EIN ANSATZ ZUR TRANSINSTITUTIONELLEN GESCHÄFTSMODELLIERUNG ALTERSBEZOGENER HYBRIDER DIENSTLEISTUNGEN AUF BASIS ASSISTIERENDER GESUNDHEITSTECHNOLOGIEN
Konzeption und exemplarische Instanziierung am Beispiel des Projektes
eHealth.Braunschweig
Von der
Carl-Friedrich-Gauß-Fakultät
der Technischen Universität Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig
zur Erlangung des Grades eines
Doktors der Naturwissenschaften (Dr. rer. nat.)
genehmigte Dissertation
von
Wolfram Lothar Ludwig
geboren am 17.03.1978
in Neustadt a. Rbge.
Eingereicht am: 12. Oktober 2012
Disputation am: 03. Dezember 2012
1. Referent: Prof. Dr. Reinhold Haux
2. Referent: Prof. Dr. Dirk Mattfeld
In der Bundesrepublik Deutschland vollzieht sich ein demographischer Wandel, der zu erheblichen Herausforderungen für unsere sozialen Sicherungssysteme und nicht zuletzt für unser Gesundheitssystem führt. Verschiedene Konzepte versuchen die finanziellen Auswirkungen dieser Entwicklung abzuschwächen. In diesem Zusammenhang werden in der Medizinischen Informatik insbesondere Dienstleistungen auf Basis Assistierender Gesundheitstechnologien (AGT) diskutiert. Bei Assistierenden Gesundheitstechnologien handelt es sich um Informatikwerkzeuge, die altersbedingte Funktionsdefizite ausgleichen und hierdurch Behandlungs- und Betreuungskosten senken können.
Trotz ihres wirtschaftlichen Potentials gibt es bisher nur wenige Beispiele für eine Etablierung AGT-basierter Dienstleistung am Markt. Ein Grund hierfür ist, dass die Entwicklung dieser Innovationen nicht selten ausschließlich aus informationstechnischer und/oder medizinischer Sicht erfolgt. Eine Planung der späteren Geschäftstätigkeit wird häufig nicht vorgenommen. In der Folge bleiben wichtige Bestimmungsfaktoren für den Markteintritt unberücksichtigt und ein Transfer von Forschungsergebnissen in die reale Versorgung kann nicht stattfinden.
Ziel der vorliegenden Dissertation war deshalb die Konzeption und exemplarische Instanziierung eines Ansatzes zur transinstitutionellen Geschäftsmodellierung altersbezogener hybrider Dienstleistungen auf Basis Assistierender Gesundheitstechnologien (TRIGEMO-Ansatz).
Der konzipierte TRIGEMO-Ansatz vermittelt mit seinen vier Sichten (organisatorische Sicht, analytische Sicht, ökonomische Sicht, informationstechnische Sicht) und 18 Komponenten ein breites Bild der unternehmerischen Leistungserstellung. Hierbei ist er insbesondere auf die Modellierung komplexer Produkt- und Dienstleistungskombinationen und einrichtungsübergreifender Geschäftssysteme spezialisiert. Zu jeder Komponente des TRIGEMO-Ansatzes werden praxisorientierte Werkzeuge vorgestellt, die den Anwender im realen Anwendungsfall unterstützen. Die exemplarische Instanziierung des Modellierungsansatzes liefert, neben einem praktischen Anwendungsbeispiel, mit drei Studien darüber hinaus Hinweise zur marktorientierten Gestaltung AGT-basierter Leistungsbündel.
Germany is currently undergoing a demographic change that will lead to considerable challenges for its health care system. Several approaches try to mitigate the financial effects of this development. One approach, new services based on health-enabling technologies (HET), seems to be promising. HETs are computer science tools that offset age-related functional deficits and therefore could significantly reduce treatment and care costs for the aged.
Despite their economic potential, there are only a few examples of established HET-based services on the market. This is caused by a mainly technologically and/or medically focused development process. Future business activities based on these innovations are not currently included in scientific works. The remaining gap between research and successful market entry must be bridged to implement valuable academic research results into clinical practice.
Therefore, the objective of this thesis was to design and exemplify a business modeling approach for age-related services based on health-enabling technologies (TRIGEMO-approach).
The TRIGEMO-approach consists of 18 components organized in four views (organizational, analytical, economic and information technology view) that give a broad impression of a company’s business system. It is specifically geared to the modeling of complex product/service combinations and transinstitutional business systems. Each component introduces specific tools assisting its practical implementation. In addition the testing of the TRIGEMO-approach provides three studies that for the first time include market information in the field of health-enabling technologies.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Gegenstand und Motivation
1.2 Problemstellung
1.3 Zielsetzung
1.4 Fragestellung der Arbeit
1.5 Struktur der Arbeit
2 Grundbegriffe und Definitionen
2.1 Einleitung
2.2 Assistierende Gesundheitstechnologien
2.2.1 Einleitung
2.2.2 Zur Entstehung
2.2.3 Zum Begriff
2.2.3.1 Informatikwerkzeug
2.2.3.2 Natürliches Lebensumfeld
2.2.3.3 Verarbeitung des Gesundheitszustandes
2.2.4 Zur Abgrenzung
2.2.4.1 Telemedizin
2.2.4.2 Assistive Technology
2.2.4.3 Ambient Assisted Living
2.2.5 Zusammenfassung
2.3 Geschäftsmodelle
2.3.1 Einleitung
2.3.2 Zur Entstehung
2.3.3 Zum Begriff
2.3.3.1 Begriffsverständnis der Literatur
2.3.3.2 Begriffsverständnis der vorliegenden Arbeit
2.3.4 Zusammenfassung
2.4 Alter
2.4.1 Einleitung
2.4.2 Alterungsprozess
2.4.3 Altersbedingte Funktionsdefizite und Multimorbidität
2.4.4 Implikationen für die vorliegende Arbeit
2.4.5 Zusammenfassung
2.5 Zusammenfassung
3 Konzeption
3.1 Einleitung
3.2 Anforderungen an den gesuchten Lösungsansatz
3.2.1 Vollständigkeit
3.2.2 Instanziierbarkeit
3.2.3 Repräsentierbarkeit
3.2.4 Transinstitutionalität
3.2.5 Hybride Dienstleistungen
3.3 Analyse vorhandener Ansätze zur Geschäftsmodellierung
3.3.1 Einleitung
3.3.2 Geschäftsmodellansatz nach Alt & Zimmermann (2001)
3.3.3 Geschäftsmodellansatz nach Applegate (2001)
3.3.4 Geschäftsmodellansatz nach Chesbrough & Rosenbloom (2002)
3.3.5 Geschäftsmodellansatz nach Gordijn & Akkermans (2001)
3.3.6 Geschäftsmodellansatz nach Linder & Cantrell (2000)
3.3.7 Geschäftsmodellansatz nach Osterwalder (2004)
3.3.8 Geschäftsmodellansatz nach Porter (1985 bis 2001)
3.3.9 Geschäftsmodellansatz nach Wirtz (2000 und 2010)
3.3.10 Geschäftsmodellansätze im Forschungsgebiet
3.3.11 Zusammenfassende Bewertung
3.4 TRIGEMO - Ein Ansatz zur transinstitutionellen Geschäftsmodellierung altersbezogener hybrider Dienstleistungen auf Basis Assistierender Gesundheitstechnologien
3.4.1 Einleitung
3.4.2 Konstruktionsmerkmale
3.4.3 Struktur des TRIGEMO-Ansatzes
3.4.4 Organisatorische Sicht
3.4.4.1 Einleitung
3.4.4.2 Geschäftsmission
3.4.4.3 Richtlinien
3.4.4.4 Netzwerkmanagement
3.4.4.5 Gesellschaftsform
3.4.4.6 Zusammenfassung und Bemerkungen
3.4.5 Analytische Sicht
3.4.5.1 Einleitung
3.4.5.2 Nomenklatur archetypischer Leistungen und Akteure
3.4.5.3 Anforderungsanalyse
3.4.5.4 Nutzenanalyse
3.4.5.5 Zahlungsbereitschaft
3.4.5.6 Zusammenfassung und Bemerkungen
3.4.6 Ökonomische Sicht
3.4.6.1 Einleitung
3.4.6.2 Leistungskomponente
3.4.6.3 Leistungsbündel
3.4.6.4 Akteur
3.4.6.5 Kosten und Erlös
3.4.6.6 Leistungskonfigurationsmodell
3.4.6.7 Leistungsallokationsmodell
3.4.6.8 Leistungsaustauschmodell
3.4.6.9 Zusammenfassung und Bemerkungen
3.4.7 Informationstechnische Sicht
3.4.7.1 Einleitung
3.4.7.2 Leistungsbündelorientiertes Informationssystemmodell
3.4.7.3 Gesamtmodell des Informationssystems
3.4.7.4 Zusammenfassung und Bemerkung
3.5 Zusammenfassung
4 Exemplarische Instanziierung
4.1 Einleitung
4.2 Projekt eHealth.Braunschweig
4.3 Geschäftsmodell eHealth.Braunschweig
4.3.1 Einleitung
4.3.2 Organisatorische Sicht
4.3.2.1 Geschäftsmission
4.3.2.2 Richtlinien
4.3.2.3 Netzwerkmanagement
4.3.2.4 Gesellschaftsform
4.3.3 Analytische Sicht
4.3.3.1 Nomenklatur archetypischer Leistungen und Akteure
4.3.3.2 Anforderungsanalyse
4.3.3.3 Nutzenanalyse und Zahlungsbereitschaft
4.3.4 Ökonomische Sicht
4.3.4.1 Leistungskomponenten
4.3.4.2 Leistungsbündel
4.3.4.3 Akteure
4.3.4.4 Leistungskonfigurationsmodell
4.3.4.5 Leistungsallokationsmodell
4.3.4.6 Leistungsaustauschmodelle
4.3.5 Informationstechnische Sicht
4.4 Zusammenfassung
5 Zusammenfassung und Diskussion
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Anhang - Fragebogen zu Abschnitt 4.3.3.3
Danksagung
In der Bundesrepublik Deutschland vollzieht sich, wie in den meisten anderen entwickelten Staaten, ein demographischer Wandel (vgl. [1, 2, 3]). Dieser demographische Wandel ist gekennzeichnet durch den Prozess des so genannten double-aging: eine steigende Lebenserwartung und abnehmende Geburtenraten führen zu einer immer älter werdenden Bevölkerung [3]. Der Prozess des double-aging lässt sich für Deutschland an den Ergebnissen der 11. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung [4] belegen. Diese Studie des statistischen Bundesamtes prognostiziert für die männliche Bevölkerung der Bundesrepublik eine Erhöhung der durchschnittlichen Lebenserwartung von 75,9 Jahren bei Geburt im Jahr 2003 auf 85,4 Jahre bei Geburt im Jahr 2050 [4]. Gleichzeitig nahm die Geburtenrate in der Bundesrepublik Deutschland seit 1960 erheblich ab. Eine Frau brachte im Jahr 1960 durchschnittlich 2,5 Kinder zur Welt [4]. Im Jahr 1995 waren es nur noch 1,4 Kinder [4]. Diese niedrige Geburtenrate wird bis zum Jahr 2050 voraussichtlich in etwa gleich bleiben, während die geburtenstarken Jahrgänge der 60er Jahre etwa im Jahr 2025 das rentenfähige Alter erreichen werden [4]. Als Folge dieser Entwicklung kommt es zu einer Alterung der Bevölkerung. Entfielen im Jahr 2005 noch 32 potentielle Rentner auf 100 Personen im Erwerbsalter, so werden es im Jahr 2030 bereits 52 Personen im Rentenalter sein [1]. Im Jahr 2005 waren 61% der Bevölkerung Deutschlands im erwerbsfähigen Alter (20 bis 64 Jahre) [4]. Bis zum Jahr 2050 wird mit einer Abnahme des Anteils dieser Bevölkerungsgruppe auf etwa 50% gerechnet [4].
Diese Alterung der Bevölkerung führt zu einer wachsenden finanziellen Belastung des deutschen Gesundheitssystems: etwa 57% der Gesundheitsausgaben in Deutschland werden von den gesetzlichen Krankenversicherungen getragen (vgl. [5]). Diese Gesundheitsausgaben finanzieren die Versicherungen vornehmlich aus den Beiträgen ihrer Versicherungsnehmer. Die Beitragshöhe ist dabei abhängig von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Versicherten und nicht von ihrem Versicherungsrisiko (vgl. [5]). Es kommt bei einer Alterung der Bevölkerung folglich in zweierlei Hinsicht zu einer finanziellen Mehrbelastung: Einerseits tragen Personen im Rentenalter aufgrund ihrer reduzierten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit weniger zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherungen und damit des Gesundheitssystems bei. Andererseits nehmen ältere Menschen häufiger medizinische Leistungen in Anspruch als Jüngere [3].
Verschiedene Ansätze versuchen diese Kostenentwicklung zu bremsen (vgl. etwa [3, 5] mit dortigen Quellen). Zur Steigerung der Einnahmen werden beispielsweise alternative Finanzierungskonzepte wie eine Bürgerversicherung oder das Kopfpauschalenmodell diskutiert (vgl. [5] mit dortigen Quellen). Neben einer Erhöhung der Einnahmen werden aber auch eine Reduktion der Kosten und eine Effizienzsteigerung des Gesundheitswesens angestrebt.
Die Medizinische Informatik kann einen Beitrag zur Steigerung der Effizienz medizinischer Behandlungen bei gleichzeitiger Verbesserung der Versorgungsqualität leisten. Vor dem Hintergrund des demographischen Wandels sind hier Assistierende Gesundheitstechnologien (AGT) erfolgversprechend, die altersinduzierte Funktionsdefizite ausgleichen und somit Behandlungs- und Betreuungskosten Älterer senken können. Eine Studie des US-amerikanischen Departement of Veterans Affairs [6] belegt dieses Postulat exemplarisch für den Anwendungsbereich chronischer Erkrankungen: Im Rahmen dieser Studie wurden acht Modellprojekte über einen Zeitraum von 2 Jahren finanziert. Ziel dieser Modellprojekte war es so genannte Pflegekoordinatoren bei der Versorgung chronisch Kranker in ihrer häuslichen Umgebung durch den Einsatz von Assistierenden Gesundheitstechnologien zu unterstützen (vgl. [6]). Durch den Einsatz dieser Technologien, in Verbindung mit einem abgestimmten Versorgungskonzept, sollte eine Verbesserung der Versorgungsqualität und eine Erhöhung der Versorgungseffizienz erzielt werden [6]. Eine Evaluation der Ergebnisse zeigte das Potential Assistierender Gesundheitstechnologien: Es konnte eine Reduktion der Versorgungen in der Notaufnahme eines Krankenhauses um 40% und der Neuaufnahmen in ein Krankenhaus um 63% erzielt werden [6]. Die Anzahl der Tage, die Patienten in Krankenhausbetten verbringen mussten, konnte um 60% reduziert werden; die Anzahl der Tage an denen sie in einem Bett zu Hause gepflegt werden mussten sogar um 88% [6].
Altersbezogene Dienstleistungen auf Basis Assistierender Gesundheitstechnologien haben also, wie die Studie des Departments of Veterans Affairs (vgl. [6]) exemplarisch gezeigt hat, wirtschaftliches Potential. Dennoch verbleiben viele Forschungsprojekte zu diesem Thema im Stadium einer Machbarkeitsstudie. Es gibt nur wenige Beispiele für eine Etablierung dieser Dienstleistungen am Markt.
Ein Grund hierfür ist, dass die Entwicklung AGT-basierter Dienstleistungen oft vornehmlich aus informationstechnischer und/oder medizinischer Sicht erfolgt. Beim Versuch ihrer Markteinführung zeigt sich dann häufig, dass die Neuartigkeit und Komplexität der Dienstleistungen, sowie die Zahl der an der Leistungserstellung beteiligten Akteure, zu erheblichen Herausforderungen auch im nicht-technischen Bereich führen. Somit ist häufig nicht hinreichend klar, wie die einrichtungsübergreifende Zusammenarbeit der Akteure organisiert und wie der ökonomische Leistungsaustausch geplant werden kann. Auf Marktebene fehlt meist ein Überblick darüber, welche Leistungsarten im Umfeld Assistierender Gesundheitstechnologien künftig zu erwarten sind, welche Anforderungen die an der Leistungserstellung beteiligten Akteure an die praxisorientierte Gestaltung der Dienstleistungsarten stellen und wie AGT-basierte Dienstleistungen durch die Zielgruppe hinsichtlich ihres Nutzens und monetären Wertes eingestuft werden.
In der Folge bleiben wichtige Bestimmungsfaktoren für den unternehmerischen Erfolg AGT-basierter Geschäftssysteme unberücksichtigt und ein Transfer von Forschungsergebnissen in die Praxis kann nicht stattfinden. Übergeordnetes Ziel der vorliegenden Dissertation ist deshalb die Identifikation bzw. Konzeption eines Werkzeuges, das einen Beitrag zur marktorientierten Planung und Gestaltung einer Geschäftstätigkeit auf Basis Assistierender Gesundheitstechnologien leistet. Nach Ansicht des Autors der vorliegenden Arbeit kann insbesondere die Geschäftsmodellierung bei der Annäherung an die genannten Handlungsfelder unterstützen. Wie noch zu zeigen sein wird, können vorhandene Geschäftsmodellierungsansätze allerdings aufgrund der besonderen Anforderungen Assistierender Gesundheitstechnologien nicht ohne weiteres auf den Gegenstandsbereich übertragen werden (vgl. Abschnitt 3.2 und 3.3).
Es ergibt sich die Problemstellung der vorliegenden Arbeit:
P1 Es existiert kein hinreichend geeigneter Ansatz zur Geschäftsmodellierung altersbezogener Dienstleistungen auf Basis Assistierender Gesundheitstechnologien.
Z1 Ziel der vorliegenden Arbeit ist die Konzeption und exemplarische Instanziierung eines Ansatzes zur Geschäftsmodellierung altersbezogener hybrider Dienstleistungen auf Basis Assistierender Gesundheitstechnologien.
Aus der Zielsetzung leiten sich die nachfolgenden vier zentralen Fragen der Arbeit ab. In den Klammern findet sich ein Verweis auf die Abschnitte, in denen die jeweilige Fragestellung beantwortet wird:
F1 Welchen Anforderungen muss ein Ansatz zur Geschäftsmodellierung altersbezogener Dienstleistungen auf Basis Assistierender Gesundheitstechnologien genügen (vgl. Abschnitt 3.2, S. → ff.)?
F2 Welche Ansätze zur Geschäftsmodellierung existieren in der wissenschaftlichen Literatur und werden diese den Anforderungen altersbezogener Dienstleistungen auf Basis Assistierender Gesundheitstechnologien gerecht (vgl. Abschnitt 3.3, S. → ff.)?
F3 Wie kann ein geeigneter Ansatz zur Geschäftsmodellierung altersbezogener AGT-basierter Dienstleistungen konzipiert werden, falls vorhandene Ansätze nicht hinreichend gut geeignet sind (vgl. Abschnitt 3.4, S. → ff.)?
F4 Wie sieht eine exemplarische Instanziierung des konzipierten Geschäftsmodellansatzes aus (vgl. Abschnitt 4, S. → ff.)?
Die Instanziierung eines Geschäftsmodellierungsansatzes ist zu weiten Teilen vom praktischen Anwendungsfall abhängig. Dies gilt auch für die Komponenten der organisatorischen, ökonomischen und informationstechnischen Sicht des in der vorliegenden Arbeit konzipierten TRIGEMO-Ansatzes. Im Gegensatz hierzu finden sich in der analytischen Sicht vier Komponenten, die bei ihrer Instanziierung eine grundlegende Marktanalyse AGT-basierter Dienstleistungen einfordern. Die Instanziierung dieser Komponenten in Abschnitt 4.3.3 bietet wichtige, zu weiten Teilen übertragbare Erkenntnisse für das Forschungsgebiet Assistierender Gesundheitstechnologien. In der vorliegenden Dissertation wird deshalb hier ein besonderer Schwerpunkt gesetzt.
Aufbauend auf der im vorangegangen Abschnitt durchgeführten thematischen Motivation, wird in Abschnitt 2 ein Überblick über die zentralen Forschungsgebiete der vorliegenden Dissertation erarbeitet. In einem ersten Schritt wird das Konzept Assistierender Gesundheitstechnologien vorgestellt. Es folgt eine Strukturierung der Vorarbeiten zur Geschäftsmodellierung, bevor der Abschnitt mit einer Darstellung der Eigenschaften der fokussierten Zielgruppe älterer Menschen schließt. Aus den Besonderheiten des Anwendungsgebietes, den Erkenntnissen zur Geschäftsmodellierung und den Eigenschaften der Zielgruppe werden in Abschnitt 3 Anforderungen an den gesuchten Lösungsansatz abgeleitet. Diese Anforderungen bilden die Grundlage einer Analyse einschlägiger Konzepte zur Geschäftsmodellierung. Da keiner der analysierten Ansätze den definierten Anforderungen hinreichend gut entspricht, wird schließlich ein eigener Ansatz zur transinstitutionellen Geschäftsmodellierung altersbezogener Dienstleistungen auf Basis Assistierender Gesundheitstechnologien (TRIGEMO-Ansatz) konzipiert. In Abschnitt 4 wird im Anschluss an diese Konzeption eine exemplarische Instanziierung des TRIGEMO-Ansatzes vorgenommen. Wie bereits erläutert ist die Instanziierung der organisatorischen, ökonomischen und informationstechnischen Sicht zu weiten Teilen von den Rahmenbedingungen des jeweiligen Anwendungsfalles abhängig. Diese stark auf das konkrete Anwendungsbeispiel bezogenen Aspekte werden im Rahmen der vorliegenden Dissertation eher kurz umrissen, da sie kaum übertragbare Erkenntnisse bieten und vor allem als „proof of concept“ dienen. Die Instanziierung der analytischen Sicht hingegen wurde ausführlich ausgearbeitet und bietet mit drei Studien zur Marktanalyse AGT-basierter Dienstleistungen wichtige Erkenntnisse für das Forschungsgebiet Assistierender Gesundheitstechnologien, die zu weiten Teilen auf andere Geschäftssysteme übertragbar sind. In der vorliegenden Dissertation wurde also vor diesem Hintergrund ein besonderer Schwerpunkt auf die Instanziierung der analytischen Sicht gelegt (vgl. Abschnitt 4.3.3), auch wenn der Abschnitt aufgrund seiner formalen Einordnung in das übergeordnete Konzept des TRIGEMO-Ansatzes eher nebensächlich wirkt. Die Arbeit schließt in Abschnitt 5 mit einer Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse.
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird ein Ansatz zur Geschäftsmodellierung altersbezogener Dienstleistungen auf Basis Assistierender Gesundheitstechnologien gesucht. Kapitel 2 stellt deshalb das Forschungsgebiet Assistierender Gesundheitstechnologien vor, gibt einen kurzen Einblick in die Besonderheiten der fokussierten Zielgruppe und erarbeitet einen grundlegenden Überblick über das Konzept der Geschäftsmodellierung.
Der folgende Abschnitt führt in die Thematik Assistierender Gesundheitstechnologien ein, die die technische Grundlage der im Rahmen der vorliegenden Dissertation betrachteten Dienstleistungen für ältere Menschen bilden. Es wird ein Einblick in die Entstehung des Forschungsthemas gegeben und eine Definition Assistierender Gesundheitstechnologien als Informatikwerkzeug vorgenommen.
Der Begriff Assistierende Gesundheitstechnologien (engl.: Health-Enabling Technologies) wurde vom Peter L. Reichertz Institut für Medizinische Informatik (PLRI) in den Jahren 2004/2005 im Rahmen mehrerer Workshops erarbeitet. Diese Begriffsfindung war notwendig, da die bis dahin vorhandene Terminologie nicht deckungsgleich auf die von den Wissenschaftlern betrachteten Forschungsfragen angewendet werden konnte.
Das Konzept Assistierender Gesundheitstechnologien war zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht vollständig neu. Obschon nicht deckungsgleich, so haben diese Innovationen doch große Schnittmengen mit bereits vorher diskutierten Forschungsfragen.
Eine der grundlegenden Ideen Assistierender Gesundheitstechnologien ist die Erbringung medizinischer, pflegerischer und therapeutischer Dienstleistungen im natürlichen Lebensumfeld eines Menschen. Nicht selten erbringen sie diese Dienstleistungen unter informationstechnischer Anbindung der häuslichen Umgebung an Einrichtungen der Gesundheitsversorgung. Hieraus ergeben sich weite inhaltliche Überschneidungen mit dem Gegenstandsbereich der Telemedizin. Sucht man nach dem konzeptionellen Ursprung Assistierender Gesundheitstechnologien, wird man sich also am ehesten mit der Entstehung der Telemedizin befassen.
Definition 2.2/1: Telemedizin
Telemedizin bezeichnet die Verwendung von Telekommunikationstechnologien zur Erbringung medizinischer Dienstleistungen über eine räumliche Distanz. (vgl. [7])
Wann die Idee einer telemedizinischen Anwendung erstmalig entstanden ist, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen. Higgins et al. weisen jedoch eine Publikation von Willem Einthoven aus dem Jahr 1906 nach (vgl. [7]), bei der es sich vermutlich um eine der ersten wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu diesem Thema handelt:
„Einthoven, the developer of the electrocardiogram, transmitted heart tracings via telephone lines from the local hospital to the laboratory where his string galvanometer was located. In 1906, in a paper entitled ‘Het Telecardiogramm’, Einthoven described his system and indicated he could anticipate events before the attending physician. ‘Thus we are able, to the great surprise of Professor Nolan, to warn him telephonically an instant before he was to observe a dropped beat.’” ([7], S. 308)
Den ersten Einsatz telemedizinischer Konzepte in der Praxis finden die Autoren dann in Vorschriften aus dem Jahr 1912, wonach Schiffe mit mehr als 50 Passagieren ein Radio zur Übermittlung ärztlicher Anweisungen bei medizinischen und anderen Notfällen mitzuführen hatten (vgl. [7], S. 308).
Trotz dieser frühen Beispiele blieb das Forschungsgebiet der Telemedizin recht lange ein „Orchideenfach“. Diesen Punkt verdeutlicht ein Screening der wissenschaftlichen Publikationen zu diesem Thema. Abbildung 1 zeigt die Anzahl der in der Metadatenbank PubMed gelisteten Publikationen, die den Begriff Telemedicine im Titel oder Abstract verwenden, in Abhängigkeit von ihrem Publikationsdatum.
Es wird deutlich, dass eine intensive Erforschung der Telemedizin erst etwa Mitte der 1990er Jahre einsetzte. Der Grund für diese plötzliche Zunahme telemedizinischer Forschung lässt sich nicht mit Sicherheit nachweisen. Aus Sicht des Autors ist dies vermutlich auf die zu diesem Zeitpunkt einsetzende Verbreitung der Internettechnologien zurückzuführen, die eine Übertragung telemedizinischer Daten erheblich vereinfacht haben dürfte.
Zeitgleich entstanden auch zahlreiche, eng mit dem Ansatz der Telemedizin verwandte Konzepte, von denen hier nur einige prominente Vertreter vorgestellt werden können: Es fand eine Ausdifferenzierung des Forschungsthemas statt, zum Beispiel durch eine Spezialisierung auf einzelne methodische bzw. technische Problemstellungen (vgl. z.B. Telemonitoring [8-10]) oder etwa nach Aufgabenkomplexen der Gesundheitsversorgung (vgl. z.B. Telecare [11-13] oder Telerehabilitation [14, 15]). Darüber hinaus wurde verstärkt nach technischen Lösungen gesucht, die Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen bei der Bewältigung des Alltags unterstützen (vgl. z.B. Assistive Technologies [16]). Es entwickelte sich die Idee einer allgegenwärtigen Gesundheitsversorgung in einer Umgebung, die sich an die individuellen Bedürfnisse der Menschen anpasst (Ambient Assisted Living, vgl. z.B. [17]). Abbildung 2 gibt einen Überblick über die Verwendungshäufigkeit dieser ausgewählten, weiterführenden Konzepte.
Einige Ideen dieser Forschungsthemen sind in die Konzeption Assistierender Gesundheitstechnologien eingeflossen. Im folgenden Abschnitt wird definiert, was im Rahmen der vorliegenden Arbeit unter Assistierenden Gesundheitstechnologien verstanden werden soll und in welcher Hinsicht sich diese Innovationen von verwandten Konzepten unterscheiden.
Wie oben ausgeführt, handelt es sich bei dem Begriff Assistierende Gesundheitstechnologien um eine Wortschöpfung des Peter L. Reichertz Instituts für Medizinische Informatik. Maik Plischke, zum damaligen Zeitpunkt Mitarbeiter des PLRI, beschreibt in seiner Dissertation aus dem Jahr 2007 Assistierende Gesundheitstechnologien als ein Forschungsgebiet, das sich mit der Weiterentwicklung und Untersuchung von Informations-und Kommunikations-technologien sowie Infrastrukturen in der Gesundheitsversorgung befasst und hierbei das Ziel verfolgt, personenzentriert nachhaltige Bedingungen für ein aktives, selbstständiges und selbst gestaltetes Leben zu schaffen [18]. Die Arbeitsgruppe des PLRI führt weiter aus:
„Das Forschungsgebiet Assistierende Gesundheitstechnologien umfasst Arbeiten
Basierend auf diesen Vorarbeiten sollen Assistierende Gesundheitstechnologien im Rahmen der vorliegenden Arbeit wie folgt definiert werden:
Definition 2.2/2: Assistierende Gesundheitstechnologien
Assistierende Gesundheitstechnologien sind Informatikwerkzeuge, die systematisch Daten, Informationen und Wissen über den Gesundheitszustand eines Menschen in seinem natürlichen Lebensumfeld verarbeiten. Hierbei verfolgen sie das Ziel, den Gesundheitszustand des Menschen zu erhalten, zu verbessern und/oder die negativen Folgen einer Erkrankung zu mindern und damit ein aktives, selbstbestimmtes und selbst gestaltetes Leben zu fördern.
Bei Assistierenden Gesundheitstechnologien handelt es sich, dem Verständnis der vorliegenden Arbeit folgend, um Informatikwerkzeuge. Unter einem Informatikwerkzeug soll eine Technologie verstanden werden, die Informationen verarbeitet, d.h. erfasst, transformiert, überträgt, speichert und bereitstellt1.
Die Übergänge zu anderen Technologien sind allerdings fließend: Wurde eine Wohnung beispielsweise mit herkömmlichen Bewegungsmeldern ausgestattet, die beim Betreten eines Raumes das Licht einschalten, so kann bei der eingesetzten Technologie noch nicht von einem Informatikwerkzeug gesprochen werden. Dies kann sich aber ändern, wenn die Sensoren beispielsweise mit einem Hausautomationssystem verbunden werden, das auf der Grundlage von Algorithmen Entscheidungen mit dem Ziel trifft, den Gesundheitszustand eines Menschen zu erhalten (vgl. auch [20]). In diesem Fall sind die Bewegungssensoren Bestandteil eines Systems geworden, das im Rahmen dieser Arbeit als Informatikwerkzeug angesehen werden soll.
Wie Definition 2.2/2 weiter zu entnehmen ist, unterstützen Assistierende Gesundheitstechnologien Menschen in ihrem natürlichen Lebensumfeld. Als natürliches Lebensumfeld soll im Rahmen dieser Arbeit eine Umgebung verstanden werden, die nicht in erheblichem Maße auf die Gesundheitsversorgung ausgerichtet ist und in der Menschen für einen längeren Zeitraum weitgehend selbstbestimmt und selbst gestaltet leben. Zu Assistierenden Gesundheitstechnologien gehören damit beispielsweise keine Informatikwerkzeuge, die ausschließlich im Krankenhaus eingesetzt werden.
Im Einzelfall fällt die Abgrenzung jedoch nicht immer leicht. Ein Beispiel für einen solchen Grenzfall sind stationäre Alteneinrichtungen: Wie eine vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Auftrag gegebene Studie aus dem Jahr 2005 zeigt, verweilen die Bewohner stationärer Alteneinrichtungen dort im Schnitt 3,4 Jahre [21]. Diese Einrichtungen werden also häufig für einen längeren Zeitraum zur alltäglichen Lebensumgebung der Senioren. Stationäre Alteneinrichtungen sind aber gleichzeitig in nicht geringem Maße an die pflegerischen und therapeutischen Bedürfnisse ihrer Bewohner angepasst, was sie vom häuslichen Umfeld unterscheidet. Dennoch sollen sie unter den Begriff des natürlichen Lebensumfeldes subsumiert werden, wenn eine eigenständige Lebensführung der Bewohner möglich ist.
Definition 2.2/2 legt fest, dass Assistierende Gesundheitstechnologien Daten, Information und Wissen über den Gesundheitszustand eines Menschen verarbeiten. Hierbei ist klarzustellen, dass Daten, die auf den ersten Blick keine gesundheitsrelevanten Informationen enthalten, unter Umständen dennoch Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand eines Menschen zulassen. Ein wichtiges Beispiel hierfür sind Informationen über die Durchführung von Alltagsaktivitäten. Auf den ersten Blick lässt die Information darüber, wann eine Person fernsieht keine Schlüsse auf den Gesundheitszustand dieses Menschen zu. Unter Umständen kann diese Information jedoch auf einen pathologischen Zustand hindeuten, wenn eine Person mehrere Nächte hintereinander fernsieht anstatt zu schlafen. Assistierende Gesundheitstechnologien sollen also, genauer formuliert, als Informatikwerkzeuge verstanden werden, die Daten, Informationen und Wissen mit dem Zweck der Erhebung des Gesundheitszustandes einer Person verarbeiten (vgl. [22]).
Bei der vorgeschlagenen Definition Assistierender Gesundheitstechnologien ist zu berücksichtigen, dass der Begriff noch verhältnismäßig jung ist und zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur wenige Publikationen existieren, die ihn verwenden. Wie bereits angedeutet wurde, hat die dem Begriff zugrundeliegende Idee aber weite inhaltliche Überschneidungen mit angrenzenden Konzepten. In der wissenschaftlichen Literatur werden also häufig Assistierende Gesundheitstechnologien betrachtet, auch wenn eine andere Terminologie zur Anwendung kommt.
Zum besseren Verständnis wissenschaftlicher Arbeiten müssen die Gemeinsamkeiten und diskriminierenden Faktoren der jeweiligen Begriffssysteme herausgearbeitet werden. Im Folgenden soll deshalb eine Abgrenzung Assistierender Gesundheitstechnologien von wichtigen, verwandten Konzepten vorgenommen werden.
Bei der Bewertung dieser Abgrenzung ist zu beachten, dass das betrachtete Forschungsumfeld bisher noch kein einheitliches Begriffsverständnis erarbeitet hat. Der folgende Abgrenzungsversuch kann also zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur der groben Orientierung dienen. Die Relevanz wissenschaftlicher Arbeiten für das Forschungsgebiet Assistierender Gesundheitstechnologien muss im Einzelfall geprüft werden. Sie lässt sich kaum an den verwendeten Begrifflichkeiten festmachen. Relevante Publikationen können vielmehr nur über ihre Forschungsziele und die zur Problemlösung eingesetzten Werkzeuge ermittelt werden.
Assistierende Gesundheitstechnologien verarbeiten Daten, Informationen und Wissen über den Gesundheitszustand eines Menschen in seinem natürlichen Lebensumfeld. In vielen Fällen binden sie dieses Umfeld an externe Gesundheitsversorger an und vermitteln medizinische Dienstleistungen über eine räumliche Distanz. Wie oben eingeführt, unterstützt auch die Telemedizin die „Erbringung medizinischer Dienstleistungen über eine räumliche Distanz“ (vgl. auch [7]). Zwischen diesen beiden Forschungsgebieten gibt es also breite inhaltliche Überschneidungen.
Es existieren aber auch wesentliche Unterschiede: Während sich Assistierende Gesundheitstechnologien auf Informatikwerkzeuge beschränken, setzt die Telemedizin grundsätzlich alle Telekommunikationswerkzeuge ein. So wurde in der Vergangenheit von ihr beispielsweise häufig das Telefon für medizinische Zwecke instrumentalisiert. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass die Telemedizin auch den Informationsaustausch von Gesundheitseinrichtungen untereinander unterstützt. Eine Integration der natürlichen Lebensumgebung eines Menschen wird von ihr nicht zwingend gefordert. So stellt beispielsweise das ärztliche Konsil eine häufige Anwendung telemedizinischer Technologien dar. Ein weiterer Unterschied besteht in der erbrachten Dienstleistung selbst. Bei der Telemedizin steht häufig die Diagnostik und Therapie von Einzelerkrankungen im Mittelpunkt. Assistierende Gesundheitstechnologien umfassen darüber hinausgehend alle Dienstleistungen, die Menschen bei der selbstständigen Lebensführung unterstützen.
Im Laufe der Zeit wurden von der Telemedizin zahlreiche technische und inhaltliche Spezialisierungen ausgebildet. Eine der wichtigsten technischen Spezialisierungen ist das Telemonitoring. Dieses Forschungsgebiet untersucht Verfahren zur Überwachung des klinischen Zustandes eines Patienten mit Hilfe von Kommunikationstechnologien [23]. Inhaltliche Schwerpunkte orientieren sich beispielsweise an den Aufgaben einzelner medizinischer Berufsgruppen (vergleiche zum Beispiel Teledermatologie (vgl. [24-26]), Teleophthalmologie (vgl. [27-29]), Telepflege (vgl. [11, 30, 31]), Telepsychologie (vgl. [32-34])) oder an einzelnen Phasen des medizinischen Versorgungsprozesses (vergleiche zum Beispiel Teleprävention (vgl. [35]), oder Telerehabilitation (vgl. [14, 15, 36])). Für die Spezialisierungen gelten die gleichen diskriminierenden Faktoren, die auch für das gesamte Forschungsgebiet gelten. Wissenschaftliche Arbeiten dieser spezialisierten Forschungsgebiete können also teilweise ebenfalls unter den Begriff der Assistierenden Gesundheitstechnologien subsumiert werden.
Das Forschungsgebiet der Assistive Technologies befasst sich mit der Entwicklung von Gegenständen, Werkzeugen oder Produkten, die die funktionalen Fähigkeiten von Menschen mit Behinderungen erhalten bzw. verbessern. Eine häufig zitierte Definition des Begriffes geht auf ein Gesetz aus dem Jahr 1988 zurück, den so genannten Technology-Related Assistance For Individuals With Disabilities Act. Dieses US-amerikanische Bundesgesetz zielte auf die Förderung technischer Hilfsmittel für behinderte Menschen [37]. Im Rahmen einer Legaldefinition legt der Text fest:
Definition 2.2/3: Assistive Technology
An Assistive Technology is "any item, piece of equipment, or product system, whether acquired commercially off-the-shelf, modified, or customized, that is used to increase, maintain, or improve functional capabilities of individuals with disabilities." [38]
Wie Assistierende Gesundheitstechnologien, strebt also auch dieses Forschungsgebiet die Förderung eines aktiven, selbstbestimmten und selbst gestalteten Lebens an. Es kommen aber nicht ausschließlich Informatikwerkzeuge zum Einsatz: Unter den Begriff Assistive Technology werden beispielsweise auch klassische Mobilitätshilfen, Wohnraumanpassungen oder Sehhilfen subsumiert (vgl. z.B. [39]). Durch die zunehmende Verbreitung der Informationstechnologien werden diese klassischen Hilfsmittel jedoch vermehrt mit Informatikwerkzeugen verbunden, so dass wissenschaftliche Arbeiten dieses Forschungsgebietes nicht selten auch den Assistierenden Gesundheitstechnologien zugeordnet werden können.
Werden technische Assistenzsysteme in die natürliche Lebensumgebung eines Menschen integriert, so spricht die Forschung seit einigen Jahren auch vom so genannten Ambient Assisted Living (AAL). Das Leitbild dieses Forschungsgebietes wurde zunächst von der Idee einer „intelligenten Wohnumgebung“ geprägt, die die Lebensqualität und Unabhängigkeit ihrer Bewohner durch möglichst unaufdringliche, im Hintergrund agierende Technologien fördert (vgl. [17]). Dieses Leitbild findet sich in dieser Form dann auch in den Zielen der Arbeitsgruppe Smart Homes and Ambient Assisted Living der International Medical Informatics Association (IMIA) wieder:
„The working group focuses on the following areas:
Im Laufe der Zeit wurde die Idee der „intelligenten“ Wohnumgebung jedoch auf die gesamte Lebensumgebung eines Menschen verallgemeinert. So definiert die VDI/VDE Innovation und Technik GmbH als nationaler Ansprechpartner des AAL Joint Programm in Deutschland den Forschungsgegenstand wie folgt:
Definition 2.2/4: Ambient Assisted Living
“Unter ‚Ambient Assisted Living‘ (AAL) werden Konzepte, Produkte und Dienstleistungen verstanden, die neue Technologien und soziales Umfeld miteinander verbinden und verbessern mit dem Ziel, die Lebensqualität für Menschen in allen Lebensabschnitten zu erhöhen.” [41]
Es zeigt sich also, dass die Forschungsgebiete Ambient Assisted Living und Assistierende Gesundheitstechnologien vergleichbare Ziele verfolgen: beide konzipieren Unterstützungsleistungen, die das selbstbestimmte und selbst gestaltete Leben eines Menschen in seinem natürlichen Lebensumfeld fördern. Ein Unterschied liegt allerdings in der eingesetzten Technologie. Das Forschungsgebiet AAL strebt eine „intelligente“ Lebensumgebung an, in der Alltagsgegenstände und Bauwerke um Informatikwerkzeuge, Sensoren und Aktoren erweitert werden. Hierdurch sollen Unterstützungsleistungen möglichst unaufdringlich erbracht werden. Im Idealfall nimmt der Nutzer die integrierte Technologie nur während der Leistungserbringung wahr. Die Erfassung medizinisch relevanter Parameter ist auf diesem Weg jedoch nicht immer möglich, da eine Vielzahl physiologischer Daten nur durch mit dem Körper verbundene Sensoren erhoben werden kann. Assistierende Gesundheitstechnologien setzen deshalb häufig körperbezogene Komponenten ein. Sofern möglich greifen sie jedoch auch auf unaufdringliche, in die Lebensumgebung integrierte Komponenten zurück, so dass wissenschaftliche Arbeiten zum Ambient Assisted Living durchaus auch in den Gegenstandsbereich der vorliegenden Dissertation fallen können.
Im vorangegangenen Kapitel wurde ein grundlegender Überblick über das Forschungsthema Assistierende Gesundheitstechnologien erarbeitet. Es wurde gezeigt, dass sich die Ursprünge dieser Werkzeuge bis zu den ersten vorsichtigen Gehversuchen der Telemedizin am Anfang des letzten Jahrhunderts zurückverfolgen lassen. Der Begriff selbst ist ein Neologismus, der vom Peter L. Reichertz Institut für Medizinische Informatik im Jahr 2005 geprägt wurde. Nach einer genauen Begriffsbestimmung wird aber postuliert, dass eng mit den Assistierenden Gesundheitstechnologien verwandte Forschungsthemen existieren. Um über die Gemeinsamkeiten und diskriminierenden Faktoren dieser verwandten Forschungsthemen Klarheit zu erhalten, schließt das Kapitel mit einer Abgrenzung der prominentesten Vertreter dieser Schwesterdisziplinen. Es kann festgehalten werden, dass Assistierende Gesundheitstechnologien ein stark wachsender Forschungszweig der Medizinischen Informatik sind. Aufgrund der Begriffsdiffusion im Fachgebiet fällt die Einordnung wissenschaftlicher Einzelarbeiten jedoch nicht immer leicht.
Der folgende Abschnitt führt in die Thematik der Geschäftsmodellierung ein. Zunächst wird ein Überblick über die Entstehungsgeschichte des Forschungsgebietes erarbeitet. Im Anschluss wird eine Analyse und Strukturierung der wissenschaftlichen Diskussion und der unter den Geschäftsmodellbegriff subsumierten Forschungsthemen vorgenommen. Der Abschnitt schließt mit einer eigenen Definition des Begriffes Geschäftsmodell.
Eine der ältesten wissenschaftlichen Arbeiten (vgl. [42]), die den Begriff Geschäftsmodell (dort in seiner englischen Übersetzung Business Model) verwendet, ist eine Publikation von Bellman et al. aus dem Jahr 1957 [43]. In dieser Publikation stellen die Autoren ein Planspiel vor, in dem fünf fiktive Unternehmen in einer Wettbewerbssituation agieren. Basierend auf wirtschaftlichen Kennzahlen treffen die Teilnehmer des Planspiels Entscheidungen über die Positionierung ihres Unternehmens am Markt. Diese Entscheidungen werden als monetäre Investition etwa in die Produktionsrate, das Marketing oder Forschung & Entwicklung ausgedrückt und als Variableninhalt an einen Computer übergeben. Auf der Grundlage eines mathematischen Modells bestimmt der Rechner die aus den Entscheidungen resultierenden Kennzahlen des Folgejahres. Das dem Planspiel zugrundeliegende mathematische Modell wurde von den Autoren als Business Model bezeichnet [43]. Die Autoren verwenden diesen Begriff allerdings eher beiläufig und ohne vorherige Definition. Somit kann diese Arbeit allenfalls als ein erstes frühes Verwendungsbeispiel des Begriffes angeführt werden.
Ghaziani und VentrescaBusiness Model