DIE RACHE EINER FRAU ENDET NIE
Ingrid, Birgitta, Viktoria. Drei Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Doch eine Gemeinsamkeit teilen sie, und diese hält sie davon ab, das Leben zu führen, das ihnen zusteht: Jede von ihnen ist in einer unglücklichen Ehe gefangen, keine von ihnen sieht einen Ausweg. Als sie in einem Internetforum aufeinandertreffen, erkennen sie, dass die Lösung zum Greifen nahe liegt. Sie schmieden einen teuflischen Plan, der sie alle befreien soll ...
Roman
Aus dem Schwedischen
von
Katrin Frey
Ullstein
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© 2020 Camilla Läckberg
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Aus dem Schwedischen von Katrin Frey
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ISBN 978-3-8437-2278-0
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Für Christina
Als Ingrid Steens Mann ins Wohnzimmer kam, steckte sie den Gegenstand, den sie in der Hand gehalten hatte, zwischen die Sofakissen.
Er ging an ihr vorbei.
Sein hastiges und mechanisches Lächeln, bevor er in der Küche verschwand. Sie hörte ihn im Kühlschrank herumsuchen und dabei »The River« von Bruce Springsteen summen.
Ingrid ließ den Gegenstand in seinem Versteck zurück und stand vom Sofa auf. Die Straßenbeleuchtung kämpfte tapfer gegen die nordische Dunkelheit an. Sträucher und Bäume waren kahl. Im Haus gegenüber flimmerte ein Fernseher.
Hinter ihr räusperte sich Tommy, Ingrid drehte sich um.
»Wie war dein Tag?«
Sie sah ihn schweigend an. In der einen Hand hielt er ein angebissenes Fleischbällchen, in der anderen ein Glas Milch. Er hatte dünnes Haar, schon immer, war aber mit dreißig stilsicher genug gewesen, es abzurasieren. Sein Hemd war unten zerknittert, weil es seit dem Morgen in der Hose gesteckt hatte.
»Gut.«
Tommy lächelte.
»Schön.«
Sie sah seinem Rücken hinterher. Tommy, ein Arbeitername. Trotzdem waren sie, sobald er Chefredakteur der Aftonpressen geworden war, nach Bromma hinausgezogen – ein Wohnort für die obere Mittelklasse im Allgemeinen und die schwedische Medienelite im Besonderen.
Aus dem Arbeitszimmer war wieder das Klappern auf der Tastatur zu hören. Ingrid ging zurück zum Sofa, schob die Hand zwischen die Kissen. Stieß auf eine der ehemaligen Spielsachen ihrer Tochter Lovisa. Zog sie heraus. Musterte den kleinen grünen Dinosaurier mit den überdimensionierten Glotzaugen und legte ihn auf den Wohnzimmertisch. Beugte sich erneut über das Sofa, fand den Gegenstand und nahm ihn mit in den Flur.
Das Geräusch der tippenden Finger, die Befehle erteilten und Schlagzeilen umschrieben, wurde lauter. Sie nahm Tommys Mantel vom Bügel. Das rechteckige Nähset in ihrer rechten Jeanstasche drückte gegen die Pobacke. Nachdem sie sich im Obergeschoss auf der Toilette eingeschlossen und das Nähset auf den Waschbeckenrand gelegt hatte, schnitt sie das Futter ein Stück auf, steckte das kleine Gerät hinein und überprüfte, ob es funktionierte. Sie schaltete es mit dem Zeigefinger ein, verstaute es in der kleinen Tasche, die entstanden war, und nähte den glänzenden Stoff mit wenigen Stichen zu.
Vor drei Jahren hatte Viktoria mit Nachnamen Volkova geheißen, in der russischen Millionenstadt Jekaterinburg gewohnt und von dem Land Schweden nur eine vage Vorstellung aus dem Geschichtsunterricht gehabt. Inzwischen hieß sie Viktoria Brunberg und wohnte im Dorf Sillbo, das gut zehn Kilometer von Heby im zentralen Teil des Landes lag. Sie sprach Schwedisch mit starkem Akzent und hatte weder Arbeit noch Freunde. Seufzend goss sie dampfenden Tee in einen schwarzen Becher mit der Aufschrift »Schweden rockt«.
Durch die Schlitze unter dem Fenster konnte sie den Wind hören. Vor dem Fenster waren Felder, Wald und grauer Himmel. Während sie mit dem Tee zum Küchentisch ging, hielt sie sich die Hand seitlich vors Gesicht, um nicht hinschauen zu müssen. Ächzend legte sie die Füße auf den Tisch. Alles an diesem Ort und diesem Land war verabscheuungswürdig. Sie umfasste den Becher mit beiden Händen und schloss die Augen.
»Juri«, flüsterte sie.
Ihre Freunde in Jekaterinburg hatten sie scherzhaft Gangsterbraut genannt. Der Spitzname hatte ihr gefallen. Sie liebte die Diamanten, die Drogen, die luxuriösen Restaurants, die schönen Sachen und die Wohnung, in der sie gelebt hatten.
An ihrem zwanzigsten Geburtstag verschwand plötzlich alles. Juri wurde ermordet. Sein Körper war wohl mittlerweile bis zur Unkenntlichkeit verwest. Der behaarte Rücken, die großen Hände, der breite Kiefer – nichts mehr übrig.
Peng, peng, peng.
Juri war an ihrem Geburtstag erschossen worden. Blut spritzte auf ihren weißen Pelz auf dem Nachtklubsofa. Sie hatten auch sie töten wollen, aber der dritte Schuss des Mörders ging daneben. Dann wurde der Täter von Juris Leibwächtern erschossen. Sie selbst floh mit dem Auto zu ihrer Mutter, die eine Stunde entfernt außerhalb der Stadt lebte.
Ihre Mutter gab ihr den Tipp mit der Seite, wo schwedische Männer nach russischen Frauen suchten.
»Schwedische Männer sind sanftmütige Waschlappen«, sagte sie.
Viktoria hörte auf ihre Mutter, wie sie es immer getan hatte. Lud ein paar Bilder hoch, bekam nach kurzer Zeit Hunderte von Antworten und entschied sich für Malte. Auf den Fotos hatte er gut ausgesehen, wie ein großes Baby mit Kulleraugen. Malte war in ihrem Alter, übergewichtig und machte einen schüchternen Eindruck. Er schickte ihr Geld für das Flugticket, und zwei Wochen später trat sie zum ersten Mal über die Schwelle des gelben Hauses in Sillbo.
In der Einfahrt vor dem Haus hörte sie Maltes Motorrad. Viktoria nahm die Füße vom Tisch und schaute aus dem Fenster. Sein Körperumfang ließ das Motorrad klein erscheinen, er sah aus wie Godzilla auf einem Pony. Hinter Malte kam ein weißer Kastenwagen angefahren. Er bog in die Einfahrt, fuhr durch das Tor und blieb neben dem Motorrad stehen. Lars öffnete die Beifahrertür, hievte eine Palette Bier heraus und schleppte sie vor die Haustür. Malte schnappte sich eine Dose und öffnete sie. Er trank gierig im Stehen. Die Fettwülste an seinem Hals rollten sich in mehreren Schichten. Die beiden Männer verschwanden aus Viktorias Blickfeld, und eine Sekunde später hörte sie, wie der Schlüssel ins Schloss gesteckt und umgedreht wurde.
Sie stapften mit Schuhen ins Haus. Lars zögerte einen Moment, als er die lehmigen Abdrücke auf dem Parkett sah.
»Scheiß drauf. Die Alte ist froh, wenn sie was zu tun hat, sie sitzt ja den ganzen Tag nur rum«, sagte Malte, ohne sie eines Blickes zu würdigen.
Lars grinste dämlich, sah ihr eine halbe Sekunde in die Augen, murmelte Hallo und stellte die Bierdosen auf den Tisch. Malte stand am Herd.
»Dann wollen wir mal sehen, was du heute für eine Pampe fabriziert hast.« Er hob den Deckel und wich mit zusammengekniffenen Augen zurück, als ihm heißer Dampf entgegenschlug. Er wedelte ein paarmal mit der Hand und linste in den Topf. Lars machte sich ein Bier auf.
»Kartoffeln. Gut, sehr gut.« Malte sah sich in der Küche um und öffnete fragend die Arme. »Ist das alles?«
»Ich wusste nicht, wann ihr kommt. Die Würste brate ich jetzt«, sagte Viktoria. Malte rümpfte die Nase und schaute über ihre Schulter hinweg seinen Freund an. Wiederholte ihre Worte mit übertrieben heller Stimme und russischem Akzent. Lars prustete, Bier rann ihm übers Kinn. »Hübsch ist die Alte ja, aber sie ist nicht die Hellste«, sagte Malte. Lars tropfte noch mehr Bier am Hals herunter.
Ihre Sachen rochen nach Küche. Malte hatte seit Langem versprochen, die Dunstabzugshaube zu reparieren, aber es war nie etwas daraus geworden. Sie stellte die schmutzigen Teller in die Spülmaschine. Die Männer lümmelten auf dem Sofa herum. Auf dem Wohnzimmertisch standen leere Bierdosen. Bald würden sie schlafen, dann würde ihr Tag beginnen. Wirklich beginnen. Sie warf einen unauffälligen Blick zum Sofa, um zu schauen, wo Malte sein Handy hingelegt hatte. War beruhigt, als sie es zwischen zwei Bierdosen entdeckte.
»Ich hätte mir lieber eine Thailänderin holen sollen, so wie du. Das Essen schmeckt besser. Und sie blasen besser.« Malte rülpste.
»Und wenn du sie wieder nach Hause schickst?« Lars kicherte.
»Warum eigentlich nicht? Mal überlegen, ob bei der Lieferung ein Retourenschein dabei war«, sagte Malte zwischen zwei schweren Seufzern.
»Das Geld kriegst du nicht zurück, aber vielleicht einen Gutschein«, presste Lars hervor.
»Stimmt, die Ware ist ja benutzt und entwertet.«
Erneut explodierte das Gelächter, während in der Küche das Wasser in die Spülmaschine rauschte.
Ingrid parkte vor der Höglandschule, schaltete den Motor ab und blieb mit den Händen am Lenkrad sitzen. Sie war eine Stunde zu früh.
Vierzehn Jahre als Journalistin, davon zwei als USA-Korrespondentin, und mehr Preise, als sie zählen konnte. Früher hatten die ausgeschnittenen Zeitungsartikel, Diplome und einige der Bilder bei ihnen zu Hause an den Wänden gehangen. Als Tommy Chefredakteur wurde, hatte das Ehepaar – gemeinsam – entschieden, dass es das Beste sei, wenn Ingrid mit der Tochter zu Hause bliebe. Chefredakteur einer überregionalen Tageszeitung zu sein, sei mehr als ein Job, es sei ein Lebensstil, sagte Tommy immer. Wenn es andersherum gewesen wäre und sie das Angebot bekommen hätte, hätte er das gleiche Opfer gebracht, versicherte er. Ingrid hatte sich gefügt. Hatte die Highlights ihrer Karriere in einem IKEA-Karton auf dem Dachboden verstaut und die Rolle der Ehefrau übernommen, die ihren Mann unterstützte. Wenn sie allein zu Hause war, holte sie manchmal den Karton herunter und kramte in ihren Erinnerungen. Erst heute hatte sie ihn wieder an seinen Platz ganz oben auf dem Regal geräumt, bevor sie Lovisa abholen musste und Tommy nach Hause kam.
Ingrid zuckte zusammen, als jemand an die Scheibe klopfte, und setzte das Lächeln der engagierten Schulkindmama auf, bevor sie den Kopf zur Seite drehte und sah, dass es Birgitta Nilsson war, Lovisas Lehrerin. Bevor sie die Scheibe hinunterließ, warf sie unabsichtlich einen Blick auf die Uhr.
»Arztbesuch.« Birgitta lächelte. »Nichts Ernstes, Routineuntersuchung.«
Ingrid mochte sie. Birgitta ging auf ihre Pensionierung zu, Lovisas Klasse war ihre letzte.
»Viel Glück«, murmelte Ingrid.
»Ich habe Tommy gestern in der Talkshow gesehen – richtig gut. Er ist so klug, so eloquent. Sie müssen unheimlich stolz sein.«
Birgitta klatschte in die Hände.
»Und wie.«
»Und dass er sich im Herbst die Zeit genommen hat, uns zu besuchen und der Klasse von seiner Arbeit zu erzählen, obwohl er so viel zu tun haben muss. Als die Kollegen erfuhren, dass er kommt, haben wir kurzerhand die Aula gebucht. Lovisa hat sich so gefreut. Ich auch.«
»Schön. Ja, Tommy nimmt sich Zeit für Menschen.«
Die Lehrerin streckte die Hand aus und berührte Ingrid an der Schulter, bevor sie sich umdrehte und in Richtung U-Bahn ging.
Ingrid stellte die Musik lauter.
»Neue Vorschriften der Konzerneigner«, hatte er ihr erklärt, nachdem sie nachgefragt hatte. »Dich interessieren solche Dinge doch sowieso nicht mehr.«
Sie kaufte sich jeden Tag eine Ausgabe der Aftonpressen und blätterte sie durch. Die Menschen auf den Fotos neben den Artikeln kannte sie nicht mehr. Von ihren alten Kollegen hatten viele die Zeitung gewechselt, rackerten sich nicht mehr als Reporter ab, sondern waren Chefs geworden.