9783961610891.jpg

Das Buch

Simon ist fremdgegangen! Enttäuscht zieht Ellen mit ihren anstrengenden Pubertieren aufs Land – schließlich hat sie immer schon von einem Häuschen im Grünen geträumt. Doch die ländliche Idylle hält nicht, was sie verspricht, und für ihre beiden süßen Kleinen – beide im Dauer-schlechte-Laune-Teenager-Modus – ist die neue Situation auch nicht gerade einfach. Da kann man Mami schon mal auf Instagram blockieren und sich ein unerlaubtes Bauchnabel-Piercing zulegen. Oder sich auf Partys betrinken ... Ellen kommt ins Grübeln. Vielleicht sollte sie Simon doch noch eine Chance geben, den Kindern zuliebe? Mitten in diesem Gefühlschaos erleidet ihr Vater einen Herzinfarkt. Ein echtes Katastrophenjahr nimmt seinen Lauf, und alles, was Ellen bleibt, sind ihre Freunde, ihr Fatalismus – und ihr unerschütterlicher Humor.

Die Autorin

Gill Sims ist die Autorin der Bestseller MAMI BRAUCHT ’NEN DRINK und MAMI MUSS MAL RAUS, die ganz Großbritannien im Sturm eroberten. Mit Witz und Verve schildert sie darin ihr turbulentes Familienleben, den ganz normalen Wahnsinn im Alltag als Ehefrau und Working Mum.

MAMI KANN AUCH ANDERS ist der dritte Teil der Mami-Memoiren, der in England erneut die Bestsellerlisten anführte. Mit ihrem Mann, zwei Kindern und einem schwer erziehbaren Border Terrier lebt Gill Sims in Schottland.

GILL SIMS

14066.jpg

ROMAN

Aus dem Englischen von Ursula C. Sturm

781.jpg

Besuchen Sie uns im Internet:

www.eisele-verlag.de


Die Originalausgabe »Why Mummy Doesn’t Give a F***.
Because Family Begins with a Capital F« erschien 2019
bei HarperCollins Publishers Ltd, London.


ISBN 978-3-96161-089-1


1. Auflage 2020

© 2019 Gill Sims

© Coverillustration: Tom Gauld/Heart Agency

© Coverdesign: HarperCollins Publishers Ltd 2019

Umschlaggestaltung: FAVORITBUERO, München

© 2020 der deutschsprachigen Ausgabe

Julia Eisele Verlags GmbH, München

E-Book: LVD GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten.

14094.jpg

14861.jpg

Mittwoch, 3. Januar

Der erste Arbeitstag nach Weihnachten und Neujahr ist immer recht ernüchternd. Es ist ein Schock, wenn einem so jäh bewusst wird, dass es noch andere Lebensmittel als Toblerone, Quality Street und Käse gibt und es nun wieder verpönt ist, sich um zwei Uhr nachmittags das erste Glas Wein zu gönnen, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass man ein funktionierender Erwachsener mit einem verantwortungsvollen Job ist und nicht immer nur in Kleidungsstücken mit Gummibund herumlaufen kann. Noch unerfreulicher ist es, wenn sich die Weihnachtszeit euphemistisch ausgedrückt »unentspannt« gestaltet hat und auf besagten ersten Arbeitstag eine Sitzung bei der Eheberaterin folgt.

Unsere Therapeutin Christina wurde mir von Debbie aus der Personalabteilung meiner Firma wärmstens empfohlen, hatte sie doch die Ehe von Debbies Schwester gerettet, nachdem ans Licht gekommen war, dass Debbies Schwager eine Affäre mit der Grundschullehrerin hatte – und zwar seit der Einschulung seiner Zwillingstöchter, die zum Zeitpunkt seiner Entlarvung als Ehebrecher bereits in die zehnte Klasse gingen. Angeblich steht Debbies Schwager darauf, sich den mit PVA-Kleber und Glitzer beschmierten Hintern versohlen zu lassen, was sein Faible für Grundschullehrerinnen erklären dürfte, für die derlei Bastelutensilien ja quasi zum täglichen Leben gehören. Na, jedenfalls dachte ich, wenn es dieser Christina quasi mit einem kurzen Wedeln ihres Zauberstabs gelang, derlei harte Nüsse zu knacken, dann müsste es für sie doch ein Kinderspiel sein, meine krisengebeutelte Beziehung zu kitten.

Schließlich waren bei Simon zumindest keine bizarren sexuellen Neigungen zum Vorschein gekommen. Und im Gegensatz zu Debbies Schwester war ich nicht mit einer Frau betrogen worden, der ich mehrere Tassen mit »Weltbeste Lehrerin«-Aufdruck sowie etliche Flaschen Wein geschenkt hatte und die mir Vorträge darüber gehalten hatte, wie wichtig es doch ist, seinen kleinen Lieblingen jeden Abend etwas vorzulesen. Im Lichte all dessen mag Simons One-Night-Stand mit einer sexy Señorita, die er auf einer Geschäftsreise nach Madrid kennengelernt hat, fast schon wie eine Bagatelle erscheinen. Jedenfalls hätte es bedeutend schlimmer sein können.

Genau das sage ich mir immer wieder: »Kopf hoch! Es könnte schlimmer sein!« Er hätte es ja auch wie der Daddy der perfekten Lucy Atkinson machen können, der Lucy Atkinsons perfekte Mami ausgerechnet wegen ihrer Busenfreundin, der hyperambitionierten Sozialexhibitionistin Fiona Montague, hat sitzen lassen. Ich konnte Fiona noch nie leiden. Sie ist total aufgeblasen und legt sich immer ein bisschen zu sehr ins Zeug. Aber Lucys Daddy findet offenbar Gefallen an ihren Blasfähigkeiten, obwohl er zu einem regelrechten Fettklops mutiert ist, seit er bei Fiona wohnt – wie es aussieht, übertreibt er es mit dem Genuss der gottverdammten Cupcakes, von denen sie in einer Tour Fotos auf Instagram postet. Zum Glück haben sowohl Peter als auch Jane mittlerweile die Grundschule hinter sich und müssen nicht mehr höchstpersönlich am Tor zum Schulhof abgeliefert werden, zumindest diese Schmach bliebe mir also erspart. Und Simon hasst Cupcakes.

Auf der anderen Seite war es schlimm genug. Bei Simons Geständnis vor zwei Monaten war mir, als hätte mir jemand in den Bauch geboxt – mir blieb im wahrsten Sinne des Wortes die Luft weg. Mir ist noch immer völlig schleierhaft, was ihn geritten hat, mir davon zu erzählen. Angeblich wollte er sein Gewissen erleichtern.

Bis zu diesem verhängnisvollen Tag hatte ich die Formulierung »ein Mahlstrom der Gefühle« lediglich vom Hörensagen gekannt – was genau es bedeutet, darin gefangen zu sein, wurde mir erst bewusst, als ich plötzlich ständig zwischen Wut, Verzweiflung, dem bemerkenswert starken Drang, Simon umzubringen, sowie kurzen Phasen der Gelassenheit oszillierte, in denen ich mir sagte: »Wir sind erwachsen, wir haben zwei Kinder, wir sind seit fünfundzwanzig Jahren zusammen. Wir stehen das durch.« Zum ersten Mal in meinem Leben konnte ich vor Übelkeit drei Tage lang nichts essen – bis dahin hatte ich in hochemotionalen Phasen stets zu Frustessen tendiert. Ein Gutes hat die Sache immerhin: Hinterher war ich fünf Kilo leichter.

Es folgten etliche Wochen, in denen Simon mit zerknirschter Miene herumlief und sich immer wieder entschuldigte, während ich vergeblich darauf wartete, dass meine Wut auf ihn verrauchte. Doch jeder unserer Versuche, die Angelegenheit wie zwei reife Erwachsene zu diskutieren, endete unweigerlich damit, dass ich ausrastete und Simon damit drohte, ihm die Eier zu amputieren, sollte er noch ein einziges Mal behaupten, es habe ihm nicht das Geringste bedeutet – wenn es ihm nämlich verdammt nochmal nicht das Geringste bedeutet hat, warum zum Teufel hatte er es dann überhaupt getan? Ja, schon klar, es war »bloß Sex« gewesen, aber dieses vollkommen schwachsinnige Argument machte es meiner Ansicht nach kein bisschen besser. Irgendwann kamen wir zu dem Schluss, dass es so nicht weitergehen konnte und wir wohl professionelle Hilfe in Anspruch nehmen sollten.

Da ich ein Gespräch mitangehört hatte, in dem Debbie aus der Personalabteilung diese Christina in den höchsten Tönen gelobt hatte, bat ich sie diskret um Christinas Telefonnummer. »Für eine Freundin«, sagte ich selbstredend, denn es ist nicht eben ratsam, Debbie etwas anzuvertrauen, wenn man nicht will, dass die gesamte Firma davon erfährt. Zugegeben, Debbies ausgeprägte Tendenz zum Tratschen hat auch Vorteile, etwa, wenn man Neuigkeiten oder Gerüchte in Umlauf bringen will: Wer Debbie etwas »unter dem Siegel der Verschwiegenheit« erzählt, kann sich darauf verlassen, dass spätestens bis Feierabend die gesamte Belegschaft Bescheid weiß.

Simon war zunächst dagegen, dass wir eine Eheberatung in Anspruch nehmen und argumentierte typisch britisch, er wolle seine schmutzige Wäsche nicht vor anderen Leuten waschen und das sei doch alles bloß hirnverbranntes esoterisches Geschwafel, erklärte sich schließlich aber bereit, es zumindest zu versuchen, in der Hoffnung, dass ich nicht mehr so viel herumschreien würde. Also vereinbarten wir einen Termin.

Erstaunlicherweise wurde Simon schon bei der ersten Sitzung bekehrt. Ich glaube, ihm gefiel, dass Christina gleich vorweg bemerkte, sie wolle einen Rahmen für urteilsfreie Gespräche schaffen und werde lediglich als Mediatorin fungieren, ohne einer Partei Schuld zuzuweisen oder darüber zu urteilen, wer von uns im Recht sei und wer im Unrecht. Er genoss es auch sehr, dass man während der Sitzung die Stimme nicht erheben durfte, sprich, ich durfte ihn nicht anschreien, was ihm zumindest eine Stunde Ruhe pro Woche verschaffte.

Ich dagegen fand die Eheberaterin gelinde gesagt ziemlich scheiße, war ich doch ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass sie sich auf meine Seite schlagen würde. Ich hatte ganz klar auf Schuldzuweisungen gehofft, darauf, dass sie hinter mir stehen und Simon bewusst machen würde, was für ein Wichser er war, ehe sie ihm eine angemessene Strafe aufbrummte, damit wir, wenn er für seinen Fehltritt Buße getan hatte, die Angelegenheit irgendwann hinter uns lassen konnten. Sie hätte ihn ja zu einer Art gemeinnütziger Arbeit verdonnern können (beispielsweise für den Rest unseres gemeinsamen Lebens das Bügeln und das Erneuern der Klorollen zu übernehmen), oder verfügen, dass man ihm eine Schandgeige anlegte und ihn auspeitschte oder sowas.

Doch statt mir zuzustimmen, dass Simon ein Dreckschwein ist und bestraft werden muss, ehe Gras über die Sache wachsen kann, säuselte sie bloß: »Hm. Und, wie fühlen Sie sich damit?« und ähnlich sinnloses Zeug.

Die heutige Sitzung war auch wieder genau nach diesem Muster abgelaufen. Simon erwies sich als überraschend gesprächig, wenn es darum ging, seine Gefühle zu beschreiben, insbesondere die Gefühle, die seine spanische Señorita bei ihm geweckt hatte (»Ich hab mich lebendig gefühlt. Begehrt. Sie hat mir das Gefühl gegeben, dass ich ihr wichtig bin!«). Ich dagegen war deutlich weniger mitteilsam.

»Hm. Und, Ellen, wie geht es Ihnen damit, wenn Sie das hören?«

»Mir? Bestens. Ganz hervorragend. Alles wunderprächtig«, zischte ich mit zusammengebissenen Zähnen, weil mir ja jegliches Gezeter verboten war und ich deshalb nicht brüllen konnte: »Mir warst du auch wichtig, du unsensibler Hornochse! Du wolltest dich begehrt fühlen? Meinst du etwa, mir ging es anders? Aber im Gegensatz zu dir bin ich nicht hingegangen und hab einen anderen gevögelt, verdammt nochmal! Ich hab mich an unser Ehegelübde gehalten, dabei hätte ich durchaus mit etlichen Kerlen ins Bett hüpfen können, so ich denn gewollt hätte! Aber ich hab’s nicht getan, weil ich nämlich kein solches RIESENARSCHLOCH BIN WIE DU! Und jetzt erwartest du auch noch Mitleid von mir? Und übrigens: Wie kann es sein, dass eine Frau, die dir angeblich ›nicht das Geringste‹ bedeutet, ach-so-tolle Gefühle bei dir hervorruft, hm? Du verfluchter WICHSER

»Tatsächlich?«, flötete Christina. »Ich habe aber das Gefühl, dass Sie ziemlich aufgebracht sind, Ellen.«

»Keineswegs.« Ich strahlte sie an. »Kein bisschen.«

»Also, auf mich erwecken Sie den Anschein, als würden Sie gleich explodieren vor Wut, Ellen. Wollen Sie darüber reden?«, beharrte Christina, während Simon weise nickte und ich im Stillen keifte: »Na klar bin ich wütend, verdammt nochmal! Wenn ich nicht stinkwütend und verletzt und am Boden zerstört wäre, dann säßen wir doch wohl nicht hier, oder?« Man möchte meinen, eine Paartherapeutin sollte dafür sorgen, dass die Wut ihrer Klienten nachließ, statt zusätzlich Öl ins Feuer zu gießen, oder? Ich meine, siebzig Pfund die Stunde für Aussagen wie: »Sie erwecken auf mich den Anschein, als würden Sie gleich explodieren vor Wut, Ellen«? Nach unserem ersten Termin hatte ich kurz mit dem Gedanken gespielt, mich zur Eheberaterin umschulen zu lassen – aber zu einer, die etwas taugt. Die nicht bloß fragt: »Und, wie geht es Ihnen damit?« und behauptet, Schuldzuweisungen gehörten nicht zu ihrem Aufgabenspektrum, sondern Dinge sagt wie: »Das ist ja unter aller Sau!« und »Ihr Ehemann ist ein Dreckschwein, kein Zweifel.« Das würde mir garantiert liegen.

Wie dem auch sei, jetzt platzte mir doch der Kragen, vielleicht, weil ich daran denken musste, wie viele Schuhe ich mir mit dem ganzen Geld hätte kaufen können, das wir Christina in den Rachen schoben, damit sie mir sagte, ich wirke »ziemlich aufgebracht«.

»Überrascht es Sie etwa, dass ich wütend bin?«, fauchte ich. »Es geht doch pausenlos nur um Simon – darum, was Simon will, was Simon empfindet, was Simon braucht. Kein Schwein interessiert sich für das, was ich will, für meine Gefühle und Bedürfnisse! Wir reden immer nur über Simons Gefühle.«

»Naja, wann immer ich Sie frage, wie es Ihnen geht, antworten Sie mit ›bestens‹ oder ›hervorragend‹«, erinnerte mich Christina sanft.

»Es geht mir beschissen, was sonst?«, lamentierte ich. »Mein Mann war mit einer anderen im Bett, und meine Ehe ist ein Scherbenhaufen! Wie zum Teufel können Sie da annehmen, es würde mir ›hervorragend‹ gehen?«

»Das tue ich nicht«, belehrte mich Christina. »Aber wann immer ich Sie nach Ihren Gefühlen frage, blocken Sie ab und leugnen, dass Sie wütend oder traurig sind. Also, fahren Sie fort.«

»Simon sagt, er fühlt sich ungeliebt und vernachlässigt, aber auf die Idee, dass es mir genauso geht, kommt er nicht! Ich empfinde genau dasselbe, und jetzt noch tausend Mal mehr! Er hat jemanden gefunden, der ihm das Gefühl vermittelt hat, begehrenswert zu sein. Er hatte seinen Spaß, ein spanisches Schäferstündchen, das ihm einen Kick verpasst und seinem Selbstwertgefühl Auftrieb gegeben hat. Und was ist mit mir? Er hatte ein nettes kleines Abenteuer, aber ich bin leer ausgegangen, und obendrein wird von mir erwartet, dass ich einfach weitermache wie bisher, gerade so, als wäre nichts passiert. Und ich habe nach wie vor einen Mann an der Backe, der keine Notiz von mir nimmt, geschweige denn mir das Gefühl vermittelt, begehrt zu werden.«

»Ich nehme sehr wohl Notiz von dir«, sagte Simon ungehalten.

»Nein, tust du nicht«, erwiderte ich verzweifelt. »Ich bin doch total unsichtbar für dich, wie ein altes Möbelstück. Du merkst weder, wie ich aussehe, noch, was ich tue, und du merkst definitiv nicht, was ich empfinde.«

»Ich merke sehr wohl, wie du aussiehst«, beharrte Simon.

»Tust du nicht. Ich kann mich noch so sehr aufhübschen, es fällt dir gar nicht mehr auf. Du sagst keinen Pieps. Nie machst du mir ein Kompliment, und wenn ich dich frage, wie ich aussehe, dann blickst du nicht einmal von deinem iPad hoch, sondern grunzt bloß: ›Gut, wie immer‹, und das war’s.«

»Na, weil es stimmt. Du siehst immer gut aus. Was willst du denn hören?«

»Simon, dieses ›Gut, wie immer‹ bedeutet doch lediglich ›Dein Outfit ist salonfähig; du hast weder Spinat zwischen den Zähnen noch steckt dein Rock hinten in der Unterhose, es spricht nichts dagegen, dass du dich so in der Öffentlichkeit zeigst.‹ Es fällt dir gar nicht auf, wenn ich mir mal ein bisschen mehr Mühe als sonst gegeben habe, ganz egal, ob ich beim Friseur war oder ein neues Kleid trage. Und selbst um dieses widerstrebend gebrummte ›Gut, wie immer‹ lässt du mich betteln!«

»Herrje, mir war nicht klar, dass das so eine große Sache ist. Tut mir leid. Ich werd’s nie wieder sagen.«

»Mach mir ein Kompliment, Simon. Na, los! Sag mir etwas Nettes!«

»Ah! Sehr vielversprechend«, hauchte Christina.

»Hm …« Simon überlegte angestrengt. »Ah, jetzt weiß ich was: Deine Lasagne ist die beste, die ich je gegessen habe.«

Ich stierte ihn ungläubig an.

»Meine Lasagne? Ist das dein Ernst? MEINE LASAGNE? Das ist das NETTESTE, was dir einfällt? Meine beste, herausragendste Eigenschaft? MEINE GOTTVERDAMMTE LASAGNE

»Naja, du hast mich kalt erwischt, und das, was mir sonst noch so eingefallen ist, war definitiv nicht salonfähig.«

»Meine Lasagne also. Mehr fällt dir echt nicht ein? Nach fünfundzwanzig Jahren ist das der einzige Grund, warum du noch mit mir verheiratet bist?«, schrie ich.

»Ellen, ich muss Sie bitten, nicht die Stimme zu erheben«, ermahnte mich Christina mit ihrer nervtötend gelassenen Art.

»Oh, Verzeihung. Tut mir echt leid. Ich möchte hier natürlich keine Szene machen … Aber jetzt mal ganz im Ernst, Christina: Ist es ein Wunder, dass ich wütend bin, wenn mein Mann einen derartigen Bockmist von sich gibt?«

»Wie Sie wissen, bin ich unparteiisch, Ellen. Es geht hier nicht um mich, sondern um Sie und Simon. Simon, wie geht es Ihnen mit Ellens Behauptung, Sie würden keine Notiz von ihr nehmen?«

»Nun, ich finde das reichlich scheinheilig. Sie nimmt von mir doch auch keine Notiz«, antwortete Simon trotzig. »Sie hat keinen blassen Schimmer, wer ich bin, was ich mir vom Leben erwarte, oder was mir gefällt und wofür ich mich interessiere …«

»Ganz offensichtlich mehr für Tapas als für Lasagne«, knurrte ich.

»Ellen, ich muss Sie bitten, Simon nicht mehr zu unterbrechen. Lassen Sie ihn ausreden, ja?«, wies mich Christina zurecht. Sie führte sich echt auf wie diese beknackte Supernanny. Wahrscheinlich sagte sie gleich noch, ich solle mich in die Ecke stellen und mich schämen.

Simon fuhr fort: »Du sagst, du willst nicht, dass die Familie auseinandergerissen wird. Dass die Kinder an den Wochenenden zwischen zwei Wohnorten pendeln müssen, früher oder später eine Stiefmutter und einen Stiefvater bekommen und zu Bauernopfern in elterlichen Auseinandersetzungen mutieren, so wie du und deine Schwester. Ich habe den Eindruck, wir sind in erster Linie nur deswegen noch verheiratet, weil du unseren Kindern all das ersparen willst, und nicht, weil du unbedingt mit mir zusammen sein willst. Du behauptest, ich würde keine Notiz von dir nehmen, aber umgekehrt ist es doch genauso. Ich könnte irgendein Kerl sein. Ich bin eine anonyme Vaterfigur, ein Ehemann, der nur Platz in deinem Leben hat, weil du jemanden brauchst, der den Laden zusammenhä–«

»Immer noch besser als von dir bloß noch als Haushälterin, Köchin und Kindermädchen betrachtet zu werden«, konterte ich.

»Ellen, zum allerletzten Mal: Sie sollen Simon nicht ins Wort fallen«, tadelte mich Christina. »Wenn das noch einmal vorkommt, muss ich Ihnen die gelbe Karte zeigen.«

Ich starrte sie finster an. Sie starrte zurück. Ihre gelbe Karte war doch im Prinzip nichts anderes, als mir mit der Verbannung in die Ecke zu drohen. Simon hatte sie noch nie mit der gelben Karte gedroht. Zweifellos mochte sie ihn lieber als mich, und das war total unfair.

»Ich weiß gar nicht, ob du mich überhaupt noch liebst, Ellen«, verkündete Simon mit einem theatralischen Seufzer. »Und damit stellt sich für mich die Frage, ob ich dich noch liebe. Ich weiß es ehrlich gesagt nicht.«

Ich öffnete den Mund, um etwas zu entgegnen – Scheiß auf Christina und ihre gelbe Karte –, doch just in dem Moment verkündete sie: »Tut mir sehr leid, aber unsere Zeit ist rum. Das war ja nun doch noch recht aufschlussreich.«

So, so. Ihr war es also sehr wohl gestattet, uns ins Wort zu fallen!

Benommen schlüpfte ich in meinen Mantel und verließ mit Simon die Praxis. Die Kälte draußen auf der Straße wirkte ernüchternd wie ein Schlag ins Gesicht. Mit einem nassen Hering.

»Du liebst mich also nicht mehr?«, schnarrte ich. »Wozu dann das Ganze, wenn du mich gar nicht mehr liebst? Warum schleppst du mich dann überhaupt zur Eheberatung?«

»Mach jetzt bitte keine Szene, Ellen«, sagte Simon brüsk. »Nicht hier, mitten auf der Straße.« Er dirigierte mich zu einer Bar direkt neben Christinas Praxis. »Lass uns was trinken gehen.«

»Ach, das ist das Einzige, was dir Kopfzerbrechen bereitet? Dass ich dir mitten auf der Straße eine Szene machen könnte?«, fauchte ich und fügte hinzu: »Und überhaupt müssen wir die Kinder abholen.«

»Die können auch mal eine halbe Stunde warten. Wir müssen reden.«

»Wir haben gerade geredet, und du hast deinen Standpunkt sehr klar dargelegt. Was gibt es denn da noch groß zu sagen?«

»Okay, ich will mit dir reden.«

Es war eine sehr schöne Bar; eine mit gemütlichen Sitzecken und dezenter Beleuchtung, und unter normalen Umständen wäre mir in diesem Moment sicher durch den Kopf gegangen, wie gut sich ein Foto davon auf Instagram machen würde.

Simon brachte mir ein Glas Wein und setzte sich neben mich. »So kann es nicht weitergehen«, stellte er fest. »Du machst dich total kaputt, und ich kann das nicht mehr mit ansehen.«

»Ach, du kannst das nicht mehr mit ansehen? Ausgerechnet du – der Mensch, der eigentlich immer für mich da sein sollte, der mir niemals wehtun sollte, der mir aber praktisch das Herz aus der Brust gerissen hat –, du sagst mir, ich soll mich gefälligst zusammenreißen, weil du nicht mehr mit ansehen willst, wie ich leide? Erst betrügst du mich, dann fällt dir nichts ein, was du an mir gut findest, außer meiner Lasagne, und zur Krönung eröffnest du mir, dass du mich nicht mehr liebst! Soll ich da verdammt nochmal frohlocken, oder wie? Yippie! Mein Ehemann, der Vater meiner Kinder, liebt mich nicht mehr! Hurra, endlich ist mein Leben perfekt!«

»Nicht so laut!«, zischte er. »Ich habe nicht gesagt, dass ich dich nicht mehr liebe.«

»Und ob du das hast.«

»Nein, ich habe gesagt, ich bin mir nicht mehr sicher. Und dass ich auch nicht sicher bin, ob du mich noch liebst. Ich meine, natürlich liebe ich dich, aber ich weiß einfach nicht, ob ich … dich noch auf diese Weise liebe. Ich weiß ja noch nicht einmal, ob du überhaupt noch mit mir verheiratet sein willst«, stellte er bekümmert fest.

»Natürlich will ich das!«, stieß ich hervor. »Sonst würde ich diese ganze Scheiße ja wohl kaum über mich ergehen lassen, oder? Willst du denn noch mit mir verheiratet sein?«

»Keine Ahnung. Ich weiß nicht, was ich will. Ich weiß nur, dass ich unglücklich bin, und zwar schon ziemlich lange. Ich war es schon lange vor diesem ganzen Drama. Ich weiß, ich kann mich gar nicht oft genug entschuldigen, aber es macht ohnehin keinen Unterschied. Ich kann die Vergangenheit nicht ändern, so sehr ich es auch versuche. Ich kann nur die Zukunft ändern, aber so, wie die Dinge zurzeit liegen, ist das schier unmöglich, weil du nicht in der Lage bist, das Geschehene hinter dir zu lassen. Ich glaube, wir brauchen ein bisschen Abstand.«

»Wie, Abstand? Willst du etwa übers Wochenende verreisen? Dich ins nächste Abenteuer stürzen?«

»Nein. Mein Arbeitskollege Geoff zieht für drei Monate nach New York, und er will seine Wohnung nicht so lange leer stehen lassen. Ich habe ihm angeboten, seine Bude zu hüten. Auf diese Weise haben wir – du und ich – etwas Freiraum und die Gelegenheit, uns zu überlegen, was wir eigentlich wollen. Ich ziehe noch heute Abend aus. Ich hatte gehofft, dass dir die heutige Sitzung bei Christina helfen würde, deinen Groll zu überwinden, aber es sieht nicht danach aus, und es muss sich etwas ändern.«

»Du verlässt mich?«, flüsterte ich. »Nach allem, was du mir angetan hast, servierst du mich einfach ab? Noch dazu mit so abgedroschenen, klischeehaften Formulierungen wie ›Ich liebe dich, aber nicht mehr auf diese Weise‹ und ›Ich brauche Abstand?‹ Hättest du dir nicht etwas Originelleres einfallen lassen können? Gott, jetzt fehlt echt nur noch, dass du mir mit ›Du verstehst mich einfach nicht‹ kommst.«

»Ich brauche tatsächlich etwas Abstand, ein bisschen Freiraum, und es ist offensichtlich, dass du nicht verstehst, wie das alles für mich ist. Wie soll ich bei dir bleiben, wenn du mir ständig vorhältst, dass ich an allem schuld bin? Ich kann nicht mehr mit deiner Wut leben. Sie macht uns noch beide kaputt.«

»Bravo, Simon! Herzlichen Glückwunsch zu diesem lupenreinen ›Wie-verlasse-ich-meine-Frau‹-Hattrick. Du lässt mich also einfach sitzen. Du machst dich aus dem Staub, richtest dich gemütlich in Geoffs hübscher kleiner Junggesellenbude ein, damit du ein sorgloses Leben führen kannst, während ich mal wieder die Drecksarbeit machen soll. Weil du nicht damit klarkommst, dass ich nach deinem Fehltritt ein klitzekleines bisschen sauer auf dich bin, begibst du dich jetzt auf einen Selbstfindungstrip, oder wie?«

»Ellen, ich bitte dich. Es ist nicht so, wie du es darstellst.«

Ich leerte mein Glas. »Und ob es das ist.«

»Ich will einfach ausloten, wer ich eigentlich bin, das ist alles. Über mein Dasein als Vater und Ehemann hinaus, meine ich.«

»Ich kann dir sagen, was du willst: Du hattest ein klein wenig Freiheit und Spaß, du hast es genossen, und du hast Blut geleckt. Und jetzt willst du mehr. Plötzlich sind dir Frau und Kinder ein lästiger Klotz am Bein, zumal deine Göttergattin nicht bereit ist, schön brav den Schnabel zu halten und die ganze Sache unter den Teppich zu kehren. Du nimmst den Weg des geringsten Widerstands und gibst auf. Du wirst ein Single-Leben führen, während ich mich weiter abrackern und unsere Kinder großziehen soll. Aber gut, okay, wenn es das ist, was du willst, dann nur zu. Ich werde dich nicht davon abhalten. Falls du gehofft hast, dass ich dich anflehen werde, bei mir zu bleiben, muss ich dich leider enttäuschen. Ich wünsche dir ein schönes Leben, Simon. Nein, warte, das tue ich nicht. Ich wünsche dir, dass dir die Eier abfaulen. Lebwohl.«

»Ich verlasse dich nicht, ich brauche bloß …«

»Ach, fick dich doch ins Knie, oder lass dich ficken, denn das ist es offenbar, was du brauchst.«

»Ellen, bitte …«

Ich verließ die Bar hoch erhobenen Hauptes und schaffte es mit knapper Not zu dem kleinen Spielplatz um die Ecke, wo ich mich schluchzend auf eine Bank plumpsen ließ. Zum Glück war es bereits dunkel, der Anblick einer einsamen Verrückten, die Rotz und Wasser heulte, hätte etwaige auf der Schaukel herumtollende Knirpse bestimmt heillos verstört. Wie viele Stunden hatte ich mir auf Bänken wie dieser den Allerwertesten abgefroren, hatte Peter und Jane beim Spielen (und Streiten) überwacht und mir sehnlichst gewünscht, endlich nach Hause gehen zu können? Nie hätte ich mir träumen lassen, dass ich einmal hier sitzen und mir die Augen ausweinen würde, weil mich Simon verlassen hatte. Ich hatte immer angenommen, wir würden gemeinsam alt werden. Dass es eine Zukunft ohne ihn geben könnte, war mir gar nicht in den Sinn gekommen.

Schließlich tupfte ich mir die Wangen mit einem schon ziemlich schmuddeligen Papiertaschentuch aus meiner Manteltasche trocken (als die Kinder noch kleiner waren, hätten daran garantiert ein paar halb gelutschte Gummibärchen geklebt, die ich mir zum Trost hätte einverleiben können) und sagte mir: »Okay, das war’s. Ich werde mich nie wieder auf einen anderen Menschen verlassen. Außer vielleicht auf Lucy Atkinsons perfekte Mami, die mir hoffentlich einen erstklassigen Scheidungsanwalt vermitteln kann.«

Wirklich ein Jammer, dass ich jetzt nie wieder in diese echt schöne Bar gehen und Fotos für meine Instagram-Seite schießen konnte. Sie würde für mich bis in alle Ewigkeit die Bar bleiben, in der mich Simon verlassen hatte. Hätte er mich nicht stattdessen in irgendeiner heruntergekommenen Spelunke abservieren können, statt mir die Freude an einer so tollen Bar zu verderben? Selbstsüchtiger Mistkerl.