Sarah_Aus-der-Tiefe_Cover_1600.jpg

Robert Kardinal Sarah

Aus der Tiefe des Herzens

Priestertum, Zölibat und die Krise der katholischen Kirche

Mit einem Beitrag von

Benedikt XVI.

Herausgegeben von Nicolas Diat

Aus dem Französischen von Dorothée und Alexander Pschera

Den Priestern der Welt gewidmet

»Einen klaren Glauben nach dem Credo der Kirche zu haben, wird oft als Fundamentalismus abgestempelt, wohingegen der Relativismus, das sich ›vom Windstoß irgendeiner Lehrmeinung Hin-und-hertreiben-Lassen‹, als die heutzutage einzige zeitgemäße Haltung erscheint. Es entsteht eine Diktatur des Relativismus, die nichts als endgültig anerkennt und als letztes Maß nur das eigene Ich und seine Gelüste gelten lässt.«

Predigt von Joseph Kardinal Ratzinger in der Patriarchalbasilika am 18. April 2005

»Jeder Tat soll ein Leben vorausgehen, das aus intensivem Gebet, aus Betrachtung, aus der Suche und dem Aushorchen nach dem Willen Gottes besteht.«

Robert Kardinal Sarah mit Nicolas Diat, Kraft der Stille. Gegen eine Diktatur des Lärms

Inhaltsverzeichnis

Vorwort des Herausgebers

Einführung

Wovor fürchtet ihr euch?

I – Das katholische Priestertum

Von Benedikt XVI.

II – Bis zum Äußersten lieben

Ein ekklesiologischer und pastoraler Blick auf den priesterlichen Zölibat

Von Kardinal Robert Sarah

Schlusswort

Im Schatten des Kreuzes

Vorwort des Herausgebers

»Wir müssen über diese Gedanken eines Mannes, der am Ende seines Lebens steht, meditieren. In dieser entscheidenden Stunde ergreift man nicht leichtfertig das Wort.«

Robert Kardinal Sarah

Aus der Tiefe des Herzens: So lautet der einfache und ergreifende Titel, den Kardinal Sarah und der emeritierte Papst Benedikt XVI. für dieses Buch gewählt haben.

Benedikt XVI. ergreift selten das Wort. Im März 2013 hat der emeritierte Papst entschieden, sich in ein Kloster in den Vatikanischen Gärten zurückzuziehen. Er wollte die letzten Jahre seines Lebens dem Gebet, der Meditation und dem Studium widmen. Die Stille wurde zum kostbaren Gefäß eines Lebens fern des Lärms und der Gewalt der Welt. Bis zum heutigen Tag hat Benedikt XVI. nur selten darin eingewilligt, seine Meinung über die wichtigen Themen des kirchlichen Lebens zu äußern.

Daher ist der Text, den er jetzt veröffentlicht, außerordentlich. Die Absicht Benedikts XVI. wird in seiner Einführung klar ausgesprochen: »In Anbetracht der dauerhaften Krise, die das Priestertum seit vielen Jahren erlebt, erschien es mir notwendig, zu den tiefen Wurzeln des Problems zurückzukehren.«

Die erfahrenen Leser des emeritierten Papstes werden mühelos den Stil, die Logik und die wunderbare Pädagogik des Verfassers der Jesus-Trilogie erkennen. Die Gedanken sind sorgfältig geordnet, die Bezüge zahlreich und die Argumentation ist fein ziseliert.

Der emeritierte Papst und Kardinal Sarah sind enge Freunde. Sie schreiben sich und tauschen Meinungen, Hoffnungen und Befürchtungen aus. Im Oktober 2019 hat die Amazonas-Synode, eine Versammlung von Bischöfen, Geistlichen und Missionaren, die sich der Zukunft dieser riesigen Region widmete, für Kontroversen innerhalb der Kirche gesorgt, bei denen über die Zukunft des katholischen Priestertums unterschiedlich argumentiert wurde. Schon ab Spätsommer 2019 haben Benedikt XVI. und Kardinal Sarah Texte, Gedanken und Vorschläge ausgetauscht. Sie kamen zusammen, um den folgenden Buchseiten die größtmögliche Klarheit zu verleihen.

Ich wurde zum privilegierten und bewundernden Zeugen dieses Dialogs. Ich bin ihnen für die Ehre, der Herausgeber dieses Buches sein zu dürfen, zutiefst dankbar.

Der Text Benedikts XVI. heißt schlicht: »Das katholische Priestertum.« Zu Beginn erläutert der emeritierte Papst seine Herangehensweise: »An der Basis der schwierigen Situation, in der das Priestertum heute steht, findet man einen methodologischen Fehler in der Wahrnehmung der Schrift als Wort Gottes.« Das sind strenge, beunruhigende, fast unglaubliche Worte.

Die Zusammenarbeit mit Kardinal Sarah erschien ihm naheliegend und wichtig. Der emeritierte Papst kennt die tiefe Spiritualität des Kardinals, seine Verbundenheit mit dem Gebet, seine Weisheit. Er vertraut ihm. Im Vorwort zu Kraft der Stille schrieb Benedikt XVI. während der Karwoche des Jahres 2017: »Kardinal Sarah ist ein geistlicher Lehrer, der aus der Tiefe des Schweigens mit dem Herrn, aus der inneren Einheit mit ihm spricht und so einem jeden von uns wirklich etwas zu sagen hat. Papst Franziskus müssen wir dankbar sein, dass er einen solchen geistlichen Lehrer an die Spitze der Kongregation gesetzt hat, die für die Feier der Liturgie in der Kirche zuständig ist.«1

Kardinal Sarah wiederum bewundert das theologische Werk von Benedikt XVI., die Kraft seiner Gedanken, seine Demut und seine Barmherzigkeit.

Ein Satz der Einführung bringt die Absicht der Verfasser vollkommen zum Ausdruck: »Aufgrund der Ähnlichkeit unserer Sorgen und der Schlüsse, die wir ziehen, haben wir den Entschluss gefasst, die Frucht unserer Arbeit und unserer geistigen Freundschaft allen Gläubigen zur Verfügung zu stellen, wie es der heilige Augustinus getan hat.«

Die Lage ist einfach. Zwei Bischöfe haben nachgedacht. Zwei Bischöfe haben die Frucht ihrer tiefen Überlegungen öffentlich machen wollen. Der Text Benedikts XVI. ist von hohem theologischem Format. Derjenige Kardinal Sarahs besitzt eine gewaltige katechetische Kraft. Die Argumente begegnen sich, die Worte ergänzen einander, die Autoren stimulieren sich gegenseitig.

Kardinal Sarah hat seinem Text den Titel »Bis zum Äußersten lieben. Ein ekklosiologischer und pastoraler Blick auf das priesterliche Zölibat« gegeben. Wir finden in diesem Text den Mut, die Radikalität und die Mystik wieder, die alle seine Bücher zum Glühen bringen.

Im Schlusswort heißt es: »Es ist dringend notwendig, dass alle, Bischöfe, Priester und Laien, sich von den schlechten Plädoyers, den theatralischen Inszenierungen, den teuflischen Lügen, den modischen Irrtümern, die den priesterlichen Zölibat destabilisieren wollen, nicht mehr beeinflussen lassen.«

Offensichtlich wollten der emeritierte Papst und Kardinal Sarah nichts von der Sorge verbergen, die ihre Herzen ergriffen hat. Sie sind aber mit dem heiligen Augustinus, an den sie sich oft wenden, zu vertraut, um nicht zu wissen, dass die Liebe immer das letzte Wort hat.

Der Wahlspruch von Kardinal Joseph Ratzinger war: »Ut cooperatores simus veritatis«: »Wir müssen so dienen, dass wir Mitarbeiter der Wahrheit sind.« Im Alter von zweiundneunzig Jahren wollte er mit diesem Text noch einmal der Wahrheit dienen. Der Wahlspruch von Kardinal Sarah, den er als junger Erzbischof von Conakry, der Hauptstadt von Guinea, wählte, lautet: »Sufficit tibi gratia mea«: »Meine Gnade genügt dir.« Sie entstammt dem zweiten Brief an die Korinther, in dem der Apostel Paulus seine Zweifel beschreibt, als er befürchtet, die Lehre des Evangeliums nicht wirksam vermitteln zu können. Aber Gott antwortet ihm: »Meine Gnade genügt dir; denn die Kraft wird in der Schwachheit vollendet.« (2 Kor 12,9).

Ich möchte mit zwei Zitaten schließen, die heute mit besonderer Kraft nachhallen. Das erste stammt aus der Pfingstpredigt Benedikts XVI. vom 31. Mai 2009: »Wie es eine Luftverschmutzung gibt, die die Umwelt und die Lebewesen vergiftet, gibt es eine Verschmutzung des Herzens, die das spirituelle Leben abtötet und vergiftet.« Das zweite ist dem Tor des Geheimnisses der zweiten Tugend von Charles Péguy entnommen: »Was mich wundert, sagt Gott, das ist die Hoffnung. Ich kann es einfach nicht fassen. Diese kleine Hoffnung, die nach Nichts ausschaut. Dieses kleine Mädchen Hoffnung.«2

Indem sie in der Tiefe ihrer Herzen suchen, wollen Benedikt XVI. und Kardinal Robert Sarah diese Verschmutzung vertreiben und die Tore der Hoffnung aufstoßen.

Nicolas Diat

Rom, am 6. Dezember 2019


1 Robert Kardinal Sarah mit Nicolas Diat, Kraft der Stille, Kißlegg 2017, S. 13.

2 Charles Péguy, Le Porche du mystère de la deuxième vertu, 1929.

Einführung

Wovor fürchtet Ihr Euch?

In einem berühmten Brief an den donatistischen Bischof Maximinus kündigt der heilige Augustinus seine Absicht an, seine Korrespondenz zu veröffentlichen. »Was kann ich tun, fragt er, »außer den katholischen Gläubigen unsere Briefe vorzulesen, damit sie sich an ihnen bilden?« Wir haben uns entschieden, dem Beispiel des Bischofs von Hippo zu folgen.

Wir sind in den letzten Monaten zusammengekommen, als in der Welt der von einer seltsamen Mediensynode erzeugte Lärm widerhallte, der die wahre Synode verdeckte. Wir haben unsere Ideen und Sorgen ausgetauscht. Wir haben gebetet und in Stille meditiert. Jede Begegnung hat uns gestärkt und beruhigt. Unsere auf verschiedenen Wegen geführten Überlegungen haben uns dazu gebracht, uns gegenseitig Briefe zu schreiben. Aufgrund der Ähnlichkeit unserer Sorgen und der Schlüsse, die wir ziehen, haben wir den Entschluss gefasst, die Frucht unserer Arbeit und unserer geistigen Freundschaft allen Gläubigen zur Verfügung zu stellen, wie es der heilige Augustinus getan hat.

Wir können wie er behaupten: »Silere non possum! Ich kann nicht schweigen! Ich weiß nämlich, wie verderblich das Schweigen für mich wäre. Denn ich will mich nicht in kirchlichen Ehren gefallen, sondern bedenke, dass ich Christus, dem ersten unter den Hirten, für die Schafe, die mir anvertraut waren, werde Rechenschaft ablegen müssen. Ich kann nicht schweigen oder so tun, als ob ich nichts wüsste.«3

Als Bischöfe tragen wir die Fürsorge für alle Kirchen. Mit einem großen Verlangen nach Frieden und Einheit schenken wir daher unseren Brüdern, Bischöfen, Priestern und Laien aus der ganzen Welt das Ergebnis unseres Austauschs.

Wir tun dies in einem Geist der Liebe für die Einheit der Kirche. Wenn die Ideologie spaltet, einigt die Wahrheit die Herzen. Die Lehre des Heils zu ergründen, kann nur dazu führen, die Kirche um ihren göttlichen Herrn zu versammeln.

Wir tun dies in einem Geist der Barmherzigkeit. Es schien uns nützlich und notwendig, diese Arbeit zu einem Zeitpunkt zu veröffentlichen, an dem die Gemüter sich scheinbar beruhigt haben. Jeder wird unsere Beobachtungen ergänzen oder kritisieren können. Die Suche nach der Wahrheit kann nur erfolgen, wenn das Herz sich öffnet.

So schenken wir diese Überlegungen dem Volke Gottes in einem Geist der Brüderlichkeit und selbstverständlich auch Papst Franziskus mit kindlichem Gehorsam.

Ganz besonders haben wir an die Priester gedacht. Unser priesterliches Herz wollte sie stärken und ermutigen. Mit allen Priestern beten wir: Rette uns, oh Herr, wir gehen unter! Der Herr schläft, während der Sturm entfesselt ist. Er lässt uns scheinbar in den Fluten des Zweifels und Irrtums versinken. Wir sind versucht, die Hoffnung zu verlieren. Von allen Seiten überschwemmen die Wellen des Relativismus das Boot der Kirche. Die Apostel fürchten sich. Ihr Glaube ist schwächer geworden. Auch die Kirche scheint manchmal zu wanken. Im Herzen des Sturms wurde das Vertrauen der Apostel in Jesus Christus erschüttert. Wir erleben heute das gleiche Mysterium. Dennoch sind wir zutiefst in Frieden, denn wir wissen, dass Jesus das Boot steuert. Wir wissen, das es niemals untergehen wird. Wir glauben, dass es allein uns zum Hafen des ewigen Heils führen kann.

Wir wissen, dass Jesus anwesend ist, dass er bei uns ist im Boot. Wir wollen Ihm erneut unsere bedingungslose, gänzliche, ungeteilte Treue und Zuversicht versichern. Wir wollen Ihm dieses große »Ja« wiederholen, das wir Ihm am Tag unserer Priesterweihe gegeben haben. Dieses vollständige »Ja« erleben wir täglich in unserem priesterlichen Zölibat. Denn unser Zölibat ist ein Glaubensbekenntnis. Er ist ein Zeugnis, weil er uns erlaubt, in ein Leben einzutreten, das nur von Gott Sinn erhält. Unser Zölibat ist Zeugnis, das heißt Märtyrertum. Das griechische Wort enthält beide Bedeutungen. Im Sturm müssen wir Priester erneut behaupten, dass wir bereit sind, das Leben für Christus zu verlieren. Tag für Tag geben wir davon durch unseren Zölibat Zeugnis, durch das wir unser Leben hinschenken.

Jesus schläft im Boot. Aber wenn wir anfangen zu zögern, wenn wir uns davor fürchten, in Ihn unser Vertrauen zu setzen, wenn der Zölibat uns zurückschrecken lässt, dann sollten wir vor Seinem Vorwurf Angst haben: »Warum habt ihr solche Angst, ihr Kleingläubigen?« (Mt 8,26).

Robert Kardinal Sarah

Vatikanstadt, September 2019


3 Heiliger Augustinus, Epist. 23,7.