image

Bernd Oswald

DIGITALER
JOURNALISMUS

Ein Handbuch für Recherche,
Produktion und Vermarktung

image

Digitaler Journalismus

Ein Handbuch für Recherche, Produktion und Vermarktung

1. Auflage

© 2019 Midas Management Verlag AG

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie, detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung der Texte und Bilder, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in Seminarunterlagen und elektronischen Systemen.

Midas Management Verlag AG, Dunantstrasse 3, CH 8044 Zürich

Inhalt

Danksagung

Vorwort

Grußwort von Prof. Markus Kaiser

1Berufsbild Journalist

2Recherchieren

2.1Themen finden

2.2Recherchefragen formulieren

2.3Recherche in sozialen Netzwerken

2.4Suchmaschinen effizient nutzen

2.5Digitale Detektivarbeit: überprüfen und verifizieren

2.6Datenjournalismus: Recherchetechnik des 21. Jahrhunderts

3Multimedial produzieren

3.1Konzeption

3.2Allzweckwaffe Smartphone

3.3Video-Dreh

3.4Video-Schnitt

3.5Live-Journalismus

3.6360-Grad-Videos

3.7Web-Reportagen: Wie man Geschichten multimedial erzählt

3.8Soziale Netzwerke: Storytelling mit Storys

4Vermarkten

4.1Wie man Aufmerksamkeit gewinnt: Geh dahin, wo die Nutzer sind

4.2Moderieren, kommunizieren, ansprechbar sein: Wie man eine Community aufbaut

Ausblick

Der Autor

Literatur- und Quellenverzeichnis

Stichwortverzeichnis

Danksagung

Dieses Buch wäre niemals möglich gewesen ohne die wertvollen Hinweise von Matthias Eberl, Markus Kaiser, Julia Köberlein, Roman Mischel, Michael Netsch, Marc Schürmann, Jan Tissler, Johanna Wild und Vanessa Wormer. Herzlichen Dank dafür!

Vorwort

Journalist ist ein Traumberuf. Nie zuvor gab es so viele Möglichkeiten, Geschichten zu erzählen. Mit neuen Werkzeugen. Auf neuen Kanälen. Mit diesen Chancen sind aber auch Gefahren verbunden. Zu viel zu wollen. Sich zu verzetteln. Ursache für beide Phänomene ist die Digitalisierung. Sie hat unseren Beruf technischer, transparenter und interaktiver gemacht. Der digitale Journalismus wird dabei immer weniger als eigenständige Disziplin gesehen, sondern zunehmend als Querschnittskompetenz, die sich durch alle Bereiche des journalistischen Arbeitens zieht: von der Recherche über die Produktion bis hin zum Vertrieb.

Mit dem Journalismus ändert sich auch die Journalistenausbildung, die dabei naturgemäß etwas hinterherhinkt. Als ich 1996 meine Redakteursausbildung an der Deutschen Journalistenschule begann, steckte das Internet noch in den Kinderschuhen. Der Online-Journalismus auch. Eine spezielle Online-Journalistenausbildung gab es noch gar nicht. Seit acht Jahren bin ich selbst als Trainer für digitalen Journalismus tätig, inzwischen sind mehrere hundert Seminartage zusammengekommen. An einigen bin ich gefragt worden, welche Lehrbücher für digitalen Journalismus ich empfehlen könne oder ob ich selbst etwas dazu geschrieben hätte. Der (deutschsprachige) Markt für Lehrbücher für digitalen Journalismus war und ist noch immer ziemlich überschaubar. Oft werden nur einzelne Aspekte betrachtet. Handbücher, die alle relevanten Aspekte nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch zusammenfassen, gibt es so gut wie gar nicht.

Deswegen habe ich mein Handbuch für digitalen Journalismus als praktischen Ratgeber konzipiert. Dieser wendet sich in erster Linie an Journalisten, die ihre digitalen Kompetenzen ausbauen wollen: Das können Berufsanfänger genauso sein wie erfahrene Journalisten, die bislang vor allem für die klassischen Medien Zeitung, Zeitschrift, Radio oder Fernsehen gearbeitet haben. Darüber hinaus fühlen sich möglicherweise auch Bürgerjournalisten, Blogger oder Kollegen aus der Öffentlichkeitsarbeit angesprochen.

Mein Buch ist in fünf Kapitel gegliedert.

Im ersten Kapitel reflektiere ich den fundamentalen Wandel, dem das journalistische Berufsbild unterworfen ist: Klassische Kompetenzen wie die Recherche bekommen neue digitale Komponenten, neue Kompetenzen wie Moderieren oder multimediales Produzieren kommen hinzu.

Im zweiten Kapitel zwei geht es um den Kern des journalistischen Handwerks: die Recherche, speziell die Online-Recherche.

Kapitel drei erklärt darauf aufbauend, wie man seine Rechercheergebnisse in geeignete digitale Formate gießt. Der Fokus liegt dabei auf audiovisuellen Formaten, speziell Video-Spielarten.

Das vierte Kapitel ist schließlich der Frage gewidmet, wie Journalisten ihr Werk heute vermarkten. Journalismus muss viel stärker als früher darum kämpfen, sein Publikum zu finden. Nicht nur auf den eigenen digitalen Kanälen, sondern auch in sozialen Netzwerken und Suchmaschinen. Außerdem müssen Journalisten den Austausch mit ihrem Publikum suchen: Die Frage, wie man sich eine Community aufbaut, wird ebenfalls im vierten Kapitel behandelt.

Kapitel fünf wagt schließlich einen kurzen Blick in die Zukunft und zählt einige (technische) Innovationen auf, die den Journalismus vermutlich beeinflussen werden.

Der digitale Journalismus ändert sich rasant, darum kann dieses Buch nur eine Bestandsaufnahme sein. Ich plane jedoch regelmäßige Aktualisierungen und nehme dafür gerne Ihre Anregungen auf, wie ich dieses Lehrbuch noch nützlicher gestalten kann.

München, im Februar 2019

Bernd Oswald

Grußwort von Prof. Markus Kaiser

Medien sind die Speerspitze der Digitalisierung. Kaum eine Branche wurde so radikal vom digitalen Wandel erwischt wie die Medien. Bisher schien das Riepl’sche Gesetz, dass kein neues Medium ein altes verdrängt, immer zu gelten. Das Radio hat die Zeitung nicht ersetzt, das Fernsehen nicht das Radio, das digitale Internet (bisher) nicht die analogen Medien. Wie die Medienwelt in den nächsten fünf, ja sogar nur zwei Jahren aussehen wird, darüber lässt sich zwar spekulieren, präzise und mit Sicherheit voraussagen lässt sich diese Entwicklung aber nicht. In jedem Fall greift die Digitalisierung tief in den journalistischen Produktionsprozess ein. Drei Trends im digitalen Journalismus stehen stellvertretend für diese Entwicklung:

1. Bewegtbild spielt eine zunehmend bedeutende Rolle. YouTube gilt nach Google als zweitgrößte Suchmaschine der Welt. Viele Nutzer ziehen kurze Videos längeren Texten vor. Emotionen und Bewegung lassen sich über ein Video eben besser transportieren, auch Erklärvideos sind voll im Trend. Der Bewegtbild-Boom hat dazu geführt, dass Journalisten mehr Videos produzieren. Dazu braucht man nicht mehr unbedingt große Fernseh- bzw. Videokameras. Häufig genügt dafür ein Smartphone mit Zusatzequipment wie einem Stativ und einem externen Mikrofon. Drohnen ermöglichen Aufnahmen aus bislang unbekannten Perspektiven, das Spektrum wird abgerundet durch 360-Grad-Kameras, von denen manche sogar live streamen können. Bernd Oswald befasst sich im dritten Kapitel seines „Handbuchs für digitalen Journalismus“ mit all diesen Video-Facetten.

2. Die Leser, Hörer, Zuschauer wollen heute nicht mehr in einer passiven Konsumentenhaltung verharren: Immer häufiger wollen sie mitreden, sich einbringen, manchmal auch Journalisten mit Hinweisen unterstützen. Besonders auf Social-Media-Kanälen wie Facebook, Instagram oder Snapchat können Rezipienten zu Informanten werden. Aber auch auf Blogs, Websites und sonstigen digitalen Produkten werden die User heute stärker eingebunden als im Analog-Zeitalter, in dem der Leserbrief in der Zeitung und die Ted-Abstimmung bei „Wetten dass …?“ fast die einzigen Möglichkeiten der Beteiligung waren. Der Journalist wird damit vom bloßen Sender immer mehr zum Kommunikationsmanager, der dem User auf Augenhöhe begegnet. Deshalb ist es wichtig zu wissen, wie man sich als Medienmarke eine Community aufbaut. Genau darum geht es im vierten Kapitel dieses Buches.

3. Der Wettlauf um die erste Nachricht, das erste Bild, das erste Video wird immer härter, weil professionelle Journalisten immer häufiger nicht nur im Wettstreit untereinander stehen, sondern auch mit Usern, die twittern oder gar auf Facebook live streamen. Um hier mithalten zu können, verschmilzt die Recherche zeitlich immer mehr mit der Produktion. Nicht erst in der Redaktion wird der Text geschrieben, das Video geschnitten oder das Foto bearbeitet, sondern immer häufiger direkt am Ort des Geschehens. Zum Mobile Reporting braucht der Journalist in der Regel nicht mehr als sein Smartphone. Wie man sich als Journalist qualitativ vom „normalen“ Smartphone-User abhebt, arbeitet Bernd Oswald in Kapitel 3 seines Lehrbuches sorgfältig heraus.

Bislang gibt es keinen allseits akzeptierten Kanon, wie eine digitaljournalistische Ausbildung an Akademien, Hochschulen und Universitäten bzw. in einem Volontariat aussehen soll. Zu schnell wandeln sich heute die Anforderungen an digitale Journalisten, das Berufsbild differenziert sich immer stärker aus: Das Spektrum reicht vom Nachrichtenredakteur über Social-Media-Betreuer, Videojournalisten, Suchmaschinenoptimierer, Fact Checker, Community-Manager, Datenjournalisten bis hin zum Dramaturgen für Multimedia-Storys, um nur einige Beispiele zu nennen, um die es auch in diesem Buch geht. Natürlich muss nicht jeder Journalist all das beherrschen, vor allem muss nicht jeder alles gleichzeitig machen. Aber jeder Journalist sollte wissen, welche Aufbereitung bei welchem Thema, in welcher Situation und für welchen Kanal am besten passt.

Nützliche Tipps und Ratschläge dafür finden alle fortbildungswilligen Journalisten in diesem Buch. Bernd Oswalds „Handbuch für digitalen Journalismus“ ist das erste deutschsprachige Lehrbuch, das die journalistischen Teilbereiche Recherche, Produktion und Publikation konsequent unter digitalen Vorzeichen beleuchtet: anschaulich, verständlich und praxisnah.

Viel Spaß und Erfolg bei der Lektüre!

Prof. Markus Kaiser

(Professor für Medieninnovationen und digitalen Journalismus an der Technischen Hochschule Nürnberg, Buchautor von „Innovation in den Medien“ und „Transforming Media“, Berater und Medienvernetzer)

Kapitel 1

Berufsbild Journalist

Revolution ist ein großes Wort, ein sehr großes sogar. Doch das, was seit einigen Jahren im Journalismus passiert, ist zweifellos eine Revolution. Die Digitalisierung pflügt das Berufsbild um und es ist noch immer nicht abzusehen, wie lange das noch dauern wird. Jahrzehntelang kontrollierten Journalisten den Informationsfluss: Wer wahrgenommen werden wollte, musste es in die Medien schaffen. Und wer das schaffte und wer nicht, darüber entschieden die Journalisten: Jahrzehntelang waren sie die Schleusenwärter, die Gatekeeper der Information. Mit dem, was sie für berichtenswert hielten, prägten die Massenmedien maßgeblich das Weltbild ihrer Leser, Hörer und Zuschauer, die nur wenige Informationsalternativen hatten. Wer es nicht in die Massenmedien schaffte, hatte so gut wie keine Chance, vom Publikum wahrgenommen zu werden.

Journalisten hatten damals eine doppelte Monopolstellung: zum einen beim Zugang zu Informationsquellen, zum anderen bei der Veröffentlichung dieser Informationen. Um Nachrichten unters Publikum bringen zu können, war eine teure technische Infrastruktur notwendig: im Printsektor Druckereien samt Vertrieb, bei Radio und Fernsehen Studios und Sendemasten. Jedes Medium für sich erreichte ein kleineres oder größeres Publikum, die Kommunikationswissenschaftler sprachen von einer one-to-many-Kommunikation. Wobei der Kommunikationsbegriff irreführend war: Die Massenmedien waren der Sender, das Publikum die Empfänger, eine Rückmeldung oder ein Dialog fand so gut wie nicht statt, schon gar nicht öffentlich sichtbar. Unter den Massenmedien gab es eine Reihe von Leitmedien: die Fernsehsender ARD und ZDF, die Magazine Der Spiegel sowie Stern und Tageszeitungen wie Bild, Süddeutsche Zeitung oder Frankfurter Allgemeine Zeitung.

Mit der Verbreitung des Internets, speziell des Social Web, haben sich die medialen Spielregeln grundlegend geändert. Heute kann jeder Mensch, der Zugang zum Netz hat, selbst publizieren: auf eigenen Websites, in Blogs, in sozialen Netzwerken oder in Communities – um nur die Spitze des Eisberges zu nennen. Mehrere Milliarden Menschen nutzen das Netz, um sich per Blogpost, Podcast, Bild, Video oder Mischformen daraus mitzuteilen. Aus dem Medienkonsumenten ist der „Prosument“ geworden, der nicht nur konsumiert, sondern selbst Inhalte produziert: user generated content.

Diese Inhaltsexplosion erschwert den klassischen Massenmedien den Kampf um die Aufmerksamkeit der Nutzer. Das Internet ist ein riesiger Kommunikationsraum, in dem die journalistischen Botschaften nur eine kleine Nische ausmachen. Es gibt Millionen anderer Gesprächsteilnehmer, private wie professionelle, mit ganz unterschiedlichen Motiven und Interessen. Sie alle verbreiten ihre eigenen Botschaften. Viele hinterfragen die Berichterstattung von Massenmedien, widersprechen ihr oder verfälschen sie sogar. Auf diese Art verlieren die Massenmedien einen Großteil ihrer Deutungshoheit. Insofern hat sich das Leitbild der Massenkommunikation radikal gewandelt: Die one-to-many-Kommunikation ist von einer many-to-many-Kommunikation abgelöst worden. Sowohl bei der Beschaffung als auch bei der Verbreitung von Information haben Journalisten ihr Monopol verloren. Sie sind ihre Rolle als Schleusenwärter oder Gatekeeper los, die den Informationsfluss der Gesellschaft steuern. Wenn man im Bild bleiben will, betreiben Journalisten im digitalen Zeitalter eher Gatewatching: Sie beobachten, was es an Gesprächen gibt, und greifen die interessantesten Themen in ihrer Berichterstattung auf.

Digitaler Journalismus – ein immerwährender Prozess

Einer der größten Unterschiede zwischen Online- und Offline-Journalismus ist die Produktionsweise. Zeitungen, Magazine, Radio- und Fernsehsendungen arbeiten alle nach dem Prinzip des Redaktionsschlusses: Bis zu einer bestimmten Uhrzeit muss ein Beitrag fertig sein, damit er gedruckt bzw. gesendet werden kann. So funktionieren linear aufgebaute Produkte. Das Internet kennt hingegen keinen Redaktionsschluss: Online is always. Ein in sich geschlossenes Produkt gibt es im digitalen Journalismus, speziell im tagesaktuellen, nicht mehr: Artikel werden mehrmals aktualisiert, Bildergalerien und Linksammlungen wachsen mit zunehmendem Kenntnisstand. Die Website, auf der diese Darstellungsformen ausgespielt werden, sieht alle fünf Minuten anders aus, sie ist ständig im Fluss. Darüber hinaus gibt es einen klaren Trend zu Live-Journalismus, sei es in Form von textbasierten Tickern oder als Videostream. Was früher den Fernsehsendern vorbehalten war, kann heute jedes Smartphone. Die Möglichkeit zur ständigen Aktualisierung bedeutet auch, dass es immer seltener Geschichten mit klar definiertem Ende gibt. War Journalismus früher ein Produkt, so ist er heute – vor allem online – immer mehr ein Prozess.

Recherche, Produktion und Vermarktung verschwimmen

Wenn sich die Rahmenbedingungen so radikal ändern, muss sich das auch auf den journalistischen Arbeitsablauf auswirken. Journalismus besteht im Wesentlichen aus Recherche, Produktion und Veröffentlichung – damals wie heute. Allerdings hat sich auch jede dieser drei Teildisziplinen stark verändert. Vor allem sind die Grenzen dazwischen verschwommen.

Recherche: Dadurch, dass heute jeder im Netz veröffentlichen kann, ist es zu einer Informationsexplosion gekommen. Natürlich ist nur ein Bruchteil davon journalistisch relevant, aber genau diese wenigen relevanten und spannenden Inhalte müssen Journalisten herausfiltern können. Damit ihnen das gelingt, müssen sie soziale Netzwerke im Auge haben und gut vernetzt sein. Und so manches spannende Thema entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als haltloses Gerücht, Falschinformation oder bewusste Lüge. Vor diesem Hintergrund ist das Überprüfen von Informationen noch wichtiger geworden.

Das gilt auch für (strukturierte) Daten: Statistiken und Studien sind allgegenwärtig, bei der Interpretation sind statistische Kenntnisse mehr denn je gefragt. Die brauchen Journalisten auch, wenn sie noch einen Schritt weiter gehen und für ihre Recherchen selbst Daten erheben und von einer Website auslesen. Datenjournalismus ist eine zentrale Recherchetechnik im 21. Jahrhundert.

Produktion: Digitaler Journalismus verfügt über nie da gewesene Produktionsmöglichkeiten. Er vereint die bisherigen Mediengattungen in sich und kann sich in Text und Bild (Zeitungen und Magazine), Ton (Radio) und Video (Fernsehen) ausprägen. Meist kombiniert er diese Formate sogar, oft so, dass eine ganz neue Form mit neuem Mehrwert für den Nutzer entsteht. Dem digitalen Journalisten stehen so viele multimediale Werkzeuge zur Verfügung wie nie zuvor, mit denen er ein intensiveres Nutzungserlebnis kreieren kann, das mehrere Sinne anspricht. Speziell audiovisuelle Inhalte wie Videos, O-Töne, Karten oder interaktive Grafiken spielen hier eine große Rolle. Natürlich beherrscht nicht jeder Journalist alle diese Werkzeuge und schon gar nicht gleich gut. Umso wichtiger ist die Fähigkeit, zu entscheiden, welches Thema in welcher Form wann auf welchem Kanal für wen produziert wird, und dann die jeweiligen Experten mit der Produktion zu beauftragen bzw. sich mit ihnen zusammenzutun. Mehr als je zuvor ist im digitalen Journalismus Teamwork gefragt.

Vermarktung: Die Frage „Wie erreiche ich heute mein Publikum bzw. meine Nutzer“ ist mit die schwierigste im digitalen Journalismus. Mediennutzung ist heute sehr komplex. Journalismus muss online mit unzähligen anderen Angeboten und Nutzerinteressen konkurrieren: Kommunikation, Spielen, Musik hören, Videos schauen, Fotos und Videos aufnehmen und bearbeiten, Einkaufen, Bankgeschäfte, Suchanfragen, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Journalismus kann immer weniger damit rechnen, dass seine Nutzer zu ihm kommen, er muss dahin gehen, wo die Nutzer sind: in die sozialen Netzwerke, in die Messenger, in die Suchmaschinen. Das funktioniert aber nicht, indem man für ein Thema einen Inhalt generiert und diesen in alle Kanäle ausspielt. Wer auf den genannten Kanälen Erfolg haben will, muss seine Formate entsprechend anpassen, was die Auswahl, Aufbereitung und Intonation des Themas betrifft. Ja, das ist aufwendig, braucht Ressourcen und muss natürlich auch finanziert werden.

Wer seine Nutzer in diesen Kanälen erreicht hat, muss damit rechnen, dass er auch ein Feedback auf seine Inhalte bekommt. Er sollte sogar froh darüber sein, denn das zeigt, dass sich die Nutzer mit den journalistischen Inhalten auseinandersetzen. Vielleicht nicht immer in Form von Lobeshymnen. Auch wenn es mal Kritik hagelt: Journalisten müssen lernen, damit umzugehen und Anregungen für ihre Arbeit daraus zu ziehen. Idealerweise institutionalisieren Journalisten bzw. Redaktionen diesen Nutzerdialog, indem sie eine Community aufbauen. Das ist die neue Form der Leser-Marken-Bindung. Für Journalisten kann sie zwei Vorteile bringen: zum einen Hinweise für oder sogar Mithilfe bei einer Recherche, zum anderen Reichweite, indem Community-Mitglieder Beiträge im Netz teilen.

Die drei Disziplinen Recherche, Produktion und Vermarktung bilden auch den Leitfaden für dieses Handbuch. In den folgenden Kapiteln gebe ich konkrete Tipps, wie man die neuen Anforderungen in der Praxis bewältigt.

Kapitel 2

Recherchieren

image

Eine gründliche Recherche ist das A und O im Journalismus. Das ist auch im Digitalzeitalter so. Im Internet tun sich ganz neue Möglichkeiten für die Recherche auf, die die Journalisten aber auch vor neue Herausforderungen stellen. Dieses Kapitel geht der Frage nach, welches Handwerkszeug Journalisten für die Recherche im Netz brauchen.

Journalisten haben in einer demokratischen Gesellschaft eine wichtige Rolle: Sie stellen Öffentlichkeit her und tragen zur Meinungsbildung bei. Das ist eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe. Um ihr gerecht zu werden, müssen Journalisten ihre Informationen sorgfältig recherchieren: sammeln, einordnen und überprüfen. Angesichts der enormen Quellenvielfalt im Netz ist diese Aufgabe unübersichtlichter und anspruchsvoller geworden. Auf der anderen Seite ist das Netz eine ausgezeichnete Fundgrube für neue Themen und Fortsetzungen von Dauerbrenner-Themen. Und viele Dokumente, die man für die Recherche benötigt, stehen online.

Im Wesentlichen besteht die Recherche aus vier Schritten:

1.Themen finden

2.Recherchefragen formulieren

3.Antworten auf diese Fragen suchen

4.Recherchematerial überprüfen

Schauen wir uns diese Schritte einmal genauer an.

2.1Themen finden

Die meisten Journalisten haben ein mehr oder weniger großes Spezialgebiet. Dafür müssen sie sich auf dem Laufenden halten. Es gibt viele klassische Möglichkeiten für Journalisten, um Themen zu finden. Hier nur ein paar Beispiele, ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

Gespräche mit Bürgern, Lesern, Kollegen

Veranstaltungen, speziell, wenn dort Fragen offen bleiben

Konkurrenzbeobachtung

Pressemitteilungen

Meldungen von Nachrichtenagenturen

Themenkalender mit geplanten Ereignissen und Jubiläen

All das hat auch weiter seine Berechtigung, zum Teil findet es auch online statt.

Aggregatoren und redaktionelle Angebote

Ein praktischer Weg, um auf dem Laufenden zu bleiben, sind Aggregatoren: Dienste bzw. Programme, die Informationen sammeln und kategorisieren. Das erfolgt meistens maschinell durch Algorithmen, manchmal mit der Möglichkeit, persönliche (Themen-)Präferenzen anzugeben.

Reine Aggregatoren

Rivva ist einer der bekanntesten Aggregatoren in Deutschland. Rivva filtert das Social Web nach meistempfohlenen Artikeln und debattierten Themen in den Kategorien Politik, Medien und Technologie, Wirtschaft, Kultur, Leben, Wissen, Recht und Video. Dabei zeigt der Dienst nur den Namen der Quelle und den Titel des Beitrags an. Wer darauf klickt, landet direkt beim Artikel. Gut geeignet, um einen schnellen Überblick zu bekommen, was im Netz los ist.

10.000 Flies analysiert, welche Artikel auf Facebook und Twitter am häufigsten geteilt wurden. Tendenziell tauchen mehr Boulevard-Themen in den Top 50 auf als bei Rivva. 10.000 Flies eignet sich gut, um zu sehen, worüber das deutsche Netz so spricht.

Nuzzel sammelt die Links, welche die Accounts, denen man auf Twitter folgt, in den letzten 1, 2, 4, 8 oder 24 Stunden am häufigsten geteilt haben. Man kann sich das entweder auf der Nuzzel-Seite anschauen oder sich jeden Tag zu einer gewünschten Uhrzeit als „News Digest“ per E-Mail schicken lassen. Auch eine Benachrichtigung via Facebook Messenger ist möglich. Nuzzel ist deutlich persönlicher und meist auch spezifischer als Rivva und 10.000 flies. Durch die Accounts, denen man folgt, kann man indirekt thematische Schwerpunkte setzen.

Das Karriere-Netzwerk Xing bietet mehr als 20 Branchen-Newsletter an: Wirtschaft&Management, Ingenieurwesen, Baugewerbe, Pharma&Medizintechnik, Transport&Logistik und Medien, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Jeden Morgen gegen 8 Uhr trudeln fünf, sechs Artikelempfehlungen in einer Mail ein. Darüber hinaus bietet Xing die Möglichkeit, Fachmedien, Themen-Seiten, Branchen-Insidern, Pressespiegeln oder sogenannten „Klartext“-Debatten zu folgen. Hier ist wirklich für jede Branche was dabei.

Personalisierbare Aggregatoren

Für einen schnellen Überblick, was in der Welt los ist, eignet sich Google News sehr gut. Hier bekommt man die aktuellsten Schlagzeilen, geordnet nach den Bereichen International, Deutschland, Wirtschaft, Wissen&Technik, Unterhaltung, Sport und Gesundheit. Darüber hinaus kann man eine Stadt angeben, um Nachrichten aus dieser Region angezeigt zu bekommen. Wer die Kategorie „Ihre Interessen“ ausfüllt, bekommt ebenfalls personalisierte Nachrichten. Man kann außerdem bevorzugte Quellen auswählen und unliebsame Quellen blockieren.

Flipboard ist eine der beliebtesten Apps, um sich sein ganz persönliches Magazin zusammenzustellen. Zum einen bietet Flipboard mehr als 20 Kanäle an: Von Politik über Unterhaltung, Auto, Wissenschaft bis hin zu Startups und Promi ist alles dabei. Man kann diesen Kanälen folgen und erhält dann jederzeit aktuelle Meldungen aus diesen Bereichen. Zum anderen bietet Flipboard die Möglichkeit, die gängigsten sozialen Netzwerke zu verknüpfen. Das wiederum erlaubt es, Personen aus diesen Networks zu folgen, sofern sie ebenfalls auf Flipboard sind. Im Endeffekt entsteht für jede Quelle, der man folgt, eine Kachel. Wenn man darauf tippt, kann man wunderbar durch alle News dieser Quelle blättern und sie auch direkt von dort aus teilen: entweder in die sozialen Netzwerke oder in ein eigenes Flipboard-Magazin, dem wiederum andere Nutzer folgen können. In der App macht das am meisten Spaß, es gibt inzwischen aber auch eine Desktop-Version.

Medium bietet ähnlich wie Flipboard verschiedene Kanäle an, denen man folgen kann. Wenn man seine Twitter- und Facebook-Accounts verknüpft, ermittelt Medium, wer von den Personen, denen man auf diesen Netzwerken folgt, ebenfalls auf Medium ist. Dann kann man sich auch dort vernetzen, denn Medium ist vor allem eine Blogplattform, auf der viele Influencer veröffentlichen. Der Vorteil: Man hat hier von vornherein eine größere Reichweite als bei einem eigenen Blog, für den man sich ein Publikum erst einmal erarbeiten muss. Ähnlich wie bei Nuzzel bekommt man täglich eine „Daily Digest“ genannte Mail mit einem Best-Of-Medium: Empfehlungen aus dem eigenen Netzwerk, Empfehlungen der Medium-Redaktion und wichtige Storys aus den Kanälen, denen man folgt.

Beim Nachrichten-Aggregator Newstral lautet das Motto „Vergleichen, was die Presse schreibt“. Mit Presse sind die größten und bekanntesten deutschen Medien und Blogs gemeint. Praktisch sind die Filtermöglichkeiten nach Region, Personen oder Themen (Technik, Wirtschaft, Sport, Auto, Kunst). Außerdem kann man gezielt nach Artikeln, Quellen, Personen, Orten und Organisationen suchen.

RSS-Reader

Wer seinen Nachrichtenfluss komplett personalisieren will, sollte mit RSS-Feeds arbeiten. Ein RSS-Feed funktioniert wie eine Push-Nachricht: Immer wenn es auf einer Website einen neuen Beitrag gibt, wird er den Abonnenten des Feeds automatisch angezeigt. Wer RSS-Feeds nutzt, braucht nicht mehr verschiedene Seiten anzusurfen, um zu sehen, ob es etwas Neues gibt. Die Geschichten kommen automatisch zum Leser.

RSS-Feeds lassen sich auf drei Arten abonnieren: in einem Browser als „dynamische Lesezeichen“, in einem E-Mail-Programm oder aber in einem speziellen RSS-Reader. Bei den RSS-Readern unterscheidet man wiederum zwischen lokal installierten Programmen und webbasierten RSS-Readern. Letztere, wie zum Beispiel Inoreader oder Feedly, sind am praktischsten, weil man sie von jedem mit dem Netz verbundenen Rechner aus nutzen kann. Einige RSS-Reader bieten auch die Möglichkeit, Feeds in thematischen Ordnern zu sortieren. Auch eine Suchfunktion ist meistens an Bord, erweiterte Suchen sind oft ein Premium-Feature.

Das Nonplusultra in Sachen Personalisierbarkeit sind Dashboards wie Netvibes. Mit dem Dienst aus Frankreich können Nutzer eine ganz persönliche Startseite bauen. Die Auswahl an Quellen ist riesig: Netvibes bietet Tausende Apps aus Kategorien wie Nachrichten, Wirtschaft, Sport, Technologie, Lifestyle oder Musik an. Auch alle gängigen sozialen Netzwerke kann man verknüpfen, RSS-Feeds sowieso.

Welche Kombination von automatischen und personalisierbaren Aggregatoren am besten ist, muss jeder selbst herausfinden. Mit den oben genannten Tools und Techniken entsteht aber schnell ein dichtes Bild der Themen, die die eigene Branche bzw. das eigene Netzwerk umtreiben.

Redaktionell betreute Newsletter

Nicht jeder will sich allein auf automatische Linkempfehlungen verlassen. Gerade Journalisten geben viel auf das Urteil ihrer Kollegen. Und viele Journalisten versuchen sich einen Namen zu machen, indem sie gute Links sammeln und als Newsletter anbieten. Newsletter sind fast so alt wie das Netz und haben immer ihre Ups and Downs gehabt, seit etwa 2014 erfreuen sie sich wieder größerer Beliebtheit. Das liegt daran, dass viele Journalisten, aber auch Unternehmen mehr Mühe darauf verwenden, nützliche und/oder unterhaltsame Newsletter zu erstellen.

Wer einen allgemeinen Nachrichtenüberblick will, ist bei der Krautreporter Morgenpost gut aufgehoben. Jeweils ein Autor destilliert aus der Flut des Netzes die drei Themen des Tages. Der Clou an der Morgenpost: Der Autor fasst die Ereignisse in eigenen Worten zusammen, stellt sie in den Kontext und spannt einen Bogen zu verschiedenen Aspekten des Themas. Die einzelnen Aspekte werden mit der Quelle verlinkt. Neben den Hintergründen zu den Nachrichten gibt es noch ein buntes „Fundstück des Tages“ und ein bisschen Eigenwerbung: „Neu bei Krautreporter“.

Ebenfalls einen Nachrichtenüberblick gibt die Süddeutsche Zeitung, die morgens und abends ihren „Espresso“ genannten Newsletter verschickt. Der Fokus des von wechselnden Newsdesk-Mitarbeitern erstellten Newsletters liegt naturgemäß auf Links zur eigenen Website. Dennoch ist der Newsletter ein nützliches Tool, um einen kompakten Nachrichtenüberblick zu bekommen. Die Morgen-Version gibt nicht nur einen Überblick, was wichtig ist, sondern auch, was wichtig wird. Zur Auflockerung wird unter dem Namen „Frühstücksflocke“ noch eine unterhaltsame Geschichte beigemischt. Die Abend-Version fasst die wichtigsten Artikel des Tages zusammen, empfiehlt eine kostenpflichtige SZ-Plus-Geschichte und verlinkt die drei am häufigsten empfohlenen Artikel des Tages.

Natürlich gibt es auch jede Menge Newsletter mit engerem thematischen Fokus. Durch hohe Fachexpertise zeichnet sich das Social Media Watchblog von Martin Fehrensen und Kollegen aus. In dem mehrmals wöchentlich erscheinenden Briefing präsentiert das Team die besten Links zu allen relevanten Entwicklungen im Kosmos von Facebook, Instagram, Snapchat, Twitter, YouTube und Co. Dabei ordnet das Social Media Watchblog die Links stärker als andere Newsletter in einen größeren Zusammenhang ein.

Kuratieren und Navigieren

Newsletter wie die Krautreporter-Morgenpost oder der Social-Media-Watchblog mit handverlesenen Linkempfehlungen zählen zu einer neuen Nische im Journalismus, dem sogenannten Kuratieren. Darum wechsle ich für diesen Exkurs die Perspektive vom Konsumenten zum Produzenten. Die Rolle des Kurators erweitert das journalistische Berufsbild, auch wenn kaum jemand hauptberuflich als Kurator tätig ist. Gerade im digitalen Journalismus ist das Kuratieren aber eine gefragte Facette.

Beim journalistischen Kuratieren geht es nicht nur darum, Texte zu empfehlen, sondern sie auch in einen Kontext zu setzen und zu erklären, warum der empfohlene Text wichtig bzw. lesenswert ist. Kurz gesagt: Beim Kuratieren ist der Kontext König.

Kuratieren nimmt Bezug auf den Kurator eines Museums, der die Exponate einer Ausstellung nicht nur auswählt, sondern auch über ihre Anordnung und Präsentation entscheidet. Beide Begriffe gehen auf das lateinische Verb curare zurück: sorgen, sich kümmern.

Insofern ist Kuratieren mehr als Teilen. Das Teilen dreht sich in der Regel um einzelne Links, die oft auch ohne eigenen Kommentar geteilt werden. Die meisten Medien teilen auf ihren Social-Media-Kanälen fast ausschließlich Links zur eigenen Website. Hier verkommt das Teilen zur Eigenwerbung. Dagegen geht es beim Kuratieren darum, mehrere Sichtweisen und Aspekte eines Themas in einer eigenen Geschichte zusammenzufassen und einzuordnen. Kuratierende Journalisten sammeln also verschiedene Stimmen; die eigene bzw. die des eigenen Hauses ist – wenn überhaupt – nur eine davon.

Wie unterscheidet sich das Berichten vom Kuratieren? Reporter und Autoren recherchieren, sprechen mit Leuten, besuchen den Schauplatz des Geschehens. Sie verarbeiten in ihren Texten und Beiträgen also Primärquellen. In der Regel erheben Autoren mit ihren Texten, vor allem mit Kommentaren und Analysen, einen Deutungsanspruch. Beim Kuratieren ist die Schöpfungshöhe etwas niedriger, denn hier ist der Journalist nicht mehr Autor, sondern eben Kurator. Wenn man so will, ist das Teilen die einfachste Aufgabe, das Kuratieren steht eine Stufe darüber und wird seinerseits von komplett selbst recherchierten Stücken getoppt.

Warum kuratieren?

Natürlich ist das Kuratieren als Tätigkeit nicht komplett neu, nur der Begriff ist vergleichsweise jung, zumindest im journalistischen Kontext. Im Informationszeitalter mit einer immer unübersichtlicheren Zahl an Quellen sind kuratierende Journalisten wichtig. Sie sind sozusagen die Trüffelschweine, die den guten Inhalt im Netz zusammenklauben und moderiert bzw. kommentiert zu einem neuen Paket schnüren. Ich stelle Ihnen drei prominente Beispiele vor:

Bildblog: 6 vor 9

Jeden Morgen um 8.54, also um sechs vor neun, veröffentlicht das Bildblog sechs medienkritische Links. Die Links folgen dem Schema „Überschrift, Quelle, Autor“, bevor die Bildblog-Kuratoren einige Zeilen Anmoderation und Einordnung schreiben. „6 vor 9“ ist zu einer Marke innerhalb der Marke Bildblog geworden und sozusagen der Nestor unter den Kurationsdiensten.

Piqd: Die Rosinenpicker

Im November 2015 ist piqd.de an den Start gegangen, anfangs mit 13, mittlerweile sogar mit 20 Kanälen von „Medien und Gesellschaft“ (Disclaimer: für diesen piqd-Kanal bin ich selbst tätig) über „Feminismen“, „Klima und Wandel“ bis hin zu „Zukunft und Arbeit“. In jedem Kanal empfehlen zwischen fünf und zehn „Piqer“ genannte Experten Texte, die zum Nach- und Weiterdenken anregen: keine reinen Nachrichten, sondern bevorzugt Analysen, Essays, Hintergrundberichte, auch mal Interviews. Texte, die etwas Nachhall haben. Die Piqer picken also die ihrer Ansicht nach besten Texte heraus, was ihnen das Attribut „Rosinenpicker“ eingebracht hat. Die Piqer wählen eine eigene Überschrift und schreiben je nach Gusto eine Anmoderation, die mal kürzer, mal länger ausfällt. Sie soll aber keine reine Inhaltsangabe sein, sondern dem Leser klarmachen, warum es sich lohnt, den empfohlenen Text zu lesen. Manche Textempfehlung liest sich wie eine Rezension. Auf dem Kuratiermarkt sind die Anmoderationen von piqd die ausführlichsten. Damit bei der Fülle der Kanäle kein undurchsichtiger Dschungel entsteht, darf jeder Piqer nur einen Link pro Tag posten. Die Redaktion besteht im Wesentlichen aus Journalisten, die fürs Piqen eine monatliche Pauschale bekommen.

Wie funktioniert Kuratieren?

Ein guter Kurator ist zuvorderst ein Experte auf seinem Gebiet, zum anderen sollte er sehr gut vernetzt sein, damit ihm keines der wichtigen Themen durch die Lappen geht. Zu Beginn dieses Kapitels habe ich zahlreiche Tools für professionelles Informationsmanagement vorgestellt.

Bevor sie mit dem Kuratieren beginnen, sollten Journalisten klar den Rahmen abstecken und sich auf einen speziellen, aber dennoch relevanten Aspekt beschränken. Auch ein klares Zeitfenster, z. B. das Geschehen eines Tages, kann helfen. Wenn es zu unübersichtlich zu werden droht, ist es besser, eine neue Geschichte zu starten. Bei der Quellenauswahl kann es sinnvoller sein, sich speziell auf Tweets oder nur auf Videos zu einem Thema zu beschränken. Für Live-Berichterstattung, bei der die Dimension eines Ereignisses noch nicht absehbar ist, eignen sich Twitter oder ein Live-Blog vermutlich besser.

Das Kuratieren funktioniert in fünf Schritten:

1.Der Journalist erkennt, dass es zu einem Thema eine interessante Diskussion oder Entwicklung gibt, und entscheidet sich, das zu dokumentieren.

2.Der Journalist wählt die interessantes Fundstücke dazu aus. Das können Artikel, Blogbeiträge, Posts aus sozialen Netzwerken, Fotos oder Videos sein.

3.Er bringt diese Fundstücke in eine logische Reihenfolge.

4.Er stellt einen Zusammenhang her, erläutert mit eigenen Worten, warum der einzelne Beitrag wichtig ist, und ergänzt per Text Hintergrundinformationen, die zum Verständnis notwendig sind.

5.Er veröffentlicht die kuratierte Geschichte: als Artikel, in sozialen Netzwerken oder per Newsletter.

Auf diese Weise ist die fertige Auswahl mehr als die Summe der einzelnen Teile, durch die Auswahl und Einordnung entsteht für den Leser, der sich diese Mühe nun sparen kann, ein Mehrwert.

Tools fürs Kuratieren

Natürlich kann man auf jeder Website Links sammeln und kommentieren, dazu sind keine speziellen Tools nötig. Schicker und authentischer wird es aber, wenn man mit Embeds statt mit Links arbeitet.

Hier noch eine Auswahl anderer Tools, die fürs Kuratieren geeignet sind:

Scoop.It

Pinterest (speziell für Fotos)

Tumblr

Flipboard, dort die Magazin-Funktion

Tweetdeck, hier das Collection-Feature

Twitter Moments

2.2Recherchefragen formulieren

sieben W-Fragen