Maria Teresa Diez Grieser, Psychologin und Psychoanalytische Psychotherapeutin EFPP, Supervisorin, Dozentin an verschiedenen Fachhochschulen und Universtäten und am Psychoanalytischen Seminar Zürich. Nach verschiedenen Anstellungen in Institutionen als Psychotherapeutin und Forscherin arbeitet sie als niedergelassene Psychotherapeutin in eigener Praxis und als Leitende Psychologin des Forschungsbereiches in den Kinder- und Jugendpsychiatrischen Diensten St. Gallen. Inhaltliche Schwerpunkte sind Entwicklungspsychologie, Psychotraumatologie und Mentalisieren.
Jürgen Grieser, Dr. phil., Psychoanalytiker und Psychotherapeut für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, Paar- und Familientherapeut, Supervisor, Dozent am Psychoanalytischen Seminar Zürich PSZ und anderen Ausbildungsinstituten für Psychotherapie. Nach langjähriger psychotherapeutischer Tätigkeit in kinder- und jugendpsychiatrischen und in jugendmedizinischen Einrichtungen arbeitet er heute als niedergelassener Psychotherapeut in einer Praxisgemeinschaft in Zürich. Buchveröffentlichungen zu den Themen Bedeutung des Vaters, Triangulierung, Elternarbeit in der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie, Kreativität, Bedeutung des Todes für das Leben.
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1. Auflage 2020
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© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
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Die psychotherapeutische Arbeit mit Jugendlichen wurde innerhalb der Psychoanalyse während langer Zeit als schwieriges, wenn nicht sogar kontraindiziertes Unterfangen betrachtet. Diese Ansicht entwickelte sich einerseits unter dem Eindruck der typischen Hinwendung der Jugendlichen zur Peergruppe bzw. den sekundären Bindungen bei gleichzeitiger Abwendung von den Eltern und den Erwachsenen im Allgemeinen. Andererseits wurde das klassische, regressionsfördernde psychoanalytische Setting zu Recht als ungeeignet für die sowieso schon destabilisierte psychische Situation der Jugendlichen befunden. Auch die Tatsache, dass Jugendliche oft wenig dazu neigen, über sich und ihre Beziehungen nachzudenken, sondern eher agieren und ihre intrapsychische Situation – oft auf schwer verständliche Art – inszenieren, stellte die psychoanalytischen Therapeuten vor erhebliche konzeptionelle und technische Herausforderungen.
Mittlerweile ist die Arbeit mit Jugendlichen zu einem zentralen Tätigkeitsgebiet vieler Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten geworden und es besteht Einigkeit darüber, dass die psychoanalytisch-psychotherapeutische Arbeit mit Jugendlichen sinnvoll und wirksam ist. Allerdings finden wir in der Theorie der Technik und in der Praxis Unterschiede hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der Behandlungssettings, der Beziehung des Therapeuten mit den Jugendlichen, dem Einbezug der Eltern sowie dem Umgang mit Deutungen und Agieren. Wichtige Orientierungspunkte in Behandlungen von Adoleszenten ergeben sich neben der Entwicklungsperspektive aus den Inszenierungen der Konflikte und der Ressourcen des Jugendlichen in der Interaktion mit dem Therapeuten, weil sich die Psychodynamik des Patienten, seine adoleszenten Entwicklungsbedürfnisse, Krisen und Lösungen im interpersonellen Geschehen in der Therapie darstellen und spiegeln.
Die theoretischen Überlegungen, technischen Hinweise und praktischen Beispiele in diesem Buch sollen bei den Therapeuten und Therapeutinnen Neugier und Interesse für die innere Welt der Jugendlichen und ihrer Eltern wecken und ihnen eine Orientierung in den für dieses Alter typischen Verwirrungen, emotionalen Strudeln und Blockierungen der Entwicklung an die Hand geben. Wir halten es für angemessen, dass wir weibliche und männliche Form abwechselnd anwenden, auch weil dieses Buch von einer Frau und einem Mann verfasst wurde.
Das Jugendalter wurde als spezifische Entwicklungsphase lange nicht in seiner ganzen Bedeutung für die Entwicklung der Persönlichkeit wahrgenommen und untersucht. Beschreibt das Konzept der Pubertät vor allem die biologischen Veränderungen, insbesondere die zur Geschlechtsreife, so steht der Begriff der Adoleszenz für die psychosoziale Entwicklung der Person, die von der Kindheit ins Erwachsenenalter führt. Dass das Jugendalter eine Zeit wichtiger Entwicklungen darstellt und dass der Jugendliche dafür auch Zeit und einen eigenen sozialen Raum braucht, wurde erst in der Moderne allgemein anerkannt. Zuvor waren Jugendliche einfach als kleine Erwachsene betrachtet worden, wie Philippe Ariès (1975) in seiner Geschichte der Kindheit zeigt.
Aus psychoanalytischer Sicht sah Sigmund Freud in den Anforderungen, die Triebentwicklung in die Persönlichkeit zu integrieren und die damit verbundenen Konflikte als die große Herausforderung der Adoleszenz. Siegfried Bernfeld, August Aichhorn und Anna Freud entwarfen erste einflussreiche Theorien zur Entwicklung und Behandlung in der Adoleszenz. Erik H. Erikson (1973, erschienen 1959) beschrieb das Jugendalter als ein psychosoziales Moratorium, in dem sich der Jugendliche ausprobieren und entwickeln kann, ohne schon den Verpflichtungen des Erwachsenen unterworfen zu sein. Kurt Eissler (1966) erkannte als eine Funktion der Adoleszenz die Möglichkeit, in der Kindheit misslungene oder unvollständige Entwicklungsverläufe noch einmal angehen und zu einem besseren Ausgang bringen zu können und sah in diesem Sinne die Adoleszenz als eine »zweite Chance« der Entwicklung. So gesehen ermöglicht der Entwicklungsschub der Adoleszenz nicht nur neue Erfahrungen, sondern erlaubt auch die Korrektur misslungener früherer Entwicklungsprozesse; der Jugendliche inszeniert seine Vergangenheit in der Gegenwart neu, um sie dadurch zu revidieren und besser zu verarbeiten (Erdheim, 1996).
In der Frühzeit der Psychoanalyse wurden die Behandlungen von Jugendlichen nicht von Kinderanalytikerinnen, sondern mehrheitlich von Erwachsenenanalytikerinnen durchgeführt, aus deren Sicht vor allem die Entwicklung von Autonomie das Ziel darstellte, was mit der Ablösung von den Eltern synonym zu sein schien (Novick & Novick, 2009). Diese aus heutiger Sicht einseitige Perspektive hinterließ nicht nur ihre Spuren in der Theoriebildung dieser Zeit, sondern führte auch zu unlösbaren Problemen in den Behandlungen. Am ersten Versuch einer psychoanalytischen Behandlung einer Jugendlichen scheiterte gleich Freud selber; es handelte sich um eine 17-jährige Patientin, die er Dora nannte (Freud, 1905a). Freud hatte Dora 1899 auf Wunsch des Vaters wegen verschiedenen Symptomen wie Atemnot, Migräne und nervösem Husten behandelt, doch die Patientin brach die Behandlung nach drei Monaten ab. Freud sah den Grund dafür darin, dass es ihm nicht gelungen sei, Doras Übertragung auf ihn unter Kontrolle zu bringen. Aus heutiger Sicht konnte die Behandlung aus verschiedenen Gründen nicht funktionieren: Freud hatte noch keine Vorstellung von seiner eigenen Übertragung auf Dora, da er zu diesem Zeitpunkt noch gar kein Konzept der Adoleszenz zur Verfügung hatte, sondern Dora ihn primär als typischer Fall einer weiblichen Hysterie interessierte, und schließlich auch, weil er sie nicht in ihrem eigenen Auftrag und in Übereinstimmung mit ihren eigenen Therapiezielen, sondern in dem ihres Vaters und ohne Einbezug ihrer Mutter behandelte. Die therapiebegleitende Elternarbeit war noch nicht erfunden und Freud zog aus solchen Misserfolgen in der Behandlung von Jugendlichen den Schluss, lieber nur noch mit volljährigen und von ihren Eltern unabhängigen Patienten zu arbeiten, um der aus seiner Sicht nicht zu handhabende »Gefahr« der »Dazwischenkunft von Angehörigen« (Freud, 1916-17, S. 478) zu entgehen.
Vor dem Hintergrund solcher Erfahrungen waren die ersten Kinderanalytikerinnen in Bezug auf die Möglichkeit, Adoleszente psychoanalytisch zu behandeln, skeptisch. Die der Lebensphase innewohnenden Dynamik sowie die Schwierigkeit von Jugendlichen, sich in einem psychotherapeutischen Setting reflektierend mit sich auseinanderzusetzen, führte dazu, dass Adoleszente als schwer bis gar nicht therapierbar galten. Anna Freud bezeichnet die Adoleszenz als »Stiefkind der psychoanalytischen Theorie und Therapie« (A. Freud, 1958), und noch 1980 spricht Heinz Müller-Pozzi von einem »weißen Fleck auf der psychoanalytischen Landkarte« (Müller-Pozzi, 1996, S. 339). Doch schon 1962 entwarf Peter Blos (1983) mit seinem Modell verschiedener Phasen der Adoleszenz die für lange Jahre differenzierteste Theorie der Entwicklung im Jugendalter. Im deutschsprachigen Raum löste die Rezeption des 1984 veröffentlichten Werkes Adoleszenz und Entwicklungskrise von Moses und Eglé Laufer eine vermehrte Beschäftigung mit den Entwicklungslinien in der Adoleszenz und den Fragen der psychotherapeutischen Behandlung von psychischen Störungen in der Adoleszenz aus. Sie prägten den Begriff des »Entwicklungszusammenbruchs« in der Adoleszenz und betonten die Bedeutung der Onaniefantasien, die nun im Bewusstsein der Jugendlichen eine wichtige Rolle spielen.
Die psychotherapeutische Behandlung von Adoleszenten wurde lange Zeit als problematisches Unterfangen betrachtet. Grund dafür waren einerseits die Befürchtungen, die eher regressionsfördernde Technik der Frühzeit der Psychoanalyse könnte eine schädliche regressive Bewegung auslösen und die Ich- und Abwehrstrukturen der Jugendlichen zusätzlich labilisieren. Andererseits fehlten Konzepte für den Umgang mit den Eltern und der familiären Psychodynamik im Rahmen der Behandlung. Mit den Arbeiten von Blos (1983) und Laufer & Laufer (1989) wurden eigenständigere und differenziertere adoleszenzspezifische psychoanalytische Konzepte vorgelegt, die die Entwicklung einer spezifischen therapeutischen Technik vorantrieben. Insbesondere wurde nun die Adoleszenz als zweite Chance auch für nachholendes psychisches Wachstum und eine Neuorganisation der Persönlichkeit verstanden.
Holder, A. (2002): Psychoanalyse von Kindern und Jugendlichen: Geschichte, Anwendungen, Kontroversen. Stuttgart: Kohlhammer.
• Inwiefern sind die Bedenken und die Zurückhaltung der Psychoanalytiker der ersten Stunde gegenüber der Behandlung Jugendlicher auch heute noch anzutreffen und nachvollziehbar?
• Welche Probleme könnten entstehen, wenn die labilisierte Persönlichkeitsstruktur der Adoleszenten in der psychotherapeutischen Arbeit nicht genügend berücksichtigt werden?
Die biologische Reifung mit ihren hormonellen Veränderungen ist der Startpunkt für den Beginn der Adoleszenz. Die körperlichen Veränderungen ziehen Umbrüche in der Beziehung zum eigenen Selbst und zu den Anderen nach sich, zum eigenen Körper, in der Sexualität, in allen sozialen Beziehungen, bis hin zum Verhältnis zur Gesellschaft mit ihren Werten und Normen. Die daraus resultierenden Konflikte treiben die Mädchen und Jungen in ihrer Entwicklung voran.
In Anlehnung an Donald W. Winnicotts für die frühe Kindheit entwickeltes Konzept vom »Übergangs-« oder »Möglichkeitsraum« beschreibt Vera King (2002) das Jugendalter als einen »adoleszenten Möglichkeitsraum«. So wie sich in der frühen Beziehung des Kindes zur Mutter ein Übergangsraum auftut, in dem das Kind Fantasien entwickeln und Objekte entdecken kann – die sogenannten »Übergangsobjekte«, die ihm helfen, sein Selbst zu entwickeln und Schritt für Schritt von der Mutter unabhängiger zu machen, so stellt auch die Adoleszenz einen Raum dar, in dem der Jugendliche sich von den bisherigen Objekten lösen kann, indem er kreativ seine innere Welt der Fantasien und seine äußere Welt der Beziehungen zu wichtigen Anderen ausprobiert und gestaltet. Der Jugendliche erfindet sich gewissermaßen neu, wird am Ende nicht mehr das Kind sein, das er war, bevor er den Entwicklungsraum der Adoleszenz betrat. Den Eltern, Pädagogen oder Therapeuten kommt die Rolle eines Gegenübers und Begleiters zu, der dafür sorgen kann, dass dem Jugendlichen dieser Möglichkeitsraum zur Verfügung steht, in dem er sich darin verpuppt und neu erschafft.
Der Jugendliche muss die Trauerarbeit des »Abschieds von der Kindheit« (Kaplan, 1988) vollziehen und sich eine Position in der Gesellschaft erschaffen. Dabei bewegt er sich im Dreieck zwischen der Welt der Familie und der Welt der außerfamiliären Kultur. Er bedient sich all der Anregungen und Materialien, die er dort antrifft und die ihm für die Lösung seiner Entwicklungsaufgaben geeignet erscheinen. Im Kern handelt es sich um die folgenden fünf Entwicklungsdimensionen (in Anlehnung an Oerter & Montada, 2002):
1. Mit dem neuen, auch sexuell aufgeladenen Körper zurechtzukommen.
2. Die Ablösung von den Eltern.
3. Altersgemäße Beziehungen zu den Peers inklusive sexueller Beziehungen aufzubauen.
4. Selbstvertrauen und ein neues Wertesystem entwickeln.
5. Eine soziale und berufliche Identität gewinnen.
In Freuds Konzept der psychosexuellen Entwicklung führt der Hormonschub der Pubertät dazu, dass die Latenzzeit zu Ende geht, während der die Sexualentwicklung des Kindes vorübergehend zur Ruhe gekommen war, was diesem ermöglichte, einigermaßen ungestört von inneren triebhaften Impulsen kognitive Anforderungen zu bewältigen. In seinen »Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie« beschreibt Freud (1905b), wie erst die Wiederaufnahme der Sexualentwicklung in der Adoleszenz, die Vollendung der psychosexuellen Entwicklung ermöglicht. Erst dann sind die Umgestaltungen möglich, die dazu führen, dass – meist erst am Ende der Spätadoleszenz – das infantile Sexualleben unter das Primat der genitalen Trieborganisation gestellt wird. Dies stellte für Freud die Voraussetzung dafür dar, dass der Mensch bereit ist, seine Rolle und Verantwortung als Erwachsener in der Welt zu übernehmen.
Dieser adoleszente Prozess der Umgestaltung, die Wiederaufnahme der unterbrochenen infantilen Sexualentwicklung, kann nicht ohne regressive und vorübergehende scheinbar pathologische Phänomene vor sich gehen. Abgesehen von der Säuglingszeit und dem Sterben gibt es keine andere Phase im Leben, in der in relativ kurzer Zeit so tiefgreifende biologische, psychische und soziale Veränderungen zu bewältigen sind. Aus klassischer psychoanalytischer Sicht ist die Abwehr der durch die biologische Triebentwicklung wiedererweckten und nun real vollziehbaren Triebwünsche, ihre Umlenkung weg von der Familie hinaus in die Außenwelt, der eigentliche Grund für die Notwendigkeit, die Persönlichkeit umzugestalten und weiterzuentwickeln: »Der pubertäre Triebdurchbruch lockert die im Rahmen der Familie gebildeten Ich-Strukturen und ermöglicht eine neue, nicht mehr nur auf die Herkunftsfamilie bezogene Neustrukturierung der Persönlichkeit« (Erdheim, 1990, S. 101).
Der Eintritt in die Adoleszenz verläuft konflikthaft, wenn zuvor die Entwicklungsaufgaben der Latenz nicht gelöst worden waren. Dann bestimmen mit Beginn der Adoleszenz infantile Anteile das Bild der Person des Jugendlichen und erfordern, auch in der Therapie, dass zuerst die Latenzentwicklung vervollständigt werden muss, bevor die adoleszente Umgestaltung beginnen kann. Die Errungenschaften der Latenz wie ein relativ konfliktfreies Ich, stabile Objektbeziehungen und Regulationen des Selbstwertgefühls sowie eine Fähigkeit zur Spannungstoleranz stellen wichtige Voraussetzungen für die Bewältigung des adoleszenten Triebsturmes dar. Stehen diese Errungenschaften der Latenz beim Eintritt in die Adoleszenz nicht zur Verfügung, dann »erlebt das Kind in der Pubertät nichts anderes als eine Intensivierung der Prälatenzstrebungen und zeigt ein frühkindliches Verhalten, das eher stehengeblieben als regressiv ist« (Blos, 1983, S. 70).
Unter der Voraussetzung einer gelungenen präadoleszenten Entwicklung und der Verfügbarkeit des adoleszenten Möglichkeitsraums hingegen können nun »die festgefügten Bilder und Identifizierungen der Kindheit unter dem Druck neuer Erregungs- und Fantasiequalitäten gleichsam in Schwingungen versetzt und ›zum Tanzen gebracht‹« (King, 2002, S. 113) werden. Damit wird die psychische Struktur labilisiert, umso mehr, als sie nun von zwei Seiten her unter Druck gesetzt wird: Der Triebdruck mit den sexuellen Wünschen bringt Ängste vor der Verschmelzung mit den begehrten Objekten und damit mit den internalisierten Liebesobjekten mit sich, was einer Auslöschung des eigenen Selbst gleichkommen könnte. Unter psychischer Struktur wird hier »die Verfügbarkeit psychischer Funktionen in der Regulierung des Selbst und gegenüber den inneren oder äußeren Objekten verstanden« (Resch & Freyberger, 2009, S.105); die Struktur stellt somit ein basales Organisationsprinzip des Erlebens und Verhaltens dar.
Zum anderen fordert die Kultur dem Jugendlichen desto mehr Anpassungsleistungen ab, je älter er wird, seine Eingliederung in die Gesellschaft, in der Schule, der Berufsausbildung oder etwa auch in der Absolvierung obligatorischer Dienste wie Militär- oder Zivildienst. In der Spätadoleszenz kann auch die Vorstellung, eine Familie gründen oder eine berufliche Karriere absolvieren zu sollen oder zu wollen, zu großen Ängsten um das eigene Selbst führen. Kein Wunder treten in dieser Zeit, wo erhöhte Anforderungen auf eine labilisierte psychische Struktur treffen, gehäuft Erstmanifestationen von psychotischen Symptombildungen oder Suizidversuche auf.
Epidemiologische Studien zeigen, dass im Jugendalter psychische Auffälligkeiten mit insgesamt 10 bis 18 % (Kinder- und Jugend-Survey, Robert-Koch-Institut, Berlin 2008) insgesamt relativ häufig sind. Eine psychische Störung in der Adoleszenz wirkt sich insofern nachteilig auf die weitere Entwicklung aus, als sie den Aufbau von Bewältigungsstrategien erschwert, was die Wahrscheinlichkeit, dass auch im Verlauf des Erwachsenenlebens gesundheitliche, ökonomische und psychosoziale Probleme auftreten erhöht (Perrig-Chiello, 2015). Vor diesem Hintergrund macht das psychoanalytische Konzept von der Adoleszenz als »normativer Krise« (Erikson, 1973) durchaus Sinn, und so sind psychotherapeutische Behandlungsansätze für diese Entwicklungsphase als wichtig einzustufen ( Kap. 7.1).
Bis heute ist die Einteilung der Adoleszenz in fünf Phasen von Blos (1983) aus dem Jahr 1962 der Bezugsrahmen für alle psychoanalytischen Beschreibungen der Adoleszenz geblieben. Blos betrachtet die Adoleszenz aus der Perspektive der psychoanalytischen Trieb- und Ich-Psychologie, spätere Erkenntnisse aus der Sicht der Selbst- und Objektbeziehungstheorien führten nicht zu einer Veränderung dieser Einteilung. Blos unterscheidet die folgenden fünf Phasen:
In der Präadoleszenz (10.-12. Lebensjahr) führt der Triebschub zunächst zu einem Wiederaufleben der prägenital geprägten inneren Welt des Kindes. Dazu gehören die Verstärkung der oralen Gier und anale Anteile, die sich im Spaß am Gebrauch von »schmutzigen« Wörtern und in bizarren Sexualfantasien zeigen. Dies führt zu einem Konflikt mit den im Über-Ich repräsentierten Normen und macht Abwehrmaßnahmen nötig, die auch als passagere oder bleibende psychopathologische Symptome sichtbar werden können. Auch die in dieser Phase gehäuft auftretenden psychosomatischen Symptome wie Bauch- und Kopfschmerzen können als Ventile verstanden werden, die der Spannungsabfuhr dienen.
Der eigentliche Eintritt in die Adoleszenz geschieht in der Frühadoleszenz (12.-14. Lebensjahr) und ist durch den Prozess der Umstrukturierung der Objektbeziehungen des Jugendlichen geprägt, der Trennung von den zentralen Bezugspersonen der Kindheit in der inneren Welt des Jugendlichen. Die Hauptaufgabe dieser Phase besteht darin, die Ablösung von der primären Bezugsperson in Angriff zu nehmen, die in unserer Gesellschaft nach wie vor zumeist die Mutter ist. Parallel werden die Identifikationen mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil verstärkt, was beim Mädchen zu einer komplexen Auseinandersetzung mit dem mütterlichen Objekt führt, von dem es sich einerseits wegbewegen und mit dem es sich andererseits identifizieren muss. Für beide Geschlechter geht dieser Prozess mit einem Hin- und Her zwischen reiferen und kindlichen Verhaltensweisen, zwischen progressiven und regressiven Bewegungen einher.
Gleichgeschlechtliche Freundschaften und Gruppen spielen in dieser Phase eine wichtige Rolle, da sie die Hinwendung zu Objekten außerhalb der Familie erleichtern. Insbesondere Jungen können jetzt teilweise phobische Ängste gegenüber Mädchen entwickeln und sich davor schützen, indem sie sich in reinen Jungengruppen organisieren. Emotional positiv geprägte enge Freundschaften bieten die Möglichkeit, das eigene Selbst zu entdecken, und bilden die Grundlage für den Austausch mit anderen und für spätere, intime Beziehungen (Lohaus & Vierhaus, 2015). Ein weiteres wichtiges Thema der Präadoleszenz ist die Ausbildung einer sozialen Identität, wobei es zugleich darum geht, sich von anderen zu unterscheiden als auch den Erwartungen der anderen zu entsprechen. Dabei spielt die Entwicklung persönlicher Interessen, Fertigkeiten und Hobbies eine wichtige Rolle.
In der eigentlichen (oder mittleren) Adoleszenz (14.-17. Lebensjahr) stehen Fragen der Identität im Vordergrund: Wer bin ich? Woher komme ich? Wer will ich werden? Dabei werden vorübergehend die psychischen Besetzungen, die von den Eltern abgezogen werden, auf die eigene Person verschoben, was zur narzisstischen Überhöhung der eigenen Person und ihrer fantasierten »großartigen« Anteile führt. Dieses narzisstische Zwischenstadium kompensiert den Verlust und die Leere, die durch die Abwendung von den primären Bezugspersonen entstehen. Schlussendlich mündet dieser Prozess in der Entwicklung des Ich-Ideals. Dem gesteigerten Herandrängen von triebhaften Impulsen und Fantasien, das mit Gefühlen von Kontrollverlust und Ohnmacht einhergehen kann, begegnet das Ich des Adoleszenten auf verschiedene Art und Weise. Manchmal werden die Impulse einfach ausagiert und die intensiven Affekte damit abreagiert, dann wieder werden sie in ebenso intensiven kreativen Aktivitäten sublimiert. Auch Askese und Intellektualisieren treten als typische Abwehrmaßnahmen häufig auf (A. Freud, 1984). Allmachtsfantasien stellen als eine Form der Verkehrung von passiv in aktiv eine Möglichkeit dar, Gefühle von Scham und Minderwertigkeit zu kompensieren. Aufgrund der triebbedingten Steigerung des Erlebens werden alle Affekte intensiviert und es kommt nicht nur zum Ausbruch und Ausdruck von höchster Begeisterung und Freude, sondern auch zu einer schmerzlichen Steigerung von depressiven Verstimmungen, die mit dem Verlust der Sicherheit in den alten Objektbeziehungen und der Kindheit in dieser Phase stark ausgeprägt sein können.
Die Spätadoleszenz (17.-20. Lebensjahr) stellt eine Phase der Konsolidierung dar, in welcher die adoleszenten Entwicklungsschritte ihre endgültige Form finden und die neuentwickelten Persönlichkeitsanteile integriert werden. Die Identität des Jugendlichen ist nun deutlicher konturiert, ebenso seine sexuelle Einstellung. Er hat sich sichtbar in der außerfamiliären Welt verortet und die Beziehungen zu seinen Eltern transformiert, ist von diesen unabhängiger geworden. Doch insbesondere gegenüber den Eltern muss er oft weiterhin seine Autonomie festigen, was in einer forcierten Ablehnung der elterlichen Vorstellungen und Normen oder einer den Eltern missliebigen Partnerwahl zum Ausdruck kommen kann.
Als letzte Phase, beschreibt Blos die Postadoleszenz (20.-25. Lebensjahr), in dem der Übergang ins Erwachsenenalter mit dem Abschluss der Berufsausbildung und verbindlicheren Paarbeziehungen ansteht, aber noch aufgeschoben werden kann. Hier kann noch experimentiert und der Entwicklungsraum offengehalten werden, doch tendiert die Entwicklung zu immer mehr bleibenden Festlegungen hin. Ungelöste Konflikte mit und Abhängigkeiten von den Eltern sind zu lösen, um den Eintritt ins eigene Erwachsenenleben nicht zu blockieren. Dabei kann es besonders wichtig sein, ob dem Jugendlichen das von Erikson beschriebene psychosoziale Moratorium zur Verfügung steht oder ob er angesichts der Verpflichtungen des Erwachsenseins in seiner Entwicklung doch noch einmal einbricht.
Was die Altersangaben betrifft, so haben sich diese in den Jahrzehnten seit Blos für die Spät- und Postadoleszenz nach hinten verschoben. Die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahrzehnte, die unter anderem durch eine verzögerte Ablösung und Verantwortungsübernahme durch die Adoleszenten charakterisiert sind, haben dazu geführt, dass die beschriebenen Themen oft länger offen bleiben und später bearbeitet werden, oft erst im frühen Erwachsenenalter. Dies spiegelt sich auch darin, dass für das Alter von 18 bis 30 Jahren eine neue Entwicklungsphase namens »Emerging Adulthood« (Arnett, 2007) vorgeschlagen wird.
Identitätsfindung ist Selbstfindung, wozu auch die soziale und kulturelle Verortung gehört: Wer bin ich? Wo ist mein Platz in der Welt? Zu wem fühle ich mich zugehörig? Identität generiert Sinn- und Ordnungshaftigkeit von Welt und Selbst (Schneider, 2015). Die Entstehung eines Identitätsgefühls stellt hohe Anforderung an die Entwicklung und Integration unterschiedlicher Dimensionen der Persönlichkeit wie einem realistischen Körperbild, einer Wahrnehmung der Konstanz des eigenen Selbsterlebens auch über die Zeit hinweg, der Geschlechtsidentität, einem internalisierten Gewissen und einer ethnischen Identität (Akhtar & Samuel, 1996). Schon Erikson (1973) benennt als wesentlichen Gegenpol zur Wahrnehmung der Konstanz des eigenen Selbst über die Zeit hinweg die dazu korrespondierende Wahrnehmung, dass man auch von den anderen als über die Zeit hinweg gleichbleibend erlebt wird. Erikson beschreibt die Identitätsentwicklung in der Adoleszenz als ein Oszillieren zwischen einem deutlichen Gefühl des eigenen Selbst – »Ich bin ich« – auf der einen Seite und der Identitätsdiffusion – »Ich verliere mein ich« – auf der anderen Seite.
Die Spiegelung durch die Peers sowie ein Platz innerhalb der Gleichaltrigengruppe sind zentrale Momente, wenn es um Identitätsentwürfe und -verwerfungen geht. Dabei spielt die Fähigkeit zur Identifikation eine wichtige Rolle. Als Anpassungs- wie auch als Abwehrmechanismus findet der Jugendliche in der Identifikation mit anderen Modelle für seinen Umgang mit vielem, was von innen und außen auf ihn zukommt. Dies gilt auch für den Umgang mit Gefühlen und deren Integration, für die Bewältigung von negativen Gefühlen und die Nähe-Distanz-Regulation zu anderen. In verschiedenen Studien wurde diese hervorgehobene Rolle der Identifikation als häufigste Abwehrform in der Adoleszenz bestätigt (Cramer, 2007).
Nicht nur in der Adoleszenz sind Prozesse der Identitätsentwicklung unvermeidlich konflikthaft und geben deshalb auch zu psychopathologischen Symptombildungen Anlass. Umgekehrt gehen das Identitätsgefühl und die Möglichkeiten der Selbstregulation gestärkt aus dem Prozess der Identitätsbildung hervor. Bohleber (1992) verweist auf zwei Hauptstrategien, »mit denen das Identitätsgefühl eine innere Einheit des Selbst zu erzielen sucht« (S. 300): Zum einen führe die Verdrängung dazu, dass Selbstrepräsentanzen, die miteinander nicht kompatibel sind, aus der Identität ausgeschlossen werden können. Zum anderen ermögliche die Aktualisierung von unbewussten und ausgeschlossenen Selbstanteilen und deren Neuinszenierung in Handlungszusammenhängen eine vertiefte Integration und eine erweiterte Identität.
Wichtige Bausteine der Identität sind episodische, emotional gesättigte Erinnerungen an Interaktionen aus der frühen Kindheit, die durch spätere Erfahrungen bestärkt und generalisiert werden können (Lichtenberg, 1991; Stern, 1993). Sie enthalten dann Struktur und Thematik der weiteren Identitätsbildung. Dazu kommt nun in der Adoleszenz die Aufgabe, sich im Raum außerhalb der Familie zu definieren, nicht nur einen Lebensentwurf als Mensch in einer Familie zu entwerfen, sondern als Mensch in der Gesellschaft. Letzteres geschieht über die Peergruppe einerseits und die Berufswahl andererseits.
In der Adoleszenz beginnt sich der Jugendliche als geschichtlicher Mensch (Bründl, 1994) zu erleben, er stellt Fragen über seine Herkunft, über die Geschichte, beginnt ein politisches Bewusstsein zu entwickeln, ordnet sich in seiner Peergruppe zugleich einer gesellschaftlichen Gruppierung zu und grenzt sich damit bewusster als zuvor gegenüber anderen ab. Zur Notwendigkeit, sich selber einen Ort in der Geschichte zu erschaffen gehören sowohl das nun verstärkte Interesse an nicht vorhandenen Vätern oder verschwiegenen Abstammungsgeschichten – Adoption, Samenspende –, als auch Fantasien über eine zukünftige eigene bedeutungsvolle Rolle in der Welt, wofür die Identifikation mit Vorbildern und Idolen und deren Lebensgeschichten wichtig ist. Zugleich wird auch der Blick auf die Eltern geschichtlicher, sie werden daraufhin überprüft, ob ihr Leben und Handeln den idealen Anforderungen des Adoleszenten standhält.
Aus soziologischer Sicht setzt die Entwicklung einer »vollständigen Identität« eine Position in einer sozialen Gruppe und die Übernahme einer gesellschaftlichen Rolle voraus (Mead, 1973). Auch die Gesellschaft drängt darauf, dass ihre Mitglieder bestimmte Rollen einnehmen, weil sie einander dann besser einschätzen, in ihrem Verhalten antizipieren und besser zusammenwirken können. Dabei spielt die Möglichkeit, einen Beruf wählen, erlernen und ausüben zu können eine wichtige Rolle, auch weil dies den Jugendlichen nicht nur psychologisch, sondern auch ökonomisch von seiner Herkunftsfamilie unabhängig macht.
Zu Beginn der Adoleszenz erleben viele Jugendliche die Notwendigkeit, einen Beruf zu wählen, als ich-dyston, als zu früh, nicht als Freiheit, seine Persönlichkeit zu entwickeln und Wünsche umzusetzen, sondern vielmehr als einen das Selbst bedrohenden von außen ausgeübten Druck. Dies ändert sich, wenn er die Berufsrolle als neuen Baustein in seine Identität integrieren und auch als Stärkung und Schutz für sein Selbst verwenden kann. Heute wie damals ist die Aufgabe der Berufswahl eine Kernthematik der Identitätsentwicklung und stellt zugleich eine Initiation in die Gesellschaft der Erwachsenen dar. Deshalb ist sie noch immer geeignet, wie Erikson schon in den 1950er Jahren festhielt, die Jugendlichen und ihre Eltern in Konflikte zu stürzen; denn oft ist es »die Unfähigkeit, sich für eine Berufs-Identität zu entscheiden, was die jungen Leute beunruhigt« (Erikson, 1973, S. 110).
Die Arbeit an der eigenen Identität findet in der Adoleszenz im Dreieck Jugendlicher – Eltern/Familie – Kultur/ Peers statt und stellt damit genauso einen triangulierenden Prozess dar wie die Entwicklung des eigenen Selbst in der Kindheit im Dreieck des Kindes mit der Mutter und dem väterlichen Dritten. Nur dass nun in der Adoleszenz die außerfamiliären Personen, Gruppen und Vorstellungen die Rolle des die bestehende Beziehung erweiternden Dritten übernehmen, die in der Zeit der frühen Triangulierung typischerweise dem Vater zukam. In der Adoleszenz muss der Jugendliche den »Schoß der Familie« verlassen um sich den Aufgaben draußen in der Welt mit den neuen Dritten zuzuwenden (vgl. Erdheim, 1990; Grieser, 2015).
Mit Einsetzen der Pubertätsentwicklung wird dem Jugendlichen der eigene Körper fremd. Der Körper verändert sich und das Ich hat keinen Einfluss darauf, dies stellt einen mehr oder weniger schleichenden Kontrollverlust dar – der eigene Körper drängt sich einem nun geradezu auf (King, 2002). Bisher war der Körper einfach vorhanden, er war mehr oder weniger mit dem eigenen Selbst identisch und stand als ein Werkzeug im Dienste des Ich zur Verfügung. Nun aber erzwingt die einen Riss zwischen Selbst und Leib erzeugende Veränderung eine aktive Beschäftigung mit dem Körper. Er ist nun plötzlich ein Objekt, das einen beschäftigt und mit dem man sich selber aktiv beschäftigen kann und muss. Dass das Erleben des psychischen Selbst und das körperliche Sein in der Adoleszenz phasenweise auf befremdende Weise auseinandertreten (King, 2002), stellt eine der zentralen Herausforderungen der Adoleszenz dar. Begleitet werden solche Wahrnehmungen oft von starken Gefühlen der Scham – Streeck-Fischer (1994) spricht von einer »Schamkrise«, die viele Jugendliche in der Adoleszenz erleben.