Ich ging lange mit mir zu Rath. Sollte ich oder sollte ich nicht? Aber es war zu verlockend, der Antrag, für die offiziellen Ausstellungsnachrichten auf mittlere Familien berechnete Berichte aus meiner Feder abzulassen über das große Unternehmen im Osten Berlins, die Gewerbeausstellung. Endlich, um sicher zu gehen, überlegte ich dies Anerbieten mit meinem Mann, der ging auch nun längere Weile mit sich zu Rath und sagte:
»Wilhelmine, ich fürchte, die Arbeit wird zu anstrengend für Dich, Du mußt doch Studien machen, und wenn's regnet...«
»Dann gehe ich in die Baulichkeiten. Karl, es ist ja eine ganze Stadt im Treptower Park entstanden, so daß die Ausstellung in Inneres und Aeußeres, sowie in Altes, Neuestes und Fremdländisches zerfällt. Und daran hängend der Vergnügungstheil und zwischendurch Erfrischungsanstalten. Wo ist da Arbeit?«
»Das Betrachten und genaue Ansehen greift an.«
»In einem weg besehen, darin gebe ich Dir Beifall. — Aber es ist von einer wissenschaftlichen Commission genau abgezirkelt, wohin immer Getränkunternehmen zu legen waren, den Nerven Beruhigungspunkte zu bieten, und die sind auf den Zentimeter genau von beeidigten Landmessern ausgerechnet.«
»Wer hat Dir das erzählt, Wilhelmine?«
»Karl, nichts beleidigt mehr als unangebrachter Unglaube. Wenn die Krausen Dir etwas beschwört, ist es allerdings Deine Pflicht, mit dem Gegentheil zu dividiren, und was dann herauskommt, damit sei auch noch vorsichtig, es weiter zu verbreiten. Uebrigens brauchst Du ja nur hinauszugehen und nachzumessen.«
»Wilhelmine, ich bitte Dich, schreibe nicht,« bat mein Karl mit Nachdruck. »Wenn Du treuherzig bringst, was Hinz und Kunz Dir aufbinden, fällst Du mit Glanz hinein.«
»Karl,« entgegnete ich, »Du redest wie das blinde Huhn von Anilin. Herr Kriehberg ist nicht Hinz und Kunz.«
»Was ist das für 'n Fremdling?«
»Er ist ein höchst talentbegabter Architekt, dessen Bekanntschaft ich auf dem Ausstellungsgelände machte, als ich mir das Ganze vorläufig darauf ansah, ob es sich zum Ausschlachten für mich eignete. Gerade so wie draußen in Treptow denke ich mir die Schöpfung beim Beginn: noch keine Wege, keine Schutzleute zu fragen, wo's lang geht, kein gedruckter Führer, Alles wüst durcheinander, so zu sagen: erst in der sich gestaltenden Idee.«
»Hübscher Ausdruck, sich gestaltende Idee,« sagte mein Karl mit verdächtiger Anerkennung. »Hast Du den aus Dir selbst?«
»Nein, von Herrn Kriehberg. Der war nämlich so liebenswürdig, als ich mich verlaufen hatte, sich meiner anzunehmen und mir nützliche Winke zu geben, weil man sich mit dem bloßen Augenmaße zurechtfinden mußte und dabei immer in die entgegengesetzten Anlagen gerieth. Er wußte von Allem Bescheid, was er als geaichter Architekt ja auch muß, und später, wenn ich über die Baulichkeiten schreibe, hat er mir versprochen, das Technische von den Stilarten zu liefern.«
»Das kann ja recht heiter werden.«
»Karl, er ist ein hochbedeutender junger Mann. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte die Ausstellung eine ganz andere Physiognomie gewonnen, mehr an das zwanzigste Jahrhundert tippend. Aber sie hörten nicht auf ihn und deshalb hat Manches nicht seine unbedingte Billigung. Es ist ihm schon oft so ergangen. Weißt Du, es giebt Menschen, die ausgezeichnete Pläne entwerfen und hoch erfinderisch sind, bei der Konkurrenz nachher aber haben sie jedesmal die falsche Katze beim Schwanz.«
»Hm. Und was stellt er jetzt vor?«
»Er ist Inspectorist.«
»Was inspectorirt er denn?«
»So beim Kalchlöschen und was sonst beim Bauen verknippert ist. Ohne ihn würde das Meiste falsch ausfallen oder doch sehr aus dem Loth.«
»Auch nicht bitter. Wilhelmine, wenn Du besser nicht schriebest...«
Ich warf meinem Karl einen Blick zu von der Sorte, bei der man auf Nachbestellung verzichtet.
»... ich meine nicht über Architektur.«
»Die gehört wesentlich dazu. Und sieh', Karl, selbst, wenn ich wollte — ich kann nicht mehr zurück. Ich habe schon drei Toiletten für die Ausstellung in die Mache gegeben, die ich Dir nicht zuwälze. Nein, mein Karl, die schreibe ich mir zusammen, namentlich die eine mattstrohgelbe mit geklöppeltem Fichu, traumhaft gediegen, der Hut mit gelblichem Kräuselwerk und weiße Handschuhe mit schwarzen Raupen. Du sollst sehen, es wird verblüffend.«
Er war besiegt, der gute Karl, besiegt durch die unumstößliche Gewalt der Thatsachen, ohne Widerspruch und Ränke, wie so viele Frauen anwenden, um ihren Willen durchzusetzen. Meine Seele war sauber wie ein Dutzend unangebrochener Taschentücher direct aus dem Laden.
Gebäude sind allerdings nicht leicht zu knacken, jedoch mit Kriehberg überwinde ich sie. Er hat allerdings über Vieles ein geradezu vernichtendes Urtheil und merkwürdiger Weise meistens über das, was mir so gut gefällt, wogegen er furchtbar lobt, was meine Anschauung unberührt läßt. Aber ich nehme wie aus zwei Kochrezepten von uns beiden das Beste. Männer allein sind stets einseitig.
Mit Onkel Fritz hatte ich leichten Kampf.
»Schreib, Minchen,« sagte er. — Darauf sollte ich »Nein« antworten, aber ich that ihm den Gefallen nicht. Haben wir Frauen erst mal Prinzipien, sind wir auch nicht wieder herunter zu bringen, und mein Prinzip lautet: Widerspruch giebts nicht mehr. Das heißt nur, wenn er nöthig ist. Dann aber feste!
Nun hat Onkel Fritz es an sich, seine Nebenmenschen mit Spitzfindigkeiten so lange zu triezen, bis er Recht kriegt, immer mit Vergnügtheit, aber mit Absicht. Um dies Spielwerk von vorne herein aus dem Gang zu bringen, sagte ich: »Ihr habt ja ausgestellt, Du und mein Karl, und ich — ich schreibe. Aber was ich von Euren Gegenständen in die Blätter setze, hängt von Eurem Betragen gegen mich ab.«
»Das ist Erpressung,« rief Onkel Fritz.
»Nothwehr!« entgegnete ich. »Du kannst mir dreist Zucker versprechen, ehe meine Entschlüsse wanken. Schlecht machen werde ich Euch nicht...«
»Das könnte Dir eklig in die Blusen regnen,« warf Onkel Fritz ein, jedoch nicht mit gewohnter Sicherheit. Er wurde schon klein.
»Weiß ich,« fuhr ich unbeirrt fort. »Wer sich Geschäftsschädigung zu Schulden kommen läßt, kann mit mehr oder weniger Erfolg in Anklagezustand erhoben werden. Aber was viel schlimmer ist und wogegen keine Abhilfe möglich: ich kann Euch todtschweigen.«
»Hu,« rief Onkel Fritz, aber es war ein ziemlich benautes Hu, ohne jegliche komische Wirkung. Er fühlte, daß die Druckerschwärze mir Gewalt über ihn gab. Kein Zeugnißzwang vermag auch nur eine einzige anerkennende Zeile aus mir herauszupressen oder selbst nur den bloßen Namen. Und das weiß sowohl Fritz wie mein Mann. Und genannt wollen sie sein. Es ist freilich viel Einbildung dabei, denn was nützt das Genanntwerden, wenn das Publikum kurz von Gedächtniß ist, aber ich ließ sie dabei. Es puckerte ordentlich in mir, wie ich so das Herrschergefühl verspürte und Onkel Fritz an der Strippe hatte.
Natürlich werde ich mich nie zu solcher Gewaltthätigkeit entschließen. Eine wie die Maria Stuart'sche Elisabeth unterhaut Todesurtheile in der eigenen Familie; in unserem Jahrhundert grassirt dagegen die Humanität. Nein, ich werde meines Karls Sachen gehörig herausstreichen und ebenso Onkel Fritzens, wenn auch erst gegen Schluß der Ausstellung, damit sie nicht zu früh wieder üppig werden. Drohen kostet nichts. Allerdings hält es auch nicht vor.
Mein Schwiegersohn, der Sanitätsrath, ist Feuer und Flamme für die Ausstellung, soweit er brennbar ist. Er spitzt unbändig auf die elektrischen Verkehrsverbindemittel zwischen Berlin und Treptow, wohin er jedes Jahr einmal mit seinen medicinischen Vereinsbrüdern zum Krebsbundes-Essen reist: auf dem Schiff hin und in einem eigens bestellten Nachtkremser zurück. Sie sind immer in vorwurfsfreiem Zustande wieder in Berlin abgeliefert, weil der Weg so lang ist, daß sie sich ausheitern, bevor sie versuchen, ob die Hausschlüssel passen. Ob die raschere elektrische Beförderung mehr von ihrer Vereinsthätigkeit verrathen wird, bleibt dahingestellt; aber da sie diesmal ihr Krebsgelage auf der Ausstellung feiern wollen, wird hoffentlich mehr Licht in die Sache kommen.
Er ist noch nie elektrisch gefahren und verspricht sich besonderen Genuß davon, worauf ich mir zu bemerken erlaubte: »Wagen ist Wagen, Herr Schwiegersohn.«
»Damit ist nichts gesagt,« erwiderte er.
»O doch. Es ist mit den elektrischen Wagen wie mit den Klößen aus Mahlmühlen-Mehl oder aus Dampfmehl: mehr als glitschen können sie nicht.« — Er lachte beifällig, worüber ich stutzte und die nachfolgende Erläuterung erwartete, die jedoch nicht von ihm ausging, sondern von seiner Gattin.
»Mama,« fing Emmi verlegen an, »Mama, Franz meint, namentlich sei es überaus angenehm, daß wir die elektrische Bahn nahe vor der Thür haben und deshalb öfter hinausfahren können.«
»So ist es recht,« pflichtete ich bei. »Die Ausstellung ist eine Veranstaltung des Gemeinwesens, die man durch persönliches Erscheinen nicht genug unterstützen kann. Wer Bürgersinn hat, lege ihn hier klar; die Gelegenheit ist günstig.«
»Ja, Mama, das ist auch unsere Ueberzeugung. Aber siehste, da Du Berichte schreibst, mußt Du doch die Hände voll Freibillete haben, die Du nicht allein absitzen kannst...«
»Ih, seht einmal,« rief ich. »Aus diesem Perspectiv kuckt ihr? Nein, mein Schatz, was Ihr Euch ausgedacht habt, ist nicht. Erstens giebt es keine Freibillets, denn die Ausstellung ist kein klassisches Theaterunternehmen, und zweitens, mit welcher Nothlage wollt Ihr Eure Bedürftigkeit nachweisen? Nee, Kinder, für Nichts ist Nichts. Die Ausstellung liegt in Treptow und nicht in Nassau.«
Dieser kalte Strahl verschnupfte. Emmi zog einen Flunsch, und bei ihm, wo er sich schon als Persona gratis geschmeichelt hatte, wurde die Heiterkeit so alle, als wäre sie auf einem elektrischen Extrawagen abgeblitzt.
»Mama«, sagte Emmi patzig, »Du hast oft genug gepredigt, Kinder legten Eltern Sparsamkeit auf, damit sie nicht als junge Armuthsraben in das Leben flattern und nun wir für unsere Kleinen nach Deinen Worten thun, willst Du's nicht wahr haben.«
»An Euch sollt Ihr schinden, aber nicht an mir. Außerdem ist die Ausstellung ein Bildungsmittel und wer seine Bildung vernachlässigt, schädigt sich selbst.«
»Vergnügen ist wohl nicht draußen?« fragte er maliziös.
»Gewiß, zur Belohnung für die Bemühungen, die industrielle Entwicklung der Kultur zu erfassen. Bewundert, was Menschenhände geschaffen haben und dann dürft Ihr Euch stärken. Wissenschaft als solche ist trocken. Das sieht man an dem Flüssigkeitsverbrauch der Studenten. Und deshalb ist für Alles gesorgt. Kinder, bloß allein die lebensgroßen Schiffe in voller Natürlichkeit und eins inwendig trinkfähig. Und ein chemischer Palast und ein Gebäude für Erziehung und Unterricht, für Eure Knaben wie geboren. Man weiß nicht, wo anfangen und wo aufhören?«
»Ich denke bei Siechen,« sagte der Rath.
Aus diesem Scherz merkte ich, daß seine Mucksigkeit nur äußerlich war und er es auf etliche Märker nicht ankommen lassen wird. »Schön,« sagte ich, »und damit Ihr seht, daß ich nicht so bin, lade ich Euch sämmtlich zu einer Sitzung in dem Siechen-Ausschank ein mit Anblick der Spree und Blasorchester. Ueberhaupt werden wir gemeinsame Wallfahrten unternehmen, davon verspreche ich mir etwas.«
Ich behielt jedoch bei mir, was ich im Sinn habe. Ich denke mir nämlich, wenn wir ein größerer Anhang zusammen sind, die Krausen mit bei und Andere aus der Bekanntschaft und wir gehen so herum, dann deichsle ich die Fortbewegung unmerklich, daß wir ungeahnt an dem Pavillon des Lokal-Anzeigers vorbeikommen, der sie wegen seiner Vornehmheit anhält. Während sie ihn betrachten, löse ich mich von ihnen ab und gehe die Treppe hinauf. Sie fragen dann: »Herrjeh, Frau Buchholz, wo wollen Sie hin?«
Ich wende mich zu ihnen und sage: »Entschuldigen Sie mich einen Momang, ich habe Geschäftliches: ich bin Presse.«
Ich verweile einen Augenblick auf der Treppe, schneide ihnen eine gnädige Verbeugung zu und verschwinde redactionell.
Das Gesicht von der Krausen will ich sehen, wenn ich so dastehe gewissermaßen als Schwiegermutter der siebenten Großmacht — denn das ist und bleibt die Presse — in meinem Strohgelben oder falls der Wetterbericht es räth, in meinem neuen Marineblauen mit Crême. Sie soll merken, daß man Gewicht hat, trotz ihres naslöcherigen Betragens, weil ihr Mann Studirter ist und sie sich in jeder Gesellschaft das Meiste dünkt. Wenn ich wieder erscheine, thu ich ganz wie gewöhnlich mit Schlichtheit und Selbstverständlichkeit. Und sie hat den Aerger intus. Den hat sie reichlich an mir verdient mit früheren Pikanterien und Ueberhebung, sogar über meinen Mann, der doch ganz anders einzubrocken hat als ihr Mann mit den dicken griechischen Büchern und dem dünnen Gehalt.
So verspreche ich mir viel Interessantes und Erhebendes von der Ausstellung schon jetzt, wo sie aus dem Gröbsten heraus den letzten Schmuck angelegt kriegt. Wie viel tausend Hände sich regen, das muß man sehen, und Alle von dem einen Gedanken beseelt, daß es schön wird.
Solcher Anblick erfreut, wo so viel Zerstören in der Welt ist, so viel Hader und Häßliches. Hier soll es schön werden. Und das wird's auch.
Allein blos die Natur. Der Berliner ist ja schon vergnügt, wenn er einen Baum sieht. Desto grüner er ist, desto besser, daß er ihm gefällt, und nun im Park die massenhaften Anlagen mit Bäumen und Gebüschen, Teichen, Kanälen, Rasenflächen und Beeten, wie wird ihm dies Alles zu Herzen sprechen.
Und in dem Waldartigen die verschlungenen Pfade und die einzelnen Fachgebäude, freundlich und lustig, bunt bemalt und fröhlich geziert, so im Grünen darin, als hätte der Osterhase sie versteckt. Welche Ueberraschung, wenn man immer wieder Neues entdeckt, wenn man beinahe vorbeigetrabt wäre und nach und nach inne wird, wie groß und bedeutend die Ausstellung wirklich ist, und wie riesig mannigfaltig. Man müßte schon vier Beine haben und ein Dutzend Augen.
Bald fängt es an zu blühen, der große Park wird zu einem Garten, zu einem Paradies des Fleißes und der Arbeit. Die Springbrunnen plätschern, die Maschinen wirbeln, Fahnen flattern, Blumen duften, auf dem Gewässer wiegen sich Gondeln, die Wilden lagern in Kairo, Alt-Berlin wird lebendig. Musik erschallt, die Thore öffnen sich und jubelnd ziehen wir ein, wir Alle miteinander aus Nah und Fern.
Und die Vögel sitzen auf den Zweigen und singen dazu.
Mein Karl fing aber noch einmal an: »Wilhelmine, es werden Sachverständige über die Ausstellung schreiben — wo bleibst Du?«
»Darüber beunruhige Dich nicht, viel eher fürchte zu viel Sachkenntniß. Du willst wissen wie und weshalb? Das bleibt vorläufig mein Geheimnis. Ich nenne Dir nur den einen Namen: Ottilie.«
Er sah mich ganz perplex an der gute Karl.
»Du wirst es schon erfahren!«
Das merkwürdigste von allen Organen des Menschen ist sein Gedächtniß. Ich habe bis vor Kurzem keinen rechten Begriff davon gehabt, aber ich stelle mir es vor wie früher Bellachini's Hut — Nichts ist darin und ohne daß man daraus klug wird, kommt die erstaunungswürdigste Füllung zum Vorschein: Laternen, Bälle, Becher und zuletzt ein Wickelkind, das einen Heiterkeitserfolg erntet. Oeffentliche Wickelkinder sind immer von durchschlagender Wirkung.
Ich muß mich an diesen Vergleich halten, um mir zu erklären, wieso mein Karl und ich mit einem Male in dem Kopfe so sehr Vieler auftauchten, die sich erinnern, daß wir sie gebeten haben, uns zu besuchen, wenn der Weg sie nach Berlin führte, und mit unserem Fremdenstübchen vorlieb zu nehmen.
Da sind Verwandte von meinem Karl, die mit ihm blos durch höchst zweifelhafte Urgroßmütter zusammenhängen und es vor Gott und der Welt unverantwortlich finden, intimere Beziehungen so lange vernachlässigt zu haben und ihre Saumseligkeit nur dadurch tilgen können, daß sie während der Ausstellung einige Tage bei uns weilen. Ablehnung meinerseits ist nicht angebracht, denn keine Behandlung schmerzt den Mann mehr, als wenn die Gattin seinen Angehörigen und Freunden das Haus zum Eiskeller macht, und außerdem bin ich durch meine Seitenlinien in gleiche Lage gedrängt. Als damals die Tante in Bützow starb, habe ich mitgeerbt, und Erben legt Verpflichtungen auf. Sollen die Leute sagen: »den Draht schluckt die Buchholz, aber trotzdem sind die Familienbande zerrissen.« — Nein!
Und dann die Geschäftsfreunde, theils mit, theils ohne Hälften, die sich bei unserer Silberhochzeit förmlich fürstlich angestrengt haben — die eine Servante ist geradezu ein Schützentempel werthvollster Metallgaben — und Jeder, der sich darin verewigte, ist zum Ehrenmitgliede unseres Hauses ernannt, und die Ruppigkeit, die einmal zuerkannte Ehre hinterher zu verweigern, haben wir nicht, selbst, wenn sich Einiges auch blos als plattirt herausstellt. Beim Putzen schimmert der Verdacht an den Kanten manchmal durch.
Bei jedem neuen Briefe mit dem Wunsche des Wiedersehens und der jetzt erst möglichen Annahme der überaus liebenswürdigen Einladung vom so und sovielten, Anno so und so, sagen wir »Sehr schätzbar, aber wo unterbringen«? Denn das Fremdenzimmer habe ich ursprünglich für Ottilie bestimmt, die mit mir die Ausstellung studiren wird und ihr ungeheures Wissen hineinträufelt, wo ich eine Zuthat nothwendig erachte.
Sie ist die Tochter einer Halbcousine von mir und geprüfte Lehrerin, womit sie sich ziemlich sorgenfrei ernährt, soweit das Leibliche in Betracht kommt. Mit dem Geistigen und den Nerven aber hat sie ihre Molesten. Wer versteht sie in dem Nest? Vielleicht Einige, aber mit denen geht sie unglücklicher Weise nicht um. Seit Jahren hat sie unbändige Gelehrtheit in sich aufgespeichert, von der sie nicht erleichtert wird, da sie nur in den Anfangsgründen unterrichtet, weshalb die Nerven unter fortwährendem, wissenschaftlichem Druck leiden. Sie schrieb mir, Berlin wäre der einzige Ort, mit seinen Kapazitäten ihren Nerven aufzuhelfen, sie ginge zu Grunde in der geistigen Einsamkeit und so kam ich auf den Gedanken, sie als Ausstellungsvertraute heranzuziehen.
Mein Karl sagte: »Es ist mir lieb, Dich draußen nicht allein zu wissen, denn ich kann Dich nicht so oft begleiten, als Du wegen Deiner Berichte Dich abstrappeziren mußt. — Aber wenn Ottilie das Fremdenzimmer bezieht, wo bleiben wir mit den anderen Gästen?«
»Karl,« sagte ich, »Ottilie schläft bei mir.«
»Und ich?« unterbrach er mich.
»Du wirst in der Fabrik eingerichtet.«
»Danke!« — —
»Danke nicht eher, als bis Du siehst, wie gemächlich Du es dort haben wirst. Fabrik und Haus sind durch den Zwischengang ein und dasselbe. Wollen wir die Kundschaft vor den Kopf stoßen? Herr Ungermann hat sich angemeldet, einer Deiner besten Abnehmer — er widmete die große silberne Fruchtschale — durch und durch echt — und seine Frau kommt mit. Und alle die Anderen! Wir müssen noch die gute Stube als Logirzimmer hergeben. Wenn das Mädchen auf dem Boden bivuakirt, läßt sich ein einzelnes Wesen in ihrer Kammer beherbergen, wie zum Beispiel Tante Lina. Kleinstädter sind anspruchslos.«
»Das kann ja reizend werden.«
»Karl, es muß sein.«
»Aber bedenke die Menge!«
»Es gehen viele Sardinen in eine Dose, wenn das Oel nur gut ist, ich meine nämlich die Behandlung. Die Hôtels sind bis unter das Dach übervölkert, also muß die Privatmildthätigkeit eingreifen. Freilich die Krausen vermiethet für Geld, ich glaube, sie nächtigt mit ihrem Mann in seinem Schreibsecretair oder sonst, wo es unpassend ist, blos um Beute zu machen. Kein Laster dünkt mich empörender, als diese Art von Wucher, wo er doch die Jünglingsjahre ihr geopfert hat und in seinen alten Tagen Bequemlichkeit beanspruchen darf.«
»Mit mir wird auch nicht viel anders umgegangen.«
»Nicht, daß ich wüßte.«
»Kommandirst Du mich nicht aus meiner gewohnten Behaglichkeit in die Fabrik?«
Ich lächelte. »Karl, wie kannst Du Dich mit Krause in eine Kompanie reihen? Der Versuch allein schon ist verwerflich. Was wir thun, geschieht aus Humanität für unsere Kunden, und nicht aus Mammonsgier. Und das werden sie bei den Herbstbestellungen beherzigen und nicht drücken, bis kaum noch das Maschinenfett verdient wird. Du sollst sehen, wie die Ausstellung die Industrie hebt.«
Mein Karl legte ein Fremdenbesuchs-Conto an, worin jeder Angemeldete seinen Termin bekam, um Platzzwistigkeiten vorzubeugen. Dies war vom theoretischen Standpunkte so glänzend einfach, daß wir hoffnungsfreudig in die Zukunft blickten, aber vom praktischen wollten sie so ziemlich sämmtlich Ende Mai eintreffen. Für die folgenden Monate hatten sie Badeaufenthalt oder sonstige hygienische Abstecher vor.
Nun ging es an ein Umlegen und Aendern und Hin- und Herschreiben, wobei Einige sogar mit Bemerkungen antworteten, als fühlten sie sich in die Ecke gesetzt. Einer schrieb, er hätte geplant, das Geschäftliche mit dem Ausstellungsaufenthalt zu verbinden, schwerlich sei ihm dies im August möglich. Er ließ mit vieler Noth bis Mitte Juli herunter, aber dadurch klemmte es sich mit meines Mannes Verwandten, dem Amtsrichter. Und Gerichtspersonen sind leicht verletzt.
Mein Karl sah dies ein, aber er hatte die Hände mit seinem Aufbau in der Ausstellung voll — geradezu überwältigend mit einem Reichsadler aus schwarzen Socken nach dem Grundriß eines akademisch vorgebildeten Künstlers — und schob mir den Besuchsschlachtenplan zu. Ich saß und bebrütete ihn mit stundenlangem Nachdenken, ohne daß jedoch eine rettende Idee ausschlüpfte; immer uns stets war der Amtsrichter im Wege.
Da wurde mir ganz unerwartet Hilfe in der Noth, obgleich sie nicht so aussah, denn wenn die Bergfeldten, oder jetzt nach ihrer Wiedervermählung Frau Butsch, auf der Bildfläche erscheint, taucht irgend etwas Erbauliches im Hintergrunde auf, woran sie weniger Schuld hat, als das ihr im Kalender des Lebens angestrichene Pech. Sie ging zweckmäßig gekleidet, wie es einer Weißbierwirthin vom Kietz geziemt, wo Schleppen wegen der übergeschwappten Bodenfeuchtigkeit nicht lokalgemäß sind. Sie arbeitet tüchtig in Küche und Haushalt und da sie merken, daß sie etwas vor sich bringen, fassen sie Beide unverdrossen an. Er zieht das Bier alleine ab mit inclusive Flaschenspülen, wobei er manchmal zwei Zentimeter äußere Rundung verliert. Weil das gesund ist, freuen sie sich Beide so darüber, daß sie ihm ein deutsches Belohnungs-Beefsteak von Suppentellerumfang brät und er sich eine Selbstanerkennungs-Weiße gönnt oder auch mehrere — genau weiß sie es nicht — worauf die alte Dickdität überhaupt nicht weg gewesen zu sein scheint.
»Butschen,« sagte ich, als sie mir dies erzählte, »mästen Sie Ihren Mann nur nicht auf den Schragen.« — »Es schmeckt ihm immer so schön, da kann ich doch nicht davor? Mein Seliger gab zuletzt das Essen auf und da war's alle. Nee, Buchholzen, Hungerkuren sind ja hochmodern, aber sie endigen ebenso tödtlich wie andere Millezin.«
Dies verdroß mich. Es ist anmaßend für beschränktere Intelligenz, in Familien mit einem Sanitätsraths-Schwiegersohn, herabsetzend über arzeneiliche Sachen zu sprechen. »Liebe Butschen,« entgegnete ich daher klarstellend, »wenn jemand an einer Behandlung stirbt, so liegt es stets an dem Patienten. Oder haben Sie vielleicht bei Virchow gehabt, daß Sie es besser wissen?«
»Nee,« erwiderte sie verlegen. »Hab' ich mich vielleicht mit 'ner Ansicht vergallopirt? Wissen Sie, nehmen Sie's man nicht übel, ich krieg die Zeitungen immer erst zwei Tage später nach der Küche zu lesen, da bleib ich denn wohl ein Bisken in der Bildung zurück. Und eben deshalb komm ich zu Ihnen, Frau Buchholz, weil Butsch auch keine Zeit für die Anzeigen hat, — wir haben nämlich ein Ausstellungszimmer zu vermiethen —, vielleicht, daß Sie mal was erfahren und uns rekommandiren?..«
»Butschen,« rief ich, »alleweil sind Sie auf Ihrem Terrain; Medicin ist dagegen für Sie eine verrannte Sackgasse. Zimmer? Zu Mitte Juli ganz sicher. Wie sind die Preise?« — »Zwei Mark mit Frühstück« — »Ist das nicht etwas zu lindenhaft für die Schulzendorferstraße?« — »Wir haben Alles machen lassen, ich sage Ihnen, einzig. Die Stühle sind im empirischen Stil, der jetzt mächtig aufkommt, wie der Möbelfritze sagt.«
»Sind die Möbel bezahlt?«
Die Butschen jetzt; über das ganze Gesicht griente sie. »Ja,« sagte sie. »Wir haben's sauer verdient,... groschenweis.« — Sie seufzte tief auf. War es ein Freudenseufzer oder mehr ein Aufstoßen alter Zeiten, wo sie doch, wenn sie irgendwo hintraten, ausschließlich in Dalles und Rechnungen nicht anders kannten als schmerzhafte Papiere in unquittirtem Zustande. Um mich zu überführen, fragte ich: »Und Ihnen bekommt die Arbeit? Appetit gut? Schlaf gut? Augen gut? Gedächtniß gut?« — »Nee,« sagte sie und seufzte noch einmal, »das Gedächtniß ist schlecht, es erinnert mich immer an so Vieles, was ich am besten vergessen möchte. Aber ich will nicht klagen. Sie wissen ja selber, wie ich mehr Schatten vom Leben gehabt habe, als Sonne.«
Ihr darzulegen, daß bei dieser Art Beleuchtung sehr viel davon abhängt, welche Seite man der Menschheit zuwendet, wäre nicht angebracht gewesen, denn einmal hatte sie sich mit dem Zimmer von einer wohlthuenden Seite gezeigt und hat zweitens im Laufe der Jahre viel Bloßstellendes abgelegt. Die Krausen hingegen bleibt konstant unverändert, obgleich in der Zoologie sich selbst Schlangen häuten.
Der bekannte Stein, der schon so vielen vom Herzen gefallen ist, obgleich ihn noch niemand gesehen hat, war herunter. Was sich auch ereignete, wenn auch Zwei zusammenstießen: bei Butsch war für den Einen Unterkommen. Ich klingelte der Dorette, um ihr dies mitzutheilen.
Ein wahres Glück, sagte ich zur Butschen, daß ich ein so zuverlässiges Mädchen habe. Freilich, gleich nach der Ausstellung macht sie Hochzeit. Ihr Bräutigam setzt sich als selbstständiger Tapezier, und die Trinkgelder, die es inzwischen giebt, bringt sie mit in die Ehe.
»Baar Geld kann man nie genug haben, zumal wenn es Einem fehlt,« bemerkte die Butschen.
Ich wollte ihr sagen, daß sie soeben ziemlichen Kaff geredet hätte, wenigstens in der feineren Gedankenfügung, als die Dorette endlich antrat, aber nicht wie gewöhnt rasch und adrett, sondern langsam in Trauergefolgeschritt mit rothgeweinten Augen und zusammengewrungenem Thränentuch in der Hand.
»Dorette?« rief ich. »Was giebt's denn? Was ist los?«
Keine Antwort.
»Ist Ihnen was Nahes gestorben?«
»Uh!«
»Wer denn, Dorette?«
Sie schüttelte verneinend mit dem Kopfe.
»Was ist Ihnen denn?«
»So reden Sie doch.«
»Det — kann ick — Ihn'n — man blos — janz alleene sagen,« schluchzte Dorette und drückte das Taschentuch ins Gesicht.
Mit einem Takt, den sie früher nie hatte, stand die Butschen auf und verabschiedete sich. »Sie können das Zimmer jederzeit haben, wenn wir's nur vorher wissen. Uebrigens hat Butsch seine Telephonnummer.«
Ich zurück zur Dorette. Was hat sie? Was soll ich ohne sie anfangen mit dem Haus voller Gäste und ich selber halb auf der Ausstellung und halb am Schreibtisch, nie voll und ganz für den Hausstand? Eine neue Philippine anbändigen, Berichte schreiben und dabei tadellose Wirthin spielen — das übersteigt meine Fähigkeit. Mehr als seine gewisse Anzahl Pferdekräfte hat der Mensch nicht.
Ich also mir schleunig die Philippine vorgebunden und reinen Wein verlangt. Sie aber immer gedruckst und mit Wortnoth behaftet, daß ich schon dicht daran war, fuchtig zu werden, als mein Karl kam, der im Gegensatz zu ihrer Zurückhaltung sich in einer Lebhaftigkeit erging, die mich erschreckte.
So hatte ich ihn noch nie schimpfen gehört.
Als ich nach und nach erfuhr, worum es sich handelte, glaub' ich, hab' ich auch einige unsanfte Aeußerungen dazu geliefert. War es denn erhört? Jetzt, wo die Ausstellung eröffnet werden sollte, jeder Tag ausgenutzt werden mußte, jetzt warfen die Tapeziere die Arbeit nieder, gerade jetzt, wo sie die letzte Hand anzulegen hatten, damit alles die Vollendungsfalten und Fransen kriegte und den rothen Callicot um die Tische und was sonst zu bekleben, zu benageln und zu betroddeln war.
Die Philippine weinte bei dieser Auseinandersetzung ganz schrecklich.
»Ja, plärren Sie nur,« schnauzte mein Karl sie an. »Ihr Bräutigam, der mir sein Wort gab, meinen Stand rechtzeitig fertig zu stellen, ist auch mit ausgerückt. Ist das der Dank, daß ich ihm versprach, ihm bei seiner Etablirung behilflich zu sein? Jetzt läßt er mich sitzen.«
»Mir ooch,« jammerte Dorette. »Er sagte, hier könnte er sich von wejen Undank nich wieder blicken lassen.«
»Kann er auch nicht,« gab ich drauf.
»Und mit Heirathen is et nischt. Er setzt Alles bei den Strike zu, ooch wat ick ihm erspart habe.«
»Warum begeht er denn solche Gemeinheit und verloddert sein Glück, Ihr Glück?«
»Er wollte ja ooch nich, ihn hat das Herz jeblut't, aber er mußte ja. Wat kann er alleene jejen die Uebermacht? Er jinge für den Herrn und die Frau durch den dicksten Kleister, aber er derf nich.«
»Wer macht mir nun den Adler für meinen Aufbau?«
»Was?« rief ich, »der ist noch nicht da? Die Hauptkrone der ganzen Ausstellung?«
»Vorläufig nur im Grundriß.«
»Karl, her damit. Ich hole den Eiserkasten. Den bringen wir selbst auch wohl noch zu Stande, der akademische Plan ist ja vorhanden und die Socken dito.«
»Halt, Wilhelmine, nicht übereilt. Es sind Tapeziere von auswärts verschrieben, die werden kommen. Was am Eröffnungstage nicht fertig ist, wird's vierzehn Tage später sein.«
»Das werde ich besonders in meinen Berichten hervorheben, mein Karl. Du sollst nicht wegen des Streikes zu kurz kommen. O nein. Ich werde öfter lobend auf Dich hinweisen, und wenn er erst an seinem Platze prangt, auch auf den Sockenadler. — Haben Sie sich man nicht so, Dorette, Sie sehen, es geht auch ohne.«
»Ach, Madame, et is schon nich mehr scheen. Ick weeß nich, wie't werden soll.«
»Dorette,« nahm ich strenge das Wort, »wir haben diesen Sommer doppelte, ja dreifache Arbeit, dabei müssen Sie durchaus auf dem Posten sein.«
»Det kann ick nich versprechen.«
»Dann gehen Sie besser.«
»Det wollt' ick ooch nich.«
»Was wollen Sie denn, Dorette?«
»Blos en Bisken Nachsicht mit meine traurije Lage.«
»Das werde ich mir erst noch mal überlegen. Gehen Sie an Ihre Arbeit.«
Sie ging.
»Karl,« sagte ich: »die Ausstellung, ein Mädchen, auf das kein Verlaß, die Berichte, oder gar ein unerfahrenes neues, das Haus voller Fremden, weißt Du, das sind Sommer-Aussichten, die ich mir doch etwas anders gedacht hatte.« »So denkt man immer,« sagte mein Karl.
Die Ausstellung war kaum eröffnet, als der Herr Redakteur energisch die versprochenen Berichte verlangte; es wäre doch reichlich Stoff vorhanden.
Als ob ich das bestritten hätte? So weit mir bewußt, niemals. Also weshalb Vorwürfe? Womit soll ich anfangen und an welchem Ende, da gerade, was sich zum Beginnen eignet, noch nicht fertig ist? Liegt die Schuld etwa an mir?
Soll ich das Unterrichtswesen zuerst vornehmen? Was sagen dann die Damen, die das Seidenkleiderige vorziehen oder die Juwelenabtheilung? — Oder das chemische Gebäude? Ich habe mir ein Buch mit bunten Ausstellungs-Ansichten gekauft, darin steht: »Das Dach dieses Gebäudes hat eine eigenthümlich gewellte Form: ein Rundbogen verläuft in einen scharfen Kamm, als Andeutung gleichsam, daß der Bau der Wissenschaften, deren Pflege sich hier zeigt, immer höher und höher steigen werde.« — Wenn man dies nicht wüßte, würde man dem Dache garnicht ansehen, was für ein schlaues Dach es ist. Manche sagen, sie sähen es auch schon, ich aber sehe mir es noch nicht darin, obgleich ich wiederholt das Opernglas zu Hilfe nahm.
Ich holte Herrn Kriehberg darüber aus. Er meinte, »die Wissenschaft als Rundbogen gedacht, wäre sehr geistreich.« — »Dann rummelt ja die ganze Stadtbahn über Wissenschaft weg,« entgegnete ich, »blos, daß in den Stadtbahnbögen, soweit mir bekannt, mehr die Gurgel als der Geist genährt wird.« — »Sie laufen auch nicht in scharfe Kämme aus,« bemerkte er, »darin liegt es. Der Kamm ist das Individuelle. Hätte man mich gefragt, ich hätte ihn dreifach so scharf konstruirt, wenn nicht noch schärfer, um die eminente Höhe der Wissenschaft durch architektonische Lineamente auf das Allerschärfste zum Ausdruck zu bringen.«
»Schade, daß Sie es nicht waren, Herr Kriehberg,« sagte ich, »Sie hätten es gewiß für Jedermann aus dem Volke faßbar hingemauert.« — »Das versteht sich,« versicherte er, und man sah ihm an, er hätte es.
Wenn nun ein Gebäude schon in seinem Aeußeren so viel Unverständliches birgt, wie wird es dann erst drinnen sein, wo sie die gesammte Wissenschaft losgelassen haben? Ich fürchte, mit Frauen-Emancipation allein bewältigt man die innere Bedeutung nicht, wenigstens nicht in einigen Stippvisiten, und darum halte ich die Chemie mit den daran hängenden Gruppen als Erstes nicht recht angrifflich. Vielleicht wimmele ich in meine späteren Berichte hin und wieder einen Atzen Chemisches, aber zum Ausspiel ist es mir zu riskant. Auch hoffe ich Beistand von Ottilie, denn die ist auf Sauerstoff, Spectralismus, Galvanistik und alle anderen neueren Bildungsmittel examinirt worden. Nur Muth.
Wenn Ottilie blos erst käme. Beschreibe ich Sachen ohne sie, will sie natürlich hinterher sich auch daran belehren, und ich versäume die Zeit, neue Eindrücke aufzusaugen während der Wiederholung des bereits durch die Tinte Gezogenen. Aber sie kann noch nicht, ihre Schneiderin hat sie auf das Sündhafteste vernachlässigt, indem sie zwischendurch ein Brautkleid zurecht prünte. Hatte das denn solche Eile? Ich kenne die Leute nicht und will auch keine Steine schleudern, aber den Vorwurf der Rücksichtslosigkeit kann ich ihnen nicht ersparen; ihretwegen muß ich mich vorläufig mit Ottiliens Photographie behelfen.
Sie sieht in Cabinetgröße recht jugendlich aus, aber wie ist sie frühmorgens ohne Retouche? Wenn es keine schwarze Tusche gäbe, wie Viele da wohl ohne Augenbrauen in den Albümern stächen?
Mein Karl fand sie passabel. — »Mehr nicht, Karl?« — »Eher weniger« — »Karl, sie gehört zu meiner Verwandschaft.« — »Sie ist Dir aber nicht im Geringsten ähnlich.« — »Das wollt' ich mir auch ausgebeten haben. Nein, Karl, solche spitze Züge habe ich nie besessen, selbst nicht in den Heranwachsjahren; und die Augen reißt sie etwas gewaltsam groß.« — »Dafür zieht sie den Mund um so kleiner.« — »Ich vermuthe, sie kommt bedeutend unähnlicher an, als sie aussieht.« — »Bezweifle ich keinen Augenblick.« — »Karl, Gelehrte sind nie bildschön, also Gelehrtinnen erst recht nicht; das heißt ihre Figur ist nicht übel.« — »Zeig' noch mal her das Bild.« — »Nein, Du hast genug gesehen, Ihr Männer gebt viel zu viel auf den Wuchs und bedenkt nie, wie viel Fischbein dabei ist. In dieser Beziehung kann ich Professor Röntgen nicht hoch genug preisen; der dreht Euch endlich ein durchschauendes Licht auf, und er nennt es auch sehr richtig X-Strahlen, weil alle X-Beine dadurch ersichtlich werden.« — »Hat sie welche?« — »Wer?« — »Die Ottilie.« — »Karl, selbst als Scherz betrübt diese Frage mich tief. Ich habe über Ottilien zu wachen, wie eine Mutter über dem Hühnchen aus dem Ei...« — »Schon mehr Henne,« lachte mein Karl dazwischen. — »Wer?« fuhr ich auf, »wer ist die Henne?« — »Nun, die Ottilie,« lachte er weiter, »sie hat wirklich etwas hühnerhaftes in ihrer Physiognomie.« — »Photographieen treffen manchmal daneben,« wies ich ihn ab. Ueber meine Verwandtschaft spectakeln erlaube ich nicht.
Wäre Ottilie, was man unter schön versteht, hätte ich sie bei den lieben Ihrigen gelassen oder nur auf flüchtigen Besuch gebeten. Meine beiden Töchter würden es krumm nehmen, obgleich sie längst ihre Männer haben, wenn plötzlich eine entfernte Cousine Aufmerksamkeit in den Kreisen auf sich lenkt, die sie bis zum Jetztpunkt beherrschten, und wenn die Männer auch ehelich gut gezogen sind, wie leicht wird ein Wort, eine nuttige Höflichkeit oder eine unbedachte Aufmerksamkeit albern ausgedeutet und die Feuerwehr kann geholt werden. Ich sage deshalb: Unschönheit hat so ihre Vortheile.
Und wenn eine gelehrt dazu gilt und studirt habend, vor der rücken die Jünglinge aus, zumal solche, die das ihrige schon vergaßen, eh' sie es lernten. Dagegen ernste Männer werfen sich heran und es sprießen Gespräche auf, die den Geist erheben, ohne daß man Bange vor leichtsinnigen Anknüpfungen zu haben braucht und kann Worte von höherem Fluge fallen lassen, oder unbesorgt Musike hören, oder einen kleinen Nick machen, je nach den nächtlichen Wärmegraden und den Anstrengungen des Tages.
Die Abende draußen versprechen überirdische Befriedigung. Nun werde ich sie mit Ottilien genießen. Wäre sie blendend, käme es umgekehrt; sie bildete dann die elektrische Lampe, von Dämmerungs-Verehrern umschwärmt, und ich den Laternenpfahl dazu. Dafür dankt Wilhelmine jedoch ergebenst.
Wenn ich nun auch noch nicht genau weiß, welchen Zipfel der Ausstellung ich für meine Berichte anschneide, so weiß ich doch bereits, wohin ich die mir überantworteten Fremden geleite und zunächst Erika, um ihr das Schönste zu zeigen, das ich bis jetzt entdeckt habe und zwar, wie bei allen Forschungsreisen Mode ist, durch den Zufall.
Wie es im Leben überhaupt ohne Zufall aussähe, durch den noch jedesmal das Weltbewegenste erfunden wurde, wie z. B. der Theekessel, auf den sich die ganze Dampfmaschinenkraft stützt, oder der Telegraph durch Froschkeulen, obgleich mir dies nicht recht klar ist, weil man doch im Allgemeinen mit Padde das Niedrige der Schöpfung bezeichnet. Auch steht nie dabei, wie es gemacht wurde und wie der eigentliche Kniff ist. Dies muß Ottilie glatt legen; sie bringt ihre Bücher mit.
Mein Zufall äußerte sich einfach, indem ich dem Baumeister Herrn Bauer begegne und ihn frage »Herrjeh! Sie hier?«, obgleich seine Anwesenheit auf dem Treptower Gelände eine Sache von größter Natürlichkeit war. Aber Gespräche und Kegelpartieen werden meistens mit Pudeln eröffnet. Um den Schnitzer zu übertünchen, frage ich weiter: »Mit welchem Stil werden Sie uns überraschen? Es ist ja Vieles da, vor dem man Kopf stehen möchte... wie Onkel Fritz sagt.«