Also weil der Herr Geheimrath mich gestern geistreich gefunden, soll und muß ich ihn heirathen? fragte Clementine und sah dabei lachend ihre jüngere Schwester, die Professor Reich, an, die ganz erhitzt auf dem Sopha ihres Wohnzimmers saß.
Darum allein nicht, entgegnete diese, aber Du darfst diese Verbindung nicht ausschlagen, wie alle andern, die sich Dir boten. Der Geheimrath von Meining ist ein sehr geachteter, fein gebildeter und reicher Mann; er ist freilich 50 Jahre, Du bist aber schon 27, was kann denn passender sein? Du hast mir selbst gesagt, daß Du an Dein früheres Verhältniß zu Robert Thalberg mit vollkommener Ruhe dächtest; warum also wieder ein Glück, ein wahrhaftes Glück von Dir weisen, das sich Dir vielleicht nie wieder bietet? Mein Mann wünscht diese Verbindung, die Tante, Deine letzte Instanz, dringt darauf, Meining erwartet das Glück seines Lebens davon und Du selbst hältst Meining nicht nur für einen liebenswürdigen, sondern auch für einen ehrenwerthen Mann; was willst Du denn eigentlich, Clementine?
Ich will nicht lügen, Marie! Ich will, ich kann es nicht, und je achtungswerther mir der Geheimrath erscheint, um so weniger möchte ich ihn täuschen; ich kann nicht heirathen, quäle mich nicht.
Beide Damen gingen fast erzürnt von einander; die kleine, rosige Professorin in die Arbeitsstube ihres Mannes, um ihm das vermuthliche Mislingen ihres Planes mitzutheilen; die ernste, schlanke Clementine auf ihr Zimmer, um den Sturm, den diese Unterhaltung in ihr erregt hatte, ruhig austoben zu lassen.
Clementine und Marie Frei waren die Töchter eines hochgestellten preußischen Beamten. Sie hatten früh ihre Mutter verloren und eine Tante, Frau von Alven, eine kluge, feinfühlende Frau, die Witwe und deren einziges Kind früh gestorben war, hatte die Erziehung der beiden Mädchen im Frei'schen Hause übernommen. Nichts konnte aber verschiedener sein, als der Charakter dieser beiden Schwestern: Clementine, heftig, geistreich und zu tiefem Fühlen geneigt, wurde schnell von plötzlichen Eindrücken gefesselt, die sich dauernd ihrer Seele einprägten; was sie einmal ergriffen hatte, was ihr lieb geworden war, das konnte keine Macht ihr entreißen, das hielt sie fest fürs Leben. Aus diesem Gefühl entsprang die treue Anhänglichkeit für Frau von Alven, die innige Liebe für ihren Vater und die fast mütterliche Zärtlichkeit für die um sechs Jahre jüngere Marie; aber zugleich auch eine leidenschaftliche, unwandelbare Liebe für Robert Thalberg, einen jungen Mann, mit dem sie in ihrer ersten Jugend in allen befreundeten Familien zusammengetroffen war.
Thalberg hatte in tausend Dingen die auffallendste Charakterähnlichkeit mit Clementinen. Auch auf ihn wirkten in seiner Jugend die Eindrücke des Moments, und obgleich mit dem schärfsten Verstande und ungewöhnlichem Geiste begabt, hatte sein leidenschaftliches Herz ihn häufig fortgerissen und er sich oft dadurch in eigenthümlich verwickelte Verhältnisse gebracht, die bald störend, bald fördernd auf ihn gewirkt. Ein ungebändigter Freiheitssinn, ein an Tollkühnheit grenzender Muth, eigensinniges Beharren auf seinem Willen und doch eine fast kindliche Weichheit gegen die Personen, die er liebte, machten ihn für die Frauen unwiderstehlich; besonders da ein imposantes, männlich schönes Aeußere gleich anfangs für ihn einnahm. Thalberg hatte der lebhaften, interessanten Clementine, wie alle jungen Leute ihres Kreises, seine Huldigungen dargebracht, weil sie hübsch und in der Mode war; bei näherer Bekanntschaft entdeckten Beide aber eine solche Aehnlichkeit in ihren Neigungen und Gesinnungen, sie begegneten sich so oft in ihrem Enthusiasmus für das Schöne, daß das gewöhnliche Wohlgefallen sich in eine wirkliche, ernste Neigung verwandelte und sie sich gegenseitig, ohne durch bestimmtes Versprechen an einander gebunden zu sein, als zu einander gehörend betrachteten. Clementinens Verwandte sahen ein Verhältniß, das für die Zukunft so viel Glück zu versprechen schien, ruhig wachsen, und als Thalberg Berlin verließ, nahm man allgemein an, daß das junge Paar längst einig und verlobt sei. Clementine selbst lebte jetzt nur in der Erinnerung an Robert; Alles, was ihr begegnete, was sie that, wurde im Geiste Robert's Urtheil unterworfen, der, um mehrere Jahre älter als sie, einen wesentlichen Einfluß auch auf ihre geistige Richtung ausgeübt hatte. Sie liebte Alles, was seinem Willen angemessen schien, verwarf Alles, was gegen seine Ansichten sein konnte, und lebte getrennt von ihm, mitten in der Gesellschaft, doch ganz allein mit dem fernen Geliebten; wie jene Nonnen, die, sich beständig unter den Augen ihres himmlischen Bräutigams wähnend, nur seinem Willen leben und kein anderes Gesetz kennen als das seine. Die Liebe zu dem Abwesenden war ein religiöser Cultus in ihrer Brust, und selbst der Gedanke, es könne ihr jemals möglich sein, den dringenden Bewerbungen anderer Männer die geringste Aufmerksamkeit zu gönnen, fiel ihr nie ein. Sie liebte die Ihrigen, half der Tante treulich die schöne Marie erziehen und bildete rastlos an sich fort, damit Robert, wenn er einst wiederkäme, sie nicht unter seinen Erwartungen fände.
So waren ein paar Jahre vergangen, die kleine Marie war zu einem reizenden Mädchen herangewachsen und das harmloseste, unbefangenste Kind geblieben. Ihre Familie, ihre Toilette, die Bälle, ihre kleinen Abenteuer von gestern – das war die Welt, die sie kannte; man liebte sie allgemein und was konnte sie noch wünschen? Sie war das verzogene Kind des Hauses. Bald nach ihrem 16. Geburtstage hatte Professor Reich um ihre Hand geworben, hatte die Zustimmung des Vaters erhalten und die kleine Braut war mit der Myrthenkrone und dem weißen Schleier zum Altare mit demselben Gefühle gegangen, mit dem sie ein Jahr vorher, am Tage ihrer Confirmation, die Kirche betreten hatte. Sie hatte das Bewußtsein eines wichtigen Schrittes, ohne sich die Folgen desselben klar zu machen; und nachdem der schwere Abschied von Vater, Schwester und Tante vorüber war, folgte sie ihrem Manne, froh und sorglos wie ein Kind, nach Heidelberg, wo er angestellt war.
Clementine blieb nun allein zurück. Sie war stiller und ernster geworden, von Robert hatte sie nur selten gehört, die Zeit seiner Rückkehr wurde von den Seinen immer weiter hinausgeschoben und sie konnte es sich nicht verhehlen, daß Robert's Wunsch, sie wiederzusehen, lange nicht mehr so lebhaft sein müsse, als in jener Stunde, wo sie unter den heißesten Thränen mit dem ersten glühenden Kusse von einander Abschied genommen hatten. In dieser Zeit erkrankte der Geheimrath Frei und nach wenig Wochen standen die Tante und Clementine an seinem Sarge; ihr ganzes Leben war nur ein Schrei des Schmerzes, der Robert herbeirief, um alles Leid an seinem Herzen auszuweinen, um alle Liebe, die der theuere Vater besessen hatte, auf den geliebten Freund zu vererben – aber Robert, obgleich ihm der Todesfall angezeigt worden, kam nicht; und seine Mutter äußerte gegen Frau von Alven, daß ihr Sohn wol sobald nicht zurückkehren würde, da Berufsverhältnisse und, wie sie glaube, auch eine kleine Neigung ihn an seinen jetzigen Aufenthalt fesselten. Frau von Alven erschrak, hielt es aber für ihre Pflicht, endlich einmal mit Clementinen offen über deren Zukunft zu sprechen. Sie war durch den Tod ihres Vaters unumschränkte Herrin ihrer Handlungen geworden; die Tante sehnte sich in ihre Vaterstadt zurück, und so trat sie eines Tages ganz plötzlich vor Clementine mit der Frage hin, welche Plane sie nun für die nächste Zeit gemacht habe? Sie theilte ihrer Nichte ihren Wunsch mit, Berlin zu verlassen, verschwieg ihr nicht, was Madame Thalberg ihr gesagt, und war nicht wenig überrascht, Clementine bei der Nachricht, die für sie ein Todesstoß sein mußte, anscheinend ganz ruhig zu finden.
»Ich weiß es längst, gute Tante! sagte sie, daß Robert mich nicht liebt, sehr lange schon; und daß er jetzt für mich kein Wort des Trostes, der Theilnahme hat, keinen Gruß durch die Seinen, das nimmt mir mit dem letzten Zweifel die letzte Hoffnung; aber es ändert in meinen Gefühlen für ihn Nichts. Wir waren Beide durch keinen Eid an einander gebunden, Robert liebt mich nicht mehr, hat mich vielleicht nie geliebt, und ich habe sein Wohlwollen für Liebe gehalten – so glaubt er sich frei und ist es auch; denn nicht der Eid, sondern die Liebe bindet. Ich aber liebe ihn mehr als je, er ist Alles, Alles, was ich liebe, und darum bin ich sein, auch wenn wir uns nie wieder sehen sollten. Entgegne mir darauf Nichts, fuhr sie fort, als ihre Tante eine Einwendung machen wollte, ich weiß, wie gut Du es mit mir meinst; darum laß mich mir selbst. Dich aber länger von den Freunden und der Heimat zu trennen, wohin es Dich zieht, dazu habe ich kein Recht; Marie verlangt nach mir, ich werde nach Heidelberg gehen, werde ihr nützlich sein und in dem Kreise ihres Hauses meine Zukunft finden. Versprich mir aber, daß Du mir nie fehlen wirst, wenn ich Dein bedarf.«
Frau von Alven weinte still; Clementine kniete vor ihr nieder, küßte ihre Hände und bat: »und nun noch Eins! Ich habe seit Jahren mehr gelitten, als ich zu leiden für möglich hielt; ich fürchte jede Berührung meiner tiefen Wunde mehr als den Tod; versprich mir, daß Robert's Name nicht mehr zwischen uns genannt wird und daß wir uns trennen ohne Abschied; wir bleiben ja doch ewig beisammen.«
Die Tante gelobte Alles und wenig Wochen darauf rollte der Postwagen, welcher Frau von Alven in ihre Heimat führte, an Clementinens Wohnung vorüber, in der sie mit ihrem Schwager am Fenster stand, der gekommen war, sie nach Heidelberg abzuholen.
Nach den schmerzlichen Aufregungen der letzten Zeit, dem wehmüthigen Gefühl, von den Räumen zu scheiden, die so lange stille Zeugen ihres Lebens waren, that die Ruhe im Hause der Professorin Clementinen anfänglich sehr wohl. Sie hatte die junge Frau fast unverändert gefunden; Marie liebte ihren Reich von Herzen, betete ihre beiden Kinder an, sorgte treulich für ihr Haus und war eine Frau, wie die Mehrzahl der Männer sie wünscht. Der Professor hielt regelmäßig seine Vorlesungen, arbeitete den Rest der Zeit emsig in seiner Studirstube und ließ sich während der Mahlzeiten mit der größten Theilnahme Alles erzählen, was in der Zwischenzeit von der Frau, den Kindern und den Dienstboten irgend zu erzählen war. Beide Eheleute waren durchaus zufrieden mit einander und wünschten nichts Besseres, als daß es immer so bliebe: ohne bestimmten Blick in die Zukunft, ohne lebhaftes Gedenken einer Vergangenheit, ging ein Tag nach dem andern hin und alle Abwechselung in Mariens Leben machte der Besuch gleichgestimmter Frauen und ein Spaziergang in der nächsten Umgebung. – Es dauerte auch nicht lange, bis Clementine sich äußerlich in diese Lebensart gefunden hatte, und bald war sie Allen unentbehrlich geworden; ihr ewig beweglicher Geist hatte tausend neue Spiele für die Kinder, manche Erleichterung für Marie, manche Bequemlichkeit für den Professor hervorgerufen; es machte ihr Vergnügen, die Ihrigen zu erfreuen – aber sie selbst fühlte sich einsamer als vorher. Getrennt von ihren gewohnten Umgebungen, von der Tante, der ihr ganzes Herz offen lag, in der gleichförmigen Lebensart im Reich'schen Hause, fühlte sie eine solche geistige Leere, daß nur die wunderbar schöne Natur Heidelbergs sie aus ihrer Apathie zu reißen vermochte. Um sich zu zerstreuen, suchte sie eifrig längst vernachlässigte Studien wieder hervor, sie schmückte ihr kleines Stübchen, das nach dem Neckar sah, auf das freundlichste; aber vergebens. Stundenlang saß sie mit dem Buche in der Hand, sah den schönen Strom vorüberfließen, blickte ernsthaft die kleinen Häuser von Weinheim an und sah doch Nichts, als Robert's Bild, wie er zuletzt vor ihr gestanden; dachte Nichts, als die tiefe Demüthigung, verschmäht zu sein.
In einem kleinen Orte wie Heidelberg konnte eine Erscheinung, wie Clementine, nicht unbemerkt bleiben; ihre ganze Persönlichkeit flößte lebhaftes Interesse ein, während ihr nach Außen abgeschlossenes Wesen für Kälte und Stolz galt. Man hatte sie bei ihrer Ankunft in alle Zirkel eingeführt, und überall hatte sie einen neuen Reiz in die Gesellschaft gebracht; besonders waren es die jüngeren Mädchen und die älteren Männer, die sich ihr anschlossen. Die Mädchen, weil sie von ihr keine Beeinträchtigung zu fürchten hatten, da sie jede Annäherung und eben so fein als bestimmt zurückwies; die älteren Männer, weil in ihrer Unterhaltung so viel Belebendes und Anregendes lag, daß sie sich die glücklichen Bemerkungen, die Clementine sie machen ließ, unbedingt als ihr eigenstes Eigenthum zuschrieben.
Unter diesen Männern war unstreitig der Geheimrath von Meining der Bedeutendste. Er galt für einen der ersten Aerzte Deutschlands, war ein stattlicher Mann von 50 Jahren und so wohl conservirt, daß er den Ansprüchen, auch durch sein Aeußeres zu gefallen, nicht ganz entsagt hatte. Man sah, daß er in der Jugend ein schöner Mann gewesen sein mußte, und mit einer bei älteren Männern nicht seltenen Eitelkeit ließ er bisweilen errathen, daß ihm das Glück bei den Frauen hold gewesen sei. Auch stand er noch jetzt in großer Gunst bei den Damen und wurde gern gesehen in jeder Gesellschaft. Manche Mutter hätte ihn, der ihr selbst früher den Hof gemacht, recht gern zum Schwiegersohne angenommen, und allerdings war er, vermöge seiner Stellung, Das, was man gewöhnlich eine gute Partie zu nennen pflegt. In seiner Jugend hatte er die Frauen zu sehr geliebt, um sich an Eine dauernd binden zu mögen; dann hatte diese Leidenschaft ernsten Studien Platz gemacht, er hatte Reichthum, Ehre und einen großen Ruf erworben, und der Gedanke, sich zu verheirathen, war allmälig ganz in den Hintergrund getreten, je mehr Reiz die materiellen Genüsse des Daseins für ihn gewannen und je mehr sich der eigenthümliche Egoismus aller Hagestolzen in ihm ausgebildet hatte. Doch war sein Gefühl für das Schöne und Gute niemals erloschen; er war in einzelnen Momenten einer Lebhaftigkeit und Hingebung fähig, die einem jüngeren Manne anzugehören schienen, und in dieser Stimmung konnte er die bedeutendsten Opfer bringen; dann fühlte er die Möglichkeit und den Wunsch, Andere an seinem Glücke Theil nehmen zu lassen, und hätte vielleicht daran gedacht, eine Frau zu nehmen, wenn es ihm nicht unbequem gewesen wäre, danach zu suchen. Doch ließ er sich die Neckereien über diesen Punkt recht gern gefallen und lächelte wohlgefällig, wenn man behauptete, an einem schönen Morgen werde er einst ganz plötzlich mit einer Braut angefahren kommen, die ein Phönix an Schönheit und Liebenswürdigkeit sein und ihm wie ein Ideal erscheinen werde; sowie sein Haus ihr das schönste, sein Rock der beste und überhaupt Alles, was sein eigen, ihr wie das Vollkommenste vorkomme.
Als Freund des Professor Reich und als Arzt der Familie hatte er Clementine in ihrer Häuslichkeit kennen und schätzen gelernt. Er hatte durch Marien, noch vor Clementinens Ankunft, erfahren, daß diese dem Grame über eine unglückliche Liebe fast erlegen sei, und nun sah er sie selbst; noch schön, obgleich lange über die erste Jugend hinaus, und liebenswürdiger und geistreicher, als irgend eine Frau, die er kannte. Er sah das Mädchen, das der Mittelpunkt der Gesellschaft geworden, eben so liebenswürdig im Hause; sie hatte Rath für den Bedrängten und die zärtlichste Sorgfalt für den Leidenden; unermüdlich besorgt für Andere, schien sie zufrieden, ohne gerade froh zu sein, und ihre Ruhe wurde durch jene kleinen Veranlassungen, welche die meisten Frauen außer Fassung bringen, niemals erschüttert. Ihre äußeren Vorzüge zogen ihn an, und wenn er manchmal auf ihrem ausdrucksvollen Gesicht die Spuren eines tiefen Leidens, oder gar ihre Augen noch trübe von vergossenen Thränen sah, flößte sie ihm das lebhafteste Interesse ein. Er hatte einmal mit Reich über Clementine gesprochen, und dieser hatte geäußert, seine Schwägerin sei allerdings ein vortreffliches Mädchen, nur leider zu überspannt, und er wünsche Nichts sehnlicher, als daß sie bald einen vernünftigen Mann bekäme, den sie liebe; denn sonst würde sie sich aufreiben durch ihren selbgenährten Gram.
Ob Reich diese Bemerkung absichtlich gemacht, ob eine Absicht in des Geheimraths Frage gelegen, lassen wir dahingestellt sein; nur das steht fest, daß von jenem Tage an in Meining der Gedanke an eine Verbindung mit Clementinen erwachte. Dieses Mädchen in seinem Hause walten zu sehen, von ihrem Geiste seine Mußestunden verschönen zu lassen, ihrer milden Pflege in kranken Tagen zu genießen und sie, der er von Herzen zugethan war, ihren Kummer vergessen zu machen, war bald sein Lieblingswunsch geworden; er hielt sich für den Mann, der sie über den verlorenen Geliebten zu trösten vermöchte, und je mehr und je länger er seine Bewerbungen um sie fortsetzte, je mehr verliebt wurde er in sie, je gewisser, daß er ihr nicht gleichgültig bleiben könne: so trat er denn, nachdem sie einen Abend vorher sich freundlich in Gesellschaft begegnet waren, am nächsten Morgen mit seiner Werbung um Clementinens Hand vor den Professor.
Reich war sehr erfreut, Marie entzückt über das Glück, das sich ihrer Schwester bot; Clementine allein sprach ihr gewöhnliches: »ich kann und werde nicht heirathen.« Man schrieb der Tante, diese bestürmte die Arme mit den dringendsten Vorstellungen, Meining wollte ihr Zeit lassen, sich zu entschließen, und unterdessen nahmen die Ermahnungen und das Zureden des Professors und Mariens kein Ende; die Unterhaltungen, mochten sie mit Abdel Kadher oder mit den Kindern beginnen, endeten zu Clementinens Qual doch immer wieder mit dem Geheimrath von Meining.
Bei einer solchen Scene fanden wir die Damen am Anfang unserer Erzählung, und es war nöthig so weit zurückzugehen, um den Leser mit den handelnden Personen bekannt zu machen, wobei wir uns zugleich das Recht vorbehalten, den Faden der Ereignisse, so oft es uns geeignet scheint, in den eigenhändigen Papieren und Briefen derselben zu verfolgen.
Sinnend stand Clementine am Fenster, als sie in ihr Stübchen getreten war; Gedanken zogen, wie Bilder eines Schattenspieles, schnell an ihrer Seele vorüber; sie wollte dem Zureden ein Ende machen und mit der Tante dabei beginnen: so setzte sie sich nieder und schrieb:
Dein Brief hat mir wehe gethan, Tante! Traust Du mir bei meinen Handlungen keine anderen Motive, als Ueberspannung oder Eigensinn zu? Hältst Du mich denn für ein Kind, das die Verhältnisse des Lebens verkennt? So gut als Ihr Alle weiß ich, daß nach den Begriffen der Welt die Stellung einer verheiratheten Frau ehrenvoller ist, als die eines Mädchens. Glaubt mir aber, daß es eine tiefe Nothwendigkeit ist, die mich abhält, den Schritt zu thun, zu dem Ihr Alle mich überreden möchtet.
Ich hasse die Ehe nicht; im Gegentheil, ich halte sie so hoch, daß ich sie und zugleich mich zu erniedrigen fürchte, wenn ich dies heilige Band knüpfte, ohne daß mein Gefühl Theil daran hätte. Was kann es Beglückenderes geben, als mit einem geliebten Manne sein Leben zu verbringen? Für ihn zu sorgen, seine Freuden und Leiden zu theilen, zu wissen: Alles, was mein Herz bewegt, Alles, was mich berührt, theilt und fühlt mein bester Freund mit mir? Beide leben dann ein doppeltes Leben. O! ich habe mir das oft himmlisch schön gedacht, ich habe es heiß gewünscht, und ich halte heute noch die Ehe für den einzigen Weg, der den Menschen zu der größten Vollkommenheit führt, die seiner Individualität möglich ist. Darum aber kann ich den Gedanken an eine gleichgültige Ehe nicht ertragen, weil sie für mich eine unglückliche wäre; und ich habe es nie begreifen können, wie in der Ehe irgend Etwas die Menschen an einander kettet, als ihr Herz. Die Ehe ist in ihrer Reinheit die keuscheste, heiligste Verbindung, die gedacht werden kann; rein, wie ein Engel des Lichts, geht das Weib aus den Armen ihres geliebten Gatten hervor, und wenn man mir, nach dem katholischen Ritus, die Madonna die reine Mutter Gottes nannte, hat für mich ein rührend tiefer Sinn darin gelegen, ein ganz anderer Gedanke, als die Kirche ihn will. Ja! die Ehe ist rein! und aus der Umarmung liebender Gatten kann ein göttlicher Mensch, ein Retter der Welt entstehen.