Hans Freimark

Ein livländisch Herz: Katharina I. von Russland

Historischer Roman
Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2022
goodpress@okpublishing.info
EAN 4064066111571

Inhaltsverzeichnis


I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
XI.
XII.
XIII.
XIV.
XV.
XVI.
XVII.
XVIII.
XIX.
XX.
XXI.
XXII.
XXIII.
XXIV.
Benutzte Quellen

I.

Inhaltsverzeichnis

Vor Narwa schanzten die Russen.

Der Zar Schulter an Schulter mit seinen Preobraschenskern.

Die Leute waren nicht eben emsig beim Werke. Es fegte ein widriger, naßkalter Nordwest von der See her über die livländische Ebene, ließ das Gebein erstarren und lähmte die Finger.

Unverdrossen nur der eine: Zar Peter.

Witternd sogen seine Nasenflügel den herben Salzgeruch, den der Wind mit sich trug.

Die festen breiten Hände stießen den Spaten mit verbissenem Eifer in den angefrorenen Boden. Der Oktober ging zu Ende. Seit einem Monat lag er vor der schwedischen Festung, und der leichte Sieg, den er sich erhofft hatte, wollte sich noch immer nicht einstellen.

Klatschend warf er die abgestochenen Schollen um sich her zu Haufen.

Stunde um Stunde stand er schon im kleinlichsten Fronwerk. Der Schweiß rann in Strömen über seine aufgewühlten Züge.

Einer der Garden, sein Nachbar, trat dicht an ihn heran, hob den schmutzigen, fettigen Ärmel und fuhr ihm wischend über das feuchte Gesicht. Dabei murrte er gutmütig: »Solltest dich schonen, Väterchen, deine Kraft sparen.«

Peters Augen blitzten den Mann an: »Narwa muß mein werden. Morgen.«

Der große ungeschlachte Mensch nickte bedachtsam: »Der heilige Nikolaus behüte dich, Väterchen. Du bist zu eilig. Das Korn wird auch nicht in einem Tage gedroschen, und schließlich sitzt du doch am Tisch und ißt das Brot aus dem feinen Mehl.«

Über die rechte Wange des Zaren lief ein heftiges Zucken, die Schläfenadern schwollen zu dicken Schlangen, stoßend kamen die Worte aus dem zusammengepreßten Munde: »Nicht immer ist der der Essende, der der Dreschende war.«

Der Preobraschensker stieß gelassen die mächtigen Schultern in die Höhe: »Wie's der Herr gibt. Was der Vater sät, ist Gut den Seinen. Einen rechten Vater freut das Säen um des Sattwerdens seiner Kinder willen.«

Die Schippe flog beiseite. Die Fäuste des Zaren packten den Mann und rückten sich die derbe Gestalt gerade vors Gesicht:

»Sage das noch einmal!«

Gehorsam wiederholte der Gardist den Spruch:

»Einen rechten Vater freut das Säen um des Sattwerdens seiner Kinder willen.«

Ganz langsam sagte er es, einfach, voll gläubiger Zuversicht.

Im Gesicht des Zaren jagte ein Zucken das andere. Die Finger, die den Soldaten hielten, bohrten sich krampfig in die klebrige erdige Wolle von dessen Schafpelz. Der Atem fuhr in heißen Wellen aus der schwer ringenden Brust.

Den Mann focht dies seltsame Wesen nicht an. Gleich einer Bildsäule hielt er sich. Unverändert war in seinen groben Zügen der Ausdruck grenzenlosen Vertrauens.

Ein helles, strahlendes Licht brach aus den großen tiefen Augen Peters! Er bezwang den Aufruhr seiner Glieder:

»Rußland wird satt werden.«

Der Soldat senkte den dicken Schädel und bekreuzte sich demütig: »Der Herr sei mit dir, Väterchen.«

»Er wird es sein!« Peter reckte sich. Seine Rechte riß den Rock auf, das Hemd, entblößte die Brust dem feucht andringenden Luftstrom: »Er muß es sein, weil ich es will!«–

Am Abend wurden die Geschütze in ihre Stellungen gebracht, und am Morgen löste der Zar den ersten Schuß aus ihnen.

Ein Hagel von Eisen wurde gegen Narwa ausgeschüttet. Tag für Tag. Wütend fuhren die Kugeln gegen die dicken hartgefügten Mauern, wühlten sich gierig in die fest gestampften Wälle, rissen an Stein und Erde, zerrten und bohrten. Durch wollten sie, durch.

Narwa hielt stand.

Brandbomben folgten den Kugeln.

Glühend stiegen sie auf, schwangen sich zischend empor. Ein schrilles, höllisches Pfeifen umtobte ihren Flug durch die Luft. Und wo sie einschlugen, sprang die Flamme hoch. Giftig gelb, düster rot. Brenzlicher dicker Qualm brach ihr nach. Stickend zog der ekle Dunst durch die Straßen der geängstigten Stadt. Bange schlugen die Herzen. Aber kein Mund wagte von Übergabe zu reden. Eilfertig lief, wer laufen konnte, schwang die Eimer durch die Kette und half, die züngelnde Glut löschen.

Manche Nacht hindurch. Viele Nächte lang.

Narwa ergab sich nicht.

Mit eiserner Hand hütete der schwedische Befehlshaber, Graf Horn, seinem Könige das Herz Livlands.

Wochen verrannen. Ein Monat.

Narwa trotzte.

Verbissenen Gesichts schritt der Zar durch die Laufgräben, spähte von den Schanzen gegen den hartnäckigen Gegner. Er hätte gern seine Leute geschont. Es waren ihrer nicht allzuviele. Aber lange konnte er nicht mehr zuwarten. Schon hieß es, Entsatz nahe von der Küste. Zwar er hatte dafür gesorgt, daß den Schweden der Weg nicht leicht wurde. Die Straßen waren zerstört, die Dörfer verbrannt, das Vieh weggeführt worden. Zwischen dem Meer und Narwa gab es keinen Brocken Brot, kein Stück Speck mehr. Da war kein Haus, nicht einmal ein Baum, der Schutz geboten hätte. Nur Wüste. Wüste.

Die dünnen Lippen Peters verzogen sich zu einem böhmischen Schmunzeln: die hungrigen Mägen der Feinde würden seine Verbündeten sein.

Dennoch war es besser, Narwa zu haben, ehe sie eintrafen. Der Sturm mußte gewagt werden. Mochte es ein paar tausend Mann kosten.

Achtsam prüfte er die zerfetzten Erdwerke, die zusammengeschossenen Gräben. Nicht die geringste Abbröckelung der Mauer entging seinem Scharfblick. Lange verweilte er gegenüber dem Osttore. Spähte und spähte. Seine schütteren Brauen zogen sich hoch hinauf. Die spitzen, tabakgedunkelten Zähne nagten an dem Rohr der tönernen holländischen Pfeife.

Vom Walle der Festung war der Beobachter erspäht worden. Einer, zwei, drei, ein ganzes Dutzend lagen im Anschlag auf ihn, doch keinem kam er recht in den Schuß. Jetzt aber im Eifer seines Prüfens, gänzlich der Gefahr vergessend, stellte er sich bloß.

Die Kugeln pfiffen.

Aus einem Dutzend Flinten.

Eine traf.

Die Pfeife des Zaren.

Mit einem leisen Klack schlug sie gegen das Rohr. Dicht vor dem Munde brach es ab.

Peter schüttelte unwillig den Kopf: ein schlechter Schütze. Der Kerl müßte mir hängen, wenn ich ihn hätte. – In weitem Bogen spie er das Mundstück aus.

Der Sturm war beschlossen.

Noch einmal wurde Narwa zur Übergabe aufgefordert.

Der Bote kam lange nicht zurück. Als er endlich gegen Abend erschien, brachte er die Botschaft: Graf Horn hoffe noch vor Anbruch des kommenden Morgens die Ehre zu haben, Seine Zarische Majestät in seinem Hause begrüßen zu können!–

Dem Zaren, der mit dem General Repnin, den sächsisch-polnischen Abgesandten Langen und Hallart und dem österreichischen Geschäftsträger Pleyer bei Tafel saß, stieg die Röte der Überraschung brennend ins Gesicht:

»Das nenne ich Vernunft. Der Mann spart mir Mannschaften. Ich werd's ihm lohnen. Er ist mit Auszeichnung zu behandeln.«

Der große, breitschultrige General Weyde, der den Unterhändler in Empfang genommen hatte, machte ein ziemlich betretenes Gesicht. Er kannte die tobend ausbrechende Heftigkeit seines Herrn, wenn diesem etwas wider den Strich ging, und er, der sich in der Schlacht dem ärgsten Kugelregen ohne Wimperzucken aussetzte, wurde blaß bei dem bloßen Gedanken, er könne zur Ursache einer der fessellosen Rasereien des Zaren werden.

Sein verlegenes Schweigen ließ Peter stutzen. Blick und Stimme wurden scharf:

»Oder bist du anderer Ansicht, Adam…?«

»Der Graf … die Schweden…« Weydes Atem ging hörbar.

Peters Augen traten fast aus ihren Höhlen. Sie ließen den armen General nicht los.

Über dessen dickes, rotes Gesicht zogen zwei helle Tropfen ihre glänzende Bahn. Er schwitzte vor Angst.

Und niemand kam ihm zu Hilfe, bis endlich Pleyer, halb und halb den Zusammenhang erratend, hinwarf, die Einladung des schwedischen Befehlshabers sei wohl anders zu verstehen.

Dieser Beistand gab Weyde seine Fassung wieder.

»Horn will nichts von Unterwerfung wissen. Er rechnet mit dem Eintreffen des Ersatzes noch vor morgen, meint, daß wir von der offenen Zange gegen die Mauern gequetscht werden und uns ihm auf Gnade und Ungnade ergeben müssen.«

Krachend sauste Peters Rechte auf den Tisch. Er warf sich gegen die Lehne seines Sessels, daß sie ächzte:

»Der Witz ist köstlich. Ich werde den Grafen Horn zu meinem Narren machen; er wird mir viele heitere Stunden verschaffen.«

Schütternd stieß das Lachen aus ihm. Sein Hals färbte sich blaurot, die Adern an den Schläfen schwollen zu dicken Strängen:

»Wein! Branntwein!« schrie er gurgelnd.

Eilfertig sprangen die Ordonnanzen herbei und füllten den weiten, tiefen Becher des Zaren mit dem von ihm geliebten Gemisch von Wein, Branntwein und Pfeffer.

»Da, komm her!« Peter winkte Weyde. »Du hast eine Stärkung verdient.« Er hielt ihm den Kelch hin.

Der General griff danach.

»Halt!« Der Zar fiel ihm in den Arm: »Worauf wirst du trinken?«

»Auf…« Weyde gehörte nicht zu den Schlagfertigen, »auf dein Wohl, Väterchen.«

»Auf den Sieg, du Dummkopf! Und nun sauf!«

Die Gläser klangen und klirrten zurück auf den Tisch. Von einem zum andern hasteten die Diener. Der Zar goß den scharf gewürzten Trank gleich Wasser hinunter. Keiner seiner Gäste durfte feiern. Lauernd jagten seine Blicke hin und her. Dem Säumigen wurde doppelt geschenkt.

Die Stimmung trieb zur Ausgelassenheit. Repnin lag mehr als er saß in seinem Sessel und schwatzte laut und polternd von der Einnahme Narwas und dem Siege über die Schweden:

»Ins Meer schmeißen wir die Bande, einfach ins Meer!«

»Wir…« Weyde versuchte, ihn zu übertrumpfen, »wir…« Aber sein umnebeltes Hirn gebar nicht einen Gedanken. »Wir!« wiederholte er und hämmerte sich vor die Brust, daß es dröhnte: »Wir!«

Des Zaren Blicke flackerten. Er warf sich mit dem ganzen Körper über den Tisch, schob rücksichtslos Schüsseln, Teller, Humpen beiseite und streckte die Hände den sächsischen Generälen hin:

»Trinkt, Freunde, trinkt! Ihr werdet Zeugen eines glorreichen Sieges sein.«

»Wir wünschen nichts sehnlicher, als unserm Souverän die glückliche Viktoria der moskowitischen Waffen melden zu können,« entgegnete der geschmeidige Langen, der sich seine Nüchternheit noch ziemlich bewahrt hatte.

Der General Hallart, sein Gefährte, verstand sich weniger gut auf zierliche Rede. Er brummte bissig: »Der Flankenstoß ist die Hauptsache.«

»Den führt Scheremetjef!« Der Zar ruckte den Kopf in den Nacken. »Und was dem entläuft, will ich mit dem Dampf der Suppenkessel fangen.« »Pawel,« er wendete sich gegen einen der Diener, einen schlanken jungen Polen. »Die Küchenmeister sollen strammes Feuer unter die Kohlsuppe machen. Der nahrhafte Geruch muß auf drei Meilen in der Runde zu spüren sein.«

»Ew. Majestät sollten die Lockung nicht zu stark machen.« Pleyer kniff zwinkernd die Lider zusammen. »Der Schwede ist nicht gewöhnt, seinen Tisch mit andern zu teilen.«

»Bah! Er wird sich daran gewöhnen müssen. Und will er nicht,« Peters Gestalt dehnte sich breit, »um so besser. Narwa hab ich. Livland wird mein. Und Ingermanland. Und Karelien. Und…«

Ein seltsamer Zug trat in sein Gesicht. Erstarrend und versteinernd. Die Augen weit offen, blicklos über das Nächste in eine fremde Ferne schauend. Einzig die Lippen fuhren fort, sich zu bewegen:

»… Finnland und…«

Die Worte waren nur noch ein Raunen. Magische Beschwörungen voll brennenden Willens, schoben sie sich dunkel zwischen den zusammengepreßten Zähnen hervor:

»… Schweden. Nordland. Das Meer. Das weite Meer. Das Nordmeer. Das Meer im Süden. Konstantinopel. Schiras. Delhi.«

Vor dem nach innengekehrten Blick vollendete sich ein ungeheurer Traum.

Blind tastete die Rechte nach dem Becher. Doch sowie die Finger dessen Fuß zwischen sich fühlten, packten sie ihn mit festem Griff. Eisern spannten sich die Sehnen der Hand, hoben den Pokal und schütteten den beizenden Wein mit einem Guß in die Kehle:

»Auf das Wohl der Welt!«

Verwundert über diesen Zutrunk zögerten die fremdländischen Tischgenossen, Bescheid zu tun. In Langens und des Österreichers Mienen malte sich mißtrauische Bestürzung: wohin jagte die Phantasie des Moskowiters?

Peter runzelte unwillig die Stirn. Gebieterisch streckte er ihnen den neugefüllten Humpen entgegen:

»Auf das Wohl der Welt!«

Die Gläser wurden geleert.

Noch einmal. Und noch einmal.

Der Zeltvorhang war sacht beiseite gezogen werden. Durch den Spalt schaute das fragende Gesicht einer Ordonnanz. Auf einen Wink Repnins trat der Mann zurück und ließ einen Kurier ein. Schweiß und Schmutz bedeckten die abgehetzten Züge. Die Knie des Boten wankten beim Näherkommen. Flüsternd richtete er Repnin seinen Auftrag aus.

Der kugelrunde massige Kopf des Generals nickte. Plötzlich fuhr er aus seiner bequemen, halb liegenden Haltung auf. Im Nu war der Rausch verflogen:

»Eine ganz verdammte Zeitung!«

Die Augenbrauen des Zaren ruckten empor, fragend richtete er seine Blicke auf den Erregten.

Der schob die Achseln ungewiß in die Höhe: »Die Schweden waren schneller, Majestät, als wir vermuteten. Scheremetjefs Korps ist zu spät gekommen. Es hat den Anmarsch der Schweden nicht mehr verhindern können. Sie sind im Anzuge. Und«, seine Stimme klang belegt, »der König an ihrer Spitze.«

Der Zar schnellte vom Sitz: »Der König selber! Das gibt ein Fest!« Er war ganz Leben und Bewegung: »Auf, meine Herren! Alarm! Alarm! Ich will meinem Herrn Vetter die Suppe heiß anrichten lassen.«

Pleyer und Langen erhoben sich steif. Des Österreichers Mienen waren voll Bedenklichkeit, der Sachse bemühte sich, seine Beunruhigung über den darauf losstürmenden Angriffseifer des Verbündeten Polens hinter einem zustimmenden Lächeln zu verbergen. Die Mahnung fiel ihm schwer in den Sinn, die ihm beim Abschied von Warschau der Livländer Patkul mit auf den Weg gegeben hatte: Sorgen sie dafür, daß Sie dem russischen Bären die Pfoten binden, damit ihm nicht in seinen Krallen bleibt, was für uns bestimmt ist! Für uns. Das hieß bei Patkul: für Livland. So dachte nun freilich August der Starke, dem die Gelüste des livländischen Adels, sich von Schweden zu trennen, sehr gelegen kamen, das Wort nicht zu verstehen. Ihm hieß: für uns, für mich. Wenn nicht für mich als polnischer König, so als Herzog und Kurfürst von Sachsen. Am allerwenigsten aber hatte er vor, dem Moskowiter in die Hände zu arbeiten. Ein allzu rascher Sieg über die Schweden war gewiß nicht nach seinem Wunsche, wenn er nicht der Sieger war. – Langen biß sich ärgerlich auf die Lippen: er spürte mit einem Male das geheime Gewicht seiner Mission unliebsam.

Aus dem weiteren Verhör, das Repnin mit dem Kurier angestellt hatte, tönten gerade einige Zahlen herüber: 7000 Mann Fußvolk, mehr als 1000 Reiter, alle gut gerüstet, 30 kleine und 6 große Stücke mit doppelter Bemannung.

Die Falten in seinem Diplomatengesicht vertieften sich: die Russen waren in mehr als dreifacher Übermacht. Gleichviel, der Zar durfte nicht siegen. Narwa und Karl XII. war zu viel auf einmal. »Der Kampf wird schwer werden,« wendete er sich gegen Peter, »doch um so heller wird der Ruhm Ew. Majestät erstrahlen.«

»Der Kampf wird schwer…« Der ehrliche Hallart wäre fast in ein schallendes Gelächter ausgebrochen, da traf ihn ein hart verweisender Blick aus Langens Glimmaugen. Der alte Haudegen schluckte an seiner Rede und würgte sein Lachen hinunter: ein verteufeltes Gewerbe, die Diplomatie. Immer Kniffe und Schliche. Daß gerade der König ihn mit abgeordnet. Dumm, dumm. Nun hätte er bald eine Eselei gemacht. Wo der Langen nur hinauswollte? – Eine grenzenlose Bekümmernis malte sich in seinen offenen Zügen.

Auf den Zaren, der diesen Ausdruck des Seelenschmerzes des alten Generals nach dessen Worten anders deuten mußte, blieb dieser Anblick nicht ohne Wirkung: war Karl unüberwindlich? Wenn diesen erprobten Krieger eine solche Mutlosigkeit befiel bei dem Gedanken, ihm gegenüberzustehen, konnte er dann hoffen, den sieggewohnten Gegner zu bezwingen? Er, der schon den ersten Stoß zu spät geführt hatte. Zwar an Zahl war seine Macht der des andern überlegen. Aber an Ausbildung? Hatte er nicht auch geglaubt, Narwa im ersten Anlauf zu überrennen? Und lag nun seit Monaten davor. – Ein unbehagliches Gefühl der Unsicherheit kroch in ihm auf.

»Sie widerraten den Angriff?« Es klang nicht wie eine Frage, eher wie eine Bitte: laßt mich nicht irre an mir werden.

Langen wehrte übertreibend mit aufgehobenen Händen: »Ich würde mich sträflich wider die Instruktion meines erhabenen Souveräns verfehlen, wollte ich dem Genie Ew. Majestät und der strategischen Kunst der moskowitischen Feldherrn« – eine leichte Handbewegung deutete auf den schnarchenden Weyde und auf Repnin, dessen Unruhe seine völlige Fassungslosigkeit verriet – »in den Arm fallen.«

Phot. Franz Hanfstaengl, München

Gründung Petersburgs durch Peter den Großen
Nach einem Gemälde von R. von Kotzebue

Die dick aufgetragene Schmeichelei in Gemeinschaft mit dem offenbaren Spott taten die gewünschte Wirkung. Die Ratlosigkeit Peters steigerte sich sichtlich. Heftig fingerte seine Rechte an den Knöpfen seines Rockes, und der Kopf kehrte sich zuckend gegen die Schulter.

König August I. von Polen
Nach einem Gemälde v. Louis de Sylvestre

Der dem Zaren zunächst stehende Pleyer suchte langsam beiseite zu weichen: er kannte diese Anzeichen. Es dauerte nicht mehr lange, so brach der Krampf aus.

Johann Reinhold Patkul
Nach einem zeitgenössischen Gemälde

Doch so vorsichtig er auch verfuhr, Peter merkte die Absicht. Hart packte er den Gesandten und zwang ihn stehen zu bleiben:

König Karl XII. v. Schweden
Nach einem Stich von J. v. Schley

»Bist du auch gegen mich?« Seine Zunge ging schwer, lallend, zerhackte die Silben.

Hetman Mazeppa
Nach einer zeitgenössischen Zeichnung

Ehe Pleyer noch antworten konnte, wurde der Zeltvorhang ungestüm zurückgeschlagen und der etwas schweratmige kleine Herzog von Croy hastete auf seinen kurzen dicken Beinen herein:

»Verzeihung, Ew. Majestät, wenn ich es wage, unangemeldet eine wichtige Besprechung zu stören. Das Lager ist in Verwirrung. Die tollsten Gerüchte schwirren durch die Luft. Scheremetjef geschlagen, die Schweden im Anmarsch, ja vielleicht schon in unserm Rücken, ein drohender Ausfall. Haben Ew. Majestät sichere Kunde?«

Er erhielt keinen Bescheid. Peters Hand ließ langsam die Pleyers aus ihrem schmerzenden Griff, aber nur um des Herzogs Rechte zu ergreifen. Fest. Wie ein Ertrinkender sich an einen Strohhalm klammert:

»Karl – rückt – an. – Ich will ihm entgegen.« Gellend schrie er die letzten Worte heraus.

»Mit diesen Truppen, die schon jetzt fast vor Angst vergehen?«

Der Zar starrte auf den Sprecher, als sähe er das Gesicht eines dem Abgrunde entstiegenen Gespenstes. Ohne die Blicke von ihm zu lösen, befahl er:

»Papier! Tinte!«

Beides wurde gebracht.

»Repnin. Schreibe.« Jeder Laut kam erquält, zerrissen, undeutlich aus dem in Pein verzerrten Munde:

»Hiermit übergebe ich den Oberbefehl meiner vor Narwa liegenden Armee dem Herrn Herzog von Croy…«

»Ew. Majestät…«

Weiter kam der Einwand des Überraschten nicht. Unter der Faust des Zaren brannten die Knochen seines Handgelenks, und die knirschenden Zähne Peters weissagten einem Widersprechenden nichts Gutes.

»Der Herzog soll den Feind hinhalten, aber die Belagerung der Festung Narwa schleunigst zum siegreichen Abschluß bringen.«

Wieder versuchte der unversehens mit einem verantwortungsvollen Amt Beglückte sich gegen diesen zwiespältigen, undurchführbaren Befehl zu wehren, abermals kam sein Einspruch über einen schüchternen Ansatz nicht hinaus.

»Hast du?«

Repnin erhob sich und reichte dem Zaren die Feder.

Eine Sekunde lang schwankte sie in dessen Hand über dem Bogen. Dann fuhr sie mit scharfen, schnellen Hieben nieder und fügte den Namenszug.

»Da.« Peter schob dem Herzoge die Urkunde zu. »Da.«

Mit einer umständlichen höfischen Verneigung wollte dieser die Rolle entgegennehmen. Doch ein Zuruf Pleyers mahnte zur Vorsicht. Schon flog sie ihm vor die Füße. Kaum einen Augenblick später brach der Zar in wilden Zuckungen zusammen.

Durch die fletschenden Zähne flockte blasiger Schaum. Die Nasenflügel blähten sich zum Zerspringen. Keuchend ächzte die Brust wider einen unsichtbaren Feind. Und schneller und schneller das kochende Stoßen des Atems. Die Glieder biegen sich, bäumen sich, schieben, drängen den Leib empor und schmettern ihn mit Wut zu Boden. In heftigem Schleudern fahren die Fäuste durch die Luft, schlagen und dröhnen im Takt gegen den Estrich. Immer rasender das Toben, immer jäher Flug und Fall. Krachend prellt der Schädel auf und nieder, auf und nieder, unaufhörlich in hämmerndem Wirbel.

Und plötzlich ein würgender Ruck, ein fliehendes windendes Zappeln von Arm und Bein. Stille.

Bleich, lasch, gleich einem ausgespienen Brocken der ohnmächtige Körper. Kaum von einem Hauch bewegt.

Langsam, ganz langsam kam Peter wieder zu sich. Suchend haschten die Hände nach einer Nähe, einem stützenden Halt.

Niemand war bei ihm als der junge polnische Diener. Weiße, kühle Hände deckte er über die schmerzende Stirn.

Peter hob die Lider, schwer, mühevoll:

»Du?«

Mit den Händen, die noch von der überstandenen Not bebten, zog er das junge, helle Gesicht an sich. Dicht, ganz dicht.

Und wie aus Abgrundstiefen stieg es lechzend:

»Leben.«


II.

Inhaltsverzeichnis

Der Novembersturm fauchte über die Heide, die sich um Pskoff zieht. Wütend trieb er den mit Schnee untermischten Regen in dicken nebligen Schwaden vor sich her. Klatschend fielen die eisigen Schauer auf ein einsames Gefährt, das in dem aufgeweichten Boden kaum vorwärts kam. Schlamm klebte sich in großen Klumpen an die Räder, die Pferde versanken bis zu den Knien in dem morastigen Grund und blieben ein über das andere Mal mit zitternden Flanken stehen.

Die Insassen schienen es eilig zu haben. Denn bei jedem solchen Aufenthalt ertönte eine treibende Stimme aus dem Innern des Wagens, und der Kutscher antwortete jedesmal: Wie du willst, Väterchen! schwang die Peitsche und ließ sie erbarmungslos auf den Rücken der geplagten Tiere tanzen. Und mit jedem Halt hagelten die Hiebe dichter.

Eben war ein besonders kräftiger Schlag auf das eine Stangenpferd niedergeklatscht. Heftig warf sich das ins Zeug und zog und riß an den Strängen. Das Gestell hob sich an der einen Seite, kam ins Schwanken. Ein Knirren, ein splitterndes Krachen. Langsam neigte sich die Kutsche und sank ihrer ganzen Breite nach in den Kot.

Die Achse war gebrochen. Fluchend und im selben Atemzuge alle Heiligen anrufend, raffte sich der Kutscher auf und mühte sich, die Tür der Kalesche, an der schon ungeduldig gerüttelt wurde, zu öffnen.

Es war kein leichtes Stück Arbeit. Erst nach langem Zerren und Stemmen ging sie auf und entlud den Inhalt: einen großen, hochgewachsenen Herrn und einen schlanken, jungen Menschen.

Der Herr stand sogleich wieder auf seinen Beinen:

»Wo sind wir, Grischka?«

Der Kutscher fuhr mit seinen groben Handschuhen über das Gesicht, um es von dem ärgsten Schmutz zu säubern und spie bedachtsam beiseite:

»Das mag Gott wissen, Väterchen. Mein Kopf ist von dem verdammten Sturm, den uns der Teufel auf den Pelz gehetzt hat, so dumm, daß ich kaum noch weiß, wo rechts und wo links an meinem Leibe ist.«

»Dort ist ein Licht.« Der Diener, der inzwischen auf die Füße gekommen war, deutete auf einen massigen Schatten, der in dem frühen sinkenden Tag durch das schneeige Gestiebe dunkelte und in dessen Mitte ein kleiner trübroter Punkt erglänzte.

»Gehen wir!« Der Herr schlug den Mantel fester um sich: »Du wartest hier, Grischka, bis wir Leute schicken.«

»Wie du willst, Väterchen.«

Der mit festen Tritten Davonstapfende hört die ergebene Antwort nicht mehr. Geradeswegs durch Pfützen und Lachen strebte er dem nahen Obdach entgegen. Nach ein paar hundert Schritten war es erreicht.

In der ebenerdigen Stube saß auf der Ofenbank ein hageres, langaufgeschossenes Mädel. Die eckigen Arme hatte es hinter dem Kopf verschränkt, der auf dem dicken, brandroten Haar wie auf einem Kissen lag.

Sie träumte vor sich hin.

Aber ihre Träume mußten sehr bestimmte und bewußte sein, denn in den grünlichgrauen Augen war keine Spur von weicher Versonnenheit, kühl und fest waren sie auf das unsichtbare Ziel gerichtet.

Der Eintritt der Fremden war ihr kein Anlaß, ihre bequeme Stellung zu verändern, nur ihr Blick richtete sich forschend auf die Ankömmlinge.

»Bist du allein?« Peters Ton war ungeduldig.

Sie schürzte launisch die Lippen: »Wäre ich allein, könntet Ihr mich nicht fragen, ob ich es wäre.«

»Albernes Ding! Wo ist dein Vater?«

Der offenbare Ärger ihres Gegenübers belustigte sie. Sie lachte, ihre Oberlippe zog sich weit von den festen spitzen Zähnen zurück.

»Wo ist dein Vater?« Peters Miene wurde drohend.

»Da müßt Ihr Euch bei meiner Mutter erkundigen, vielleicht kann sie es Euch sagen. Ich,« sie schob die schmalen Schultern verächtlich in die Höhe, ihr Blick wurde feindselig, »ich weiß nichts von ihm.«

»Wo ist deine Mutter?«

»Mit den Schwestern und dem Bruder ins Holz.« Sie rümpfte die Nase: »Die haben Angst vor den Schweden.«

»Schweden? In der Nähe?«

Die Kleine horchte auf. Der dringliche Ton des Fragers hatte ihr allerhand verraten.

»Ja,« gab sie lässig Bescheid, »sie schweifen durch die Gegend.«

»Verdammt.« Peter stampfte den Boden. »Kannst du uns einen Wagen beschaffen.«

Sie deutete mit der Schulter gegen den Hof: »Im Schuppen.«

Ohne einen Befehl Peters abzuwarten, eilte Pawel Jaguschinski hinaus, das Gefährt für die Weiterreise herzurichten.

Die Augen der Kleinen wanderten musternd über ihren Gast, der sich einen Schemel in die Nähe des Ofens gezogen hatte und hoch und mächtig vor ihr saß.

»Wird der Herr die Fahrt in einem Bauernwagen vertragen?«

Peter zuckte unwillkürlich zusammen: »Warum nennst du mich Herr?«

»Weil Ihr es seid.«

Unmutig brummte er: »Was dir nicht einfällt. Ich bin ein einfacher Unteroffizier.«

Sie lachte. Es bereitete ihr Spaß, den großen starken Mann zu sticheln: »Wollt Ihr das auch den Schweden erzählen, wenn sie Euch fangen?«

»Kröte!« Er sprang auf und packte den Schemel: »Bin ich in eine Falle geraten, soll es dir übel gehen.«

Sie hob gelassen die Schultern: »Es sähe Euch ähnlich, einen andern für Eure eigene Dummheit und Unvorsichtigkeit büßen zu lassen.«

Sie nahm eine überlegene Miene an: »Seid nicht so wild. Setzt Euch ruhig. Ihr braucht keine Angst zu haben. Die Schweden dürfen Euch nichts tun, wenn sie kommen; Ihr gefallt mir.«

Ein tolles Frauenzimmer! In Peter kämpften Beschämung über die einfältige Rolle, die er spielte, und die Lust an dem kecken Gebaren des eben den Kinderschuhen entwachsenen Dinges vor ihm: was das sich in seiner Einfalt zutraute.

»Du willst mich schützen?« Er lachte verlegen. Ein dunkles Rot stieg bis zu seinen Schläfen: »Wenn dich ein Mann mit dem kleinen Finger anrührt, fällst du um.«

Sie hob die Lider zu einem kühlen, beherrschten Blick: »Wenn er es fertig bringt, mich anzurühren.«

Stärker brannte das Rot in seinen wettergebräunten Wangen.

Sie zog die Oberlippe zurück, ihre Nasenflügel bebten leise:

»Aber du gefällst mir. Und darum will ich dir helfen.« Sie sprang mit beiden Füßen zugleich auf den Boden, trat rasch auf ihn zu und tippte mit spitzen Fingern auf die Tressen und Verzierungen seiner Uniform. »Damit jetzt im Lande herum zu kutschieren, ist gefährlich. Ich werde dir etwas anderes geben.« Aus einer Truhe, die neben dem Ofen stand, holte sie Rock, Hemd und Hose: »Meines Bruders Sonntagsstaat. Er wird wüten, wenn er es erfährt. Pah,« sie schnippte mit den Fingern, »ich lache ihn aus. Wütende Menschen haben keinen Kopf. Da,« sie warf dem Gaste das Bündel zu, »zieh dich um.«

Peter hatte sich erhoben. Er kam sich vor wie ein gescholtener Junge. Es war kein sehr erhebendes Gefühl. Unsicher schob er den Kleiderpacken von einem Arm auf den andern.

Die Kleine maß ihn verwundert: »Worauf wartest du noch? Zieh dich um. Meinst du, ich wüßte nicht, was ein Mann ist?« Sie lachte hell, girrend: »Ich tue dir nichts.«

»Weibsbild!« Die Kleider flogen auf den Boden. Da war kein Junge mehr. Der versank in dem Manne. Ein Brennen und Sieden rann durch Peter hin. Der starke Körper zitterte in Begier.

Kopfschüttelnd, ohne ihn aus den Augen zu lassen, wich das Mädchen ein paar Schritte zurück:

»Ich habe geglaubt, die Herren seien feiner als die Bauern, aber nun sehe ich, daß es genau solche Tölpel sind.«

»Weib!« Peter wollte mit geballten Fäusten auf die Spötterin zu.

Sie kehrte ihm langsam den Rücken und ging zum Fenster:

»Hab dich nicht! Beeile dich lieber mit dem Anziehen. Die Pferde rühren sich bereits im Geschirr.«

Keuchend, an allen Gliedern bebend, stand Peter mitten im Zimmer. Er kam sich unsäglich albern vor: was hielt ihn ab, diesem boshaften Frauenzimmer seinen Willen aufzuzwingen? Oder hatte er ihr gegenüber gar keinen Willen? Ein dumpfes Ahnen beschlich ihn, daß diesem Wesen nicht mit Gewalt beizukommen war, weil es sogar die Lust in seiner Gewalt hatte. Er biß sich die Lippen blutig: da war nichts zu machen. – Er warf den Kopf in den Nacken: was kam es auch darauf an? Er würde das Erlebnis bald vergessen haben. – Zornig zerrte er an Rock und Wams, sich ihrer zu entledigen. Doch das durchnäßte Tuch klebte am Körper. Er riß und zog, fluchte und stieß mit den Füßen den Boden.

Die Kleine hatte sich vom Fenster abgewendet und genoß das Schauspiel mit heller Freude.

»Du wirst nie etwas fertig bringen, wenn du nicht Geduld lernst.« Damit half sie ihm.

Du wirst nie etwas fertig bringen, wenn du nicht Geduld lernst! Er sah das Geschöpf vor sich plötzlich mit andern Augen an. Unvermittelt kam ihm die Frage:

»Wie heißt du?«

Sie wiegte sich in den Hüften: »Brauchst du einen Namen, um dich zu erinnern?« Ihr Leib dehnte sich zu ihm hin, daß er ihn fast streifte: »Du wirst mich nicht vergessen.«

Den großen, starken Mann überrann ein Schauer. Seine Glieder flogen. Doch der kühle, beherrschte Blick der grünlichgrauen Augen hielt ihn in Bann. Nur sein Atem stöhnte durch die zusammengebissenen Zähne.

Von draußen kamen Schritte. Jaguschinski erschien und meldete, daß der Wagen zur Abfahrt bereit sei.

Mit einem Ruck kehrte Peter sich ab. Im Hinausgehen wendete er noch einmal den Kopf:

»Ich werde dich nicht vergessen.«

Die Tür fiel ins Schloß.

Tritte verklangen. Räder begannen zu knirren, Hufe patschten in klitschigen Lehm. Ferner. Ferner.

Unbeweglich blieb das Mädchen in der Mitte der Stube, bis jedes Geräusch erstorben war.

Stille.

Mit raschen Griffen nahm sie die zurückgebliebenen Kleider Peters, trug sie zur Truhe und legte sie sorgsam hinein.

Der Deckel schlug zu.

Und mit sicherem Schwunge saß sie oben auf dem Kasten.


Tausend Lichter. Und widerstrahlend der weiche, warme Schimmer in den hohen Spiegeln rings im Saale. Flirrend der Glanz. Schmeichelnd fließt er um diademgeschmückte Stirnen, über weiße, leuchtende Nacken und wogende Busen. Diamanten blitzen, Ordenssterne funkeln. Die breiten blauen, orangenen, roten und grünen Ritterbänder über den Uniformen und den Diplomatenfräcken glühen, und die rauschenden Schleppen, die weiten malven- und topasfarbenen Röcke, die knisternden Seidenspenzer und die Samtmieder der Damen gleißen auf in dem spielenden Schein.

Tanz. Hell und lockend die Geigen. Jubelnd die Flöten. Dunkel und zärtlich die Klarinette. Dumpf, stöhnend in Sehnsucht die Oboe.

Ein Wiegen und Schmiegen der Paare. Leicht die Schritte, behende die Füße. Ein Suchen und Fliehen, ein Meiden und Sichfinden.

Heiß die Hände, glühend die Wangen. Schneller der Puls, rascher der Atem.

Jauchzend steigt die Woge der Lust.

Alexander Menschikoff schwimmt mit ihr, läßt sich tragen, hoch hinauf, hin zur Erfüllung kühnster Träume.

Seine schlanke, sehnige Gestalt ist überall. Eben noch im heiteren Geplänkel mit der schönen Mons, der kleinen Freundin des Zaren, gleich darauf im Gespräch mit Campredon, dem französischen Gesandten. Die Spitzen der Sloboda, der Ausländervorstadt von Moskau, hatte er zu Gaste gebeten. Den holländischen Residenten, die deutschen Kaufherren, die französischen Emigrierten, die Anhänger des schottischen Prätendenten, die Führer der polnischen Dissidenten, alle, die ihre Zukunft an die Zukunft Rußlands geknüpft haben und die helfen werden, sie zu bauen.

Heute gilt es, den ersten Sieg der neuen Herrschaft zu feiern. Den nahen Sieg.

Narwa steht vor dem Fall.

Das war die Botschaft, die am Morgen der Kurier dem Herzbruder des Zaren überbracht hatte.

Menschikoff ergriff den Augenblick, wie er sich bot. Rußlands junger Ruhm war die Staffel, die ihn zur Höhe führte.