnelle Weg
zur Gleichstellung
Für D.
»If the shoe doesn’t fit, must we change the foot?«
»Gesetze sind etwas für Leute, die eine Anleitung brauchen. Für Leute, denen man ausdrücklich sagen muss, dass Babys nicht in den Wäschetrockner und Hunde nicht in die Mikrowelle gehören.«
Einleitung
Schöne neue Arbeitswelt:
Zu fair, um wahr zu sein?
Die Welt der Dinosaurier:
Eine Bestandsaufnahme
Selber schuld?
Die Lügen der Lohnlückenleugner
Die Wirkmacht der Klischees:
Schubladendenken und überholte Rollenbilder
Tabuthema Geld:
Mit Transparenz die Arbeitswelt verändern
Fair Pay Around the World:
Weltweiter Transparenzkurs der Politik
Der heilige Gral, oder:
Ist Fairness messbar?
Business Case Gleichstellung:
»Because it’s the smart thing to do!«
Fair Future:
Was wir alle tun können, um die Sache zu beschleunigen
Die faire Zukunft gestalten:
Checklisten
Dank
Literatur
Über Geld spricht man nicht, man hat es, wie alle wissen. Es bleibt meist ein Geheimnis, wie viel wir mit unserer Arbeit verdienen. Wir behalten lieber für uns, wie viel wir geerbt oder gespart haben. Und wir erzählen nur selten, wie viel wir ausgeben, für Häuser oder Autos, welche Anlagestrategie wir verfolgen oder ob wir überhaupt eine haben. Kurzum: Wir schweigen, sobald es ums Geld geht. Ganz unabhängig davon, ob es um Verluste oder um Gewinne geht, sind Finanzen als Thema verpönt. Gerade in Deutschland, und häufig auch im Freundeskreis und in der Familie.
Wir hauen unser Geld auf den Kopf, wir legen etwas auf die hohe Kante oder wir lassen es springen. Manchmal regnet es sogar welches, oder wir verdienen eine ganze Stange davon. Geld stinkt nicht, sagen wir, und es ist erstaunlich, wie viele Namen es für eine Sache gibt, über die wir so ungern sprechen: Kies, Knatter, Knete, Kohle, Kröten, Lappen, Mäuse, Moneten, Moos, Penunsen, Pinkepinke, Schotter, Tacken, Zaster. Doch ganz gleich, wie wir den schnöden Mammon nennen, glücklich macht er angeblich nicht. Die Google-Suche vervollständigt den Satz »Geld ist …« wahlweise mit »nicht alles im Leben«, »nur Papier« oder »nicht wichtig«. Wer Geld gut findet, macht sich suspekt. Wer damit protzt, sowieso, und nobel ist es schon mal gar nicht: Margrethe von Dänemark, die sich nicht scheut, immer und überall dem Tabakkonsum zu frönen, trägt niemals Geld bei sich. Das Bezahlen überlässt die dänische Königin lieber ihren Hofdamen. Wer »geldgeil« ist, ist ohne Moral, hat keine Werte und besitzt vielleicht ein Vermögen, aber ganz bestimmt keinen Anstand.
Dabei regiert Geld bekanntlich die Welt. Geld ist Macht. Geld ist Zeit. Und umgekehrt. Es ist verblüffend, wie selten an dieser Stelle einen Schritt weitergedacht wird. Es braucht Mut zu sagen: Geld ist mir wichtig.
Dabei gibt es viele sehr gute Gründe, ein anderes Verhältnis zum Geld zu entwickeln. Was immer Geld sonst ist, es ist vor allem ein Tauschmittel. Geld schafft Freiräume. Geld eröffnet Möglichkeiten. Vor allem aber schenkt Geld Unabhängigkeit.
Bislang allerdings vor allem Männern.
Noch immer verdienen Männer signifikant mehr Geld als Frauen, und zwar überall auf der Welt. In Deutschland stagniert die Lohnlücke seit einigen Jahren bei 21 Prozent. Im letzten Jahrzehnt hat sie sich um nur zwei Prozentpunkte geschlossen. Wenn es in diesem Tempo weitergeht, dauert es – je nach Berechnung – noch ungefähr hundert Jahre, bis die Lohnlücke beseitigt ist, und mehrere hundert Jahre bis zur vollständigen Gleichstellung von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt.
Entschieden zu lang. Denn der Verdienstunterschied zwischen Männern und Frauen hat weitreichende Folgen. Wer weniger verdient, hat nicht nur monatlich weniger Einkommen zur Verfügung, sondern kann auch weniger ansparen oder investieren, um für das Alter vorzusorgen, für die Ausbildung von Kindern, oder um Vermögen zu bilden. Frauen verfügen im Durchschnitt über ein halb so hohes Einkommen wie Männer: Der Einkommensunterschied zwischen Männern und Frauen summiert sich in Deutschland über das gesamte Berufsleben hinweg vom Einstieg bis zur Rente auf insgesamt 49,8 Prozent.1
Frauen arbeiten weniger und bekommen für ihre Arbeit weniger Geld. Für diese schon viel zu lange andauernde Schieflage gibt es verschiedene Ursachen: Bis heute übernehmen Frauen beruflich weniger Verantwortung, sie werden seltener befördert und gehen seltener in Führung. Oft wählen sie schlechter bezahlte Berufe in weniger lukrativen Branchen, arbeiten sehr viel häufiger in Teilzeit und setzen meist sehr viel länger aus, wenn Kinder kommen oder Angehörige Pflege brauchen. Auf offene Stellen bewerben sie sich erst, wenn sie 120 Prozent der Anforderungen erfüllen. Und während Männer eher nach Potenzial eingestuft werden, werden Frauen tendenziell nach erbrachter Leistung bezahlt. Sie verhandeln anders und ihre Forderungen werden seltener erfüllt: Nehmen fordernde Männer ihr Gegenüber mit ihrer Durchsetzungsstärke für sich ein, gelten fordernde Frauen als unsympathisch. Dies alles schlägt sich im Gehalt nieder.
Mit fatalen Folgen für die finanzielle Situation der Frauen, bis hin zur mickrigen Rente. Die vom Berufseinstieg bis zur Rente erworbenen Pensionsansprüche münden am Ende in eine Rentenlücke von 53 Prozent.2 Wirtschaftliche Unabhängigkeit sieht anders aus.
Wie absurd die Verhältnisse sind, wird deutlich, wenn wir sie gedanklich einmal umkehren, wie es der Spielehersteller Hasbro im Herbst 2019 tat, als er Monopoly neu erfand. Seit das Brettspiel 1933 erstmals auf den Markt kam, gab es die unterschiedlichsten Editionen des Klassikers. Ob Banking, Weltreise, Fußball, Star Wars oder Pummeleinhörner – in der Geschichte des Brettspielklassikers gibt es kaum etwas, was es nicht gab. Nur eines blieb, egal unter welcher Überschrift, immer gleich: Alle Spielerinnen und Spieler starteten mit dem gleichen Geldbetrag, alle erhielten beim Zug über Los die gleiche Summe, und alle zahlten im Spielverlauf die gleichen Preise. Beim Monopoly-Spielen herrschte verlässlich Chancengleichheit: Es galten für alle die gleichen Regeln.
Dann kam Ms Monopoly auf den Markt. Schon bevor das Spiel überhaupt losgeht, bekommen die weiblichen Mitspielerinnen 400 Dollar mehr Startkapital als ihre männlichen Mitspieler. Gehen sie über »Los«, bekommen sie ebenfalls 40 Dollar mehr. Zu kaufen gibt es nicht die Schlossallee oder die Badstraße, sondern Erfindungen von Frauen, darunter den von Melitta Bentz erfundenen Kaffeefilter, die drahtlose WLAN-Technologie, zu der Hedy Lamarr die Idee hatte, außerdem Eismaschinen, Geschirrspüler und Scheibenwischer. Gebaut werden keine Häuser, es werden Geschäfte gegründet. Und vom Cover des Spiels grinst uns die Nichte von Mr. Monopoly an. Konsequent werden Frauen sichtbar gemacht, sie werden gewürdigt und sie werden bevorzugt. Was selbstverständlich nicht heißt, dass Männer nicht auch mitspielen dürfen. Und natürlich können sie auch gewinnen. Sie müssen sich eben bloß ein bisschen mehr anstrengen.
Absurderweise wird erst in der radikalen Umkehrung der Verhältnisse deutlich, wie ungerecht es in der realen Wirtschaftswelt tatsächlich zugeht: Auch im echten Leben gibt es mehr Geld, mehr Anerkennung und bessere Chancen, ohne die geringste Anstrengung – nur sind diese Privilegien im echten Leben überwiegend Männern vorbehalten. Natürlich gibt es auch Frauen, denen der rote Teppich ausgerollt wird, und Männer, die vergeblich nach einem solchen Ausschau halten, aber sie sind statistisch sehr viel seltener. Die vollkommen unfaire Ms Monopoly ist unter umgekehrten Vorzeichen bittere Realität: Selbstverständlich können Frauen in der Arbeitswelt mitspielen und gewinnen – sie müssen sich eben nur ein bisschen mehr anstrengen. Lägen die Regeln überall so offen zutage wie hier, würde so manche Frau (und vielleicht auch der ein oder andere Mann) gar nicht erst mitspielen – oder sehr bald das Handtuch werfen.
Zu Recht! Denn Ms Monopoly erfüllt eine wichtige Voraussetzung, die im echten Wirtschaftsleben sträflich vernachlässigt wird, aber sehr viel verändern könnte: Es geht absolut transparent zu. Alle kennen die Spielregeln, und alle wissen, wie unfair es zugeht. Niemand gibt sich der Illusion hin, dass auch nur ansatzweise Chancengleichheit herrschen könnte.
Anders als im echten Arbeitsleben, wo die allermeisten Menschen davon ausgehen, dass selbstverständlich alle die gleichen Chancen haben. Denn fatalerweise ist die Ungleichbehandlung zwar statistisch messbar, im Einzelfall bleibt sie jedoch oftmals unsichtbar. Hinter den Kulissen geht es in der realen Wirtschaftswelt oft ähnlich unfair zu wie bei Ms Monopoly: Bei Einstellungen, Beförderungen und Gehaltserhöhungen wird nicht nur die weibliche Hälfte der Bevölkerung übergangen. Auch Menschen mit Migrationshintergrund und Behinderungen, Menschen mit einer anderen Religion oder Sexualität werden im Stillen übergangen und stoßen an gläserne Decken. Und Frauen können oft nur mutmaßen, ob sie genauso viel Geld verdienen wie ihre männlichen Teamkollegen. Die Lohnlücke lässt sich an der Statistik ablesen, aber ungerechte Bezahlung bleibt für die Betroffenen oft eine vage Vermutung.
Das Perfide: Anders als die unterprivilegierten männlichen Mitstreiter bei Ms Monopoly können Frauen in der Arbeitswelt selten auf offen zutage liegende Unfairness verweisen. Stattdessen wird von ihnen erwartet, das Beste aus ihrer Situation zu machen. Ist doch schließlich jede ihres eigenen Glückes Schmiedin, heißt es dann. Sollen sie sich bessere Jobs aussuchen, und besser verhandeln lernen kann frau ja schließlich auch!
Genauso wie die reale Diskriminierung von Frauen und anderen bleiben auch die Privilegien der Männer meist unsichtbar – besonders für die Privilegierten selbst. Von alleine wird sich daran nur wenig ändern, und es dürfte sehr lange dauern, wenn die Dinge sich selbst überlassen bleiben. Natürlich gibt niemand gern Privilegien auf. Doch es gibt viel zu gewinnen – und zwar für alle. Und wir alle können sehr viel mehr tun, als uns während der Wartezeit ab und an mit einer Runde Ms Monopoly die Zeit zu vertreiben. Dieses Buch lesen, zum Beispiel, und anfangen, über Geld zu sprechen.
Transparenz ist der erste und wichtigste Schritt zu fairer Bezahlung. Das muss nicht zwangsläufig heißen, sämtliche Gehälter offenzulegen. Aber es bedeutet, dass alle nach den gleichen Regeln spielen, dass zweitens alle diese Regeln kennen (und verstehen!) und dass drittens dafür gesorgt wird, dass die Regeln von allen eingehalten werden. Im Grunde genau wie beim Fußball.
Ob Sport, Spiel oder Berufsleben: Fair kann es erst zugehen, wenn alle die gleichen Chancen haben. Und dazu braucht es ein transparentes Regelwerk. Erst wenn wir über Geld sprechen, können wir einschätzen, ob wir zu wenig verdienen oder im Gegenteil sehr gut bezahlt werden. Wo es fair zugeht, können Unterschiede in der Bezahlung leicht erklärt und akzeptiert werden. Wo für alle die gleichen Regeln gelten, entsteht echte Chancengleichheit, für alle Menschen.
Ein niedriger Gender Pay Gap geht in den allermeisten Fällen noch mit anderen Gleichstellungsindikatoren einher: In Unternehmen, die fair bezahlen, finden sich meist überdurchschnittlich viele Frauen in Führung, Führungskräfte, die in Teilzeit arbeiten, Väter, die länger als zwei Monate in Elternzeit gehen. Es werden Jobsharing-Modelle angeboten und die Möglichkeit, im Home-Office zu arbeiten. Anders gesagt: Gerechte Bezahlung ist die messbare Spitze des Gleichstellungseisbergs. Am Ende macht sich das für alle bezahlt, für die Unternehmen, für die Beschäftigten und für die ganze Gesellschaft. Kein Wunder, dass sich eigentlich längst alle einig sind: Die Lohnlücke muss weg, und zwar schnell!
Gleiches Einkommen ist der Schlüssel zur Gleichstellung. Anders als gläserne Decken und die vielen anderen unsichtbaren Hürden, denen nicht nur Frauen im Beruf begegnen, lässt sich faire Bezahlung sehr gut messen – und exakt am Stundenlohn ablesen.
Wie kann es also sein, dass der Einkommensunterschied von 21 Prozent bei uns seit Jahren wie in Stein gemeißelt scheint? Weshalb rangiert ausgerechnet Deutschland, wo es bezahlte Elternzeiten, ein Entgelttransparenzgesetz und gesetzliche Geschlechterquoten gibt, im internationalen Vergleich noch immer so weit hinten? Wie kommt es, dass es in Deutschland noch immer ein Tabu ist, über Geld zu sprechen? Was können Unternehmen, was kann jede und jeder Einzelne tun, damit es endlich schneller vorangeht mit der Chancengleichheit für alle? Und wie real ist eigentlich die schöne neue Arbeitswelt, von der immer alle reden?
»Wenn Du immer wieder das tust, was Du immer schon getan hast, dann wirst Du immer wieder das bekommen, was Du immer schon bekommen hast. Wenn Du etwas anderes haben willst, musst Du etwas anderes tun!«
Zuweilen hat es den Anschein, als wären wir längst am Ziel. Immer häufiger tauchen sie in den Wirtschaftsmagazinen und Sonntagszeitungen auf, die Nachrichten über Unternehmen, in denen schon längst oder auch erst seit Kurzem alles anders gemacht wird als früher. Wer in brand eins, Business Punk oder enorm blättert, wer die ZEIT, Süddeutsche oder Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung liest, bekommt schnell den Eindruck, dass es sie haufenweise gibt: Unternehmer und Unternehmerinnen, die neu und anders führen. Selbstkritische Mittelstandserben, die als allererstes das eigene Gehalt kürzen und für die Mitbestimmung der Beschäftigten sorgen. Gründerinnen und Gründer, die ganz selbstverständlich den Menschen in den Mittelpunkt ihres unternehmerischen Tuns stellen und gewaltfreie und ressourcenschonende Business-Strategien entwerfen. Da wird auf soziale Nachhaltigkeit geachtet, auf sämtlichen Hierarchieebenen ganz selbstverständlich in Teilzeit gearbeitet, flexible Arbeitszeiten und Lebensarbeitszeitkonten sind gang und gäbe. Es wird im Home-Office und an unterschiedlichen Standorten gearbeitet oder die Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich eingeführt. Die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben wird erleichtert, indem mitten auf dem Firmengelände Betriebskitas eröffnet und im Intranet Hundesitting-Portale eingerichtet werden. Junge Väter werden ermuntert oder gar gezwungen, länger als zwei Monate in Elternzeit zu gehen. Wo keine gesetzliche Elternzeit und kein Elterngeld vorgesehen sind, stellen Unternehmen Mitarbeitende auf freiwilliger Basis monatelang frei und zahlen den Lohn weiter. Ist ein schneller Wiedereinstieg erforderlich, werden Babysitter gestellt, und während etwaiger Geschäftsreisen wird die Muttermilch gut gekühlt nach Hause transportiert. In den Kantinen stehen servierfertige Dinner Bags für Singles, Paare oder Familien bereit, mit wahlweise vegetarischem oder veganem Abendessen aus regionalen und saisonalen Zutaten, damit den Beschäftigten nach Feierabend noch genügend Zeit für die Familie, Ehrenämter oder Hobbys bleibt und am Ende die Work-Life-Balance der Beschäftigten und die Bilanz des Unternehmens stimmen.
Fast scheint es, als hätte die Ära der grauen Herren in grauen Anzügen, die tagein, tagaus in gläsernen Eckbüros ein tristes, von der Arbeit bestimmtes Dasein fristen und nach dem letzten Meeting in einem teuren Firmenwagen zum Abendessen mit Frau und Kindern hasten, ein Ende gefunden. Als hätten Präsenzkultur und Hierarchiedenken langsam, aber sicher ausgedient, und als würde sich die Wirtschaft von heute endlich darauf besinnen, um was es im Kern doch eigentlich schon immer ging: um den Menschen.
Auch und gerade in Gehaltsfragen scheint ein neuer Wind zu wehen: Agenturen aus dem Kreativbereich schreiben im Konsentverfahren gemeinsam »Gehaltsmanifeste«. Gründer und Gründerinnen beschließen, allen Beschäftigten ein Einheitsgehalt zu zahlen oder das ganze Unternehmen genossenschaftlich zu organisieren. In kreativen Start-ups schätzen die Beschäftigten ihr Gehalt selbst ein, verzichten auf die Erfassung ihrer Arbeitszeiten und nehmen nach eigenem Ermessen so viele Urlaubstage, wie sie möchten. Andere berufen einen Gehaltsrat ein, der über die Vergütung aller wacht, oder beteiligen sämtliche Beschäftigte am Gewinn, indem die Unternehmensanteile untereinander aufgeteilt werden. Anderswo sind die Gehälter nicht mehr verhandelbar, weil sie anhand einer gemeinsam festgelegten Formel errechnet werden. Es finden sich zahlreiche Ansätze, in Sachen Bezahlung alles anders zu machen. Und noch mehr gute Ideen.
Sind wir also längst angekommen, in der schönen fairen Arbeitswelt der Zukunft? Straft uns die Lohnlücken-Statistik Lügen? Oder wird darüber nur deswegen so viel berichtet, weil sich zwar alle danach sehnen, es aber Ausnahmen und seltene Exoten sind, die mit der Arbeitsrealität der meisten Menschen herzlich wenig zu tun haben? Oder haben wir es mit Pink Painting zu tun, und hinter all den Geschichten verbirgt sich nichts als PR-Strategien und Kommunikationskapriolen, die sehr viel mehr Fairness, Augenhöhe und Gleichstellung vortäuschen, als in den Unternehmen tatsächlich gelebt wird?
Ja, es gibt sie wirklich, die Unternehmen, die sehr vieles sehr anders machen und die mit extrem gutem Beispiel vorangehen – auch, indem sie Dinner Bags, Hundesitting oder Gehaltstransparenz auf Knopfdruck anbieten. Und zwar nicht, weil das noch hipper und moderner klingt als Kickertisch und Smoothiebar, auf dass die Kommunikationsabteilung begeistert in die Hände klatscht. Sondern weil sich Führungsebene und Personalabteilung sehr intensiv und ernsthaft damit beschäftigen, was die Mitarbeitenden benötigen, um ihren Job gut zu machen.
Und es ist ein großer Unterschied zu früher, als Unternehmen, in denen es ein klares Oben und Unten gab, unter einer Vielzahl an Bewerbenden wählen konnten und es so etwas wie Augenhöhe allenfalls unter Mitarbeitenden der gleichen Hierarchiestufe gab.
Das Blatt wendet sich gerade. Unternehmen ändern ihre Haltung gegenüber Beschäftigten, betrachten sie als Kundinnen und Kunden, deren Wünsche und Bedürfnisse im Mittelpunkt der Personalstrategien stehen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die Gleichstellung aller Beschäftigten, unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrem Familienstand, ihrer Herkunft, ihren Behinderungen, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Religion gehören ganz selbstverständlich dazu. Kurzum: Chancengleichheit steht immer mehr im Mittelpunkt der Personalarbeit.
Employee Experience, kurz EX, heißt das strategische Unterfangen, den Mitarbeitenden vom ersten Arbeitstag bis hin zur Karriereentwicklung positive Erfahrungen zu ermöglichen und eine inspirierende, motivierende und produktive Arbeitsumgebung zu bieten. In der schönen neuen Arbeitswelt sind die Beschäftigten König beziehungsweise Königin.
Wo die Attraktivität des Arbeitgebers an der Zufriedenheit und dem Engagement der Beschäftigten gemessen wird, gehört es auch dazu, dass die Gehaltssysteme immer flexibler werden. Neben dem Geld spielen Freizeit, Arbeitszeitkonten oder Anreize wie der Grad an Selbst- und Mitbestimmung und Vereinbarkeitsangebote als Vergütungsaspekte eine immer wichtigere Rolle. Um dies zu gewährleisten, braucht es ein gut durchdachtes Entgeltsystem, das niemanden im Unternehmen benachteiligt.
Entgeltstrukturen und Gehaltskriterien werden sorgfältig geprüft und angepasst – und zwar nicht erst, seit das Entgelttransparenzgesetz in Kraft trat. Um den Gender Pay Gap nicht nur in Deutschland zu schließen, entwickeln Unternehmen wie die Softwarekonzerne SAP oder Adobe, der Tabakproduzent Philip Morris, der Einrichtungskonzern IKEA oder die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY zum Teil weit über Deutschland hinaus seit Jahren handfeste Gleichstellungsstrategien. Mittelständische Unternehmen wie der Bergsportausrüster VAUDE stellen sich ihren Nachwuchs- und Führungssorgen ebenfalls, indem sie ihre Strukturen einmal von rechts auf links krempeln und neue Nachhaltigkeitskonzepte und Entgeltstrategien entwickeln. Und nachhaltige Start-ups wie der Hersteller veganer Kondome Einhorn Products oder Premium Cola gehen die ganze Sache von vornherein anders an und entscheiden sich für radikale Transparenzkonzepte bis hin zum Einheitslohn. Die Liste der Unternehmen, in denen alles anders gemacht wird, wächst, und zwar unabhängig von Größe und Standort.
Tatsächlich hat sich im letzten Jahrhundert gesellschaftlich, politisch und strukturell enorm viel verändert. Die Arbeitswelt ist kaum noch wiederzuerkennen: Herstellungsprozesse, Techniken und Geschäftsmodelle sind grundlegend andere als noch vor hundert Jahren. Auch die Arbeitsbedingungen und die Formen unseres Zusammenarbeitens entwickeln sich rasant. Immer schneller schreiten Digitalisierung und Globalisierung voran, immer größer wird der Fachkräftemangel. Immer weniger können wir uns vorstellen, wie schnell sich die Technologien weiterentwickeln werden und wie unsere Arbeit in Zukunft aussehen wird.
Immer klarer zeichnet sich ab, dass die Wirtschaftswelt sehr viel diverser sein wird, als sie es bisher war – und schon jetzt sehen wir, dass immer mehr Frauen Wirtschaft gestalten.
In den letzten Jahrzehnten wurden Meilensteine erreicht, die vieles verändert haben. So starten junge Frauen inzwischen an vielen Orten auf der Welt besser ausgebildet ins Berufsleben als junge Männer. Sehr viel häufiger als noch vor wenigen Jahren sind Frauen berufstätig, und sehr viel seltener verschwinden sie nach der Familiengründung zwangsläufig zwischen Küche und Kinderzimmer. Frauen unterzeichnen ihre Arbeitsverträge selbst, sie eröffnen Bankkonten, kümmern sich um ihr Vermögen und ernähren ihre Familien. Frauen, ob Mütter oder nicht, übernehmen privat und beruflich Verantwortung, sie gründen ihre eigenen Unternehmen und gehen in Führung. In den allermeisten Ländern der Welt haben Frauen das Wahlrecht, engagieren sich in der Politik, und nicht wenige von ihnen gehen sogar hauptberuflich Regierungsgeschäften nach – einige schon so lange und so erfolgreich, dass es höchste Zeit wird, unseren Kindern zu erklären, dass auch Jungs Bundeskanzlerin werden können.
Und auch in der Wirtschaft gibt es die ersten Transparenzpioniere und Diversitätsvorreiter, die keine Mühen scheuen, um weibliche Talente zu fördern, diverse Teams aufzustellen und die unternehmensinterne Lohnlücke zu schließen. Ganz gleich, ob Konzern, Mittelstand oder Start-up, sie alle zeigen: Wo ein Wille ist, findet sich auch ein Weg, ob mit oder ohne Gesetze. Doch dann gibt es da auch noch die anderen. Die Dinosaurier.
»Warum reichen ein Penis und Haare auf der Brust, um mehr Geld zu bekommen?«