(und deine Kinder werden froh sein, wenn du es gelesen hast)
Aus dem Englischen
von
Karin Schuler
Ullstein
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www.ullstein.de
Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel The Book You Wish Your Parents Had Read (and Your Children Will be Glad That You Did) bei Penguin Life, einem Imprint von Penguin Random House, London
© 2019 Philippa Perry
Erweiterte Ausgabe im Ullstein Taschenbuch
1. Auflage Oktober 2021
© der deutschen Ausgabe: Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2020
Alle Rechte vorbehalten.
Aus Gründen der Lesbarkeit wurde im Text die männliche Form gewählt, nichtsdestoweniger beziehen sich die Angaben auf Angehörige beider Geschlechter.
Lektorat: Aylin LaMorey-Salzmann
Umschlaggestaltung: zero-media.net, München, nach dem Originalcover bei Penguin Life
Autorinnenfoto: © Justine Stoddart
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ISBN 978-3-8437-2256-8
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Dieses Buch ist in Liebe meiner Schwester Belinda gewidmet.
Dies ist kein Erziehungsbuch im engeren Sinn.
Es geht hier nicht ums Töpfchen-Training oder ums Abstillen, sondern vielmehr um die Beziehungen zu unseren Kindern und um die Frage, was einer guten Verbindung im Weg stehen und was sie verbessern kann.
Es geht darum, wie wir selbst erzogen wurden und welchen Einfluss das auf unsere Elternschaft hat, darum, welche Fehler wir machen werden – vor allem solche, die wir nie machen wollten – und was wir dagegen tun können.
Sie werden in diesem Buch nicht allzu viele Kniffe und Tricks in Sachen Erziehung finden, und es wird Sie vielleicht manchmal ärgern, Sie wütend machen – oder Ihnen helfen, zu einem besseren Elternteil zu werden.
Ich habe das Buch geschrieben, das ich gern als junge Mutter gelesen hätte, und ich wünschte wirklich, meine Eltern hätten es gelesen.
Ich habe kürzlich eine Stand-up-Show des Komikers Michael McIntyre gesehen, in der er sagte, dass wir mit unseren Kindern vier Dinge tun müssen: sie anziehen, füttern, waschen und ins Bett bringen. Bevor er seine Kinder bekam, bestand Elternsein in seinen Augen vor allem darin, über Wiesen zu laufen und Picknicks zu veranstalten; tatsächlich aber war jeder Tag ein ständiger Kampf um diese vier grundlegenden Dinge. Das Publikum lachte laut, als er beschrieb, wie er seine Kinder überredete, sich die Haare zu waschen, einen Mantel anzuziehen, nach draußen zu gehen oder Gemüse zu essen. Es war das Lachen der Eltern, vielleicht Eltern wie wir, die das alles auch mitgemacht hatten. Elternschaft1 kann harte Arbeit sein. Es kann langweilig, entmutigend, frustrierend und anstrengend sein und gleichzeitig das Lustigste, Schönste, Liebevollste und Wunderbarste, das Sie je erleben werden.
Wenn Sie in den Details von Windeln, Kinderkrankheiten und Wutanfällen Ihres Kleinkinds oder Teenagers versinken oder den ganzen Tag arbeiten und dann zu Ihrer wahren Arbeit nach Hause kommen, zu der auch das Herauskratzen von Bananenbrei aus Ritzen im Hochstuhl gehört oder wieder einmal ein Brief des Schulleiters, der Sie dringend zu sich bestellt, kann es schwierig sein, Ihr Elternsein in einem größeren Ganzen zu sehen. In diesem Buch geht es darum, Ihnen dieses große Ganze zu vermitteln, Ihnen zu helfen, ein paar Schritte zurückzutreten, zu erkennen, was wirklich wichtig ist und was Sie tun können, damit Ihr Kind die Person sein kann, die es wirklich ist.
Das Wichtigste am Elternsein ist die Beziehung zwischen Ihnen und Ihrem Kind. Wenn man sich Menschen als Pflanzen vorstellt, wäre diese Beziehung der Boden, in dem sie wurzeln. Sie unterstützt, nährt, erlaubt Wachstum – oder hemmt es. Ohne eine Beziehung, auf die es sich verlassen kann, ist das Sicherheitsgefühl eines Kindes beeinträchtigt. Ihr Ziel soll es sein, dass diese Beziehung eine Kraftquelle für Ihr Kind ist – und eines Tages auch für dessen Kinder.
Als Psychotherapeutin habe ich Menschen zugehört, die mit verschiedenen Aspekten der Erziehung zu kämpfen hatten, und mit ihnen darüber gesprochen. Ich konnte im Zuge meiner Arbeit beobachten, wie Beziehungen dysfunktional werden – und was sie wieder gut funktionieren lässt. In diesem Buch möchte ich meine wesentlichen Erkenntnisse in Bezug auf Elternschaft und Erziehung mit Ihnen teilen. Dazu gehört auch, wie man mit Gefühlen – Ihren und denen Ihrer Kinder – umgeht, wie man sich auf seine Kinder einstellt, damit man sie besser verstehen kann, und wie man eine echte Verbindung zu ihnen aufbaut, statt in anstrengenden Konfliktmustern oder lastendem Schweigen stecken zu bleiben.
Ich betrachte Elternschaft als etwas Langfristiges und halte nicht viel von kleinen Tricks und Kniffen. Mich interessiert, wie wir eine Beziehung zu unseren Kindern aufbauen können, nicht, wie wir sie am besten manipulieren. In diesem Buch möchte ich Sie ermutigen, Ihre eigenen Kindheitserfahrungen zu betrachten, damit Sie das Gute, das Ihnen in der eigenen Erziehung zuteilgeworden ist, weitergeben und die weniger hilfreichen Aspekte eindämmen können. Ich werde mir ansehen, wie wir alle unsere Beziehungen immer weiter verbessern können, damit unsere Kinder inmitten dieser Beziehungen aufwachsen. Also werde ich darüber berichten, wie unsere Einstellungen in der Schwangerschaft womöglich unsere zukünftige Beziehung zu unserem Kind beeinflussen und wie wir mit einem Baby, einem Kind, einem Jugendlichen oder einem erwachsenen Kind eine Beziehung pflegen können, die eine Quelle der Kraft für sie und der Zufriedenheit für uns ist. Und wie wir ganz nebenbei viel weniger kämpfen müssen, wenn es darum geht, sie anzuziehen, zu füttern, zu waschen und ins Bett zu bringen.
Dieses Buch ist für Eltern, die ihre Kinder nicht nur lieben, sondern auch mögen wollen.
Es ist etwas Wahres daran: Kinder tun nicht, was wir sagen; sie tun, was wir tun. Bevor wir uns überhaupt mit dem Verhalten unserer Kinder beschäftigen, ist es sinnvoll – ja, im Grunde unerlässlich –, sich ihre ersten Vorbilder anzusehen. Und eines davon sind Sie.
In diesem Abschnitt dreht sich alles um Sie, denn Sie werden einen großen Einfluss auf Ihr Kind haben. Ich werde an Beispielen erläutern, wie die Vergangenheit die Gegenwart beeinflussen kann, wenn es um Ihre Beziehung zu Ihrem Kind geht. Ich werde darüber sprechen, dass ein Kind oft längst vergessene Gefühle in uns weckt, auf die wir dann im Umgang mit ihm reagieren, obwohl sie im Grunde nicht mit dem Kind zu tun haben. Ich werde darauf eingehen, wie wichtig es ist, dass wir uns mit unserer eigenen inneren Kritikerin oder unserem eigenen inneren Kritiker auseinandersetzen, damit wir nicht zu viel schädliche Auswirkungen an die nächste Generation weitergeben.
Ein Kind braucht Wärme und Akzeptanz, körperliche Berührung, Ihre Anwesenheit, Liebe und dazu Grenzen, Verständnis, Spiele mit Menschen jeden Alters, beruhigende Erfahrungen und viel Aufmerksamkeit und Zeit. Okay, so einfach ist das: An dieser Stelle können Sie das Buch zuklappen. Aber es kommt immer etwas dazwischen. Das Leben kann Ihnen im Weg stehen: schwierige Situationen, Kinderbetreuung, Geld, Schule, Arbeit, Zeitmangel, andere dringende Erledigungen … und das ist keine vollständige Liste, das ist Ihnen klar.
Mehr als alles andere aber kann uns das im Weg stehen, was wir selbst als Babys und Kinder mitbekommen haben. Wenn wir uns nicht bewusst werden, wie wir erzogen wurden und welches Erbe auf uns lastet, kann dieses Erbe auf uns zurückfallen. Vielleicht haben Sie sich schon dabei ertappt, dass Sie so etwas sagten wie: »Ich machte den Mund auf, und heraus kamen die Worte meiner Mutter.« Das ist natürlich schön, wenn es Worte waren, die Ihnen als Kind das Gefühl gaben, gewollt, geliebt und sicher zu sein. Aber oft sind es gerade die Worte, die das Gegenteil bewirkten.
Unser eigener Mangel an Vertrauen, unser Pessimismus, unser Selbstschutz, der unsere Gefühle blockiert, und unsere Angst, von Gefühlen überwältigt zu werden – all das kann uns im Weg stehen. Oder wenn es speziell um die Beziehung zu unseren Kindern geht, könnte es das sein, was uns an ihnen ärgert, unsere Erwartungen an sie oder unsere Ängste um sie. Wir sind nur ein Glied in einer Kette, die sich durch die Jahrtausende zieht.
Die gute Nachricht ist, dass Sie lernen können, Ihr Kettenglied umzugestalten. So können Sie das Leben Ihrer Kinder und Enkel verbessern, und Sie können jetzt damit anfangen. Sie müssen nicht alles tun, was man mit Ihnen gemacht hat; Sie können alles, was nicht förderlich war, weglassen. Wenn Sie Eltern sind oder werden, können Sie Ihre Kindheit hervorkramen und sich mit ihr vertraut machen, Ihre früheren Wahrnehmungen und Erfahrungen erforschen, nachspüren, wie Sie sich damals damit gefühlt haben, wie Sie sich jetzt damit fühlen. Nachdem Sie das alles hervorgeholt und genau betrachtet haben, behalten Sie nur das, was Sie brauchen können.
Wenn Sie in Ihrer Jugend als einzigartiges und wertvolles Individuum respektiert und bedingungslos geliebt wurden, genügend positive Aufmerksamkeit erhielten und bereichernde Beziehungen zu den anderen Mitgliedern Ihrer Familie pflegten, verfügen Sie jetzt über einen Entwurf für den Aufbau positiver, funktionaler Beziehungen. Außerdem wissen Sie, dass Sie einen positiven Beitrag zu Ihrer Familie und Ihrer Gemeinschaft leisten können. Wenn all dies auf Sie zutrifft, wird die Übung, Ihre Kindheit zu untersuchen, wahrscheinlich nicht allzu schmerzhaft sein.
Wenn Sie keine solche Kindheit hatten – und das ist bei vielen von uns der Fall –, kann ein Rückblick emotional schmerzlich sein. Ich denke, wir müssen uns diesem Unbehagen stellen, um uns darüber klar zu werden, wie wir möglichst wenig davon weitergeben. So viel von dem, was wir geerbt haben, liegt knapp außerhalb unseres Bewusstseins. Deshalb wissen wir manchmal nicht genau, ob wir im Hier und Jetzt auf das Verhalten unseres Kindes reagieren oder ob unsere Antworten vielmehr in unserer Vergangenheit wurzeln.
Ich denke, die folgende Geschichte veranschaulicht gut, was ich damit meine. Tay hat sie mir erzählt, eine liebevolle Mutter und erfahrene Psychotherapeutin, die andere Psychotherapeuten ausbildet. Ich erwähne ihre beiden Rollen, um deutlich zu machen, dass auch diejenigen, die es besser wissen müssten, in eine emotionale Zeitschleife geraten können, sodass sie auf ihre Vergangenheit reagieren und nicht auf das, was in der Gegenwart geschieht. Diese Geschichte beginnt damit, dass Tays Tochter Emily, knapp sieben Jahre alt, sie um Hilfe rief, weil sie auf einem Klettergerüst festsaß.
Ich sagte ihr, sie solle da runterkommen, und als sie antwortete, sie schaffe es nicht hinunter, wurde ich plötzlich wütend. Ich fand das lächerlich – sie konnte leicht selbst hinabklettern. Also brüllte ich: »Komm sofort runter!«
Schließlich tat sie es. Dann versuchte sie meine Hand zu halten, aber ich war immer noch wütend und sagte Nein, und dann weinte sie.
Als wir nach Hause kamen und zusammen Tee machten, beruhigte sie sich, und ich schrieb die ganze Sache für mich als »Gott, Kinder können nun mal nervig sein« ab.
Eine Woche später: Wir sind im Zoo, und da steht wieder ein Klettergerüst. Als ich es sah, durchzuckte mich ein Schuldgefühl. Auch Emily erinnerte es offensichtlich an die Woche vorher, denn sie schaute mich fast ängstlich an.
Ich fragte sie, ob sie hinaufklettern wolle. Diesmal saß ich nicht auf einer Bank und sah auf mein Telefon, sondern stand am Gerüst und beobachtete sie. Als sie spürte, dass sie stecken geblieben war, streckte sie mir hilfesuchend die Arme entgegen. Aber diesmal versuchte ich ihr Mut zu machen. Ich sagte: »Setz einen Fuß dorthin und den anderen dorthin und halt dich da fest, und so schaffst du es selbst.« Und das tat sie.
Als sie unten angekommen war, fragte sie: »Warum hast du mir beim letzten Mal nicht geholfen?«
Ich dachte darüber nach und antwortete schließlich: »Als ich klein war, behandelte mich Nana wie eine Prinzessin, trug mich überallhin und sagte mir die ganze Zeit, ich solle ›vorsichtig‹ sein. Das gab mir das Gefühl, nichts allein zu können, und deshalb hatte ich kein Selbstvertrauen. Ich will nicht, dass dir das passiert, und deshalb wollte ich dir nicht helfen, als du letzte Woche vom Klettergerüst gehoben werden wolltest. Und es erinnerte mich daran, wie das war, als ich so alt war wie du jetzt und nicht allein runterklettern durfte. Ich bekam eine solche Wut, und die habe ich an dir ausgelassen – das war nicht fair.«
Emily sah zu mir hoch und sagte: »Ich dachte, ich bin dir egal.«
»Oh nein«, sagte ich. »Du bist mir wichtig, aber in diesem Moment habe ich nicht gemerkt, dass ich wütend auf Nana und nicht auf dich war. Und das tut mir leid.«
Wie Tays Beispiel zeigt, reagieren wir leicht vorschnell, ohne zu berücksichtigen, dass die Reaktion genauso viel mit unserer eigenen Vorgeschichte zu tun haben kann wie mit dem, was im Jetzt passiert.
Wenn Sie also Wut – oder andere schwierige Emotionen wie Ärger, Enttäuschung, Neid, Ekel, Panik, Gereiztheit, Angst und so weiter – als Reaktion auf etwas fühlen, das Ihr Kind getan oder verlangt hat, ist es ratsam, dies als Warnung zu betrachten. Und zwar nicht als Warnung, dass Ihr Kind oder Ihre Kinder unbedingt etwas falsch machen, sondern dass eine bestimmte Situation aus Ihrer eigenen Vergangenheit diese Empfindungen auslöst.
Oft funktioniert das so: Sie reagieren mit Wut oder einer anderen übermäßig aufgeladenen Emotion auf Ihr Kind, weil Sie gelernt haben, sich so vor dem Gefühl zu schützen, das Sie selbst in dessen Alter hatten. Ohne dass es Ihnen bewusst wird, droht das Verhalten Ihres Kindes erneut frühere Gefühle der Verzweiflung, Sehnsucht, Einsamkeit, Eifersucht oder Bedürftigkeit bei Ihnen auszulösen. Und so nehmen Sie unwillkürlich Zuflucht bei der einfacheren Option: Anstatt sich in das einzufühlen, was Ihr Kind fühlt, kommt es zum Kurzschluss, und Sie reagieren wütend, enttäuscht oder panisch.
Manchmal reichen die Gefühle aus der Vergangenheit, die neu ausgelöst werden, mehr als eine Generation zurück. Meine Mutter ärgerte sich immer über das Geschrei spielender Kinder. Ich bemerkte, dass auch ich in eine Art Alarmzustand geriet, wenn meine Tochter und ihre Freundinnen laut waren, auch wenn sie einfach nur spielten. Ich wollte der Sache auf den Grund gehen, also fragte ich meine Mutter, was passiert wäre, wenn sie als Kind Lärm gemacht hätte. Sie erzählte mir, dass ihr Vater – mein Großvater – bei ihrer Geburt über fünfzig Jahre alt war. Weil er oft starke Kopfschmerzen hatte, mussten alle Kinder auf Zehenspitzen durch das Haus schleichen, wenn sie keinen Ärger bekommen wollten.
Vielleicht haben Sie manchmal Angst zuzugeben, dass gerade der Ärger über Ihr Kind die Oberhand gewinnt, weil Sie glauben, dass Sie diese wütenden Gefühle dadurch noch verstärken oder irgendwie realer machen. Tatsächlich aber führen das Benennen unserer unangenehmen Gefühle und das Erarbeiten eines alternativen Narrativs – eines, in dem wir unsere Kinder nicht verantwortlich machen – dazu, dass wir den Kindern nicht mehr die Schuld zuschieben. Obwohl sie diese Gefühle ausgelöst haben. Wenn Ihnen das gelingt, ist die Gefahr geringer, dass Sie auf Kosten Ihres Kindes auf das negative Gefühl reagieren. Nicht immer werden Sie eine Geschichte aufspüren können, die erklärt, warum Sie sich so fühlen, aber das bedeutet nicht, dass es keine gibt, und es kann hilfreich sein, daran zu arbeiten.
Vielleicht hatten Sie als Kind das Gefühl, dass Ihre Bezugspersonen Sie zwar liebten, Sie aber nicht immer mochten. Womöglich hat man Sie manchmal als lästig, mühsam, enttäuschend, unwichtig, ärgerlich, peinlich, ungeschickt oder dumm wahrgenommen. Wenn Sie durch das Verhalten Ihres eigenen Kindes daran erinnert werden, löst das etwas in Ihnen aus, und Sie fangen an zu brüllen oder ein anderes gängiges negatives Verhalten auszuleben.
Ganz sicher ist es manchmal schwer, sich plötzlich in einer Elternrolle wiederzufinden. Ihr Kind wird zu Ihrer höchsten Priorität – rund um die Uhr. Es bringt Sie vielleicht sogar dazu, endlich zu erkennen, womit Ihre eigenen Eltern zu kämpfen hatten, sie mehr zu schätzen, sich stärker mit ihnen zu identifizieren oder mehr Mitgefühl mit ihnen zu empfinden. Aber Sie müssen sich auch mit Ihrem eigenen Kind oder Ihren Kindern identifizieren. Wenn Sie darüber nachdenken, wie Sie sich wohl als Baby oder als Kind im gleichen Alter gefühlt haben, wird Ihnen das helfen, Mitgefühl für Ihr Kind zu entwickeln. Und das wiederum wird Ihnen helfen, es zu verstehen und mit ihm zu fühlen, wenn es sich so verhält, dass Sie den Drang verspüren, es wegzustoßen.
Oskar kam als Klient zu mir, nachdem er einen kleinen Jungen im Alter von achtzehn Monaten adoptiert hatte. Jedes Mal, wenn sein Sohn Essen auf den Boden fallen ließ oder nicht aufaß, spürte Oskar Wut in sich aufsteigen. Ich fragte ihn, was mit ihm als Kind passiert sei, wenn er Essen fallen gelassen oder nicht aufgegessen habe. Er erinnerte sich, dass sein Großvater ihm mit dem Messergriff auf die Fingerknöchel geschlagen und ihn dann aus dem Zimmer geschickt hatte. Als ihm wieder bewusst wurde, wie es ihm als Junge ergangen war, bekam er Mitgefühl für sich selbst als Kleinkind, und das half ihm, mit seinem eigenen Sohn geduldiger zu sein.
Nur allzu leicht gehen wir davon aus, dass unsere Gefühle sich auf das beziehen, was sich vor uns abspielt, und nicht schlicht und einfach eine Reaktion auf das sind, was in der Vergangenheit passiert ist. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, Sie haben ein vierjähriges Kind, das an seinem Geburtstag einen Berg Geschenke bekommt, und Sie bezeichnen es scharfzüngig als »verwöhnt«, weil es eines seiner neuen Spielzeuge nicht teilen will.
Was ist hier los? Logischerweise ist es nicht die Schuld Ihres Kindes, dass es so viel Spielzeug bekommt. Unbewusst haben Sie vielleicht den Eindruck, dass es gar nicht so viel verdient, und Ihr Ärger darüber äußert sich in einem scharfen Ton oder der unangemessenen Erwartung, es müsste doch reifer sein.
Wenn Sie kurz innehalten, um zurückzublicken, um zu überlegen, warum Sie sich so ärgern, werden Sie vielleicht feststellen, dass das vierjährige Kind in Ihnen selbst eifersüchtig ist oder sich herausgefordert fühlt. Vielleicht wurde Ihnen im Alter von vier Jahren befohlen, etwas zu teilen, das Sie nicht teilen wollten, oder Sie bekamen einfach nicht viele Geschenke, und um die Traurigkeit zu bekämpfen, die Sie um sich als vierjähriges Kind empfinden, gehen Sie auf Ihr eigenes los.
Das erinnert mich an die anonymen Hassmails und die negative Aufmerksamkeit in den sozialen Medien, mit denen jeder, der öffentlich sichtbar wird, rechnen muss. Wenn man zwischen den Zeilen liest, sagen diese Äußerungen vor allem: Es ist nicht fair, dass du berühmt bist und ich nicht. Dass wir eifersüchtig auf unsere Kinder sind, ist ebenfalls gar nicht so ungewöhnlich. Wenn Sie diese Eifersucht spüren, müssen Sie sie auf sich beziehen und dürfen deswegen nicht auf Ihr Kind losgehen. Eltern-Trolle braucht wirklich niemand.
Ich habe immer wieder Übungen in dieses Buch aufgenommen, die Ihnen helfen können, besser zu verstehen, wovon ich spreche. Wenn Sie sie als nicht hilfreich oder als belastend empfinden, können Sie sie gern überspringen und vielleicht zu ihnen zurückkehren, sobald Sie sich bereit dazu fühlen.
Wenn Sie das nächste Mal Wut (oder eine andere stark belastende Emotion) Ihrem Kind gegenüber empfinden, reagieren Sie nicht gedankenlos, sondern halten Sie inne und fragen sich selbst: Gehört dieses Gefühl ganz und gar zu dieser Situation und zu meinem Kind in der Gegenwart? Wie kann ich mich selbst bremsen und die Situation aus der Perspektive meines Kindes sehen?
Eine gute Möglichkeit, sich von einer Reaktion abzuhalten, ist, sich zu sagen: »Ich brauche etwas Zeit, um darüber nachzudenken, was hier gerade passiert.« Nutzen Sie diese Zeit, um sich zu beruhigen. Selbst wenn Ihr Kind wirklich Unterstützung braucht, hat es wenig Sinn, aus der Wut heraus helfen zu wollen. Es wird nur Ihren Zorn heraushören und nicht das, was Sie ihm sagen wollen.
Auch wenn Sie noch kein Kind haben, können Sie diese zweite Variante der Übung machen: Achten Sie einfach darauf, wie oft Sie wütend, selbstgerecht, empört, panisch oder vielleicht beschämt, voller Selbsthass oder nicht empathisch sind. Achten Sie auf Muster in Ihren Reaktionen. Schauen Sie zurück auf den Zeitpunkt, an dem Sie dieses Gefühl zum ersten Mal wahrgenommen haben, indem Sie es bis in Ihre Kindheit zurückverfolgen, als Sie anfingen, so zu reagieren. Vielleicht können Sie allmählich begreifen, wie sehr diese Reaktion zu einer Gewohnheit geworden ist. Mit anderen Worten: Ihre Reaktion ist mindestens ebenso sehr darauf zurückzuführen, dass sie Ihnen zur Gewohnheit geworden ist, wie auf die Situation in der Gegenwart.
In einer idealen Welt würden wir uns selbst stoppen, bevor wir jemals ein Gefühl unangemessen auslebten. Wir würden unser Kind nie anschreien, bedrohen oder ihm in irgendeiner Weise ein schlechtes Gewissen machen. Natürlich ist es unrealistisch zu glauben, dass wir das in jeder Situation schaffen. Nehmen wir Tay – sie ist eine erfahrene Psychotherapeutin, und dennoch lebte sie ihre Wut aus, weil sie glaubte, dass sie zur Gegenwart gehöre. Aber sie hat etwas getan, das wir alle lernen können, um den Schmerz zu heilen. Allgemein spricht man von »Bruch und Reparatur«. Brüche – die Momente, in denen wir uns gegenseitig missverstehen, in denen wir von falschen Annahmen ausgehen, in denen wir jemanden verletzen – sind in jeder wichtigen, engen und familiären Beziehung unvermeidlich. Nicht der Bruch ist das Entscheidende, sondern die Reparatur. Beziehungen repariert man vor allem dadurch, dass man daran arbeitet, seine Reaktionen zu ändern. Ziel ist es, die Auslöser klar zu erkennen und dieses Wissen zu nutzen, um anders zu reagieren. Wenn Ihr Kind alt genug dazu ist, können Sie sich auch entschuldigen, wie Tay es bei Emily getan hat. Selbst wenn Sie erst geraume Zeit nach einem Zwischenfall merken, dass Sie sich falsch verhalten haben, können Sie Ihrem Kind immer noch sagen, was Sie missverstanden haben. Es kann einem Kind, sogar einem erwachsenen Kind, unendlich viel bedeuten, wenn ein Elternteil sich um eine Reparatur bemüht. Nehmen wir Emily als Beispiel. Sie glaubte, dass sie Tay auf irgendeiner Ebene egal war. Was für eine Erleichterung, als sie erfuhr, dass ihre Mutter sie gernhatte und nur selbst ziemlich durcheinander war.
Eine Mutter fragte mich einmal, ob es nicht gefährlich sei, sich bei Kindern zu entschuldigen. »Müssen sie nicht sicher sein, dass die Eltern recht haben, um sich geborgen zu fühlen?«, fragte sie. Nein! Kinder müssen sicher sein, dass wir echt und authentisch sind, nicht, dass wir perfekt sind.
Denken Sie an Ihre eigene Kindheit zurück: Hat man Ihnen eingeredet, sich »schlecht« zu fühlen, etwas falsch gemacht zu haben oder dass Sie sogar für die schlechte Laune Ihrer Eltern verantwortlich seien? Dann erscheint es nur zu einfach, Ihr Gefühl, etwas falsch zu machen, zu reparieren, indem Sie jemand anderem das Gefühl geben, etwas falsch zu machen. Die Opfer sind allzu oft unsere Kinder.
Ein Kind spürt instinktiv, wenn unsere Reaktion nicht mit ihm oder mit dem, was gerade passiert, in Einklang ist. Wenn wir so tun, als sei unser Verhalten richtig, schwächen wir damit die Instinkte unseres Kindes. Wenn wir zum Beispiel so tun, als ob wir als Erwachsene nie etwas falsch machen würden, kann es passieren, dass unser Kind sich übermäßig anpasst – nicht nur an das, was wir sagen, sondern auch an alles, was andere sagen. Dadurch kann es anfälliger für Menschen werden, die vielleicht nicht sein Bestes im Sinn haben. Instinkte sind ein wichtiger Bestandteil von Selbstvertrauen, Kompetenz und Intelligenz, daher ist es ratsam, die Instinkte Ihres Kindes nicht zu beschädigen oder zu verzerren.
Mark lernte ich auf einem meiner Eltern-Workshops kennen – seine Frau Toni hatte ihm vorgeschlagen, daran teilzunehmen. Damals war ihr gemeinsamer Sohn Toby fast zwei Jahre alt. Mark erzählte mir, dass er und seine Frau sich darauf verständigt hätten, keine Kinder zu bekommen, dass Toni aber im Alter von vierzig Jahren ihre Meinung geändert hätte. Nachdem sie es ein Jahr auf natürlichem Wege und ein Jahr mit künstlicher Befruchtung versucht hatten, wurde sie schwanger.
Wenn man bedenkt, dass wir uns so darum bemüht haben, überrascht es mich im Rückblick, wie vage meine Vorstellungen davon waren, wie das Leben mit einem Baby aussehen würde. Ich glaube, ich hatte meine Bilder von der Elternschaft aus dem Fernsehen, wo das Baby wundersamerweise meist im Bettchen liegt und schläft und kaum einmal weint.
Als Toby geboren wurde, führten der Verlust von Spontaneität und Flexibilität, die Langeweile mit einem Baby und die Tatsache, dass einer von uns immer rund um die Uhr Babydienst machen musste, dazu, dass ich anfing, zwischen Verbitterung und Depression oder beidem gleichzeitig zu schwanken.
Zwei Jahre später genieße ich mein Leben noch immer nicht. Toni und ich sprechen nur noch über Toby, und wenn ich versuche, über etwas anderes zu reden, kommen wir in weniger als einer Minute wieder auf ihn zu sprechen. Ich weiß, dass ich egoistisch bin, aber das ändert nichts an dem Gefühl, dass meine Nerven blank liegen. Um ehrlich zu sein: Ich glaube nicht, dass ich noch lange mit Toni und Toby zusammenleben werde.
Ich bat Mark, mir von seiner Kindheit zu erzählen. Er meinte nur, dass er nicht besonders interessiert daran sei, sie mit mir zu erkunden, denn sie sei völlig normal gewesen. Als Psychotherapeutin nahm ich das »Nicht-interessiert-Sein« als Hinweis, dass er sich davon distanzieren wollte. Ich vermutete, dass das Elternsein Gefühle in ihm auslöste, vor denen er weglaufen wollte.
Ich fragte Mark, was »normal« bedeute. Er erzählte mir, dass sein Vater die Familie verlassen hatte, als er selbst drei Jahre alt war, und dass dessen Besuche immer seltener geworden waren. Mark hat recht: Das ist eine normale Kindheit. Das bedeutet jedoch nicht, dass das Verschwinden seines Vaters nichts mit ihm gemacht hat.
Ich fragte Mark, wie er sich gefühlt habe, als sein Vater ihn im Stich gelassen hat, und er konnte sich nicht daran erinnern. Ich wies darauf hin, dass die Erinnerung vielleicht zu schmerzhaft sei und es sich womöglich leichter anfühle, es seinem eigenen Vater gleichzutun und Toni und Toby zu verlassen. So müsse er sich nicht mit seinen eigenen schwierigen Emotionen beschäftigen. Ich sagte ihm, dass es in meinen Augen unbedingt nötig sei, diese Emotionen aufzuarbeiten, weil er sonst nicht auf die Bedürfnisse seines eigenen Sohnes eingehen könne und an Toby das weitergeben werde, was er selbst von seinem Vater bekommen habe. An seiner Reaktion konnte ich nicht ablesen, ob er wirklich hörte, was ich da sagte.
Sechs Monate später traf ich Mark in einem anderen Workshop wieder. Er erzählte mir, dass er deprimiert gewesen sei und beschlossen habe, eine Therapie zu beginnen – was er zuvor rundweg abgelehnt hatte. Zu seiner Überraschung, so berichtete er, habe er in der Praxis des Therapeuten geweint und geschrien aus Trauer darüber, dass sein eigener Vater ihn verlassen hatte.
Die Therapie half mir, die Gefühle dort anzubringen, wo sie sein sollten – bei der Erinnerung daran, dass mein Vater mich im Stich gelassen hatte, und nicht bei dem Gedanken, dass ich einfach nicht dazu geschaffen sei, in dieser Beziehung zu leben oder Vater zu sein.
Ich sage nicht, dass ich mich nicht mehr langweile oder manchmal sogar ärgere, aber ich weiß, dass dieser Groll in meine Vergangenheit gehört. Ich weiß, dass es dabei nicht um Toby geht.
Ich sehe den Sinn in all der Aufmerksamkeit, die ich Toby jetzt schenke; es geht darum, dass er sich gut fühlt, nicht nur jetzt, sondern auch in Zukunft. Toni und ich überschütten ihn mit Liebe, und das wird hoffentlich dazu führen, dass er Liebe geben kann, wenn er älter ist, sodass er sich wertvoll fühlt. Ich habe keine Beziehung zu meinem Vater. Ich weiß, dass Toby von mir bekommt, was ich von meinem Vater nicht bekommen habe, und dass wir die Fundamente einer großartigen Beziehung legen.
Den Sinn in dem zu sehen, was ich tue, hat einen Großteil meiner Unzufriedenheit in Hoffnung und Dankbarkeit verwandelt. Ich fühle mich jetzt auch Toni wieder näher. Ich bin mehr an Toby interessiert und präsenter; das hat Toni die Freiheit verschafft, auch einmal an etwas anderes zu denken.
Mark reparierte den Bruch mit Toby – seinen Wunsch, ihn zu verlassen –, indem er in seine eigene Vergangenheit blickte. So konnte er verstehen, was in der Gegenwart geschah. Er konnte seine Einstellung zum Zusammensein mit seinem Sohn ändern. Es war, als hätte er keine Liebe geben können, bevor er sich seiner Trauer nicht gestellt hatte.
Vor einiger Zeit fragte mich eine werdende Mutter, welches mein ultimativer Tipp für junge Eltern sei. Ich erklärte ihr: »Egal, welches Alter dein Kind hat, es wird dich auf körperlicher Ebene an die Emotionen erinnern, die du durchgemacht hast, als du in einem ähnlichen Stadium warst.« Sie sah mich nur ein bisschen verwirrt an.
Etwa ein Jahr später – und während ein Kleinkind zwischen uns herumkrabbelte – gestand mir dieselbe Mutter, dass sie damals nicht verstanden habe, was ich meinte. Aber sie hatte es in Erinnerung behalten, und als sie in ihre neue Rolle hineinwuchs, war ihr allmählich klar geworden, was ich ihr hatte sagen wollen. Es hatte ihr geholfen, mit ihrem Kind zu fühlen. Sie werden sich nicht bewusst daran erinnern, wie es ist, ein Baby zu sein – unterschwellig jedoch werden Sie es spüren, und Ihr Baby wird es Ihnen immer wieder ins Gedächtnis rufen.
Mutter und Vater ziehen sich oft etwa in dem gleichen Alter von ihrem Kind zurück, in dem sie das auch bei ihren jeweiligen Eltern erlebt haben. Manchmal will sich ein Elternteil auch emotional zurückziehen, wenn das Kind im gleichen Alter ist, in dem er oder sie sich allein fühlte. Mark ist ein klassisches Beispiel für jemanden, der sich nicht den Gefühlen stellen wollte, die sein Kind in ihm weckte.
Sie möchten vielleicht ebenfalls vor solchen Gefühlen und auch vor Ihrem Kind davonlaufen, aber wenn Sie das tun, geben Sie weiter, was mit Ihnen geschehen ist. Es gibt bestimmt auch viele gute Dinge, die Sie weitergeben – so wie all die Liebe, die Sie erlebt haben; was Sie aber nicht weitergeben wollen, ist Ihre ererbte Angst, Ihr Hass, Ihre Einsamkeit oder Ihre Verbitterung. Es wird Zeiten geben, in denen Sie unangenehme Gefühle gegenüber Ihrem Kind oder Ihren Kindern hegen, genau wie gelegentlich gegenüber Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin, Ihren Eltern, Ihren Freunden oder sich selbst. Wenn Sie sich das eingestehen, wird die Gefahr geringer, dass Sie sie gedankenlos für das Gefühl bestrafen, das sie in Ihnen hervorgerufen haben.
Wenn Sie wie Mark feststellen, dass Sie das Familienleben nervt, weil Sie sich beiseitegeschoben fühlen, könnte es daran liegen, dass Sie als Kind beiseitegeschoben wurden und im Leben eines oder beider Elternteile keine große Rolle spielten. Manchmal kann sich diese Verbitterung eher wie Langeweile oder ein Gefühl der Abkoppelung von Ihrem Kind anfühlen.
Einige Eltern denken, dass ich übertreibe, wenn ich Worte wie »Verlassen« und »Verbitterung« verwende. »Ich bin nicht böse auf meine Kinder«, sagen sie. »Manchmal möchte ich einfach in Ruhe gelassen werden, aber ich liebe sie.« Ich betrachte Verlassen als ein ganzes Spektrum von Verhaltensweisen. Am schwersten ist das eigentliche Verlassen, wenn man sich physisch ganz aus dem Leben des Kindes zurückzieht, wie Marks Vater es getan hat. Aber ich würde es auch als Verlassen bezeichnen, wenn man ein Kind abweist, sobald es Aufmerksamkeit fordert, oder ihm nicht richtig zuhört, wenn es zum Beispiel seine Bilder zeigen will. (Ihr Kind versucht damit zu verdeutlichen, wer es wirklich ist.)
Das Gefühl, Kinder abweisen zu wollen, sie lange schlafen und allein spielen zu lassen, nur damit sie nicht Ihre Zeit in Anspruch nehmen, kann entstehen, wenn Sie versuchen, nicht mit Ihrem Kind zu fühlen. Sie verbinden eine schmerzhafte Erinnerung an Ihre eigene Kindheit damit und sind deshalb nicht in der Lage, sich den Bedürfnissen Ihres Kindes zu stellen. Natürlich können wir uns sagen, dass wir unsere Kinder abweisen, weil wir mehr von den anderen Bereichen unseres Lebens wollen, mehr Arbeit, Freunde und Netflix, aber wir sind hier die Erwachsenen. Wir wissen, dass diese bedürftige Phase unseres Kindes eben nur eine Phase ist und wir unsere Arbeit, unsere Kontakte und andere Freizeitaktivitäten wieder aufnehmen können, wenn diese kleine Person uns nicht mehr so sehr braucht.
Es ist schwer, sich dem zu stellen und die Behandlung, die wir selbst erfahren haben, nicht an die nächste Generation weiterzugeben. Wir müssen wahrnehmen, was wir fühlen, und dann darüber nachdenken, anstatt auf Gefühle zu reagieren, die wir nicht richtig verstehen. Sich mit den weniger akzeptablen Verhaltensweisen auseinanderzusetzen – zum Beispiel in Marks Fall mit dem Verlassen – kann Schamgefühle hervorrufen. Wenn dies geschieht, kommt es womöglich zu Abwehrtendenzen, um die Scham nicht zu spüren. Und dann ändern wir nichts und geben unsere Dysfunktion an die nächste Generation weiter. Aber Scham bringt uns nicht um. Wenn wir erkennen, was da gerade passiert, können wir unsere Scham in Stolz verwandeln, weil wir bemerkt haben, welchen Zwängen wir in unserem Handeln nachgaben. Uns ist bewusst geworden, wie wir uns ändern müssen.
Wirklich wichtig ist doch, dass Sie sich mit Ihrem Kind wohlfühlen, ihm Sicherheit geben und in seiner Nähe sein wollen. Worte haben daran nur einen kleinen Anteil; eine größere Rolle spielen unsere Wärme, unsere Berührung, unser Wohlwollen und der Respekt, den wir dem Kind entgegenbringen: Respekt für seine Gefühle, seine Person, seine Meinungen und seine Deutung der Welt. Mit anderen Worten, wir müssen unseren Kindern die Liebe, die wir für sie empfinden, zeigen, wenn sie wach sind, nicht nur, wenn sie im Schlaf so niedlich aussehen.
Wenn Sie immer mal wieder das Bedürfnis nach einer Pause von Ihren Kindern haben, brauchen Sie wahrscheinlich eigentlich eine Pause von den Gefühlen, die sie in Ihnen auslösen. Sie sollten mitfühlend auf sich als Baby oder als Kind zurückschauen, damit Sie nicht von diesen Auslösern kontrolliert werden. Sobald Ihnen das gelungen ist, werden Sie sich mit den Bedürfnissen Ihrer Kinder und deren Sehnsucht nach Ihnen identifizieren können. Natürlich ist es wichtig, von Zeit zu
Zeit einen Babysitter zu bestellen und irgendetwas Erwachsenes zu tun, aber achten Sie darauf: Sobald sich das Gefühl, eine Pause zu wollen, besonders aufgeladen anfühlt und unterschwellig die meiste Zeit über da ist, bitte erinnern Sie sich daran, wie es sich anfühlte, als Sie im selben Alter waren, wie Ihr Kind jetzt ist.
Fragen Sie sich selbst, welches Verhalten Ihres Kindes die stärkste negative Reaktion in Ihnen auslöst. Was ist mit Ihnen als Kind passiert, als Sie das gleiche Verhalten zeigten?
Schließen Sie die Augen und rufen Sie Ihre allererste Erinnerung wach. Es kann nur ein Bild oder ein Gefühl sein, vielleicht ist es schon eine Geschichte. Was ist das vorherrschende Gefühl in Ihrer Erinnerung? Was daran ist relevant für die Person, die Sie heute sind? Wie beeinflusst die Erinnerung Sie als Elternteil? Denken Sie daran: Wenn bei dieser Übung etwas zutage kommt, zum Beispiel eine Angst vor Scham, die Sie jetzt vielleicht dazu bringt, sich starr daran zu klammern, dass Sie recht haben, womöglich sogar auf Kosten Ihres Kindes, dann seien Sie stolz auf sich, weil Sie dies entdeckt haben. Haben Sie keine Angst, unter der Scham zusammenzubrechen, lenken Sie nicht defensiv davon ab und bleiben Sie nicht bei dem Verhalten, das Sie sich als Reaktion auf dieses Gefühl angewöhnt haben.