EINGANG. Einige werden zu Preis und Rühmen geführt durch die Tugendkraft ihrer geliebten Helden, die anderen — durch die kriegerischen Taten; die dritten durch deren Weisheit, viertens endlich manche durch wundersame Begebungen und Zeichen. Aber in Ordnung aller Heldennamen der vergangenen oder näheren Jahrhunderte kann man niemand finden, in dem alle diese Gaben sich so wunderbar einten, wenn nicht den Großen Alexander. Ich erkenne die ganze Schwere über ihn zu handeln, nach jener Reihe erlauchter Namen, angefangen von dem in Ewigkeit gedenkwürdigen Kallisthenes, dem Julius Valerius, Vincenz von Beauvais, Gualterius de Castilione bis auf den deutschen Lamprecht, Alexander von Paris, Pierre de Saint-Cloud, Rudolf von Ems, dem trefflichen Ulrich von Eschinbach und dem unbesieglichen Firdusi; doch mein Wunsch, im Gedächtnis der Menschen den unauslöschlichen Ruhm des Makedoniers zu erneuern, als zu erleichtern meine von Entzücken übervolle Seele, zwingt mich, zu tun wie die Pilger, die, Verse der Gebete murmelnd, sich nicht dies absinnen: von welchen großen Heiligen jene Gesänge erdichtet seien.
VOM KÖNIG NEKTANEB IN ÄGYPTEN. In dem alten Lande der Ägypter lebte ein König Nektaneb, der nicht allein durch das königliche Blut, sondern auch durch die Weisheit und durch die großen Kenntnisse der Magie und Sternendeutung ausgezeichnet war. Seine Heere trugen stets den Sieg davon, doch wußte niemand, daß während der Schlacht der König durch Zauberei den Ausgang der Kämpfe vorbestimmte. Insgeheim eingeschlossen hüllte er sich in Priesterkleid, nahm einen Stab und machte aus Wachs Gestalten von Menschen, wenn die Schlacht auf dem Festlande war, oder von Schiffchen mit Kriegern, die er in eine wassergefüllte Messingschale setzte und geschickt unter Beschwörungen ertränkte. Die vom Festlande durchbohrte er mit einer feinen Nadel, und die Verrichtung an dem seelenlosen und weichen Wachs ward auf wunderliche Art Spiegelung des fernen Schlachtfeldes. Einst jedoch, als die Kundschafter dem König das Nahen neuer Feinde vermeldeten, kündeten die Geister des Wassers und der Luft, welche die Kunst des gekrönten Magiers heraufbeschwor, die Stunde seiner Niederlage habe geschlagen, und ihre Herrschaft sei fürder ohne Macht. Nektaneb nahm den angelegten Bart ab und verließ in gewöhnlicher Gewandung heimlich Ägypten. Als daher die Feldherrn, welche der Niederlage ungewohnt waren, in die Hauptstadt zurückkehrten, fanden sie den Palast leer, und nur die umgestürzte Schale, die Stückchen Wachses und auf einer Wasserlache der Bart erinnerten daran, daß hier vor kurzem noch der König geweilt. Dem verwirrten Volke kündete der Gott Serapis durch sein Orakel:
»König Nektaneb verließ euch für lange Jahre.
Einst kehrt er euch zurück, in neue Jugend gekleidet.«
Diese Inschrift zeichnete man dem Ebenbilde des entschwundenen Königs ein, das in eine leere Gruft gesetzt war, und nach einigem Warten wurde ein neuer Herrscher gewählt.
DAS GESPRÄCH VON OLYMPIAS MIT DEM MAGIER. Indessen lebte der königliche Flüchtling nach der Ankunft in das makedonische Pela lange Zeit, indem er sich vom Wahrsagen und von der Zauberei ernährte und bald als kunstfertiger Deuter und Magier gerühmt war. In diesem Lande herrschte zu jener Zeit König Philipp, dessen Gemahlin Olympias unfruchtbar war. Einst, in Abwesenheit des Gemahls lustwandelnd im Garten des Palastes, vertraute die Königin ihre Sorge der alten treuen Magd, ob wohl Philipp sich nicht von ihr trennen würde, denn sie hatte ihm durch so viele Jahre keine Kinder gebracht, worauf ihr die Dienerin von der Zaubermacht des fremden Ägypters Kunde gab.
Sache geringer Zeit war es, den kommen zu lassen. Auf den Wegen der Gärten neigte er sich tief vor Olympias, und tief aus der Brust ein goldenes Täfelchen ziehend mit dem Abbild des Tierkreises der Planeten in bunten Steinen, darauf dem Hermes ein Smaragd entsprach, und der Liebesgöttin ein blauer Saphir, schwieg er lange. Auch die Königin schwieg, die Augen, voll ihrer Erwartung, gesenkt. Endlich sprach der Ägypter:
Nicht Philipp wird deine Unfruchtbarkeit lösen, nur der Gott Ammon vermag dir beizustehen. Bist du auf alles bereitet?
»Sprich«, sagte die Königin, ohne die Augen zu erheben.
»Ich will beten, doch erwarte du bedeckten Hauptes den libyschen Gott; ertönt das Zischen der Schlangen, so schicke alle fort und empfange den Gast; er wird golden sein von Locken und Bart, mit goldener Brust und einem Horn auf der Stirn. In der Dauer der Erscheinung schweige. Dann wirst du empfangen und zur gesetzten Zeit einen Rächer dir und der Welt einen Herrscher gebären.«
Nach wenigem Schweigen blickte Olympias fest auf den Magier und sprach: »sei auf der Hut, wenn du lügst«. Die Hände aufhebend zu den nun entzündeten Sternen rief Nektaneb: »Ich schwöre!« — »Ich will dir morgen Antwort senden«. Der Magier hielt sie zurück indem er sprach: »Es ist notwendig, daß ich unablässig in deiner Nähe bete zu dieser Zeit; hast du nicht ein geheimes Gemach zunächst dem Schlafzimmer?« — »Eine Kleiderkammer befindet sich da, dort kannst du dir zu schaffen machen. Sei entlassen. Sprich zu niemandem«.
Als die Königin sich entfernt hatte, brach Nektaneb eine Nelke, stach in die Blättchen den Namen Olympias, und die Augen gehoben zu den Sternen, beschwor er lange die Geister des Bösen, daß sie die Gedanken und das Herz von Philipps Gemahlin geneigt machten zu dem Betruge, welchen er, Nektaneb, plante.
DIE EMPFÄNGNIS ALEXANDERS. Alles begab sich nach dem Wunsche des Ägypters, welcher in der Larve des Horns so viele Male der erkenntnisbaren Königin erschien, bis sie ihren Schoß unledig fühlte und den König mit Freuden und Unruhe zu erwarten begann.
PHILIPP KEHRT NACH HAUSE ZURÜCK. Während dies geschah, hatte Philipp auf fernem Feldzuge ein sonderbares Traumgesicht, das seine Ruhe störte. Der babylonische Deuter, der sich im Gefolge befand, legte dies so aus, daß Olympias von einem ägyptischen Gotte empfangen habe. Nicht sehr über diese Botschaft erfreut, eilte der König nach Hause, wo ihm die entgegengehenden Dienerinnen sagten, ihre Herrin liege auf dem Krankenbette. Ins halbdunkle Schlafgemach tretend, ging Philipp zu auf seine Gemahlin und sprach: »Ich weiß alles, sorge dich nicht; wir müssen uns dem Willen der Götter beugen«. Olympias weinte still, küßte die Hand des Gemahls, ohne zu wissen, ob ihm alles wahrhaft bekannt sei. »Ruft den Sternendeuter herbei«, sprach sie endlich. Und da Nektaneb, eingetreten, Erklärungen gab, die aufs Vollkommenste mit den Auslegungen des babylonischen Deuters zusammenfielen, so umarmte Philipp voll Erstaunen, wenn schon immer noch düster, die weinende Gemahlin, und sie saßen so schweigend bis auf den Abend, da in das Fenster die zarten Hörner des jungen Mondes blickten.
WUNDERBARE ZEICHEN. Derart erwartete das Königspaar mit Frieden, doch ohne Freude die nahe Geburt. Die Königin war wohlauf, erging sich im Garten und nahm zeitweise teil an den Festmahlen, bis Philipp sich betrank, nach der Sitte der Makedonier. Einmal, da Olympias länger beim Mahle weilte, als ihr geziemte, so wurde sie für ihre Unbesonnenheit gestraft, denn der trunkene König begann ihr vorzuhalten, sie wäre nicht von ihm schwanger. Die beleidigte Königin stand auf, um sich zu entfernen, als plötzlich unter dem festlichen Tische eine riesenhafte Schlange erschien, die ihren Kopf erhob mit fürchterlichem Zischen. Die Gäste sprangen auf von den Plätzen, die Frauen, vergessend ihrer Scham, krochen auf den Tisch, erhobenen Gewandes. Der König selbst war im Begriff, den Kopf mit dem Mantel zu bedecken, da verwandelte sich die Schlange in einen Adler, sprang auf den Busen der Königin, stach sie dreimal in die erstarrten Lippen und flog durch das offene Dach des Saals empor zum Himmel. Auf den Knien fragte Philipp: »Wer bist du, Ammon, Apollo, Asklepios?«, indem Olympias, umringt von der ungeordneten Schar der Frauen, sich in ihre Gemächer begab. Niemand nahm wahr, daß hier nur die Pfiffigkeiten des ägyptischen Auswanderers ihr Spiel getrieben.