Inhaltsverzeichnis
VORWORT
TEIL 1: GRUNDLAGEN
Frage an die Statistiker: Wie gesund arbeiten wir?
Frage an Historiker und Zukunftsexperten: Wie verändert sich unsere Arbeitswelt?
Frage an die Forschung: Was ermöglicht gesundes Arbeiten?
Frage an die Controller: Rechnet sich eigentlich Gesundheitsmanagement?
Frage an die Leser: Was ist für Sie gutes Arbeiten?
TEIL 2: PRAXIS
Mein Gesundheitsmanagement-Ansatz: Ich verstehe. Ich kann. Ich will.
Organisation: Wer ist für gesundes Arbeiten verantwortlich?
Analyse: Wie gesund wird in meinem Unternehmen gearbeitet?
Die Key Facts über die Arbeit
Qualitative Annäherung an die Arbeit und die Menschen
Organisatorische Verankerung von Gesundheit
Verstehbarkeit, Machbarkeit und Sinnhaftigkeit der Arbeit
Exkurs: Mitarbeiterbefragung
Die SWOT-Analyse
Vision: Wie verstehen wir für unser Unternehmen gesundes Arbeiten?
Ziele: Woran messen wir gesundes Arbeiten und was nehmen wir uns vor?
Wirkkräfte von gutem Arbeiten und ihre Werkzeuge
Verstehbarkeit der Arbeit: Welche Werkzeuge machen die Arbeit erklärbar?
Offener, authentischer, durchschaubarer Führungsstil
Klare, einfache, ehrliche Information
Klare Jahresziele
Machbarkeit der Arbeit: Welche Werkzeuge helfen, Arbeit gut zu bewältigen?
Ein „guter“ Arbeitsplatz
Funktionierende Arbeitsprozesse
Gestaltungs- und Entscheidungsfreiraum
Angemessene Ressourcen
Care Culture
Self Care
Sinnhaftigkeit der Arbeit: Welche Werkzeuge geben der Arbeit Sinn?
Einbinden in das Ganze
Gestaltungsfreiraum, Wachstumsmöglichkeiten, Wertschätzung
Planung: Welche Schritte folgen wann, richten sich an wen und kosten wieviel?
Zielgruppen: Ist gesundes Arbeiten für jeden dasselbe?
Führungskräfte
Geschlechtergerechtigkeit oder Gender Mainstreaming
Ältere Mitarbeiter
EPILOG
ANHANG
Anhang 1: Fragebogen zur Lebensorientierung nach Antonovsky
Anhang 2: Mitarbeiterbefragung: Musterfragebogen
Anhang 3: Formblatt für das Stressprofil
Anhang 4: Formblatt für den Plan zum Stressmanagement
LITERATURVERZEICHNIS
Heute, am 27. Juni 2012, zeigt mir www.amazon.de in meiner Recherche, dass es genau 758 Bücher gibt, die sich unter dem Stichwort Gesundheitsmanagement finden lassen. Und hier entsteht nun das 759ste – oder, bis zu seiner Fertigstellung vielleicht das 767ste. Oder 784ste.
Es ist also eine Menge Forschung, erprobtes Wissen und Praxistipps in geschriebener Form verfügbar – gar nicht mit eingerechnet die Zeitschriften-Specials der letzten Jahre zum Thema Burnout oder die allgegenwärtigen Zeitungsartikel, die immer neue, dramatische Statistiken zum Thema Gesundheit verkünden.
Wozu braucht es da dieses Buch?
Dieses Buch ist aus der Beobachtung heraus entstanden, dass trotz des verfügbaren Wissens eine hohe Verunsicherung herrscht, was Gesundheitsmanagement eigentlich ist und wie es arbeitet. Fast scheint es mir, je mehr Statistiken und Umfragen wir haben und je mehr Tools bekannt sind, desto schwieriger ist es, das „passende“ Gesundheitsmanagement zu finden.
Kann das daran liegen, dass wir in der Unternehmenspraxis gutes Arbeiten eher verwalten als uns ganz einfache Frage zu stellen: „ Wie fühlt es sich eigentlich an, wenn ich richtig gut arbeite? Was brauche ich dafür – welche Umgebung, welche Aufgaben, welche Chefs, welche Unterstützung, wieviel Zeit? Wie möchte ich behandelt werden und welchen Lohn, nicht nur in finanzieller Hinsicht, brauche ich? Welche Gründe neben meinem Monatslohn gibt es überhaupt dafür, dass ich jeden Tag arbeite?“.
Dieses Buch ist das Buch einer Quereinsteigerin ins Gesundheitsmanagement, die sich dem Thema aus der Perspektive einer Fragestellerin nähert und erst einmal die Grundlagen verstehen möchte.
In Teil 1/Grundlagen frage ich deshalb
In Teil 2/Praxis stelle ich Gesundheitsmanagement in klaren Strukturen hinsichtlich Prozess und Inhalt vor. Im Sinne des eingangs gesagten möchte ich die Leser dabei immer wieder ermutigen, die vorgestellten Lösungsansätze am selbst Erfahrenen und Reflektierten kritisch zu spiegeln. Dieser Angang aus dem Eigenerleben ermöglicht ein tieferes Verständnis der Situation und ein Gefühl dafür, welches Vorgehen im individuellen Fall sinnvoll ist. Und so hilft er aus der Verunsicherung durch die vielen, möglichen Tools im bunten Gesundheitsmanagement-Angebot („Lieber eine Rückenschule oder doch das Seminar Work-Life-Balance?“).
Ich würde mir wünschen, mit diesem Buch dazu beitragen zu können, dass Gesundheitsmanagement aus einer inneren Perspektive und Überprüfung heraus klarer, übersichtlicher und nachvollziehbarer wird. Und als letztes Argument für das vielleicht 759ste Buch über Gesundheitsmanagement: Es macht einfach Sinn, sich um gesundes Arbeiten zu kümmern. Denn wir alle verbringen sehr, sehr viel Zeit beim Arbeiten.
Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen,
Katrin Hundhausen
P.S.: Um das Buch leicht lesbar zu machen, verzichte ich meistens auf die Nennung der weiblichen Form. Natürlich bezieht sich alles gleichermaßen auf Frauen wie auf Männer.
Im ersten Teil des Buches geht es darum, „gesundes Arbeiten“ tiefer zu verstehen.
Dazu beginne ich ganz wortwörtlich mit der Recherche nach dem Krankenstand in deutschen Unternehmen, frage nach der wachsenden Bedeutung von psychischen Krankheiten und versuche, ihre Ursachen zu ergründen: Beschleunigung und Komplexität der Arbeit, mangelnde Arbeitszufriedenheit und Motivation, Befürchtungen um die Jobsicherheit und das Halten des Lebensstandards, aber auch Selbstausbeutung in der Leistungsgesellschaft.
Das war nicht immer so – und ein Blick zurück in die letzten 200 Jahre zeigt, dass sich unsere gesamte Arbeits-und Lebenssituation grundlegend gewandelt hat und die Veränderungszyklen immer kürzer werden. Natürlich ist damit zu rechnen, dass diese rasante Entwicklung andauert und ein Interview mit der Trend- und Zukunftsexpertin Birgit Gebhard, das für dieses Buch entstanden ist, gibt einen Geschmack vom „Arbeiten in der Zukunft“. Darin wird klar, dass die Anforderungen an den Einzelnen nicht geringer werden.
Aber wie kann vor diesen Herausforderungen gesundes Arbeiten überhaupt aussehen? Ich stelle dazu zwei Ansätze für Betriebliches Gesundheitsmanagement vor: die Salutogenese von Aaron Antonovsky und die Arbeit von Juhani llmarinen. Salutogenese ist die inhaltliche Grundlage der Arbeit in meiner Unternehmensberatung (Atempau.se) und ihre Anwendbarkeit wird im zweiten Teil des Buches praxisnah erläutert. „Ich verstehe. Ich kann. Ich will.“, der Titel des Buches, fasst die Grundhaltung salutogenen Arbeitens plakativ zusammen und wird im zweiten Teil wie ein Kompass durch die Organisation, Planung und Ausgestaltung des Betrieblichen Gesundheitswesens führen.
Der erste Teil des Buches wird abgeschlossen mit der Frage an die Controller, ob sich ein Investment in die Gesundheit der Mitarbeiter finanziell lohnt.
„Schlechte Nachrichten“, schreibt die Wirtschaftswoche, „Laut dem neuesten Gesundheitsbericht der Techniker Krankenkasse fehlen die deutschen Erwerbstätigen immer häufiger im Job. Im Vergleich zum Vorjahr sind die Fehlzeiten bei den TK-Versicherten insgesamt um gut vier Prozent gestiegen. Jeder Beschäftigte war damit statistisch gesehen einen halben Tag mehr krankgeschrieben als 2010.“ (Wirtschaftswoche, 2012)
Die Beschäftigten fehlen pro Jahr gut zwölf Arbeitstage, davon – und das hat mich überrascht - zwei Arbeitstage wegen psychischer Diagnosen. Innerhalb der letzten fünf Jahre sind damit die psychisch bedingten Fehlzeiten um 60 Prozent gestiegen.
Der Vorstandsvorsitzende der TechnikerKrankenkasse, Prof. Dr. Norbert Klusen, kommentiert dies so: „Natürlich ist auch die Sensibilität im Umgang mit psychischen Erkrankungen gestiegen. Ärzte sind heute besser in der Lage, psychische Ursachen von Beschwerden zu erkennen und zu diagnostizieren. Die Gesellschaft ist – auch aufgrund prominenter Fälle wie der tragischen Geschichte Robert Enkes – eher bereit, psychische Diagnosen zu akzeptieren.
Tatsache ist aber auch, dass sich die Arbeitswelt in den letzten beiden Jahrzehnten extrem gewandelt hat. Das Internet und die mobile Kommunikation ermöglichen es uns, rund um die Uhr und an jedem Ort zu arbeiten.“ (Klusen, 2012) Diese ständige Erreichbarkeit führt bei den Menschen dazu, dass Freizeit nicht mehr 100 Prozent „arbeitsfrei“ ist. Und so kann der „Standby-Modus“ über die Jahre hinweg eine mentale Überanstrengung mit sich bringen.
Die Fehlzeiten beantworten die Frage dieses Kapitels „Wie gesund arbeiten wir?“ zwar direkt, aber auch eindimensional. Was heißt denn überhaupt gesund? Die World Health Organisation definiert Gesundheit als „einen Zustand vollständigen physischen, geistigen und sozialen Wohlbefindens, der sich nicht nur durch die Abwesenheit von Krankheit oder Behinderung auszeichnet“. (WHO, 1986) Damit werden weitere Kriterien für die Beantwortung der Frage wichtig: die Zufriedenheit mit dem Arbeitsplatz, das Engagement und die Motivation sowie die Entlohnung und die Sicherheit des Arbeitsplatzes.
Das Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen erfasst die Arbeitszufriedenheit der deutschen Arbeitnehmer und stellt einen langfristigen Abwärtstrend fest. Lag die durchschnittliche Arbeitszufriedenheit in 1984 noch bei 7,6 Punkten auf einer Skala von 0 bis 10, so ist dieser Wert bis 2009 auf 6,8 Punkte gefallen. Wichtig auch der europäische Vergleich: Nach den Daten des European Social Survey aus 2006 liegt Deutschland in der Arbeitszufriedenheit auf Platz 18 – nur die Slowakei, Ukraine, Bulgarien und Russland erzielen niedrigere Werte. Hohe Arbeitszufriedenheit findet man in skandinavischen Ländern und der Schweiz. Die Forscher der Universität Duisburg-Essen sehen als Ursachen für die eher schlechte Arbeits-Zufriedenheit in Deutschland die zunehmende Arbeitsbelastung, Probleme bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, geringe Lohnsteigerungen und Unsicherheit über die berufliche Zukunft.
Eine andere wichtige Studie, der Gallup Engagement Index, misst die Befindlichkeit und besonders die Motivation der Menschen. So ist das Ergebnis der aktuellen Studie, dass 23 Prozent der Beschäftigten innerlich gekündigt haben, 63 Prozent der Arbeitnehmer Dienst nach Vorschrift machen und nur 14 Prozent der Angestellten über eine hohe emotionale Bindung an ihren Arbeitgeber verfügen. (Gallup, 2012)
Marco Nink, Chief Consultant bei Gallup kommentiert: „Die emotionale Mitarbeiterbindung verharrt seit Jahren auf niedrigem Niveau - mit erheblichen Folgen … Denn wer sich nicht emotional an sein Unternehmen gebunden fühlt, zeigt weniger Eigeninitiative, Verantwortungsbewusstsein und Leistungsbereitschaft.“
Gallup sieht in der Führungskultur einen Schlüssel für die Verbundenheit und Motivation der Mitarbeiter: „Gute Führung orientiert sich am Menschen“, sagt Marco Nink. Und belegt es mit den Aussagen der hochmotivierten Arbeitnehmer im Vergleich zu denen der wenig motivierten: Nur vier Prozent der Arbeitnehmer ohne emotionale Bindung gaben an, in der letzten Woche gelobt worden zu sein, bei denen mit emotionaler Bindung waren es 79 Prozent. Ähnliche Diskrepanzen zeigen sich bei der Frage nach konstruktivem Feedback (2 Prozent zu 75 Prozent), nach dem Interesse für sie als Mensch (5 Prozent zu 93 Prozent) und danach, ob es jemanden im Unternehmen gibt, der ihre persönliche Entwicklung fördert (1 Prozent zu 87 Prozent).
Wichtig für die Einschätzung, wie gesund wir arbeiten, ist neben den Fehlzeiten und Kenngrößen wie Motivation oder Zufriedenheit auch die Entwicklung der Gehälter. Arbeit hat die Aufgabe, unser Leben zu finanzieren und trägt damit dazu bei, wie sicher und wohl wir uns in unserem Leben fühlen.
Zur Einkommensentwicklung schreibt WELT ONLINE basierend auf einer OECD Umfrage am 05.12.2011: “Einkommensschere in Deutschland geht auseinander.”. Und weiter: “In Deutschland ist die Einkommensungleichheit seit 1990 schneller gewachsen als in anderen wohlhabenden Industriestaaten. (…) Die Forscher haben festgestellt, dass die oberen zehn Prozent der Deutschen, die ein Einkommen beziehen, im Jahr 2008 durchschnittlich 57.300 Euro verdient haben – und damit achtmal so viel wie die unteren zehn Prozent, bei denen es nur 7400 Euro waren. In den 90er-Jahren war es noch das Sechsfache gewesen.” (Kaiser, 2011) So hat sich seit Anfang der 90er-Jahre die Schere zwischen den Einkommen der oberen zehn Prozent und der unteren zehn Prozent um 20 Prozent geweitet.
Begründet wird diese Entwicklung mit dem Anstieg der Teilzeitarbeit, die sich seit Mitte der 80er-Jahre mehr als verdoppelt hat, sowie der Zunahme von Niedriglohnbeschäftigten. So zeigte sich auf der Basis von Daten des sozioökonomischen Panels, einer repräsentativen Befragung von mehr als 12.000 Privathaushalten, dass fast jeder vierte abhängig Beschäftigte im Jahr 2010 für weniger als 9,15 Euro pro Stunde arbeitete.
Im Durchschnitt verdiente ein Niedriglöhner 6,68 Euro pro Stunde in West- und 6,52 Euro in Ostdeutschland. Bezieht man Schüler, Studierende und Rentner ein, sind fast 8 Millionen Beschäftigte in Deutschland von Niedriglöhnen betroffen, errechneten die IAQ-Forscher Thorsten Kalina und Dr. Claudia Weinkopf. Sie konstatieren: “ Dass die Zahl der Niedriglohnbeschäftigten seit 1995 um 2,33 Millionen zugenommen hat, geht dabei fast ausschließlich auf die Entwicklung im Westen zurück: Hier stieg die Zahl der Niedriglohnbeschäftigten zwischen 1995 und 2010 um 68 Prozent, in Ostdeutschland nur um drei Prozent.” (IAQ, 2012)
Neben der Zunahme von niedrig bezahlten Jobs ist auch die Verlagerung von Jobs ins Ausland ein wichtiger Faktor. Wie langfristig sicher ich meinen Job empfinde, hat Auswirkungen darauf, wie wohl ich mich in der Gegenwart fühle und wie stark ich mich engagieren kann. Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel hat 2009 errechnet, dass potentiell 42 Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze ins Ausland verlagert werden könnten. Auffallend dabei ist, dass Höherqualifizierte hier stärker betroffen sind als Geringqualifizierte. (Greive, 2009)
Summa summarum – wie gesund arbeiten wir eigentlich? Zunahme der psychischen Krankheiten, Beschleunigung der Arbeit, Informationsüberflutung, zunehmende Komplexität der Kommunikation, ständige Erreichbarkeit, schlechte Noten für die Führungskräfte, niedrige Arbeitszufriedenheit, nicht mehr der eine sichere Arbeitgeber für´s Leben und Niedriglohnarbeit malen sicher ein düsteres Bild.
Was können wir auf der Haben-Seite verbuchen? Flexiblere Arbeitszeiten, Home Office, Bewusstsein bei den Unternehmen um die langfristige Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter, viele Unternehmens-Initiativen im Gesundheitsmanagement. Und die wachsende Einsicht von vielen Menschen und Organisationen, dass das traditionelle, wachstumsorientierte, stark wettbewerbsbasierte Wirtschaftsmodell an seine Grenzen kommt. Hier war der Bericht des Club of Rome, “Die Grenzen des Wachstums”, sicherlich ein lauter Weckruf.
“Fast alles, was das Geschäftsleben betrifft”, so Arjuna Ardagh, “ist von Angst beherrscht. Wir benutzen im heutigen Geschäftsleben dieselbe Sprache wie bei der Kriegsführung. Wir lancieren Kampagnen, wir zielen auf einen Markt, wir entwickeln Strategien und attackieren die Konkurrenz. Strategien behandeln wir wie militärische Geheimnisse. Wenn unsere Offensiven erfolgreich sind, haben wir einen riesigen Sieg errungen. Dieses stark konkurrierende Umfeld, das meistens von der männlichen Psyche mit viel Testosteron angetrieben wird, schafft Stress, erstickt die Kreativität und fördert eine Atmosphäre, in der Krisen, Misstrauen und Trennung stehen. (…)
Statistiken für Fehlzeiten und Fluktuationen zeigen die tiefe Problematik im Herzen der Unternehmenswelt. Menschen aller Stellungen beklagen sich (…) über ihr Gefühl von Bedeutungslosigkeit bei der Arbeit und Entfremdung unter den Mitarbeitern. Sie haben zu wenig Mitspracherecht hinsichtlich der Richtung, die die Firma nimmt. Sie leiden unter der fehlenden Sicherheit an einem Arbeitsplatz, an dem alles auf die Maxime Profit reduziert werden kann.” (Ardagh, 2006)
Aus meiner Sicht ist es hier entscheidend, diese Entwicklungen in den Unternehmen zu erkennen, aber auch selbstkritisch zu prüfen, wie weit man sie selbst, vielleicht gar nicht einmal gewollt, unterstützt.
"Die heutige Leistungsgesellschaft ist eine Gesellschaft freiwilliger Selbstausbeutung", sagt der in Karlsruhe lehrende Philosoph Byung-Chul Han, Autor des Buches "Müdigkeitsgesellschaft".
Der ehemalige Unternehmensberater Dr. Kai Romhardt kommentiert dies so: “Heute schützen uns in Europa und weiten Teilen der westlichen Welt weitgehende Arbeitsschutzgesetze. (…) Dies ist ein enormer Fortschritt. Natürlich existiert Ausbeutung weiterhin, in vielem haben wir das Problem nur in Länder mit geringem Arbeitsschutz exportiert. Subtiler und schwerer zu beobachten als die äußere Ausbeutung ist die wachsende Bereitschaft zur Selbstausbeutung. Was ist Selbstausbeutung? Selbstausbeutung ist der freiwillige Einsatz von Energie und Zeit über das vertraglich festgelegte (und häufig auch gesunde) Maß hinaus. (…) Unser Arbeitsleben droht in verschiedenen Bereichen das Gleichgewicht zu verlieren. (…) Auf Dauer rächen sich unbalancierte Arbeitsprozesse körperlich und geistig. Es ist daher wichtig, die zentralen Spannungsfelder im Umgang mit Arbeit zu kennen und bewusst zu beeinflussen. Es gilt immer wieder aufs Neue, den Mittleren Weg zu erspüren und gegen innere und äußere Stimmen zu verteidigen.” (Romhardt, 2009)
Macht man heute eine Google-Recherche unter den Stichworten Achtsamkeit und Wirtschaft erhält man 221.000 Ergebnisse, das erste davon www.achtsame-wirtschaft.de. Darin wird eine neue Vision für die Wirtschaft entworfen:
Wir sehnen uns nach einer anderen Wirtschaft. Einer Wirtschaft, die Sinn macht und Sinn schafft. Einer Wirtschaft, die allen Menschen dient und nicht nur wenigen.
„ Wirtschaft“ ist kein Naturgesetz, kein Bündel von Sachzwängen, sondern wird von uns Menschen gestaltet. Es ist unser eigener Geist, in dem und mit dem wir diese Wirtschaft an jedem Tag aufs Neue schaffen.
Kultivieren wir Achtsamkeit, sehen wir Alternativen zu vorherrschenden ökonomischen Ideen und Handlungsmustern und können einen wertvollen Beitrag zur Umgestaltung der Wirtschaft und der Welt leisten.
Verändert sich unser Geist, verändert sich auch unser Konsum, unser Umgang mit Geld und unsere Arbeit. Wir gründen andere Unternehmen und produzieren andere Produkte.
Wir schaffen ein neues Miteinander und zeigen Alternativen zum zermürbenden Gegeneinander und Konkurrieren auf.
Gemeinsam eine achtsamere Wirtschaft zu schaffen, jeder an seinem Platz und mit seinen Talenten, dazu lädt das Netzwerk Achtsame Wirtschaft ein.
Was mir persönlich am Selbstverständnis des Netzwerkes Achtsame Wirtschaft gefällt, ist die eigenverantwortliche und gestaltende Haltung der Wirtschaft gegenüber.
In diesem Sinne ist es aufschlussreich, sich die Frage “Wie gesund arbeiten wir?”, die der Titel dieses Kapitels ist, selbst zu stellen – vielleicht auf einer Skala von „0 = völlig ungesund“ bis „10 = ideal“. Weiter kann man sich fragen: “Warum ist das so? Was sind die wichtigen Gründe für meine Antwort?” und auch “Was ist eigentlich gesundes Arbeiten für mich?“.
Mir persönlich ist bei der Recherche für dieses Kapitel aufgefallen, wie komplex gesundes Arbeiten ist und wie wenig es in meinem Fall als „Kopfarbeiter“ von physischen Faktoren abhängig ist. Aus meiner Sicht ist es zudem wichtig, neben der Vielzahl der externen, oft nur wenig veränderbaren Einflussgrößen auf das persönliche Arbeitsgefühl wie etwa Informationsüberflutung, Beschleunigung oder Jobunsicherheit die Selbstausbeutung zu reflektieren, mit der wir uns selbst im Hamsterrad der Arbeitswelt antreiben. Dies ist eine Einflussgröße, die wir selber in der Hand haben und verändern können.
Sehr interessant ist es auch, bei der Selbstbefragung eine persönliche Zeitreise des Arbeitens zu machen: „Wie fühlte sich Arbeit an, als Sie in die Lehre gingen oder den ersten Job nach dem Studium hatten? Haben Sie noch ohne PC gearbeitet? Was hat im Laufe Ihres Arbeitslebens Veränderungen bewirkt?“.
Das nächste Kapitel gibt Ihnen ein wenig „Futter“ für Ihre Zeitreise: Wir betrachten die Entwicklung des Arbeitslebens und der Gesellschaft in den letzten 200 Jahren und Sie werden bemerken, wie sich etwa seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts der Wandel beschleunigt.