Frau Bundeskanzlerin Angela Merkel gewidmet
für ihre souveräne Arbeit zum Wohle unseres Landes
Inhalt
Vorwort des Autors
Das Leben noch einmal geschenkt
Das Schicksal der Verlierer:
Die deutschen Christen nach 1945
Dietrich Bonhoeffer, die Zukunft der Kirche und ihre Lebensqualität
Gedanken zum Judentum
Das Wunder im 20. Jahrhundert:
Die Deutsche Einheit
Quellenverzeichnis
Bibliografie
Meiner Tochter Christine
und meinem Sohn Matthias
sage ich Dank für verständnisvolle Mitarbeit
und meiner Frau Irmgard für ihre treue Begleitung.
ZUM AUTOR
Pfarrer Erich Kleine ist 85 Jahre alt und wohnt in Bad Oeynhausen. Er bringt Erfahrung aus verschiedenen kirchlichen Arbeitsbereichen mit. Erich Kleine ist in Münster geboren, hat dort auch studiert und war während des 2. Weltkrieges Soldat. Ende 1945 kam er aus der russischen Kriegsgefangenschaft zurück. Lange Zeit war er als Gemeindepfarrer in Minden-Ravensberg und in einer Diasporagemeinde des Münsterlandes tätig. Zwischenzeitlich arbeitete er in der Diakonie als Erziehungsleiter für schwer erziehbare Jugendliche in einer Zweigstelle von Bethel.
Den biografischen Teil habe ich auf Wunsch meiner früheren Konfirmanden in einfacher und verständlicher Sprache wiedergegeben. Hin und wieder habe ich im Unterricht aus dieser Zeit beispielhaft erzählt, woraus wohl der Gedanke entstand, diese schrecklichen Ereignisse für immer auch schriftlich festzuhalten.
Mit dem Kirchenkampf zwischen der Bekennenden Kirche und den nationalsozialistisch eingestellten Deutschen Christen habe ich mich immer wieder beschäftigt, habe ich ihn doch aus nächster Nähe miterlebt. Man hätte die Nazipropaganda erkennen können und müssen. Sie lag offen zutage. Nur so konnten Rassenwahn und Rassenhass gedeihen und unbeschreibliches Elend hervorrufen. So gilt die Mahnung für alle Zeiten: Wehret den Anfängen, gebt dem Rassismus und Antisemitismus keine Chance.
Dietrich Bonhoeffer war immer mein großes Vorbild und wird im dritten Teil des Buches thematisiert. Seine Theologie, seine großen Gedanken und Vorstellungen haben mich immer auf meinem Lebensweg begleitet und waren maßgebend für meine Arbeit als Gemeindepfarrer.
Das vierte Kapitel bildet ein Einschub, das einige Gedanken zum Judentum enthält.
Die Vereinigung Deutschlands bildet den letzten Teil dieses Werkes. Sie war ein Glücksfall der Geschichte, ein Geschenk Gottes, das man zu schätzen wissen sollte.
So zeigen alle Kapteil dieses Buches eine innere Kontinuität und geben meinen persönlichen Eindruck als Pfarrer über die deutsche Geschichte der letzten achtzig Jahre wieder.
Wir schreiben den 10.11.1938. Ich befand mich mit einigen meiner Schulkameraden auf dem Weg zur Schule, als wir beim Verlassen des Bahnhofs in Münster merkten, dass die Luft von einem eigenartigen Brandgeruch erfüllt war. Schon nach wenigen Metern entdeckten wir hinter den ersten Häusern eine mächtige Rauchwolke. Wir liefen geradewegs auf sie zu in Richtung der Promenade und standen plötzlich vor der jüdischen Synagoge, die lichterloh brannte. Sie war in ein einziges Flammenmeer gehüllt. Wir sahen Menschen, viele Menschen, die einen schrien und schimpften, die andern johlten und grölten. Schadenfreude spiegelte sich in manchen Gesichtern, hier und da aber weinte jemand still vor sich hin. Wir Schüler waren ganz verstört. Noch waren wir weit davon entfernt, das alles zu begreifen, was hier im Gange war, da rief einer in die Menge: »In der Innenstadt sind alle jüdischen Geschäfte zerstört worden!«
Von dieser Nachricht wie elektrisiert liefen wir weiter in Richtung Salzstraße und standen plötzlich wie angewurzelt vor dem jüdischen Spielwarengeschäft Feibes. Die Schaufenster waren total zertrümmert, das Innere des Geschäftes zum großen Teil verwüstet. Was mich am meisten betroffen machte, waren die dicken, feisten SA-Leute mit ihrem höhnischen Gelächter. Sie munterten uns fortwährend auf, Spielsachen mit nach Hause zu nehmen. Aber die Angst riet uns, die Finger davon zu lassen. So rannten wir weiter zurück zur Promenade, um in die Schule zu kommen, die wir beinahe schon vergessen hatten.
Aber da passierte noch etwas. Es übertraf alles, was an Ungeheuerlichem und zugleich Unerklärlichem auf uns zukommen sollte.
Das Haus des Dr. Levi, eines jüdischen Augenarztes, lag mit einem Mal in unserem Blickfeld. Die Fenster und Jalousien waren zertrümmert. Wir schauten hinein. Die Wohnung glich einem Chaos, es war ein Bild sinnloser Verwüstung. Plötzlich sahen wir auch den Doktor und dazu wieder die SA-Leute. Sie rissen ihm das Jackett vom Leibe, schlugen auf ihn ein, stießen ihn zur Tür hinaus und zerrten ihn draußen in ein Auto, das mit hoher Geschwindigkeit davonfuhr.
Mir war der Schrecken so in die Glieder gefahren, dass ich mich erst einmal hinsetzen musste.
Was hatte das alles nur zu bedeuten? Warum, um Gottes Willen, machte man so etwas? Warum vergriff man sich ausgerechnet an diesem Arzt? War er doch als besonders tüchtiger und zuvorkommender Augenarzt in Münster und weit über diese Stadt hinaus bekannt. Wir konnten keine Erklärung für all diese Vorgänge finden.
In der Schule angekommen, hielt man sich zurück. Niemand von den Lehrern wollte so recht Rede und Antwort stehen.
An diesem Tage freute ich mich auf das Nachhausekommen, hegte ich doch heimlich den Wunsch, von meinem Vater über alles aufgeklärt zu werden. Nun, das geschah dann auch mit der erwarteten Deutlichkeit. Mit großem Ernst und einem hintergründigen Ton in seiner Stimme sagte er schließlich: »Das ist der Anfang vom Ende.« Was er letztlich damit meinte, konnten wir kaum verstehen. Nur wurden wir das Gefühl nicht los, dass hier etwas Unheimliches passiert war, das uns fortan nicht mehr loslassen sollte. Mein Vater sprach an jenem Tage zu uns, seinen fünf Söhnen, von diesem unseligen, unheimlichen Hitler und ermahnte uns, jeden Menschen zu achten, auch den Juden, denn vor Gott gebe es keine Unterschiede. Mein Vater war kein Studierter. Er war ein kleiner Beamter, ein überaus strebsamer und fleißiger Mann, der ausgerüstet mit einem gesunden Menschenverstand ein Gespür dafür hatte, was Recht und was Unrecht ist in dieser Welt.
Die dunklen Ahnungen meines Vaters im Blick auf die Zukunft sollten sich bald bestätigen.
Immer, wenn wir in den folgenden Wochen und Monaten jüdischen Bürgern unserer Stadt begegneten, machten diese einen überaus ängstlichen, zuweilen verstörten Eindruck auf uns.
Das aber war nicht nur eine Folge der »Kristallnacht «, in der die Synagogen in Brand gesteckt, die Geschäfte verwüstet und die Juden geschlagen und verschleppt wurden.
Ihr Leidensweg hatte an diesem Tage erst begonnen. Jetzt mussten sie alle einen gelben »Judenstern« auf ihrer Brust tragen, damit sie jeder gleich erkennen konnte.
Begegnete man ihnen auf der Straße, im Bus oder in der Straßenbahn, verdeckten sie mit ihren Taschen dieses entwürdigende Brandmal. Wurden sie dabei von einem Nazi entdeckt, riss er ihnen die Taschen herunter und beschimpfte sie als »Judenschweine«. Ich habe es nur selten erlebt, dass jemand in der Öffentlichkeit dagegen protestierte. Niemand – und das war das Bedrückende – hatte den Mut, diesem menschenunwürdigen Treiben Einhalt zu gebieten. Keiner wollte sich in Gefahr bringen, und die Angst voreinander wuchs von Tag zu Tag.
Einer meiner Lehrer am Schläuen-Gymnasium in Münster, Studienrat Oebicke, der nicht nur ein ausgezeichneter Pädagoge, sondern auch eine große Persönlichkeit war, sprach oft in dieser Zeit von Würde, Menschsein und gegenseitiger Achtung. Jeder wusste, was er damit meinte. Dass dieser Mann von keinem seiner vielen Schüler denunziert wurde, hing wohl damit zusammen, dass jeder wusste, was er diesem Mann fachlich und menschlich zu verdanken hatte.
In meinem Elternhaus wurde über das Schicksal der Juden sehr oft gesprochen. Es blieb uns auch nicht verborgen, dass Juden in Massen deportiert wurden. Was allerdings im Einzelnen mit ihnen geschah, darüber gab es in der Stadt nur Gerüchte. Aber das alles wurde damals diskutiert.
Auch über die zunehmende Beseitigung und Ausrottung der Kranken, der geistig Behinderten und der alten Menschen, allesamt von den Nazis als unnötige Esser angesehen und als lebensunwürdiges Leben klassifiziert, wurde unter Kameraden, Freunden, Bekannten und Verwandten geredet.
Wo immer diese Diskussionen stattfanden, hatte mein Vater einen schweren Stand. Für uns aber war er in jener Zeit wie ein Fels in der Brandung, auch wenn wir andererseits darunter litten, dass er immer die Außenseiterrolle einnahm. Wir hatten unsere Zweifel, wenn Nachbarn, Freunde und Verwandte alle für Adolf Hitler waren und unser Vater nicht. Die Diskussionen bei Tisch wurden von Tag zu Tag heftiger, denn auch unter uns Brüdern waren die Meinungen geteilt. Für den einen war beispielsweise die Hitlerjugend abstoßend, auf den andern wiederum übte sie eine stärkere Anziehungskraft aus. Fühlte sich der eine zum Mitmachen genötigt, weil es ihm irgendwie Spaß machte, bekam er seine Schwierigkeiten, entweder mit dem Bruder oder mit dem Vater, und dieser mit der Partei, wenn er seine Söhne nicht zum »Dienst« schicken wollte.
Und die Mutter musste schlichten, zum Frieden mahnen, Ängste aussprechen oder verdrängen, sie musste leiden unter den Belastungen einer außergewöhnlichen Zeit.
Durch die antinazistische Haltung meines Vaters handelten wir uns viele Nachteile ein. Allein das Grüßen wurde für uns zum Problem, denn nach wie vor hieß es bei uns zu Hause »Guten Tag« und »Auf Wiedersehen«. Keiner von uns hätte sich getraut, »Heil Hitler « zu sagen. So begrüßten wir auch die Leute mit »Guten Morgen« oder »Guten Tag«, was nicht selten eingefleischte Nazis zu Wutausbrüchen brachte. Mich hat ein Nachbar deswegen geohrfeigt. Mein Vater stellte ihn daraufhin zur Rede, musste aber im Anschluss tagelang unter der Androhung einer Anzeige zittern. Wir alle bangten mit ihm, wie schon häufig zuvor. Es passierte zwar nichts, aber die Ängste blieben. Ja, die Ängste verdichteten sich zu der ganz großen Angst, als im September 1939 der Weltkrieg ausbrach.
Ich habe das Betroffensein, die Ratlosigkeit, die Furcht der Menschen noch heute vor Augen. Meinen Vater höre ich noch sagen: »Gott sei Dank, meine Jungs bleiben davon verschont, sie sind noch zu jung.« Er wusste, was Krieg bedeutet, hatte er doch den 1. Weltkrieg mitgemacht und war so schwer verwundet worden, dass er seinen ursprünglichen Beruf wechseln musste, weil seine schweren Kriegsverletzungen ihn zum Behinderten auf Lebenszeit gemacht hatten.
Als der 2. Weltkrieg ausbrach, glaubte und hoffte jeder, dass der Krieg nicht lange dauern würde. Aber das erwies sich als Irrtum, auch für meinen Vater, denn vier seiner fünf Söhne mussten im Laufe der Zeit noch in den Krieg ziehen.
Die ersten Monate des Krieges vergingen im Siegesrausch der deutschen Truppen, die an allen Fronten erfolgreich waren. Wer wagte es da noch in jener Zeit, eine düstere Zukunft auszumalen?
Die Euphorie wurde in der kurzen Phase getrübt, als die ersten Luftangriffe über unsere Stadt gingen. Für uns Jungs war das Ganze am Anfang noch spannend, geradezu abenteuerlich. Wir standen meist draußen unter freiem Himmel und hörten das Brummen und Surren des herannahenden Bomberverbandes. Aufblitzende Scheinwerfer und von Flugzeugen abgeschossene Leuchtkugeln verwandelten das Ganze in ein gespenstisches Szenarium.Ganze »Christbäume« vonLeuchtkugeln standen am Himmel und im Kegel der Scheinwerfer wurde hier und da ein Flugzeug erfasst, das unter mörderischem Donner der Flakgeschütze aus allen Rohren beschossen wurde.
War dies anfangs mehr oder weniger noch ein dramatisches Schauspiel, so rissen uns wenig später die ersten Bombenabwürfe aus allen abenteuerlichen Vorstellungen. Getroffen wurden die Häuser zwei unserer besten Nachbarn. Sie wurden bis auf die Grundmauern zerstört. Es gab Tote und Verwundete.
Dem Tod und dem Grauen des Krieges so unvermittelt ausgesetzt zu sein versetzte uns in Furcht und Schrecken. Nun wussten wir, was Krieg bedeutete: Leid, Trauer, Tränen und Schmerz.
Unter diesem Eindruck mussten meine Brüder einer nach dem andern ins Feld ziehen. Niemand konnte erahnen, was jedem bevorstand, niemand konnte in das Innere der Mütter und Väter sehen, die ihre Kinder ziehen lassen mussten, ob sie wollten oder nicht. Wie mag ihnen das Herz dabei geblutet haben!
Während meine Brüder Soldaten geworden waren, versuchte man mich für die Hitlerjugend zu gewinnen. Mit meinen fünfzehn Jahren sollte ich gleich eine Führungsaufgabe übernehmen: einen Jungzug, der drei Jungenschaften umfasste, oder gar ein Fähnlein, das wiederum vier Jungzüge einfasste, leiten. Irgendwie hatte man auch meinen Ehrgeiz angestachelt. Ich besorgte mir eine Uniform, die ich bis dahin nicht besaß. Damit schlich ich mich aus dem Haus. Es musste heimlich geschehen, denn von meinem Vater im Braunhemd entdeckt zu werden wäre eine Katastrophe gewesen. Meine erste Aufgabe bestand darin, ein Fähnlein antreten und marschieren zu lassen. Das ging so fürchterlich daneben, dass alle um mich herum in ein großes Gelächter ausbrachen. Mein Herzklopfen zeigte mir an, dass meine Führungsqualitäten noch reichlich unausgegoren waren. Zudem mangelte es auch am nötigen Ernst und an echter Begeisterung.
Dieses Intermezzo mit der HJ dauerte zum Glück nur wenige Wochen, denn Anfang 1943 wurden meine Klassenkameraden und ich als Luftwaffenhelfer eingezogen und in einer der schweren Flakbatterien um Münster stationiert. Die eine Hälfte von uns kam an die Geschütze, die andere in die sogenannte Messstaffel. Auf diese Weise konnte ein Teil der Soldaten abgezogen und an die Front geschickt werden.
Meine Kameraden und ich waren in verschiedenen Baracken untergebracht, in denen das Zusammenleben erst einmal gelernt werden musste.
Zu den vielen Merkwürdigkeiten in dieser Zeit gehörte auch, dass unsere Lehrer tagtäglich in unsere Flakstellung kamen, um uns zu unterrichten.
Was daraus wurde, lässt sich erraten. Entweder schliefen wir nach kurzer Zeit ein, weil wir durch den häufigen Fliegeralarm in der Nacht, der uns immer wieder an unsere Geschütze rief, total übermüdet waren, oder der Unterricht wurde auch am Tage von erneutem Alarm unterbrochen, was wiederum bedeutete, in Stellung zu gehen, für die Lehrer aber, sichere Luftschutzbunker aufzusuchen. Unseren Lehrern war es anzumerken, dass sie das Unterrichten unter diesen Voraussetzungen für sinnlos hielten. Oft waren tiefe Resignation und großes Bedauern für uns in ihren Gesichtern abzulesen, die wir in jungen Jahren mit solchen Belastungen leben mussten. Am schlimmsten aber war die Zeit, als die Luftangriffe wieder zunahmen. Die Gefühle sind kaum zu beschreiben, die uns bewegten, wenn ein Bomberverband sich unserer Flakstellung näherte. Die Nerven waren zum Zerreißen gespannt, die Angst so groß, dass das Herz zum Halse springen wollte. Allein die Aufgabe, die man zu erfüllen hatte, ließ uns das Schreckliche dieser Situation überwinden.
Wir standen oder saßen da, hatten mit unseren Messinstrumenten die herannahenden Flugzeuge zu beobachten und Höhe, Weite und Entfernung zu messen, um diese Werte an die Geschütze weiterzugeben, damit diese das Abwehrfeuer eröffnen konnten.
Immer wenn das geschah, wenn die Geschütze mit einem ohrenbetäubenden Lärm ihre Geschosse in die Luft jagten, kam ich innerlich zur Ruhe, vielleicht mit der dumpfen Ahnung, dass uns dies etwas helfen könnte.
Waren die Angriffswellen der Bomberverbände vorüber, machte sich jeder Sorgen um sein Zuhause. Würde das Haus noch stehen, würden Eltern und Geschwister noch am Leben sein? Wie froh war jeder, wenn er eine Nachricht erhielt oder Urlaub bekam, um nach dem Rechten sehen zu können.
Während das Leben in diesen Monaten ohnehin schon schwer genug war, sah man sich noch zusätzlich etlichen Schikanen ausgeliefert. Mein Messtruppführer hatte zum Beispiel eine sadistische Freude daran, uns den Urlaub zu »versauen«. Mir wollte er einmal den Wochenendurlaub dadurch verderben, dass er mich etliche Stunden festzuhalten versuchte. Angeblich musste erst ein Soldat aus der Stadt zurückkommen, sonst wären wir nicht einsatzfähig. Es standen aber im Hintergrund genug Leute zur Verfügung. Einen von diesen hatte ich gebeten, für mich einzuspringen. Ich holte meinen Urlaubsschein von der Schreibstube und fuhr fröhlich ins Wochenende, das ich mir diesmal nicht »vermasseln« lassen wollte. Ich hatte nämlich zu dieser Zeit eine »kleine Freundin «, die ich durch mein Fernbleiben nicht enttäuschen wollte. Wir Jungs in jener Situation, wir sehnten uns einfach nach ein bisschen Zärtlichkeit und Freundschaft.
Als ich von meinem Wochenendurlaub zurückkam, wurde ich sofort zum Batterieführer geschickt. Nachdem ich sein Zimmer betreten hatte, lief er eine Zeit lang unruhig hin und her. Plötzlich blieb er vor mir stehen, schrie mich an und sagte: »Wissen Sie, was Sie gemacht haben?« Ich sagte: »Nein«, war auch in dem Augenblick völlig ahnungslos. Dann brüllte er wieder los: »Sie haben die Einsatzbereitschaft der Batterie gefährdet. Sie kommen vor ein Kriegsgericht.« Mir war der Schreck so in die Glieder gefahren, dass ich nur noch stottern und stammeln konnte. Ich versuchte ihm zu sagen, dass es sich nicht so verhielte, wie es ihm wohl mitgeteilt worden sei. Damit machte ich das Maß nun wirklich voll, hatte ich doch nun einen Unterführer der Lüge bezichtigt, wie er meinte. Er warf mich hinaus und rief mir nach, ich sollte am nächsten Tag zur gleichen Zeit wiederkommen. Das tat ich dann auch und erhielt von ihm einen strengen Verweis, womit ich zunächst nichts anzufangen wusste. Heimlich hatte ich gehofft, man würde mich beim nächsten Vorfall nach Hause schicken müssen. Aber da lag ich ganz falsch. Die Soldaten machten mir klar, dass diese Strafe die Vorstufe zum »Bau« sei, das hieß »drei Tage geschärften Arrest«.
Das Ganze ist danach nicht spurlos an mir vorübergegangen. Ich habe mich eine lange Zeit darüber ärgern müssen, denn es passierte Folgendes:
Die Batterie war zum Appell angetreten und der Kompaniefeldwebel verlas meine Bestrafung unter dem Kommando »Stillgestanden «. Sie lautete: »Ich bestrafe den Luftwaffenhelfer Erich Kleine mit einem strengen Verweis, weil er die Einsatzbereitschaft der Batterie gefährdet hat. Batterie, rührt euch.« Das war ein Schock, das traf meinen Ehrgeiz. Aber es sollte noch schlimmer kommen: Meine Bestrafung kam in den Aushang, konnte somit von allen Besuchern gelesen werden. Irgendwie hatte ich in der Folgezeit das Gefühl, alle würden mich deswegen anschauen. Schließlich wurde ich nicht zum Flakoberhelfer befördert und von der Verleihung des Flakkampfabzeichens ausgeschlossen. Das gab mir den Rest.
Als kurz darauf der Bataillonsführer zu Besuch kam, fasste ich mir ein Herz und fragte ihn, ob es gerecht gewesen sei, mich von der Verleihung des Ordens auszuschließen, denn ich sei ja auch an den Abschüssen der Flugzeuge beteiligt gewesen. Das sah der Major ein und ordnete eine Nachverleihung an.
So stand ich tags darauf wieder vor der angetretenen Kompanie und hatte die Freude, dass mir als Einzigem der Orden nachträglich an die Brust geheftet wurde. Ich habe es nicht ohne Stolz verbucht.