Das Buch
Im richtigen Leben reißt Fil nicht viel, aber in diesem Buch reißt er durch die ganze Republik und sogar noch in die Schweiz hinein. Wir schreiben die 10er Jahre, das Zeitalter der Alten Normalität. Alles ist analog, dirty und voller Leben. Taucht in diese goldene Vergangenheit ein! Lasst euch verzaubern, Ungläubige! Staunt und erstarrt ob der fantastischen Abenteuer, die unserem Freund auf seinen Irrfahrten zwischen Aachen und Berlin, Flensburg und Rosenheim zustoßen. Es sind Abenteuer, die ihresgleichen suchen.
Der Autor
FiL – eigentlich Philip Tägert – ist Urberliner, Ex-Punk, Liedermacher, Comic-Zeichner, Bühnenheld und begeistert seit Jahren auf vielen Ebenen – als Erfinder von Sharkey, der Haifischpuppe, und dem Duo »Didi & Stulle« (bekannt aus der ZITTY) und nicht zuletzt als Impro-Komiker von wahnsinnig lustigen Bühnenshows, mit denen er erfolgreich durch die Republik tourt, zuletzt mit den Programmen »Triumph des Chillens«, »The FiL on the Hill« und »Die Expertise war bedeutend höher«.
Ullstein
»ES LEBE SPANIEN.«
Chris Roberts
Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch
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ISBN 978-3-8437-2295-7
1. Auflage September 2020
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2020
Umschlaggestaltung: zero-media.net, München, unter Verwendung einer Vorlage von Thomas Gilke
Titelabbildung: © by FiL
E-Book: LVD GmbH, Berlin
Alle Rechte vorbehalten.
Herzlichen Glückwunsch zu diesem Buch! Es wird euch Freude bereiten. Nicht gleich von Anfang an vermutlich. Der Anfang ist etwas sperrig, und man denkt vielleicht kurz sogar: Was will der Idiot? Aber so sind wertige Bücher. Wertige Bücher beginnen nicht mit einem Paukenschlag, sondern mit einem Wimmern. Wertige Bücher nehmen sich die Zeit, die sie brauchen. Ist wie beim Kickboxen – musst dich vorher aufwärmen, kannst nich sofort loslegen.
Oder wie beim Leben überhaupt, das fängt ja auch echt schwach an und wird dann doch noch so wunderbar.
Mein Name ist FiL. Bin Liedermacher, Comiczeichner, Humanist, Dreamer. Dies hier sind die Aufzeichnungen meiner Abenteuer auf Tour. Es sind liebevolle Hommagen an Orte, die mir viel bedeuten, und da ja überall so viel passiert ist, dachte ich, das schreib ich mal auf.
Und zu meinem eigenen Erstaunen entwickelten sich aus diesen harmlos gemeinten Notizen abgrundtiefe philosophische Einsichten, zwerchfellzermürbende Stilblüten sowie nicht zuletzt noch ein komplett enthemmter erotischer Lesereiseroman. Toll.
Schreiben hat mir schon immer viel Freude gemacht.
Auch Musik hör ich gern, zum Beispiel Motörhead, Nazareth, Bowie.
Oder Kunst. Bilder. Skulpturen. Mag ich auch.
Vielleicht habt ihr ja ähnliche Interessen. Dann kann man sich ja mal auf einen Kaffee treffen. Aber jetzt lest erstmal das Buch zu Ende.
Herzlichst
Euer FiL
Worte über Fulda
Friends! Ich spiel auch in Fulda. Hab ich letztes Jahr schon mal gemacht, und es war eine zweistellige Zahl von Leuten da. Und jetzt komm ich schon wieder zu euch. Vielleicht heißt es ja bald Filda? Hihi, neinnein, das machen die bestimmt nicht, so ne Namensänderung, bloß weil einer mal da auftritt. Das kann ich mir nicht vorstellen.
Da muss man ja auch die ganzen mittelalterlichen Stadtchroniken umschreiben und das neu bei Google Earth eingeben, das ist doch n Riesenaufriss, das machen sie bestimmt nicht.
Am nächsten Tag
Ich hab mir jetzt überlegt: Es ist mir EGAL, ob sie es in Filda umbenennen. Ich hab da eh keinen Einfluss drauf, also warum soll ich mich verrückt machen? Nö. Mach ich nicht. Ich hab meine Gesundheit und mein Talent, das weiß ich, dass ich die hab und das ist mir wichtiger.
Zwei Tage später
Heute ist dieser Tag: Fulda, Alta. Filda werden sie es ja SOWIESO nicht nennen, ich will da auch gar nicht mehr drüber nachdenken, das macht mich nur traurig. Klar wärs nur ein zu tauschender Buchstabe und klar würds mich freun, aber es gibt auch wichtigere Sachen.
Ich find zum Beispiel wichtiger, dass meine Freunde, dass die zu mir stehn. Und – hey! – ich bin gesund.
Aber ich bin nicht sauer, gar nicht. Vielleicht … ernüchtert. Ernüchtert ist, glaub ich, das richtige Wort. Manchmal sieht man kurz die Welt, so wie sie wirklich ist, und das ist kein schöner Anblick. Aber is egal, komm, lasst uns nicht mehr drüber reden.
Ist doch egal, gibt so viel wichtigere Sachen. Pff.
Nur weil manche mich trösten wollen und meinen, es gibt ja noch Filderstadt: Ich finde da haben sie es eben nicht so toll gemacht. Lieb gemeint, aber herausgekommen ist ein grammatikalisch bedenkliches Wortungetüm des Jahres. Filda wär halt kurz, sexy und direkt, Attribute, die ich und Leute, die mich kennen, auch mit mir verbinde/n. Aber soll anscheinend nicht sein.
Ich weiß ja nicht mal, obs da jetzt n Kommitee für gibt oder wie das behördlich vor sich gehn müsste und was für Schwierigkeiten es da rechtlich gebe. Wär halt schön, wenn wir Deutschen mal n bisschen spontaner wärn bei den Städtebenennungen. Aber wir sind halt doch unterm Strich eher deutsch. Schade. Jammerschade. Aber so isses eben, hat kein Sinn zu lamentiern.
Sorry, aber die Welt stinkt. Schön, dass wir wenigstens alle in einem Boot sitzen. In dem Boot der Ungebrauchten und Verhassten. Am liebsten würden sie uns doch alle absaufen lassen, dann brauchen sie ihre hochheiligen Fickstädte nich umbenennen. Könn sie alles schön lassen wie es is, am besten noch wiedern Führer und Deckel drauf. Hör uff, ey.
Am nächsten Tag
Es ist vorbei. Sie habens nicht umbenannt, war mir eh klar. Und wisst ihr was? Es macht mir gar nichts aus. Heut morgen hab ich aus dem Fenster geschaut, und es war Frühling. Es gab Kaffee, Hundegebell, kleine Leute gingen ihren Besorgungen nach – DAS sind die wichtigen Dinge des Lebens. Und schlagartig wurde mir klar, wie glücklich und frei ich bin und wie viel ich noch vor mir habe, und da musste ich so schallend lachen, dass die Leute am Nebentisch zusammenzuckten. Armselige Spießer, ich hätte sie umarmen können.
Dass sie ihr bescheuertes Fulda nicht nach mir benannt haben, ist wirklich das Beste, was mir passieren konnte. Ich geh seitdem so viel gelassener durchs Leben, freu mich an den Blumen, spiele mit meinen Kindern. Ich hab sogar wieder mit Nordic Walking angefangen. Und morgen pflanz ich einen Baum. Aber ich sag keinem, wo. Und einen Namen geb ich ihm auch nicht. Wozu braucht ein Baum einen Namen? Wozu eine Stadt, wozu ein Mensch? Nennt mich doch einfach Mensch, so will ich euch ab heute auch nennen. Verbeißt euch nicht in die Dinge, wir leben die ganze Zeit im Paradies, nur auf der Überholspur unserer Gedanken haben wir dieses Wissen vergessen. Ich bin Mensch. Ich schicke euch volltönend lachende Grüße aus der Mitte des Lebens.
Worte über Hamburg (musst du Bock drauf haben)
Digggers!! Hoitee issäs souwaiet, weissu nech??! Hoit fohr ech mol näch Augenbrauenziehhausen, nach Popperlockistan, in die Pressefresse der Republiek: nach HÄMMbuärch, Nuddee. Spex statt Sex, Digger, kain Mardin Ludder aufm Kudder, was hat Udo unnerm Hudo, kann der Didäh Bouln Judo? SOU mok wi dat.
NUllbockotronik! Die Stirne! Blum fällt immer was ain! Bregencity, here I come, endlich verstehn mol welche die Schläueäe von mainee Witzee. Augenbrauen HOUCHziehhausen mussas haissen, siessu, ich sprech schoun gonz verküerzt und verknäppt. Goiol. Goioel, es is goeiouhoueäll, Magggä und zwar NUR und SOU goioueel.
Haäuämburgenhausen, Magggeeea!! Old Hardbody back in Breegentown! Mönsch, do moch ich dann woul ja man n büschen Alsternativrock, weissu, Egggart? Sou Indi-Fresse-Musik, wie sich das man füär Sankt Georg gehöärt! Das kannnsu abeer mol sou annehm dass ech do bei die fish gein tou. Man nennt mich hieär auch Budder bei. Haueha!
Wou finnstu kaine Perleee?
In der Alster.
Worte über Magdeburg
Freun.de, heut Abend spiel ich in Magdeburg. Wir dürfen den Osten nicht fallenlassen. Falls das Osten ist. Das eine war MARburg, da sind die ganzen Studenten, oder? Und MAGDEburg war das andere, oder? Magde. Haben sie wahrscheinlich im Mittelalter Frauen als Sklaven verkauft oder verbrannt oder verdingt und dann gleich die ganze Stadt danach genannt, der kranke Klerus damals. Ich mag eh nicht diese ganzen mittelalterlichen Städte: Machst dir die Felgen kaputt auf dem Kopfstein. Dass sie überhaupt die Assoziation hatten: Wir gehen über Köpfe hier. Diese Vögel waren so evil und dark, puh. Berlin wurde ja erst 1823 erbaut von Humboldisten mit Ethik im Gepäck. Da fahr ich auch wieder hin zurück. Aber heute noch nicht. Heute erstmal M-castle, bin sicher, das wird trotzdem heiter. Schätze, sie werden mich mögen, weil ich so viel über die Geschichte ihrer Stadt weiß.
Worte über die Studentenstadt Marburg
In Marburg solls ja viele Studenten geben. Seufz. Ich war in den 90ern schon mal da und erinner mich noch an die schlechten Betten in der zugigen Künstlerwohnung, nebst der spärlichen Gage. Ey, ich bin fast 50 und kein Student, Alta. Kann ich wenigstens irgendwo duschen diesmal?
Marburg, ey, euer Karl Marb, nach dem ihr euer rotes StudiVz-Nest nennt, hat auch nicht wirklich unluxeriös gelebt. Lest des mal nach. Engels war sogar Fabrikbesitzer, und Mao badete in jungen Frauen aus den Provinzen. Ich finde, ihr geht die Sache falsch an. Kuck mal, jetz is doch auch rausgekommen, wie schäbig die Nazis so wohnen, wollt ihr sein wie die?
Worte über Bremen
Woher nehmen, wenn nicht Bremen?
Fragte einst ein weiser Mann.
Wie? Sich wegen Bremen schämen?
Bremen ist des Nordens Cannes.
Es ist das New York der Fischer;
Bremen ist das Priem-Paris.
Mein Auge brauch n Scheibenwischer.
Weil ich mein Herz in Bremen ließ.
Wo muss man sich benehmen?
Auf keinen Fall in Bremen!
Weise Worte
Jetz is alles wieder so ernst, business business, ich burn noch out, ey.
Meine Alte heißt Bianca, dann sind wir Burnout und Bianca.
Worte über das Ostseebad Prerow
Prerow near the eastern sea
Will soon be my destiny.
Because in the holiday,
Or the »Ferjen«, as we say,
I will go there, I will sing.
And some jokes I’ll try to bring.
The french call it »Animatéùr«
The turkish say: »Alta, ischschwör:
Gehdanischhin, Lan, nischnachPrerow.
Türkisch community dort: zero.«
And will they understand me there?
Will it not be very shwere?
Will they not say: »This western dick
Will only try to make a trick
And steal us our little town
He is a Prerow-stealing clown.
He comes here in his western jeans
Not even stonewashed, as it seems.
With his jokes he makes us tired
When we wake up there stands a Hyatt
Right on the beach and FKK
Is now forbidden – kennwaja.«
The Eastgirls with their Moreorgasms
Will curl around in happy spasms:
»Oh, what a man, how good he smells!
And how he super storys tells!
From foreign countrys far away
He always has something to say!«
They go with me into the dunes,
Under the shining of the moons.
But – oh ! – the MEN, they like it not.
They say: »This Westner is too hot.
He spoils the prices
And that ’s why this
Asshole must vanish
like the Spanish.«
(Früher warn sehr viele Spaanja auch in Prerow jewesn, aber heutzutage nich mehr. Makes you think …)
Is there also an »Afterrow«?
There is so many, I don’t know.
Worte über Wiesbaden
Dann noch Wiesbaden, ein verträumter Name für ne Stadt, oder? Wie’s baden, so schallts aus der Saunalandschaft heraus, wa? Die Wiesel wurden da erfunden und das Wieso. Das Wieso ist so n bisschen nicht das wichtigste Wort, find ich. What’s wrong with Warum? Kommt kleinmütig daher. Wiesel sind allerdings spitze.
(Entschuldigende) Worte über die Schweiz
Swizzers!!!! (Pronounced like Mr Burns yelling at his assistant.) Vergesst bitte nicht oder lernt, falls ihrs noch nicht wisst, dass ich demnächst in euerm Zürich spiel. Lasst mich da nicht wieder mit zehn Rentnern, einer Frau und Facebookjuniormitglied »Unbe Merkt« krepieren, so wie letztes Mal. Ich weiß, unsere Länder hassen sich, Martina Hingis war nie eine Steffi, DJ Bobo kein Jimmy Blue, aber können wir das Kriegsbeil nicht mal für einen Abend begraben?
* Verstehe ich selber nicht.
Das sind übrigens Plombenbomben, diese Miniminarette*, but again: No should from me, swearcomrades. Lasst mich nicht länger Wasserkämmen wie die verspielten (»sonst hamwa keene Sorgen«) Tinguely-Brunnen-Eumel in Basel, lasst mich Zwerchfellkämmer sein. Ihr könnt auch in Euro bezahlen. Hell, ihr könnt in griechischen Euros bezahlen, ich glaub, da habt ihr hinterher sogar mehr Geld als vorher.
Deutsche Professoren lehren an euern Unis Max Mutzke statt Max Frisch; deutsche Kellnerinnen bringen das Essen nicht, sondern tragen es fort; deutsche Restaurantbesucher sagen »Ich bekomme ein Bier«, als könnten sie in die Zukunft sehn; deutsche Leichen machen den Keller voll. Ich weiß das doch alles und distanziere mich hiermit aufs Herzergreifendste davon.
Ich weiß: Wir Deutschen sind arrogant, wir können uns nicht merken, obs Dürrematt oder Dürrenmatt heißt; wir glauben, dass die Löcher mittels einer Polonaise in einem – ausgerechnet – Hamburger Pfeffersackviertel aus dem Käse flogen; auf einem Foto, wo ein Schweizer im Schottenrock abgebildet ist, würden wir den Fehler nicht finden.
Das sind alles Fehler von unsrer Seite, und die sind mir echt peinlich und unangenehm, und ich mache sie hiermit gern mal ungeschehn, indem ich mich dafür entschuldige.
(Geiles Wort ent-schuldigen, ich wünschte, ich könnte mich entglatzen, Alta.)
Weise Worte
Schade, dass es nich mehr die x-fils gibt.
Worte über Gelsenkirchen
Hier in Geilsenkirchen finde ich die Einsamkeit, die ihr mir alle nicht geben könnt. Ich werde eins mit meinem Samen (weil ich kostenloses Internet aufm Hotelzimmer hab). Kannst du dir das vorstellen, unbekannteR LeserIn? Vier Und Zwan Zig Stunden am Tag online und nichts Persönliches im Raum, außer dein Glied (bzw. you know). It’s simply mesmerizing. Hab den Gig morgen in Schwäbisch Hall abgesagt, um länger hier sein zu können.
Worte über Berlin
Kater Holzig – der Name sagt schon: Ich brauch keinen guten Namen, du Pfeife. Ich kann heißen wie eine Ostmärchengestalt, und du wirst trotzdem zu mir kommen. Diese Selbstsicherheit (schauder, dvd-pause), es ist der Hammer. Hoffentlich bezahlen sie mich nicht in Gramm, da blick ich immer nicht so durch.
Vielleicht ist das wichtig, diese festfleischigen Elektromädchen zu erreichen und ihnen einen Alternativweg zu zeigen. Ich sehs so n bisschen als Projekt wie Romeo und Julia mit rechtsradikalen Jugendlichen aus Thüringen aufführen: Kann schiefgehn, muss aber nich schiefgehn. Nichts tun kann man doch auch nicht. Oder kann man das?
Diesen Freitag in den Kammerspielen Kleinmachnows: FiL, der frischgebackene Autor, liest aus seinem Erstlingsroman Pullern im Stehn. So könnte auch wieder ein neuer Roman beginnen, fand FiL.
Kleinmachnow.
Warum musste es ausgerechnet Kleinmachnow sein?
Aber Lucy vom Verlag war da ganz klar und deutlich gewesen: »Wir müssen Bücher verkaufen«, hatte sie gesagt, »Bücher, FiL. Und Bücher verkauft man heutzutage nur noch bei Amazon oder im Speckgürtel.«
Speckgürtel.
Warum musste es ausgerechnet der Speckgürtel sein?
FiL stöhnte.
»Noch nicht! Warte!«, rief Lucy. Stimmt ja, sie fickten gerade. Auch das noch. Warum musste es so sein?
Lucy.
Auf der Marburger Buchmesse war sie ihm gleich aufgefallen: langbeinig, rauchend, leicht neurotisch. Mandelförmige Augen. Sekt hatte FiL noch nie vertragen, Ruhm machte ihn liebesbedürftig. Außer ihr waren keine heterosexuellen Frauen dagewesen, die deutsche Verlagsszene hatte sich als testosterongeschwängerte Männer- und Lesbenmischpoke erwiesen, und so hatte eins zum andern geführt.
»Aber Kleinmachnow?«, fragte er verzweifelt.
»Ja«, rief Lucy. Stimmt ja, sie fickten immer noch.
Ficken war kein gutes Wort. Als Schriftsteller sollte er doch in der Lage sein, es zu ersetzen.
Schriftsteller.
Für FiL war diese Bezeichnung immer noch ungewohnt, und er zuckte zusammen, wenn jemand ihn so nannte. Sogar, wenn er nur dran dachte, zuckte er schon zusammen.
»Noch nicht!«, rief Lucy. »Warte!«
Lucy.
Viel Text hatte sie nicht: Ja, nein, Kleinmachnow, noch nicht, warte.
Darum war sie wohl auch selbst keine Schriftstellerin, sondern … was war Lucy eigentlich?
Lauter Fragen.
Morgenrot fiel durchs Hotelzimmerfenster. FiL hörte Eselgeschrei. Marburg erwachte. Diese Stadt schien dahinzufließen wie ein freundlicher Orkan. Die vom Tag geküssten Menschen nahmen ihr Diessein, das sie in der Nacht freimütig den Wahnsinnsmächten Orpheus’ anvertrauten, mit einem Selbstverständnis auf, das FiL erschaudern ließ.
»Warte noch.«
FiL hatte sein Leben lang gewartet. Er wollte nicht mehr. Das war jetzt seine Zeit. Sein Moment. Und wenn er verglühen würde mit seinem Buch, dann würde es ein süßes Verglühen sein.
Von draußen hörte er leise den Gesang der Salmonellen.
»Kleinmachnow«, schienen sie zu singen.
Also gut. Süßes Verglühn im Speckgürtel. Mit ein paar Ellen Würde konnte das gelingen. Kleinmachnow war ja die nette Schwester von Scheiß-Machnow. Bushido lebte da. The Writer meets the Fighter, dachte FiL und schmunzelte.
Der Sex mit Lucy dauerte noch sehr lange und war von Höhepunkten durchsogen wie ein nasses WG-Geschirrhandtuch aus den 80er-Jahren.
Worte über Moers
In Minden hört man Motörhead, in Leipzig hört man Doörs
Der Junkie spielt mit Leben – und ich spiel bald in Moers.
Der Gangster sagt »Ich fick dich«, und fügt hinzu »Ich schwörs.«
Das Opfer sagt da gar nichts – und ich spiel bald in Moers.
Hast du daheim ein Mädchen, dann lieb es und betörs
Spiel nicht mit den Gefühlen. Spiel nicht mit mir in Moers.
Ich kann es nicht ersetzen, dein Mädchen fein daheim.
Es würde sie verletzen – drum kehr nicht bei mir ein.
In Moers, da weht ein rauer Wind,
Weil Moerser keine Möser sind.
Wir duschen mit Atomkraft, wir essen nicht vegan,
Wir reißen Fleisch und lassen
den Pelz am Fleisch noch dran.
Ob Peta oder Petra – das ist uns einerlei,
Wir krümeln RobbenBabys uns morgens in den Brei.
Kommst du nicht her, dich zu beklagen,
hast Eier, groß wie – würd mal sagen –
das Kirchenschiff von Sacre Coeurs:
Dann komm zu uns. Dann komm nach Moers.
Worte über Lutterbek
I’m a Lutterbeker. Lutterbek. Wo nehm sie dir die Mutter weg? Geiler als Kiel. Denn in Kiel geht nicht viel. Ich weigere mich, diesen Ort aus meinem Herzen zu reißen, bloß weil gestern keine zweistellige Zuschauerzahl erreicht wurde. Was sind überhaupt schon »Zahlen«, mate? Verkrüppelte Buchstaben, Mainzelmännchen ohne Arme und Beine. Zahlen sind die Hörste** der Semantik, logisch statt yogisch, überschaubar statt schauend.
** Klar: Plural von Horst
Nicht wir sollten den Zahlen dienen, sondern sie uns. Ich werde hier wieder hinkommen, und es werden mehr Leute zuschauen dann, und ich werd aber meine Achseln zucken und nur murmeln: »Ach? Ja? Sind heute mehr da als letztes Mal? Fällt mir gar nicht auf.« Und die Zahlengöttin (grausame alte Hetäre, die sie ist) wird mich mit zahlenden Zuschauern zuschmeißen, aber ich mach dann nur so: »Echt? Sind das jetzt mehr? Fühlt sich nicht anders an als zuvor.« Hahahaha, dann verzweifelt sie, die frivole Giftmischerin, die herzlose Countesse in ihrem kalten Zahlast. Das wird dann Gerechtigkeit sein. Yipp di dipp.
Worte über Bern(d)
Danke für eure Hingabe in Freiburg, Dresden und Leipzig. Morgen schon allerdings müsstet ihr mit nach Bernd kommen – in ein anderes Land. Ein reiches Land, wo sie schon ein bisschen dekadent sind und sich überlegen: »Die Suppe ist gekocht, die Miete ist bezahlt, was können wir jetzt tun? Ha, nennen wir unsere Stadt doch nach einem deutschen Proletarier der frühen Achtzigerjahre, ders bisher noch nirgendwohin geschafft hat: Bernd. Köstlich, kitzlig, hahahahihuha, darauf munter ein Affenhirn geschlürft.« Verkommen, zynisch, aber irgendwie auch erfrischend locker. Wir Berliner könnten uns ein Beispiel dran nehmen und unsere Stadt zum Beispiel jetzt Bowie nennen oder Bonny Strange.
Noch mehr Worte über Hamburg
Am Samstag, Kinder komm ich schoun wiedee nach Hamburch! Ich freu mich. Reeperbahn statt W-Lan-Clan, der hanseatische Flair sitzt im Bus ganz vorne, Alta. Sie sagen Schlump statt Schlumpf. Hamburch. Der Ort, wo der Tatort zu Tot-art gemacht wird. In die Fußstapfen meines großen Kollegen werd ich steigen: Erst Til, dann FiL. Erst der Nuschelprolet, dann der Muschimagnet. Hamburch, mach dein letztes Gebet!
(»Muschimagnet« ist natürlich ironisch gemeint, obwohl mich wirklich viele gut finden.)
Worte über Frankfurt
Morgen, Frankfurtereros! Tanzen statt Finanzen. Klatscht in die Hände statt Dividende. Faxen statt Daxen, mit eurem Lieblingshauptstädter FiL. Der Wowi isn Doofie, und Sido wird kein Bowie, aber FiL hat noch ein Fünkchen Stil. Für die Fünkchenmariechen, die in Frankfurt rumkriechen, für die hat er sein Stil aufbewahrt. Belesen gewesen, unbehaart und bejahrt. Wie Dschingis, der alte Mongole, erobert nun FiL die Finanzmetropole. Mainhatten (was sie gerne hätten). Der Main fließt weiter, und es wird heiter.
Worte über Köln
Häng hier noch im Bahnhofshotel ab, und ich hab die Frau eigentlich bezahlt, aber sie geht nicht. Kann hier jemand Ungarisch? Wie funktioniert dieses Babel? Mann, die analoge Welt ist so komplex. Jetzt macht sie auch noch sauber, ich komm mir auf einmal total überflüssig vor, und gestern war ich doch noch der Star.
Worte über Wolfsburg
Freunde, jetzt fehlt in meiner Sammlung der Metropolen noch Wolfsburg. Ich glaub, da hat Hitler gelebt. Auf Englisch klingt es wie Old-school-Horror: Castle of the Wolfe. Da fällt mir ein, dass ich immer mal ne christliche Heavy-Metal-Band gründen wollte, mit dem Namen CHRISTIAN WULF. Englisch ausgesprochen. Hua.
»Hey people, we are CHRISTIAN WULF and we’re gonna clean your clock.« So viel wollt ich machen und habs nicht gemacht und stattdessen nun also Wolfsburg. Kann ich mit dem Spätzug hinterher wieder zurückfahrn, das wird ein Spaß. »Hey, we are CHRISTIAN WULF and we gonna take the late train like a zombie ate brain. One, two, three, four.« Meint ihr das wird gut?
Weise Worte
Er spritzt ab.
Sie gebiert.
Es
ist kompliziert.
Worte über Kleinmachnow
There’s kein Machnow like Kleinmachnow. Benannt nach einer Figur aus der umstrittenen DDR-Bibel von 1956: Eines Tages tötete Kain Machnow seinen Bruder Schwabel. Im darauffolgenden Jahr gelang es ihm, seine Produktion um 100 Prozent zu steigern.
Wird eh Zeit, dass ich mal in den Osten geh nach über 25 Jahren – die Skinheads sind ja inzwischen vermutlich auch schon zu alt zum Klatschen.
Mehr Worte über Kleinmachnow
Schreiber, Schreiber,
in Kleinmachnow, da warten die Weiber.
Ihr Hunger nach Worten,
von Schreiber aus anderen Orten
ist phänomenal.
Wann kommt endlich mal
ein kahler Genialer
gesendet von Allah
in dieses Städtchen
und rettet die Mädchen?
The Players from Smallmakemaintenant
freun sich auf den FiL, der is ja bekannt.
Dann liest der aus seim eignen Buch
und alle denken: huch
voll gut,
voll mit Herz und Blut,
mit Schmalz und richtig dickem Hals.
Wie ein echter Schriftsteller, nur ohne die Schals
die prätentiösen seidenen,
man kann ihn gar nicht unterscheidenen
von den echten,
höchstens von den schlechten.
Und die Frau Bürgermeister
fragt: »FiL heißt der?
Ist das das Pseudonym
von ihm?
Hat er noch nen richtjen Namen?
Ich will ihn in meinen Armen.
Meine Arme, die flatternden
wolln ihn ergattern, denn
er ist so schön glatt,
besonders der Schädel.«
Und dabei errötet das alte Mädel.
Und der Hahn kräht dreimal, und sie hängen ihn auf.
Das ist leider der Geschichte Lauf.
Geschichte, Geschichte
macht alles zunichte.
»Klein-Dachau?!?«, rief FiL verzweifelt.
»Du, das hatten wir doch alles schon längst besprochen«, wunderte sich Lucy und strich ihren Seidenstrumpf glatt.
»Kleinmachnow hattest du gesagt, nicht Klein-Dachau!«
»Ja, das ist mir schon ein paarmal bei dir aufgefallen«, sagte Lucy, ihr Bein begutachtend. »Du hörst schwer. Süß. Literarisch.«
»Ich störe überhaupt nicht sehr, und ich weiß doch, was wir abgemacht hatten.« FiL hob den Fernseher vom Tischlein und warf ihn durch die Fensterscheibe.
»Genau, der Streifen muss hinten sein«, murmelte Lucy und fing an, ihren Seidenstrumpf zu drehen. FiL wurde schwindelig. Unten knallte das Gerät aufs Pflaster. Einfache Menschen, die in dieser gewissen Zeit zwischen Nochnicht und Dochschon ihren Besorgungen nachgingen, zuckten zusammen.
FiL war verzweifelt. Er hatte sich so auf Kleinmachnow gefreut, im Internet recherchiert über den Ritter von Hake, eine schillernde Figur, dessen drei Haken noch heute das K.M.N.-Wappen zierten, über die Schleuse, die historische Schleuse. Er hatte sich so gut vorbereitet, und jetzt war das alles für die Katz?
»Klein-Dachau ist doch nur deine erste Station«, versuchte Lucy ihn zu beruhigen. Bis auf den hoffnungslos verdrehten Seidenstrumpf und eine Gitanes Mademoiselles im spöttischen Mundwinkel war sie nackt. »Danach gehts nach Dresden und Weimar.«
»Zum Tresen mit Frau Beimar?«, wunderte sich FiL. Er versuchte, etwas Gutes daran zu finden. Das war wichtig. Positivity. Wenn er ein Profi werden wollte, musste er als Erstes auch ein Posi sein. Und er musste was wegstecken können.
»Hast du auch ne Kippe für mich?«, fragte er.
»Wusste gar nicht, dass du rauchst«, sagte Lucy. Ihre Brüste waren verschieden lang. Und das eine Bein war nackt, das andere aber bestrumpft. FiL wurde plötzlich übel. Er hielt sich an der Minibar fest und fixierte die Deckenlampe.
Steck das weg, sagte er sich innerlich selbst. Langsam ließ das Schwindelgefühl nach. Lucy betrachtete zufrieden diesen Mann. Sicher, noch war er ein unbehauener Klotzkopf mit schwarzen Sockenfusseln zwischen den Zehen, aber wenn sie mit ihm durch war, würde er das literarische Parkett von hinten aufrollen. Oh, sie würde ihn ganz nach oben bringen und dann … fast tat er ihr leid, wie er da so stand, weltmännisch tat und seine gute einfache Seele dabei doch so gar nicht verleugnen konnte. Er wusste nicht, dass sie ihn nur benutzen und zum Werkzeug ihrer Rache machen würde. Sie gab ihm eine Zigarette. Er platzierte sie, unbeholfen zwinkernd, im linken Mundwinkel und beugte sich dann zu ihr runter. Bevor sie ihm Feuer gab, nahm sie die Zigarette noch mal raus, küsste ganz leicht seine dicken Lippen und steckte sie dann umgekehrt wieder hinein.
»Das Gelbe ist immer am Mund«, sagte sie.
FiL verdrehte die Augen. Nichts war, wie er sichs vorgestellt hatte.
Kurze Worte über Bonn
Der Witzemacher ist ja gemeinhin kein Lacher, so wie die Wurst sich auch nicht selber schmeckt, aber jetzt: höhö. Lachend schlief ich ein und lachend bin ich grade wieder aufgewacht: Bonn in the U.S.A. Ha. Ha. Es ist so befreiend. So fühlt ihr euch also immer. Na, gern geschehn.
Worte über Ulm
Ulm. Da kommt wahrscheinlich Christian Ulm her. Mit seim Bart. Hat er einen Bart? Der Bart kommt aus Barth (ein Städtchen an der Ostsee, nicht so schön eigentlich).
Ich fürchte, meine guten Jahre sind vorbei, jetzt kommt dann wohl die Las-Vegas-Zeit, vor dem endgültigen Desaster.
Ulm, sei mein Vegas.
Die Frauen der Legos heißen Legas.
Sie haben oben die Löcher und unten die Noppen
und sie gehen gerne shoppen.
(Vielleicht könnte ich ja noch so ne Art Mario Barth (nicht so schön eigentlich) für Reiche werden. Womöglich bin ich das längst …)
Ulm klingt ja schon fast wie eine Geschlechtskrankheit. »Herr FiL, Sie haben sich da einen eitrigen Eichelulm eingefangen«, sagte der Doktor. FiL schmunzelte, wobei sich feine Grübchen bildeten. »Schon möglich, Doc«, ulmelte er und sah aus dem Fenster. Ulma war ihr Name gewesen, sie war seine Walküre gewesen, er ihr Rasputin. Für eine verrückte Nacht. Kurz kennen, pennen, rennen und brennen – das war FiLs Leben, schon seit Jahrzehnten. Und er liebte jede Sekunde davon.
Worte über Eschwege
Eschwege, open flair,
put the flower in the hair.
Put the band around the wrist,
grab the girlfriend by the zist,
grab the boyfriend by the string:
FiL will come and FiL will sing.
Funny for the money
open in the sunny
Eschwege
in Gottes Freiluftgehege
Eschwege.
Erst
Schön
Koks
Holen,
Wa,
Ey,
Geil,
Ey.
Eschwege
Weise Worte
Wenn ich Fleisch essen würde, würd ich übrigens nur Tiere aus Massenhaltung verzehren, für die der Tod eine Erlösung ist. Ich mein, kuck mal, Biofleischfreund, zieh mal die Analogie: Wen würdest du lieber essen: irgendeinen namenlosen Fabrikarbeiter aus Stirbsilien oder deine Schwester?
Worte über Münster und Worte über Bielefeld
Hey. Am Wochenende (für mich heißt dis ja Workingende, und selbst das klingt falsch. Sprache ist Scheiße), also am Wochenende, oder sagen wir, Freitag und Samstag (obwohls die ja nie zusammen geben kann, krass wa?) tret ich in Münster und Bielefeld auf, zwei Städte, die ich nur als ihre eigenen Namen kenne.
Dann fahr ich in die Städte rein wie ein Blitz, und dann mach ich da meine Witze-Show.
Münster. Münster-AG, Alta. Wenn einer was kann, dann ist er ein Künster, und dann kommt er münstens aus Münster. Und Bielefeld, da wohn wohl Küblböck und David Bowie, wa? Münst und Biele sind zwei Städte, wo ich gern mehr drüber gewusst ja hätte.
Jessika Bielefeld und Münstin Timberlake? Such ich hier ne Verbindung, wo gar keine ist? Was ist mein Auftrag dort? Wird das nicht langweilig an zwei nacheinandernen Tagen dasselbe zu machen?
Worte über Frankfurt-Hausen
Frankfurt. Hausen. Kein Bezirk, in keiner Stadt der Welt, hat einen geileren Namen. Hausen, Alta. Einfach mal: Hausen. Reicht. Says it all. Isn’t it what we all do in the end? Hausen. So deep. Simply loving it. »Wo wohnst du?« – »In Hausen.« Wäre doch die ganze Welt von diesem derben direkten Geiste durchdrungen. »Was isst du?« – »Essen.« »Wer ist diese Frau?« – »Frau.« »Wo wohnt sie?« – »In Frausen.«
Ok, jetzt nervts langsam.
Weitere Worte über Berlin
Berlin! Hure, Weltstadt, Klaps aufn Po Europas! Die Stadt, wo »teilen« mal was ganz anderes bedeutete als jetzt bei Facebook. Wie könnte ich nicht immer wieder dorthin zurückkehren? Knifflige Frage. Die Antwort ist: nein. Berlin, icke komme, wa, wieder. Denn du tust so jut.
Berlin, Berlin,
die City ohne pity,
die Ärja-area, wod jerne ooch ma knallt.
Bloodspillage-village, hier bleibt der Ölzweig kalt.
Hier heißt der Gandhi Andi,
und Frieden wird vermieden.
Und deine Eierkuchen,
kannste hier lange suchen.
Aba een Herz, eenn Pumperich,
dit hammwa ooch, täuscht euch da nich.
»Aus–gerechnet Klein-Dachau. Klein-Dachau verlangt ihr von mir!«, sang FiL und tanzte dabei mit der Klobürste als Mikrofon nackt durch die Zimmer seiner heruntergekommenen Mietwohnung. Draußen breitete der frühe Februar ein graues Laken über der Stadt aus. Die Menschen hasteten etwas bedächtiger als im Sommer von Event zu Event. Dennoch ruhte nichts. Ruhe schien diese Stadt nur in den graublauen Nachtigallstunden vergangener Verlorenheit zu finden und auch dann nur als Idee, als Blaupause, als gut gemeinter Vorschlag, als Perduktont. Sie war BERLIN – Mutter, Hure, Gespielin –, geboren, um zu werden, gegossen, um zu fließen und Generation nach Generation vertraute sich diesem Mussfluss herzoffen an.
FiLs Türklingel schrillte.
»Ein geniales System«, dachte er. »Klopfen würde man ja gar nicht hören hier oben im Vierten.« Er stellte sich vor, wie sich unten jemand die Knöchel blutig klopfte, während er oben nichtsahnend sang und tanzte. Darüber musste er laut lachen. FiL war heute bemerkenswert gut gelaunt. Er hatte sich mit Klein-Dachau arrangiert. Im Grunde war das sogar viel besser, die erste Lesung in einem kleinen Ort zu machen und nicht gleich in K.M.N. oder so. Klein-Dachau klang auch ein bisschen nach Hitler, und Lucy hatte ihm versichert, dass Hitler »wieder da« war in der Belletristik. Dann hatte sie gelacht, und weil sie dabei so glücklich ausgesehen hatte, hatte FiL mitgelacht, obwohl er Hitler nicht so mochte.
Die Türklingel schrillte ein zweites Mal.
»Jaaa?«, fragte FiL in die Sprechanlage und stellte sich dabei vor, wie er hier oben nackt war, der Klingler unten aber angezogen und nichtsahnend. Gerade wollte er darüber lachen, als es ihn durchzuckte: »Der Klingler«! So könnte doch sein zweites Buch heißen! Schnell aufschreiben! Er strich sich über die haarigen Pobacken auf der Suche nach Papier, Tinte und Feder, als Lucys Stimme erklang: »Ich bins. Kann ich hochkommen?«
»Weiß nicht, ob du kannst«, sagte FiL gut gelaunt und lachte. Ja, er war ein Berliner. Wenn es jemals einen gegeben hatte, dann ihn. Er drückte den Summer (so könnte doch sein nächstes Buch heißen! »Der Summer«! Oder »Summer-Love«! Schnell aufschreiben!), öffnete die Tür, warf sich einen bunt gebatikten Seidenschal um die Hüften und lauschte dann ins Treppenhaus hinein.
Er mochte die Gleichförmigkeit und die nervöse Hast von Lucys kleinen Schritten. Vertraut waren sie ihm geworden, genauso wie das leichte Keuchen, das bereits im zweiten Stock einsetzte. Lucy war ja Raucherin und nicht mehr jung – genau wie Lauren Bacall, wenn die noch leben würde.
FiLs Nachbar gegenüber, der alte Joe, öffnete seine Wohnungstür und starrte auf den notdürftig verhangenen Schreiber.
»Aus-gerechnet Klein-Dachau!«, schmetterte FiL ihm vor die Nuss, weil ja nun eh alles egal war. Joe schloss die Tür wieder.
»Wie gehts meinem – uff – Lieblings – hah – autoren?«, fragte Lucy. Sie trug heute einen grauen Hosenanzug. Gar keinen Rock.
Seine Enttäuschung ungelenk verbergend frotzelte FiL: »Weiß nicht. Aber MIR gehts gut. Aus-gerechnet Klein-Dachau. Klein-Dachau verlangt ihr von mir!«
Lucy trat ein und haute FiL, als er die Tür schloss, mit der flachen Hand auf den Hintern. Einerseits mochte FiL das, andererseits mochte er es auch wieder nicht. Vielleicht bin ich bipolar, dachte er ein wenig in Sorge, muss endlich mal diesen Onlinetest machen.
»Darf ich?« Fragend zündete Lucy sich eine Zigarette an.
»Nein«, witzelte FiL, aber der Schwung war raus. Irgendwas stimmte nicht. »Zur Sache, Schätzchen, mach keine Mätzchen«, sagte er.
Lucy fasste unter FiLs Seidenrock und drehte seinen Penis nachdenklich hin und her. FiL fands wieder gut und schlecht zugleich. Die Ambivalenz nahm ihn in ihre dürren Spinnenarme und begann ihn einzuwickeln.
»Aus-gerechnet Klein-Dachau!«, murmelte er, aber nun klang es wie: »Vater unser im Himmel.«
»Ich habe eine gute Nachricht«, sagte Lucy, Rauch ausstoßend, während sich ihre Mandelaugen verengten. Lucy war kurzsichtig, trug aber keine Brille, obwohl das total gepasst hätte, weil sie doch im Literaturbetrieb arbeitete und FiL auf Brillen stand. Zum ersten Mal fragte sich FiL, ob hier vielleicht einfach mal gar nichts stimmte. War das alles nur eine Farce? Er? Schriftsteller? WAR FiL das am Ende gar nicht? Kalter Angstschweiß brach ihm aus. Lucy steckte einen spitzen Nagel unter FiLs Vorhaut und schnippste sie weg. Dann wiederholte sie diese Prozedur.
»Also … Klein-Dachau ist gestorben«, sagte sie.
»Waaaas? Aber …«
»Warte mal, das ist im Grunde total gut für uns.«
»Aber wieso? Es war doch alles schon geklärt!«
»Sie haben uns abgesagt. Du, die haben überhaupt keine Ahnung. Das sind Spießer, die ihre Töpfe verwalten. Ullstein hat ihnen das Darmmädchen angeboten, und die machen sie jetzt stattdessen.«
»Was, diese Julia?«
»Giulia, FiL, Giulia.«
»Aber das ist doch was ganz anderes. Könnten wir nicht beide da lesen? Ich find die ja auch total nett. Sie kann doch erst ihren Darm und dann ich …?«
Lucy drückte FiLs Penis so fest, dass es wehtat, aber er durfte sich nichts anmerken lassen. Er musste Lucy jetzt zeigen, dass er Selbstbewusstsein und Fokus hatte.
»Bitte, Lucy, kannst du nicht noch mal da anrufen? Vielleicht kann ich für weniger Geld lesen? Ich würds auch für die Hälfte machen, hast du das denen schon gesagt?«
»Ich red nicht mehr mit denen. Vergiss Klein-Dachau. Wir haben was Besseres.«
»Was denn? Was haben wir denn?«
»Bist du bereit dafür?«
»Jetzt sag schon.«
»Klein-Schwachau.«
»Nein.«
»Warte mal. Klein-Schwachau ist eine Gemeinde östlich von Klein-Dachau. Zugegeben, sie ist nicht so groß, aber genau das ist unser Vorteil. In Klein-Dachau haben sie jede Woche eine Veranstaltung, die Leute da sind satt und verwöhnt. In Klein-Schwachau findet nur einmal im Monat was statt, und das ist normalerweise was mit Country und Western. In Klein-Schwachau kriegen wir die Hütte voll, das gibt gute Stimmung. Und die Presse ist auch interessiert. In den größeren Orten kannst du da nichts reißen, aber an den Klein-Schwachauer Schweinenews bin ich dran und die haben signalisiert, dass sie ne schön fette Geschichte machen würden.«
»Ach.«
»Komm, mein Großer, vertrau mir. Kuck mal.« Lucy drückte ihre Zigarette in FiLs Keller-und-Fahrradschlüsselschälchen aus, knöpfte ihre Hose auf und zog sie sich mit eckigen Bewegungen aus. Drunter trug sie eine glänzende Strumpfhose; ohne Schlüpfer, genauso wie dieses Kleidungsstück eigentlich gedacht war. Lucy hatte Stil. Sie nahm FiLs Hände und legte sie auf ihren seidigen Po.
»Oh«, machte FiL.
»Gefällt dir das?«, flüsterte sie in sein Ohr und biss ihn ins Läppchen.
»Ja.«
»Schau, für dich hab ich auch eine«, sagte sie, griff in ihre Handtasche und holte eine Strumpfhosenpackung raus. Seidenmatt stand auf der Packung.
»Für … mich?« FiL schwirrte der Kopf. Seidenmatt? Fußleisten lackieren, dachte FiL, Fußleisten lackieren.
»Probier sie doch mal an «, sagte Lucy und riss die Packung auf.
»Hä? Wieso soll ich …? Wie kommst du denn jetzt …?!«
»Schsch«, machte Lucy, entfaltete die Strumpfhose und kniete sich vor FiL hin, um sie ihm anzuziehen.
Hoffentlich denkt sie nicht, ich bin schwul, schoss es FiL durch den Kopf, während er ein Bein nach dem anderen hob.
»Bist du sicher, dass das vorne ist?«, fragte er. Es fühlte sich falsch an. Eng. Aber auch seidig, und vielleicht war das hier einer von diesen berühmten Momenten, wo Sterbende auf ihrem Sterbebett bereuen, dass sie das nicht gemacht haben. Oder so.
»Komm«, sagte Lucy, als sie fertig war. Sie nahm ihn bei der Hand und führte ihn ins Schlafzimmer. FiL vermied es, in den Spiegel zu sehn.
»Komm«, sagte Lucy noch mal, ließ sich aufs Bett fallen und zog FiL zu sich herunter. Durch die ungewohnte Seidigkeit seiner Beine spürte er nun die ihre. Er fühlte sich Lucy so nahe, als wären sie ein- und dieselbe Person.
»So fühlt sich wohl ein Würstchen«, scherzte er heiser, um nicht völlig die Kontrolle über die Situation zu verlieren. Lucy biss ihn in den Hals.
Von gegenüber beobachtete der alte Joe die Sache durch FiLs vorhangloses Fenster. Er seufzte und goss seinen Basilikum. Joe mochte den Februar. Noch kein Frühling. Keine Verpflichtung, glücklich und erfüllt zu sein. Einkehr. Einkehr hielt man im Februar.