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© 2013 Claus Heinrich Gattermann
Umschlag: Claus Heinrich Gattermann
Titelbild: Wappen der Panzergrenadierbrigade 37
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7322-6713-2
Die mehr als zwanzigjährige Geschichte der Panzergrenadierbrigade 37 aufzuschreiben, sie in einer Chronik zusammenzufassen, um sie für die Soldaten im Standort Frankenberg, an den Standorten in Thüringen und Sachsen verfügbar zu machen, das war das Ziel dieses Buches, war die Bitte vieler, die bei 37 gedient haben oder noch ihren Dienst leisten. Der Autor hat seine Aufgabe viel weiter gefasst und es ist viel mehr dabei herausgekommen: Ein Buch, das in ausgezeichneter und vor allem interessant kurzweiliger Art und Weise die kleine Geschichte der Brigade 37 mit der großen Geschichte Deutschlands nach der Wiedervereinigung verknüpft. Entstanden ist ein Werk, das bei allem gut recherchierten geschichtlichen Hintergrund auch die praktische Seite, den Blick des Brigadekommandeurs in der jeweiligen Zeit, den Blick der Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften immer wieder in den Mittelpunkt rückt. Entstanden ist ein Buch, das über Führung genauso nachdenken läßt wie über Ausrüstung und Umstrukturierung. Ein Buch, das uns zeitlich und geographisch aus Sachsen an den Hindukusch mitnimmt. Alles in allem ein Kompendium, das ich jedem Angehörigen der Panzergrenadierbrigade 37 "Freistaat Sachsen", aber darüber hinaus jedem (militär-) geschichtlich Interessierten nur empfehlen kann. Diese Empfehlung verbinde ich gleichzeitig mit dem Dank an den Autor. Die Geschichte der Panzergrenadierbrigade 37 – ein Werk, das es fortzuschreiben gilt. Fortzuschreiben durch den hervorragenden Dienst, den die Soldaten Tag für Tag im In- und Ausland leisten, aufzuschreiben durch einen Chronisten, dessen Verbundenheit mit der Brigade den Blick auf diese Menschen erlaubt. Ich wünsche Ihnen die gleiche Freude beim Lesen, die auch ich hatte.
Carsten Breuer, Brigadegeneral und Kommandeur der Panzergrenadierbrigade 37 „Freistaat Sachsen“
Die Panzergrenadierbrigade besteht nun, im Jahr 2013, rund 22 Jahre. Sie ist hervorgegangen aus einer Division der Nationalen Volksarmee, aus der 7. Panzerdivision. Und sie hat in diesen Jahren einen gewaltigen Wandel erfahren – von der Zeit der Wiedervereinigung über verschiedene Heeresstrukturen bis hin zum Heute und Jetzt. In diesen Jahren hat sich nicht nur die Brigade verändert, sondern das gesamte politische Umfeld, das die Existenz von Streitkräften nun einmal entscheidend prägt. Die Bundesrepublik Deutschland wurde zunächst souverän, dann – in den gebotenen und durch die Geschichte gesetzten Grenzen – auch zum sicherheitspolitischen Akteur in der Welt.
Man sollte meinen, die Geschichte einer Organisationseinheit des Staates, wie die Brigade 37 sie nun einmal darstellt, könne zumindest in der Vergangenheit der letzten Jahrzehnte lückenlos nachvollzogen werden. Gibt es nicht Akten in Hülle und Fülle, dazu die mündlichen Zeugnisse von zahllosen in irgendeiner Weise in die Brigadegeschichte involvierten Personen? Aus der Sicht des Autors dieser Arbeit muß man sagen: Leider nein. Geschichte findet statt, aber ihre Nachvollziehbarkeit und Deutung ist angewiesen auf Quellen, die optimalerweise schriftlich sind, aber – im Rahmen der sogenannten Oral History – durchaus auch mündlicher Natur sein können.
Die Quellen zur Geschichte der Brigade 37 nun sind überaus dürftig (aber, und das bleibt zu betonen, dank des Engagements der Brigadeführung, noch lange nicht so dürftig wie die Akten vieler anderer Truppenteile der Bundeswehr). Sie bestehen im Großen und Ganzen aus rund 35 noch nicht aufgearbeiteten Aktenordnern im Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg, die durch den Autor auf Initiative des damaligen Brigadekommandeurs, Gerd Kropf, überhaupt erst zugänglich gemacht wurden. Diese Aktenordner umfassen letztlich, bis auf wenige Ausnahmen, ausschließlich das sogenannte Friedenstagebuch der Brigade, das, zum Teil in Kopie, gewisse von der Brigadeführung als wichtig angesehene Dokumente der Jahre zwischen 1990 und 2002 enthält. Danach tut sich eine Lücke auf, die erst ab 2004/05 halbwegs wieder geschlossen wird, allerdings nur durch Pressemeldungen der Brigade nach außen – und durch einen umfangreichen elektronischen Datenbestand aus den Jahren 2005 und 2006. Anderweitige Dokumente, so die Unmenge an Schriftverkehr und Protokollen, die üblicherweise im Geschäftsgang einer Behörde anfallen, sind abgesehen von den Briefwechseln der Brigadekommandeure leider nicht überliefert.
Mit anderen Worten: Die Brigadegeschichte läßt sich nur höchst lückenhaft darstellen. Angesichts der hohen Fluktuationsrate des in Verantwortung stehenden militärischen Führungspersonals bot auch die Ausflucht in Interviews keine erfolgversprechende Alternative – die Versuche, die der Autor in dieser Hinsicht unternommen hat, haben wenig handgreifliche Informationen erbracht. Oral History ist nun einmal ein zeitraubendes Verfahren, das nur dann sinnvoll ist, wenn überhaupt genügend geeignete Interviewpartner zur Verfügung stehen.
Woran aber liegt es nun, daß eine Bundesbehörde wie die Brigade 37 keine Archivakten hervorbringt? Die Antwort findet sich zum Teil in den Quellen, die erhalten geblieben sind: 1995 befahl zum Beispiel die Brigadeführung, nicht mehr benötigtes Schriftgut zu vernichten. Grundlage war ein falsches Verständnis der Vorschrift ZDv 2/30 über die Sicherheit der Bundeswehr. Denn die sieht zwar vor, vertraulich zu behandelnde Sachverhalte nicht nach außen gelangen zu lassen – aber eben ausdrücklich nicht, entgegen dem Bundesarchivgesetz Akten zu vernichten. Somit beruht die dürftige Aktenlage auf einer fehlerhaften Rechtsinterpretation, die zukünftig möglichst abzustellen ist. Für die Abfassung dieser Brigadegeschichte kam noch komplizierend hinzu, daß auch die unterstellten Einheiten und Verbände so gut wie keinerlei Dokumente zur Verfügung stellen konnten – erst recht nicht über das Bundesarchiv-Militärarchiv. Und, noch viel schlimmer, nicht einmal die übergeordnete Stelle, also die 13. Panzergrenadierdivision, hatte etwas dazu beizutragen – sie hatte lediglich zwei Ordner mit Grundsatzbefehlen nach Freiburg überstellt. Wissenschaftlich hinreichend aufgearbeitet ist nur der komplette Datenbestand des – in diesem Zusammenhang aber nur marginal eine Rolle spielenden – Panzerartilleriebataillons 25.
Gleichwohl, auch die zur Verfügung stehenden Quellen lassen zumindest ein oberflächliches Bild auf die Brigade 37 in all ihren Phasen zu – ein Bild vom schwierigen Zusammenwachsen der beiden deutschen Staaten ebenso wie davon, wie deutsche Sicherheitspolitik umgesetzt wurde. Am Ende mag man sich die Frage stellen, wie deutsche Sicherheitspolitik in Zukunft aussehen muß. Oder: Ob denn eine Strukturreform die andere jagen muß, wenn denn schon alle Verantwortlichen ahnen, daß auch der nächste Reformschritt höchst unvollkommen sein wird. Doch das ist ein anderes Thema.
Dieses kleine Buch zerfällt in zwei Kapitel: In einem ersten wird auf den Wandel von Strukturen eingegangen, also auf Fragen von Gliederung und Ausrüstung, Ausbildung und Führung. In weiteren Abschnitten finden sich Sonderaspekte, die eine eigenständige Behandlung verdienen: Das in den letzten Jahren besonders im Fokus der Öffentlichkeit stehende Thema Auslandseinsatz, außerdem die Hilfe bei Katastrophen, das Verhältnis der Brigade zu ihrem zivilen Umfeld sowie einige Betrachtungen zur inneren, mentalen Verfassung der Truppe. Insgesamt ein Versuch, die Geschichte der Brigade 37 in möglichst vielen Facetten von der Aufstellung 1990/91 bis 2013, dem Jahr des wichtigen Unterstellungswechsels von der 13. Panzergrenadierdivision zur Division Luftbewegliche Operationen, darzustellen.
Die Anregung, eine Arbeit über die Geschichte der Brigade zu verfassen, kam aus dieser selbst – besonders vom Chef des Stabes, Oberstleutnant Zierold, der das Projekt dankenswerter Weise wohlwollend unterstützte. Gleichwohl bleibt zu betonen, daß es sich nicht um ein offizielles Schriftstück der Bundeswehr handelt, sondern um eine selbständig erstellte Studie des Autors. In ihr vertretene Meinungen, Gewichtungen und Darstellungen sind folglich ausschließlich solche des Verfassers.
Wie ein Paukenschlag trafen am neunten November 1989 die Worte Günter Schabowskis „…sofort, unverzüglich“ die deutsche Öffentlichkeit in Ost und West. Diese Antwort des SED-Politbüromitglieds auf die Frage, wann denn die geplanten neuen Ausreiseregeln für DDR-Bürger Gültigkeit erlangen würden, brachte das jahrzehntelang geübte Grenzregime der DDR innerhalb weniger Stunden, ja vielleicht sogar Minuten zum Einsturz – und in der Folgezeit nicht nur das Grenzregime, sondern die gesamte Deutsche Demokratische Republik. Der Sturz der kommunistischen SED-Diktatur, freie Wahlen, die Schaffung einer Währungsunion sowie Verhandlungen mit den bis dahin weitgehende Rechte über beide Teile Deutschlands ausübenden Siegermächten des Zweiten Weltkriegs bildeten die Stationen, über die die staatliche Wiedervereinigung Deutschlands Gestalt annahm, gekrönt vom offiziellen Vollzug am dritten Oktober 1990.
Das Aufgehen der DDR in der Bundesrepublik Deutschland führte auch dazu, daß die staatlichen Organe des Beitrittsgebiets in die der Bundesrepublik integriert wurden. Das betraf nicht zuletzt die Nationale Volksarmee (NVA), deren Verbände in die Bundeswehr überführt und dem Bundesminister der Verteidigung unterstellt wurden. Dabei war von Anfang an klar, daß eine Integration der NVA-Reste in die Bundeswehr nur unter erheblichen Transformationsprozessen erfolgen würde. Für eine komplette Übernahme und Erhaltung der NVA durch das vereinigte Deutschland fehlten sämtliche Voraussetzungen – solche ideeller Art ebenso wie sicherheitspolitische und nicht zuletzt finanzielle. Letztlich wurden im Westen etablierte Bundeswehrstandards in den Osten übertragen und im Laufe der Jahre an sich wandelnde sicherheitspolitische und haushälterische Bedingungen angepaßt.
Die 7. Panzerdivision im Raum Dresden war einer der NVA-Großverbände, die am dritten Oktober Teil der Bundeswehr wurden. Nach monatelangen Auflösungserscheinungen personell bereits stark geschwächt, umfaßte sie Anfang Oktober 1989 vermutlich immerhin noch 4.214 Soldaten – 861 Offiziere, 1.222 Unteroffiziere und Fähnriche1 sowie 2.132 Mannschaftssoldaten. Ein anderer Bericht geht von 4.490 Mann aus.
Kommandoübergabe am 05.10.1990
Die 7. Panzerdivision als eine von sechs Divisionen der NVA stand seit 1987 unter dem Kommando von Oberst Volker Bednara. Stellvertretender Divisionskommandeur war zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung Oberst Skiba. Allerdings änderte sich das nun innerhalb weniger Tage: Bereits am 26. September traf ein Vorauskommando der Bundeswehr aus fünf Bundeswehroffizieren in Dresden ein, um den Übergang in neue Befehlsstrukturen vorzubereiten. Die Oberstleutnante Thamm (i.G.), Mlinek und Thomaschewski, Hauptmann Grevé sowie Oberleutnant Schuldt trafen erste Absprachen, um den Kommandowechsel möglichst reibungslos zu gestalten. Am dritten Oktober gab Oberst Bednara ein Essen, an dem auch sein designierter Nachfolger, der aus dem Westen angereiste Brigadegeneral Andreas Wittenberg, teilnahm. Zwei Tage später fand die offizielle Kommandoübergabe statt: Der ebenfalls aus dem Westen stammende und erst seit kürzester Zeit amtierende Befehlshaber im neu entstandenen Wehrbereich VII als nunmehr vorgesetzter Kommandobehörde vollzog den Wechsel im Amt des Kommandeurs der 7. Panzerdivision. Bednara hielt eine kurze Rede, in der er seinen bis dahin unterstellten Soldaten und Zivilangestellten für ihr Engagement dankte, dann war Wittenberg neuer Kommandeur der Division.
Die Soldaten der 7. Panzerdivision trugen nun Bundeswehruniformen, in den Kasernen wehten die Flaggen der Bundesrepublik Deutschland, ein merkbares Aufbegehren der NVA gegen den Wechsel war ausgeblieben – aber dennoch war die Division natürlich noch kein reinrassiger Bundeswehrverband. Die Ausbildung der Soldaten unterschied sich ebenso von der ihrer Kameraden aus dem Westen wie die Ausstattung. Karrieren waren dabei, ihr Ende zu finden. Unsicherheit herrschte über die persönlichen Perspektiven des Einzelnen. Und selbst das militärische Umfeld hatte sich im Vergleich zur DDR-Zeit nicht schlagartig verändert: In der Nachbarschaft der Kasernen der 7. Panzerdivision lagen eben keine alten Bundeswehreinheiten, auch keine britischen oder amerikanischen Alliierten – sondern Truppenteile der Westgruppe der Truppen der Sowjetunion (WGT). Erst vor wenigen Tagen war die DDR aus dem Warschauer Pakt ausgetreten.
Eigentlich waren es nur wenige Personen, die die Bundeswehr des Westens in der 7. Panzerdivision im zu Ende gehenden Jahr 1990 repräsentierten, die aber gleichwohl an zentraler Stelle eingesetzt waren. Neben Wittenberg als Kommandeur fungierten einige Stabsoffiziere als Leiter der Stabsabteilungen S1, S2, G3 und G4,2 außerdem nahm Oberstleutnant i.G. Rzeczewski die zentrale Position des Chefs des Stabes der Division ein. Die bis vor kurzem noch im Amt gewesene Divisionsführung der NVA hatte ihre Posten weitgehend räumen müssen, lediglich Skiba war vorläufig – nun als Oberstleutnant – im Amt des Befehlshabers der Divisionstruppen verblieben. Wichtigstes Anliegen der neuen Führung war die Etablierung von Bundeswehr-Standards in der Division – bei gleichzeitig möglichst schonender Behandlung des Personalkörpers. Allerdings war schon von Beginn an klar, daß es für einen Großteil vor allem der führenden NVA-Offiziere kaum eine langfristige Perspektive in der Bundeswehr geben würde. Zu stark unterschied sich die bundesrepublikanischfreiheitliche Staatsphilosophie von der sozialistischdiktatorischen, als daß Führungspersonal eine dauerhafte Perspektive hätte haben können.