VON STEFAN KRUECKEN HRSG. UND OLAF KANTER
DAS KLEINE BUCH VOM MEER – INSELN
Originalausgabe, Februar 2020
Alle Rechte vorbehalten
© 2020 by Ankerherz Verlag GmbH, Hollenstedt
Texte: Olaf Kanter, Hamburg; Nantucket, Dursey, Rockall, Rungholt
Stefan Krücken, Hollenstedt; alle anderen Inselgeschichten.
Fotografie: Andree Kaiser/Ankerherz Verlag (Färöer, Spitzbergen); Ankerherz Archiv
iStock S. 42, 59, 116, 225, 230, 235
Illustration: Bernd Muss, Hamburg
Titelgestaltung: Susanne Schmaus, Berlin
Gestaltung und Satz: Daniela Greven, Berlin; Susanne Schmaus, Berlin
Reinzeichnung: Markus Drangsal, Berlin
Lektorat: Olaf Kanter, Hamburg
Korrektorat: Sarah Schroepf, Losheim am See
Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet unter http://d-nb.de abrufbar.
Ankerherz Verlag GmbH, Hollenstedt
info@ankerherz.de
www.ankerherz.de
ISBN 978-3-945877-31-9
eISBN 978-3-945877-82-1
VORWORT
Reif für die Inseln
GEDICHT
Die Insel von Rainer Maria Rilke
01
FÖHR
Die Insel der Kapitäne
02
SYLT
Die Legende von Pidder Lüng
03
FIRE ISLAND
Der Wellenbrecher
DEUTSCHLANDS UNBEWOHNTE INSELN
04
NANTUCKET
Die Insel der Jäger
IM LABOR DES LEBENS
Romane, die auf Inseln spielen
05
DURSEY ISLAND
Der Knopf Richtung Insel
DIE INSELN DER SUPERREICHEN
06
FÄRÖER
Die Insel der Wikinger
07
JUIST
Die Insel der Spätzünder
WISSEN
Wie entstehen eigentlich Inseln?
HELGOLAND
Die deutscheste aller Inseln. Ein Insel-Abc
GEDICHT
Die Insel von James Krüss
SIEBEN LIEDER ÜBER INSELN
08
ROCKALL
Der Felsen
09
WANGEROOGE
Die Insel mit dem Zug
DEUTSCHLANDS GRÖSSTE INSELN
10
RUNGHOLT
Die versunkene Insel
ISLAND
33 Fakten
11
AMELAND
Die Insel mit dem Pferderettungsboot
12
JERSEY
Die Insel der Schmuggler
DIE EINSAMSTEN INSELN
13
SPIEKEROOG
Die Geschichte vom Drinkeldodenkarkhoff
14
SPITZBERGEN
Die Insel der Eisbären
15
USEDOM
Ein Strandfoto
DIE 20 GRÖSSTEN INSELN DER ERDE
16
LANGEOOG
Die Geschichte der Familie Leiß
17
VLIELAND
Im Abendboot nach Lummerland
18
BORKUM
Die Strandräuber von Borkum
DIE GETEILTEN INSELN
19
KEY WEST
Die Insel der freien Geister
20
RÜGEN
Von Störtebeker und Bernstein
Wer das Meer mag, der liebt auch eine Insel. Ein kleines Stück Land inmitten der Welt, und doch weit weg von allem. Inseln stehen für Sehnsucht, für Wind und Weite und Wellen, für eine eigene Romantik. Inseln sind Rückzugsgebiete, und wenn wir auf unserer liebsten Insel sind, dann stellen wir auf der Fähre die Telefone aus und haben das Gefühl, dass der Alltag hinter dem Horizont verschwindet.
Darum soll es in diesem Buch gehen: um dieses besondere Inselgefühl.
Dieses Buch soll eine kleine Flucht bieten. Immer mal aufblättern, eine Insel besuchen, für die Lesezeit der Geschichte in eine andere Welt abtauchen. Diese Idee liegt allen Büchern der neuen Reihe „Kleines Buch vom Meer“ zugrunde. Mit den Inseln fängt alles an.
Die Inseln in diesem Buch sind eine Auswahl unserer liebsten Inseln. Mit Ausnahme des versunkenen Rungholt und des lebensfeindlichen Felsens Rockall haben wir alle besucht. Dieses Buch ist gewissermaßen die Essenz unserer Insel-Erfahrungen, nach mehreren Jahrzehnten Beschäftigung mit Themen vom Meer.
Ein Schwerpunkt liegt vor der deutschen Küste. Wir starten mit der Insel der Kapitäne und schließen mit Deutschlands größter Insel. Ein Herzstück des Buches ist Helgoland, der Rote Felsen in der Nordsee. Wenn man die ganz große Karte betrachtet, dann hat dieses Buch einen Schwerpunkt auf den nordischen Meeren. Rau und wild, das mögen wir an der See eben besonders.
Wir sind auf Nantucket und auf Key West, auf Spitzbergen ganz im Norden und auf dem Wellenbrecher Fire Island vor New York City. Wir haben mit Schmugglern, mit Legenden, mit Piraten und mit anderen Touristen zu tun. Verliebt sind wir in Vlieland und Island.
Allen Lesern wünschen wir schöne Reisen mit unserem ersten „Kleinen Buch vom Meer“!
DIE NÄCHSTE FLUT VERWISCHT DEN WEG IM WATT,
UND ALLES WIRD AUF ALLEN SEITEN GLEICH;
DIE KLEINE INSEL ABER DRAUSSEN HAT
DIE AUGEN ZU; VERWIRREND KREIST DER DEICH
UM IHRE WOHNER, DIE IN EINEN SCHLAF
GEBOREN WERDEN, DRIN SIE VIELE WELTEN
VERWECHSELN, SCHWEIGEND; DENN SIE REDEN SELTEN,
UND JEDER SATZ IST WIE EIN EPITAPH
FÜR ETWAS ANGESCHWEMMTES, UNBEKANNTES,
DAS UNERKLÄRT ZU IHNEN KOMMT UND BLEIBT.
UND SO IST ALLES, WAS IHR BLICK BESCHREIBT
VON KINDHEIT AN: NICHT AUF SIE ANGEWANDTES,
ZU GROSSES, RÜCKSICHTSLOSES, HERGESANDTES,
DAS IHRE EINSAMKEIT NOCH ÜBERTREIBT.
Alte Steine erzählen die Geschichten der Kapitäne. Der Wind hat sie schief gestellt, und das Wetter der Nordsee hat sie geschliffen. Einige sind von Moos bewachsen, manche völlig verwittert. Auf fast allen sieht man ein Kreuz, ein Herz und einen Anker, die drei Symbole der christlichen Seefahrt.
Glaube.
Liebe.
Hoffnung.
Föhr ist die Insel der Kapitäne.
Auf dem Friedhof des Dorfes Süderende, im Westen der Insel, neben dem Backsteinturm der Pfarrkirche „Sankt Laurentii“, sprechen die Steine zu den Besuchern. Zum Beispiel erzählen sie von Früd Faltings, geboren am 23. Dezember 1783, der 1811 Ingke Olufs zur Frau nahm, die ihm drei Kinder gebar. 23 Jahre lang führte er ein Schiff aus Kopenhagen und brachte seine Familie zu Wohlstand. So steht es in schwarzen Buchstaben auf weißem Grund.
Vom Segen, den die Seefahrt brachte, ist manches noch zu sehen in den Inseldörfern, deren Namen klingen, als würden sie allesamt aus einem Asterix-Heft stammen: Klein-Dunsum, Wrixum, Hedehusum. Weiße Kapitänshäuser unter Reet sind Belege eines gewissen Wohlstands, und manches Gartentor ist aus den Knochen eines Wales gebaut. Auf allen Inseln, deren Boden es beinahe unmöglich machte, etwas zu ernten, und auf denen es an Brennmaterial mangelte, wagten sich die Bewohner hinaus aufs Meer. Sie mussten hinaus, wenn sie überleben wollten.
Aber kaum irgendwo geschah das so konsequent wie auf Föhr, dessen Name sich herleitet vom friesischen Begriff „feer“, was „unfruchtbar“ bedeutet. 82 Quadratkilometer Strand und Dünen und Land auf 54° 43' Nord, 8° 30' Ost, wie in einem großen Schutzbecken zwischen Sylt, Amrum und den Halligen gelegen. Wer abends am Strand von Nieblum entlangspaziert, sieht weit über das Watt und in der Ferne die Lichter der Warften. Föhr: Das ist eine Insel trotziger Nordfriesen, die sich gegen die Dänen auflehnten und später wegen der Preußen in Scharen auswanderten. Bis ins Jahr 1864 war die Insel zweigeteilt, zumindest amtlich gesehen. Der Westen gehörte dem König Dänemarks. Der Osten dem Herzog von Schleswig. Die Trennung lief genau durch die Insel und mitten durch das Dorf Nieblum. Auf der Flagge Föhrs steht bis heute der Leitspruch: „Lewwer duad üs Slaav“. Lieber tot als Sklave.
Ein Aspekt zieht sich durch die Geschichte dieser Insel: die Seefahrt. „Noch zu meiner Zeit fuhren alle Männer im Westen der Insel zur See“, sagt Nickels Peter Hinrichsen, Jahrgang 1939, ein drahtiger Mann mit fein gestutztem Schnurrbart. In Seefahrerkreisen gilt Hinrichsen als eine Autorität. Unter seinem Kommando segelte die „Gorch Fock“, als sie noch der Stolz der Marine war, einst ganz nahe an den Hafen der Inselhauptstadt Wyk heran. Ein riskantes Manöver für ein Segelschiff im Wattenmeer – und eines, bei dem Triumph und Spott dicht im Schlick nebeneinanderlagen. Zwei Jahre lang hatte Hinrichsen mögliche Veränderungen des Wasserstands beobachtet, die Gezeiten geduldig studiert und analysiert, wann die Durchfahrt der engen Priele möglich war. „Auf Höhe ‚Rütergat‘ war die Fahrrinne nur bei voller Tide zu schaffen“, berichtet Hinrichsen. Mehr als 100 Segler, Fischkutter und Jachten begleiteten die Bark auf dem letzten Abschnitt. Eine Seemeile vor dem Hafen von Wyk gab Hinrichsen den Befehl, Anker fallen zu lassen, was Tausende Schaulustige an der Uferpromenade feierten.
Mit seinem mutigen Manöver, das manchem auf der Insel als „Jahrhundertereignis“ gilt, hätte sich Hinrichsen gewiss auch den Respekt der alten Seefahrer verdient. Ein Kapitän von Föhr zu sein, das bedeutete einst einen Status, wie ihn heute Fußballer aus Brasilien, Autobauer aus Schwaben oder Panflötenprofis aus Peru genießen: Sie galten als die Besten ihres Fachs.
Mit dem Walfang im nördlichen Eismeer, mit der Gewinnung des begehrten Rohstoffs Tran, hatte für das arme Föhr ein goldenes Zeitalter begonnen; im 17. und 18. Jahrhundert setzten besonders englische und hanseatische Kompanien auf die Dienste der Inselfriesen, was dazu führte, dass Frauen auf Föhr in den Sommermonaten weitestgehend unter sich blieben. 1750 lebten 5500 Menschen auf der Insel, von denen statistisch beinahe jeder Dritte zur See fuhr, darunter 150 sogar als Kapitäne und weitere 75 als Steuermänner. Nur Kinder, Greise und solche, denen man die gefährliche Reise nicht zutraute, blieben zurück. Es ist überliefert, dass sogar zehnjährige Bengel zur See gingen.
Dass sich im weiten Umkreis herumsprach, wie versiert die Seeleute von Föhr waren, liegt nicht nur an der oft besungenen Zähigkeit der Friesen, sondern vor allem an der Klugheit eines Pastors namens Richardus Petri, der von 1620 an fast sechs Jahrzehnte lang in St. Laurentii wirkte. Gleich nach seinem Amtsantritt hatte er damit begonnen, Männer seiner Gemeinde in Navigation, Mathematik und Astronomie zu unterrichten. Petri (der selbst niemals ein Schiff geführt hatte) knüpfte an die Ausbildung eine Bedingung: Wer es durch die kostenfreie Privatschule zum Kommandanten oder Steuermann brachte, der sollte seine Kenntnisse später kostenfrei an die Jugend weitergeben. Dieses System organisierter Selbsthilfe, im 17. Jahrhundert so modern wie heute, sorgte für hoch qualifizierten Nachwuchs und damit für Wohlstand, der die nächste Generation absicherte.
Früd Faltings, dessen Grabstein noch heute seine Geschichte erzählt, nutzte diese Chance ebenso wie ein gewisser Matthias Petersen, der zu einer echten Berühmtheit werden sollte. Petersen erlegte in seiner Laufbahn insgesamt 373 Wale, eine sagenhafte Zahl. Neben Reichtum brachte sie ihm auch einen Beinamen ein, „den er mit Zustimmung aller annahm“ (wie seine Grabplatte auf dem Friedhof von Süderende informiert): „Matthias der Glückliche“.
Geboren am Weihnachtstag des Jahres 1632, wurde er in der Seefahrtsschule des Pastors von St. Laurentii ausgebildet und bekam schon mit zarten 20 Jahren das Kommando über ein Walfangschiff. 19 Fangreisen unternahm er, vor allem in die Buchten von Spitzbergen. Als die Bestände dort ausgerottet waren, verlegten die Walfänger ihre Jagd auf die offene See, was weniger erfolgversprechend und weitaus gefährlicher war. Ging ein Schiff an die See verloren, bedeutete dies Elend und Hunger für ganze Dörfer. „Matthias der Glückliche“ aber meisterte auch diese Jahre, wobei ihm die lange Erfahrung als Kapitän zugutekam.
Die beiden Kronleuchter aus Messing, die er der Gemeinde stiftete, hängen heute noch im Kirchenschiff – und sein Name ist überall auf der Insel präsent, als Inspiration für Fischrestaurants oder Aufkleber an Straßenlaternen. Dass damals Walfänger, nach heutigem Maßstab Multimillionäre, ihre Kenntnisse weitergaben, dass sie, ganz anders als im Standesleben jener Zeit, mit Menschen jeder Schicht verkehrten, dass man sie duzte, sie sich kaum anders kleideten und verhielten als normale Matrosen, liegt an einer anderen Besonderheit der Föhringer.
„Noch heute kann man keinen größeren Fauxpas begehen, als seine materielle und geistige Überlegenheit zu zeigen“, sagt der Historiker Volkert Faltings, der die Navigationsgeschichte erforscht hat. Was erwartete Angeber auf Föhr? „Schweigendes Nichtbeachten und spöttische Blicke!“ Mehr als Wind und Wellen setzten französische Freibeuter der Familie Petersen zu. Anno 1701 wurde Petersens ältester Sohn Matz, ebenfalls Kommandant eines Walfängers, nach St. Malo entführt und erst nach nach Zahlung eines Lösegelds freigelassen. Petersen selbst wurde auf seiner letzten Reise 1702 von Franzosen aufgebracht. Er kaufte sich und seine Crew für 8000 Reichstaler frei. Seine Söhne Ock und John fielen wenig später im Kampf gegen französische Seeräuber.
Über Jahrhunderte bewährte sich das System der lokalen Wissensweitergabe, bis 1867, als die Preußen das Herzogtum Schleswig annektierten. Sie verboten die Föhrer Navigationsschule. Die Tradition, zur See zu fahren, setzte sich aber in den Familien fort. Als Kapitän Niels Held, Jahrgang 1941, ein hünenhafter Friese aus Wrixum, mit 15 Jahren seine Laufbahn begann, wusste er von seinem Großonkel, der den legendären Fünfmastsegler „Preußen“ befehligte, und drei Onkeln, die als Kapitäne zur See fuhren.
„Schon als Kind war ich im Boot unterwegs“, erinnert er sich. Für einen Einsatz auf der Azoreninsel Flores, als er 32 griechischen Seeleuten das Leben rettete, erhielt Held die höchste Auszeichnung, die von der „Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger“ (DgzRS) verliehen wird. Er hatte jeden Seemann, der nach einer Strandung des Frachters in einer tosenden Brandung vor der Steilküste festsaß, einzeln gerettet. 32 Männer rettete er, 32 Mal unter Einsatz des eigenen Lebens. Nach solchen Details befragt, zeigt sich Held irritiert. „Was ist so Besonderes daran? Das hätten Sie doch auch so gemacht!“
Diese Bescheidenheit, dieses Bedürfnis, sich selbst nicht zu wichtig zu nehmen und solche, die sich wichtig nehmen, besonders unwichtig zu behandeln, ist überall auf der Insel spürbar. Auch nach vielen Besuchen fällt die Freundlichkeit der Bewohner immer wieder auf. Wer durch die Gassen von Nieblum schlendert, dem romantischsten Inseldorf, in dem ein Reetdachhaus gemütlicher ist als das nächste, wer mit einem Friesentee abends vor dem Kamin hockt, wenn der Wind um die Ecken pfeift, der möge sich auch an die Erlebnisse der Kapitäne von Föhr erinnern und ihre Geschichten lesen.
Föhr ist die größte und bevölkerungsreichste Insel Deutschlands ohne Landverbindung. Sie weist im Unterschied zu anderen Inseln, die vom Tourismus abhängig sind, eine Besonderheit auf. Auch Föhr lebt von den Gästen, die auf die Insel kommen, und im Herbst und Winter, wenn die Stürme über die Nordsee ziehen, geht es ruhiger zu. Doch die „Hauptstadt“ Wyk, ein Dorf von viereinhalbtausend Einwohnern ganz im Südosten der Insel, die im Sommer zur Kleinstadt mit 20.000 Bewohnern anwächst, ist das ganze Jahr über lebendig. Es gibt ein Einkaufszentrum, eine Fußgängerzone mit kleinen Läden und vielen Fischgeschäften, ein Krankenhaus und das Gefühl, dass rund ums Jahr etwas los ist. Szenen wie auf der Nachbarinsel Sylt, wo manche Orte in den Wintermonaten Geisterdörfern gleichen, in denen kein Licht mehr brennt, gibt es nicht.
Das Wappen von Wyk zeigt ein havariertes Segelschiff auf blauen Wellen vor rotem Hintergrund und unter einem hell leuchtenden Stern; auf dem Spruchband darunter steht: „Incertum quo fata ferunt“, was übersetzt bedeutet: „Ungewiss ist, wohin das Schicksal führt.“ Dieses Wappen weist also auf die Gefahren der Seefahrt hin – inklusive Mastbruch. Der Stern möge der Stadt als Orientierungspunkt den Weg weisen.
Als der dänische Dichter Hans Christian Andersen 1844 die Insel besuchte, schrieb er: „Ich habe jeden Tag gebadet, und ich muss sagen, es ist das unvergesslichste Wasser, in dem ich je gewesen bin.“ Was genau am Föhrer Wasser so besonders war, führte er nicht weiter aus, allerdings beschrieb er die lange Anreise. Wer damals nach Föhr wollte, war von Hamburg aus vier Tage lang unterwegs. Von der populären Insel Helgoland aus waren es zwei Tage, allerdings über See, was nicht allen bekam.
Heute geht der Transport schnell und reibungslos auf Autofähren, die an Bügeleisen erinnern und die extra gebaut sind für das flache Wattenmeer. Wer mit ihnen unterwegs ist, sollte an einen anderen Seemann von Föhr denken. An Hans Erich Brathering, einen Kapitän mit Bart und schwarzem Humor, der mit einer solchen Fähre vor einigen Jahren bis Gibraltar fuhr. Im Herbst, im Sturm, durch die Wellen der offenen Nordsee und der gefürchteten Biskaya. Ein thailändischer Hotelunternehmer hatte die Fähre „Nordfriesland“ gekauft, und jemand musste sie sicher nach Asien bringen. Vor allem die erste Etappe über die Meere des Nordens war eine heikle Sache. Keiner wollte, doch einer musste es machen.
Selbst als in hoher Dünung die Treibstoffleitungen der kleinen Fähre verstopften, als die Funkanlage ausfiel, als der thailändische Kapitän seekrank wurde und der Maschinist nur durch Trunkenheit auffiel, blieb Brathering so gelassen, wie es sich für einen Kapitän von Föhr gehört. „Dass es keine Spazierfahrt werden würde, war mir klar. Ich freute mich über das Abenteuer. Meine Familie fährt seit vielen Generationen zur See, und ich hatte schon früh gelernt, ein Boot zu steuern.“ Schon früh gelernt, das meint: Um als Kind ans Steuerrad zu gelangen, hatte Brathering einen Hocker unter den Füßen.
Die kleine Fähre schaffte es bis Thailand, wie Brathering später im „Inselboten“ las, der Heimatzeitung auf Föhr. Eine Urlauberin hatte die ehemalige „Nordfriesland“ erkannt und fotografiert. Bratherings Sehnsucht, die heutige „Raja 1“ wiederzusehen, hält sich in Grenzen. „Bei uns auf Föhr ist es ohnehin schöner als auf Ko Samui“, sagt er.
Zu Inseln gehören Mythen und Sagen, die sich am Feuer erzählt wurden, wenn der Sturm um die Häuser brüllte. Besonders verdient machte sich der Holsteiner Dichter Detlev von Liliencron (1844 –1909). Ihm ist es zu verdanken, dass die versunkene Insel Rungholt ins kollektive Gedächtnis des Nordens überging. Von ihm stammt auch der Ausruf: „Lewwer duad üs Slaav!“, lieber tot als Sklave. Der Ausspruch wurde so etwas wie ein Werbeslogan für die Trotzigkeit der Nordfriesen und fehlt heute in keinem Faltblatt einer Bürgerinitiative.
Der Satz stammt aus der Ballade „Pidder Lüng“, die ausgerechnet auf Sylt spielt, heute weniger für sozialkritische Parolen als eher für den Porsche Cayenne bekannt. Diese Ballade wiederum geht zurück auf eine mehr als zweihundert Jahre alte Geschichte von Christian Peter Hansen und spielt zur Zeit der dänischen Besatzung.
Ein Amtmann namens Henning Pogwisch betritt die Hütte des Fischers Pidder Lüng und seiner Eltern, um Steuern einzutreiben. Der Fischer aber weigert sich und verweist auf die gewohnheitsrechtlichen Freiheiten der Friesen:
Frii es de Feskfang, |
Frei ist der Fischfang, |
frii es de Jaght, |
frei ist die Jagd, |
frii es de Strönthgang, |
frei ist der Strandgang, |
frii es de Naght, |
frei ist die Nacht, |
frii es de See, de wilde See |
frei ist die See, die wilde See |
en de Hornemmer Rhee. |
an der Hörnumer Reede. |
|
|
Lewwer duad üs Slaav! |
Lieber tot als Sklave! |
Was beim Steuereintreiber auf wenig Verständnis stößt. Er beleidigt Lüng und seine Familie nicht nur, sondern spuckt in einen Topf mit dampfendem Grünkohl. Der Fischer ist nun außer sich und steckt Pogwisch mit den Worten „Wer in den Kohl spuckt, der soll ihn auch fressen“ in den Topf, bis dieser erstickt. Die bewaffnete Eskorte ersticht Lüng und zieht zu einer Racheaktion über die Insel. Jede Strophe endet mit der Parole „Lewwer duad üs Slaav!“.
In einer anderen Version flüchtet Lüng mit dem Boot seines Vaters von Sylt und segelt jahrelang über die Nordsee, bevor er sich nach Hörnum zurücktraut, um eine Mannschaft zusammenzustellen und eine zweite Karriere als Pirat zu beginnen. Auf die Insel kehrt er nur noch selten zurück; seine erfolgreichen Raubzüge lassen ihn leichtsinnig werden. In Westerland lockt man ihn in eine Falle. Gemeinsam mit anderen verurteilt man ihn zum Tode.
Wir kamen kurz nach einem Wintersturm auf die Insel, diesen schmalen Wellenbrecher vor Long Island. Der Strand war einsam. Alles wirkte zerzaust, als wir am Fire Island Lighthouse spazieren gingen. Im Inselmuseum hängen Titelseiten, die von Hurrikanen und Schiffsunglücken erzählen. Ein magischer, ein wilder Ort im Atlantik, so nahe an New York City.
Hätten Sie's gewusst? Vor den deutschen Küsten liegen an die vierzig unbewohnte Inseln, und einige sind sogar Hunderte Hektar groß. Robinson hätte sich allerdings nur auf den wenigsten wohlgefühlt. Sie sind wirklich nur etwas für Hartgesottene – Möwen, Austernfischer, Heidschnucken.
Einladend sehen die meisten nicht unbedingt aus. Aber sie erfüllen die Definition. Insel: ein Stück Land, das selbst bei Hochwasser noch über den Meeresspiegel rausguckt. Unbewohnt heißt: keine Menschen. Robben und Vögel zählen nicht, der Vogelwart, der ein paar Monate im Jahr bei ihnen verbringt, auch nicht.
Einige der unwirtlichen Flecken schaffen es nur so eben gerade auf die Liste: Japsand, der nördlichste und kleinste der nordfriesischen Außensände ist komplett unbewachsen, das Eiland ragt einen Meter aus dem Wasser und geht bei Sturmflut ganz unter. Mellum, erst Ende des 19. Jahrhunderts entstanden, weist immerhin drei Meter über null aus. Hier sind inzwischen 200 Pflanzenarten heimisch. Und im Zweiten Weltkrieg gab es hier tatsächlich auch Bewohner – die Besatzung einer Flak-Batterie.
Auf der Insel Walfisch in der Wismarer Bucht stand während des Dreißigjährigen Kriegs sogar eine ausgewachsene Festung. Heute herrschen Möwen, Gänse, Austernfischer und Seeschwalben über die knapp neun Hektar Land. Die Greifswalder Oie hingegen sieht schon eher wie eine richtige Insel aus: Steilküste, Wald, Leuchtturm. Im 19. Jahrhundert wurde hier Landwirtschaft betrieben, bis in die 1930er- Jahre kamen sogar Touristen. Dann rückte die Wehrmacht ein, die Oie wurde zur Außenstelle der Heeresversuchsanstalt Peenemünde, eine Plattform für Raketenstarts. Nach dem Krieg sprengte die Rote Armee die Anlagen, später zog die 6. Grenzbrigade Küste der Volksarmee ein.
Erst seit 1995 ist Frieden auf der Insel eingekehrt – sie wurde zum Naturschutzgebiet erklärt. Von Peenemünde und Freest kommen Ausflugsdampfer herüber, doch mehr als fünfzig Gäste am Tag sind nicht erlaubt. Wenn sie weg sind, gehört die Oie den gefräßigen Heidschnucken, die angesiedelt wurden, um die Vegetation im Zaum zu halten.
Name |
Wo? |
Größe in Hektar |
Blauort |
in der Meldorfer Bucht |
60 |
Helmsand |
in der Meldorfer Bucht |
5 |
Japsand |
vor Hallig Hooge |
290 |
Kachelotsand |
vor Juist |
172 |
Langlütjen I |
in der Wesermündung |
2 |
Langlütjen II |
in der Wesermündung |
2 |
Lütje Horn |
vor Borkum |
7 |
Mellum |
vor Horumersiel |
300 |
Memmert |
vor Borkum |
517 |
Minser Oog |
vor Wangerooge |
370 |
Nigehörn |
in der Helgoländer Bucht |
6 |
Norderoogsand |
vor Pellworm |
940 |
Scharhörn |
in der Helgoländer Bucht |
43 |
Süderoogsand |
vor Pellworm |
1500 |
Trischen |
in der Meldorfer Bucht |
180 |
Name |
Wo? |
Größe in Hektar |
Balmer Werder |
im Achterwasser |
6 |
Barther Oie |
im Barther Bodden |
68 |
Beuchel |
in der Neuendorfer Wiek |
7 |
Bock |
vor Hiddensee |
340 |
Fährinsel |
vor Hiddensee |
37 |
Gänsewerder |
im Schaproder Bodden |
4 |
Greifswalder Oie |
in der Pommerschen Bucht |
54 |
Große Wotig |
im Peenestrom |
82 |
Heuwiese |
westlich vor Rügen |
14 |
Kirr |
Darß-Zingster-Boddenkette |
370 |
Kleiner Werder |
westlich der Insel Bock |
|
Kleiner Wotig |
im Peenestrom |
7 |
Langenwerder |
in der Wismarbucht |
58 |
Liebes |
im Varbelvitzer Bodden |
20 |
Liebitz |
im Kubitzer Bodden |
64 |
Mährens |
westlich von Rügen |
2 |
Riether Werder |
im Stettiner Haff |
79 |
Riffbrink |
im Greifswalder Bodden |
0,5 |
Schadefähre |
im Peenestrom |
100 |
Tollow |
im Maltziner Wiek |
2 |
Urkewitz |
westlich von Rügen |
30 |
Walfisch |
in der Wismarbucht |
9 |
Warder |
im Lemkenhafener Wiek / Fehmarn |
10 |
Werder |
im Achterwasser |
4 |