Show me how to live
Eine kühle Brise streift meinen Nacken die darauf schließen lässt, dass der Winter schon bald an die Türen klopfen wird, als ich Gedankenversunken - in lauter Rast und Ratlosigkeit auf einer Bordsteinkante unter Straßenlaternenlicht sitze.
Das Licht, welches betrügerisch auf mich herunter scheint, stellt mich in sein Spotlight um verachtend den Finger auf mich zu richten, um der Welt zu zeigen, dass ich endlich am Boden angelangt bin.
Und doch, ist es das einzige Licht und die einzige Wärme, die ich derzeit in meinem Leben besitze.
Aus dem Gullideckel neben mir schallt Gelächter, dann steigt ein übler Geruch empor und es fühlt sich an, als hätte man noch absichtlich auf mich eingetreten.
Ich sehe mich in der Beobachterposition, schwebe über mir, als könnte meine Seele das ganze Elend selber nicht mehr ertragen.
Zu diesem Zeitpunkt dachte ich, nicht mehr tiefer sinken zu können.
Was ich aber mit bitterer Einsicht verstehen musste, war, dass nur der Weg nach oben begrenzt schien.
Du steigst auf, gelangst zum Zenit und darauf folgt deine Stagnation.
Der Fall nach unten ist schier grenzenlos.
Wenn der Schlund des Lebens erstmal sein Maul aufgerissen hat ...
Und glaub mir, er hat sehr viel Hunger.
Hunger habe ich auch.
Aber Essen habe ich nicht.
Genauso wenig wie Geld.
Zwei billig Cola Flaschen gab mir Marc.
Ich war an diesem Abend zu ihm gegangen, zu spät, seine Eltern schliefen schon und er sagte kurz angebunden: „Kann dir nix zu Essen geben, wir haben selber alles verbraucht. Mein Alter muss morgen erstmal einkaufen.“
Er ließ mich nicht hinein, also musste ich im Hausflur warten.
Leise bewegte er sich zur Küche um mir kurze Zeit später die 2 Flaschen durch den Türschlitz entgegen zu reichen.
Ich glaube er begriff nicht den Ernst der Lage.
Wie auch, ich begriff ihn ja selber nicht.
Man sagt: „ Zeige mit dem Finger auf andere und du zeigst mit drei auf dich selbst!“ Worauf ich hinauswill ist, ich war niemand der anderen die Schuld für etwas gab und schon gar nicht für meine persönliche Misere.
Aber an all dem was mir widerfahren war, traf mich auch keine Schuld.
Ich war frisch 18 Jahre alt geworden und wusste nicht wie man Erwachsen ist.
Mir hat es keiner gezeigt und nun musste ich es plötzlich sein.
Es war mir verboten Kind zu sein oder meine Adoleszenz zu erleben.
Nein, ich musste Erwachsen sein!
Ich krame in der Seitentasche meines Zippers eine Schachtel Zigaretten hervor
und höre eine imaginäre, fette Frau sagen: „Ja, das haben die immer ..... nix zu fressen, aber Kippen.“
Naja, eine noch..
Ich zünde mir meine letzte Zigarette an und versuche den Hunger zu vergessen.
Der erste Zug in meinen Lungen ist wie ein Freund in meiner Trostlosigkeit, den ich nicht habe.
Mit der Zigarette im Mund fühle ich mich weniger einsam.
Mein Blick geht nach links, dann nach rechts.
Niemand da.
Ich fange an zu weinen.
Halte meinen Kopf in meinen Händen und die Tränen fallen auf den Asphalt.
Als mich der größte, innerliche Druck verlässt, nehme ich den letzten Zug der Zigarette und schnipse sie in das dunkle Nichts das mich umgibt.
Eine weitere, diesmal eiskalte Brise zieht an meinem Nacken hinweg, sodass ich mir ruckartig die Kapuze über den Kopf ziehen muss.
Es ist eine Vorahnung die mich überkommt, dass sich für mich einiges ändern wird.
Für sehr lange, zu nichts gutem.
Ich schliesse die Eingangstür meiner Dachgeschosswohnung.
Lege meine Jacke auf den Boden im Schlafzimmer, in dem sich nur ein Fernseher, DVD player mit Charlie und die Schokoladenfabrik drin und ein Radio befindet. Zusammen mit schmuddeligen, verstreuten Klamotten und persönlichen Dokumenten.
Mehr habe ich nicht.
Kein Sofa, kein Tisch, kein Regal, keinen Schrank...ich hab gar nichts.
Ich laufe durch meinen leeren Flur, in mein leeres Bad, in die leere Küche und schaue in meinen leeren Kühlschrank und blicke dann in mein leeres Portemonnaie und mein leerer Magen schreit vor Hunger während ich die -0,15Euro die auf dem Kontoauszuges meines leeren Konto stehen, an.
Als ich dann eine Zigarette aus meiner leeren Schachtel ziehen will, starre ich 10 apathische Sekunden auf die leere Wand und setze mich auf meine 180x90 große Matratze und wähle die Nummer von Boris, meinem Sozialfuzzi um festzustellen, dass mein Guthaben...naja...rate!
...leer ist.
Eine Mischung aus Wut und Hass sprudeln in mir hoch und ich schlage gegen die Wand und diese gibt blöderweise nach und nun habe ich ein dickes, fettes Loch da, das mich angrinst und frech behauptet: „ Du...kannst...mich..nicht ….be-za-hl-en!“
Ich glotze in das Loch in der Wand, von der jetzt ein Stück Zement an einem Stück Tapete runter hängt.
Ich atme tief ein und aus, drehe mich um und rutsche mit dem Rücken gepresst an der Wand mit Loch runter und entdecke dabei alte Pfandflaschen auf der Arbeitsplatte meiner Küchennische.
Bevor mein Hintern also Boden berührt, wende ich mich mit hibbeliger Bewegung wieder auf meine Beine auf und reisse die Flaschen von der Arbeitsfläche.
Stopfe diese unschön in eine Plastiktüte, ziehe meine gammeligen Skaterschuhe an und werfe mir einen schwarzen Hoodie über.
Freitag, 01:30Uhr in Duisburg.
Das habe ich vollkommen ausser acht gelassen, wie und wo werde ich die Pullen noch los?
Mir fällt nur die Esso Tankstelle ein, die die ganze Nacht geöffnet hat, zusammen mit einer Box voll mit angehäuften Centstücken bewege ich mich also zu der Esso.
Auf dem Weg dorthin – die eine Hand am Fahrradlenker, die andere Hand packt einen Sack voller Pfandflaschen, träume ich von Brötchen, Käse und dergleichen.
Doch leider geht mein Wunsch nicht in Erfüllung, stattdessen gerate ich in einen Streit mit dem Tankwart: „Pass mal auf, ist mir scheiss egal, ich will den Pfand, du bist verpflichtet die Dinger anzunehmen, ich hab den Pfand ja immerhin bezahlt.“
Darauf dieser: „ Ja, aber nicht bei uns, ich darf diese Flaschen nicht annehmen und hier die Centstücke, die nehme ich nicht an, die musst du in einer Bank abgeben.“
Er zieht die Mundwinkel nach unten und die Augenbraue hoch und fährt trotzig fort: „Aber dat kostet auch Gebühren, wenne die Centstücke abgeben willst, dann bekommst de so Papier da musse dat einrollen...“
Ohne ihm zu zuhören wende ich mich von ihm ab und verlasse wie der letzte Vagabund, kapitulierend die Tanke.
Gefrustet und hungrig steige ich auf mein klappriges Damenrad.
Dann werfe ich den Sack neben einen Container der Tankstelle und fahre los.
An einem Späti Kiosk halte ich an, krame nach den letzten 20Cent in meiner Hosentasche und frage den Verkäufer ob er noch Brötchen vom Morgen übrig hat.
Dieser Antwort „ Na klar, wie viele willst du denn haben?“
Ich sage: „ Ja eins, hätte ich gerne....was kostet denn …..eins?“
er antwortet unterschwellig genervt: „ 30 cent pro stück“
peinlich berührt frage ich: „ Kann ich auch eins für 20 Cent? Ich hab nicht mehr!“
Er schaut mich ungläubig an und nimmt das, so wirkt es, steinharte Brötchen aus der Tüte und legt es zurück in den Brötchenkorb.
„Für 20 Cent kannst du ein einzelnes Kaugummi haben.“
Dann legt er mir ein Kaugummistreifen hin und nimmt die 20 Cent die ich bereits in den Zahlteller gelegt hatte und schliesst das Fenster von seinem Kiosk.
Ich fange an zu lachen, irgendwann um 2 Uhr morgens, auf einer Hauptstrasse irgendwo in Duisburg.
Auf meinem Damenfahrrad, lache ich und lache ich und lache ich, dann schreie ich vor lauter lachen.
Ich reisse den Lenker nach links und nach rechts und fahre Schlangenlinien wie vom Affen gebissen, bis ich vor lauter Verzweiflung und Lauthalsen lachen vom Fahrrad falle, weil ich mit dem Vorderrad in einer Strassenbahnschiene stecken geblieben bin.
„Nichts passiert!“
Ich stehe gedemütigt auf und seufze.
Vor einer Kneipe steht eine etwa 60 Jährige Frau und fragt mich betrunken nach Feuer und merkt dabei an, wie scheisse kalt es geworden ist und sie eher an den Folgen einer Lungenentzündung, als an den Folgen vom Rauchen sterben wird.
Ich antworte mit:
„Ja, Feuer habe ich mal. Hast du mal eine Zigarette?“.
„Hasse dir weh getan Schätzeken?“ fragt sie.
Ich antworte: „NEIN!!!Kannst du mir aber bitte eine Zigarette geben?“
Dann hält sie mir die Packung hin und dreht sich nach hinten um und ruft in die Kneipe „Bruni, kommste jetzt oder wat, hier is en junger Bursche der hat Feuer, brauchse nich mehr das Feuerzeuggas da suchen“
Ich nutzte die Zeitspanne, in der sie sich umdreht um mir 3 weitere Kippen aus ihrer Schachtel zu mopsen.
Dann packe ich sie schnell in die Hintertasche meiner Baggy und klemme die andere hinter mein Ohr.
„Hier hast du Feuer“, sage ich.
Sie nimmt das Feuerzeug und zündet sich ihre Zigarette an.
„Und, wat machse jetzt noch?“
fragt sie.
Ich antworte selbstbewusst:
„Geld ausgegeben.“
„Gib mal wat ab“, hustet sie mit Raucherlunge vor sich her.
„Danke, für die Kippen!“ antworte ich.
„KippeN?“ fragt sie.
Ich schwinge mich auf mein Fahrrad und fahre unbehelligt von ihr weg, während ich noch höre wie sie mir etwas unmissverständlich hinterher ruft.
Angekommen in meiner Dachgeschosswohnung werfe ich in gewohnter Manier den Hoodie irgendwo auf den Boden, mich auf die Matratze und freue mich wenigstens auf eine anständige Zigarette auf leeren Magen.
Als ich mich hinsetze zerbrechen die beiden Zigs die ich ihr abgezogen habe und mir fällt auf, dass ich vergessen habe mein Feuerzeug zurück zu verlangen.
Verdammt ey!!
Crime don't pay, denke ich, als ich die kaputten Zigaretten aus meiner Hintertasche ziehe.
Wie bekomme ich jetzt diese Zigarette an?
Wieder wendet sich mein Blick zur Küchennische und mir kommt der Einfall, die Drähte im Backofen zum anzünden zu benutzen.
10min später und mit halb abgefackelten Gesicht, kann ich endlich rauchen.
Brainstormend frage ich mich, wie ich, heute am 15ten bis zum 31ten, den Bauch vollkriegen soll.
16 Tage ohne Essen, ohne Trinken, ohne Geld. Wie soll ich überleben?
Der Hunger macht mich wahnsinnig, genauso wie die Kälte in dieser Wohnung.
Ich stehe auf und will die Heizung anmachen, aber sie wird nicht warm.
Hinter der Tür in der Küche entdecke ich eine Uhr mit Kasten drum herum.
0 Grad Celsius steht da drauf.
Hmm, spitze, wie geht die Scheisse jetzt an? Ich drehe und tippe wie wild auf dem Gerät, fuchtel, mache und tue, aber es tut sich nichts.
Ich gehe zum Waschbecken und möchte Warmwasser anmachen, aber auch das geht nicht.
Dann fällt mir auf, dass der Durchlauferhitzer gar nicht anspringt.
Ok, schnell, du hast nur die Glut der Kippe um das Teil zum laufen zu bringen.
Ich öffne den Kasten, drücke den Knopf für das Gas, halte die Kippe durch den Schlitz.....drücke und drücke und drücke und es springt einfach nicht an.
Fuck, das Teil ist im Eimer.
Meine Zigarette nähert sich dem Ende...
Ich ziehe hastig und inhaliere die letzten zwei Züge und muss mit Grauen feststellen, dass es draussen zu schneien beginnt.
4ter Stock, Winter und Schnee.
Stell dir vor wie muckelig warm diese bekackte Wohnung ist.
Freitagnacht, denke ich.
Montag kann ich dann die Vermietung anrufen.
Schön, ich lache wieder vor Abscheu und kann merken wie der Wahnsinn sich in mir unkontrollierbar ausbreitet, gedeiht und wie er wächst.
Angst.
Ich bekomme schlecht Luft und merke wie mein Herz anfängt zu rasen.
Ich schaue auf meine Hand und erkenne, es ist meine Hand, aber sie gehört nicht zu mir.
„Oh, nein“
sage ich.
Da ist sie, die altbekannte Depersonalisierung gepaart mit Derealisierung.
Ich atme einmal hart aus.
Mittlerweile ist es so kalt in meiner Wohnung, dass ich Wolken vor dem Mund habe.
Gleich hyperventiliere ich wieder.
Der Mist kommt wieder hoch.
Meine Panik spitzt sich zu.
Ich taumel ins Badezimmer.
Unter dem Waschbecken liegen meine Psychopharmaka.
Meine tägliche Ration Antidepressiva, Tavor und ja, für den akuten Fall : Alprazolam.
Du weisst schon, das Zeug, dass sich 10 Jahre später „coole“ Cloudrapper, die über „anxiety“ labern, reinknallen um high an ihrer Kotze zu ersticken.
Xanax Mischkonsum.
Eine feine Sache.
Wie auch immer!
Ich schlucke die Tabletten und kann nur warten, bis dieser Zustand endlich abklingt.
Das letzte was ich denke, ist : ich sterbe eher an einer Lungenentzündung als an den Folgen der Kälte.
Und lache mich gemütlich über diesen kleinen Benzodiazepin Insider in den Schlaf.
Als ich wach werde - wenn man das wirklich wach nennen kann, ist es draussen noch dunkel.
Mein Hirn fühlt sich an wie ein Wackelpudding und mein Hunger ist mittlerweile unerträglich geworden.
Ich öffne den Kühlschrank und ich brauche ganze 10 Minuten der Verwirrung bis ich spontan entscheide unter die warme Dusche zu springen.
Ganz schön kalt in der Wohnung denke ich.
Erstmal warm duschen.
Dann, nach 20 Sekunden eiskalten Wassergebrauch, peile ich es erst wieder.
Fragmente vom gestrigen Tag blitzen auf und ich trockne meine kalten Füsse mit einem alten Shirt ab und ziehe wieder meine alte, müffelnde Kleidung an.
Jetzt ist mir noch kälter als vorher.
Fuck.
Ich trinke Wasser aus dem Kran und schaue auf mein Handy.
17.20Uhr.
Es ist 17.20Uhr!!!!
Himmel hilf, ich habe bestimmt über 14std geschlafen.
3 verpasste Anrufe und eine neue SMS von Boris.
Erstmal öffnen:
„Hallo Alter, betreue so einen Matschkopf in Meiderich und komme heute Abend gegen 17 -18Uhr noch kurz zu dir.
Sei da und geh mal an dein Handy, wofür hast du das Teil überhaupt, du Karussellbremser.
Der beste Betreuer der Welt, B.“
Das sind gute Neuigkeiten, vielleicht kann er mir ja Geld leihen, mir etwas zu Essen kaufen oder mir bei dem Boiler Problem helfen.
Boris kam 1-2x die Woche für eine Stunde um mich bei alltäglichen Dingen zu unterstützen.
Aber das tat er nicht, genauso wenig wie mir Psychologen, Menschen beim Jugendamt oder andere Sozialheinis weiterhelfen konnten.
Dir hilft niemand wenn du am Arsch bist.
Genauso wie ich lernen musste, dass man der Welt einfach kack egal ist und du sowas wie Empathie oder Nächstenliebe nur selten findest.
Hilf dir selber und verlasse dich nicht auf andere.
Schon gar nicht, wenn du etwas richtig oder nach deiner Fasson machen willst.
Boris war ein ausgebrannter Typ Anfang 40, der wie eine verlotterte und in die Jahre gekommene Version von James Franko, mit fettig lockigem Haar aussah.
Er trug stets zu kurze T-Shirts und sowas wie Jeanshemden darüber.
Kleidungstechnisch hatte er nicht den Funken von Geschmack.
Es war aber offensichtlich, dass ihm sowas wie Mode am Sack vorbei ging und das fand ich wiederum mehr als sympathisch.
Als ich ihn das erste mal sah, saß er Breitbeinig mit einem Typen vom Jugendamt beisammen.
Es war so ein: „mal gucken ob die miteinander klarkommen Treffen!“
Als ich bei Jay, einem Freund aus der Schule, im Keller seiner Weinhändler Eltern eingezogen war, kristallisierte sich für diese schnell raus, dass ich externe Hilfe brauchte und sie wendeten sich ans Jugendamt und so kam es zu dem Treffen.
Als ich in den Raum trat und mich ihm gegenübersetzte, schaute er mich zutiefst verunsichert an.
Und da saß er nun, dieser komische Lumpi.
Ich willigte ein, seine Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Boris, war sehr manipulativ und charismatisch, total spießig und auf der anderen Seite komplett nihilistisch und gleichgültig.
Den halben Tag lang wusste ich nicht, ob er sarkastisch, zynisch, sterbenstraurig oder kurz vorm Amoklauf stand.
Aber das wusste ich über mich auch nicht.
Was wir teilten war unsere Abscheu gegen das Establishment, die ganzen Sesselfurzer und Humorverkrüppelten.
Wir teilten aber auch eine gemeinsame Aversion gegen jene, die sich zu ernst nahmen und in Machtpositionen waren oder einfach diese widerlichen Alltagssadisten, Menschen mit Klischeedenken und Floskelgeschwätz.
Wir machten uns einen riesigen Spass daraus diese Leute hinters Licht zu führen.
Eines Tages, als ich mein Haus verließ, sah ich einen Typen auf der gegenüberliegenden Natursteinmauer der Kirche liegen, die Leine an dem seine Schäferhündin Maya hing um den Fussknöcheln festgebunden und mit einem aufgeschlagenen Titanic- Satiremagazine im Gesicht.
In der Hand eine Packung Kaugummis, die er on mass fraß, weil er mit dem Rauchen aufgehört hatte und in der anderen ein Köpi.
Natürlich Oberbauchfrei, weil das T-Shirt das er trug mal wieder zu klein und eng gewesen war.
Da hing er, wie der letzte Penner.
Mein Asozialpädagoge!
Der, der mit dem Dasein auf Erden stets überfordert war.
Er erzählte mir depressiv von seiner depressiven türkischen Exfrau, der er immer am ersten des Monats einen Umschlag mit Unterhalt, für sie und ihren gemeinsamen Sohn in den Briefkasten warf, weil diese das Haus nicht mehr verließ.
Während er eine On-Off Beziehung zu einer vollbusigen Polin unterhielt, die ihn aber eigentlich verlassen hatte, weil dieser keine Kinder mehr haben wollte.
Diese Polin hatte eine Beziehung zu einem Kriminalpolizisten aufgenommen, ging diesem aber mit Boris fremd.
Die Hautürschelle, ringelt im Sturm.
Gefühlte 5 Minuten später hechelt Boris mit Maya, hoch in meine Dachgeschosswohnung und keucht spöttisch als er die ersten Schritte durch meine Wohnung geht :
„Hm, gemütlich und schön eingerichtet diese Butze Herr R., ich würde mich ja glatt setzen, aber der Boden sieht mir doch sehr nicht einladend aus.
Er setzt ein riesiges Grinsen auf und lehnt sich in den Türrahmen meiner Küche, verschränkt die Arme und fährt fort:
„ Diesen Typen den ich neu betreue, seine Mutter ist Shore abhängig seit 20 Jahren und sein Stiefvater ist Präsident bei so einem Rocker Motorrad Club.
Ich nehme dich mal mit zu denen, die wohnen auf so einem Schrottplatz alle.
Ich sag dir, da steckt so viel Geld drin in so einem Schrottplatz - der totale Goldesel.
Und, und, der Opa hat da so viel Schwarzgeld verbuddelt, dass die selber nicht mehr genau wissen wo das genau liegt...“ erzählt er begeistert.
Er klatscht in die Hände und behält die Hände zusammen gefaltet vor der Brust und fängt an zu lachen;
„Bestimmt liegt da nicht nur Geld verbuddelt....Aber weisste was, der Vater, der hat mir erstmal ne gefälschte TÜV Plakette für mein Motorrad draufgeklebt.
Was ich da jetzt an Geld spare.
Alles nur, weil ich den Kevin aus dem Knast bekommen habe heute.
Weisse was der gemacht hat?
Der war gestern feiern, dann war er besoffen, bekokst und wurde verhaftet.
Als der Polizist ihn anschnallen wollte, hat der dem erstmal eine Kopfnuss gegeben.“
Boris lacht lauthals.
„Apropos“, meint er : „ Die Alte hat mich jetzt ein für allemal sitzen gelassen.
Die ist jetzt Schwanger von dem Kriminalisten.
Aber egal, was ist mit dir jetzt hier?“
„Wat soll denn sein?“ frage ich noch ein wenig gerädert von den Pillen.
Ja ach, ja also, ich hab kein warmes Wasser und die Heizung geht auch nicht an!“
Boris schaut sich den Boiler an und versucht selbiges das ich gestern versuchte.
Dann geht er in mein Bad und kramt einen roten Schlauch hinter der Heizung heraus.
„Hier pass auf, du musst den Schlauch mit der Heizung und dem Wasserhahn verbinden und da Wasser reinpumpen.
Dann wird die Heizung wieder warm.
Also, wenn der Durchlauferhitzer Gas hat!
Das müssen wir unten im Keller nachsehen, kann sein, dass die die Gaszufuhr nicht geöffnet haben oder sowas.“
Boris lässt Wasser durch den Schlauch laufen und das Teil mutiert zum Wassersprenger.
„Kack, der ist ja komplett im Arsch!“ sagt Boris.
Er fährt fort:
„Nun gut, dann wird das nichts, musst du Montag erstmal einen Schlauch irgendwo besorgen.“
„Toll, nur ich habe nicht mal Geld für...“, er unterbricht mich.
„Ja, also lass in den Keller jetzt erstmal gehen.
Maya, mach Platz ! Du bleibst schön hier.“
Im Keller vor meinem Gashahn stellen wir fest, dass alles Prima mit meiner Gaszufuhr ist.
„Tja, da wirst du Montag die Vermietung anrufen müssen.“
„Muss ich die Handwerker selbst bezahlen?“ frage ich.
„Ach nein, die müssen das erledigen.
Wie dem auch sei, ich hole jetzt den Hund und dann muss ich zu den Jungs.
Wir wollen In Düsseldorf Fussball schauen und ich brauch dringend was zu saufen.“ antwortet er.
In meiner Küche angekommen zieht er 5 Euro aus seiner Brieftasche und wirft sie auf meine Arbeitsfläche.
„5 Euro? Und wie soll ich...“
Er schaut mich an und meint:
“Ja das ist das Problem, wir müssen nächste Woche mal schauen, wie wir das mit dir und einem Arbeitsplatz machen.
Hast du nicht noch einen Vater, Stiefvater?
Zwei Väter, Mensch, da kommen schon paar Euro für was zu picken zusammen.“
Dann streckt er seine Faust in die Luft und Maya und er verlassen meine eiskalte Wohnung.
5 euro, das ist eine Packung Zigaretten oder ein paar Brötchen mit Margarine zu Tankstellen Konditionen.
Wie kann er mich nur so im Stich lassen?
Verfluchte Scheisse, was ist das hier!
Frustriert ziehe ich meinen Hoodie über und wieder zurück in meine abgelatschten Skaterschuhe, um mit meinem ollen Damenrad zur Esso zu fahren.
Dort angekommen, stelle ich mein Fahrrad hinter der Tankstelle ab, weil ich kein Schloss besitze und Angst habe, dass mir irgendwer noch das Fahrrad klaut.
Dann sehe ich meinen Sack mit Pfandflaschen, den ich hier letzte Nacht hingeworfen hatte, der immer noch neben dem Container steht.
Aus der Hintertür der Esso kommt ein Typ mit Halbglatze, Brille und Schnäuzer raus.
Sieht mich aber nicht.
Ich traue meinen Augen nicht, als mir auffällt, dass dieser Transparente Plastikbeutel, den er gerade wegwirft, voll mit Croissants und Brötchen ist.
Jetzt hat der Hunger dich verrückt gemacht, denke ich mir.
Der Typ geht zurück zur Hintertür der Tankstelle.
Mit einem Fuss hält er die Tür auf und hebt noch einen Beutel mit anderen Teigwaren aus ihr raus und wirft sie in den Container.
Unauffällig gehe ich zu dem Container als der Typ 10 Minuten später nicht mehr aus der Tür kommt.
Mich ergreift die Scharm und mir schiessen Tränen in die Augen als ich die Klappe des Containers öffne.
Missmutig aber voller Hunger, hole ich den Beutel aus dem Container, öffne ihn und muss mit entsetzen feststellen, dass ALLE Waren frisch und vollkommen essbar sind.
Beutel voll mit Brötchen, Croissants, Frikandeln in Blätterteig, Pizzastückchen, ja sogar Donuts und Muffins.
Ich schaue auf meine Handyuhr 22:30Uhr.
Vielleicht gibt es da einen Algorithmus wann die Ihre Sachen wegwerfen.
2 Beutel fische ich aus dem Container, dann werfe ich mich auf mein Fahrrad und bretter nach Hause.
Daheim verteile ich die Teigwaren auf meiner Küchennische und ziehe los um mir nochmal Kippen von meinen letzten 5 Euro unten am Automaten zu ziehen.
Damit komme ich die nächsten 3 Tage aus, denke ich, als ich die Nahrung dort liegen sehe.
Letztens als ich durch den Supermarkt lief und überall Essen zum greifen nah war, ich mir aber nichts davon kaufen konnte, kam es mir wie Hohn vor.
Klar, spielte ich mit dem Gedanken, mir etwas in die Tasche zu stecken.
Aber, ich konnte die Vorstellung nicht ertragen erwischt zu werden.
Vor allem Essen.
Essen war für mich etwas das jeder Mensch hatte, meine Freunde, die Menschen in meiner Strasse, die Menschen in meinem Haus, überall gab es essen.
Essen war etwas essentiales.
Aber ich hatte keins.
Ich hatte in einem der reichsten Länder der Welt Hunger.
Von der Tafel wusste ich damals nichts.
Als ich beim Arbeitsamt war und um Hilfe bat, meinte der Typ am Schalter zu mir : „Geh arbeiten, dann kannst du dir Essen kaufen.“
Bevor Sarrazin überhaupt irgendein Buch veröffentlichte, blieb er mir im Kopf mit der Äusserung, die ich von ihm in einer Zeitung in der Tankstelle laß: „Hartz4er könnten auch mit 4Euro am Tag überleben.“
Oder Frank Müntefering :
„Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.“
Das waren tolle Zeiten.
Irgendwas wuchs in mir, ich konnte es spüren.
Es war wieder da.
Eine Vorhersicht, auch obwohl ich wusste, dass ich nichts hatte und so schnell auch nichts ändern konnte an den Dingen wie sie waren - eines Tages von hier unten, dem dunkelsten Punkt in meinem Leben, würde ich aufsteigen.
Zurück an einen Platz in der Sonne.
Und keiner dieser furchtbaren Menschen die mir begegnet waren in meiner kurzen Zeit hier, würden dort sein.
Sie würden sich da unten im dunkeln weiter das Leben zur Hölle machen.
Aber die Dunkelheit die sie umgab, nie als solche verstehen oder sehen, weil sie schon blind geboren waren.
Nunja, da sitze ich also.
Im Kampf mit mir selber.
Sieh wo du dich hingebracht hast!
Ich nehme den letzten bissen vom Croissant und halte meinen Mund unter den Wasserhahn, um das trockene Ding runterschlucken zu können.
Nach 2 Tagen habe ich endlich etwas gegessen und kein Hungergefühl mehr.
Das ist wirklich schön, aber es ist immer noch schweinekalt in meinem Apartment.
Draussen auf dem Fensterbrett liegt der Schnee mittlerweile 20cm hoch und stapelt sich am Fenster zu einer Wand.
Erst raubt mir der Hunger die Sinne, jetzt die Kälte.
In meiner Hilflosigkeit krame ich planlos im Küchenschrank.
Dort entdecke ich einen alten Kochtopf, in dem genau ein Messer, eine Gabel, ein Löffel und ein Brotmesser stecken.
Keine Ahnung warum, aber im Kältewahn kommt der Affekt und ich nehme das Brotmesser aus dem Kochtopf, werfe Gabel, Messer und Löffel auf die Arbeitsfläche und den Kochtopf zu Boden.
Dann schnitze ich Holz aus der Küchenplatte und stecke es in den Kochtopf und zünde es an.
In der Hoffnung, sowas wie ein Lagerfeuer in der Wohnung hinzubekommen.
Die ersten 30 Sekunden gehen gut und ich wärme meine Hände.
Leider wird meine romantische Vorstellung vom Heimeigenen Lagerfeuer, durch heftigste Rauchentwickelung zerstört.
Nach 1 Minute ist mein komplettes Zimmer eine einzige, dichte Rauchwolke.
Ich reisse die Fenster auf und versuche den Kochtopf zu greifen, der aber brennt Lichterloh.
Hustend und röchelnd werfe ich solange Schnee in den Topf bis die Flammen endlich erloschen sind.